Inhaltsverzeichnis
Die falsch verstandene Lehre Luthers als Ansporn für Bonhoeffer
Die Überwindung des Mißverständnisses: Gehorsam
Biblische Beschreibung von Gehorsam bei den Synoptikern
Die Anwendung auf den Leib Christi
Zusammenfassung und Schlußfolgerungen für ein Christsein heute
Literaturverzeichnis
Selbständigkeitserklärung
1. Die falsch verstandene Lehre Luthers als Ansporn für Bonhoeffer
Dietrich Bonhoeffer war evangelischer Theologe und steht somit ganz und gar in der Tradition der Reformation, wenn er ,,auch keiner theologischen Richtung oder Schule"1 explizit zuzuordnen ist. Kennzeichnend für ihn sind die starke Grundlegung der Bibel2 in seinem theologischen Werk sowie die Frage nach Jesus Christus3. Diese Arbeitsweisen prägen auch sein Buch ,,Nachfolge". Dieses Werk entstand zu einer Zeit, zu der Bonhoeffer Grund zu großer Sorge um die Kirche hatte4. Er will ihrem mißlichen Zustand auf den Grund gehen und aufzeigen, wie der verhängnisvolle Weg, der die Kirche in diese Lage gebracht hat, korrigiert werden kann.
Die Wurzel allen Übels ist für Bonhoeffer ein falsches Gnadenverständnis. In einem kurzen theologiegeschichtlichen Abriß zeigt er auf, wie im Lauf der Kirchengeschichte das biblische Gnadenverständnis, das sich am Lebensweg des Petrus nachzeichnen läßt, verloren gegangen ist und sich ein falsches Gnadenverständnis entwickelt und durchgesetzt hat, das erst mit Martin Luther wieder eine entscheidende Veränderung erfuhr, als dieser im Kloster erkannte, daß Nachfolge Jesu nicht eine exklusive Sonderleistung einiger weniger Menschen ist, sondern ein notwendiges Gebot an alle Christen. Da das Mönchtum so nichts anderes als Verdienstlichkeit war, mit welcher der Mensch vor Gott scheitern mußte, kehrte Luther daraufhin aus dem Kloster wieder zurück und brachte so die Erkenntnis von der Rechtfertigung des Sünders (nicht der Sünde!) durch Gnade wieder in die Welt. Doch bei seinen Schülern unterlag seine Erkenntnis einem verhängnisvollen Mißverständnis. Zwar hatte Luthers Formulierung ,,allein aus Gnade" bei ihnen noch Bestand, jedoch vergaßen sie, die Nachfolge mit einzubeziehen, so daß die Gnade bei ihnen zur Voraussetzung, also billige Gnade und Rechtfertigung der Sünde wurde, wohingegen bei Luther selbst die Nachfolge nie außen vor blieb und die Gnade das Resultat, also teuer und Rechtfertigung des Sünders war. Die Folge in der Gegenwart Bonhoeffers ist der Niedergang der Kirche5. Doch auch der Einzelne leidet unter der Lehre von der billigen Gnade, weil er, im Ungehorsam hart geworden, Jesu Ruf in die Nachfolge nicht Folge leistet.6 Ausgehend von dieser gegenwärtigen Lage der evangelischen Kirche, wie Bonhoeffer sie erlebte, ist es nun sein Anliegen, dieses Mißverständnis des Luthertums zu korrigieren7. In Zusammenhang mit den theologiegeschichtlichen Ausführungen zum Gnadenverständnis taucht auch der Begriff ,,Gehorsam" zum ersten Mal auf. Gehorsam gehört zur Nachfolge untrennbar dazu: Weil Menschen ,,Christus in vollkommenem Gehorsam nachfolgen"8 wollten, gingen sie ins Kloster; so auch Luther. Da aber nach Luthers Erkenntnis ,,Nachfolge Jesu (...) nun mitten in der Welt gelebt werden"9 mußte, war auch ,,der vollkommene Gehorsam"10 im Alltag zu leisten.11 Der Fehler der Schüler Luthers lag schließlich darin, den Gehorsam von der Gnade zu trennen12. Wenn Bonhoeffer nun diesen Denkfehler zu korrigieren versucht, dann spielt der Gehorsam dabei eine entscheidende Rolle, weil es nach seiner Auffassung genau daran in der evangelischen Kirche mangelt: Die unbarmherzige billige Gnade hat den Menschen daran gehindert, ,,erste Schritte in der Nachfolge in der Zucht des Gehorsams"13 zu tun. Darum soll im folgenden untersucht werden, was der Begriff Gehorsam meint.
2. Die Überwindung des Mißverständnisses: Gehorsam
Der Hauptteil des Buches widmet sich einer ausführlichen und biblisch begründeten Beschreibung von Bonhoeffers Vorstellung von Nachfolge als christliche Existenz. Das wesentliche Kriterium von Nachfolge ist dabei der Gehorsam. Der Aufteilung des Buches folgend ergeben sich zwei Teilbereiche:
2.1 Biblische Beschreibung von Gehorsam bei den Synoptikern
In unmittelbarer Anknüpfung an seinen Ausgangspunkt, den im Mißverständnis des Luthertums begründeten kritischen geistlichen Zustand der Kirche, zeigt Bonhoeffer zu Beginn seiner Ausführungen, die den Begriff des Gehorsams biblisch erklären wollen, anhand von Mk. 2,14 den Kontrast zwischen kirchlicher Gegenwart und biblischer Praxis: ,,Die Antwort des Jüngers [auf den Ruf Jesu: ,,Folge mir nach!"] ist nicht ein gesprochenes Bekenntnis des Glaubens an Jesus, sondern das gehorsame Tun."14 Auf eine Aufforderung folgt also unverzüglich das entsprechende Handeln.
Im Zentrum der Betrachtung steht bei Bonhoeffer hier nun zunächst der Ruf in die Nachfolge als der Schritt zum Glauben. Wichtig ist Bonhoeffer dabei, daß es Jesus Christus ist, der hier Gehorsam fordert: Im Mittelpunkt steht nicht Levi, der in die Nachfolge eintritt, sondern Jesus Christus, der in dieser Stelle seinen Anspruch auf den Menschen aufrichtet.15 Jesus Christus ist als Sohn Gottes (und nicht als Idee oder Lehre) die Grundlage des christlichen Glaubens und das autorisiert ihn, in die Nachfolge zu rufen. Echtes Christentum existiert für Bonhoeffer folglich nur dort, wo Jesu Aufforderung nachgekommen wird.16
Anschließend stellt Bonhoeffer anhand von Lk. 9,57-62 drei Prinzipien vor, die im Zusammenhang mit Jesu Aufforderung und dem zu leistenden Gehorsam wichtig sind.17
Zunächst muß die Aufforderung ergangen sein, bevor man ihr nachkommen kann, Jesus muß gerufen haben, bevor das entsprechende Handeln folgt. Eine Handlung von sich selbst aus, ohne Aufforderung ist für Bonhoeffer nicht legitim. Weiterhin verliert alles andere, wie groß und heilig es auch sein mag, an Bedeutung, wenn denn die Aufforderung ergeht. Und schließlich können keine Bedingungen von seiten dessen gestellt werden, der gerufen wird: Entweder er ist gehorsam oder nicht.
