Herbert J. Gans: "the war against poverty"


Seminararbeit, 1998

25 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 EINLEITUNG

2 DARSTELLUNG DER WESENTLICHEN AUSSAGEN
2.1 DIE ETIKETTIERUNG DER ARMEN
2.1.1 BEGRIFFE UND E TIKETTEN
2.1.2 ETIKETTIERUNGEN - EIN HISTORISCHER ÜBERBLICK
2.1.3 DER E NTSTEHUNGSPROZEß VON ETIKETTIERUNGEN
2.1.4 LABELS VOR „UNDERCLASS“: „FEEBLEMINDEDNESS“ UND „THE CULTURE OF POVERTY“
2.2 DIE EINFÜHRUNG DER „UNDERCLASS“
2.2.1 „UNDERCLASS“ ALS BEHAVIORISTISCHER B EGRIFF
2.2.2 DIE JOURNALISTISCHE V ERBREITUNG DES B EGRIFFS „UNDERCLASS“
2.2.3 LEGITIMIERUNG DER „UNDERCLASS“
2.2.4 WARUM DER ERFOLG VON „UNDERCLASS“
2.3 DIE GEFAHREN DER „UNDERCLASS“ UND ANDERER LABELS
2.3.1 „UNDERCLASS“ ALS CODEWORT
2.3.2 FLEXIBILITÄT DES LABELS
2.3.3 DIE GEFAHREN DES „UMBRELLA“-EFFEKTS
2.3.4 DIE MENSCHLICHEN GEFAHREN VON LABELS
2.3.5 DIE UNGENAUIGKEIT VON LABELS
2.4 DIE WÜRDELOSIGKEIT DER ARMEN
2.4.1 BEDROHUNG DURCH DIE A RMEN
2.4.2 FUNKTIONEN DER „WERTLOSEN“ ARMUT
2.5 EINE POLITIK GEGEN ARMUT UND WERTLOSIGKEIT
2.5.1 BESEITIGUNG DER B EDROHUNG DER PERSÖNL ICHEN S ICHERHEIT
2.5.2 FÜR EINE UMFASSENDE P OLITIK GEGEN ARMUT
2.5.3 BESEITIGUNG DER WÜRDELOSIGKEIT
2.5.4 DIE UMSETZUNG EINES A UFKLÄRUNGSPROGRAMMS
2.5.5 DIE MACHBARKEIT EINER UMFASSENDEN P OLITIK GEGEN ARMUT
2.6 EINE POLITIK GEGEN ARBEITSLOSIGKEIT UND ARMUT FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT

3 ZUSAMMENFASSUNG UND KRITISCHE WÜRDIGUNG DES WERKS
3.1 DIE ENTWICKLUNG VON ETIKETTIERUNGEN
3.2 POLITISCHE UND INDIVIDUELLE GEFAHREN VON STIGMATISIERUNG
3.3 POLITISCHE UND ÖKONOMISCHE LÖSUNGSMODELLE

4 LITERATURVERZEICHNIS:

1 Einleitung

Herbert J. Gans, geboren 1927 in Bonn, Deutschland, verließ 1938 als Elfjähriger seine Heimat unter dem Eindruck Nazideutschlands. Er ist heute Professor für Soziologie an der Columbia University in New York.

Gans beschäftigte sich während seines wissenschaftlichen Lebens vorwiegend mit sozialer Ungleichheit und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft hinsichtlich devianten Verhaltens, Kriminalität, etc.

Im vorliegenden Werk „The war against poverty“ entwickelt Gans ein Modell für die Beseitigung nicht nur devianten Verhaltens, sondern von Armut und sozialer Ungleichheit generell.

Für Gans liegt die Wurzel des Problems „Armut“ und „Kriminalität“ in der Tatsache begründet, daß mittellose Menschen immer wieder in der Geschichte stigmatisiert und etikettiert („labeled“) wurden. Durch diese Stigmatisierung werden die Menschen zu „Unwürdigen“ erklärt, und quasi aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Bedingt durch die Tatsache, daß es für diese Menschen keine Möglichkeit gibt, in den Arbeitsprozeß wieder eingegliedert zu werden, bleibt für viele nur der Weg in die Kriminalität, einfach um einen Lebensunterhalt für sich und die Familien sicherzustellen.

Die Stigmatisierung von Armen ist jedoch für Gans nicht ein linearer sozialer Tatbestand, sondern wird durch rassische Grenzen und Klassengrenzen determiniert und beeinflußt. So werden große Bevölkerungsschichten ausgegrenzt, einfach weil sie sich in ihrem Verhalten vom „mainstream“ der Gesellschaft unterscheiden.

Dieses deviante Verhalten (und sei es nur ein uneheliches Kind), wird durch soziale Ausgrenzung und somit mit dem Weg in Armut und Würdelosigkeit geahndet.

Für Herbert Gans gibt es somit nur eine Möglichkeit diesen Teufelskreis zu durchbrechen, nämlich durch die Schaffung eines Arbeitsmarktes, der in der Lage ist jedem Bürger die Chance zu bieten, sich selbst ökonomisch zu erhalten. Dies, und soweit ist sich der Autor über die realen Verhältnisse im Klaren, kann jedoch nur durch breite Solidarität der Gesellschaft oder massive Maßnahmen durch den Staat finanziert werden. Gans entwickelt zu Teil sehr radikale Modelle, deren praktische Umsetzbarkeit vom Autor jedoch oft nicht zu ende gedacht wird.

Einen sehr ausführlichen Teil seines Buches widmet Gans der Analyse der Stigmatisierung der sozial Benachteiligten, die für ihn bereits geschichtliche Tradition hat.

In der Folge wird das Werk H. Gans‘ dargestellt und einer kritischen Würdigung unterzogen.

2 Darstellung der wesentlichen Aussagen

2.1 Die Etikettierung der Armen

Das menschliche Leben ist für Gans eine unendliche Folge von moralischen Wertungen. Wir alle beobachten einander und bewerten unsere Aktionen nach moralischen Gesichtspunkten. In bezug auf Freunde, Familie, etc. ist die Wertung relativ objektiv. Je größer die soziale Distanz, desto mehr ist die Wertung jedoch geleitet durch Medien, Vorurteile, und eingebildetes Wissen. Insbesondere wenn es sich um deviantes Verhalten handelt.

