Erziehung im Grundgesetz


Ausarbeitung, 1999

18 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung
1. Umfang und Aufgabenstellung
2. Das Grundgesetz

II. Artikel 7: Schulwesen
1. Absatz 1: Aufsicht des Staates
2. Absatz 4: Private Schulen
3. Absatz 5: Private Volksschule
4. Absatz 6: Vorschulen

III. Artikel 6: Ehe, Familie, nichteheliche Kinder
1. Absatz 1: Ehe und Familie
2. Absatz 2: Pflege und Erziehung, Elternrecht
3. Absatz 3: Trennung von der Familie
4. Absatz 4: Mutterschutz
5. Absatz 5: Uneheliche Kinder

IV. Artikel 5: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit

V. Religionsunterricht im Grundgesetz
1. Historische Entwicklung
2. Artikel 7, Absatz 2: Teilnahme am Religionsunterricht
3. Artikel 7, Absatz 3: Religionsunterricht
4. Artikel 141: Bremer Klausel

VI. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

1. Umfang und Aufgabenstellung

Entsprechend der Themenstellung finden nur die Artikel des Grundgesetz Beachtung, die sich mit der Bildung und Erziehung befassen. Eine Gliederung des Referates ergibt sich aus den behandelten Artikeln.

Im Mittelpunkt steht der Artikel 7 GG, der sich explizit mit dem Schulwesen beschäftigt. Die rechtliche Stellung des Religionsunterrichtes, die in Artikel 7 GG ausgeführt ist, wird aus Gründen der besseren Übersicht und zum besseren Verständnis als eigenes Kapitel behandelt. Weiterhin ist Artikel 6 GG, der sich mit der Ehe und Familie befaßt zu behandeln, da die Erziehung nicht nur Aufgabe der Schule ist, sondern auch in der Familie stattfindet. Der Artikel 5 GG ist nur soweit von Interesse, wie er die Freiheit der Forschung und der Lehre behandelt. Es werden noch einige andere Artikel des Grundgesetzes aufgeführt, aber nur wenn sie zum Verständnis notwendig sind.

Am Anfang steht ein kurzer Überblick über das Grundgesetz.

2. Das Grundgesetz

Das Grundgesetz wurde am 23.5.1949 durch Unterzeichnung der Originalurkunde durch den Parlamentarischen Rat und unter Beteiligung von Vertretern Berlins ausgefertigt und durch den Präsidenten des PR Dr. Adenauer verkündet [vergl. Art. 145 GG]. Der PR umfaßte 65 stimmberechtigte Mitglieder und 5 nichtstimmberechtigte Vertreter Berlins [Bonn, S. 85 Einl.].

Die Staatsgewalt darf in einem Rechtsstaat nur auf Grundlage der Verfassung und nach Maßgabe der Gesetze ausgeübt werden. Das GG der Bundesrepublik Deutschland macht sich den Typus Rechtsstaat zu eigen. Hervorzuheben sind die Gewaltenteilung, die Bindung der Exekutive und der Judikative an Gesetze, die Grundrechte und die Vorsorge und Abhilfe gegen staatliches Unrecht.

Im Bezug auf die Erziehung und Bildung stellt das GG nur einen Rahmen dar, die genaue rechtliche Ausgestaltung ist aufgrund der Staatsordnung der Bundesrepublik Sache der Länder. Das Schulrecht fällt also zum großen Teil in die Zuständigkeit der einzelnen Länder, die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund, Ländern Kommunen und Gemeinden wird im GG selber aber nicht geregelt. Es spricht nur vom Staat als Gesamtheit aller Regierungsorgane. Im GG werden keine Bildung- oder Erziehungsziele festgelegt. Auch die Struktur des Schulwesens und die Frage nach Schulrecht und Schulpflicht, sowie die Stellung zwischen Lehrer und Schüler können nur durch Interpretation durch die Rechtsprechung erfolgen.

