Die Rassismuskonzeption von Foucault. Ist Rassismus normal?


Seminararbeit, 2017

13 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

Versuch einer Definition von Rassismus und seine Veranschaulichung anhand von historischen Transformationen
Transformation der Differenzkonstruktionen Rasse und Kultur
Transformation des religiösen Rassismus
Die vier Momente von Rassismus

Normalität und Rassismus
Produktion von Ungleichheit am Beispiel der Überweisungspraxis in Sonderschulen
Normalität als Imagination von Ordnung
„Woher kommst du?“

Ordnen, Trennen, Messen – Kontrollierende und regulierende Ausschlusstechniken und ihre Entstehung unter dem Aspekt der Herausbildung von modernen Nationalstaaten
Leben machen, sterben lassen

Medien und Symbolik

Strategien zur Festlegung von Normalitätsgrenzen
„Das Boot ist voll“

Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Warum ich diese Arbeit über Rassismus schreibe: Weil es wichtig ist, dass Kind beim Namen zu nennen! Die Rassismusforscherin Birgit Rommelsbacher bemerkt, dass der Rassismusbegriff in der Diskussion in Deutschland und Österreich häufig gemieden wird und an seine Stelle vermehrt Begriffe wie Ausländerfeindlichkeit, Fremdenangst oder Fremdenfeindlichkeit treten. (Rommelsbacher 2009, 32). Der „hoch politisierte Begriff“ sei ihr zu folge sehr komplex und schwer abzugrenzen, sodass auf gesellschaftlicher und individueller Ebene oft Wiederstände aktiv sind, die dem Umgang mit ihm im Wege stehen (ebd. 25). Das Ziel dieser Arbeit ist es, ein möglichst umfassendes Bild vom Rassismus zu zeichnen und den LeserInnen die Entstehungsbedingungen und Wirkungsweisen von Rassismus in modernen, westlichen Nationalstaaten zu veranschaulichen. Ich möchte darüber informieren, durch welche Faktoren sich Rassismus im Allgemeinen kennzeichnet, und erörtern, wodurch sich der moderne Rassismus von früheren Erscheinungsformen unterscheidet. Dazu werde ich an Michelle Focaults Rassismuskonzeption anschließen und Rassismus als Normalität erzeugendes, diskursiv hervorgebrachtes Dispositiv beschreiben.

Als Dispositiv gedacht ist Rassismus ein Tragpfeiler der Normalisierungsgesellschaft, deren Machtstrukturen die Subjekte in qualifizierender, messender und abschätzender Form an der Norm ausrichten und davon Abweichende als Bedrohung für das Gemeinwohl kennzeichnen und schließlich ausschließen (Focault 2014, 139). Um Rassismus in dieser umfassenden Form zu kontrastieren, werde ich die historische Verschiebung der Machtstrukturen, die in einer auf das Leben gerichteten, wohlfahrtsstaatlichen Bio- Politik gipfeln, genauer beschreiben.

Von der These ausgehend, das Rassismus sich auf Normalität bezieht, diese produziert und zugleich voraussetzt (Mecheril 2007, 4), möchte ich zeigen, dass Rassismus als Strukturierungsgröße gesellschaftlicher Realität gewissermaßen uns alle betrifft. Die rassistische Normalität bringt Imaginationen hervor, in der die Frage, wer zugehörig ist und wer nicht, nicht nur abhängig von phänotypischen Merkmalen beantwortet wird, sondern auch mit Bezug auf „Kultur“ (ebd. 9). Gerade der kulturelle Aspekt von Rassismus ist wichtig bei der von mir angestrebten Beantwortung der Frage nach der identitätsbildenden Wirkung von Rassismus. Vereinfacht und mit Mecheril gesprochen, ist Rassismus in unserer Gesellschaft ein wichtiger Faktor dafür, damit eine Mehrheit weiß, wer sie ist (ebd.). Um die Arbeit abzuschließen und den Aktualitätsbezug zu untermauern möchte ich mit einem Beleg auf derzeitige mediale Berichterstattungen veranschaulichen, dass die öffentliche Debatte um Sicherheit von Manchen mit rassistischen Methoden geführt wird und somit zeigen, wie leicht die Ergebnisse rassistischer Diskurse in einem demokratischen Rechtsstaat wie Österreich, für Alle wirksam werden können.

