Wandel der Faktoren bei der Rufnamenvergabe


Hausarbeit (Hauptseminar), 2000

34 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Gliederung

1. Die deutschen Vornamen im Dritten Reich
1.1 Aufkommen und Verbreitung der altdeutschen Rufnamen
1.2 Ideologie und Name
1.3 Modewechsel im Dritten Reich

2. Der Vornamenbestand
2.1 Traditionelle Vornamen
2.2 Wiederbelebung biblischer Vornamen
2.3 Internationalisierung in der Namengebung
2.4 Der Begriff: ´Modenamen`

3. Motive bei der Namenvergabe
3.1 Individuelle Namenverteilung
3.2 Faktoren der Entscheidungsfindung
3.3 Namenmoden heute
3.4 ´Verleihnix` und ´Pumuckl`, akzeptierte und abgelehnte Vornamen

4. Zusammenfassung

5. Abbildungsverzeichnis

6. Quellen- und Literaturverzeichnis

Einleitung

Wenn Nachwuchs ansteht, dann beginnt für die meisten werdenden Eltern die große Suche nach dem geeigneten Namen. Die Auswahl ist riesig und um so schwerer fällt die Entscheidung. Einige andere Paare wiederum haben klare Vorstellungen, wie ihr Kind heißen soll. Woher sie den Namen ´haben`, können aber die meisten nicht mehr sagen. Ein generelles Motiv lässt sich nicht ableiten. Das Hauptmotiv der meisten Eltern ist der Gefallen an einem bestimmten Namen. Objektiv ist dieses Motiv nicht zu begründen.

Es scheint, dass sich die Namensgebung heute von historischen Funktionen, Traditionen und Bräuchen gelöst hat. Nicht die Bedeutung eines Namens, sondern die Ästhetik des Klangs ist für viele der ausschlaggebende Faktor bei der Namenwahl.

In folgendender Ausarbeitung soll der Versuch unternommen werden, die verschiedenen Aspekte bei der Namenswahl darzustellen und zu erläutern. Klang, Bedeutung, Tradition, rechtliche Vorschriften sowie die Bildung neuer Vornamenmoden sollen mit Hilfe von Tabellen, Statistiken und Beispielen untersucht werden.

Ein kurzer geschichtlicher Rückblick soll einen Überblick über die Veränderungen vergangener Namenmoden geben.

Vor- und Rufnamen liefern sicherlich keine hundertprozentigen Informationen über den Wandel der politischen Einstellungen und der sozialen Mentalität, aber sie sagen einiges aus über die öffentliche Meinung einer Gesellschaft. Damit ist gemeint, dass die Verwendung bestimmter Namenvarianten Ideologien aufdecken aber auch verschleiern kann. Dementsprechend sollen die sozialen Dimensionen der Namengebung und -verwendung ausgewertet und dargelegt werden.

Welche Namen waren 1933 oder 1962 besonders beliebt und welche sind es heute? Was bewegte die damaligen Eltern zu bestimmten Vornamen und welche Motive haben die heutigen? Diese und andere Fragen sollen im Rahmen dieser Arbeit beantwortet werden.

1. Die deutschen Vornamen im Dritten Reich

1.1 Aufkommen und Verbreitung der altdeutschen Rufnamen

Im 19. Jh. sind es vor allem slawische Namen, wie Dunja, Olga oder Feodor sowie Namen nordischer Herkunft, wie beispielsweise Helga, Ingrid, Gustav, etc., die sehr beliebt waren und häufig vergeben wurden. Altdeutsche Rufnamen bzw. germanisch-nordische Namen nahmen bereits seit Beginn der zwanziger Jahre ohne jegliche nationalsozialistische Hilfestellung ständig zu. Erst langsam beginnend und durch ein erstarkendes Nationalbewusstsein nach der Reichsgründung 1871 gefördert, gewannen germanische Namen wie Reinhold, Gertrud oder Helmut „durch entsprechende pädagogische Bemühungen um eine ´reine` deutsche Sprache, dann durch die Situation in und nach dem Ersten Weltkrieg“[1], wieder an Beliebtheit. Die Grundlage heutiger deutscher Vornamen führt mit ihrer Bildungsweise in germanische Zeiten zurück, wobei zu erwähnen wäre, dass dieses nicht auf jeden deutschen Rufnamen zutrifft.

