1. Zusammenfassung
Es werden verschiedene Aspekte und Formen der wissenschaftlichen, systematischen Beobachtung dargestellt, insbesondere werden die Erstellung eines Beobachtungsplanes und die Probleme verschiedener Beobachtungsformen und -methoden angerissen.
1. Einleitung
Unter Beobachten versteht man nach Laatz (1993) "das Sammeln von Erfahrungen in einem nichtkommunikativen Prozeß mit Hilfe sämtlicher Wahrnehmungsmöglichkeiten", was jedoch meistens auf die visuelle Wahrnehmung beschränkt ist. Im Gegensatz zur Alltagsbeobachtung, die durchaus 'zufällig' bzw. willkürlich erfolgen kann, d.h. nicht zwangsweise zielgerichtet ist und auch nicht unbedingt aktiv den Beobachtungsgegenstand in den Mittelpunkt des Interesses rückt, ist die wissenschaftliche, systematische Beobachtung dadurch gekennzeichnet, daß der oder die Beobachter planvoll, selektiv und zielgerichtet vorgehen, was die für ernsthafte empirische Untersuchungen notwendige größtmögliche intersubjektive Überprüfbarkeit der Beobachtung garantieren soll.
Es ist sinnvoll, vor der eigentlichen Beobachtung - soweit möglich - eine allgemeine
Beobachtung des gesamten Untersuchungsfeldes durchzuführen, um einen Überblick über die Situation zu gewinnen und so besser entscheiden zu können, welche Aspekte den Schwerpunkt der eigentlichen Beobachtung bilden sollen (so ist es bei der Beobachtung einer Tierkolonie beispielsweise angebracht, diese vor der systematischen Beobachtung erst allgemein zu erkunden, um sich sowohl mit den Örtlichkeiten als auch mit dem generellen Verhalten der Tiere vertraut zu machen). Dies kann man als Erkundungsbeobachtung bezeichnen.
Generell läßt sich die Form einer Beobachtung in zweierlei Hinsicht unterscheiden: Zum einen differenziert man zwischen teilnehmenden und nicht-teilnehmenden Beobachtungen, zum anderen zwischen offenen und verdeckten Beobachtungen. Unter einer teilnehmenden Beobachtung versteht man eine Beobachtung, bei der der Beobachter selbst Teil des zu beobachteten Geschehens ist, er also z.B. mit zu beobachtenden Personen mehr oder weniger aktiv interagiert. Eine nicht-teilnehmende Beobachtung erfolgt aus einer vom Beobachtungsgeschehen unabhängigen Position heraus (beispielsweise die Beobachtung der obigen Tierkolonie aus sicherer Entfernung). Bei der verdeckten Beobachtung versucht der Beobachter im Gegensatz zur offenen Beobachtung, so gut wie möglich seine Rolle als Beobachter gegenüber den Beobachtungsobjekten zu verbergen.
Weiterhin ist es von Bedeutung, in welcher Umgebung eine Beobachtung durchgeführt wird, d.h. ob sie in dem für die Beobachtungsobjekte gewohnten Setting (Feldstudie), im Labor (Laborstudie) oder in einem im Labor möglichst natürlich konstruierten (seminaturalistischen) Setting stattfindet.
2. Methoden
Vor der eigentlichen Beobachtung stehen in den meisten Fällen zwei wesentliche
Vorbereitungsphasen: zum einen das Erstellen eines Beobachtungsplanes, und zum anderen das Training der Beobachter. Je nachdem, in wie weit der Beobachtungsplan die Beobachtung in Hinsicht auf zu berücksichtigende Objekte, irrelevante Geschehnisse, Deutungsrahmen, Zeit und Ort der Beobachtung sowie Art des Protokollierens einschränkt, spricht man von freien (oder nicht-standardisierten), halbstandardisierten oder von standardisierten Beobachtungen. Eine freie Beobachtung verzichtet im wesentlichen gänzlich auf eine Einschränkung des Beobachters und dient meist dazu, sich einen Überblick über bislang unbekannte Gebiete zu verschaffen, wie z.B. im Rahmen einer Erkundungsbeobachtung. Von einer halbstandardisierten Beobachtung spricht man, wenn nur einige Aspekte der Beobachtung eingegrenzt (oder präzise vorgegeben) werden, von einer standardisierten Beobachtung, wenn die Planung der Beobachtung vollständig präzisiert ist.