Damit deutet sich auch schon Bonhoeffers nächster großer Gedanke an: Der erste Schritt.18 Jesus brachte in die Wirklichkeit der damaligen Jünger eine neue Dimension von Glaube: Konnten sie bisher in aller Ruhe ihr Leben und ihren Glauben leben, so ist mit Jesu Aufforderung, ihm nachzufolgen, ein Schritt aus ihrer bisherigen Situation heraus in eine neue Situation gefordert. Nur in dieser neuen Situation sieht Bonhoeffer nun Glaube überhaupt erst möglich19. Deshalb führt der Weg zum Glauben über den Gehorsam gegen Jesu Aufforderung: Der Angesprochene muß tun, was Jesus sagt, andernfalls kann er nicht zum Glauben kommen20. Das bringt nun den Doppelsatz ,,Nur der Glaubende ist gehorsam und nur der Gehorsame glaubt"21 hervor. Bonhoeffer betont die Zusammengehörigkeit beider Sätze und lehnt ein einseitiges Verständnis ab22. Während gemeinhin der Gehorsam als logische Folge des Glaubens angesehen wird, die früher oder später schon eintreten wird, hebt Bonhoeffer hervor, daß Glaube und Gehorsam gerade zeitlich nicht voneinander getrennt werden können; lediglich was die Rechtfertigung anbelangt kann, ja muß es zur Trennung von Glaube und Gehorsam kommen: ,,Um der Rechtfertigung willen müssen ja Glaube und Gehorsam getrennt werden, aber diese Trennung darf niemals die Einheit beider aufheben, die darin liegt, daß Glaube nur im Gehorsam existiert, niemals ohne Gehorsam ist, daß Glaube nur in der Tat des Gehorsams Glaube ist."23 Gerechtfertigt wird der Mensch also weiterhin nur aufgrund seines Glaubens und nicht aufgrund seiner Taten, die er im Gehorsam tut; echter Glaube äußert sich jedoch nur in den Taten der Gebote, also im Gehorsam. Um dem in der Einleitung erwähnten Mangel an Gehorsam24, der aus einer Überbetonung des ersten Teils des Doppelsatzes resultiert, entgegenzuwirken, betont Bonhoeffer trotz seines Hinweises auf die Zusammengehörigkeit der beiden Sätze in seinen Ausführungen enorm stark den zweiten Teil: Nur der Gehorsame glaubt. Damit ist zweierlei gesagt: Zum einen ist Glaube erst durch einen Gehorsamsakt möglich25, zum anderen ist der Gehorsam für den dann Gläubigen ein sicheres Kennzeichen, an dem echter Glaube abgelesen werden kann26. Was nun den Schritt zum Glauben betrifft, so besteht der Gehorsam zunächst in der bloßen Äußerlichkeit des Einnehmens einer neuen Existenzweise. Allerdings darf eine solche Tat nicht mißverstanden werden als Voraussetzung für den Glauben. Voraussetzung ist, daß Christus ruft. Zwar muß die Handlung erfolgen, denn ,,der Ungehorsame kann nicht glauben"27, aber nur auf eine Aufforderung hin.
An einem Beispiel aus der Seelsorge verdeutlicht Bonhoeffer dies. Die Ursache für mangelnden Glauben ist stets Ungehorsam, d.h. ein bewußtes Nichttun dessen, von dem man eigentlich weiß, daß man es zu tun hätte. Dem kann man nur mit einer eindeutigen Ermahnung zum Gehorsam wirksam entgegentreten, ohne dabei aber Werkgerechtigkeit zu predigen, sondern lediglich, um unechten Glauben als das zu entlarven, was er ist.28 Zum Abschluß des Kapitels ,,Der Ruf in die Nachfolge" veranschaulicht Bonhoeffer seine Ausführungen an den biblischen Beispielen vom reichen Jüngling (Mt. 19,26-22) und vom versucherischen Schriftgelehrten (Lk. 10,25-29). Beide wollen sich mit Hilfe des ethischen Konflikts darum drücken, das zu tun, was Jesus ihnen sagt. Den reichen Jüngling ruft Jesus daraufhin in die Nachfolge. Somit hängt für ihn wiederum alles an der Frage, ob er Jesu Aufforderung nachkommt oder nicht. Ebenso verhält es sich beim versucherischen Schriftgelehrten: Der ethische Konflikt kann nicht gegen Gottes Gebot ausgespielt werden, Jesus verweist seinen Gesprächspartner darauf, nicht unnötig zu fragen und zu diskutieren, sondern einfach das zu tun, was er ohnehin schon weiß und zwar jederzeit.29 Somit bestätigt sich die anfangs kurz angedeutete30 Definition von Gehorsam, als das entsprechende Handeln zu einer erhaltenen Aufforderung, als das kompromißlose Tun dessen, was Jesus sagt, damit der Mensch zum Glauben kommt und dieser Glaube sich als echter Glaube bewährt.