2.1.1 Begriffe und Etiketten

Ausdruck dieses „eingebildeten Wissens“ sind Etikettierungen, die sich vorwiegend auf deviantes Verhalten beziehen, und mit Armut in Zusammenhang stehen. Diese Etikettierungen müssen nicht nur negativ besetzt sein, wie K. Marx oder auch die christliche Tradition zeigte, die Armut auch romantisierte.

Solche Etikettierungen müssen von Bezeichnungen unterschieden werden, deren Absicht die Beschreibung und nicht die Stigmatisierung ist. So kann es sein, daß in Medien deskriptive Bezeichnungen beabsichtigt, durch den Leser aber Etikettierungen perzipiert werden.

Etikettierungen sind Stereotypen ähnlich, die jedoch noch mehr generalisieren. W. Lippmann nannte solche Stereotypen „Bilder in unseren Köpfen“ und meinte damit die Extrapolation von einzelnen kleinen Wahrheiten über kleine Gruppen zu einer großen Unwahrheit über eine große Gruppe in der Bevölkerung.

Negative Etikettierungen führen oft dazu, daß die etikettierten Menschen in eine Laufbahn gedrängt werden, die diesen Etikettierungen entsprechen. Wenn jemand zum Beispiel in desolaten Familienverhältnissen aufwächst, so wird von ihm oft erwartet, daß er in eine kriminelle Laufbahn gerät. Tut er das nicht, so ist er doch zumindest ein „potentieller Krimineller“, oder eben nicht erwischt worden. Der Weg ist jedoch vorgezeichnet.

Der Begriff „kriminell“ ist einerseits ein juristischer Begriff, andererseits aber auch stigmatisierend. Er ist auch eng mit dem Begriff der Armut verbunden. So wurden im vorigen Jahrhundert nichtseßhafte Arme in Gefängnisse oder Arbeitshäuser verbracht. Eine ähnliche Entwicklung fand auch in Nazideutschland statt.

Die Etikettierung als „unwürdig Armer“ ist bei Gans ein Schlüsselbegriff. Dieser definiert bestimmte ökonomisch Benachteiligte in der Gesellschaft als „...deviation from middle class values or behavioral patterns and it can also mean ... anyone who is thought to be poor but not working hard enough or saving enough money or not following middle class sexual regulations or family structures.“1

Dieser Begriff ist jedoch nicht fair, weil einerseits die Chance sehr gering ist, aus der Lage sozialer oder ökonomischer Benachteiligung zu entkommen, andererseits jedoch erwartet wird, daß die Menschen arbeiten und „nützliche Mitglieder der Gesellschaft“ werden. So können diese Etikettierungen, obwohl nur Worte, sehr handfeste Hindernisse auf dem Lebensweg werden.

Etikettierungen, über die Gans in seinem Buch schreibt, werden vorwiegend in der öffentlichen Diskussion der oberen Mittelschicht verwendet, gelegentlich werden Bezeichnungen aus der Eliteklasse auch in andere Klassen übernommen. „Underclass“ wird z. B. nicht nur in Elitepublikationen wie der New York Times verwendet, sondern durchaus auch in populären Wochenmagazinen.

Die öffentlichen Medien beschränken sich hinsichtlich der Wortwahl, während in der privaten Kommunikation insbesondere der Mittelschicht zum Teil sehr harte Worte für von Armut Betroffene verwendet werden. Hiebei wird jedoch öfter auf rassistisch oder ethnizistisch gefärbte Termini zurückgegriffen, zumal Etikettierungen für Klassenzugehörigkeit in den USA eher tabu sind.

So wird in New York insbesondere für farbige Mittellose der Ausdruck „Tiere“ oder „Elemente“ verwendet. Eine moderate Form der Etikettierung sind dichotome Ausgrenzungen von „wir“ und „sie“. Seriöse Forscher versuchen offensichtliche Etikettierungen zu vermeiden indem sie diese als technologische oder wissenschaftliche Termini darstellen.

2.1.2 Etikettierungen - ein historischer Überblick

Etikettierungen, mit denen stigmatisiert wird, hat es schon seit der Entwicklungen hierarchischer Gesellschaften gegeben. Relativ früh bereits hat man die Armut definitorisch zweigeteilt: die würdigen „deserving“ und die unwürdigen „undeserving“ Armen. Diese Einteilung kommt aus England, wo mit dem Armengesetz von 1834 die Diskussion über die Frage der Armut ihren Höhepunkt fand. „Working poor“ also arbeitende Arme, hat sich als Synonym für die würdigen Armen als positiv besetzter Label entwickelt.

Die Anzahl der im Laufe der Zeit entwickelten Etikettierungen ist uferlos. Die größte Tradition hat der englische Begriff „pauper“, der im Laufe der Zeit einem häufigen Wandel unterlegen ist, und immer andere Personengruppen stigmatisiert hat. Im 19. Jhdt gab es sogar ein klassifikatorisches Schema für die unwürdigen Armen:

dependent
defective
delinquent

poor.

Ad 1) Wohlfahrtsabhängige, illegale Einwanderer, etc.

Ad 2) Biologisch oder genetisch Benachteiligte, Gefahr für die öffentliche Gesundheit

Ad 3) Kriminelle Armut als politische Gefahr, das Lumpenproletariat, der Mob

Zwei weitere Typen von Etikettierungen werden unterschieden: die heimatlosen, mobilen Armen, die sich durch ihre Mobilität der sozialen Kontrolle entziehen, und somit ebenfalls eine Gefahr darstellen, sowie die „class-failures“, also jene, die aus der Klassenstruktur herausfallen, heute oft als „underclass“ bezeichnet.

Man kann Etikettierungen danach beurteilen, inwiefern sie rassistisch ausgelegt sind, oder nicht. Obwohl die meisten Etikettierungen nach außen hin frei von rassistischen oder ethnischen Einordnungen sind, sind sie natürlich ethnisch gefärbt, indem von Armut natürlich immer besonders stark bestimmte ethnische Gruppen betroffen waren, wie z. B. in England die Iren oder in den USA am Beginn die Südosteuropäer, später die osteuropäischen Juden. Als privilegierte Klasse wurde immer die weiße, anglo-sachsische, protestantische Bevölkerung betrachtet. (WASPs).

Während Männer meist durch Labels bezeichnet wurden, die mit kriminellem oder ökonomischen Argumenten geladen waren, wurden Frauen oft durch Labels mit familiär oder sexuell abweichenden Verhalten eingeordnet.