II. Artikel 7: Schulwesen

Der Artikel 7 GG behandelt verschiedene Einzelfragen des Schulwesens. In ihm werden einige wichtige Rechtspositionen für den Schulbetrieb bundeseinheitlich festgelegt. Die Regelung des Schulwesens fällt überwiegend in die Zuständigkeit der Länder [Maunz, S. 7 7]. Als Träger der Kulturhoheit sind die Länder anzusehen1 [Bonn, S. 2]. Die Länder sind aber nicht in der Ausgestaltung des Schulwesens frei sonder unbestritten an das GG gebunden.

Im Mittelpunkt steht, daß die Bundesrepublik eine freiheitliche, antitotalitäre, antidirigistische Staatenordnung darstellt. Der Staat ist sicher an der Erziehung der Kinder beteiligt, muß aber einzelne Bürger und den Zusammenschlüssen der Bürger etwas Wesentliches zum Entscheiden übriglassen [Maunz, S. 7 7]. Dies gilt auch für den Bereich Schule, sonst würde der Staat verfassungswidrig handeln. Aus Artikel 7 GG kann man ableiten, daß es in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur eine Freiheit der Lehre und Forschung2, sondern auch eine Freiheit der Erziehung gibt [Maunz, S. 7 7]. Damit leitet sich auch die pädagogische Freiheit des Lehrers ab [Maunz, S. 7 44]. Die Erziehung ist im Sinne des GG ist das Heranbilden eigenverantwortlicher Persönlichkeiten.

Die Rechtsordnung von Staat und Schulwesen soll eine Friedensordnung sein, die an das Anliegen aller denkt oder auf ein Zusammenwirken der pluralistischen Gesellschaft hinwirkt. Die Grundsätze der inneren Neutralität und der weltanschaulichen Toleranz hat im Schulbereich ein besonderes Gewicht [Maunz, S. 7 7].

Wichtig ist, daß die Hochschulen nicht zum Schulwesen im Sinne des Artikel 7 GG gerechnet werden [Jarass, S. 160 und Leibholz, S. 7].

1. Artikel 7, Absatz 1: Aufsicht des Staates

(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

Unter Schulwesen versteht man die Gesamtheit alle Einrichtungen, die sich mit der Vermittlung von Bildungsgütern in Schulen befassen [Maunz, S.7 7]. Damit sind also alle öffentlichen und privaten Schulen, alle allgemeinbildenden sowie berufbildenden Schulen gemeint. Der Oberbegriff ist das Bildungswesen, dies ist die Gesamtheit aller Bildungsräume, also Schule, Familie, Kirche, Gesellschaft und auch Arbeitsstätten.

Als Schule bezeichnet man heute im allgemeinen eine auf gewisse Dauer berechnete, an fester Stätte, unabhängig vom Wechsel der Lehrer und Schüler organisierte Einrichtung der Erziehung und des Unterrichts. Wichtig dabei ist die planmäßig und methodische Unterweisung eines größeren Personenkreises [Maunz, S. 7 12]. Nicht auf längere Dauer berechnet sind z. B. Arbeitsgemeinschaften, Lehrgänge, Vortragsreihen, Nachhilfeunterricht, keinen Unterricht erteilen Kindergärten, kein zusammenhängendes Programm haben Volkshochschulen, daher sind diese alle keine Schulen im Sinne des Artikel 7 GG [Jarass, S. 161, Maunz, S. 7 12 u. 7 13]. Liegt eine Schule im Rechtssinn vor, so werden ihr auch Unternehmungen zugerechnet, die mit dem Zweck der Schule unmittelbar zusammenhängen [Maunz, S. 7 13]. Dies können sein Schultheater, Schulsportwettkämpfe, Schulbüchereien und Schulfahrten. Auch die Schulverwaltung unterliegt diesem Gesetz, da sie unmittelbar zur Schule gehört. Dem Staat steht die Schulplanung und die Möglichkeit der Einwirkung auf Einrichtung, Änderung und Aufhebung der einzelnen öffentlichen Schulen zu [Leibholz, S. 8]. Zu diesem staatlichen Gestaltungsbereich gehört nicht nur die organisatorische Gliederung, sondern auch die inhaltliche Festlegung der Ausbildungsgänge und Unterrichtsziele.

