Perversion und Sexualität oder die Anormalität des Normalen - Zu Freuds "Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie"


Seminararbeit, 2000

43 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorbemerkung

2. Einleitung

3. Die Idee von "pathologischer" und "normaler" Sexualität vor Freud
3.1. Anfänge
3.2. Perversionen und das Modell der erblichen Degeneration
3.3. Perversionen und die Assoziationspsychologie
3.4. Perversionen und die biogenetische Theorie der Sexualität
3.5. Perversionen und die Entdeckung der kindlichen Sexualität

4. Freuds biopsychischer Perversionsbegriff.
4.1. Partialtriebe
4.2. Inversion, Sexualüberschätzung
4.3. Psychologische Komponenten der infantilen Fixierung
4.4. Physiologische Komponenten der infantilen Fixierung

5. Auswirkungen auf Freuds Sexualtheorie

6. Kritik und Lob

7. Anmerkungen

Benutzte Primärliteratur

Benutzte Sekundärliteratur

"Das meiste, wasüber Perversionen gesagt wird, ist verlogen. Was man pervers nennt, ist ein Mythos. Etwas in einer bestimmten Weise erleben, anders als andere, ist nur ein gradueller Unterschied zum Erleben der Perversen. Indem man Perversionen beschreibt, grenzt man sich selbst ab und distanziert sich. Jede Gesellschaft produziert Perversionen und die Perversen, die sie braucht."

Fritz Morgenthaler (XIII)

1. Vorbemerkung

Die folgende Arbeit basiert auf einem Seminarreferat. Sie verfolgt weder den Anspruch auf Neuentdeckungen noch auf Neuinterpretation. Ihr Anliegen ist eher eine Selbstvergewisserung.

2. Einleitung

"Mein Ziel war allerdings, zu erkunden, wieviel zur Biologie des menschlichen Sexuallebens mit den Mitteln der psychologischen Forschung zu erraten ist ..." 1, schrieb Freud im Vorwort zur dritten Auflage seiner "Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie" (folgend DA genannt) im Jahre 1915, zehn Jahre nach Erscheinen seines sexualtheoretischen Textes. Diesen Weg beschritt er mit einem wesentlichen Ausgangsinteresse, das er schon 1898 in einem Brief seinem Freund Fließ mitgeteilt hatte: "Man tut Unrecht daran, das Sexualleben der Kinder völlig zu vernachlässigen; sie sind, so viel ich erfahren habe, aller psychischen und vieler somatischen Sexualleistungen fähig ..." 2.

Der Erforschung der infantilen Sexualität widmet Freud den II. Teil seiner DA. Nach eigener Aussage empfindet er sich dabei als Erstentdecker: "Kein Autor hat meines Wissens die Gesetzm äß igkeit eines Sexualtriebes in der Kindheit klar erkannt ..." 3 Dem Einwand, daß die infantile Sexualität sowohl von Fließ (spontane infantile Sexualität) als auch in "über ein Dutzend Publikationen zwischen 1897 und 1905, in denen Freuds Auffassungen in aller Deutlichkeit vorweggenommen wurden" 4, schon hinreichend bedacht worden sei, hätte Freud erwidern können, seine Vertreibung der Kinder aus dem asexuellen Paradies der Unschuld habe erstmals ein geschlossenes, systematisches, die biopsychischen Gesetzmäßigkeiten betonendes Konstrukt hervorgebracht. Wie nun sah sein Konstrukt aus?

Freud nennt "drei wesentliche Charaktere" der "infantilen Sexualäußerung". Erstens entstünden infantile Sexualäußerungen "in Anlehnung an eine der lebenswichtigen Körperfunktionen", wie Nahrungsaufnahme, Defäkation oder Harnentleerung. Zweitens bezögen sie sich auf "kein Sexualobjekt" 5, sondern nur auf "autoerotische" Befriedigungen am eigenen Körper, und schließlich stehe das Sexualziel6 einer infantilen Sexualäußerung unter der "Herrschaft einer erogenen Zone"7.

Freud beschreibt zugleich zwei zeitliche Stufen in jeder Phase der sexuellen Entwicklung. Zuerst komme es beim Säugling oder Kind zur Wahrnehmung und Hochschätzung einer "Lustzugabe, ... die am Rande der Erfüllung der (Körper)Funktion entsteht (Sauglust, Stillung des Hungers"8, Defäkation oder Harnentleerung). In einer zweiten Stufe werde diese sekundäre Lust primär, "außerhalb jeder Funktionslust" und "reinörtlich auf dem Niveau einer erogenen Zone"9 erfahrbar - durch Masturbation10.

Obwohl Freud in den DA schreibt, daß jede "Haut- oder Schleimhautstelle, an der Reizungen von gewisser Art eine Lustempfindung hervorrufen"11, zur erogenen Zone werden kann und 1938 sogar davon spricht, daß "eigentlich der ganze Körper ... eine solche erogene Zone"12 ist, betont er die Existenz "prädestinierte(r) erogene(r) Zonen"13. Diese spielen zusammen mit den von ihnen "ausgehenden sexuellen Partialtrieben"14, mit denen "Freud die nicht genital zentrierten sexuellen Strebungen bezeichnet"15 - und die erst später problematisiert werden sollen -, eine herausragende Rolle bei der phasenweisen Entwicklung der sexuellen Organisation des Menschen.

Freud zufolge durchlaufen alle Kinder beim erogenen Kennenlernen des eigenen Körpers drei Phasen der Sexualorganisation: die oral-kannibalische Phase im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme, die sadistisch-anale Phase im Zusammenhang mit der Defäkation - beides also prägenitale Hochschätzungen16 - und schließlich die genitale Phase17. In dieser Phase - die eigentlich in die Zeit der Pubertät fällt - verlagert sich das Lustempfinden auf die Genitalien. Hier entsteht das Muster der sogenannten normalen Sexualität: "durch die Zusammenfassung der Partialtriebe und deren Unterordnung unter das Primat der Genitalien ... Die Herstellung dieses Primats im Dienste der Fortpflanzung ist also die letzte Phase, welche die Sexualorganisation durchläuft."18 Dieses Muster gerät Freund Freud typisch freudianisch. Denn "die Libido (ist) regelm äß ig und gesetzm äß ig männlicher Natur, ob sie nun beim Manne oder beim Weibe vorkomme" 19, wenngleich er diesen Standpunkt vor allem durch den Verweis auf die ursprünglich bisexelle Veranlagung aller Menschen etwas entschärft. Damit ist die Idee vorgeformt, die Freud 1923 in "Die infantile Genitalorganisation" zu Ende bringt. Dort verkündet er das Primat des Phallus, weil "es nur eine Art von Genitale, das männliche"20, gebe. Damit ist der "Gegensatz der Geschlechter ... gleich dem Gegensatz von phallisch oder kastriert."21 Der III. Teil der DA, der sich der Pubertät widmet, zeigt dann, wie sich Männer als aktive Haudraufs, Frauen aber als kastrierte Männer zu sehen lernen.

Hier soll die zusammenfassende Darstellung der DA ihr vorläufiges Ende finden. Der III. Teil der DA, der sich mit der endlichen Ausformung der Sexualität befaßt, soll - dem Thema geschuldet - weitgehend unbeachtet bleiben. Die vorliegende Arbeit stellt stattdessen die Frage, warum Freud bei der Herleitung seines Sexualitätskonzeptes nicht chronologisch die Sexualorganisation vom Säuglingsalter bis zur entgültigen Ausformung darlegt und sich anschließend den Abweichungen vom "Normalen" zuwendet, sondern gerade umgekehrt alles Bedenken von den "sexuellen Abirrungen" ausgeht?

Wohl ist es eine Tatsache, daß Freuds Arbeit gewissermaßen die thematische Chronologie der Sexualwissenschaft nachvollzieht, die von der Erforschung der Sexualpathologie im Verlauf des 19. Jahrhunderts zur Erforschung der "normalen" Sexualität erst um die Jahrhundertwende überging. Ungeachtet dessen will diese Arbeit die inhaltlichen Gründe für Freuds Chronologie herausarbeiten.

Die Ausgangsthese dabei lautet: Indem Freud die Perversionen zuerst behandelt, indem er - damit zusammenhängend - einen "polymorph-perversen"22 Ausgangspunkt jeglicher Sexualitätsentwicklung konstatiert, will er der Sexualität den Charakter der Selbstverständlichkeit nehmen. Sexualität wird neu bedacht: als komplexes biopsychisches Entwicklungsmodell, wo weder Sexualziel noch Sexualobjekt unumstößlich - fortpflanzungsgemäß - feststehen. Indem Freud die "sexuellen Abirrungen" zuerst betrachtet, öffnet er den Blick auf die Anormalität des Normalen, auf die "angenommene Norm"23, auf die Konstruktion der Sexualität aus biologischen, psychologischen und diskursiven Faktoren.

"Das legitime, sich fortpflanzende Paar macht das Gesetz", bemerkt Foucault: "Es setzt sich als Modell durch, es stellt die Norm auf und verfügtüber die Wahrheit." 24 Dabei stellt natürlich nicht das sich fortpflanzende Paar selbst die Norm auf, sondern die "vielfältigen Mechanismen in den Ordnungen von Ö konomie, Pädagogik, Medizin und Justiz, die den Diskurs des Sexes anreizen, extrahieren, anordnen und institutionalisieren ..."25 Freud kennt keine so umfassende Liste der Diskursmechanismen. Er hebt nur "unter den die Richtung des Sexualtriebes einschränkenden Mächten ... Scham, Ekel, Mitleid", also "die sozialen Konstruktionen der Moral und Autortät hervor"26. Allerdings wird die Frage zu beantworten sein, ob Freuds Normenvorstellung den diskursiven Normenbegriff eines Foucault wirklich vorwegnimmt.

Die folgende Arbeit will die Innovationen und Grenzen von Freuds Perversionsbegriff und dessen Auswirkungen auf Freuds Sexualitätsmodell aufzeigen. Um die Innovationen Freuds zu verstehen und auch um zu zeigen, daß sein Sexualitätsmodell "eine umfassende Synthese bereits existierender Ideen"27 von Sexualforschern seiner Zeit ist, wird zuerst eine Exkursion in das Gebiet der Sexualpathologie vor Freud unternommen. Die Darstellung des Ansatzes von Freud konzentriert sich auf die neuen Begriffe 'Partialtrieb' und 'polymorph-perverse Anlage' (bei allen Kindern). Anschließend werden Freuds Vorstellungen zu den psychologischen und physiologischen Ursachen der Perversionsausbildung zusammengetragen, die positiven Auswirkungen seiner Perversionsvorstellungen auf seinen Sexualitätsbegriff gewürdigt und schließlich einige Kritik formuliert.28

3. Die wissenschaftlichen Auffassungen von "patholgischer" und "normaler" Sexualität vor Freud

3.1. Anfänge

Am Anfang der Sexualwissenschaften stand die "empirische" Beschäftigung mit den sogenannten "sexuellen Abweichungen". Als deutscher Vorreiter dieser naturwissenschaftlichen Untersuchungen gilt Wilhelm Griesinger (1817-1868). Sein Buch "Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten" von 1845 enthielt zwar kein gesondertes Kapitel zur Sexualität, aber als Begleiterscheinung der meisten psychischen Krankheiten galt ihr ein besonderes Interesse. Griesinger verfügte noch über kein differenzierendes Begriffsraster. Als sexuelle Abweichungen betrachtete er sowohl den "rücksichtslos sichäußernden Sexualtrieb" als auch "zügellose Leidenschaft, sexuelle Exzesse und Onanie" 29. Vor allem die Schädlichkeit der Onanie wurde im ganzen 19. Jahrhundert "zu einer nahezu universalenärztlichen Diagnose" und "die Zurückführung von Neurosen und sogar Geisteskrankheiten auf 'masturbatorische Exzesse'" 30 war allgemein üblich. Freud selbst erklärte noch 1912: "Weil die Ätiologie der Neurosen uns ... vertraut ist, kann die Masturbation nicht a priori als harmlos hingestellt werden." 31

Als weitere Folge unreflektierter moralischer Vorbehalte am Beginn der entstehenden Scientia sexualis wurden von Griesinger und vielen anderen die sexuellen Abweichungen grundsätzlich als Begleiterscheinungen angeborener Geisteskrankheiten oder als Mitverursacher von Geisteskrankheit gesehen. Vor allem im letzteren Fall wird ein tautologisches Verfahren deutlich, welches die sexuellen Abweichungen selbst - gemeint sind vor allem Sittenlosigkeit oder Amoralität - als Geisteskrankheiten bewertet und damit eine unauflösbare Verkoppelung beider proklamiert.

Die Beobachtung der sexuellen Abweichungen war bei Griesinger noch nicht zu einer eigenen Wissenschaftsdisziplin gediehen. Sie wurden ausschließlich in Verbindung mit Geisteskrankheiten beschrieben. Von hier begann sich dann eine neue medizinische Konsequenz durchzusetzen: vom abzustrafenden Sünder wurde der Perverse zum verhörten Patienten, wobei die ihm anfänglich zugemuteten Heilungsmethoden, wie Festschnallen oder Kastrieren, eher Teufelsaustreibungen glichen.