Nachdem nun also klar ist, daß der Mensch im Glauben um Gehorsam nicht herum kommt, versucht Bonhoeffer als nächstes, ein falsches Verständnis von Gehorsam auszumerzen. Dabei stellt er erneut die biblische Praxis in Kontrast zur kirchlichen Gegenwart:31 Während für den biblischen Hörer nie ein Zweifel daran bestand, daß er genau das zu tun hatte, wozu Jesus ihn aufgefordert hat, neigt die heutige Christenheit dazu, ein solches Verhalten als gesetzlich zu brandmarken und somit unter dem Deckmantel der evangelischen Freiheit das zu verweigern, was Bonhoeffer ,,einfältigen Gehorsam" nennt, was dazu führt, daß oftmals das genaue Gegenteil dessen, was Jesus gemeint hat, getan wird. Die Ursache sieht Bonhoeffer in der zunächst an sich richtigen Argumentation, daß Jesus die Menschen immer zum Glauben führen will, wobei Glaube Gemeinschaft mit Jesus bedeutet32. Folglich hängt alles am Glauben und nicht an den Taten. So weit, so gut; nur darf ein solches ,,paradoxes Verständnis" der Gebote Jesu nicht dazu führen, ein wörtliches, ,,einfältiges" Verständnis von vornherein auszuschließen. Nach Bonhoeffer ist das paradoxe Verständnis gar nur für den legitim, ,,der an irgendeinem Punkt seines Lebens mit dem einfältigen Verständnis schon ernstgemacht hat (...) Es ist also (...) in dem paradoxen Verständnis (...) das wörtliche immer mit eingeschlossen"33. Andernfalls würde man sich wieder auf den Weg der billigen Gnade begeben und einem falschen Glauben verfallen34. Außerdem beruht für Bonhoeffer eine Eliminierung des wörtlichen, konkreten Tuns dessen, was Jesus sagt auf einem falschen Schriftverständnis: Der Heilige Geist erschließt dem Menschen die Schrift, indem er ihm Christus zeigt und dieser wiederum führt in der Bibel nur Leute in seine Gemeinschaft, die seinen Aufforderungen nachkommen35. Das bedeutet nun, daß der Mensch also nicht mit einem billigen Ausweg davonkommt, indem er einen sog. wahren Gehorsam innerlich, ,,im Glauben"36 leistet, sich also z.B. selber vorgaukelt: ,,Zwar mache ich es nicht wirklich, aber innerlich wäre ich dazu bereit.", sondern daß es ihm aufgetragen ist, den Geboten Jesu konkret Folge zu leisten. Das aber wiederum nicht, um sich vor Gott als besonders tüchtig darzustellen oder Voraussetzungen für den Glauben zu erfüllen, sondern schlicht und einfach deshalb, weil nur eine solche Verhaltensweise zum Ziel führt und das heißt zum echten Glauben an Jesus37. Auch hier bleibt nicht außen vor, daß der Mensch nicht eigenmächtig handeln soll, sondern daß es immer Jesus ist, der den Gehorsam an den Menschen heranträgt. Es wird noch zu zeigen sein, wie es zu verstehen ist, wenn Bonhoeffer, davon redet, daß ,,der Schritt in die Situation (...) keine freie Möglichkeit des Menschen"38 ist. Im folgenden39 weist Bonhoeffer auf zwei Konsequenzen hin, die der Gehorsam gegen Jesu Ruf in die Nachfolge mit sich bringt. Zwar fällt der Begriff ,,Gehorsam" in diesem Zusammenhang faßt nicht, aber es ist klar, daß er damit zu tun hat. Der Mensch ist zum Glauben an Jesus gerufen und dieser Aufforderung soll er Folge leisten. Wenn er es tut - Jesus zwingt niemanden, er stellt es jedem frei40 - hat das Konsequenzen: Zum einen wird es ihm Unannehmlichkeiten einbringen, Leid. Die Bibel nennt es, ,,sein Kreuz auf sich nehmen" (Mk. 8,34). In der Praxis gestaltet sich das individuell verschieden, aber zwei Dinge bleiben nach Bonhoeffer keinem erspart: ,,Das Sterben des alten Menschen in der Begegnung mit Jesus Christus"41, d.h. als Christ ein neues Leben beginnen, dessen sichtbares Zeichen die Taufe ist, sowie Schuld und Sünde anderer Menschen zu vergeben42. Die zweite Konsequenz ist der Verlust jeglichen direkten Verhältnisses zur bisherigen Lebensumwelt. Ein solcher ,,Bruch"43, wie Bonhoeffer es nennt, ist nicht zu vermeiden, weil Christus der Mittler ist und er in jegliches Verhältnis und jegliche Beziehung eintritt. Der Mensch lebt also nur noch über seinen Glauben in seiner Lebensumwelt. So negativ diese beiden Konsequenzen auch klingen mögen: Weil sie letztendlich nur der Gemeinschaft mit Christus dienen, also den Glauben des Menschen vertiefen, deshalb sind sie im Grunde positiv44.
So ist nun zum Schritt zum Glauben in der Theorie alles gesagt: Jesus hat eine eindeutige Forderung, die angemessene Reaktion des Menschen darauf ist das entsprechende Handeln, und der Mensch weiß auch, worauf er sich einläßt. Das ist das Grundprinzip des Gehorsams beim Schritt zum Glauben. In der nun folgenden Auslegung der Bergpredigt richtet sich Bonhoeffer an diejenigen, die Jesu Ruf gefolgt sind, die im Glauben stehen. Denn auch sie unterliegen dem Anspruch Jesu, gehorsam zu sein.
Nach den einleitenden Worten Jesu über die Existenz derer, die er in die Nachfolge gerufen hat (Seligpreisungen, Worte über Salz und Licht)45, folgt die Passage über Jesu Stellung zum Gesetz, Mt. 5,17-20, die Bonhoeffer unter der Überschrift ,,Christi Gerechtigkeit" auslegt. Dabei geht es um die Gerechtigkeit, die vom Gesetz gefordert wird. Bonhoeffer zeigt, daß die Pharisäer diese Gerechtigkeit durch ihr Tun erlangen wollten. Aus diesem Grund war sie unvollkommen, weil immer auch ein Teil nicht erfüllt werden konnte. Dagegen ist die Gerechtigkeit des Jüngers besser, vollkommen, denn sie muß nicht durch ein Tun erlangt werden, sondern ist für den Jünger schon vorhanden, weil Jesus das Gesetz erfüllt hat (Mt. 5,17).46 Folglich muß sich der Jünger also nicht mehr darum bemühen, gerecht zu werden, er ist es schon, weil er von Jesus in die Nachfolge gerufen ist und somit Anteil bekommen hat an der vollkommenen Gerechtigkeit Christi47. Das aber wiederum bedeutet nun gerade nicht, daß das Gesetz fortan keine Gültigkeit für die Jünger hätte, im Gegenteil! Gerade durch ihre Bindung an Jesus gilt das Gesetz auch für sie (Mt. 5,17-19)48. Also wird auch von ihnen ein Tun gefordert, zwar nicht, um gerecht zu werden, aber gewissermaßen um dem Ausdruck zu verleihen, was sie sind, nämlich Gerechtfertigte durch Christus. So endet Bonhoeffer in diesem Abschnitt bei der Erkenntnis: ,,Auch Christi Gerechtigkeit soll nicht nur gelehrt, sondern eben getan werden."49 Der gehorsame Jünger ist demnach der, der seine Gerechtigkeit tut. Alles, was in der Bergpredigt nun an Geboten folgt, sind praktische Ausdrucksweisen dieser Tatsache, daß der Christ gerechtfertigt ist durch Jesus. Von entscheidender Bedeutung ist es, daß das Tun dieser Gerechtigkeit zwar nach außen hin sichtbar wird (Salz und Licht!), dem, der handelt aber verborgen bleibt, indem er es nicht als eine bewußt fromme Übung tut, bei der er öffentlich gesehen werden möchte, sondern als etwas selbstverständliches, das für ihn selbst gar nicht etwas außerordentliches ist50. Gehorsam sein als Glaubender heißt also in einer ganz und gar unspektakulären Weise Dinge tun, die einem selbst als selbstverständlich erscheinen, bei denen man nie auf die Frage kommt, weshalb man das denn tun solle, die man einfach von innen heraus macht. Von innen heraus deshalb, weil eine solche Lebensweise nur dem möglich ist, der ein getaufter Christ ist, denn durch den Heiligen Geist wohnt Christus selbst in ihm51. Daß das Tun der Gerechtigkeit nach außen hin sichtbar wird, darum muß sich keiner bemühen, denn ,,die Stadt auf dem Berg kann nicht verborgen bleiben"52, Gott sorgt für die notwendige öffentliche Wirkung53.