Versuch einer Definition von Rassismus und seine Veranschaulichung anhand von historischen Transformationen

Der Soziologe und Kulturwissenschaftler Stuart Hall beschreibt Rassismus als soziale Praxen (Hall 2000, 7) und markiert Rassismus damit als ein Phänomen, dass sich in gesellschaftlichen Strukturen, aber auch in den alltäglichen sozialen Praxen der Menschen, also in ihrem Denken und Handeln bemerkbar macht. Ihm zu folge, geht es dabei um die Markierung von Unterschieden, die man dazu braucht, um sich gegenüber anderen abzugrenzen, vorausgesetzt die Markierungen dienen dazu, soziale, politische und wirtschaftliche Handlungen zu begründen, die bestimmte Gruppen vom Zugang zu materiellen und symbolischen Ressourcen ausschließen und dadurch der ausschließenden Gruppe einen privilegierten Zugang sichern.

Ich möchte nun versuchen, die Wirkungsweise von Rassismus zuerst anhand von bestimmten historischen Transformationsprozessen zu veranschaulichen und darauf im Anschluss an die Rassismusforscherin Birgit Rommelsbacher (2009) vier Momente festhalten, die der Funktionsweise von Rassismus zugrunde liegen.

Transformation der Differenzkonstruktionen Rasse und Kultur

Ein Ursprung der Rasse- Konstruktion lässt sich im Kolonialismus finden. In diesem Kontext wurde die Schwarze Bevölkerung als primitiv und unzivilisiert deklariert, um ihre Ausbeutung und Versklavung zu rechtfertigen. Der Legitimationsfunktion kommt deshalb erhebliche Bedeutung zu, weil die Kolonialisierung vor dem Hintergrund der in Europa stattfindenden bürgerlichen Revolutionen und der Deklaration der Menschenrechte passierte. „Um ihren eigenen Ansprüchen zu genügen, mussten die Europäer eine Erklärung dafür finden, warum sie einen großen Teil der Erdbevölkerung den Status des Menschseins absprachen, obwohl sie gerade alle Menschen zu freien und gleichen erklärt hatten“ (Rommelsbacher, 2009, 25). Die Einteilung der Menschheit in ungleiche Rassen diente als Legitimationsgrundlage, um die Tatsache der Ungleichbehandlung von Menschen rational zu erklären. Beim kolonialen Rassismus, der sich auf die Rasse- Konstruktion stütz, werden biologische Merkmale wie die Hautfarbe zur Markierung der Fremdgruppe verwendet und mit Hilfe dieser Konstruktion ihren Mitgliedern eine bestimmte Wesensart zugeschrieben (26). Ein entscheidendes Merkmal dieses Rassismus ist seine Professionalität und seine Verankerung in der Wissenschaft. Auf diese Weise werden soziale Differenzen naturalisiert, d.h. sie werden als Ausdruck einer unterschiedlichen biologischen Anlage gedeutet (ebd.). Um die wissenschaftliche Begründung nachzuvollziehen muss man sich vergegenwärtigen, dass in Europa durch anhaltende aufklärerische Prozesse die vormals ständische (gottgewollte) Ordnung durch ein auf Vernunft basierendes Verständnis von Hierarchie ersetzt wurde. Ein vernünftiger Rassismus wurde dadurch möglich gemacht, dass man den Naturbegriff dahingehend pervertierte, dass mit ihm eine evolutionsbedingte Überlegenheit gegenüber anderen in Einklang gebracht werden konnte.

Paul Mecheril ortet eine Transformation des ehemals kolonialen Rassismus in eine neue Form, den kulturellen Rassismus und hält fest, dass rassistische Unterscheidungen nicht ausschließlich auf Unterscheidungen auf der Ebene der körperlichen Merkmale gebunden sind (Mecheril 2007, 11). Dazu stellt er ein Zitat von Etienne Balibar vor, welches ich im Folgenden zur Erklärung seiner These heranziehen werde.