Der Erziehungsauftrag des Staates ist eigenständig und dem Erziehungsrecht der Eltern gleichgestellt, keinem kommt ein absoluter Vorrang zu. Der Staat kann dennoch in der Schule grundsätzlich unabhängig von den Eltern eigene Erziehungsziele verfolgen [Leibholz, S. 8].

Die Gesamtheit der Schulen in der Bundesrepublik Deutschland kann in unterschiedlicher Weise unterteilt und gegliedert werden. Dies ist mit Hilfe er Übersicht auf der nächsten Seite gut zu erkennen.

BILD

Private Schulen sind alle Schulen, die nicht öffentliche Schulen sind, sie unterteilen sich in Ersatz- und Ergänzungsschulen. Die Ersatzschulen entsprechen den Bildungszielen der öffentlichen Schulen, die Ergänzungsschulen haben immer andere Bildungsinhalte und -ziele als die öffentlichen Schulen.

Die Aussage „unter Aufsicht des Staates“ muß durch die Rechtslehre und Rechtsprechung ausgelegt werden. Das GG hat offensichtlich das Ziel, daß Schulwesen im Einflußbereich des Staates zu legen, nach Abs. 2 ff ergibt sich durchaus eine Abstufung der Einfluß nach Art der Schule. Totale Unabhängigkeit vom Staat kann es nach dem GG für keine Schule oder Zweige des Schulwesens geben [Maunz, S. 7 17]. Der Staat hat aber folgende Schranken bei der Aufsicht über die Schulen zu beachten.

a) Recht auf kommunale Selbstverwaltung der Schulen
b) Grundrechte anderer Rechtsträger, z. B. Eltern, Schüler und Lehrer
c) Rechtsstellung der Religionsgemeinschaften
d) Beamtenrechtliche Regelungen, vor allem von Lehrern. [Maunz, S. 7 19]

Man unterscheidet zwischen äußeren Schulbereich, was die Errichtung, Erhaltung und das Vermögen der Schule umfaßt. Für dieser äußere Schulbereich ist im allgemeinen die Gemeinde zuständig. Für den inneren Schulbereich, der die Erziehung und den Unterricht umfaßt ist der Staat verantwortlich.

2. Artikel 7, Absatz 4: Private Schulen

(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet.

Dieser Absatz gibt jedem das Recht private Schulen einzurichten und zu betreiben. Es gibt kein staatliches Schulmonopol. Die Privatschulen bieten den Eltern die Gelegenheit, ihre Kinder nach anderen als den staatlichen Bildungszielen erziehen zu lassen und erlauben den privaten Schulträgern und Lehrern selbstgewählte Bildungsinhalte und gemäß der eigenen pädagogischen und didaktischen Gesichtspunkte zu vertreten. Eine private Schule darf nicht wegen ihren privaten Charakters rechtlich schlechter gestellt werden als eine öffentliche Schule [Maunz, S. 7 47 u.48].

Artikel 7 GG, Abs. 4, Satz 2 bezieht sich auf die Ersatzschulen.

Private Schulen als Ersatz füröffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen.

Die Ersatzschule bedarf also der Genehmigung durch den Staat. Beachtet werden muß, ob sie sich zu Lehrzielen bekennt, die denen der öffentlichen Schulen dem Anschein nach gleich oder ähnlich sind. Es ist nicht erforderlich, daß solche öffentlichen Schulen mit den entsprechenden Lehrzielen auch bestehen, sondern es genügt, daß solche Schulen im öffentlichen Schulwesen des betreffenden Landes vorgesehen sind [Maunz, S. 7 51]. Da Schulrecht im weitesten Sinne Landesrecht ist, kann es vorkommen, daß ein und derselbe Privatschultyp nicht in allen Ländern Ersatzschule ist. Die Privatschulfreiheit wird durch diese vom förderativen Aufbau der Bundesrepublik her bedingte Ungleichheit nicht verletzt [Maunz, S. 7 51]. Dieser sogenannte Genemigungsvorbehalt gilt nicht für Ergänzungsschulen [Jarass, S. 165].