Die alten germanischen Namen bestanden am häufigsten aus zwei Namensgliedern. Rufnamen dieser Art, wie Ger-linde, Wil-fried oder Ger-hart, begegnen uns heute vor allem bei älteren Menschen, d.h., unseren Eltern und Großeltern. Bemerkenswert hierbei ist es, dass bestimmte Namensteile traditionell meist als erste bzw. als zweite Namenselemente angewendet werden; einige wenige kommen in beiden Positionen vor. Weiter auffallend ist, dass Namenswörter aus dem Bereich des Krieges, der Tugenden und des Kampfes häufig vertreten sind. Diese Tatsache könnte heutzutage zu der Annahme verleiten, dass die Beliebtheit dieser Namen eine gewisse Verbundenheit und Sympathie zum politischen Regime bestätigen und zum Ausdruck bringen könnte[2].

Vornamen dieser Art gelangen zur Zeit des NS - Regimes auf ihren Höhepunkt[3], wobei keine auf der Rassenideologie der Nationalsozialisten basierende Germanisierung der Vornamen stattfand[4].

1.2 Ideologie und Name

Germanische Vornamen gehörten bereits vor dem NS-Regime zur deutschen Tradition. Bemerkenswert ist jedoch, dass ihr wirklicher Erfolgszug zwischen 1933 und 1945 stattfand[5]. In folgender Abbildung ist das deutlich zu erkennen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Germanisch-ideologische Vornamen in München von 1904 bis 1945[6]

Germanisch-ideologische Namen brachten durch ihren eindringlichen deutschen Charakter eine besondere Nähe und Sympathie zur nationalsozialistischen Ideologie zum Ausdruck. Viele waren davon überzeugt, dass sie in einem altdeutschen Namen[7] „Volks- und Sippenverbundenheit, Kraft und Wehrhaftigkeit, Tapferkeit, Mut, Beharrlichkeit, Stolz, Ehre, Ruhm, Freiheit, Herrentum, Frohsinn, Freude, Glanz, Anmut, Schönheit und Zucht, Weisheit, Rat, Besonnenheit“[8] wiederfänden.

Im Jahre 1938 konnten Angehörige des Deutschen Reiches ihre Vor- sowie ihre Nachnamen ändern bzw. bis Ende 1940 widerrufen lassen, wenn sie den Richtlinien der neuen Regierung nicht entsprachen[9], denn ein Erlass der Nationalsozialisten aus dem Jahre 1937 verordnete, dass „die Kinder deutscher Volksgenossen [...] grundsätzlich nur deutsche Vornamen erhalten (sollen)“[10]. Unerwünscht waren vor allem Namensänderungen der jüdischen Bevölkerungsgruppen, die zu einen nicht-jüdischen Namen wechselten[11]. Die jüdische Bevölkerung Deutschlands wurde durch die namensrechtlichen Verordnungen der Nationalsozialisten isoliert und diskriminiert. Alle Männer bekamen den Zwangsvornamen ´Israel` und Frauen den zusätzlichen Vornamen ´Sara` aufoktroyiert[12].

Von der deutschen Bevölkerung erwartete man NS-gefällige bzw. germanische Namen. Damit meinte man nicht nur die germanisch-deutschen Vornamen, sondern alle zu dieser Zeit fest eingebürgerten Rufnamen, ganz gleich, welcher sprachlichen Herkunft sie entstammten[13]. Wolffsohn und Brechenmacher schreiben, dass besonders solche Vornamen empfohlen wurden, „die der ´Förderung des Sippengedankens` dienten oder die ´Herkunft der Sippe aus einem bestimmten deutschen Landesteil erkennen lassen (z.B. ´Dierk`, ´Meinert`, ´Uwe`, ´Wiebke` usw.)“[14]. Dieses wurde nicht direkt erzwungen, doch führten die von der Regierung festgelegten Richtlinien unweigerlich zu einem Anstieg germanischer Namen[15]. Der Anpassungsdruck war zweifellos da, jedoch musste man seinen Kinder nicht unbedingt Namen wie Reinhold, Uta oder Horst geben. Wenn man dieses dennoch tat, so bekundeten die Namengeber Gesinnung und Sympathie mit der Regierung und ihrer Ideologie. Vornamen wie Johanna, Peter oder Maria waren erlaubt und immer möglich[16]. Hieraus schließen Wolffsohn und Brechenmacher: “Daher ist also die Auswahl NS-ideologisierter Vornamen durchaus ein Indikator für den Grad der Nazifizierung der Deutschen“[17]. Es stellt sich die Frage, ob sich im Ansteigen der deutschen Namenteile bis zum Jahre 1943 die Propagierung einer absichtlich deutschen Namenwahl reflektiert. Folgende Abbildung zeigt den Kurvenverlauf der beliebtesten deutschen Namen bei Mädchen und Jungen ab dem Jahr 1940:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2.: Anteil deutscher Mädchen- und Jungenvornamen im Standesamtbereich Bad Segeberg[18]