Die Filterung der zu beobachtenden Objekte sowie der irrelevanten Geschehnisse bezeichnet man als Selektion. Die Beobachtung wird auf wenige, genau überschaubare Objekte und Ereignisse eingegrenzt, so zum Beispiel bei der Beobachtung einer Tierkolonie auf nur wenige, klar erkennbare Verhaltensmuster eines Einzeltieres.
Die Einteilung des Verhaltens bzw. der beobachtbaren Merkmale und Ereignisse in in eben jene Muster bzw. übergeordnete Kategorien bezeichnet man als Abstraktion. Gemeint ist dabei das Herauslösen eines konkreten Merkmals bzw. Ereignisses aus seiner "historischen Einmaligkeit" und die Reduktion auf seine eigentliche Bedeutung. Als Beispiel im Rahmen der Beobachtung einer Vogelkolonie könnte hierbei die Abstraktion des konkreten Ereignisverlaufes, der aus Wenden eines Altvogels zum Jungen, dem mehrfachen Hochwürgen von Nahrung mit leicht geöffnetem Schnabel sowie dem häppchenweise geschehenden Abholen der Nahrung aus dem Schnabel des Altvogels durch das Junge besteht, durch den Begriff "Füttern des Jungvogels" dienen.
Sind Selektion und Abstraktion durchgeführt, so folgt die Zuordnung von Zeichen und Symbolen zu den einzelnen abstrahierten Merkmals- und Ereignisklassen. Hierbei werden Merkmale und Ereignisse mit ähnlicher bzw. logisch zusammenhängender Bedeutung in den verschiedenen Klassen zusammengefaßt. Diesen Vorgang bezeichnet man als Klassifikation. Beispielsweise könnte man verschiedene Arten einer Tierart, sich zu Artikulieren, bei der Beobachtung in einer Klasse zusammenfassen und demzufolge mit ähnlicher Symbolik beim Protokollieren versehen.
Schließlich erfolgt im Rahmen der Systematisierung die Ordnung der verschiedenen beobachteten bzw. vorgegebenen (z.B. Zeit und Ort) Größen zu einem übersichtlichen Gesamtprotokoll mit dem Ziel, die für das konkrete Untersuchungsziel relevanten Informationen leicht verfügbar zu machen. Hierbei muß entschieden werden, wie bei der Auswahl der Stichprobe aus dem gesamten (nicht gänzlich beobachtbaren) Untersuchungsfeld vorgegangen werden soll: Soll es sich um eine Ereignisstichprobe oder eine Zeitstichprobe handeln? Bei einer Ereignisstichprobe wird darauf verzichtet, die beobachteten Ereignisse in einem zeitlichen Schema zu erfassen, es wird lediglich erfaßt, ob bzw. wie häufig ein bestimmtes Ereignis eintritt. Eine Zeitstichprobe unterteilt die Beobachtung in feste Zeitabschnitte, in denen entweder kontinuierlich ein Beobachtungsobjekt fokussiert wird, oder in denen jeweils das Beobachtungsobjekt aus einer mehrere Objekte umfassenden Menge neu gewählt wird. Ein Beispiel für eine Zeitstichprobe ist bei der Beobachtung einer Vogelkolonie das Protokollieren des momentanen Verhaltens eines Tieres in 5-Sekunden- Abschnitten.
Im Anschluß an diese Erstellung des Beobachtungsplanes sollte ein ausführliches Training der Beobachter durchgeführt werden. Dies dient einerseits zur Vermeidung von Problemen, die die Beobachter mit der Deutung des Beobachtungsplanes haben könnten, und zum anderen zur Sensibilisierung der Beobachter auf die zu beobachtenden Merkmale und Ereignisse, mit dem Ziel, die subjektiven Einflüsse der individuellen Beobachter in das Beobachtungsprotokoll zu minimieren. Die tatsächliche Beobachterübereinstimmung sollte ebenfalls während des Trainings ermittelt werden, damit der Beobachtungsplan gegebenenfalls präzisiert werden kann. Außerdem sollte bei einer apparativ unterstützten Beobachtung eine Schulung der Beobachter im Umgang mit dem verwendeten Equipment (z.B. Videokameras) erfolgen.