„Der neue Rassismus ist ein Rassismus der Epoche der Entkolonialisierung, in der sich die Bewegungsrichtung der Bevölkerung zwischen den alten Kolonien und den alten `Mutterländern´ umkehrt und sich sogleich die Aufspaltung der Menschheit innerhalb eines einzigen Politischen Raumes vollzieht. Ideologisch gehört der gegenwärtige Rassismus, der sich bei uns um den Komplex der Immigration herausgebildet hat, in den Zusammenhang `Rassismus ohne Rassen´, wie er sich außerhalb Frankreichs, vor allem in den angelsächsischen Ländern, schon recht weit entwickelt hat: eines Rassismus, der – jedenfalls auf den ersten Blick – nicht mehr die Überlegenheit bestimmter Gruppen oder Völker über andere postuliert, sondern sich darauf `beschränkt´, die Schädlichkeit jeder Grenzverwischung und die Unvereinbarkeit der Lebensweisen und Traditionen zu behaupten (Balibar 1990, 28).

Mecheril möchte damit den Umstand erklären, „dass zumindest in offiziellen europäischen Kontexten die affirmative Benutzung, die bejahende Benutzung von Rassehierarchien und des Wortes Rasse in diesem Sinne diskreditiert ist“. Er führt dies auf die Erfahrungen und Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus zurück (2007, 12). In Bezug auf das Zitat von Balibar hält er fest, „dass was mit dem Ausdruck kultureller Rassismus gesagt wird, ist, dass an die Stelle der Rasse- Vokabel das Wort Kultur getreten ist“, denn mit der Konstruktion Kultur können bekannte Unterscheidungsformen reproduziert, die Normalität einer bestimmten Ordnung angerufen und in weiterer Folge, dem nicht entsprechendes ausgeschlossen werden (13). Mir fällt auf, dass der kulturelle Rassismus eher eine Funktion des Beschützens einnimmt, indem er die Kultur in einem Zustand der ständigen Bedrohung von äußeren Einflüssen sieht wohingegen sich der koloniale Rassismus einem Motiv der überlegenen Eroberung bzw. Missionierung bedient. Diesen Gedanken werde ich in einem späteren Kapitel bei der Beschreibung der Herausbildung der modernen Nationalstaaten mit ihren wohlfahrtsstaatlichen Systemen weiter vertiefen.

Transformation des religiösen Rassismus

Rommelsbacher hält fest, dass es auch schon vor dem Kolonialismus „quasirassistische Konstruktionen“ gab, die in anderen Unterdrückungszusammenhängen entstanden sind und entsprechend auch andere Legitimationsmuster aufwiesen (2009, 26). Sie veranschaulicht die Transformation von einem vormodernen zu einem modernen, wissenschaftlich begründeten Rassismus am Beispiel der Umarbeitung des christlichen Antijudaismus zu einem rassistischen Antisemitismus. Bis zur Moderne wurde die christliche Judenfeindschaft im Wesentlichen mit religiösen Differenzen begründet, konkret mit dem Vorwurf, die Juden hätten Christus getötet. Mit der Moderne jedoch wurden diese religiösen Differenzen in einen Unterschied zwischen Rassen transformiert, d.h. in einen biologisch begründeten Unterschied umgedeutet. Damit wurden unüberbrückbare Grenzen gezogen. Die soziokulturellen Grenzen gingen sozusagen ins Blut über und wurden als angeboren verstanden (ebd.). Rommelsbacher verweist zusätzlich noch auf das breite Forschungsfeld des Antisemitismus und stellt klar, dieses Phänomen im Rahmen ihres mir vorliegenden Textes nicht in seiner Ganzheit erörtern zu können. Das Besondere an der Erscheinungsform des Antisemitismus sei es ihr zur Folge, dass er sich psychoanalytisch gesprochen von Über-Ich-Projektionen nähre, um den Anderen ein Zuviel an Intelligenz, Reichtum und Macht zuzuschreiben, wohingegen die anderen Rassismen stärker von Es-Projektionen bestimmt sein, die den Anderen besondere Triebhaftigkeit, Sexualität und Aggressivität unterstellen würden.