Etikettierungen müssen dahingehend unterschieden werden, ob sie spezifische Unzulänglichkeiten oder ein breites Spektrum davon definieren. Letztere nennt man auch „umbrella“-lables. Diese entwickeln sich auch oft aus der Verallgemeinerung von spezifischen Labels, wenn man z. B. Sozialhilfeempfängern auch unterstellt, keinen Familiensinn oder kein Verantwortungsgefühl zu haben.

Im 20. Jhdt waren drei Labels sehr verbreitet:

die geistige Minderbemitteltheit2
die Kultur der Armut
die Underclass

2.1.3 Der Entstehungsprozeß von Etikettierungen

Will man Labels verstehen, so muß man zuerst wissen mit welchen Prozessen und von welchen Akteuren sie entwickelt werden.

Zuerst muß man die „ Lable-maker “ betrachten, jene, die die Etikettierungen zum ersten mal verwenden, die oft nur beschreiben wollen, beim Publikum aber oft als Etikettierungen perzipiert werden. Heute sind dies oft Forscher, Akademiker oder Leute die mit Armen arbeiten. Eine wesentliche Methode der Lable-maker ist, beim Publikum Alarm auszulösen hinsichtlich eines Problems, das von diesem bereits als solches erkannt wurde. Oft haben sie auch Zugang zu statistischem Material, mit dem sie das Problem quantifizieren.

Erfolgreiche Labels sollten folgende Erwartungen erfüllen: Zuerst sollten sie Alarm auslösen, metaphorisch sein, oder zumindest plakative Qualitäten haben. Sie sollten auch glaubhaft sein.

Im Laufe der Zeit können Labels einander ablösen, oder ganz verschwinden, wenn z. B. das Problem verschwindet, sie können aber auch zueinander in Konkurrenz treten. Sie werden meist in kleinem Kreis ausprobiert, bevor sie veröffentlicht werden. Kommt es zu einem Etikettenwechsel, so kommt das Nachfolgemodell zumeist aus dem selben Genre.

Labels bleiben nicht statisch erhalten. Vor allem Journalisten müssen ihre Definitionen ständig an die „Geschichte“ anpassen. Ein Straßenräuber kann nicht der selben Kategorie „Underclass“ zugeordnet werden, wie z. B. ein Sozialhilfeempfänger.

Wichtig ist auch das Publikum und seine Bereitschaft, neue Labels zu übernehmen. Ist es einmal dazu bereit, steigen auch die Anstrengungen der Lable-maker dieses immer wieder ins Spiel zu bringen, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu erhalten.

Wichtig sind auch die Legitimatoren der Etikettierungen wie z. B. Politiker, Wissenschafter, etc. Diese nehmen durch die Verwendung von Labels in der Öffentlichkeit am Prozeß teil. Auch die Geldgeber der Forschung spielen hier eine Rolle.

Die Erzeugung von Etikettierungen findet aber nicht im luftleeren Raum statt, es sind auch die Umweltbedingungen zu berücksichtigen. Häufig sind es Kriege oder Krisen, die Besorgnisse aktivieren, die zu Etikettierungen führen. Das Wort „Tramp“ bezeichnete früher eigentlich Soldaten des amerikanischen Bürgerkrieges, die im Land herumwanderten, um Arbeit zu finden. Wenn sich Umweltbedingungen ändern, können Labels sehr schnell verschwinden.

Bereits verschwundene Labels können wieder aufleben, und u. U. sogar sehr romantisiert werden, wie z. B. der Begriff „Tramp“ heute eine eher sehr romantische Bedeutung hat. Auch die Hippies der 60er Jahre werden heute in einem ganz anderen Licht bewertet.

2.1.4 Labels vor „underclass“: „feeblemindedness“ und „the culture of poverty“

Der Prozeß der zur Einführung des Begriffs „feeblemindedness“ geführt hat, beginnt mit Francis Galton, ein Cousin Charles Darwins, der sich mit der Vererbungslehre beschäftigt hat, weil er sich um das Überleben der weißen Rasse Sorgen gemacht hatte. Er entwickelt eine eugenische Politik die sich den Schutz der Elite zum Ziel setzte. Seine Ideen verbreiteten sich in den USA sehr rasch.

Der erste amerikanische Geneaologe R. Dougdale war damit beschäftigt, kriminelles und sexuell deviantes Verhalten hinsichtlich ihrer Vererblichkeit zu analysieren. Er versuchte in New York eine Familie über 200 Jahre zurückzuverfolgen, und ihre Erbdefekte durch Aufzeigen devianten Verhaltens zu bestimmen.

1875 veröffentlichte er seine Forschungen und definiert sich nicht als jemand, dessen Absicht es war, Arme oder deviante Menschen zu bestrafen oder zu verurteilen, sondern er war eher ein Lamarckist, der davon ausging, daß Umweltfaktoren weitervererbt werden.

Der Ausdruck „feeblemindedness“ wurde erst im 20. Jhdt durch Henri Godard eingeführt, der sich mit der Vererbung von „feeblemindedness“ beschäftigte, und eine Familie bis 1848 zurückverfolgte. Er versuchte dabei auch die geistige Unzulänglichkeit von osteuropäischen Immigranten, die kriminell geworden waren zu bestimmen und aufzuzeigen. Er gab dem Begriff erstmals einen „umbrella-label“- Status. Er sah sich zuallererst als Wissenschafter, obwohl aus heutiger Sicht seine Methoden mehr als fragwürdig waren. Es zeigte sich, daß er selbst Fotografien der Betroffenen manipuliert hatte, um sie „bösartiger“ aussehen zu lassen.

Derartige eugenistische Ansätze haben die Einwanderungspolitik der USA sehr beeinflußt und waren mit dafür verantwortlich, daß Intelligenztests für Einwanderer eingeführt wurden, Sterilisationen durchgeführt wurden, und später die Einwanderung von Südosteuropäern fast gänzlich unterbunden wurde.

Nach dem 2. Weltkrieg sind diese Dinge angesichts der Rassenideologie der Nationalsozialisten etwas eingeschränkt worden. Doch gab es bis 1970 noch Sterilisationen und bis heute gibt es Intelligenztests.

Noch heute gibt es Forschungen, die sich mit den genetischen Grundlagen von Verhaltensmustern von Armen beschäftigen.

Der Begriff der „Kultur der Armut“ ein weiteres „umbrella-lable“ ist unterschiedlich zum bisher angeführten. Es knüpft sich eng an den Namen von Oscar Lewis. Er definierte die Kultur der Armut als pathologische Kultur die 20 % der amerikanischen Armen bestimmt und 26 „iedaltypische“ Eigenschaften oder Charakterzüge umfaßt.