Trotzdem waren die Fundamente gelegt und die Richtung zukünftiger Diskurse über die Perversionen deutlich erkennbar. Foucault spricht davon, daß alle "Formen der Sexualität, die sich der strengen Ö konomie der Reproduktion nicht unterwerfen, aus der Wirklichkeit" 32 ausgegrenzt wurden, aber nicht in einer Form des Verschweigens, sondern des systematischen Erfassens und Klassifizierens. Das seit christlicher Anfangszeit "heilige" Ehepaar mit seiner "ordentlichen" Sexualität beginnt laut Foucault im 18./19. Jahrhundert als eine bürgerlich- moralische "nüchterne" Norm zu funktionieren, ohne ständigen Überprüfungs- und Beichtzwang. "Umgekehrt wird nun die Sexualität der Kinder, der Irren und der Kriminellen verhört All diese kaum wahrgenommenen Gestalten müssen nun vortreten", um "zu gestehen, wer sie sind".33

Es beginnt die wissenschaftliche Visite der "Widernatur". "Eine Welt der Perversion zeichnet sich ab", entdeckt durch die Scientia sexualis, die an Stelle kirchlicher "Beichtväter""gewaltsam in die Lüste des Paares eingedrungen" ist und dabei "eine ganze organische, funktionelle oder geistige Pathologie erfunden" hat, "die angeblich aus den 'unvollständigen' sexuellen Praktiken hervorgeht" 34. Das Entstehen eines anerkannten medizinischen Diskurses über "periphere Sexualität" versteht Foucault aber nicht als einseitig repressiv, denn "die Macht verankert die Lust, die sie aufgescheucht hat". Das Sprechen über Perversionen, die Nachfragen, "artikulieren und profilieren erst die Lustempfindungen bei dem, der antworten soll; der Blick fixiert sie, die Aufmerksamkeit isoliert und beseelt sie." 35 Das geförderte Modell einer "genital zentrierten Sexualität" 36 steht auf der einen Seite, aber andererseits werden durch den wissenschaftlichen Diskurs "Gruppen mit vielfältigen Elementen und zirkulierender Sexualität wenn nicht erfunden, so doch zumindest sorgfältig angelegt und zum Wachsen gebracht".37 Dieses "Anlegen" von Perversionen ist - wie jede Begriffsbildung - ein Zusammenspiel von Empirie und Interpretation, wobei letzterer die wirkmächtigen, interessegeleiteten und kulturell verfestigten Weltanschauungsweisen der jeweiligen Diskursteilnehmer eingeschrieben sind, die ihrerseits mit ihrem "Auf-den-Begriff- Bringen" Wissens- und Machtansprüche zu verbinden suchen: "Diese polymorphen Verhaltensweisen sind wirklich aus Körper und Lüsten der Menschen extrahiert worden, ... intensiviert und einverleibt worden. Das Anwachsen der Perversionen ... ist das wirkliche Produkt des Einwirkens eines Machttyps auf die Körper und ihre Lüste." 38

Die Ersetzung der Beichte durch das medizinische Gesprächs-Verhör, die Ersetzung des Verbrechers durch den Kranken, die Ersetzung christlich-moralisch gegründeter diffuser Ängste vor der Sexualität durch ein Verlangen nach Wissen als Macht über die Sexualität ist das Kennzeichen der sich entwickelnden Sexualwissenschaft. Die Nachzeichnung ihrer Entwicklung - mit besonderer Aufmerksamkeit für die von Freud wahrgenommenen Wissenschaftler - soll nun wieder aufgenommen werden.

3.2. Perversionen und das Modell der erblichenDegeneration

Einem Schüler Griesingers blieb es vorbehalten zum "eigentlichen Schöpfer der modernen Sexualpathologie" 39 zu werden: Richard Freiherr von Krafft-Ebing (1840-1902). Sein Ehrgeiz, "eine ganze Wissenschaft der Sexualpathologie aufzubauen" 40, war durch die frühe Kenntnis der Werke von Carl Heinrich Ulrichs (1826- 1896), einem hannoverschen Justizbeamten, angestachelt worden. Ulrichs beschäftigte sich erstmals ausführlich mit der Homosexualität, die er für eine vererbte Anomalie hielt, mit der Folge, daß "eine weibliche Seele in einem männlichen Körper" 41 wohne.

Richard von Krafft-Ebbing definierte im "Lehrbuch der Psychatrie" von 1879: "Als pervers mußjede Art geschlechtlicher Befriedigung bezeichnet werden, die den Zwecken der Natur, der Fortpflanzung, zuwiderläuft." 42 Hier wird der Vorgang der interpretativen Begriffsbildung deutlich. Die Perversion wird zum Negativ der Normalität, die selbst unhinterfragt bleibt. Der Begriff 'Perversion' bezieht seine Bedeutung vor allem aus der Abgrenzung vom Gegenbegriff 'normale Sexualität', dessen historische Herkunft auf neue Weise bestätigt wird. Perversionen entstehen - durch eine kulturell und diskursiv geprägte Referenz auf den Kontext. Indem der Begriff seine historische Realität verbirgt, indem seine geschichtlich verfestigte Bedeutung als metaphysische Bedeutung verstanden wird, bekommt der Begriff den Anschein einer ewigen Referenz auf den ewigen Gegenstand "Perversion". Krafft-Ebings "Psychopathia Sexualis" von 1886 gilt als erstmalige Bestandsaufnahme sexualpathologischer Phänomene. Das Buch gleicht einem Insektensammlerkatalog, der - abgestützt durch eine Vielzahl von Krankengeschichten - die Perversionen in die Hauptklassen Sadismus, Masochismus - von Krafft-Ebing geprägte Begriffe -, Fetischismus und Homosexualität unterteilt. Sadismus und Masochismus gelten als die Grundformen der sexuellen Perversionen, wobei Krafft-Ebing in der Auflage von 1893 zur Proklamation eines männlichen Sadismus und eines weiblichen Masochismus kommt.43 Das Buch betonte das inhuman-monströse und abseitige der Perversionen. Sie sind die Schattenseite des Sexuellen und faktisch ohne Verbindung zum "gesunden" sexuellen Verhalten, eine funktionslose Mißlaune der Natur. Perversionen sind Symtomerscheinungen körperlicher oder geistiger Krankheiten oder Mängel. Sie sind keine bloß psychischen Entwicklungsprodukte, sondern vor allem die Folge physischer Veränderungen eines krankhaften Gehirns oder kranker Nerven. Sie sind "Zeichen einer meist erblichen krankhaften Veranlagung des Centralnervensystems ('Funktionelle Degenerationszeichen')" 44.

Damit ist das Stichwort geliefert. Krafft-Ebing folgte hier der damals verbreiteten Modellvorstellung des französischen Psychiaters Benedict Morel (1808-1873), der seit 1857 die Theorie der "neuro-psychopathischen Degeneration" 45 vertrat. Nach Morel wurde die Anfälligkeit für Geisteskrankheiten oder Perversionen durch die Vererbung von "belasteten" Vorfahren weitergereicht. Diese waren entweder selbst Auslöser oder Opfer einer Degeneration, die ihre Ursachen in "schwerem Alkoholismus, Syphilis, sexueller Haltlosigkeit, Epilepsie, Geisteskrankheit oder einer Fülle anderer pathogener Träger neuro- psychopathischer Heredität" 46 - worunter besonders die Onanie zählte - fanden. Damit war eine vorherige Theorie abgelöst, welche die Perversionen (einschließlich der Homosexualität) nicht als angeboren, sondern als erworben betrachtete. Als Gründe hatten "Verführung, schlechtes Beispiel, Lasterhafigkeit undähnliche ... verderbende Einflüsse" 47 gegolten.

Krafft-Ebing betonte in seiner Fassung der Degenerationshypothese aber nicht nur die familären Ursachen der Degeneration von Nervenbahnen und Hirnzentren, sondern auch die soziale Dimension besonderer Umwelteinflüsse. Ganz in der Tradition der "Wiener Nervösen"48 erklärte er, daß die Episoden des sittlichen Niedergangs zusammenfielen mit "Zeiten der Verweichlichung, der Ü ppigkeit, des Luxus. Diese Erscheinungen sind nur denkbar mit gesteigerter Inanspruchnahme des Nervensystems ... Im Gefolge ü berhandnehmender Nervosität erscheint eine Steigerung der Sinnlichkeit", die schließlich in "monströse Verirrungen des sexuellen Trieblebens" führe. Wenn Krafft-Ebing auch seine eigene Zeit nicht unter die warnenden Beispiele Rom und Frankreich unter Ludwig dem XIV. reihte, formulierte er in einem anderen Zusammenhang deutlicher: "Großstädte" sind "Brutstätten der Nervosität und entarteter Sinnlichkeit", wie die "Geschichte von Babylon, Ninive, Rom, gleichwie ... die Mysterien des modernen großstädtischen Lebens" 49 zeigten. Eine ähnliche Argumentation findet sich in Max Nordaus Erklärung "entarteter" Kunst.

Obwohl die erbliche Degeneration nach Krafft-Ebing die Hauptursache für die Perversionen war, kam er auch einer konkurrierenden Theorie, genauer gesagt ihrer Erklärung der Homosexualität, entgegen. So schrieb er, es könne "kein Zweifel darüber bestehen, dass die c. S. (conträre Sexualempfindung, d.A.) auch als erworbene krankhafte Erscheinung sich vorfinden kann." 50 Diese Erwerbungstheorie spielte in seinem theoretischen Modell allerdings nur die Rolle der Ausnahme von der Regel. Zudem wurde sie von dem Wiener Nervenarzt ausdrücklich in einen Zusammenhang zur Degenerationshypothese gestellt. Denn "auch die erworbene Form (findet) sich nur bei belasteten Individuen" 51. Mit "belastet" waren die "Degenerierten" gemeint. Nur sie waren mit einem zu starken Sexualtrieb versehen, nur sie neigten daher zur Masturbation, litten deshalb an "reizbarer Schwäche des Erections- und Ejaculationscentrums" und bekamen - so Krafft-Ebing - wegen dem häufigen Scheitern des Coitus eine Coitusangst. Letzter Baustein zur Homosexualität: "Die fortbestehende Libido sexualis verlangt aber nach Befriedigung. Sofern sie nicht in Onanie oder Bestialität gesucht und gefunden wird, führt sie leicht zum Verkehr mit dem eigenen Geschlecht." 52

Das Degenerationsmodell hatte auch zur Folge, daß die alte Verbindung von Perversion und Geisteskrankheit von Krafft-Ebing aufrechterhalten wurde. "Ein degenerierter Körper führt zu einem degenerierten Geist", könnte der Leitsatz gelautet haben. Obwohl der Wiener Arzt bei vielen seiner Patienten "geistesschwache" oder "irrsinnige" Vorfahren fand und auch diagnostizierte, "Anomalien des Geschlechtstriebes" seien "zahlreich bei Irren" 53, ließ sich nicht jede Perversion - zumal die noch dazugehörende Homosexualität - der "Geistesschwäche" zuordnen. Sollte diese Verbindung weiterbestehen, mußte jede psychische Begleiterscheinung von abweichendem Sexualverhalten zur Geisteskrankheit werden.

So bemühte sich Krafft-Ebing zu zeigen, daß "der Assessor Ulrichs, selbst mit diesem perversen Trieb behaftet", unrecht habe, die Homosexualität ob ihrer Angeborenheit als gesund und berechtigt zu verteidigen und ihre "staatliche und sociale Anerkennung" 54 zu fordern. Für ihn war Homosexualität ein eindeutiges "funktionelles Degenerationszeichen", eine "Teilerscheinung eines neuropsychopathischen ... Zustandes" 55. Dafür spreche auf körperlicher Ebene, daß "das Geschlechtsleben derartig organisierter Individuen ... sich in der Regel abnorm früh und in der Folge abnorm stark geltend" mache. Geistig/psychisch zeige sich die Krankheit in der Eigenart ihrer Liebe ("eine schwärmerisch exaltirte") und in den begleitenden "Neurosen (Hysterie, Neurasthenie, epileptoide Zustände usw.)" 56. Anzeichen der geistigen Erkrankung waren auch "psychische Anomalien (glänzende Begabung für schöne Künste ..., bei intellektuell schlechter Begabung oder ... Verschrobenheit". In dieser Aufzählung kam "Schwachsinn, moralisches Irresein" 57 eher nur am Rande vor.

Ähnliche geistige Auswirkungen hatte nach Krafft-Ebing die "neuropathische Constitution" seiner Patienten mit "einem krankhaft gesteigerten geschlechtlichen Bedürfnis", weil es "die Bedeutung einer organischen Nötigung gewinnen und ihre Willensfreiheit ernstlich gefährden" 58 könne. Wie sehr hier zeitgebundene moralische Kriterien hineinspielten, zeigt die Aussage: "Sexueller Verkehr bei wechselndem Objekt der Befriedigung steigert den Trieb". Oder eine direkt anschließende Stelle über Frauen: "Da das Weib weniger geschlechtsbedürftig ist als der Mann, mußein Vorherrschen geschlechtlichen Bedürfnisses bei jenem die Vermuthung pathologischer Bedeutung erwecken." 59

Die alte Kombination von Perversion und Geisteskrankheit war nun gerettet. Abweichendes Sexualverhalten war per se eine doppelte Krankheit: eine körperliche und geistige Deformierung, eine physische Degeneration mit psychischen Folgen.