Ohne die beiden Rassismen gleichsetzen zu wollen, hält Rommelsbacher fest, dass der „heute sehr aktuelle antiislamische Rassismus ebenfalls auf einem religiösen Gegensatz basiere“ (27). Er gründe sich nämlich auf den jahrhundertealten politischen und kulturellen Kampf zwischen Orient und Okzident und hat sich beispielsweise im Orientalismus kolonialer Eroberer und in der Vorstellung, der Islam sei der Gegenspieler des Westens niedergeschlagen. Ihr zufolge, kann man beim antiislamischen Rassismus „die Entstehung von Rassismus gewissermaßen statu nascendi beobachten“, weil sich immer mehr bemerken lässt, wie soziale, kulturelle und religiöse Unterschiede in „natürliche“ verwandelt werden (28). Der Islam wird dabei zu einem Differenzierungsmerkmal gemacht, welches das Wesen aller Muslime zu durchdringen scheint und sich wie eine biologische Eigenschaft von einer Generation auf die Andere weitervererbt (ebd.).

Die vier Momente von Rassismus

Wir haben nun gesehen, dass die Entstehungsbedingungen, Erscheinungsformen und Funktionen von Rassismus durchaus verschieden sind und sich über einen langen Zeitraum entwickelten. Mit Rommelsbacher möchte ich jedoch festhalten, dass für die Anwendung des Rassismusbegriffs nur die Frage entscheidend ist, ob mit Hilfe naturalisierter Gruppenkonstruktionen ökonomische, politische und kulturelle Dominanzverhältnisse legitimiert werden (27). Das dahinterstehende Muster ist wie folgt auszumachen: (1. Naturalisierung): Soziale und kulturelle Differenzen werden naturalisiert und somit soziale Beziehungen zwischen Menschen als unveränderlich und vererbbar verstanden. (2. Homogenisierung): Die Menschen werden dafür in jeweils homogenen Gruppen zusammengefasst und vereinheitlicht. (3. Polarisierung): Die Gruppen werden als grundsätzlich verschieden und unvereinbar gegenübergestellt. (4. Hierarchisierung): Die Gruppen werden in eine unveränderliche Rangordnung gestellt (29).

Normalität und Rassismus

Mecheril zu folge, stellt Rassismus eine Normalität, genauer gesagt eine Ordnung der Normalität her, in dem er einen Zusammenhang symbolischer und materieller Geregeltheit produziert. (Mecheril 2007, 5).

Er verweist auf drei Aspekte, die beim Nachdenken über die Normalität des Rassismus tragend werden. Erstens bemerkt er, dass Rassismus als Strukturgröße gedacht, sich auf Normalität beziehe in dem er „Normalität produziert, aber auch voraussetzt“. Demnach rekurriere Rassismus auf Normalitätsvorstellungen und ermögliche diese (ebd. 4). Zweitens hält er fest, dass Rassismus in der Normalität des Alltags anzusiedeln und anzutreffen sei und in diesem Sinne alltägliche und banale Formen annehme. Als dritten Aspekt weißt er die Gewöhnungseffekte aus, die auf Grund der dauerhaften Berichterstattung über rassistische Vorkommnisse im Umgang mit Rassismus eintreten und zu einer „gewissen Abstumpfung und achselzuckenden Zurkenntnisnahme“ führen (ebd.).