Lewis zentrale Aussage ist, daß diese Kultur von Generation zu Generation weitergegeben wird. Siebenjährige, die in Slums aufwachsen, sind nicht mehr in der Lage von den steigenden Möglichkeiten in ihrem Leben Nutzen zu ziehen. Lewis hat seine Studien an sich in Mexiko begonnen und später für die USA erweitert.

Lewis Phrase wurde nie richtig populär, hatte aber später großen Einfluß auf Untersuchungen und Theorien über die Ursachen von Armut.

Ende der 70er Jahre war sie mit ein Ursprung des Begriffs „lower class culture“, der vor allem von Journalisten sehr oft gebraucht wurde. Erst 1980 wurde „lower class“ durch „underclass“ ersetzt.

Lewis weigerte sich immer seine Studien einer wissenschaftlichen Überprüfung unterziehen zu lassen, sondern beschränkte sich darauf, seine Statements durch Einzelheiten aus seinen Fallstudien zu illustrieren. So wurde der Begriff „culture of poverty“ genau zu dem was die Journalisten hören wollten. Lewis verglich die Armut in den USA auch immer mit unterentwickelten Völkern, die nach seiner Ansicht einen höheren Level an soziokultureller Organisation als die modernen Slums der USA erreicht hatten.

Der Sozialist Michael Harington hat den Begriff übernommen aber eher ökonomisch interpretiert, was ihn später auch in Konflikt zu Lewis brachte.

2.2 Die Einf ü hrung der „ underclass “

Die Besonderheit des Begriffs „underclass“ liegt darin, daß seine Entstehung im Detail nachvollziehbar ist. Obwohl der Label jeden fesselt, der damit in Berührung kommt, einschließlich Sozialwissenschaftern und Journalisten, wäre seine Entstehung nicht möglich geworden ohne gewisse Umweltbedingungen vor allem in den achtziger Jahren.

Eingeführt wurde der Begriff durch den schwedischen Ökonomen Gunnar Myrdal, der den Begriff „underclass“ als ökonomischen Begriff definierte und damit die Opfer der Deindustrialisierung beschrieb. Er definierte den Begriff als „ ... an unprivileged class of unemployed, unemployables and underemployed who are more and more hopelessly set apart from the nation at large and do not share in its life, its ambitions and its achievements. “ 3

Myrdal hat den Begriff nicht in bezug zu devianten Verhalten definiert und leitete ihn her aus dem Schwedischen des 19. Jhdt., wo er im wesentlichen als Synonym für unwürdige Arme verwendet wurde.

August Strindberg hat den Begriff bereits aus soziologischer Sichtweise definiert, wenn er feststellt: „ ...Society is an invention of the overclass, to keep the underclass below it. “ 4

2.2.1 „Underclass“ als behavioristischer Begriff

Myrdals Begriff war in den USA relativ unbekannt. Erst als sich Mitte der sechziger Jahre die Armen in den Ghettos erhoben und einer Liberalisierung der Wohlfahrt mit sich brachte, entstand eine Gegenbewegung, welche die schwarze Armut sehr kritisch beleuchtete und so entstand der Begriff „underclass“ als beides als rassischer und ökonomischer Begriff.

Danach wurde der Begriff von Tom Kahn verwendet, der das Wort in bezug auf Armut und Ungleichheit verwendete, wobei er eher Myrdals Definition folgte, also die ökonomische Definition.

Daneben wurden drei weitere Begriffe als Reaktion auf die Aufstände der sechziger Jahre verwendet, die allesamt behavioristisch gefärbt waren: „female headed black family“, „tangle of pathology“ und „lower class“ das Edward Banfield neu behavioristisch definierte. Speziell Banfield warf den Armen Unfähigkeit vor, für die Zukunft zu planen.

1973 erfuhr Myrdals Wort eine neue Definition indem es ein behavioristisches und rassistisches Label wurde. Auslöser war ein Artikel im konservativen Blatt „The public interest“, der sich mit der Situation der schwarzen nicht arbeitenden Mittel- und Arbeiterklasse befasste. Darüber hinaus befaßte sich der Artikel mit Gewalt in den Armenvierteln. Die Autoren sahen im Entstehen der „underclass“ ein Ergebnis der urbanen Wohlfahrtspolitik, die die Armut instituionalisiere und viele Schwarze davon abhielt ihre familiäre Situation zu stabilisieren. Die Autoren waren Winston Moore, ein Psychologe, Charles Livermore, ein Jugendarbeiter und George Galland ein Jus-Student. Livermore sagte, der Begriff „lower class“ habe ihm nicht so gut für gewalttätige schwarze Jugendliche gefallen, weil er das terrorisierende Verhalten nicht ausreichend beschreibe.

Der Begriff „underclass“ tauchte später als Synonym für schwarze Armut 1974 in einem Artikel der „Time“ auf5. Dieser bezog sich auf das unterste Drittel der schwarzen Bevölkerung, das unter der Armutsgrenze lebt, und als „troubled underclass“ bezeichnet wurde.

Drei Jahre danach tauchte der Begriff nochmals im „Time“ in Form einer Cover-story auf, und damit begann ein Prozeß, der alle bisherigen behaviouristischen Begriffe für Armut ersetzte. Der Artikel hieß „The American Underclass: Destitute and Desperate in the Land of Plenty“ und hatte in einer sehr alarmierenden Sprache die „underclass“ als ausgegrenzte Bevölkerungsgruppe dargestellt, die nicht mehr durch Maßnahmen zu erreichen wäre, und immer feindlicher würde.

Das Magazin machte aus, daß diese „underclass“ großteils aus urbanen Schwarzen bestehe, die immer noch an ihrem Trauma der Sklaverei litten. Somit wurde „underclass“ zu einem rassischen Terminus, der noch dazu durch den Untertitel „minority within a minority“ gestützt wurde. Als CoverBild wurden feindselig blickende Gesichter von Schwarzen gezeigt.

Das Magazin machte auch erstmals den Versuch „underclass“ zu quantifizieren, und kam auf die Zahl 10 Millionen. Dazugezählt wurden Drogenabhängige genauso wie Schulabbrecher, usw. Als Grund für diesen Artikel wurde durch das Magazin angegeben, „ ...the feeling that things were getting worse. “ 6

Als „things“ war hier die arme, schwarze Bevölkerung gemeint. Dies zeigt die abwertende und verachtende Motivation der Autoren.