Die perverse Normabweichung - lange Zeit auch im Falle der Homosexualität - blieb eine Krankheit, weil die Norm nicht in Frage stand. Daß auch die Repression der sexuellen Konventionen, die durch den Perversionsdiskurs weder ganz "entgrenzt" oder aufgehoben wurden, sich in "krankem" Verhalten vieler Perversionen spiegeln könne, wurde nicht erwogen. Dagegen war die Normbefolgung die Bedingung der Gesundheit. Ein gesunder Körper und ein gesunder Geist "schufen" und bewiesen sich durch die Akzeptanz der noch immer christlich dominierten Vorgaben.

Immerhin hatte die Arbeit von Krafft-Ebing eine anregende Wirkung auf die Erforschung von abweichendem wie "normalem" Sexualverhalten gleichermaßen. Mit der langsamen Verdrängung des Modells erblicher Degeneration als Perversionsursache und der langsam sich durchsetzenden These, Perversionen als "keimhaften Bestandteil" jeglicher Sexualität zu betrachten, verblaßte der Ruhm Krafft-Ebings allmählich.

Freud, der seine Ernennung zum außerordentlichen Professor an der Universität Wien im Jahre 1902 der persönlichen Fürsprache Krafft-Ebings mitverdankte, bezog in den DA eine durchaus ambivalente Position zum Degenerationsmodell. Einerseits argumentierte er in der Zusammenfassung der DA wie ein (Teil-)Anhänger des Degenerationsmodells - zumindest von dessen Erklärung mancher der ausgelebten Perversionen oder ihrer neurotischen Negationen. So schreibt er in der Zusammenfassung seines Textes von "Variationen der ursprünglichen Anlage ..., welche notwendigerweise und ohne weitere Mithilfe zur Ausbildung eines abnormen Sexuallebens führen müssen. Man kann dieselben dann "degenerative" heißen und als Ausdruck ererbter Verschlechterung betrachten." Sodann berichtet er, daß er "bei mehr als der Hälfte" seiner hysterischen und neurotischen Fälle eine "überstandene Syphilis bei Vätern" nachgewiesen hätte, wobei er betonte, er hielte "das beobachtete Zusammentreffen für nicht zufällig und nicht bedeutungslos". Zudem habe er "Grund anzunehmen, daßbei den Perversionenähnliches wie bei den Neurosen gilt." Im Vorgriff auf spätere Erörterungen sei der folgende Gedanke an dieser Stelle mitzitiert, daß "nämlich Perversion und Psychoneurose in denselben Familien" auftreten, wobei "die männlichen Mitglieder oder eines derselben positiv pervers, die weiblichen aber der Verdrängungsneigung ihres Geschlechts entsprechend negativ pervers, hysterisch sind." 60

An anderer Stelle argumentiert er direkt entgegengesetzt: "Die Ärzte, welche die Perversionen zuerst ... studiert haben, sind natürlich geneigt gewesen, ihnen den Charakter eines Krankheits- oder Degenerationszeichens zuzusprechen, ganzähnlich wie bei der Inversion. Indes ist es hier leichter als dort, diese Auffassung abzulehnen. Die alltägliche Erfahrung hat gezeigt, daßdie meißten dieser Ü berschreitungen, wenigstens die minder argen unter ihnen, einen selten fehlenden Bestandteil des Sexuallebens der Gesunden bilden ..." 61.

Dieser Widerspruch ist kaum auflösbar. Man könnte allenfalls argumentieren, daß Freud bei "argen" Perversionen weiterhin auf eine vorhandene neuropathische Konstitution setzte. Allerdings wird zu zeigen sein, daß der Ansatz von Freud die Degenerationstheorie nicht wirklich brauchte.

3.3. Perversionen und die Assoziationspsychologie

Nachdem die Erwerbungstheorie von der Degenerationstheorie verdrängt worden war, wobei beide Ansätze die Nähe von Perversion und Geisteskrankheit betonten, wurde ab 1887 als neue Theorie eine Verkoppelung von "morbidem Status"62 - ein anderer Ausdruck für ererbte Perversionsvoraussetzungen - und Erwerbung der Perversion durch den Assoziationspsychologen Alfred Binet (1857-1911) vorgeschlagen. Sein Interesse galt der Frage, wieso jemand Fetischist statt Sadist werde und warum er ein bestimmtes Fetisch bevorzuge oder eine bestimmte sadistische Handlung. Sein Modell bezog erstmals frühkindliche Beobachtungserlebnisse ein. Er meinte, jede konkrete Perversion werde durch ein konkretes (frühkindliches) Zufallserlebnis verursacht. So beschrieb er den Fall eines Jungen, der immer bei seinen Eltern geschlafen hatte, im Alter von 5 Jahren erste Erektionen bekam und dabei seine Mutter mit ihrer Nachthaube sah. Später sei er Nachthaubenfetischist geworden. Wo sich keine entsprechende Geschichte fand, sah er ein regelmäßiges Vergessen am Werk.

Neuartig war nicht nur die erstmalige Einbeziehung der Kindheit in die Perversionstheorie - wenigstens mit der Möglichkeit, daß passive sexualitätsbezogene Beobachtungen später virulent werden - , sondern auch die erstmalige Verknüpfung von Sexualpathologie und "normaler" Sexualität. Binet erklärte die vermeintlichen Vorlieben für Haarfarben oder andere körperliche Merkmale von Wunschpartnern zu Assoziationsfolgen der Kindheit oder der ersten Liebe. Der Fetischismus war für ihn nur eine " Ü bertreibung dieser normalen Tendenz" und "die eigentliche Liebe ... ein komplizierter Fetischismus ..., ein Zusammenspiel fixierter Zwänge" 63.

Eine eigenständige Sexualität der Kindheit behauptete Binet aber nicht. Auch wurden die frühkindlichen Erlebnisse oder der Ort ihres Überdauerns - das Unbewußte - wissenschaftlich nicht weiter erfaßt und die Nähe von normaler Sexualität und Perversion nicht näher bedacht. Erst mit dem Aufkommen der biogenetischen Theorie der Sexualität begann hier ein Umdenken, das schließlich zu ersten Interpretationen der frühkindlichen Sexualität bei Moll und Ellis führte und in Freuds Theorie der polymorph-pervers veranlagten Kindheit mündete.

3.4. Perversionen und die biogenetische Theorie der Sexualität

Ende des 19. Jahrhunderts begannen viele europäische oder amerikanische Ärzte, Psychologen oder Popularwissenschaftler, wie Shobal V. Clevenger (1843-1920), Edward Ch. Spitzka (1852-1914), James G. Kiernan (1852-1923), G. Frank Lydston (1857-1923), William James (1842-1910) oder Wilhelm Bölsche (1861-1939), die "normale" Sexualität des Menschen als Entwicklungsgeschehen aufzufassen, was auf die Theorien der Perversion unmittelbar rückwirkte. Diese neuen - letztlich darwinistisch gegründeten - Theorien versuchten, die Ursachen und Entwicklungsgänge der normalen Sexualität des Menschen durch Parallelen in der "tierischen" Sexualität zu erklären. Frank J. Sulloway spricht von einem biogenetischen Sexualitätsmodell. Ernst Haeckel (1834-1919) und andere hatten im Anschluß an Darwin ab den 60iger Jahren des 19. Jahrhunderts die These entwickelt, die Ontogenese des Menschen wiederhole die Phylogenese, oder anders gesagt: die Entwicklung des Menschen vom Embryo bis zum Erwachsenen wiederhole die gesamte stammesgeschichtliche Entwicklung des Tierreiches von der Amöbe bis zum Menschen. Als Schlußfolgerung ergab sich, daß jedes Kind letzlich auch die gesamte sexuelle Geschichte der Lebewesen wiederhole. "Das vorpubertäre menschliche Wesen mußü ber das angeborene Potential verfügen, alle archaischen Formen sexueller Lust zu erfahren, die einstens die reifen Lebensphasen unserer entfernten Vorfahren gekennzeichnet haben." 64

Sexualität wurde nun als ein evolutionäres biologistisches Geschehen aufgefaßt, als ein inhomogener Vorgang, dessen Wiederholung der stammesgeschichtlichen Phasen - der Zusammensetzung eines Puzzles gleich - zur normalen menschlichen Sexualität führe. Für die Perversionsforschung ergab sich eine wesentliche Änderung, die William James schon 1890 vom (perversen) "sexuellen Verlangen" sprechen ließ, "von dem die meisten Menschen sehr wahrscheinlich die keimhaften Möglichkeiten in sich tragen".65 Nach dem biogenetischen Modell waren Perversionen Entwicklungshemmungen, die den Kranken auf ein früheres Stadium der biogenetischen Sexualentwicklung zurückwarfen. Allerdings unterschied sich dieses vorrangig biologistische Modell von Freuds stärker psychologisierendem Herangehen durch den Einbezug der ganzen stammesgeschichtlichen Entwicklung von der Amöbe bis zum Menschen. So wurde die Beobachtung von "kannibalistischen" Sexualitätspraktiken bei Amöben (dem Fressen anderer Amöben folgt die Fortpflanzungsteilung) oder Krebsen (beim Kopulieren werden Teile voneinander gefressen) auf menschliche Praktiken des "Lustmordes"66 übertragen. Die Entwicklungsstörung fixierte den Betroffenen also nicht wie bei Freud in einer infantilen - hier oral-kannibalischen - Phase, sondern katapultierte ihn auf das Niveau der Krebse zurück. Pathologische Zustände ähnelten hier den permanenten Sexualformen niederer Organismen. Freuds Idee von einer oral-kannibalischen Phase ist dagegen allein an der autark betrachteten infantilen Sexualitätsentwicklung orientiert.

Ein wichtiger Bestandteil des biogenetischen Modells war die Theorie der Bisexualität, die zu einem neuen Erklärungsansatz für die Homosexualität führte. Ausgangspunkt war die biologistische Erkenntnis, daß in der ersten Phase der Embryonalentwicklung von Wirbeltieren (einschließlich des Menschen) die Sexualorgane beider Geschlechter auffindbar sind. Erst nach dem 3. Monat endet beim menschlichen Embryo diese Polarität und es beginnt das Vorherrschen einer Mono-Geschlechtlichkeit. Kommt es in diesem Prozeß zu Entwicklungsstörungen, dann könne das eine Geschlecht das andere nicht "überwältigen", so daß zum Beispiel ein "weiblich funktionierendes Gehirn in einem männlichen Körper beheimatet sein kann und vice versa" 67. Diese Idee vertraten in verschiedener Form Forscher wie Kiernan oder Krafft-Ebing, Wilhelm Fließ (1858-1928), Magnus Hirschfeld (1868-1935) und auch Freud in den DA68.

Faßt man an dieser Stelle zusammen, so ergiebt sich, daß das biogenetische Modell der Sexualität den Gedanken der Sexualitätsentwicklung vom Embryo an den Weg ebnete. Diese vorpubertäre Sexualitätsentwicklung wurde mit einer biologistischen Konzeption interpretiert, die auf adäquate psychische Theoreme weitgehend verzichtete. Die Kindheit wurde nun zwar als eine Zeit möglicher sexueller Entwicklungsstörungen begriffen, die "hinter dem Rücken" der Individuen abliefen, aber die Kindheit selbst konnte noch immer als Zeit der Unschuld jenseits sexuell-erotischer Wahrnehmungen - und seien sie nur unbewußt oder autoerotisch - gesehen werden. Immerhin: Perversionen waren nun zu einem funktionalen Bestandteil einer einheitlichen, hier aber gestörten, neurologisch oder biologisch entwicklungsgehemmten Sexualität geworden. Die Abnormalität stand nun in unübersehbarer Nähe zur Normalität. Sie war zwar weiterhin eine Krankheit, für die das Modell der neuropathischen Degeneration nicht aufgegeben werden mußte. Allerdings verschob sich mit der Idee der Entwicklungshemmung das Interesse von den familiären Vorfahren auf die stammesgeschichtlichen Vorfahren sowie auf das jeweilige Individuum selbst. An die Stelle der Theorie einer ererbten Degeneration begann die Idee einer ererbten Prädisposition des Einzelnen - Freud spricht von einem "Entgegenkommen der Konstitution" 69 - zu treten. Außerdem begann der langsame Abschied von der angenommenen Verquickung sexueller und geistiger Krankheiten.

3.5. Perversionen und die Entdeckung der kindlichen Sexualität

Das biogenetische Modell in seiner bisherigen Form hatte zwar die Kindheit in die Entwicklung des Sexuellen eingebunden, ohne allerdings den Gedanken zu erschüttern, frühkindliche Sexualhandlungen seien deutliche Anzeichen späterer Perversionen. In seinen "Untersuchungen über die Libodo sexualis" schrieb Albert Moll (1862-1939) im Jahre 1897, daß eine "Neigung zum anderen Geschlecht mit allen Zeichen einer Liebesleidenschaft bereits lange Zeit vor der Pubertät vorkommt." 70 Er verwies auf Parallelen im höheren Tierreich, in dem "Liebesspiele" lange vor der physischen Geschlechtsreife vorkämen. Diese "adaptive Vorübung des erwachsenen Sexualinstinkts" 71 zeige sich vor allem an dem quasisexuellen Ausdruck kindlicher Elternliebe (z.B. Küssen). Neben dieser infantilen partnerschaftlichen Kind-Eltern-Sexualität verwies er auch auf autoerotische Handlungen der Onanie.