Dies aber sind nun die selbstverständlichen Dinge, die der Glaubende tut: Die Unantastbarkeit des Lebens anderer Menschen achten54, in den sexuellen und zwischenmenschlichen Beziehungen keusch und rein leben55, völlige Wahrhaftigkeit pflegen56, durch Verzicht auf Gegenwehr und Erleiden von Unrecht die rechte Vergeltung üben57 und selbst den Feind lieben58. Daneben beten59, fasten60, die Güter der Welt gebrauchen und nicht ansammeln, um so nur einem Herrn zu dienen und der Fürsorge Gottes zu vertrauen, sowie der Gemeinschaft mit Jesus und dem Gehorsam gegen seine Gebote Vorrang zu geben vor allem anderen61. Schließlich im Umgang mit anderen Menschen kein eigenes Recht und keine eigene Macht beanspruchen, indem man nicht verurteilt, seine eigenen Grenzen anerkennt, betet und an ihnen nur so handelt, wie auch an einem selbst gehandelt werden soll62. Am Ende der Bergpredigt schließt sich der Kreis, denn Jesus stellt, wie auch schon am Anfang seiner Rede63, eindeutig fest, daß es auf ein Tun ankommt, denn nur, wer Gottes Willen tut, wird ins Himmelreich eingehen (Mt. 7,21). Allerdings wird keiner aufgrund seines Gehorsams am Jüngsten Tag errettet werden, sondern nur, wer von Jesus erkannt ist. Solche Menschen bauen allein auf Gottes Gnade und ihr Handeln ist nichts anderes als die Entsprechung dazu64.
Als krönenden Abschluß seiner Rede fügt Jesus dem noch das Bild vom Hausbau hinzu, in dem er noch einmal deutlich macht, daß er will, daß seine Jünger seine Worte umsetzen und das, was er fordert, tun65. Hier wiederholt sich also, was zum Anfang der Bergpredigt bereits gesagt wurde: Gehorsam heißt in Entsprechung zu seinem Status als Gerechtfertigter vor Gott handeln, dem Ausdruck verleihen, ,,seine Gerechtigkeit tun"66.
Während Bonhoeffer in seinem Gedankengang über Nachfolge nun noch eine Auslegung zu Mt. 9,35 - 10,42 folgen läßt, können wir nun schon eine erste Bilanz über den Begriff Gehorsam ziehen: Gehorsam sein bedeutet prinzipiell in unverzüglicher Entsprechung zu einer ergangenen Aufforderung ohne wenn und aber genau so zu handeln, wie es von einem verlangt wird. Das gilt sowohl für den, der vor dem Schritt zum Glauben steht, als auch für den, der diesen Schritt schon hinter sich hat und bereits im Glauben steht. Ersterer vollzieht so den wichtigen ersten Schritt zum Glauben, letzterer verleiht so seinem neu gewonnenen Status vor Gott als durch den Glauben Gerechtfertigter in konkreten Taten, wie Jesus sie in seinen Geboten fordert, sichtbaren Ausdruck. Dadurch wird die eigene Rechtfertigung, die man durch Jesus Christus erlangt hat, sichtbar. Wichtig dabei ist, daß sich echter Gehorsam dadurch auszeichnet, daß das jeweilige Handeln einem selbst selbstverständlich erscheint. Geleistet wird der Gehorsam in Kraft des Heiligen Geistes, denn durch ihn wohnt Christus selbst im Menschen.
Nach dieser synoptischen Herleitung des Begriffes Gehorsam ist es nun nötig, ihn aus der Zeit Jesu und seiner Jünger auf die Zeit nach dem Osterereignis zu übertragen.
2.2 Die Anwendung auf den Leib Christi
Der zweite Teil der ,,Nachfolge" geht von einer neuen Ausgangssituation aus: Jesus ist nicht mehr als Mensch leibhaftig gegenwärtig, sondern die Zeit der nachösterlichen Gemeinde ist angebrochen. Das wirft die Frage auf, wie Nachfolge unter diesen veränderten Voraussetzungen aussieht und wie sich diese neue Lage auf den Begriff des Gehorsams auswirkt.
Zunächst stellt Bonhoeffer klar, daß der Ruf Jesu in die Nachfolge, also seine Aufforderung zum bewußten und aktiv gelebten Glauben und zur Gemeinschaft mit ihm, heute noch genauso zu vernehmen ist wie zu biblischen Zeiten. Anders ist nur, daß Jesus nicht mehr leibhaftig an den Menschen vorübergeht. Dafür gibt es nun die Kirche als Ort seiner Gegenwart in Predigt und Sakrament, in der heute sein Ruf zu hören ist. Was Jesus aber zu sagen hat, ist auch heute nicht anders als damals: Er fordert Glauben, Gottes- und Nächstenliebe und ruft in seine Gemeinschaft. Predigt und Sakrament sind die dafür notwendigen heutigen Kommunikationsmittel Jesu.67 Damit wehrt Bonhoeffer bereits im Keim Versuche, sich dem Anspruch Gottes zu entziehen, indem man etwa die Frage stellt, ob Jesus denn heute nicht ganz anders zu uns reden würde, ab68. Der Mensch der nachösterlichen Gemeinde steht also unter dem gleichen Anspruch Gottes wie der Mensch zur Zeit Jesu. Bonhoeffer legt nun im folgenden Paulus aus als Beispiel nachösterlicher Nachfolge. Dabei fällt als erstes der Begriff Taufe auf. Bereits im ersten Teil ist uns dieser Begriff begegnet, nämlich als eine Konsequenz des Gehorsams gegen Jesu Ruf in die Nachfolge69 sowie als Voraussetzung dafür, daß der im Glauben stehende Mensch zum rechten Gehorsam fähig ist70. Hier nun erfährt der Begriff Taufe zentrale Bedeutung: Der Taufe entsprechen Ruf und Eintritt in die Nachfolge: Sie ist nicht Angebot des Menschen, sondern Angebot Gottes, in dem der von Christus bereits vollzogene Bruch am Einzelnen vollstreckt wird und der alte Mensch getötet wird. Gleichzeitig ist die Taufe der sichtbare Gehorsamsakt, den Jesus forderte, wenn er Menschen in seine öffentlich sichtbare Nachfolge rief: Der Jünger gesellte sich zu den übrigen Jüngern, der nachösterliche Mensch zu den Gliedern der Kirche.71 Bonhoeffer überträgt also schematisch seine im ersten Teil heraus gearbeiteten Erkenntnisse auf die nachösterliche Situation. Jesu Aufforderung zum Glauben, die durch die Kirche verkündet wird, leistet der Mensch Folge, indem er sich taufen läßt, ohne dabei aber Taufe als ,,mechanischen Vorgang" zu verstehen72.