Die Darstellung zeigt, dass etwa bis zu dem Jahr 1943 ein Anstieg der deutschen Namen bei den Mädchen zu verzeichnen war. Danach gab es einen Rückgang, aber 1945 steigen die Anteile erneut, erreichen jedoch nicht mehr den Prozentsatz von 1943. Bei den Jungen ist eine vergleichbare Tendenz festzustellen, wobei der deutsche Namenanteil hier erst nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich stärker angestiegen war (ca. 70%)[19]. Die Versuchung, zur Bejahung der oben gestellten Frage liegt nahe, denn sicherlich spiegelt sich in der Vornamenwahl eine gewisse Sympathie gegenüber der nationalsozialistischen Herrschaft. Andererseits darf man sich von Zahlen und Prozentsätzen nicht verleiten lassen. Sympathie zum Namen darf nicht gleich als Bekenntnis zum Regime gedeutet werden. Eine gezielt germanische Namenwahl kann auch nur Schutzfunktion gewesen sein.

1.3 Modewechsel im Dritten Reich

Nach dem Ersten Weltkrieg sind es vor allem Namenskopplungen, wie zum Beispiel Anne-Marie, Eva-Maria, Hans-Jürgen oder Karl-Heinz, die vermehrt bevorzugt werden. Auf der Spitze dieser Entwicklung sind der Kombination dieser zwei ursprünglich selbstständigen Rufnamen praktisch keine Grenzen gesetzt[20]. Ihren Höhepunkt erreicht diese Namenform in den 20er und 30er Jahren sowie zum letzten Mal erneut in den 50er Jahren. Danach fallen diese Namen in der Beliebtheitsskala steil ab[21], sie werden als altmodisch betrachtet. Eine Tendenz zu Kurznamen, wie Heinz, Horst, Rolf oder Karl, machte sich erst gegen Ende des Jahrhunderts bemerkbar.

Wolffsohn und Brechenmacher sind der Meinung, dass die Vornamen der in den 30er Jahren geborenen Kinder objektive Daten liefern. Ihrer Auffassung nach kann man Vornamen als Maßstab nationalsozialistischer Überzeugungen betrachten. Aus diesem Grund soll in diesem Kapitel vor allem auf die Vornamen ´Adolf` und ´Horst` etwas genauer eingegangen werden. Erstaunlicherweise gab es zu dieser Zeit jedoch wenige ´Adolfs` und ´Adolfinen`[22].

Wolffsohn und Brechenmacher sind der Meinung, dass sich aus den unten dargestellten Kurvenverläufen Unregelmäßigkeiten in den Entwicklungsphasen einzelner, bestimmter Namen (hier ´Adolf` und ´Horst`) sowie Zusammenhänge ergeben und Schlüsse über den damaligen Geschichtsverlauf ableiten lassen[23].

Folgende Grafik zeigt die Häufigkeit bei der Vergabe der oben genannten Vornamen in Kombination mit den damals einschneidenden geschichtlichen Ereignissen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3.: Vergabe von Adolf und Horst im geschichtlichen Zusammenhang (München)[24]

Bis zum Jahr 1933 war ´Adolf ` ein ganz unscheinbarer deutscher bzw. europäischer Rufname. Nach dem Hitlerputsch 1925 gab es in München seit 1919 zum ersten Mal wieder einen Aufschwung in Bezug auf diesen Rufnamen. Vor allem in den Jahren 1933/34 zeigt die Tabelle einen unübersehbaren Anstieg[25]. Eine Statistik belegt, dass 1932 etwa 0,5 Prozent der Jungen den Vornamen ´Adolf` trugen; 1933 etwas mehr als 3 Prozent und 1934 circa 3,4 Prozent. 1935/36 sank der Anteil des Vornamens auf 1,2 Prozent und hielt sich bis 1939 in diesem Bereich. Nach dem Kriegsausbruch 1939 und noch im Jahre 1940 sank der Anteil stark ab. Die oben dargestellte Grafik bestätigt diese Angaben. Die Faktoren für eine bestimmte Namenwahl hingen damals wahrscheinlich mit dem Erfolgen des Regierungsoberhauptes zusammen[26].