Diese neue infantile Phase der Sexualität verband Moll mit der zweistufigen Theorie der Sexualtriebentwicklung von Max Dessoir (1867-1947). Er weitete dessen erste "undifferenzierte Stufe" der Entwicklung des Sexualtriebes bis in die frühe Kindheit aus. In dieser ersten Phase sei die normale Libido entweder heterosexuell, homosexuell, auf Tiere (die lieben Meerschweine) oder anderweitig "pervers" ausgerichtet. Damit waren perverse Neigungen in allen, folglich waren Perversionen jenseits von ererbter Degeneration angelegt. Erst in der pubertären "Differenzierungsstufe" (und nicht - wie bei Freud - in der infantilen Phase) folge die weitere Fixierung der Sexualziele. Was Moll aber als Ursache der Perversionen anbot, entsprang dem gleichen biologistischen Erklärungsmuster wie das Modell der körperlichen Entwicklungshemmung. Perversionen waren nun die Folge biologischer Variationen (z. B. eine ererbte Schwäche heterosexueller Impulse) oder Folge einer angeborenen Prädisposition (z.B. für die Homosexualität). Dazu konnten Assoziationserlebnisse als Ursachen treten. Außerdem erklärte er perverse Fehlentwicklungen zu Folgen einer kulturell bedingten Instinktverunsicherung. Die Kleidung der Menschen verdecke visuelle Reize, der Geruchssinn verliere seine sexuelle Bedeutung, der Instinkt sei somit von seinem "natürlichen Ziel" durch Barrieren getrennt.

Auch Havelock Ellis (1859-1939) kann als Befürworter einer - nun vorwiegend autoerotisch interpretierten - Sexualität der Kindheit gelten, in der sich spätere "perverse" Formen in vielfältigen Variationen schon zeigen. Seine Vorstellungen über anale und orale Befriedigungen in der Kindheit sind hier besonders erwähnenswert, weil sie manche Gedankengänge Freuds unmittelbar vorwegnahmen. Wie nahe diese früheren Vorstellungen den späteren Ideen von Freud waren, zeigt ein Zitat von 1900 über den mütterlichen Stillvorgang: "Die Analogie ist tatsächlich sehr naheliegend ... die eregible Brustwarze entspricht dem eregiblen Penis, der ... Mund des Kleinkindes der ... Vagina ... Die vollständige gegenseitige physische und psychische Befriedigung von Mutter und Kind ist ... die einzige wahre ... Analogie zur Beziehung eines Mannes und einer Frau auf dem Höhepunkt des Geschlechtsaktes." 72

Im übrigen lag dem Perversionsbegriff von Ellis sein Konzept des"erotischen Symbolismus" zugrunde. Eine Perversion war "ein sexuelles Äquivalent für den normalen Sexualakt" 73. Er unterschied Perversionen, in denen das Symbol ein Teil des Körpers war (Fußfetischismus... Nekrophilie), ein unbelebtes Objekt (Kleidungsstücke...) oder ein symbolisches Ereignis (Flagellation...).

Mit Moll und Ellis endete das sexuelle "Unschuldsreich" der Kindheit. Die Kindheit war der Ort, in dem beide Forscher viele (bei weitem nicht alle) späteren Perversionshandlungen angetroffen hatten. Das "Anormale" reichte in jedes Leben, die Brücke zur Normalität war schmaler als vermutet. Aber das Vokabular beider Sexologen zur Beschreibung der infantilen Sexualität mitsamt ihren "perversen" Anlagen blieb in der öffentlichen Wahrnehmung weitestgehend unbekannt. Ihre Ideen waren unsystematischer als die auf den Partialtrieben aufbauende Phasentheorie Freuds und sie waren unpsychologischer. Das heterosexuelle Partnerschaftsmodell blieb (wie bei Freud) Ausgangspunkt, Hintergrund und Bezugsrahmen für die Definition der Perversionen. Perversionen aller Art (zu denen die Inversion aber nicht mehr zählte) - ob Fetischismus oder Nekrophilie, ob sadomasochistische Inszenierungen oder Kotlecken - wurden letzlich unterschiedlos als klinischer Fakt, als Krankheit gesehen, die man entweder heilen, verhindern oder bedauernd dulden müsse. Ob Freud hier weiterging, wird die Untersuchung der DA zeigen.

Am Ende dieses historischen Exkurses soll noch auf Iwan Bloch (1812-1922) verwiesen sein. Er war der konsequenteste Vertreter eines anthropologisch-ethnologischen Sexualitätsmodells mit weitgehenden Auswirkungen auf die Deutung der Perversionen. Wie kein anderer zuvor verabschiedete er das Degenerationskonzept und andere biologistische Nachfolger (Prädispositionskonzept). Er vertrat die Ansicht, daß den Menschen verschiedene "normale" und "perverse" Manifestationen der Sexualität kulturunabhängig zukämen und alle Sexualitätsformen zu allen Zeiten - weit verbreitet - aufzufinden seien. Den Grund für die sexuelle Vielfalt sah er im Bedürfnis nach abwechselnder Befriedigung sexueller Reize sowie in der Offenheit des Sexualtriebes, der durch verschiedenste äußere Reize modifiziert werden könne.74 Als Beweis seiner Thesen führte er Erkenntnisse über "primitive" Religionen an, die viele "perverse" Sexualpraktiken anstandslos institutionalisiert hatten. Dazu fand er religiös motivierte Beispiele von "Prostitution, Fetischismus, phallischen Kulten, Exhibitionismus, Sadismus, Masochismus, Sodomie und Homosexualität" 75.

4. Freuds biopsychischer Perversionsbegriff

Die Kenntnis der Vorarbeiter Freuds auf dem Gebiet der Sexualpathologie hat uns mit einem Vokabular vertraut gemacht, an dem gemessen der Freudsche Ansatz seine "kopernikanische" Dimension einbüßt.

Viele der bisherigen Thesen finden sich im Text der DA wieder, entweder bejaht, diskutiert oder verworfen. Schon in seiner Anmerkung 1, die er direkt seiner Teilüberschrift I ("Die sexuellen Abirrungen") beifügte, bekannte er: "Die in der ersten Abhandlung enthaltenen Angaben sind aus den bekannten Publikationen von v. Krafft-Ebing, Moll, Moebius, Havelock Ellis, v. Schrenck-Notzing, Löwenfeld, Eulenburg, I. Bloch, M. Hirschfeld ... geschöpft." 76

"Geschöpft" oder entlehnt hatte Freud die Vielzahl der Arten der Perversionen, die liberale Abtrennung der verschiedenen Homosexualitätsformen von den "eigentlichen" Perversionen, die Zurückweisung des Degenerationsmodells als Erklärung der Homosexualität77, die biogenetische Erklärung der Homosexualität unter Zuhilfenahme der Bisexualitätslehre78 oder die anthropologische Perspektive - zumindest auf die Homosexualität - von Bloch79. Er entlehnte den Entwicklungsgedanken des biogenetischen Ansatzes für sein allgemeines Sexualitätsmodell und entsprechend die Vokabel der Entwicklungshemmung 80 des Geschlechtstriebes als Erklärungsmuster für Perversionen. Allerdings - darauf wurde bereits verwiesen - interessierte ihn hier weniger die gestörte Stammesgeschichte als die normale und die biologisch und psychologisch gestörte infantile Sexualität. Im Abschnitt über Krafft-Ebing wurde auf Freuds unentschiedene Teilentlehnung der Degenerationstheorie verwiesen. Ferner fand sich eine Nähe zur biogenetischen Theorie von der Prädisposition für bestimmte Perversionen - etwa dann, wenn Freud von der "sexuellen Konstitution" spricht, die sich physiologisch "durch ein Ü berwiegen dieser oder jener der mannigfachen Quellen der Sexualerregung" 81 auszeichne und von der noch zu sprechen sein wird. In allem partizipierte er von seinen Vorgängern so sehr, daß die Frage nach der Spezifik seines Ansatzes auftaucht. Ist nicht selbst der Begriff 'polymorph-perverse Anlage', die jedem Kind zugehört, nur eine Entlehnung der Ideen von William James und Albert Moll? Im Grunde stimmt die Bemerkung Sulloways, Freud sei ein Meister der "umfassenden Synthese bereits existierender Ideen und Positionen" 82 gewesen.

Dies bedeutet aber nicht, daß er im 1. Abschnitt der DA nur "geschöpft", entlehnt oder neu angeordnet hätte und alle Neuerungen sich erst im 2. Abschnitt über die infantile Sexualität versammeln. Freud steuerte sehr wohl "bestimmte ausgeprägt psychoanalytische Neuerungen und begriffliche Transformationen bei" 83.

Diese eigenständigen Beiträge sollen vor dem Hintergrund der Ausgangsthese betrachtet werden, wonach Freud "sexuelle Abweichungen" nicht zum Selbstzweck oder aus sexualpathologischem Interesse untersuchte, sondern um an ihnen eine Begrifflichkeit zu entwickeln, mit deren Hilfe die Anormalität des sexuell Normalen diskursiv einzufangen und zu popularisieren wäre. Alle eigenständigen Beiträge Freuds zum Perversionsdiskurs dienen nur diesem Ziel: Sexualität als komplexes, fragiles, biopsychisches Entwicklungsmodell zu deuten. "Die Erfahrung an den für abnorm gehaltenen Fällen lehrt uns ... die Verknüpfung zwischen Trieb und Objekt in unseren Gedanken zu lockern" 84, sagte er in Bezug auf die Varianz der Sexualobjekte. Die (polymorph-perverse) Varianz der Sexualziele jenseits der "normalen" genitalen Vereinigung öffnete ihm den Blick für die entwicklungsmöglichen Schwierigkeiten, die der individuellen Annahme jener Norm der heterosexuellen "Fortpflanzungssexualität" entgegenstehen konnten. Letzlich legte er mit seinem biopsychischen Perversionskonzept die Grundlagen für sein Konstrukt der infantilen Sexualität und ihrem spezifischen Entwicklungsgeschehen.

4.1. Partialtriebe

Die wichtigste Neuerung in Freuds Perversionskonzept ist die systematisch entfaltete Idee der Partialtriebe.

Den allgemeinen "Trieb" definiert Freud in den DA in einem Zusatz von 1915 als die "psychische Repräsentanz einer kontinuierlich fließenden, innersomatischen Reizquelle Trieb ist so einer der Begriffe der Abgrenzung des Seelischen vom Körperlichen." 85 Insofern der biologistisch klingende Begriff des Triebes bei Freud schon immer in der Dimension seiner psychischen Wahrnehmung verstanden wird, ist der Trieb zugleich all jenen kulturell- diskursiven Instanzen ausgesetzt, die auf das Psychische einwirken können. Dazu aber später.

Nach Freud hat der Trieb - hier Sexualtrieb - zwar eine naturgegebene Herkunft (innere Reizquellen), aber er besitzt "an sich keine Qualität". Diese fehlende metaphysische Qualität läßt sich als fehlende natürliche Richtungsgebundenheit interpretieren. Der Sexualtrieb treibt "als Maße von Arbeitsanforderung" 86, aber sein wohin (Sexualobjekt) und worauf (Sexualziel) steht vielen Richtungen offen. Erst mit der normativen Unterordnung unter das "Primat der Genitalzone" bekommt der Sexualtrieb Ziel und Richtung: "Der Sexualtrieb stellt sich ... in den Dienst der Fortpflanzungsfunktion; er wird sozusagen altruistisch." 87

Obwohl dieses Konzept einer Indienststellung in einen funktionalen Zusammenhang die keimhafte Möglichkeit zu einer sehr weitgehenden Normkritik enthält - etwa indem die sexuellen Ziele und Richtungen außerhalb der genitalen Fortpflanzungsfunktion als gleichwertige Lustbedürfnisse anerkannt werden -, stellte der vorsichtige Freud die "angenommene Norm" letztlich in den teleologischen biologischen Zusammenhang der genitalen Sexualität. Folglich sprach er dem Sexualtrieb erst mit der Normbefolgung seine Einheit und (wertverheißende) Ganzheit zu. Jede Phase davor war eine Phase auf dem Weg zur Unterordnung unter "das Primat der Genitalzone" 88. Jeder nichtgenitale Lustgewinn erschien hier als notwendig partiell.