Produktion von Ungleichheit am Beispiel der Überweisungspraxis in Sonderschulen

Am Beispiel der Überweisungspraxis in Sonderschulen in Deutschland soll nun die Herstellung von Normalität durch rassistisch motivierte Ausschließungsmotive veranschaulicht werden. Gomolla und Radke (2002) beobachten in ihrer Studie: „Institutionelle Diskriminierung. Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule“ eine nahezu systematische Verteilung der Schülerinnen und Schüler mit und ohne Migrationshintergrund entlang des Anerkennungsstatutes von Schulformen. Die Studie nimmt in den Blick, dass „SchülerInnen mit Migrationshintergrund in einer beeindruckenden Regelmäßigkeit überproportional an Sonderschulen vertreten sind“. Darauf aufbauend, diagnostiziert Mecheril, dass SchülerInnen die nicht „richtig Deutsch“ sprechen, als Folge vorherrschender, dominanter Diskurse eigentlich nicht nach Deutschland gehören und deshalb vermehrt aus der normalen Schule genommen und an den stigmatisierten und stigmatisierenden Rand der Sonderbehandlung gegeben werden (5). Des Weiteren kann man der Studie entnehmen, dass an bestimmten kritischen Entscheidungspunkten, so beispielsweise der Einschulung, dem Übergang zur Sekundarstufe oder beispielsweise der Aufnahme eines Sonderschulverfahrens, der Schule das Kriterium der Ethnizität zur Verfügung steht, um anstehende organisatorische Fragen zu entscheiden. Gomolla und Radke kommen zu dem Ergebnis, dass es zur alltäglichen Normalität von Schulpraxis gehöre, auf Unterscheidungsweisen zurückzugreifen, die systematisch Ungleichheit produzieren. Mecheril ergänzt dazu, dass dieser Zustand der Ungleichheit in Deutschland seit über 30 Jahren herrsche und dies als Zeichen eines Gewöhnungseffekts gedeutet werden könne. Der Erziehungswissenschaftliche Diskurs weiße beständig darauf hin und der Bildungspolitik stehe diese Erkenntnis nicht erst seit der erwähnten Studie zur Verfügung. Die Gewöhnung an die ethnische Ungleichheit werde dadurch begünstigt, dass die Betroffenen zumeist nicht in der Lage sind, über ihre Diskriminierung respektabel zu sprechen. Dies würde nämlich voraussetzen, zumindest einigermaßen erfolgreich das Schulsystem zu durchlaufen um die Fähigkeiten zu erwerben, negative Erfahrungen zu artikulieren und sichtbar zu machen (6). Mecheril spricht in diesem Zusammenhang von einer „doppelten strukturellen Schwelle“, die das Sprechen über Rassismuserfahrungen erschwere (14). Demnach haben diejenigen, die von Rassismus symbolisch und faktisch profitieren eine selbstverständliche Scheu, Rassismus zu thematisieren, weil sie damit die Grundlage ihrer Bevorteilung thematisieren müssten. Auf der anderen Seite hingegen, haben diejenigen, die Rassismuserfahrungen machen oft Schwierigkeiten damit, in öffentlichen Kontexten Rassismus zu thematisieren, weil sie sich dann dabei offen mit der Wirklichkeit ihrer Deprivilegierung auseinandersetzen müssten und dies zumeist in einem Kontext, der ihnen gegenüber feindselig gestimmt ist (ebd.).

Normalität als Imagination von Ordnung

Renata Salecl schreibt, dass Imaginationen, also Vorstellungen immer dann besondere Bedeutungen gewinnen, wenn wir das, was uns definiert, nicht definieren können (1994). Dies gelte beispielsweise für große Gemeinschaften, wie die Nation in der wir leben oder der Kultur der wir uns zugehörig fühlen. Diese beiden Faktoren stellen einen Zusammenhang dar, der uns ausmacht, den wir aber nicht wirklich in seiner Ganzheit adäquat erfassen können. Mecheril hält es für nicht möglich, das Wesen von mehreren Millionen Menschen analytisch genau zu erfassen (6). Hier bring er die Imaginationen ins Spiel, Vorstellungen die das begreifbar machen, was wir nicht begreifen können. Er schreibt, dass im Rahmen dieser Imaginationen die Konstruktion von Normalität eine große Rolle spielt. „Normalität ist etwas, das erzeugt wird aufgrund von Imaginationen: Das, was normal ist, gilt aufgrund von Imaginationen als erwartbar“ (ebd.). Rassismus habe dem zufolge viel mit „Wir-Imaginationen“ zu tun. Stuart Hall sagte einst zum Rassismus weißer Engländer: „Die [weißen] Engländer sind nicht deshalb rassistisch, weil sie die schwarzen hassen, sondern weil sie ohne die Schwarzen nicht wissen, wer sie sind“ (Hall, 1999, 93). Eines der analytischen Bestimmungspunkte von Rassismus ist es daher, dass er auf die Frage, wer wir sind, mit einer Vorstellung darüber antwortet, wer die Anderen sind. Rassismus ist daher wichtig, damit eine Mehrheit weiß, wer sie ist. (Mecheril 7). Das interessante dabei sei, dass dieses Wissen nicht thematisiert werde. Mecheril führt dies auf die notwendige Thematisierung von Herrschaftsverhältnissen zurück, die zwangsläufig mit der Frage danach, wer Wir und wer die Anderen sind einhergeht (ebd.). Die positiv begünstigten solcher Herrschaftsverhältnisse entziehen sich daher bereitwillig der Reflexion über die Grundlage ihrer Privilegien und stützen ihre Wissensgrundlage über die Anderen weiter auf rassistische Imaginationen.