Während der konkreten Beobachtung können verschiedene technische Hilfsmittel eingesetzt werden, wobei generell zwischen Geräten, die die Protokollierung unterstützen bzw. einen Teil dieser erledigen, und solchen, die selbständig eine vollständige Protokollierung vornehmen, unterschieden werden kann. Erstere erledigen beispielsweise die Protokollierung der Zeit, während der Beobachter nur noch die selektierten Ereignisse protokollieren muß, zu letzteren gehören z.B. Video- und Tonbandgeräte.
3. Auswertung
Nach der Erhebung des Datenmaterials erfolgt dessen Auswertung und Deutung, gegebenenfalls nach vorheriger statistischer Aufbereitung. Hierzu gehört auch die Relativierung der gewonnenen Daten, d.h. das kritische Hinterfragen, in wie weit diese tatsächlich Informationen für die Aufgabenstellung der Studie enthalten (soweit dies noch nicht im Vorfeld geklärt werden konnte). Zwei wichtige Aspekte hierzu sind die Reliabilität und die Validität. Unter Reliabilität versteht man die Zuverlässigkeit der gewonnenen Daten. Waren die Beobachter während des Protokollierens beispielsweise häufig unsicher oder abgelenkt, so werden reale und protokollierte Merkmale und Ereignisse mit großer Wahrscheinlichkeit stärker divergieren als ohne diese Einflüsse, die gewonnenen Daten weisen also eine geringere Reliabilität auf. Unter Validität versteht man die Gültigkeit der beobachteten Daten in Bezug auf ihre Deutung, d.h. ob wirklich das beobachtet wurde, was beobachtet werden sollte, oder ob nicht vielleicht ganz andere Einflußfaktoren die Daten verfälschen.
4. Diskussion
Bei jeder wissenschaftlichen Beobachtung gibt es mehrere Punkte zu berücksichtigen, die sich nicht durch reine Formalismen beschreiben lassen.
Die Frage, in wie weit die Form der Durchführung einer Beobachtung die Ergebnisse verfälscht, ist immer zu beachten. So ist zwar bei einer teilnehmenden Beobachtung meist ein tieferer Einblick in die Geschehnisse möglich (wenn z.B. der Beobachter in das zu beobachtende Milieu eingebracht werden muß), auf der anderen Seite besteht die Gefahr, daß er dann (unbewußt) die Geschehnisse nach seinen vorhandenen Vorstellungen lenkt, so daß im Zweifelsfall eher ein hypothesenkonformes Verhalten der beobachteten Personen zu beobachten ist als ohne den teilnehmenden Beobachter, also ein gewisses Maß an beobachtungsverfälschender Manipulation stattfindet. Auch schränkt eine teilnehmende Beobachtung den maximalen Standardisierungsgrad der Beobachtung ein, da der Beobachter sonst überfordert wäre.
Auch bei einer offenen Beobachtung, insbesondere bei apparativen Beobachtungen besteht die Gefahr, daß sich die Beobachtungsobjekte aufgrund der Anwesenheit des Beobachters nicht natürlich verhalten, sondern über den Sinn der Beobachtung spekulieren und sich 'sozial erwünscht' verhalten, und auch so wieder ein verfälschtes Bild der Realität entsteht. Eine verdeckte Beobachtung kann sich dafür im Gegenzug als wesentlich schwieriger realisierbar erweisen und liefert auch meist einen weniger tiefen Einblick in die Geschehnisse. Auch bleibt es meist ungewiß, ob die Beobachtung tatsächlich unentdeckt blieb.
Genau die gleichen Punkte müssen natürlich auch bei Laborstudien (auch mit seminaturalistischem Setting) berücksichtigt werden, da diese nie wirklich verdeckt sein können, selbst wenn es die eigentliche Beobachtung ist.
Ein weiterer Einflußfaktor, der immer vorhanden ist, ist der Beobachter selbst. Da dieser sich auf seine Wahrnehmung verlassen muß, und diese zwangsweise Fluktuationen (beispielsweise der Aufmerksamkeit) unterworfen ist, und sich manchmal auch persönliche Deutungen bei der Protokollierung nicht vermeiden lassen, entsteht hierdurch immer ein verzerrtes Bild der Realität. Deshalb bietet sich der Einsatz mehrerer Beobachter bzw.