Als Freud seinen Blick auf den normalen, "als Begattung bezeichneten Akt" richtete, fand er, daß "bereits am normalsten Sexualvorgang jene Ansätze kenntlich sind, deren Ausbildung zu den Abirrungen führt, die man als Perversionen beschrieben hat". Weil er die genitale Sexualität als Bezugsrahmen verstand, verwandelten sich die Handlungen des potentiell offenen Sexualtriebes in Teilhandlungen der angenommenen Norm: "Es werden nämlich gewisse intermediäre Beziehungen zum Sexualobjekt, wie das Betasten und Beschauen desselben, als vorläufige Sexualziele anerkannt Hiemit sind also Momente gegeben, welche die Perversionen an das normale Sexualleben anknüpfen lassen ..." 89 Der Unterschied lag "in der Ausschließlichkeit und in der Fixierung" 90 auf die Teilhandlungen, die absolut geworden waren (Triebschicksal), "nicht im Inhalt des neuen Sexualzieles, sondern in dessen Verhältnis zum Normalen". Allerdings macht Freud den Begriff der Fixierung nicht zum ausschließlichen Kriterium der Perversion, denn "wo die Verhältnisse es begünstigen, kann auch der Normale eine solche Perversion eine ganze Zeit lang an die Stelle des normalen Sexualzieles setzen oder ihr einen Platz neben diesem einräumen" 91. Damit sind jedoch keine besonders liberal-erotischen Grenzerfahrungsaugenblicke gemeint, sondern Notlagen im Gefängnis, beim Militär oder bei perversionsbedienenden Prostituierten.

Die "Bringer neuer Sexualziele" 92 nannte er Partialtriebe, in die der Sexualtrieb - gemäß der Norm als Bezugsrahmen - zerfiel: "Eine weitere vorläufige Annahme in der Trieblehre ... besagt, daßvon den Körperorganen Erregungen ... geliefert werden. Die eine dieser Art von Erregung bezeichnen wir als die spezifisch sexuelle und das betreffende Organ als die 'erogene Zone' des von ihm ausgehenden sexuellen Partialtriebes." 93 Obwohl der ganze Körper als erogene Zone aufgefaßt werden konnte, sprach Freud von prädestinierten erogenen Zonen. Darunter fielen vor allem die Genitalien, aber auch die Mundhöhle, die Afteröffnung oder die Hautoberfläche. Die Perversionen erklärte er nun vor allem zu "Verweilungen bei den intermediären Relationen zum Sexualobjekt" 94. Wenn der Koitus normal war, dann war die atomisierte (und fixierte) Befriedigung über Mundhöhle oder Afteröffnung eher pervers, ebenso die weniger deutlich an einer erogenen Zone orientierten Handlungen wie Sadismus und Masochismus (in der anal-sadistischen Phase: Darmschleimhaut, Muskulatur; später Hautoberfläche, Gesäß) oder Exibitionismus und Voyeurismus (Auge). Letztere "Triebe der Schau und Zeigelust und der Grausamkeit" - wobei der Masochismus hier noch als gegen sich gerichtete passive Grausamkeit verstanden wird95 - führte Freud allerdings nicht unmittelbar auf Partialtriebe zurück. Er beschreibt sie als "in den Kinderjahren zunächst von der erogenen Sexualtätigkeit gesonderte ... Strebungen", die erst später "in ihre innigen Beziehungen zum Genitalleben ... eintreten" 96.

4.2. Inversion, Sexualüberschätzung

Die Partialtriebe haben bisher die größte Aufmerksamkeit gefunden, weil sie Freuds eigenständigsten Beitrag zur Perversionstheorie darstellen.97 Mit ihnen hatte er sein wesentlichstes Vokabular zur Beschreibung seines biopsychischen Entwicklungsmodells der infantilen Sexualität gefunden. Bevor dieser Zusammenhang beleuchtet wird, sollen die anderen Erklärungsmuster für Perversionen zumindest kurz erwähnt werden.

Wenn Freud von Perversionen sprach, meinte er vorrangig die Abweichungen vom "normalen" Sexualziel. Abweichungen im Bezug auf das Sexualobjekt wurden von ihm eher als Variationen gedacht. Die häufigste, höchst vielgestaltige Variation ist die homosexuelle Inversion, die er - wie erwähnt - unter Zuhilfenahme der Bisexualitätslehre deutete. Andere Variationen beim Sexualobjekt, wie das sexuelle Interesse an Kindern oder Tieren, werden zwar als "vereinzelte Verirrungen" oder "schwere Verirrungen" 98 beschrieben, sonderbarerweise aber nie mit dem Begriff der Perversionen bedacht.

Bei den Abweichungen vom Sexualziel war das anders. Diese Abweichungen nannte er immer dann Perversionen, wenn sie als Fixierungen auftraten. "Perversionen sind entweder a) anatomische Ü berschreitungen der für geschlechtliche Vereinigung bestimmten Körpergebiete oder b) Verweilungen bei den intermediären Relationen zum Sexualobjekt, die normalerweise auf dem Weg zum entgültigen Sexualziel rasch durchschritten werden sollen." 99 Diese by-the-way-Verweilungen erklärte er mit der Fixierung der Partialtriebe.

Die Idee der anatomischen Überschreitungen besagte, daß die "psychische Wertschätzung" der Sexualobjekte "sich in den seltensten Fällen auf die Genitalien", sondern "auf den ganzen Körper" des Wunschpartners bezieht, auf "alle vom Sexualobjekt ausgehenden Sensationen" 100. Diese psychische Überschätzung rege zur sexuellen Verwendung von Mund oder After an, was mit der Selbsterfahrung eigener erogener Zonen korreliere und "durch die Entwicklung des Sexualtriebes gerechtfertigt ... wird" 101 (Partialtriebe, Entwicklungsphasen). Einen wesentlich größeren Abstand zu den Partialtrieben - wenngleich auch hier "an das normale Sexualleben anknüpfend" - und einen weit stärkeren Anteil psychologischer Komponenten zeigt dagegen der Fetischismus, dem Freud - wie Binet - attestierte, als "gewisser Grad ... dem normalen Leben regelm äß ig eigen" 102 zu sein. Auch er wird mit dem Begriff der Sexualüberschätzung erklärt. "Der Ersatz für das Sexualobjekt ist ein für sexuelle Zwecke sehr wenig geeigneter Körperteil (Fuß, Haar) oder ein unbelebtes Objekt, welches in nachweislicher Relation mit der Sexualperson ... steht." 103 Fetischist werden bedarf nach Freuds Theorie der "Ergänzungsreihe" 104 zweierlei. Einerseits sei eine gewisse "exekutive Schwäche des Sexualapperates" notwendig, andererseits eine "frühzeitige Sexualeinschüchterung", eine "nicht bewußte symbolische Gedankenverbindung" oder ein "in früher Kindheit empfangener sexueller Eindruck." 105

4.3. Psychologische Komponenten der infantilen Fixierung

Damit kommt die psychologische Komponente der Freudschen Perversionstheorie verstärkt in den Blick. Obwohl der Sexualtrieb selbst in das psychische Geschehen hineinreicht, muß Freud konkrete Erklärungen geben, wieso er sich nur bei bestimmten Personen atomisiert, bei anderen aber genital zentriert zusammenfügt. Auch muß Freud klären, wieso der invertierte oder anatomisch überschreitende oder partial ausgerichtete Sexualtrieb aktiv (Perversion) oder passiv (Neurose) auftreten kann. Diese Verbindung, "die Neurose ist sozusagen das Negativ der Perversion", sie stellt im Ergebnis der Verdrängung den "konvertierten Ausdruck von Trieben dar ..., welche man als perverse (im weitesten Sinne) bezeichnen würde" 106, hatte Freud als Neuerung und Ergebnis der Psychoanalyse eingeführt.

Der Begriff, mit dem Freud die Perversionsbildung zu erfassen sucht, heißt 'Fixierung', dem der Begriff 'Verdrängung' bei der Neurosenentstehung entspricht. Die "Fixationsperversionen" 107 sind "ein Stück Entwicklungshemmung und Infantilismus" 108 und entsprechen - nach einem späteren Text - der "vergr öß erten und (in) ihre Einzelerregungen zerlegten infantilen Sexualität" 109. An einer Stelle nennt er sie auch alternativ "eine Regression, eine Rückkehr zu einer früheren Entwicklungsphase" 110. Jeder Schritt "auf dem langen Entwicklungswege" der Sexualität kann "zur Fixierungsstelle" 111 der Perversionen werden. Dazu bedarf es - neben einer entsprechenden Konstitution - dem Erleben, also einer "Unterstützung durch die Lebenseindrücke" 112.

Zu diesen Lebenseindrücken zählt Freud unter anderem die "Unzugänglichkeit des normalen Sexualobjekts", die Angst vor den "Gefahren des normalen Sexualaktes" oder die Situation der "Freiheitseinschränkung" 113, allerdings ohne diese Faktoren in die Nähe psychoanalytischen Denkens zu rücken.

Eine größere Nähe zu seinen psychoanalytischen Theorien zeigen aber andere Überlegungen. Dazu zählt der 1915 hinzugefügte Hinweis auf die Teilhabe des Kastrationskomplexes an den Perversionsausbildungen. Freud schreibt über diesen für die Psychoanalyse entscheidenden Lebenseindruck hier allerdings nur: "Die Ersatzbildungen dieses verlorengegangenen Penis des Weibes (auf diese Entdeckung der "infantilen Sexualtheorie" gründet angeblich der Kastrationskomplex, d.A.) spielen in der Gestaltung mannigfacher Perversionen eine große Rolle." 114 In anderen Texten verdeutlichte Freud, daß der Begriff der 'Ersatzbildung' die psychologische Bedeutung von "symbolischem Ersatz, einem Produkt von Verschiebung und Verdichtung, die das Symptom in seiner Besonderheit bestimmen" 115, enthält. In dem kurzen Text "Fetischismus" von 1927 konkretisierte er diese Vorstellungen. "Der Fetisch ist der Ersatz für den Phallus des Weibes (der Mutter), an den das Knäblein geglaubt hat und auf den es ... nicht verzichten will." 116 Die schockierende Wahrnehmung - schockierend, weil sie dem Jungen seine eigene Gefährdung zeige - könne einerseits nicht vollständig ignoriert, andererseits aber weggewünscht werden. Manche gäben deshalb der Mutter "im Psychischen dennoch einen Penis". Die "Abscheu vor der Kastration (hat) sich in der Schaffung dieses Ersatzes ein Denkmal gesetzt" 117. Die Wahl des symbolischen Fetischs stehe im unmittelbaren Zusammenhang mit dem traumatischen Augenblick der Entdeckung. "So verdankt der Fußoder Schuh seine Bevorzugung als Fetisch .. dem Umstand, daßdie Neugierde des Knaben von unten, von den Beinen her nach dem weiblichen Genitale gespäht hat; Pelz und Saum fixieren ... den Anblick der Genitalbehaarung, auf den der ersehnte des weiblichen Gliedes hätte folgen sollen; ... Wäschestücke halten den Moment der Entkleidung fest." 118 Und triumphierend fügte Freud hinzu: "Die Untersuchung des Fetischismus ist all denen zu empfehlen, die noch an der Existenz des Kastrationskomplexes zweifeln." 119 In der Tat: Auch wenn man sich dieser Idee verschließt, kann man doch das geschickte Argumentieren zugunsten des Kastrationskomplexes bewundern.

In den DA beschreibt Freud aber noch einen anderen Lebenseindruck als psychologischen Faktor der Perversionsfixierung, bei dem er zumindest die Vokabel des Verschiebens wieder benutzt. "Werden Kinder in () zartem Alter Zuschauer des sexuellen Verkehrs zwischen Erwachsenen", kämen sie nicht umhin, diesen "als eine Art von Mißhandlung oder Ü berwältigung" zu erleben. Diesem Erleben attestiert er einen wichtigen Anteil "für eine spätere sadistische Verschiebung des Sexualzieles" 120. Eine nähere Beschreibung dieser Verschiebung gibt Freud aber auch hier nicht. In anderen Texten erklärt er allgemein, daß die genitale Befriedigung "durch extreme Verschiebung auf eine kleine Einzelheit des ganzen libidinösen Komplexes eingeschränkt sein (kann)"121. Sadismus wäre dann eine abgelernte Fixierung auf die "agressiven Komponenten des Sexualtriebes" 122.

p>p>Als weiteren wichtigen Lebenseindruck, der für die spätere normale oder perverse Objektwahl große Bedeutung hat, gibt Freud "das Bild der Mutter und des Vaters" an. "In freier Anlehnung an diese Vorbilder geht wohl die Objektwahlüberhaupt vor sich. Vor allem sucht der Mann nach dem Erinnerungsbild der Mutter", für Frauen wird eine solche Suche nach dem Vater aber nicht erwähnt. "Bei solcher Bedeutung der kindlichen Beziehungen zu den Eltern für die spätere Wahl des Sexualobjekts ist es leicht zu verstehen, daßjede Störung dieser Kindheitsbeziehungen die schwersten Folgen ... zeitigt." Freud unterscheidet dabei zwischen Störungen in der Eltern-Kind-Beziehung, wofür er allerdings nur ein spätes Beispiel anführt, nämlich wenn sich die Mutter gegen "ihre Erneuerung" in den ersten Liebesbeziehungen ihres Sohnes "sträubt und mit Feindseligkeit begegnet". Fatal wirken für ihn aber auch gestörte Elternbeziehungen: "Zwistigkeiten zwischen den Eltern selbst, unglückliche Ehe derselben, bedingen die schwerste Prädisposition für gestörte Sexualentwicklung oder neurotische Erkrankung der Kinder" 123. Ganz nebenbei wird hier deutlich, daß der Begriff der Prädisposition bei Freud neben der konstitutionellen auch eine sozialpsychologische Komponente enthält.p>Schließlich sei noch die Verführungstheorie erwähnt, von der sich Freud im Zusammenhang mit der Neurosentheorie zwar 1897 (weitgehend) verabschiedet hatte, die aber sowohl für jene als auch für die Perversionsausbildung weiterhin eine Rolle spielt. Die Verführungen durch Erwachsene oder andere Kinder nämlich "bringen das Material bei, welches mit Hilfe der ersteren zur dauernden Störung fixiert werden kann" 124.

