Schizophrenie
Diagnostik & Genese
Definition und Begriff im Wandel der Zeit
Unter dem Krankheitsbild der Schizophrenie werden wahrscheinlich verschiedene, ätiologisch heterogene Krankheiten zusammengefaßt, denen gemeinsam ist :
- genetische Übertragbarkeit
- hirnorganische Verursachung
- charakteristische inhaltliche Denkstörung, Störungen des Ich - Erlebens und Störung der Warnehmung in Verbindung mit Störungen von Kognition, Affektivität und Antrieb
Symptome nach Eugen Bleuler
Grundsymptome :
- assoziative Lockerung, Zerfahrenheit
- Affektverflachung, Parathymie
- Ambievalenz im Fühlen, Handeln, Wollen
- Autismus ( Lösung von der Wirklichkeit )
- Zusätzliche Störungen der Person ( Depersonalisation )
Akzessorische Symptome :
- Wahn
- Halluzinationen
- alle anderen Symptome, die nicht zu den Grundsymptomen gehören
Symptome nach Kurt Schneider
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der heute international übliche Schizophreniebegriff ist eine Mischung des bisher genannten.
Die Klinik der Schizophrenien zeigt, daß die Störungen in unterschiedlichsten Formen auftreten kann, und daß fast alle psychopathologischen Symptome, die auch bei anderen psychiatrischen Störungen auftreten, vorkommen können.
Nur ein kleiner Teil ist tatsächlich weitgehend charakteristisch.
Es besteht das Risiko, daß aus dem Vorliegen einzelner Symptome auf die Diagnose einer Schizophrenie geschlossen wird, also die Schizophrenie zu häufig diagnostiziert wird.
Gefordert sind daher typische Symptome über einen bestimmten Zeitraum.
Diagnostische Leitlinien der Schizophrenie nach ICD - 10
Mindestens ein eindeutiges Symptom ( oder 2, wenn weniger eindeutig ) der Gruppe A oder mindestens 2 Symptome der Gruppe B.
Gruppe A :
- Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung, Gedankentzug, Gedankenausbreitung
- Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Gefühl des Gemachten, deutlich bezogen auf Körper - oder Gliederbewegungen oder bestimmte Gedanken, Tätigkeiten oder Empfindungen; Wahnwarnehmung
- kommentierende oder dialogische Stimmen, die über den Patienten Sprechen ( oft im Imperativ ), oder Stimmen, die aus einem Körperteil kommen ( meist Gedankenlautwerden )
- anhaltender, kulturell unangemessener und völlig unrealistischer Wahn, wie der, das Wetter zu kontrollieren oder mit Außerirdischen Kontakt zu haben
Gruppe B :
- anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität, täglich über Wochen und Monate auftretend, begleitet von flüchtigen oder undeutlich ausgebildeten Wahngedanken ohne deutliche affektive Beteiligung, oder begleitet von anhaltenden überwertigen Ideen
- Zerfahrenheit oder Danebenreden ( Neologismen, Gedankenabreißen, Faseln, Gleiten )
- katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotopien, Flexibilitas cerea, Negativismus, Mutismus, Stupor
- Negativsymptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, Affektverarmung, Affektverflachung oder inadäquate Affekte ( cave : Neuroleptika, affektive Störungen !!! )
Gruppe C :
- die Symptome sollten mindestens 4 Wochen die meiste Zeit bestehen, ansonsten Diagnose einer schizophreniformen Störung
Gruppe D :
- die Symptome können durch keine organische Erkrankung erklärt werden
Das Vorangegangene zeigt deutlich, daß die Schizophrenie keine homogene Erkrankung ist. So ist es nicht weiter verwunderlich, daß eine Reihe von Subtypen besteht.