Die Voraussetzung für den Rechtsanspruch auf Genehmigung der Ersatzschule wird in Abs.4, Satz 3 und 4 bezeichnet.

Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die private Schule in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter denöffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

Die Lehrziele sind die Gesamtheit aller Bildungsvorstellungen, die der Schulträger mit seiner Erziehungsarbeit anstrebt. Einrichtungen meint nicht nur die sächliche Ausstattung der Schule, sonder alles was zur Durchführung eines ordentlichen Schulbetriebs notwendig ist. Dies sind z. B. Pläne für die Verteilung des Lehrstoffes auf die gesamte Schulzeit und auf die einzelnen Schuljahre, aber auch die Stundenzahlfestlegung und die Klassenstärke. „Lehrziele und Einrichtungen“ bezeichnet somit den „gesamten lebenden Betrieb der Privatschule“ [Maunz, S. 7 52]. Wissenschaftliche Ausbildung der Lehrer meint die fachliche, pädagogische und unterrichtspraktischen Kenntnisse und Fähigkeiten der Lehrkräfte.

3. Artikel 7, Absatz 5: Private Volksschule

Artikel 7, Abs. 5 nennt die Voraussetzungen für die private Volksschule.

(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonde res pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eineöffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.

Die Sätze 2 bis 4 im Absatz 4 gelten uneingeschränkt auch für die privaten Volksschulen. Der Absatz 5 muß also noch zusätzlich erfüllt werden. Diese zusätzliche rechtliche Hürde schränkt die Genehmigung von privaten Volksschulen ein, der Staat möchte gerade im Volksschulbereich eine einheitliche Bildung für alle Kinder erreichen.

Das besondere pädagogische Interesse meint das öffentliche Interesse an der Erprobung und Fortentwicklung pädagogischer Konzepte sowie das Interesse an der angemessenen pädagogischen Betreuung spezieller Schülergruppen, welchen das öffentliche Schulwesen kein hinreichendes Angebot machen kann [Leibholz, S. 16].

4. Artikel 7, Absatz 6: Vorschulen

(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.

Vorschulen sind Sondereinrichtungen für Grundschulunterricht (Schulklasse 1 bis 4) für Kinder, die später weiterführende Schulen besuchen wollen. Sie wurde bereits in der Weimarer Verfassung im Artikel 147, Abs. 3 verboten. Es ist nicht ersichtlich, was den Verfassungsgeber bewogen haben mag diesen Wortlaut nochmals im GG zu erwähnen. Förderklassen in der Grundschule sind jedoch zulässig [Maunz, S. 7 65 u. 65].

III. Artikel 6: Ehe, Familie, nichteheliche Kinder

Im Gegensatz zu Artikel 7 GG (Schulwesen) befaßt sich Artikel 6 mit der Ehe und Familie. Hier finden sich nur in Absatz 2 und 3 Regelungen, die den Erziehungsgedanken im GG wiederspiegeln. Dennoch soll auch auf die anderen Absätze kurz eingegangen werden.

1. Art.6 Absatz 1: Ehe und Familie

Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

Dieser Absatz ist eine wertentscheidende Grundsatznorm und weist eine dreifache verfassungsrechtliche Bedeutung auf. Er enthält

- eine Institutsgarantie (diese schützen verfassungskräftig wichtige privatrechtliche Einrichtungen der Sozialordnung),
- Grundrecht auf Schutz vor störenden Eingriffen des Staates,
- Grundsatznorm für das gesamte Recht, welches die Ehe und Familie betrifft. [Schm, S. 211]

Daraus ergibt sich, daß die Familie ein „geschlossener eigenständiger Lebensbereich“ ist, der eine Spähre privater Lebensgestaltung garantiert. Ehe und Familie können mit keiner anderen Gemeinschaft verglichen werden, daher ist der ‘besondere Schutz’ notwendig. Als weitere Konsequenz aus diesem besonderen Schutz folgt die notwendige Förderung von Ehe und Familie. Mit Familie ist im GG nur die Familie im engeren Sinne gemeint, die Großfamilie o.ä. zählt also nicht dazu [Schm, S. 217].