Eine rassistische Imagination kennzeichnet sich dadurch, dass mittels ihrer eine bestimmte Normalität beständig hergestellt wird, nämlich die Normalität, dass wir jemand sind, dass wir ein ‚Wir‘ sind, weil wir uns von anderen unterscheiden. Sie erzeugt ein Wissen, welches zumindest unbewusst an Rassekonstruktionen anschließt, nämlich an Konstruktionen, in denen aufgrund von natio-ethno-kulturellen Kennzeichen Menschen zu Gruppen zusammengefasst werden, denen Eigenschaften zugewiesen werden, die sie als „fremd“, „unzugehörig“ oder gar „minderwertig“ bezeichnen (ebd.).

„Woher kommst du?“

Diese unschuldige, normale und zumeist unverdächtige Frage ist aus rassismustheoretischer Perspektive eine Frage, die Normalität anruft, die versucht, eine bestimmte Ordnung anzurufen und zu beschwören, in der eindeutig ausgesagt ist, wohin die Menschen gehören. Mecheril bemerkt dazu, dass um diese Ordnung herzustellen, nicht so etwas wie ein böser Wille erforderlich ist. Es gehe dabei auch gar nicht um die Frage der Intention, vielmehr handle es sich dabei um eine bestimmte gesellschaftliche und kulturelle Struktur, in der wir uns verstehen und in der wir sozialen Sinn produzieren und reproduzieren. Dieser Soziale Sinn bezieht sich darauf, wie wir Denken, Wahrnehmen, Fragen stellen, Gespräche führen, Dinge sagen und andere Dinge nicht sagen. Unter all diesen Aspekten wiederholen wir die rassistische Struktur und leben unser Leben in einer rassistisch strukturierten Normalität (8).

Ordnen, Trennen, Messen – Kontrollierende und regulierende Ausschlusstechniken und ihre Entstehung unter dem Aspekt der Herausbildung von modernen Nationalstaaten

Um die Frage ausreichend zu beantworten, wie Menschen darauf kommen, sich mit Hilfe der Konstruktion Rasse bzw. ihres modernen Vertreters Kultur zu unterscheiden ist die Beleuchtung der historischen Bedingungen der Entstehung von modernen Nationalstaaten und die damit einhergehende Transformation von Machtverhältnissen von großem Interesse.

Stichweh (1995, 180), gibt zu bedenken, dass „in dem Augenblick, in dem der moderne Staat seit dem 19. Jahrhundert über die Gewissheit verfügen will, ob es sich in jedem einzelnen Fall um einen seiner Bürger (oder um einen Fremden) und weiterhin, um welchen seiner Bürger (oder welchen Fremden) es sich genau handelt, gewinnen Techniken physischer Identifikation mittels Lichtbild, Hinweise auf körperliche Besonderheiten (Augen, Haar, Hautfarbe) an Bedeutung. Dem entnimmt Mecheril (10), dass erst mit der menschheitsgeschichtlich relativ jungen Entwicklung des Nationalstaates bestimmte Bedarfe der Identifikation und Unterscheidung aufkommen und Techniken zur Umsetzung einer „Praxis des Ordnens und Trennens, an die wir uns gewöhnt haben“ installiert wurden. Beide greifen damit auf die Rassismus Konzeption von Michelle Focault zurück, der Rassismus nicht als Form von Irrationalismus, sondern im Gegenteil, als eine Form von höchster, politischer Rationalität versteht, die gesellschaftliche Handlungsfeder strukturiert und politische Praktiken anleitet. In dieser Hinsicht, sei Faschismus kein Unfall oder Rückfall, kein historischer Bruch, sondern eher eine „pathogene Form“, die „in großem Ausmaß die Idee und Verfahrensweisen unserer politischen Rationalität benutzt“ (Focault 1975 / 1976).