Das Magazin machte kein Hehl aus der Tatsache, daß die Einführung neuer Begriffe auch zum Ziel des Blattes gehöre. Dennoch merkte anscheinend niemand, daß der Begriff gar nicht neu war.

Das letzte Stadium der Entwicklung begann 1982 mit Ken Aulettas Buch „The Underclass“. Er verwendete den Begriff auch sehr behavioristisch. Auch er spricht in alarmierender Sprache von Drogen, Gewalt, usw. Er versucht wie das Time-magazine die „underclass“ zu quantifizieren, indem er eine lange Liste von Schätzungen anführt, und eine große Zahl an Bevölkerungsgruppen zur „underclass“ zählt. Manche Beobachter glauben, der Begriff „underclass“ wäre ohne Auletta nach dem Time-Artikel in Vergessenheit geraten. Er jedenfalls sagte, er wollte einen flexiblen Ausdruck (also einen „umbrella-term“), der auch Aufmerksamkeit beim Publikum erregt.

In jedem Fall jedoch hat Auletta den Begriff für nachfolgende Journalisten und Autoren argumentativ aufbereitet und verwendbar gemacht.

Die Entstehung des Begriffs „underclass“ war insofern charakteristisch, als er keinen bestimmten vorhandenen Begriff ablöste, sondern eine recht eigenständige Entwicklung durchlief. In einer Befragung 1980 wurde von Journalisten als Synonym für „underclass“ lediglich „lower class“ genannt. Letzterer verschwand auch nicht und wurde nie ein behavioristischer Terminus.

Der Begriff „underclass“ verbreitete sich aus mehreren Gründen sehr schnell: Zum einen wurden immer mehr Personengruppen zur „underclass“ gezählt, zum anderen wurden dem Begriff durch Beifügung von Adjektiven immer neue Bedeutungen zugewiesen. (intergenerational, biological, hereditary, etc...). Manchmal wurde sogar „sub-underclass“ verwendet.

Präsident Clinton selbst gab dem Begriff eine neue Bedeutung als er 1993 sagte: „...This is not an underclass anymore, this is an outer class...“7 Selbst in der Naturwissenschaft wurde der Begriff auf Tiersozietäten angewendet.

2.2.2 Die journalistische Verbreitung des Begriffs „underclass“

In den achtziger Jahren wurde eine Untersuchung durchgeführt, wieviele Artikel in großen Zeitungen und Zeitschriften den Begriff „underclass“ oder einen verwandten Begriff verwenden. Es zeigte sich, daß die Verwendung von „underclass“ zwischen 1970 und 1980 von 6 auf 40 gestiegen war. 1990 war die Zahl auf 130 angewachsen.

Die Häufung des behavioristischen Begriffs „underclass“ kann begründet werden mit der größeren Sichtbarkeit von Armut, Kriminalität und sonstigen abweichenden Verhaltens in der Öffentlichkeit. Zumeist wurde der Begriff im Zusammenhang mit der schwarzen Bevölkerung verwendet.

Sehr selten wurden Definitionen mit der Verwendung von Begriffen durch die Journalisten mitgeliefert. Journalisten suchen eher Aufmerksamkeit zu erwecken.

Bis Mitte der achtziger Jahre war die Verwendung des Begriffs „underclass“ oft noch jene einer ökonomischen Definition, die darin die Opfer einer politischen oder ökonomischen Entwicklung sah.

Ende der achtziger Jahre fand ein Wandel im Sinne einer stärkeren Verwendung der „underclass“ als behavioristischen, abwertenden Begriff statt. Die Gründe dafür werden darin gesehen, daß Straßenund Drogenkriminalität in dieser Zeit stärker sichtbar wurde.

Unterschiedliche Printmedien verwendeten den Begriff oft auch in unterschiedlicher Weise. Tageszeitungen haben eher den ökonomischen Terminus, Wochenzeitschriften eher den behavioristischen Terminus verwendet. Meinungsbildende Kolumnististen und Politiker verwendeten oft sehr abwertende Termini.

Experten waren eher geneigt, den ökonomischen Terminus zu verwenden, und wurden von Journalisten auch öfter zitiert als Experten mit behavioristischem Ansatz.

Politiker welche den Begriff „underclass“ als behavioristischen Terminus verwenden zählen eher zum konservativen Lager, jene die den Begriff ökonomisch definierten sind eher liberal oder selbst Farbige.

Kongreßmitglieder haben sich nicht an die Medientrends gehalten. Sie haben den behavioristischen Begriff „underclass“ im Laufe der Zeit nicht häufiger verwendet. Regierungen sind an dem Begriff „underclass“ eher wenig interessiert, der Oberste Gerichtshof hat den Begriff nur einmal verwendet, wenn auch in einer sehr abwertenden Weise:

„ ...a permanent caste ... denied the benefits that our society makes available to citizens and lawful residents. “ 8

2.2.3 Legitimierung der „underclass“

Legitimatoren sind Leute und Institutionen, die dazu herangezogen werden, um Termini und Labels glaubwürdig erscheinen zu lassen. Diese Legitimatoren können selbst ein vitales Interesse an diesen Labels haben. Der bekannteste Vertreter war die „Scientific charity movement“, die versuchte die Armen unter ihre Kontrolle zu bringen, und Strafmaßnahmen gegen diese rechtfertigen wollte.

Die Hauptlegitimatoren des Begriffs „underclass“ als behavioristischen Terminus waren Akademiker und Forscher, die für private oder öffentliche Einrichtungen arbeiteten. Legitimatoren werden hauptsächlich während des Prozeß des „Label-making“ herangezogen, wobei Legitimatoren oft von Journalisten zitiert werden, die sich auch selbst als Experten betrachten und zitieren.

Politiker zitieren sehr selten Sozialwissenschafter. Eine Ausnahme waren Eroll Ricketts und Isabell Sawhill. Speziell deren Definition der „underclass“„ ...which invokes four norms whose violation marks behavior ... that often harms the rest of the society. “ 9 wurde vor allem von Journalisten, aber auch von Kongreßausschüssen verwendet.

Journalisten zitieren fast nie Sozialwissenschafter um ihre Argumente zu legitimieren, wenn sie es tun, so differenzieren sie nicht zwischen Wissenschaftern und wissenschaftlichen Aussagen.