Wer nun getauft ist, der gehört zum Leib Christi. Hier geht Bonhoeffer nun einen Schritt weiter, indem er sagt, daß auch nach Jesu Himmelfahrt noch leibliche Gegenwart und Gemeinschaft Jesu existiert, nämlich in Form des ,,Leibes Christi" und d.h. der Kirche73, auf die Bonhoeffer den Begriff des ,,neuen Menschen" münzt: Dieser neue Mensch, den es anzuziehen gilt (Eph. 2,14), ist nicht der gerechtfertigte Mensch, sondern Christus und seine Kirche74: ,,Ein neuer Mensch werden heißt in die Gemeinde kommen, (...)"75. Wo Jesus also in seine Gemeinschaft ruft, da bedeutet das für den Menschen nach dem Osterereignis, sich der christlichen Gemeinde anzuschließen.
Dazu gehört es, seinen Glauben für jedermann sichtbar zu leben.76 Während die Jünger dazu mit Jesus mitgehen mußten, kann der nachösterliche Glaubende dazu auch in seinem Beruf und an seinem bisherigen Ort bleiben, sofern Jesus dort in Form von Kirche gegenwärtig ist77. Entscheidend ist, daß er sich stets treu zu Christus und seiner Gemeinde hält und dem sichtbar Ausdruck verleiht durch Gottesdienstbesuch und ein entsprechendes, gehorsames Leben78. So lebt der Mensch schließlich als Heiliger im Sinne eines gerechtfertigten Sünders, der von Gott angenommen ist und fortan von Welt und Sünde getrennt zu Gottes Heiligtum, zur Gemeinde gehört79. Durch die Heiligung wird sein Leben erhalten und bewahrt bis zum letzten Gericht, bei dem nur der bestehen wird, der Gottes Willen tut (Mt. 7,21).80 Das fordert erneut Gehorsam, die Umsetzung der Gebote Gottes in konkrete Taten. Schließlich ist dem Gläubigen die Verheißung, Christus gleich zu werden gegeben (Röm. 8,29).81 Wohlgemerkt handelt es sich um eine Verheißung und nicht um eine Aufgabe für den Menschen. Es geht hier nicht darum, einen Anspruch zu erfüllen, sondern es ist Christus, der sich im Menschen personifiziert82. Das setzt natürlich die Taufe voraus83. Hier werden nun Bibelstellen wie Gal. 2,20 oder Phil. 1,21 für Bonhoeffer wahr und konkret: ,,Das Leben Jesu Christi ist auf dieser Erde noch nicht zu Ende gebracht. Christus lebt es weiter in dem Leben seiner Nachfolger."84 Von diesem Verständnis her ist der neutestamentliche Anspruch einer Existenz kacw\j Xristo/j zu verstehen: ,,Weil wir zum Ebenbilde Christi gemacht sind, darum sollen wir sein wie Christus."85 Das ist die Voraussetzung dafür, daß der Mensch in der Lage ist, in direkter Entsprechung zu Jesu Gebot zu handeln86.
Am Ende des zweiten Teils von Bonhoeffers Ausführungen kann zum Überblick an den Kapitelüberschriften entlang gegangen werden, um sich zu verdeutlichen, was gehorsame Nachfolge als nachösterlicher Gläubiger bedeutet: Die Taufe empfangen, zur christlichen Gemeinde gehören, dort für jedermann sichtbar seinen Glauben leben, seine Existenz als Heiliger zum Ausdruck bringen und so schließlich nach und nach dem Bild Christi gleichgestaltet werden.
3. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen für ein Christsein heute
Dietrich Bonhoeffer ermahnt in seinem Buch ,,Nachfolge" die Christenheit, wieder aufmerksamer auf die Stimme Christi zu hören, wie sie den Menschen in der Bibel und in der kirchlichen Verkündigung erreicht. Dieses Hören ist es, was den Begriff ,,Gehorsam" kennzeichnet und woran des entsprechende Verb ,,gehorchen" ja ebenfalls anklingt: Gehorsam hat mit Hören zu tun87. In Bonhoeffers Ausführungen spielt dabei immer wieder der Ruf eine wichtige Rolle, den es zu hören gilt und der Gehorsam fordert88. Der Gehorsam wiederum besteht darin, daß auf das Hören Taten folgen: Der Aufforderung, die in einem solchen Ruf enthalten ist, soll in konkreten Taten, die der Aufforderung entsprechen, Folge geleistet werden89.
Dazu sind zwei Ebenen zu unterscheiden. Auf der ersten Ebene geht es um den Schritt zum Glauben, zu dem Gott den Menschen auffordert in dem sog. Ruf in die Nachfolge. Gehorsam sein heißt hier, ein Christ werden90. Auf der zweiten Ebene geht es dann um die Existenz als gläubiger Mensch. Hier heißt Gehorsam, den durch den Glauben gewonnenen Status als vor Gott Gerechtfertigter sichtbar zum Ausdruck kommen lassen, was sich im Halten der Gebote, im Tun der Gerechtigkeit niederschlägt91.