4.4. Physiologische Komponenten der infantilen Fixierung

Wie sehr es notwendig ist, von einem biopsychischen Sexualitätsmodell Freuds zu sprechen, zeigt seine Zusammenfassung der Ursachen für die Abweichungen vom normalen Sexualleben (Neurose und Perversion): "In die Verursachung teilen sich das Entgegenkommen der Konstitution, die Frühreife, die Eigenschaft der erhöhten Haftbarkeit und die zufällige Anregung des Sexualtriebes durch fremden Einfluß." 125 Der letzte Faktor entspricht den oben beschriebenen Lebenseindrücken. Die Haftbarkeit rückt Freud auch in die Nähe der Psychologie, wenn er die "Höhe der persönlichen Kultur" und die damit verbundene verstärkte Rolle der "Erinnerungsspuren im Vergleich mit rezenten Eindrücken" als Ursache einer erhöhten Haftbarkeit von "vorzeitigen Sexualäußerungen" 126 anführt. Die beiden anderen Komponenten aber sind letztlich biologisch gegründet.

Obwohl Freud betont hatte, daß es nicht leicht sei, "die Wirksamkeit der konstitutionellen und der akzidentellen (v.a. psychologischen) Faktoren in ihrem Verhältnis zueinander abzuschätzen", obwohl er gewarnt hatte, "in der Theorie neigt man immer zur Ü berschätzung der ersteren ... Das konstitutionelle Moment mußauf Erlebnisse warten." 127 und obwohl er die psychologischen Faktoren genauer als andere beschrieb, sprach er der Konstitution bei der Perversions- oder Neurosenausbildung eine entscheidende Rolle zu.

Man könnte sagen, daß Freud die Konstitution fast als metaphysische Kategorie verstand. Wie er selbst in einem anderen Text bekannte, setzte er die "sexuelle Konstitution" infantiler Sexualorganisation "an die Stelle der allgemeinen neuropathischen Disposition" 128 zur Neurosen- und Perversionsentfaltung.

Überall spricht Freud vom Anteil der Konstitution an den pathologischen Fällen. "An erster Stelle ist hier die angeborene Verschiedenheit der sexuellen Konstitution zu nennen, auf die wahrscheinlich das Hauptgewicht fällt." Dabei interpretierte er die Konstitution als eine "Verschiedenheit der Anlagen"129, die zu einer "bevorzugten Ausbildung der einzelnen Quellen zur Sexualerregung" 130 und damit zu Differenzierungen sexueller Vorlieben führe. Je stärker die somatischen (u.a. chemischen) Quellen der Sexualerregung in bestimmten Organen oder Körperteilen wirken, desto stärker würde die Sexualhandlung darauf zielen, diesen bestimmten Reiz zu befriedigen. Fokusiert sich dieser Reiz nicht auf die Genitalien - wirkt er also vor allem partial -, dann würde die Sexualhandlung ebenfalls partial-pervers ausfallen. Als Beispiel gab Freud eine konstitutionell verstärkte "erogene Bedeutung der Lippenzone" an. "Bleibt diese erhalten, so werden diese als Erwachsene ... zu perversen Küssen neigen ..." 131

Konstitutionelle Anlagen, die "notwendigerweise und ohne weitere Mithilfe" 132, also ohne akzidentelle psychologische Momente, zu "Abnormitäten" führten, verstand Freud - wie erwähnt - als "degenerative" Anlagen.

Neben dieser eindeutig biologistischen Konzeption der Konstitution findet sich auch eine biopsychische Abwandlung. Die Unterscheidung zwischen einer männlichen und weiblichen Konstitution verbindet die biologischen Unterschiede mit unterschiedlichen - aber eben auch unausweichlichen - psychologischen Differenzen.

Ausgangspunkt der Überlegung ist das sexuelle Normenkonzept Freuds in seiner unkritischen Fassung. Da er nur die genitale Fortpflanzungssexualität als Bezugsrahmen nimmt, sowie den Mann als Bezugsrahmen der Frau, erscheint ihm die sexuelle Entwicklung der Frauen um einen Schritt komplizierter. Weil am Ziel nur das Primat der Genitalien stehen kann, muß beim "Weibwerden des kleinen Mädchens" die nichtgenitale "Klitorissexualität" verdrängt und überwunden werden. "Die Pubertät, welche dem Knaben jenen großen Vorstoßder Libido bringt, kennzeichnet sich für das Mädchen durch eine neuerliche Verdrängungswelle (der Klitorissexualität, d.A.). Es ist ein Stück männlichen Sexuallebens, was dabei der Verdrängung verfällt." In diesem Wechsel der leitenden erogenen Zone "von der Klitoris auf den Scheideneingang" und in dem "Verdrängungsschub der Pubertät" sieht Freud "die Hauptbedingungen für die Bevorzugung des Weibes zur Neurose" und vice versa des Mannes zur Perversion. Die weibliche Neigung zur passiv-neurotischen Sexualverdrängung entspringt so der konstitutionell angeblich notwendigen verdoppelten Verdrängungstat. Die Psyche der Frau ist gewissermaßen auf das Verdrängen eingeschworen.

Neben diesen biopsychischen Momenten der Konstitution werden die "männlichen und weiblichen Charaktere" von Freud noch zusätzlich durch einen - unabgeleitet behaupteten - erzieherischen Umstand unterschieden. Die "Entwicklung der Sexualitätshemmungen (Scham, Ekel, Mitleid usw.) erfolgt beim kleinen Mädchen frühzeitiger und gegen geringeren Widerstand als beim Knaben" 133. Die artigen Mädchen putschen weniger und sind deshalb den normativen Vorgaben offenbar zugänglicher. Außerdem soll ihr Sexualtrieb schwächer und zurückhaltender sein und deshalb zähmbarer.

Als weiteren biologischen Grund für das Abweichen vom normalen Sexualleben hatte Freud noch die Frühreife genannt. Sie "wird zur Ursache von Störungen, indem sie Sexualäußerungen veranlaßt, die einerseits wegen des unfertigen Zustandes der Sexualhemmungen, andererseits infolge des unentwickelten Genitalsystems nur den Charakter von Perversionen an sich tragen können". Wenn sich diese Perversionsneigungen bei dem normativ noch unansprechbaren Kind verfestigen, wenn die "höheren seelischen Instanzen" 134 nicht zur Wirkung kommen, ist der Ausgang klar.

Damit soll es genug sein. Zusammenfassend läßt sich sagen: Bei aller Würdigung des neuen Ansatzes in Freuds Entwicklungsmodell der Sexualität darf man die biologische (biologistische) Komponente seiner Sicht auf die Perversions- und Neurosenverursachung und sein letztlich biopsychisch - und nicht diskursiv - gegründetes Normenkonzept der Sexualität nicht übersehen. Doch bevor die Kritik genauer formuliert wird, sollen die Leistungen Freuds auf dem Gebiet der Sexualtheorie vor dem Hintergrund seiner Perversionsuntersuchung kurz zusammengetragen werden.

5. Auswirkungen auf Freuds Sexualtheorie

Auf welchen Sexualitätsbegriff die "populäre Meinung" um 1900 festgelegt war, beschrieb Freud am Anfang seiner DA: Der Geschlechtstrieb "soll der Kindheit fehlen, sich um die Zeit und im Zusammenhang mit dem Reifungsvorgang der Pubertät einstellen, sich in den Erscheinungen unwiderstehlicher Anziehungäußern, die das eine Geschlecht auf das andere ausübt, und sein Ziel soll die geschlechtliche Vereinigung sein oder wenigstens solche Handlungen, welche auf dem Weg zu dieser liegen" 135.

Der Verweis auf die populäre Meinung sichert ihn hier vor dem Vorwurf, diese Ansichten der zeitgenössischen Sexualwissenschaft zu unterstellen. Da sich sein eigener Ansatz weit von der populären Betrachtung entfernte, sichert dieser Bezugsrahmen aber auch den Mythos der Erstentdeckung sowohl der infantilen Sexualität wie der infantilen perversen Anlagen in allen. Er wird zum Zauberer, der alles neu schafft. 136

Die Neuschaffung oder Weiterentwicklung des Sexualitätsbegriffs war von der Untersuchung der sowohl häufigen wie eigentümlichen Perversionen ausgegangen. "Bei dem Studium der Perversionen" fand er, daß der "Sexualtrieb gegen gewisse seelische Mächte als Widerstände anzukämpfen hat, unter denen Scham und Ekel am deutlichsten hervorgetreten sind. Es ist die Vermutung gestattet, daßdiese Mächte daran beteiligt sind, den Trieb innerhalb der als normal geltenden Schranken zu bannen." 137

Diesen Trieb selbst lernte Freud durch die Untersuchung der Perversionen als aus Partialtrieben zusammengesetzt beschreiben. Mit diesem Begriff hatte er sein Vokabular für das Entwicklungsgeschehen der infantilen Sexualität gefunden. Bei den aktiv Perversen zeigte sich ihm (häufig) der Sexualtrieb so atomisiert, wie er ihn in gesetzmäßigen Phasen in jeder infantilen Sexualentwicklung fand. Perverse und Kinder lebten gleichermaßen jenseits der genitalen Norm, die durch diskursive Faktoren (wie soziale Autorität und Moral) verfestigt wurde. Beide waren gleichermaßen Kronzeugen für das komplizierte Entwicklungsgeschehen der Sexualität.

Den alten Streit, "ob die Perversionen auf angeborene Bedingungen zurückgehen oder durch zufällige Erlebnisse entstehen", löste er sibyllinisch, indem er erklärte, "daßden Perversionen allerdings etwas angeborenes zugrunde liegt, aber etwas, was allen Menschen angeboren ist, als Anlage in seiner Intensität schwanken mag und der Hervorhebung durch Lebenseinflüsse wartet".

Damit ging er zur Untersuchung der infantilen Sexualität über, weil "die angenommene Konstitution, welche die Keime zu allen Perversionen aufweist, nur beim Kinde aufzeigbar sein wird." Diesen Weg zur Aufdeckung der polymorph perversen Anlagen beschritt er mit einem klaren Ziel. Die Perversionen hatten ihm in verwirrender Buntheit die potentielle Offenheit des Sexualtriebes gezeigt. Der Blick auf die Kindheit sollte die Verwirrung in gesetzmäßige Bahnen transformieren, eine Ordnung im Spiel der Einflüsse entdecken, "die den Entwicklungsprozeßder kindlichen Sexualität bis zum Ausgang in Perversion, Neurose oder normales Geschlechtsleben beherrschen" 138.

Die Einzelheiten der Entwicklungsphasen der infantilen Sexualität wurden am Anfang angedeutet und sollen hier nicht weiter ausgeführt werden. An dieser Stelle sollen vielmehr die innovativen Beiträge Freuds zum Sexualitätsdiskurs um 1900 - zu denen auch seine Popularisierung von Beiträgen anderer Sexologen gehörte - thesenhaft zusammengetragen werden.

Erstens bewährte sich die Methode des psychoanalytischen Verfahrens, vom psychopathologischen Ausnahmefall auf die allgemeine psychische Entwicklung zu schließen. Indem er von den sichtbaren "Abirrungen" ausging, konnte er das "Unsichtbare" der infantilen Sexualität (re)konstruieren. Erst die "kranke" Sexualität der Abweichungen ließ ihn auf die Besonderheiten des menschlichen Trieblebens und seiner Sexualitätsentwicklung blicken.

Zweitens verlor die "normale" Sexualität durch den gewählten Ausgangspunkt den Charakter der Selbstverständlichkeit. Wenn Sexualität nicht notwendigerweise zum heterosexuellen Sexualobjekt und dem Sexualziel Koitus strebte, verlangte sie nach Erklärungen. Sie konnte nur als kompliziertes Entwicklungsmodell betrachtet werden.

Drittens wurde als Zentrum der Freudschen Sexualitätslehre sein biopsychischer Triebbegriff festgeschrieben. Dabei hatte der Geschlechtstrieb sowohl eine biologisch-somatische Grundlage (Reizabfuhr) wie auch eine psychische Komponente. Der Trieb als "Abgrenzung des Seelischen vom Körperlichen" unterstand einerseits den konstitutionellen somatischen Voraussetzungen, andererseits aber der Psyche, die sowohl das Somatische "seelisch" wahrnahm, als auch den verschiedenen Lebenseindrücken und gesellschaftlichen Sexualitätsnormierungen ausgesetzt war. Die drei möglichen Ausgänge der Entwicklung - Neurose, Perversion, "normale" Sexualtität -, die Libido selbst oder die Partialtriebe: für Freud war die physiologische Dimension ohne die psychologische Dimension des modernen Menschen nicht zu denken.