Ist ein Begriff einmal in der Gesellschaft verinnerlicht, so benötigt er keine Legitimierung mehr und es wird schwer, einen Begriff wieder verschwinden zu lassen, selbst wenn ein Legitimator diesen Begriff widerrufen möchte.

„ ...when William Julius Wilson announced, in his 1990 address to the american sociological association, that he was dropping his term „ underclass “ and replacing it with „ ghetto-poor “ the story appeared in all major newspapers ... None of the journalists ...followed Wilson ’ s lead. “ 10

Wichtige Funktionen von Legitimatoren sind jene zu alarmieren und zu quantifizieren. Indem die „underclass“ definiert wird, und die Angehörigen quantifiziert werden, können in der Gesellschaft alarmierende Stimmen ausgelöst werden, die sich von der „underclass“ bedroht fühlen. Problematisch ist hier natürlich die Zuverlässigkeit der Quantifizierungsergebnisse und natürlich die Operationalisierung des Begriffs.

Journalisten neigen oft dazu, Quantifizierungen zu interpretieren, und daraus Alarmmeldungen zu machen.

Forscher sind in den seltensten Fällen finanziell unabhängig und immer von Finanzierung von außen abhängig. Große Konzerne finanzieren Foundations, die auch sozialwissenschaftliche Einrichtungen fördern. Sehr viele dieser Foundations sind konservativ ausgerichtet und sehen in der Armut großteils den Fehler der Armen selbst. Nur wenige Foundations sind eher liberal, wie z. B. die Rockefeller Foundation oder die Ford Foundation und sehen dies differenzierter.

Derartige liberale Foundations sehen nicht die Schuld der Armen selbst, sondern suchen die Ursache für Armut im Wirtschaftssystem. Ford und Rockefellers Foundations wollten nicht direkt in die Sozialpolitik eingreifen, sondern nur theoretisches Wissen über Armut schaffen. Nachdem die Tätigkeit dieser Organisationen mit dem Höhenflug des Begriffs „underclass“ zusammenfiel, wundert es nicht, daß die Forschungen unbeabsichtigt die Verbreitung des Begriffs förderten.

Vorreiter war hier das von Rockefeller geförderte Social science research council (SSRC) der bis 1993 für Rockefeller geforscht hatte, und die sich, bedingt durch den Mainstream der Begriffe auf „underclass“ festgelegt hatten. In den Medien war man schon lange überzeugt, daß sich „Armut“ nicht verkaufen lasse, und nur „underclass“ Aufmerksamkeit erregt.

Die Forschungsergebnisse waren schlußendlich auch nicht auf die Ursachen von Armut ausgerichtet sondern auf die Armen in behavioristischer Hinsicht.

Nachdem die Regierung Reagan eine sehr restriktive Sozialpolitik verfolgte, waren Begriffe eigentlich nicht mehr erforderlich, um diese Taten zu unterstreichen. Somit fand „underclass“ hier kaum Anwendung. Erst Präsident Clinton hat gelegentlich den Begriff „underclass“ verwendet.

Nicht zuletzt war es eine schwarze Organisation, die den Begriff „underclass“ unbeabsichtigt förderte. Durch die Tatsache, daß durch den Begriff „underclass“ hauptsächlich die schwarze Bevölkerung gemeint war, befaßte sich auch die „urban league“, die schwarze nationale Interessensorganisation mit der Thematik und konnte sich durch die umfangreiche Sammlung statistischen Materials hohe Bekanntheit verschaffen.

Daher wurde die „human league“ immer wieder auch von Journalisten zu der Thematik angesprochen und lieferte somit Datenmaterial zur Untermauerung des Begriffs „underclass“

Daneben fand ein alter Klassenkonflikt in der schwarzen Gemeinde statt, als schwarze Funktionäre und Forscher den Begriff immer wieder verwendeten, um den Lebensstil der armen Schwarzen zu verurteilen.

Ein weiterer Klassenkampf fand statt zwischen den karibischen und afro-amerikanischen Schwarzen, die sich gegenseitig mit dem Begriff „underclass“ verurteilten.

2.2.4 Warum der Erfolg von „underclass“

Der Einfluß von Experten ist sicherlich eine Tatsache, aber nicht ausreichend, um das Phänomen zu erklären. Warum wurde Myrdals ökonomische Konzeption von 1963 erst 1973 in einen behavioristischen Terminus umgewandelt, und erst 1977 erstmals in die Medien und erst 1988 zu großer Verbreitung geführt. Es zeigt sich, daß hier auch politisch-ökonomische Rahmenbedingungen mit zu berücksichtigen sind.

Ende der 60er Jahre führten die Aufstände und Unruhen dazu, behavioristische Definitionen für den Begriff „underclass“ zu verwenden. In den 70er Jahren als die USA andere Probleme hatte (Ölkrise, Inflation) fand das Thema kaum Beachtung. Erst in den 80er Jahren erkannten die Menschen, daß bedingt durch die schlechte Wirtschaftslage ihr eigener Wohlstand gefährdet war. Diese Ängste wurden auf Arme, Kriminelle, Drogenabhängige, etc. übertragen, die mmer mehr in der Gesellschaft sichtbar wurden. Das Gefühl einer subjektiven Bedrohung stieg. Die Amerikaner waren bereit für alarmierende Botschaften, selbst wenn diese nicht der Wahrheit entsprachen.

Die politische Führung wurde gleich mit verurteilt, war sie doch nicht in der Lage mit der Bedrohung fertig zu werden. Der Begriff „underclass“ bot in diesem Konflikt zwischen der amerikanischen Mittelklasse und der „underclass“ den semantischen Vorteil, zum Ausdruck zu bringen, daß es sich hier um eine Klasse handelt, die nicht nur unten ist sonder auch unten gehalten werden muß, und nach Möglichkeit vom Rest der Bevölkerung isoliert werden sollte.

2.2.4.1 Die Rolle der Sozialwissenschafter und Journalisten

Myrdals Konzept wäre nie ein behavioristischer Terminus geworden ohne die Partizipation von Journalisten und Sozialwissenschaftern. Sehr viele Wissenschafter haben „underclass“ wiederholt verwendet, und Journalisten versuchten ohnedies nur ein großes Publikum zu erreichen. Sie dachten auch nicht über die Auswirkungen ihrer Definitionen nach, und versuchten auch gar nicht, hinter ihren Begriffen Ideologien zu suchen.