Der Begriff des Gehorsams bringt unweigerlich auch die Frage nach der Freiheit des Menschen mit sich, denn ,,Gehorsam" bezeichnet ein Unterordnungsverhältnis: Einer befiehlt etwas und der andere tut es, gehorcht, weil jener über ihm steht und Autorität besitzt. An einer Stelle spricht Bonhoeffer davon, daß der Schritt zum Glauben keine freie Möglichkeit des Menschen ist92. Im Kontext des ganzen Buches ist das wohl folgendermaßen zu verstehen: Es ist insofern keine freie Möglichkeit für den Menschen, weil immer erst ein Ruf vorausgehen muß, bevor der Mensch eine legitime Handlung auszuführen vermag93. Daneben kann der Mensch nicht ohne Zutun des Heiligen Geistes zum Glauben kommen94. Da der Ruf zum Glauben heute durch Predigt und Sakrament der Kirche ergeht95 und sich an alle Menschen richtet96, bedeutet dies, daß der einzelne Mensch überall dort, wo Kirche präsent ist, den Schritt zum Glauben tun kann - das Wirken das Heiligen Geistes natürlich immer mit gedacht. Man darf hier also nicht dem Mißverständnis unterliegen, der Mensch würde von Gott quasi übertölpelt und zum Glauben gezwungen, ohne sich dagegen wehren zu können. Er kann den Ruf auch ablehnen: ,,Komm zur Kirche! das kannst du kraft deiner menschlichen Freiheit. (...) Tust du es nicht, so schließt du dich willkürlich von dem Ort aus, an dem geglaubt werden kann."97
Außerdem stellt sich die Frage nach der Freiheit auch für denjenigen, der im Glauben steht. Es war die Rede davon, daß nur der gehorsam sein kann, der als getaufter Christ den Heiligen Geist besitzt und in dem so Christus selbst allmählich Gestalt gewinnt.98 Das darf aber nicht so verstanden werden, daß der Mensch dadurch zu einer Art Marionette Gottes wird, denn er bleibt ja weiterhin Sünder99. Das bedeutet, daß er von sich selbst aus völlig unfähig wäre zum Gehorsam. Schon in Joh. 15,5b sagt Jesus: ,,Ohne mich könnt ihr nichts tun." Erst durch Gottes Hilfe ist der Mensch überhaupt dazu in der Lage, seine Gerechtigkeit zu tun100. Und zwar in der Weise, daß er in der Taufe den Heiligen Geist empfängt und er sich fortan in einem Gleichgestaltungsprozeß mit Christus befindet, der Schritt für Schritt den Menschen verändert und nach und nach zum Gehorsam fähig macht101.
Zusammenfassend läßt sich also zur Frage nach der Freiheit folgendes sagen: Gott bietet dem Menschen Rechtfertigung und Heil sowie Kraft zum Gehorsam an. Der Mensch entscheidet jedoch, ob er Gottes Angebot wahrnimmt und sich darauf einläßt - oder auch nicht102. Damit ist auch schon fast eine weitere Frage beantwortet, nämlich die, ob Bonhoeffer nicht zu viel verlangt mit seiner Forderung nach Gehorsam. Zunächst ist diese Forderung ja nichts spezifisches von Bonhoeffer, sondern er bezieht sie aus einer umfassenden Betrachtung der Bibel, die Gottes Wort bezeugt; außerdem haben auch vor ihm schon Theologen in diese Kerbe geschlagen, z.B. Schlatter103. Nicht Bonhoeffer ist es also, der hier scheinbar völlig unmögliche Forderungen aufstellt, sondern Gott selbst ist es, der diese Forderung an den Menschen richtet. Außerdem wurde gezeigt, daß der Mensch dabei nicht unter Ansprüche gestellt wird, die er nicht zu erfüllen vermag. Denn er bekommt von Gott durch den Heiligen Geist die Fähigkeit zum Gehorsam ja mitgeliefert. Wie es Bonhoeffer in seinem Vorwort ebenfalls sagt: ,,Jesus fordert nichts von uns, ohne uns die Kraft zu geben, es auch zu tun."104 Für den Menschen am Ende des 20.Jahrhunderts bedeutet dies nun folgendes: Er ist von Gott zum Glauben gerufen. Deshalb soll er sich aufmachen und aktives Mitglied einer christlichen Gemeinde werden, wo er, falls das noch nicht als Kind geschehen ist, die Taufe empfangen soll. Nun gehört er zum Leib Christi und steht in einer Beziehung zu Jesus Christus. Dieser will ihn durch seinen Heiligen Geist verändern und befähigen, seine Gebote zu halten. Der zu leistende Gehorsam kommt folglich aus der Beziehung zu Christus, die einen Prozeß der Gleichgestaltung mit Christus an dem Gläubigen freisetzt. Das wiederum führt dazu, daß der Christ schrittweise dazu in der Lage ist, seine Gerechtigkeit in selbstverständlicher Weise zu tun.
Mayer bringt das in der Formulierung ,,Akt-Seinsenheit des Glaubens"105 auf den Punkt: Akt und Sein bilden eine Einheit, was der Mensch tut und was er ist gehören zusammen und entsprechen einander. Das drückt in anderen Worten aus, was Bonhoeffer mit einer Einheit von Glaube und Gehorsam meint: Glaube und Gehorsam sind sozusagen die beiden Seiten einer Münze, die da heißt Christsein. Nur wenn die Münze auf beiden Seiten entsprechend geprägt ist, besitzt sie einen Wert. Jeweils ohne eine der beiden Seiten wäre sie wertlos. Dies bestätigt ein kurzer Blick in den Römerbrief: In diesem theologisch so wertvollen und wichtigen Dokument, dessen zentrales Thema die Gerechtigkeit aus Glauben ist (vgl. Röm. 1,16f), schreibt Paulus an einer Fülle von Stellen von Gehorsam: Röm. 1,5; 6,16f; 10,16; 15,18; 16,19.26.
Zum Schluß soll aber auch noch eine kritische Anmerkung gemacht werden. Die Frage des Scheiterns bleibt bei Bonhoeffer völlig außen vor. Er scheint gar nicht damit zu rechnen, daß ein Mensch, auch wenn er die Kriterien eines Christen, ja auch eines gehorsamen Christen erfüllt, dennoch dieses Buch liest und dann feststellt, wenn er sein Leben ansieht, daß es eine schier endlos lange Liste von Punkten gibt, die nicht den biblischen Maßstäben entsprechen. Man könnte nun darauf verweisen, daß es nach Bonhoeffer ja gerade so sein muß, daß der Mensch selbst das nicht sieht in seinem Leben, wenn er gehorsam ist.106 Doch wer sich damit tröstet, läuft wohl bereits wieder Gefahr, einen billigen Weg einzuschlagen. Allerhöchstens indirekt läßt sich diese Frage aus Bonhoeffers Ausführungen beantworten, nämlich mit Hilfe des bereits erwähnten Gleichgestaltungsprozeß mit Christus.107 Der Begriff Prozeß bringt es mit sich, daß eine längere Dauer gemeint ist und daß die Gleichgestaltung mit Christus und somit die Fähigkeit zu einem vollkommenen Gehorsam eben nicht von heute auf morgen eintritt, sondern schrittweise, nach und nach, in einzelnen Etappen.108 Doch bleibt Bonhoeffer schuldig, wann das Ziel dieses Prozesses erreicht wird, ja ob es überhaupt ein Ziel gibt, das jemals erreicht werden soll im Sinne eines vollendeten Abschlusses: Wann ist der Mensch Christus vollkommen gleich? Aber vielleicht liegt gerade darin der Trost: Der Mensch wird nie perfekt sein, also braucht er sich auch nicht zu grämen, wenn er immer wieder wunde Punkte in seinem Leben entdeckt, an denen es ihm an Gehorsam mangelt. Sollte ihn diese Sicht allerdings dazu verleiten, Gehorsam gleich ganz und gar bleiben lassen zu wollen, dann hat er Bonhoeffer nicht richtig verstanden. Denn es geht nicht darum, perfekt zu werden, sondern seine Gerechtigkeit zu tun.