Viertens kann man den Sexualitätsbegriff Freuds als mehrfach ganzheitlich auffassen:

a) beginnt die Entwicklung der Sexualität mit der Geburt. Freuds Entwicklungsmodell umfaßt so eine lange (wenn nicht die ganze) Lebensspanne des Menschen.
b) bleibt die Sexualität nicht auf die Geschlechtsorgane beschränkt. Der ganze Körper kann zur erogenen Zone werden. Dieses Übergreifen ist als somatisches Phänomen nicht beschreibbar. Zugleich läge hier ein (eher schwaches?) Argument gegen den Vorwurf, Freud spreche immer nur von Sexualobjekten statt von Personen oder Partnern. Es mag wie ein Paradox klingen: Andere als "erogene Zone begreifen", heißt, sie mehr denn nur als Sexualobjekte begehren.
c) wird Sexualität zu einer eigenständigen und zugleich wichtigen (vielleicht zur wichtigsten) Sphäre der Lustbefriedigung über Koitus und Fortpflanzung hinaus. Zum ganzen Menschen gehört die ganze Sexualität.
d) werden die monströsen "Schattenseiten" der Sexualität nicht nur vermessen und ausgesondert, sondern zu Teilbereichen einer alles umfassenden, "ganzen" Sexualität. Allerdings bleibt die Einschränkung, daß die atomisierte polymorph-perverse Ausgangsbasis "ganz" hinter sich lassen muß, wer als "ganz" = gesund gelten will. Dazu aber im letzten Abschnitt mehr.
e) schließt die Sexualität eine (scheinbar?) bisexuelle ganzheitliche Ausgangsform ein. Dieser Aspekt wurde in der Arbeit nur kurz erwähnt. Ihm steht aber die am Bezugsrahmen Mann orientierte Beschreibung von weiblicher Sexualität direkt entgegen.
f) ist das biopsychische Beschreibungsmodell der Sexualität selbst schon umfassender als ein bloß somatisches Triebkonzept. Hinzu kommt noch die - allerdings kaum integrierte - Idee der gesellschaftlichen Sexualitätsnormierung. Die diskursiven Elemente reichen aber nicht aus, um von einem kulturalistischen Konzept der Sexualität zu sprechen.

Abschließend sei betont: Die besondere Brisanz der Positionen Freuds - die auch seine starke Wirkung über das Fachgebiet der Sexologie hinaus begründete - ergibt sich weniger aus seinen Innovationen denn aus der überragenden Bedeutung sexueller Motive in seinem Menschenbild. Während andere Sexologen nur einen Bereich menschlicher Eigenart untersuchten, fand Freud in der verdrängten Sexualität - neben ihrer Bedeutung für die Psychoneurosen - vor allem den Ausgangspunkt für die Sublimierungsäquivalente Kultur, Wissenschaft, Technik, Machtstrukturen usw. Erst diese Dimension klärt den Unterschied. Wenn Freud als Sexologe argumentiert, diskutiert er als Welthistoriker.139

6. Kritik und Lob (und bitte die Anmerkung lesen)

Die Ängstlichkeit Freuds und seine Bindung an traditionelle Überzeugungen hinderten ihn daran, die Brisanz seines eigenen Modells ganz zu verstehen und zu entwickeln. Zwar hat die bisherige Arbeit das Interesse Freuds an jenen diskursiven Faktoren belegt, die "daran beteiligt sind, den Trieb innerhalb der als normal geltenden Schranken zu bannen", aber es war nicht zu übersehen, daß ihn seine Herkunft als Neurologe immer wieder überwältigt und letztlich verhindert hat, den "Vater" der Psychoanalyse als Diskurstheoretiker der Sexualität zu bezeichnen.

So entschärft er seine Normentheorie der Sexualität mit dem Hinweis, daß dem Sexualtrieb zwar "Hemmnisse in den Weg treten und gleichwie Dämme seine Richtung beengen ... (der Ekel, das Schamgefühl, dieästhetischen und moralischen Idealanforderungen)" und daß "beim Kulturkinde ... der Aufbau dieser Dämme ein Werk der Erziehung ist". Doch obwohl die "Erziehung viel dazu bei(tut)", ist "in Wirklichkeit ... diese Entwicklung eine organisch bedingte, heredität fixierte und kann sich gelegentlich ganz ohne Mithilfe der Erziehung herstellen. Die Erziehung verbleibt durchaus in dem ihr angewiesenen Machtbereich, wenn sie sich darauf einschränkt, das organisch Vorgezeichnete nachzuziehen und ... tiefer auszuprägen." 140

Die genitale Sexualität erscheint in diesem Kontext nicht als psychosoziale oder soziokulturelle diskursive Norm. Dem Satz von Simone de Beauvoir: "Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es", der genauso für "den Mann" gelten kann, würde Freud nicht zustimmen. Sein Normenkonzept der Sexualität unterscheidet sich letztlich doch ganz erheblich von den konventional-diskursiven Ansätzen, die etwa im Kontext der sex/gender- Debatte gedacht werden.

Die "Aufrichtung der genitalen Organisation" ist es, "die die Normalität einführt, insofern sie die Sexualität vereinheitlicht" 141. Die Normalität ist an die Genitalität gebunden. Die genitale Zusammenfassung ermöglicht die Fortpflanzung und damit den Fortbestand der menschlichen Spezies. Erst eine Sexualität, die diese biologische Notwendigkeit realisiert, darf offenbar als ganz gelten. Dieser Perspektive der naturnotwendigen Norm wird das Modell angepaßt. Es ist teleologisch - mit der gesunden Zusammenfassung der Partialtriebe als Endziel. Die seelischen Mächte haben Anteil an dieser Normierung - indem sie das organisch vorgezeichnete konturiert nachzeichnen. Die Konvention tritt damit in den Dienst der Biologie.

Allerdings wird der teleologische Vorgang der Sexualentwicklung durch konstitutionelle Ursachen wie auch psychologisch wirksame Lebenseindrücke behindert. Weil die Sexualität ein Entwicklungsgeschehen ist, bleibt ihr Ausgang ungewiß.

Die Schwächen der Freudschen Konzeption einer biopsychischen "Naturnorm" werden mit seinen Überlegungen zu den Perversionen aber nicht aufgehoben. Wenn er mit der sexuellen Varianz die potentielle Offenheit der Sexualität demonstriert, will er damit (glaube ich gegen meine Ausgangserwartung) keine diskursive Normentheorie etablieren, sondern auf die kulturbedingten Schwierigkeiten bei der menschlichen Realisierung ihrer Biologie verweisen. Seine These von der "Anormalität des Normalen" wollte nicht die kontingente Normalität all dessen behaupten, was sich durch religiöse, philosophische oder poetische Verfestigungen in der machtgestützten, interessegeleiten geschichtlichen Realität durchsetzt, sondern nur (und immerhin) die Schwierigkeiten beim 'Ankommen in der Sexualnorm' betonen. Die sexuellen Abweichungen gründen nach Freud in einem biopsychischen Abweichungsvermögen, daß bei manchen als unumgängliche Folge einer "degenerativen Anlage", bei anderen als Zusammenwirken von sexueller Konstitution und akzidentellen psychologischen Lebenserlebnissen auftreten muß oder kann. Die Norm nicht annehmen können, heißt krank werden, Patient werden, neurotisch oder pervers.

Trotzdem ist Freud weit gegangen und bereitet eine konventional-diskursive Normentheorie der Sexualität mit vor. Indem er die Psyche an der Schnittstelle von Sexualtrieb und gesellschaftlichen Diskursmechanismen ansiedelt, beginnt er Psyche und Biologie zu entflechten. Freud öffnet anderen den Blick auf die Macht der ästhetischen und moralischen Idealanforderungen bei der Sexualentwicklung und eröffnet damit eine Liste diskursiver Faktoren, die bei Foucault oder in den Debatten um den gender-Begriff immer umfänglicher wird. Auch wenn er selbst die diskursiven Anteile bei der Sexualentwicklung immer im Dienst der genitalen Norm sah: Das Bewußtsein für die Anormalität des Normalen kann nach Freud nicht mehr aus der Welt geschafft werden.

Es verlangt geradezu nach diskurstheoretischen Sexualitätsbegriffen.

Literaturverzeichnis

Benutzte Primärliteratur

Siegmund Freud: Essays I-III, Berlin 1988 Band I: Auswahl 1890-1914 (I)

Band II: Auswahl 1915-1919 (II) Band III: Auswahl 1920-1937 (III) Benutzte Sekundärliteratur

Ernest Bornemann: Lexikon der Liebe. Dritter Band: M-Q, Frankfurt a.M., Berlin, Wien 1978 (IV)

Christof T. Eschenröder: Hier irrte Freud. Zur Kritik der psychoanalytischen Theorie und Praxis, München-Weinheim 1986 (2. Auflage) (V)

Michel Foucault: Sexualität und Wahrheit, 1. Band: Der Wille zum Wissen, Frankfurt a.M. 1977 (VI)

Erich Fromm: Psychoanalyse, Band VIII der GA, Stuttgart 1981 (VII)

Magnus Hirschfeld: Geschlechtsanomalien und Perversionen, Villefranche-Nice o.J. (Photomechanischer Nachdruck: Meisenheim) (VIII)

Ursula Keller-Husemann: Destruktive Sexualität, München 1983 (IX)

Richard von Krafft-Ebing: Psychopathia Sexualis, Stuttgart 1887 (2. Auflage) (X)

J. Laplanche/J.-B. Pontalis: Das Vokabular der Psychoanalyse, Frankfurt a.M. 1984 (12. Auflage) (XI)

Hans-Martin Lohmann: Freud zur Einführung, Hamburg 1991 (3. Auflage) (XII)

Fritz Morgenthaler: Homosexualität, Heterosexualität, Perversion. Frankfurt a.M., Paris 1984 (XIII)

Frank J. Sulloway:Freud - Biologe der Seele. Jenseits der psychoanalytischen Legende,

Köln-Lövenich 1982 (XIV)

Martin Wollschläger: Fetischismus, Transvestitismus, Transsexualität, Homosexualität. Köln 1983 (XV)

[...]


1 DA (I), S. 117

2 GW 1, S. 511, zit. nach F. Sulloway (XVII), S. 256

3 DA (I), S. 162. Im weiteren Verlauf wird gezeigt, daß mindestens Albert Moll und Havelock Ellis als Vorarbeiter Freuds gelten können.

4 F. Sulloway (XIV), S. 388. S. betont hier, daß "einzelne andere - wie Max Dessoir, Albert Moll, Havelock Ellis und Sanford Bell - ... sogar soweit (gingen) ..., daß die normale menschliche Libido sich in aufeinander folgenden vorpubertären Stadien entwickelt..." Dagegen steht Freuds Meinung, daß seine Vorarbeiter "frühzeitige Sexualbetätigung bei kleinen Kindern" zwar wahrgenommen, "aber immer nur als ausnahmsweise Vorgänge, als Kuriosa...". (DA, (I), S. 162). Dazu später mehr.

5 Sexualobjekt = Person, von der "eine geschlechtliche Anziehung ausgeht". (DA (I), S. 120). Der Begriff ist u.a. bei Fromm auf Kritik gestoßen. Nach Fromm konstruiert Freud einen "homme machine" oder "homme sexualis", der andere v.a. als Sexualobjekt wahrnimmt. "Sein ganzes System ist um die sexuelle, und nicht um die erotische Liebe zentriert", weil er eine gleichberechtigte subjektorientierte "Polarität von Mann und Frau" nicht denken kann, solange er der Frau die "Gleichwertigkeit" abspricht. (VII, S. 238f.)

6 Sexualziel = "Handlung, nach welcher der Trieb drängt" (I, S. 120). Zum Triebbegriff siehe unten.

7 alle DA (I), S. 172

8 J. Laplanche/J.-B. Pontalis (XI), S. 46. Der Zusatz (Körper) stammt von mir.

9 ebda. Zum Begriff der erogenen Zone siehe unten.

10 Auf die Phasen kindlicher Masturbation von der Säuglingsonanie bis zur Pubertätsonanie soll hier im einzelnen nicht eingegangen werden.

11 DA (I), S. 173

12 Laplanche/J.-B. Pontalis (XI), S. 143

13 DA (I), S. 173

14 DA (I), S. 157

15 H.-M. Lohmann (XII), S. 34

16 dazu DA (I), S. 189f. u.a.

17 dazu DA (I), S. 200f. u.a. Wichtig ist die Anmerkung, daß Freud in "Die infantile Genitalorganisation" (1923) als 3. vorpubertäre Phase die phallische Phase in seine Theorie einführt. In einem Zusatz zu den DA von 1924 sagt er, daß sie "bereits den Namen einer genitalen (Phase) verdient", aber sich "in einem wesentlichen Punkt von der definitiven Organisation der Geschlechtsreife unterscheidet. Sie kennt nämlich nur eine Art von Genitale, das männliche" (DA (I), S. 191). Eine nähere Betrachtung dieser Idee soll hier unterbleiben.