Sozialwissenschafter versteckten sich wiederum hinter der wertfreien Sozialwissenschaft und fühlten sich so befreit, über die Auswirkungen ihrer Forschungen nachzudenken. Vielleicht hätten die Wissenschafter zwar den Begriff nicht zum verschwinden bringen können, dennoch hätten sie über die Auswirkungen ihres Tuns nachdenken können.

2.2.4.2 Die Zukunft des Labels „ underclass “

Labels welche Arme stigmatisieren sind immer wieder erschienen und verschwunden. „Underclass“ kann vielleicht verschwinden, wenn Armut verschwindet oder neue Umstände nach neuen Labels verlangen.

In den achtziger Jahren, als die Regierung Clinton die Betonung wieder auf Sozialpolitik und Wohlfahrt legte, sahen sich seine Gegner veranlaßt wieder mit neuen Begriffen zu argumentieren, wie „welfare dependants“, oder „family values“, die den Wohlfahrtsabhängigen abgesprochen wurden.

Obwohl es Versuche von schwarzen Sozialwissenschaftern gab, den Begriff „underclass“ zurückzudrängen, ist dies nicht gelungen.

Eine Romantisierung des Begriffs „underclass“ sollte unter den derzeitigen Umständen wohl nicht stattfinden, doch kann die Zukunft immer wieder einen neuen Kurt Weill oder Bert Brecht bringen, „ ...who, it may be remembered, romanticized the urban murderers, thieves, and other criminals of another century in the Dreigroschenoper... “ 11.

2.3 Die Gefahren der „ underclass “ und anderer Labels

Eines der abwertendsten Labels in den USA ist „slum“, das die Bewohner von Gegenden bezeichnet, die über geringes Einkommen verfügen und in einer gefährlichen Umgebung wohnen.

Nach dem 2. Weltkrieg war „slum“ ein offizielles Label und die Regierung fühlte sich unter dem Druck der Bauindustrie veranlaßt, zahlreiche Slums einer „clearance“ zuzuführen. Obwohl viel Geld zur Verfügung gestellt wurde verlor über eine Million Haushalte ihr Heim und erhielt kaum Hilfe.

Dies zeigt, welch fatale Auswirkungen ein Label haben kann. Zwar sind Labels nur Worte, aber durchaus geeignet, Auslöser strafender Aktionen zu werden.

2.3.1 „Underclass“ als Codewort

Die erste Gefahr für den Terminus „underclass“ liegt darin, daß er Aufmerksamkeit erregt. Er hat eine technische Aura und kann dazu benutzt werden, die Ablehnung einer Personengruppe zu verstecken. Die Menschen können hinter dem Wort verstehen, was immer sie möchten. Zum einen zeigt „under“, daß dies Menschen sind, die nicht in der Gesellschaft sind, sondern darunter, sie werden quasi aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Zum anderen kann er auch als Synonym für die Gesamtheit aller Armen verstanden werden. Die werden dann zwar nicht aus der Gesellschaft ausgeschlossen, die soziale Distanz allerdings wird vergrößert.

„Underclass“ wird auch als rassisches oder ethnische Codewort verwendet, um dahinter die Ablehnung von Farbigen zu verstecken. Es ermöglicht, rassistische Aussagen zu tätigen, ohne dies offen zugeben zu müssen. Auch Vorwürfe gegen Arme können versteckt werden, selbst wenn diese offen diskutiert werden sollten. Hierzu wären spezifische Begriffe wie „Bettler“ oder „Unterstandslose“ besser geeignet.

2.3.2 Flexibilität des Labels

Flexible Labels bedeuten, daß sie jederzeit neue Gruppen der Gesellschaft stigmatisieren, oder bereits stigmatisierten Gruppen neues Fehlverhalten zuordnen können. Flexibilität meint aber auch, daß jedermann irgend jemandem ein Label zuweisen kann, ohne Rechenschaft abgeben zu müssen.

Illegale Immigranten sind viel häufiger der staatlichen Verfolgung ausgesetzt, wenn der Betreffende durch einen Einheimischen des devianten Verhaltens beschuldigt, und somit der „underclass“ zugeordnet wird.

Eine weitere Gefahr ist, daß viele Menschen glauben, daß „underclass“ eine homogene Gruppe von Menschen und nicht nur eine Vorstellung ist. Früher oder später wird nach äußeren Zeichen gesucht, um eine Zuordnung treffen zu können. Dies führt dazu, daß Folgen der Armut als deren Ursache identifiziert werden, und somit beispielsweise das Fehlen eines Wohnsitzes für die Ursache der Zugehörigkeit zur „underclass“ identifiziert wird.

Wird beispielsweise der Empfang von Wohlfahrt als Ursache für die Zugehörigkeit zur „underclass“ gesehen wird, kann geschlossen werden, die Beseitigung der Wohlfahrt beseitige auch die “underclass“.

Sehr oft kommen zu diesen Kausalitätsbegriffen auch moralische Wertungen. Wenn die „underclass“ eine Folge von devianten Verhalten ist, so ist die Lösung in moralischer Verurteilung zu suchen.

Ein Beispiel bietet die Arbeit von Rickett und Sawhill. Sie zählen zur „underclass“ vier Populationen:

- Schulabbrecher
- Langfristige Arbeitslose
- Wohlfahrtsempfänger
- Ledige Mütter

Sie sehen in diesen Populationen auch das Ergebnis abweichenden Verhaltens. Die beiden Autoren geben zu, über die Ursachen dieses abweichenden Verhaltens nichts angeben zu können. Dies kommt allerdings einer moralischen Verurteilung gleich, wenn sie die „underclass“ als abweichendes Verhalten definieren und gleichzeitig nichts über die Ursachen zu sagen haben.

Sie geben auch keine Hinweise darüber ob diese vier Gruppen tatsächlich Resultate von Normverletzungen sind. So gibt es beispielsweise sicher Schulabbrecher, die dies tun, weil sie sich gängigen Bildungsnormen nicht unterwerfen wollen, andererseits gibt es sicherlich auch jene, die dazu gezwungen sind, in den Arbeitsmarkt einzutreten, weil sie Familien zu erhalten haben.

Insgesamt ist ihre Arbeit als sehr normativ zu beurteilen und läßt ganz außer acht, daß es möglich wäre, daß die Wirtschaftslage diese Menschen daran hindert, Normen zu erfüllen.