Literaturverzeichnis
Bethge, Eberhard: Freiheit und Gehorsam bei Bonhoeffer (1977), in: ders. (Hg.), Am gegebenen Ort. Aufsätze und Reden 1970-1979, München 1979, S. 63-82.
Die Bibel nach der Ü bersetzung Martin Luthers. Bibeltext der revidierten Fassung von 1984, hg. v. der EKD, Stuttgart 1985.
Bibel von A-Z. Wortkonkordanz zur Lutherbibel nach der revidierten Fassung von 1984, hg. v. der Deutschen Bibelgesellschaft, 2. verbesserte Auflage, Stuttgart 1994. Bonhoeffer, Dietrich: Nachfolge (DBW 4), hg. v. Martin Kuske und Ilse Tödt, 2. durchgesehene und korrigierte Auflage, München 1994.
Härle, Wilfried: Art.: Bonhoeffer, Dietrich (1906-1945), in: Theologenlexikon. Von den Kirchenvätern bis zur Gegenwart, S. 41-42.
Krause, Gerhard: Art.: Bonhoeffer, Dietrich (1906-1945), in: TRE 7, S. 55-66.
Mayer, Rainer: Christuswirklichkeit. Grundlagen, Entwicklung und Konsequenzen der Theologie Dietrich Bonhoeffers, Stuttgart 1969.
Schlatter, Adolf: Das Evangelium nach Matthäus. Ausgelegt für Bibelleser (Erläuterungen zum Neuen Testament 1), Stuttgart 1969.
[...]
1 Krause, Gerhard: Art.: Bonhoeffer, Dietrich (1906-1945), in: TRE 7, S. 58.
2 Vgl. Krause, TRE 7, S. 58f.
3 Vgl. Härle, Wilfried: Art.: Bonhoeffer, Dietrich (1906-1945), in: Theologenlexikon. Von den Kirchenvätern bis zur Gegenwart, S. 41.
4,,Ist der Preis, den wir heute mit dem Zusammenbruch der organisierten Kirchen zu zahlen haben, etwas anderes als eine notwendige Folge der zu billig erworbenen Gnade?"Bonhoeffer, Dietrich: Nachfolge (DBW 4), hg. v. Martin Kuske und Ilse Tödt, 2. durchgesehene und korrigierte Auflage, München 1994, S. 40; vgl. S. 7 & 21.
5 Vgl. oben S. 3.
6 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 29-43.
7,,Einfach, weil wir es nicht leugnen wollen, (...) daß wir wohl Glieder einer rechtgläubigen Kirche (...), aber nicht mehr ebenso Glieder einer nachfolgenden Kirche sind, muß der Versuch gemacht werden, Gnade und Nachfolge wieder in ihrem rechten Verhältnis zueinander zu verstehen."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 42.
8 Bonhoeffer, Nachfolge, S. 33.
9 Bonhoeffer, Nachfolge, S. 35.
10 Bonhoeffer, Nachfolge, S. 35.
11 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 35.
12,,Man kann die Tat Luthers nicht verhängnisvoller mißverstehen als mit der Meinung, Luther habe mit der Entdeckung des Evangeliums der reinen Gnade einen Dispens für den Gehorsam gegen das Gebot Jesu (...) proklamiert."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 35.
13 Bonhoeffer, Nachfolge, S. 41.
14 Bonhoeffer, Nachfolge, S. 45.
15 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 45.
16 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 47.
17 Vgl. zum folgenden Bonhoeffer, Nachfolge, S. 48-50.
18 Vgl. zum folgenden Bonhoeffer, Nachfolge, S. 50-57.
19,,Der Gerufene muß aus seiner Situation, in der er nicht glauben kann, in die Situation, in der allererst geglaubt werden kann."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 50.
20,,Der Weg zum Glauben geht durch den Gehorsam gegen den Ruf Christi."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 51.
21 Bonhoeffer, Nachfolge, S. 52.
22,,Es ist eine schwere Einbuße an biblischer Treue, wenn wir den ersten Satz ohne den zweiten lesen."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 52.
23 Bonhoeffer, Nachfolge, S. 52.
24 Vgl. oben S. 4.
25,,Es liegt an dem ersten Schritt."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 53.
26 Vgl. oben, S. 6.
27 Bonhoeffer, Nachfolge, S. 55.
28 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 57-59.
29 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 60-67.
30 Vgl. oben S. 5.
31 Zum folgenden vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S.69-76.
32,,Der Befehl Jesu (...) hat tatsächlich nur das eine Ziel, den Menschen zum Glauben, d.h. in seine Gemeinschaft zu rufen."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 72.
33 Bonhoeffer, Nachfolge, S. 73.
34,,(...) nur im konkreten Gehorsam wird der Mensch frei zum Glauben."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 73.
35,,(...) der Christus, der uns in der Schrift verkündigt wird, ist durch sein ganzes Wort hindurch ein solcher, der den Glauben nur dem Gehorsamen und nur dem Gehorsamen den Glauben schenkt."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 75.
36 Bonhoeffer, Nachfolge, S. 70.
37,,Auf diesen Ruf gibt es nur die Antwort des einfältigen Gehorsams und dies darum, weil eben diesem Gehorsam die Verheißung der Gemeinschaft mit Jesus gegeben ist."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 71.
38 Bonhoeffer, Nachfolge, S. 76; vgl. unten S. 17.
39 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 77-95.
40 Mk. 8,34; vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 78f.
41 Bonhoeffer, Nachfolge, S. 81.
42,,Sündenvergebung ist gebotenes Christusleiden des Jüngers. Es ist allen Christen auferlegt."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 82.
43 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 87 & S. 92.
44,,Wer sein Kreuz nicht aufnehmen will, wer sein Leben nicht zum Leiden und zur Verwerfung durch die Menschen geben will, der verliert die Gemeinschaft mit Christus, (...)"Bonhoeffer, Nachfolge, S. 82; vgl. S. 87 & S. 90.
45 Mt. 5,1-16; vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 99-115.
46 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 115-121.
47,,Die Gerechtigkeit der Jünger ist Christi Gerechtigkeit. (...) geschenkt durch den Ruf in die Nachfolge."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 121.
48,,(...) echte Bindung an Jesus nur mit der Bindung an das Gesetz Gottes geschenkt (...)"Bonhoeffer, Nachfolge, S. 119.
