Leseprobe
Frage- und Problemstellungen
Wer war Faust?
Die Beantwortung der Fragen, woher Faust denn käme, welche Rolle er innerhalb der Gesellschaft gespielt haben muss beziehungsweise ob man überhaupt ein historisches Profil des Faust erstellen kann, stellt in Forschungskreisen eine Schwierigkeit aufgrund der Pluralität an verschiedenen Fassungen dar.
Der Grund dafür liegt wiederum in der Diskrepanz zwischen der ursprünglichen oralen Tradition, denen die Sagen um den Zauberer Faust angehörten, und der späteren Schriftkultur. Dies beeinflusste auch die Rezeption der Sagen in den verschiedenen Künsten, wie dem Puppenspiel, Ballett oder der Musik.
Kuno Fischer schlägt deshalb folgenden theoretischen Ansatz als geeignete Methode der Analyse vor:
„Es ist die historisch-kritische oder, deutlich zu reden, die entwicklungsgeschichtliche Methode, die wir auf unseren Gegenstand anwenden müssen, um die Wege unserer Untersuchung zu ordnen.“1
Warum sich dieser Stoff, trotz ausländischer Einflüsse, zu einem nationalen Mythos entwickelt hat, liegt in der Tatsache, dass der Ursprung der Volkssagen auf deutschem Boden in den „Magussagen“ zu finden ist und Einflüsse aus der germanischen beziehungsweise nordischen Mythologie vorhanden sind.
Der Philosoph Kuno Fischer erklärt diesbezüglich in seiner Abhandlung über die Faustsage vor Goethe: „(…) das Wort „Zaubersage“ ist nicht üblich, darum brauche ich den Ausdruck „Magussage“.)“2
Diese Magussagen wandeln ihre Gestalt nach der Gemütsart der Zeitalter, denen sie sich anpassen.
Antike und Mittelalter
Bestand noch in der Antike eine Art heidnische Naturreligion und der Glaube an übermenschliche und höhere Kräfte, stellten dann im Mittelalter die Magie und Zauberei einen Widerspruch zur christlichen Lehre dar, die das Gute symbolisierte.
Neuzeit/ 16. Jahrhundert
Mit der Neuzeit, der Reformation und dem lutherischen Protestantismus des 16. Jahrhunderts entstand ein neues Teufelsbild, Legenden über Teufelsbündnisse kamen auf und der „falsche Katholizismus“ des Mittelalters wurde durch Fausts Anschauungen kritisiert.
Die naturwissenschaftlichen Forschungen und Erkenntnisse wurden nun teilweise mit der Magie verbunden. Die Grundlage für die Gelehrtentragödie findet sich dann aber erst im darauffolgenden Jahrhundert.
17. Jahrhundert
Im 17. Jahrhundert tauchten auf einmal lustige Figuren in den nun dramatisierten Volkssagen auf. Ihre Funktion lag darin, Kritik an kulturellen, sozialen, religiösen und politischen Institutionen zu üben – aber auch dem Erfreuen des Zuschauers beziehungsweise Lesers durch komische oder satirische Elemente zu dienen.
Hier entsteht ein Bruch mit der aristotelischen oder antiken Vorstellung einer Tragödie mit den Chorsequenzen, da improvisierte Szenen mit einer lustigen Person vorhanden sind, die der Gesellschaft einen Spiegel vorsetzt und einen Kontrast zu den ernsteren Akten bildet.
18. Jahrhundert
Die Fauststoffe wurden im 18. Jahrhundert an die soziokulturellen Entwicklungen innerhalb der verschiedenen Gesellschaftsschichten angepasst und die Ständeklausel war verantwortlich für die strikte Trennung von Tragödie und Komödie.
Nun stand nicht mehr alleine das Erfreuen des Publikums im Vordergrund, sondern auch die moralische Erziehung des Menschen als nützliches Element.
Quellen
Sekundärliteratur
Eversberg, Gerd: Doctor Johann Faust. Die dramatische Gestaltung der Faustsage von Marlowes „Doktor Faustus“ bis zum Puppenspiel, Dissertation, Köln 1988
Faust. Eine Anthologie. I. Band. Erzählende Prosa. Dramatik, Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1967
Fischer, Kuno: Goethes Faust. Erster Band. Die Faustdichtung vor Goethe, hrsg. v. Victor Michels, Carl Winter’s Universitätsbuchhandlung, Heidelberg Siebente Auflage 1901
Die Entstehung des Faustdramas
Frage- und Problemstellungen
Wenn man bei der Untersuchung des Faustdramas nach einer einzigen Grundidee zu suchen beginnt, wird man schnell zur Erkenntnis kommen, dass dies unmöglich ist, da diese sich im Laufe des Dichterlebens verändert hat.
Gründe dafür sind die Entwicklung des Dichters selbst und die Tatsache, dass Goethe bis zuletzt an der Idee seines Werkes gebessert hat.
Er hat zwar Züge des vorgefundenen Stoffes entlehnt, jedoch auch Personen und Erlebnisse, die ihm vorgeschwebt haben, mit eingeflochten.
Deshalb ist keineswegs von einem einheitlichen Werk die Rede, sondern einer dynamischen Dichtung, deren Held Abbild des Dichters ist, genauso wie die Dichtung selbst.
Auf epochaler Ebene betrachtet, erstreckt sich der Schaffensprozess über drei Strömungen innerhalb der Aufklärung hinweg, die allesamt zur sogenannten „Goethezeit“ gehören:
1. Sturm und Drang (1765-1785)
2. Weimarer Klassik (1785-1830)
3. Romantik (1795-1830)
Goethe hat an mehreren öffentlichen Orten agiert, wobei Weimar als Höhepunkt seiner Schaffensperiode bezeichnet werden kann – auch im Hinblick auf Bekanntschaften mit anderen Dichtern, wie beispielsweise Schiller.
In diesem Zusammenhang sind auch die philosophischen Grundlagen der einzelnen Strömungen betrachtenswert – gerade im Hinblick auf den Glauben des Menschen und die Interpretation des Schlusses des Werkes.
Goethe bedient sich in seinem „Lebenswerk“ den Begriffen aus der christlichen Dogmatik, wobei diese allegorisch zu deuten sind.
Bei seinem Mephisto ist nicht mehr eine negative Konnotation in Bezug auf die Hölle vorhanden, wie es noch in den Volkssagen des 16. Jahrhunderts der Fall war, sondern er spielt nur die Rolle des Teufels. Er ist keine Personifikation des Bösen mehr, sondern repräsentiert eine Wesensart, die bestimmten Menschen innewohnt. Er zeigt einen deutlichen Hang zu materiellen Gütern und dem sinnlichen Lebensgenuss schlechthin.
Man stellt sich folglich die Frage, ob es sich nun wirklich um eine Tragödie oder um eine heroische beziehungsweise komische Dichtung handelt. Innerhalb des Werkes sind zahlreiche Widersprüche vorhanden, und es muss sich wohl um eine Mischung dieser drei Elemente handeln.
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1 Fischer 1901, S. 13
2 Fischer 1901, S. 17