18 DA (I), S. 191

19 DA (I), S. 212. Freud selbst schränkt diese These mehrfach ein: a) die These gelte nur, "wüßte man den Begriffen 'männlich' und 'weiblich' einen bestimmteren Inhalt zu geben" (ebda.); b) gibt Freud diesem Begriff in einem Zusatz von 1915 einen bestimmteren - und damit entschärften - Inhalt. Hier unterscheidet er "drei Richtungen der Begriffsauslegung": 1. im Sinne von aktiv-passiv; 2. biologisch; 3. schließlich soziologisch: "Die dritte, soziologische Bedeutung erhält ihren Inhalt durch die Beobachtung der wirklich existierenden männlichen und weiblichen Individuen. Diese ergibt ..., daß weder im psychologischen noch im biologischen Sinne eine reine Männlichkeit oder Weiblichkeit gefunden wird. Jede Einzelperson weist vielmehr ... eine Vereinigung von Aktivität und Passivität auf." (ebda., S. 213) Der vorliegende Text von 1905 präferiert aber die Zuordnung aktiv-männlich-pervers und passiv-weiblich-neurotisch. Dazu später mehr.

20 Laplanche/J.-B. Pontalis (XI), S. 384. Diese These bezieht sich auf die - später sogenannte - phallische Phase. Natürlich kann auch Freud die Existenz einer Klitoris nicht übersehen. Allerdings ist diese "der männlichen Genitalzone ... homolog". (I, S. 213)

21 Laplanche/J.-B. Pontalis (XI), S. 383

22 DA (I), S. 181

23 DA (I), S. 121

24 M. Foucault (VI), S. 11

25 ebda., S. 46

26 DA (I), S. 225

27 F. Sulloway (XIV), S. 441

28 Die folgende Darstellung verdankt sich v.a. dem Buch von F. Sulloway (XIV) sowie den Texten von M. Wollschläger (XV) und U. Keller-Husemann (IX).

29 M. Wollschläger (XV), S. 12

30 F. Sulloway (XIV), S. 265

31 zit. nach Sulloway (XIV), S. 266

32 M. Foucault (VI), S. 50

33 ebda., S. 53

34 ebda., S. 55

35 ebda., S. 60

36 ebda., S. 50

37 ebda., S. 61

38 ebda., S. 64

39 F. Sulloway (XIV), S. 390

40 ebda., S. 392

41 Ullrichs, zit. nach Sulloway (XIV), S. 392

42 Krafft-Ebing im Lehrbuch der Psychatrie" von 1879, zit. nach M. Wollschläger (XV), S. 12

43 so F. Sulloway (XIV), S. 410

44 R. v. Krafft-Ebing (X), S. 23

45 Bezeichnung nach F. Sulloway (XIV), S. 395

46 F. Sulloway (XIV), S. 396. Teilweise wurde die Degenerationstheorie mit religiösen Vermutungen gekoppelt. Ihr "Sinn" sei das langsame Aussterben "böser" Familien, daß durch deren Abkehr vom göttlichen Heilsplan durch Fortpflanzungsverhinderung bestraft würde.

47 ebda.

48 Hiermit ist die Literatur des "Jungen Wien" um Hermmann Bahr, Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler u.a. gemeint.

49 R. v. Krafft-Ebing (X), S. 6

50 ebda., S. 97

51 ebda.

52 ebda. Krafft-Ebing kommt aber 1901 - ein Jahr vor seinem Tod - zu einer neuen Auffassung der Homosexualität. Diese versteht er nun, angeregt durch die Theorien des biogenetischen Sexualitätsmodells (siehe unten) und verbunden mit Ideen über Bisexualität, als Entwicklungsstörung jenseits hereditärer Degeneration.

53 R. v. Krafft-Ebing, zit. nach M. Wullschläger (XV), S. 63

54 R. v. Krafft-Ebing (X), S. 63

55 ebda., S. 64

56 ebda.

57 ebda., S. 65

58 ebda., S. 34

59 beide ebda., S. 33

60 alle in DA (I), S. 230f.

61 ebda., S. 149

62 A. Binet, zit. nach F. Sulloway (XIV), S. 399. Seine Theorie formulierte Binet u.a. in "Le Fetichismes dans l'amour".

63 so F. Sulloway über Binet (XIV), S. 399

64 ebda., S. 364

65 W. James, zit. nach ebda., S. 405

66 ebda., S. 405f.

67 J. Kiernan, zit. nach F. Sulloway (XIV), S. 231

68 DA (I), S. 127f.

69 DA (I), S. 238 und an vielen anderen Stellen

70 A. Moll, zit. nach F. Sulloway (XIV), S. 420

71 ebda., S. 421

72 H. Ellis, zit. nach ebda., S. 429

73 H. Ellis, zit. nach U. Keller-Husemann (IX), S. 31

74 Das maßgebliche Werk Blochs heißt: "Beiträge zur Ätiologie der Psychopathia Sexualis", zusammengefaßt in U. Keller-Husemann (IX), S. 33f.

75 F. Sulloway (XIV), S. 265

76 DA (I), S. 120. Im Text selbst zitierte Freud weitere Vorarbeiter, etwa im Zusammenhang mit der Bisexualitätslehre als Erklärungsmodell für sexuelle Inversion (Lydston, Kiernan, später Fließ, Weininger)

77 DA (I), S. 124

78 ebda., S. 127ff.

79 ebda., S. 125

80 ebda., S. 200

81 ebda., S. 230

82 F. Sulloway (XIV), S. 441

83 ebda.

84 DA (I), S. 135

85 DA (I), S. 156f. Die ursprüngliche Fassung von 1905 wurde im Zusammenhang mit den Überlegungen in "Triebe und Triebschicksale" von 1915 ersetzt.

86 ebda., S. 157

87 ebda., S. 199f.

88 ebda., S. 199

89 alle ebda., S. 137

90 ebda., S. 150

91 beide ebda., S. 149

92 ebda., S. 155

93 ebda., S. 157

94 ebda., S. 137

95 In einem Zusatz von 1924 verweist Freud auf seinen gewandelten Masochismus-Begriff. In "Das ökonomische Problem des Masochismus" von 1924 unterschied er erogenen, femininen und moralischen Masochismus. Grundlage ist die Bindung sexueller Lust an den Schmerz. Nach einem anderen Begriffsraster unterschied er einen primären und einen sekundären Masochismus. Hier erscheint als sekundärer Masochismus die in den DA angeführte Deutung. Der primäre Masochismus dagegensteht im Zusammenhang mit seinem später entwickelten Begriff des Todestriebes (Jenseits des Lustprinzips, 1920).

96 DA (I), S. 182

97 F. Sulloway (XIV), S. 387 verweist auf frühere ähnliche Gedanken bei Ellis und Moll, die aber nicht die systematisch- gesetzmäßige Form annahmen.

98 DA (I), S. 135f.

99 ebda., S. 137

100 ebda., S. 137f. Die 'anatomische Überschreitung' oder Überschätzung des Sexualobjekts ist ein Begriff, der seine Herkunft der Sexualnorm verdankt. Überschritten wird das "Wunschziel des Sexualtriebes", der Koitus. Die "normale Schätzung" des Sexualobjekts (= Partner) nimmt das Sexualobjekt als Koituspartner in Anspruch. Ein darüber hinausgehendes erotisches Interesse muß folglich als Überschätzung gedacht werden.

101 ebda., S. 140

102 ebda., S. 141

103 ebda.

104 "Das konstitutionelle Moment muß auf Erlebnisse warten, die es zur Geltung bringen, das Akzidentelle bedarf einer Anlehnung an die Konstitution, um zur Wirkung zu kommen." (DA, I, S. 234)

105 ebda., S. 142f. In einem Zusatz von 1920 nimmt Freud die von Binet entlehnte These vom frühkindlich empfangenen Eindruck zurück. Die angenommenen Eindrücke fielen in die Zeit nach dem 5. Lebensjahr und kämen damit als Auslöser pathologischer Fixierungen zu spät. Nun führt er konstitutionelle Gründe an. Allerdings entwickelt Freud eine eigene Symboltheorie des Fetischismus. Dazu später.

106 DA (I), S. 154

107 ebda., S. 231

108 ebda., S. 225

109 S. Freud in "Aus der Geschichte einer infantilen Neurose", zit. nach U. Keller-Husemann (IX), S. 53

110 DA (I), S. 235

111 ebda., S. 229

112 ebda., S. 160

113 ebda., S. 159

114 ebda., S. 186. Der Kastrationskomplex wurde erstmals 1908 von Freud beschrieben. Deshalb fehlt dieser Hinweis in der ursprünglichen Textfassung

115 J. Laplanche/J.-B. Pontalis (XI), S. 146f. fassen so Freuds Auffassung zusammen. Verschiebung und Verdichtung sind bei den Traumbearbeitungen unbewußt wirkende "zensorische" Tätigkeiten, die den unzumutbaren latenten Trauminhalt eben verändert manifest werden lassen. Die Begriffe wurden von Freud dann auch auf andere innerpsychische Vorgänge - wie der Neurosen- oder Perversionsbildung - übertragen.

116 Fetischismus (III), S. 232

117 ebda., S. 233

118 ebda., S. 234

119 ebda., S. 235

120 DA (I), S. 187

121 J. Laplanche/J.-B. Pontalis (XI), S. 604

122 DA (I), S. 146. Im gleichen Abschnitt spricht Freud vom Sadismus, bei "dem die Wurzeln im Normalen leicht nachzuweisen" seien. "Die Sexualität der meißten Männer zeigt eine Beimengung von Agression ... deren biologische Bedeutung in der Notwendigkeit liegen dürfte, den Widerstand des Sexualobjekts noch anders als durch Akte der Werbung zu überwinden." (S. 145) Freud denkt hier wieder ganz als Biologist.

123 alle ebda., S. 222

124 ebda., S. 237

125 ebda., S. 238

126 ebda., S. 237

127 ebda., S. 234

128 "Meine Ansichten über die Rolle der Sexualität in der Ätiologie der Neurosen (I), S. 244

129 DA (I), S. 230

130 ebda., S. 197

131 ebda., S. 172. Gemeint sind wohl Bisse.

132 ebda., S. 230

133 alle ebda., S. 212ff.

134 ebda., S. 235

135 ebda., S. 120

136 Allerdings: Der gewählte populäre Bezugsrahmen entsprach seinem Wunsch, populär zu sein. Während der weit fortgeschrittene wissenschaftliche Sexualitätsdiskurs als Gelehrtendiskurs stattfand, wird er durch Freuds Popularität sowie durch die der Psychoanalyse und ihres radikalen "Pansexualismus" tausendfach literarisch, feulletonistisch und anderweitig multipliziert. Es ist kein Zufall, daß der Freud- Mythos die Erinnerung an paralle Neuerer überdeckte, weil diese Neuerer nur begrenzt wahrgenommen wurden.

137 ebda., S. 150

138 alle ebda., S. 161

139 Die folgende Kritik scheint den Rahmen des Freudschen Denkens nicht zu verlassen. Natürlich könnten alle Teile seines Sexualitätskonstrukts verworfen werden: die Phasen der sexuellen Entwicklung (die vielleicht parallel ablaufen), die Idee der Mutter als erster sexueller Wunschpartnerin des Jungen (wo bleiben die Mädchen und ist das nicht überhaupt eine deftige Übertreibung; zu beidem: Ch. T. Eschenröder (VII), S. 106ff.), der Ödipuskomplex (vielleicht eine Folge viktorianischer Autoritätsangst), der weibliche Penisneid (vielleicht transformiert der zugleich beschnittene und assimilierungsbereite Freud sein Problem auf die Frauen, siehe dazu S.L. Gilman: Freud, Identität und Geschlecht, F.a.M. 1994), oder die einschränkende Bedeutung des Begriffs 'Sexualobjekt' für die Beschreibung menschlicher Partner (dazu E. Fromm: Freuds Modell des Menschen..., in: (IX), S. 231ff. Die Möglichkeiten der Zurückweisung unter Berufung auf die Empirie, auf die historische Beschränktheit des Autors oder seine Ausweitung personaler Ängste auf ein "pansexualistisches Menschenbild" sind wichtig und verweisen hinreichend auf das konstruierende Moment der von Freud für empirisch belegt gehaltenen Begrifflichkeit. Alle Einwendungen sind möglich und vielfach berechtigt. Mein Anliegen war aber ein konkretes: wie man Freuds Ansatz von der Anormalität des Normalen zu deuten habe. Um dies zu leisten, beschränkt sich die Kritik auf das Problem des Normenbegriffs bei Freud.

140 DA (I), S. 167

141 J. Laplanche/J.-B. Pontalis (XI), S. 380

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Perversion und Sexualität oder die Anormalität des Normalen - Zu Freuds "Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie"
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Autor
Jahr
2000
Seiten
43
Katalognummer
V95934
ISBN (eBook)
9783638086127
Dateigröße
581 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Perversion, Sexualität, Anormalität, Normalen, Freuds, Drei, Abhandlungen, Sexualtheorie
Arbeit zitieren
Andreas Kölling (Autor:in), 2000, Perversion und Sexualität oder die Anormalität des Normalen - Zu Freuds "Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95934

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