49 Bonhoeffer, Nachfolge, S. 121.
50,,Der Nachfolgende tut im schlichten Gehorsam den Willen des Herrn als das Außerordentliche und weiß in allem nur darum, daß er nicht anders kann, daß er also das schlechthin Selbstverständliche tut."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 155; vgl. S. 150-157.
51,,Wer kann so leben (...)? Keiner als der, der nach seinem alten Menschen gestorben ist durch Christus und in seiner Gemeinschaft der Nachfolge ein neues Leben gefunden hat. (...) Nun lebt nicht mehr er, sondern Christus lebt in ihm."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 156f.
52 Mt. 5,14; vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 112.
53,,Gott will uns das Verborgene zeigen. Die Öffentlichkeit ist der von Gott geordnete Lohn der Verborgenheit. Die Frage ist nur, wo und von wem der Mensch diesen Lohn der Öffentlichkeit empfängt."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 156.
54 Mt. 5,21-26; vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 121-126.
55 Mt. 5,27-32; vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 126-129.
56 Mt. 5,33-37; vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 129-134.
57 Mt. 5,38-42; vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 134-139.
58 Mt. 5,43-48; vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 140-149.
59 Mt. 6,5-15; vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 157-163.
60 Mt. 6,16-18; vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 163-166.
61 Mt. 6,19-34; vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 167-175.
62 Mt. 7,1-12; vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 176-183.
63 Vgl. oben S. 10f.
64,,(...) das Tun aber [wird] zum Korrelat der Gnade, der gegenüber eben der Mensch nichts mehr anderes vermag, als demütig zu gehorchen und zu dienen."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 188; vgl. S. 183-190.
65 Mt. 7,24-29; vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 190-192.
66 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 121; vgl. oben S. 11.
67 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 215-218.
68,,All diese Fragen wollen nicht mit der Tatsache rechnen, daß Jesus Christus nicht tot, sondern heute lebendig ist und durch das Zeugnis der Schrift noch zu uns spricht." Bonhoeffer, Nachfolge, S. 215.
69 Vgl. oben S. 10 sowie Bonhoeffer, Nachfolge, S. 81.
70 Vgl. oben S. 11 sowie Bonhoeffer, Nachfolge, S. 156f.
71 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 219-226.
72 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 223f.
73,,Die Kirche ist der gegenwärtige Christus selbst." Bonhoeffer, Nachfolge, S. 232
74,,So ist der ,neue Mensch` zugleich Christus und die Kirche."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 233.
75 Bonhoeffer, Nachfolge, S. 233; vgl. S. 227-239.
76 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 241-268.
77,,Jetzt aber ist der Leib Christi durch Wort und Sakrament nicht mehr an einen einzigen Ort der Erde gebunden."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 254.
78,,Im Beruf bei Gott bleiben, heißt eben mitten in der Welt am Leibe Christi in der sichtbaren Ge- | meinde bleiben, im Gottesdienst und im Leben in der Nachfolge das lebendige Zeugnis der Überwindung dieser Welt ausrichten."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 255.
79,,Im Heiligtum aber verbindet sich der Heilige mit seinem Volk. (...) Das Heiligtum aber ist der Tempel und der Tempel ist der Leib Christi."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 270; vgl. oben zu ,,Leib Christi".
80 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 269-296.
81 Vgl. zum folgenden Bonhoeffer, Nachfolge, S. 297-304.
82,,Der Gestalt Jesu Christi gleichzuwerden, ist nicht ein uns aufgegebenes Ideal der Verwirklichung irgendeiner Christusähnlichkeit. Nicht wir machen uns zum Ebenbilde, sondern es ist das Ebenbild Gottes selbst, es ist die Gestalt Christi selbst, die in uns Gestalt gewinnen will (Gal. 4,19)."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 300f.
83 Vgl. oben S. 14 und S. 10.
84 Bonhoeffer, Nachfolge, S. 303.
85 Bonhoeffer, Nachfolge, S. 303.
86,,Hier geschieht der schlichte Gehorsam gegen das Wort."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 304.
87 Vgl. Bethge, Eberhard: Freiheit und Gehorsam bei Bonhoeffer (1977), in: ders. (Hg.): Am gegebenen Ort. Aufsätze und Reden 1970-1979, München 1979, S. 71.
88 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 45ff, 69ff u. ö.
89,,Der konkrete Ruf Jesu und der einfältige Gehorsam hat seinen unwiderruflichen Sinn. (...) darum ruft er so konkret und will eben so verstanden werden, weil er weiß, daß nur im konkreten Gehorsam der Mensch frei wird zum Glauben."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 73; vgl. oben S. 8f.
90,,Nur der Gehorsame glaubt."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 53; vgl. oben S. 6.
91,,Auch Christi Gerechtigkeit soll nicht nur gelehrt, sondern eben getan werden. (...) Von diesem Tun (...) redet alles folgende."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 121; vgl. oben S. 10f.
92 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 76 und oben S. 9.
93,,Der Schritt in die Situation ist eben kein Angebot des Menschen an Jesus, sondern immer das gnädige Angebot Jesu an den Menschen."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 76; vgl. oben S. 5.
94,,Er ist es, der Christus den Einzelnen bringt (Eph. 3,17; 1.Kor. 12,3)."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 235.
95 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 215-218.
96 Vgl. 1.Tim. 2,4.
97 Bonhoeffer, Nachfolge, S. 54.
98 Vgl. oben S. 11 und S. 16.
99,,Zwar bleiben die Heiligen die gerechtfertigten Sünder."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 275.
100 Vgl. Phil. 2,13.
101 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 300-304.
102,,Er muß in die freie Luft der Entscheidung."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 59; vgl. S. 65.
103 Vgl . Schlatter, Adolf: Das Evangelium nach Matthäus. Ausgelegt für Bibelleser (Erläuterungen zum Neuen Testament 1), Stuttgart 1969, S. 63; S. 117 u. ö.
104 Bonhoeffer, Nachfolge, S. 23.
105 Mayer, Rainer: Christuswirklichkeit. Grundlagen, Entwicklung und Konsequenzen der Theologie Dietrich Bonhoeffers, Stuttgart 1969, S. 152; vgl. S. 156f.
106,,Gott hat Gefallen an seinen Heiligen; denn er selbst ist es, der | ihren Kampf und ihr Sterben wirkt, und eben darin die Frucht der Heiligung treiben läßt, von der die Heiligen ganz gewiß sein sollten, daß sie da ist, auch wenn sie ihnen tief verborgen bleibt."Bonhoeffer, Nachfolge, S. 284; vgl. S. 150ff.
107 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 297ff und oben S. 18f.
108 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 302.
- Arbeit zitieren
- Mario Ertel (Autor:in), 1999, Der Begriff Gehorsam in Dietrich Bonhoeffers Buch -Nachfolge-, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96021