Nach 1940 vergrößerte sich der Abstand zu ´Adolf `, was ein Hinweis auf eine Veränderung der Einstellung bei der Bevölkerung sein könnte[27]. Die Gründe hierfür sind vielfältig, denn ein Vorname sagt zwar Einiges aus, aber immer noch nicht alles, über die innere Einstellung der damaligen deutschen Bevölkerung zu ihrem Führer. Wolffsohn und Brechenmaher meinen, dass sich damals die Deutschen vor allem ab 1941 und 1945 immer weniger mit dem Regierungsoberhaupt identifizierten. Das bestätigt ihrer Meinung nach der Wechsel der Vornamenmode im Dritten Reich[28].

[...]


[1] Kunze, Konrad: dtv-Atlas Namenkunde. Vor- und Familiennamen im deutschen Sprachgebiet. München 1998. S. 53

[2] Fleischer, Wolfgang: Die deutschen Personennamen. Geschichte, Bildung und Bedeutung. Berlin 1964. Vgl. S. 33

[3] Wolffsohn, Michael / Brechenmacher, Thomas: Die Deutschen und ihre Vornamen. 200 Jahre Politik und öffentliche Meinung. München, Zürich 1999. Vgl. S. 240

[4] Seibicke, Wilfried: Überblick über Geschichte und Typen der deutschen Personennamen. In. W. Besch et al. (Hg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung, Bd. 2. Berlin, New York 1985. Vgl. S. 2157

[5] Vgl. Wolffsohn/Brechenmacher 1999, S. 243

[6] Ebd., S. 209

[7] Ebd., Vgl. S. 239

[8] Wolffsohn/Brechenmacher 1999, S. 239

[9] Vgl. Ebd., S. 216

[10] Kunze 1998, S. 53

[11] Vgl. Wolffsohn/Brechenmacher 1999, S. 216

[12] Vgl. Seibicke1985, S. 2157

[13] Seibicke, Wilfried: Die Personennamen im Deutschen. Berlin 1982. S. 142

[14] Wolffsohn/Brechenmacher 1999, S. 216

[15] Vgl. Ebd., S. 220

[16] Vgl. Ebd., S. 218

[17] Ebd., S. 218

[18] Debus, Friedhelm: Soziale Veränderungen und Sprachwandel. Moden im Gebrauch von Personennamen. Kiel. In: Sprachwandel und Sprachgeschichtsschreibung. Jahrbuch 1976 des Instituts für deutsche Sprache, Band 41. Düsseldorf. (Sprache der Gegenwart. Schriften des Instituts für deutsche Sprache), S. 181/182

[19] Vgl. Ebd., S. 180

[20] Vgl. Seibicke 1985, S. 2154

[21] Vgl. Seibicke 1982, S. 141

[22] Vgl. Wolffsohn/Brechenmacher 1999, S. 211/212

[23] Vgl. Ebd., S. 218ff.

[24] Wolffsohn/Brechenmacher 1999, S. 208

[25] Vgl. Ebd., 220ff.

[26] Vgl. Ebd., S. 222ff.

[27] Vgl. Ebd., S. 224

[28] Vgl. Wolffsohn/Brechenmacher 1999, S. 227ff.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Wandel der Faktoren bei der Rufnamenvergabe
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Deutsches Institut)
Veranstaltung
Die Personennamen in der Geschichte des Deutschen
Note
2,3
Autor
Jahr
2000
Seiten
34
Katalognummer
V9597
ISBN (eBook)
9783638162555
Dateigröße
1604 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wandel, Faktoren, Rufnamenvergabe, Personennamen, Geschichte, Deutschen
Arbeit zitieren
Jasmina Cirkic (Autor:in), 2000, Wandel der Faktoren bei der Rufnamenvergabe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9597

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