2. Art.6 Absatz 2: Pflege und Erziehung, Elternrecht

Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

Absatz 2 garantiert den Eltern den Vorrang als Erziehungsträger gegenüber dem Staat, was durch das Wort ‘zuvörderst’ deutlich wird. Eltern haben das Recht und die Pflicht, die Pflege und Erziehung ihrer Kinder nach ihren eigenen Vorstellungen frei und vor anderen Erziehungsträgern zu gestalten, wobei allerdings Artikel 7 GG zu beachten ist. Aus der Verpflichtung des Staates, die Pflege und Erziehung zu überwachen, ergibt sich die verfassungsrechtliche Einwirkung auf das Prozeßrecht und seine Handhabung durch die Gerichte im Sorgerechtsverfahren. Diese Verknüpfung von Rechten und Pflichten der Eltern unterscheidet das Elternrecht von allen anderen Grundrechten, sie sind untrennbar miteinander verbunden. Dieser Rechte-Pflichten-Kreis wird als Elternrecht bezeichnet [Maunz, S. 6 19].

Da das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ein natürliches Verhältnis ist, folgt daraus konsequenterweise, daß das Elternrecht ein Naturrecht ist. Es ist demnach ein vorstaatliches Recht, es wurde vom Staat schon so vorgefunden.

Was ist jedoch nun genau mit ‘Pflege’ und ‘Erziehung’ gemeint? Diese beiden wichtigen Begriffe des Art.6 Abs.2 GG bedürfen noch einer genaueren Erläuterung. Unter Pflege versteht man die allgemeine Sorge für die Person des Kindes, sein körperliches Wohl und für seine charakterliche und körperliche Entwicklung. Hierbei ist die Pflege eher als statischer Begriff, d.h. auf die Erhaltung hin bezogen, zu sehen. Die Erziehung hingegen ist ein dynamischer Begriff, der auf die zukünftige Entwicklung bezogen ist. Sowohl Pflege als auch Erziehung sollen dabei dem „...Wandel bürgerlichrechtlicher Normen“ unterliegen [Maunz, S. 6 19].

Einige Änderungen haben auch seitens der Gesetzgebung im Gegensatz zur Weimarer Verfassung stattgefunden. Endete das Elternrecht in der WRV noch vor der Schule, so reicht es im GG auch in die Ausbildung und in die Schulfächer hinein. Das Elternrecht wurde also gestärkt und die elterliche Erziehung wurde der schulischen gleichgestellt. Dies bedeutet jedoch, das Schule und Eltern enger zusammenarbeiten müssen.

Die Grenzen des Elternrechts finden sich in der Überwachung der Erziehung durch den Staat. Im Konfliktfall bei Vernachlässigung des Erziehungsauftrages steht dabei immer das Wohl des Kindes im Mittelpunkt. An diesem muß der Staat alle Maßnahmen ausrichten.

Aus Artikel 6 Abs.2 GG (und Artikel 7) wird deutlich: je näher eine bestimmte Frage dem Themenbereich Schule zuzuordnen ist, desto geringer wird der Einfluß der Eltern. Im privaten Bereich ist hingegen der Einfluß der Schule stark eingeschränkt (z.B. berufl. Ausbildung des Kindes). Diese Art der Abstufung wird auch ‘Stufentheorie’ genannt.