Leben machen, sterben lassen

Focault ortet seit dem 17. JH eine „tiefgehende Transformation der Machtmechanismen, die mit dem Aufkommen eines selbstbewussten Bürgertums und später der Arbeiterklasse und der Herausbildung der modernen Nationalstaaten einhergehe (Focault 1983, 132). In vormodernen Zeiten sieht er die Macht bei einem Souverän konzentriert, der die Macht über das Leben der Bevölkerung innehatte. Dieses Recht, war das Recht, mit dem Symbol des Schwertes „sterben zu machen und Leben zu lassen“ (ebd.). Macht diente damals in erster Linie als Abschöpfungsinstanz und Ausbeutungsmechanismus und „gipfelte in dem Vorrecht, sich des Lebens zu bemächtigen und es auszulöschen“ (ebd.). Die Transformation bestehe nun darin, dass sich die Macht mit der Änderung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse mit der Zeit vervielfältigte und Abschöpfung nicht mehr ihre Hauptform, sondern nur noch ein Element unter vielen wurde. Die Macht begann damit, „das Leben zu verwalten und zu bewirtschaften“ (ebd.). Sie nahm einen positiven Charakter an und konzentrierte sich darauf, Kräfte hervor zu bringen, wachsen zu lassen und zu ordnen, anstatt sie zu hemmen, zu beugen oder zu vernichten. Sie tritt als „Verwalter des Lebens und des Überlebens“ auf (133). Focault weist die modernen Machttechniken als Biopolitik oder Biomacht aus und schreibt ihr als höchste Funktion nicht mehr das Töten, sondern „die vollständige Durchsetzung des Lebens“ zu (ebd.). Biopolitik ist eine Politik, die sich auf wissenschaftliches Wissen vom Körper und seinen Funktionen stützt. Es geht dabei darum, den Körper bzw., den Menschen durch Dressur und Steigerung seiner Fähigkeiten, durch optimales Ausnutzen seiner Kräfte in ökonomische Kontrollsysteme zu integrieren (135). Der Mensch ist nunmehr ständig dabei sich zu optimieren, in Schulen, Fabriken, Kasernen und Krankenhäusern werden die Körper sorgfältig verwaltet und das Leben rechnerisch geplant. Die Biomacht ziele auf Geburtenrate, Lebensdauer, öffentliche Gesundheit und Migrationsbewegungen und setze dazu auf verschiedenste Techniken zur Unterwerfung der Körper und zur Kontrolle der Bevölkerung (135). Sie hat nun das Recht eingenommen, „Leben zu machen und sterben zu lassen“ (134). Focault begreift dabei die Funktion des Tötens in einer veränderten historischen Konstellation. Wie kann eine Macht, die im Wesentlichen dazu bestimmt ist, das Leben zu organisieren, es aufzuwerten, seine Dauer zu verlängern, seine Möglichkeiten zu vervielfachen den Tod weiterhin für sich beanspruchen? Hier bringt er den Rassismus ins Spiel (Focault 1975 / 1975, 30).

[...]

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Die Rassismuskonzeption von Foucault. Ist Rassismus normal?
Hochschule
Universität Wien
Note
1
Autor
Jahr
2017
Seiten
13
Katalognummer
V962445
ISBN (eBook)
9783346312969
ISBN (Buch)
9783346312976
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Normalität, Rassismus, Foucault, Kultur, Mecheril, Dispositiv, Normierung
Arbeit zitieren
Moritz Ebenführer (Autor:in), 2017, Die Rassismuskonzeption von Foucault. Ist Rassismus normal?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/962445

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