Paranoide Schizophrenie
- im Vordergrund stehen Halluzinationen, Störung des Ich - Erlebens und / oder Wahn
- Störungen von Affektivität, Verhalten, Antrieb, formalem Denken und Sprache meist nur im Hintergrund
- 80 % der chronischen Schizophrenien erfüllen zumindest einmal in ihrem Verlauf diese Kriterien
Hebephrenie
- affektive Veränderungen ( verflacht, subeuphorisch, parathym, situationsinadäquat, selbstversunken ), Auffälligkeiten des Verhaltens und des formalen Denkens im Vordergrund
- Konzentration und Leistungsfähigkeit gemindert
- Antrieb verarmt oder gesteigert ( Hyperaktivität )
- Ein deutlich zerfahrener Gedankengang herrscht die meiste Zeit vor
- Wahngedanken und Halluzinationen möglich
Katatone Schizophrenie
- psychomotorische Störungen, die zwischen den Extremen Erregungszustand und Stupor alternieren, im Vordergrund
- Haltungsstereotypen, Negativismus, Katalepsie
- Sonderformen :
- Perniziöse Katatonie :
- Katatonie, Hyperthermie ( über 40 °C )
- Rigor, Akinese
- oft tödlicher Ausgang
Undifferenzierte Schizophrenie
- Mischform
Zoenästhetische Schizophrenie
- leibliche Beeinflussungserlebnisse ( Zoenästhesien Grad I & II )
Schizophrenia simplex / schizotype Srörung
- Symptome ersten Ranges fehlen oft
- Affektverflachung, Antriebminderung, Denkverarmung
- Tendenz zum sozialen Rückzug
- Psychotische Episoden
Schizophrenes Residuum
- Wahn, Halluzinationen, Zerfahrenheit konnten sich im Verlauf der Erkrankung nicht zurückbilden ( chronisch produktive Schizophrenie )
- Konzentrations -, Denk -, Gedächtnisstörungen
- Leistungsinsuffizienz
- Affektverflachung
- Intoleranz gegen Streß
Akute schizophreniforme psychotische Störung
- gleiche Symptomatik wie bei der Schizophrenie nur kürzer
Epidemiologie
- ? & ? erkranken wahrscheinlich gleichhäufig, meist zwischen der Pubertät und dem 30. Lj..
- Schizophrene finden sich gehäuft in den unteren sozialen Schichten und leben häufiger in Großstädten ( cave : die Milieuhypothese ist epidemiologisch widerlegt )
Ätiologie
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Genetische Faktoren
- erstgradige Verwandte : 10x höheres Risiko ( 10 - 20% )
- Kinder zweier schizophrener Eltern : 20 - 45%, Enkel : 3%
- Konkordanzraten für :
- Monozygote Zwillinge : 31 - 80%
- Dizygote Zwillinge : 5 - 30%
- Adoptierte mit erblich bedingtem erhöhten Risiko erkranken auch in gesunden Familien häufiger
- meist müssen viele Gene vererbt werden, nur bei wenigen Familien werden wahrscheinlich ein oder mehrere Hauptgene vererbt ( z.B. : kurzer Arm Chr. 6, 8, 9, 20; langer Arm Chr. : 22 )
Neurobiologische Faktoren
- strukturelle Abnormitäten ( post mortem, NMR ) :
- Vergrößerung der Ventrikel
- Verlust der grauen Substanz mit Atrophien
- Zellverminderungen
- abnorme Zellverbindungen
- meist im Hippocampus, Teilen des Temporallappens, limbisches System; seltener Frontallappen
- PET/SPECT
- häufige Hypoaktivität im Frontallappen ( kein spezifischer Befund ) vor allem im dorsolateralen praefrontalen Cortex ( abstraktes Denken, planvolles und zielgerichtetes Handeln ); auch Hyperaktivitäten möglich
- keine einzelnen Läsionen sondern Desorganisation und Dyskonnektion mehrerer Regionen ( meist : frontal - temperolimbisch oder frontotemporal )
- Neurobiochemie
- Dopamin - Hypothese
- regionale Hyperaktivität basierend auf einer primären Dopaminbahnrarefizierung
- meist D2 - Rezeptoren
- Glutamat - Hypothese
- Glutamatunterfunktion mit daraus resultierendem Dopaminüberschuß
- Serotonin & GABA - Hypothese
- wahrscheinlich keine wesentliche Bedeutung
Umwelteinflüsse
- vor Ausbruch einer Schizophrenie oft gravierende Veränderungen des Lebens ( Life - Events, Stressoren, etc. )
- Drogen
- soziale Isolation
- Frustration und Feindseligkeit der Eltern ( Kind als Stoßdämpfer )
- Kommunikationsstörungen ( Eltern hören Kindern nicht zu oder umgekehrt )
Quellen :
- Faust Psychiatrie 2. Auflage 1995
- Psychiatrie Systematisch 2. Auflage 1997
- Zimbardo Psychologie 6. Auflage 1995
Häufig gestellte Fragen
Was ist Schizophrenie laut diesem Text?
Schizophrenie ist ein Krankheitsbild, unter dem wahrscheinlich verschiedene, ätiologisch heterogene Krankheiten zusammengefasst werden. Diese Krankheiten haben genetische Übertragbarkeit, hirnorganische Verursachung und charakteristische Denkstörungen, Ich-Erlebens-Störungen und Wahrnehmungsstörungen in Verbindung mit Kognitions-, Affektivitäts- und Antriebsstörungen gemeinsam.