3. Art.6 Absatz 3: Trennung von der Familie

Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

Im allgemeinen Fall werden Eltern auch als ‘Erziehungsberechtigte’ bezeichnet. Es müssen allerdings nicht zwangsläufig die Eltern, es kann auch z.B. das Jugendamt oder eine Ersatz-familie erziehungsberechtigt sein. Nach Absatz 3 haben die Eltern ein Abwehrrecht gegen Maßnahmen, die ohne gesetzliche Grundlagen und ohne Vorliegen bestimmter Voraussetzungen Kinder von ihrer Familie trennen. Gleichzeitig wird allerdings ein Vorbehalt für den Gesetzgeber begründet, unter eben diesen Voraussetzungen die Trennung zuzulassen; z.B. beim Versagen der Eltern. Ein Versagen liegt dann vor, wenn die Eltern sich „...einer länger dauernden Nichterfüllung der Pflichten unter Entziehung ihrer Verantwortung schuldig machen. Verwahrlosung des Kindes bedeutet ein Abgleiten in körperlicher, geistlicher oder sittlicher Hinsicht in einen Zustand der Anormalität oder Hilflosigkeit. Trennung ist entweder bei Versagen der Eltern oder bei Verwahrlosung des Kindes zulässig“. Hierbei bedeutet Trennung von der Familie die tatsächliche Trennung, wobei die Eltern-Kind- Beziehung mit allen Rechten und Pflichten grundsätzlich bestehen bleibt [Maunz, S. 6 33].

4. Art.6 Absatz 4: Mutterschutz

Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

Dieser Absatz gibt den Müttern ein echtes Grundrecht und konkretisiert das Sozialstaatprinzip. Hierraus kann daher kein weitergehender verfassungsrechtlicher Schutz hergeleitet werden [Schm, S. 220].

5. Art.6 Absatz 5: Uneheliche Kinder

Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Diesem Absatz liegt die Erkenntnis zugrunde, daß uneheliche Kinder im allgemeinen ungün-stigere Lebensbedingungen vorfinden als die ehelichen. Durch ihn wird eine günstigere Be-handlung des unehelichen Kindes gerechtfertigt. So sollen gleiche Bedingungen für die Ent-wicklung geschaffen werden. Desweiteren sollen den unehelichen Kindern die gleichen Rechte zugesichert werden wie den ehelichen.

Abschließend sei nochmal darauf hingewiesen, daß auch dieser Artikel zu den Grundrechten zählt, also nicht auf deutsche Staatsbürger beschränkt ist, sondern auch auf ausländische Mit-bürger angewendet wird.

IV. Artikel 5: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Freiheit der Kunst, Wissen-

schaft, Forschung und Lehre

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zuäußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den ge- setzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Der Artikel 5 hat nur indirekt etwas mit dem Erziehungsgedanken im GG zu tun. Daher sollen hier auch nur die Absätze 2 und 3 (Lehrfreiheit) genauer untersucht werden, die sich mit der Stellung des Lehrers gegenüber dem Staat und den Schülern befaßt.

Zur konkreten Regelung der Erziehung durch die Schule ist es notwendig, die genaue Stellung des Lehrers abzuklären, da er erheblichen Einfluß (gewollt oder ungewollt) auf die Schüler hat und durch ihn das Verhältnis zwischen Schüler und Staat mitbestimmt wird. „Mögen die Schul-behörden Pläne herausgeben und Weisungen erteilen, mögen Schul-, Fach- oder Klassenkonfe-renzen was auch immer beschließen, und mag der Schulleiter noch so umfassende Befugnisse zur Regelung des Unterrichts besitzen: das konkrete Unterrichtsgeschehen gestaltet allein der Lehrer.“ Dadurch sind die Kontrollmöglichkeiten seitens des Staates und auch der Eltern in Bezug auf den realen Unterricht eingeschränkt. Um so mehr muß der Lehrer darauf achten, die Grund-rechte der Schüler zu wahren. Aus diesem Grund wird im Artikel 5 Absatz 3 auf die Treue zur Verfassung hingewiesen.

Der Lehrer handelt im Auftrag des Staates, der durch ihn seinem Erziehungsauftrag nach-kommt. Somit benötigt der Lehrer zum einen Staatsrechte, zum anderen muß die Selbständig-keit des Lehrers auch rechtlich abgesichert sein, denn „nur freie Lehrer können zu freien Bür-gern erziehen.“ Dies geschieht ebenfalls im Artikel 5 Absatz 3. Allerdings wird die völlige Frei-heit der Lehre in der Rechtsprechung auf die Hochschule eingeschränkt, die sich auf die allge-meinen Gesetze nach Artikel 5 Absatz 2 stützt. Gründe für diese Einschränkung ist die unter-schiedliche Vorbildung und Eigenständigkeit der ‘Lernenden’: Schulkinder sind noch leichter durch den Lehrer zu beeinflussen als Studenten. Außerdem kann ein Student einer ‘unbrauch-baren’ Vorlesung fernbleiben, dem Schüler ist diese Möglichkeit aufgrund der Schulpflicht nicht gegeben.

V. Der Religionsunterricht im Grundgesetz (Artikel 7 Absatz 2 und 3, Artikel 141)

1. Historische Entwicklung

Der Religionsunterricht nimmt im Grundgesetz eine besondere Stellung ein. Es ist das einzige Fach, das explizit erwähnt wird. Diese Sonderstellung ist historisch zu begründen. Im schulischen Bereich war der kirchliche Einfluß lange Zeit besonders groß. Bereits im 8. Jahrhundert lag das Schulwesen in Hand der katholischen Kirche, nach der Reformation kam auch die evangelische Kirche hinzu. Allerdings war dieses Schulwesen noch kein allgemeines, die Schule war nur ausgewählten Personen zugänglich. In Folge des Absolutismus gegen Ende des 18. Jahrhunderts beanspruchte nun auch der Staat die Erziehung der Jugendlichen als seine Aufgabe. Aus diesem Grund findet sich der 1. Absatz des Artikel 7 GG bereits in der WRV wieder, wodurch sich Staat als Schulträger von den Kirchen abgrenzt. Schulaufsicht wird nun als der „Inbegriff der staatlichen Herrschaftsrechte verstanden, nämlich als Gesamtheit der staatlichen Befugnisse zur Organisation , Planung, Leitung und Beaufsichtigung des Schulwesens“ [Schm, S. 231].

Vor dem Hintergrund des schon immer problematischen Verhältnisses zwischen Kirche und Staat - nicht nur im Bereich des Schulwesens, sondern auch in anderen Machtbereichen - stellen nun der Absatz 2 und 3 des Artikels 7 GG den Rest kirchlicher Einflußnahme auf das Schulwesen dar. Desweiteren hat der Staat sich religiös neutral zu verhalten und die Religionsausübung nicht zu behindern (Artikel 4 GG).

2. Artikel 7, Absatz 2: Teilnahme am Religionsunterricht

(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht,über die Teilnahme des Kindes am Reli gionsunterricht zu bestimmen.

Dieser Absatz präzisiert den Artikel 4 GG (absolute Religionsfreiheit) in Bezug auf das Schulwesen. Niemand kann ein Kind dazu zwingen, am Religionsunterricht teilzunehmen; weder der Lehrer bzw. der Staat, noch die Religionsgemeinschaften. Dieses Recht liegt allein beim Kind bzw. den Erziehungsberechtigten. Nach der Rechtsprechung steht dieses Recht bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres allein den Eltern zu. Bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres hat das Kind ein Mitspracherecht, danach entscheidet es allein. Durch diese Entscheidung wird die Bekenntniszugehörigkeit jedoch nicht beeinflußt. Desweiteren ist auch hier, wie bereits in Kapitel III erwähnt, eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf Dritte möglich [Schm, S. 230].