Welche Symptome der Schizophrenie beschreibt Eugen Bleuler?
Bleuler unterscheidet zwischen Gruppensymptomen (assoziative Lockerung, Affektverflachung, Ambivalenz, Autismus, Störungen der Person) und akzessorischen Symptomen (Wahn, Halluzinationen und andere nicht zu den Gruppensymptomen gehörende Symptome).
Welche diagnostischen Leitlinien der Schizophrenie werden nach ICD-10 genannt?
Die ICD-10-Kriterien fordern mindestens ein Symptom (oder zwei, wenn weniger eindeutig) der Gruppe A oder mindestens zwei Symptome der Gruppe B. Gruppe A umfasst Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung, Gedankentzug, Gedankenausbreitung, Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, kommentierende Stimmen und anhaltenden, kulturell unangemessenen Wahn. Gruppe B beinhaltet anhaltende Halluzinationen, Zerfahrenheit, katatone Symptome und Negativsymptome. Die Symptome müssen über einen bestimmten Zeitraum (mind. 4 Wochen) bestehen und dürfen nicht durch organische Erkrankungen erklärbar sein.
Welche Subtypen der Schizophrenie werden im Text erwähnt?
Der Text nennt paranoide Schizophrenie, Hebephrenie, katatone Schizophrenie (mit der Sonderform Perniziöse Katatonie), undifferenzierte Schizophrenie, zoenästhetische Schizophrenie, Schizophrenia simplex/schizotype Störung, schizophrenes Residuum und akute schizophreniforme psychotische Störung.
Was sind die Hauptmerkmale der paranoiden Schizophrenie?
Im Vordergrund stehen Halluzinationen, Störungen des Ich-Erlebens und/oder Wahn. Störungen von Affektivität, Verhalten, Antrieb, formalem Denken und Sprache stehen meist nur im Hintergrund.
Was sind die charakteristischen Merkmale der Hebephrenie?
Es dominieren affektive Veränderungen (verflacht, subeuphorisch, parathym, situationsinadäquat, selbstversunken), Auffälligkeiten des Verhaltens und des formalen Denkens. Konzentration und Leistungsfähigkeit sind gemindert, der Antrieb ist verarmt oder gesteigert und ein zerfahrener Gedankengang herrscht vor. Wahngedanken und Halluzinationen sind möglich.
Was kennzeichnet die katatone Schizophrenie?
Psychomotorische Störungen, die zwischen Erregungszustand und Stupor alternieren, stehen im Vordergrund. Haltungsstereotypen, Negativismus und Katalepsie können auftreten.
Welche epidemiologischen Fakten werden zur Schizophrenie genannt?
Männer und Frauen erkranken wahrscheinlich gleich häufig, meist zwischen Pubertät und dem 30. Lebensjahr. Schizophrene finden sich gehäuft in unteren sozialen Schichten und leben häufiger in Großstädten.
Welche ätiologischen Faktoren werden für Schizophrenie diskutiert?
Der Text geht auf genetische Faktoren (erhöhtes Risiko bei erstgradigen Verwandten, Konkordanzraten bei Zwillingen), neurobiologische Faktoren (strukturelle Abnormitäten, Hypoaktivität im Frontallappen, Dyskonnektion verschiedener Hirnregionen, Dopamin- und Glutamat-Hypothese) und Umwelteinflüsse (Life-Events, Stressoren, Drogen, soziale Isolation, Kommunikationsstörungen in der Familie) ein.
Welche neurobiologischen Faktoren werden im Zusammenhang mit Schizophrenie genannt?
Genannt werden strukturelle Abnormitäten im Gehirn (vergrößerte Ventrikel, Verlust grauer Substanz), Hypoaktivität im Frontallappen, Desorganisation und Dyskonnektion mehrerer Hirnregionen, die Dopamin-Hypothese (regionale Hyperaktivität) und die Glutamat-Hypothese (Glutamatunterfunktion).
Welche Quellen werden im Text für Informationen zur Schizophrenie angegeben?
Es werden "Faust Psychiatrie 2. Auflage 1995", "Psychiatrie Systematisch 2. Auflage 1997", "Zimbardo Psychologie 6. Auflage 1995" und "Birbaumer / Schidt Biologische Psychologie 3. Auflage 1996" als Quellen genannt.
- Arbeit zitieren
- Achim Bittner (Autor:in), 2000, Schizophrenie - Diagnostik und Genese, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96333