3. Artikel 7, Absatz 3: Religionsunterricht

(3) Der Religionsunterricht ist in denöffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religi- onsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

Durch diesen Absatz wird der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der Bekenntnisfreien Schulen als ordentliches Lehrfach garantiert. Daraus ergibt sich ein Recht der Eltern und der Schüler darauf, daß Religionsunterricht in der Schule erteilt wird. Die Einrichtung des Religionsunterrichts ist für den Staat zwingend vorgeschrieben. Er muß auch die erforderlichen Räume zur Verfügung stellen, den Religionsunterricht im Lehrplan berücksichtigen sowie die Kosten tragen. Als ordentliches Lehrfach gehört der Religionsunterricht zu den Pflichtfächern der Schule, die grundsätzlich auch versetzungsrelevant sein können und im Zeugnis benotet werden. Allerdings läßt das GG den Ländern als Schulträgern einen Spielraum bei der Berücksichtigung des Religionsunterrichts bei der Versetzungsentscheidung.

Die Inhalte des Religionsunterrichts bestimmen die Religionsgemeinschaften. Sie geben den Lehrstoff und die zu vermittelnden Glaubenssätze vor. Die Einflußnahme seitens des Staates ist hingegen stark eingeschränkt. Er kann über die Ausbildung, Ernennung und Versetzung eines Religionslehrers entscheiden, sowie die Lehrberechtigung von einer kirchlichen Erlaubnis abhängig machen. Die Religionsgemeinschaften entscheiden sowohl über den Lehrstoff und die Lehrmethode, als auch darüber ob ein Laie oder ein Geistlicher den Unterricht erteilt.

Ein Zwang zur Erteilung des Religionsunterrichts seitens des Lehrers wird ebenfalls ausge- schlossen. Bei Verweigerung dürfen ihm keine Nachteile entstehen, selbst wenn er aufgrund einer Fächerkombination mit Religion eingestellt wurde. Er muß allerdings eine Versetzung an eine Schule hinnehmen, an der seine Kombination benötigt wird. Auch eine Teilnahme an Schulgebeten, Schulmessen ist freiwillig.

Diese Freiwilligkeit gilt jedoch nur für öffentliche Schulen. Private Schulen können

- über die Erteilung von Religionsunterricht entscheiden,
- Lehrer ablehnen, die keinen Religionsunterricht erteilen wollen,
- die Aufnahme von Schülern kann von der Teilnahme abhängig gemacht werden

4. Artikel 141: Bremer Klausel

Eine Einschränkung des Artikel 7 GG Absatz 3 Satz 1 findet sich in Artikel 141 GG, der sogenannten ‘Bremer Klausel’:

Artikel 7 Absatz 3 Satz 1 findet keine Anwendung in einem Lande, in dem am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand.

Bestand in einem Bundesland am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung, nach welcher der Religionsunterricht kein ordentliches Lehrfach der öffentlichen Schulen ist, genießen die Religionsgemeinschaften keinen verfassungsmäßigen Schutz nach Artikel 7 für die Einführung des Religionsunterrichts in den Lehrplan. Anwendung findet dieser Artikel nur in den Ländern Bremen und Berlin. In diesen Ländern wird kein Religionsunterricht im Sinne des GG erteilt. Anlaß zur Diskussion gab neuerdings das Land Brandenburg, das sich ebenfalls auf diese Klausel beruft.

VI. Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


1 vergl. dazu Artikel 70 GG

2 vergl. Artikel 5 GG, Abs. 3

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Erziehung im Grundgesetz
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
Veranstaltung
Seminar: Zum politischen System der Bundesrepublik Deutschland
Autoren
Jahr
1999
Seiten
18
Katalognummer
V96089
ISBN (eBook)
9783638087667
Dateigröße
363 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schriftliche Ausarbeitung zu einem Referat mit dem Titel "Erziehung im Grundgesetz". Es werden alle relevanten Artikel des GG behandelt, die sich mit der Erziehung und der Bildung beschäftigen. Mit Inhaltsverzeichnis und einer ausführlichen Literaturangabe
Schlagworte
Erziehung, Grundgesetz, Seminar, System, Bundesrepublik, Deutschland
Arbeit zitieren
J. Mück (Autor:in)K. Winter (Autor:in), 1999, Erziehung im Grundgesetz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96089

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