„ ...As a result the two authors make no provision for data that measure the failures of the mainstream economy, and they do not include - or operationalize - a good deal of other information. “ 12

Insofern spricht Gans ihnen Wissenschaftlichkeit ab:

„ ...until they include such data their definition and operationalization of „ underclass “ are scientific only because and to the extent that their counting procedures observe the rules of science. “ 13

1980 wurde eine weitere kuriose Methode zur Messung des „underclass“ -Status eingeführt. Arme wurden befragt, inwiefern sie für die Zukunft planten. Alle jene, die ehrlich antworteten, daß sie nicht planten, wurden als „underclass“ stigmatisiert, ohne zu berücksichtigen, daß Unfähigkeit nicht automatisch mit Unwillen gleichzusetzen ist.

Das US-Büro für den Zensus hat diese Methode noch „verfeinert“ indem sie Gebiete identifizierte, in denen über 40 % Arme leben. Diese wurden sofort als „Armengebiete“ klassifiziert, obwohl dies sehr unfair ist, zumindest den 60% Nichtarmen gegenüber.

Rickett und Sawhill haben diese Gebiete auch gleich als „underclass-areas“ identifiziert. Die Gefahr solcher Klassifizierung liegt nun darin, daß ganze Gebiete sehr schnell stigmatisiert werden, und dazu führen, daß Regierung und Unternehmungen sich veranlaßt sehen, finanzielle Mittel und Investitionen aus diesen Gebieten abzuziehen. Regierungen können nun veranlaßt werden in diesen Gebieten verstärkt soziale Einrichtungen wie Drogenzentren, Zentren für Unterstandslose, etc. einzurichten, was zu noch stärkerer Stigmatisierung und wachsender Armut führen kann.

In Wahrheit ist der Begriff „underclass area“ lediglich eine modernisierte Form des Begriffs „slum“.

2.3.3 Die Gefahren des „umbrella“-Effekts

Eine große Gefahr liegt darin, daß Benützer des Labels „underclass“ eine sehr weite Definition damit assoziieren können. Je größer die Gruppe der so Stigmatisierten ist, desto größer auch die Wahrscheinlichkeit, daß auf die extreme Armut eines Teils dieser Gruppe vergessen wird. Da die „underclass“ als gefährlich perzipiert wird, wird die Polizei verstärkt, Strafen werden verschärft und Anti-Armuts-Programme werden vernachlässigt.

Darüber hinaus wird auch vergessen, daß die Angehörigen der „underclass“ eine Vielfalt von Problemen und Ursachen für ihre Lage vorweisen, und daß sie nur eines gemeinsam haben, nämlich die Tatsache, daß sie in ihrem Verhalten den Mainstream der Bevölkerung stören. Dies führt dazu, daß eine verallgemeinernde „anti-underclass“-Politik stattfindet, die den Bedürfnissen der Betroffenen nicht gerecht wird. Dies führt langfristig zu erheblicher Benachteiligung und Verletzung von Bürgerrechten von Leuten die eigentlich nichts ungesetzliches getan haben.

In der Praxis zeigt sich, daß die Bevölkerung sehr dazu neigt, solch drastische Maßnahmen gegen die „underclass“ zu unterstützen. Die Vergangenheit zeigte, daß dies im Extremfall bis zu Deportationen, Sterilisierungen und Segregation führen kann.

Die nachhaltige Veränderung einer Gesellschaft zur Verhinderung von Kriminalität und anderem extrem devianten Verhalten erfordert differenzierte Sozialpolitik.

2.3.4 Die menschlichen Gefahren von Labels

Labels werden oft dazu verwendet um Signale und Indizien zu finden, Angehöriger einer ausgegrenzten Gruppe zu identifizieren. Diese Signale sind jedoch oft so allgemein gehalten, daß weit mehr Menschen so stigmatisiert sind, als tatsächlich der Gruppe angehören. Wird z. B. eine bestimmte Art sich zu kleiden mit der Zugehörigkeit zu einer Jugendbande assoziiert, so werden alle, die sich ähnlich kleiden, aber keiner Bande angehören, mitverurteilt.

Labels verstärken auch oft die Ursache seiner selbst. Psychisch Kranke zeigen, wenn sich stigmatisiert werden, verstärkte Symptome ihrer Krankheit. So werden Labels zu sogenannten „self- fulfilling-prophecies“, wenn beispielsweise Schüler aus zerrütteten Familien von den Lehrern diskriminiert werden, führt dies sehr oft zum Scheitern in der Schule und so zur Wiederholung der elterlichen Lebensführung.

Erfahrung in Gefängnissen wiederum führt unweigerlich zur Unfähigkeit, aus der Spirale der Kriminalität zu entweichen, zumal eine kriminelle Vorgeschichte die Wiedereingliederung in die Gesellschaft fast unmöglich macht.

Darüber hinaus werden stigmatisierte Hilfesuchende von Wohlfahrtsinstitutionen oft benachteiligt. Aufgrund von Ressourcenmangel und Überarbeitung sind die Mitarbeiter dort gezwungen, die zu Unterstützenden auszuwählen. Hier fallen oft jene durch den Rost, von denen angenommen wird, sie beschwindeln die Institution oder mißbrauchen sie. Dies führt zu gegenseitigem Mißtrauen, Angst vor Rache und kann zuguterletzt bei verweigerter Unterstützung den Armen den letzten Halt am Rande des Abgrunds entziehen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß Stigmatisierung von Unschuldigen diese dazu veranlaßt, sich so zu verhalten wie es von der Umwelt erwartet wird: mit devianten Verhalten, indem sie aggressiv auf die Stigmatisierung reagieren.

Wenn von Unternehmern derart geringe Löhne gezahlt werden, daß die Arbeiter ohne Drogenhandel, Diebstahl oder andere Kriminalität nicht überleben können, so sollte man die Schuld dafür vielleicht nicht nur bei den Armen suchen.

2.3.5 Die Ungenauigkeit von Labels

Labels sind in mehrfacher Hinsicht ungenau, unpräzise und unrichtig. Was bedeutet „underclass“? Die Gesellschaft ist von der Spitze bis zur Basis durchstrukturiert. Da kann und darf keiner darunter stehen.

Was bedeutet „wohlfahrtsabhängig“? Nur 30% der Wohlfahrtsempfänger beziehen diese länger als 2 Jahre. Und weshalb sind Studenten mit Stipendium nicht als „abhängig“ stigmatisiert? Große Firmen, die staatliche Subventionen beziehen, sind auch davon abhängig, aber haben kein Label dafür erhalten.

Der Begriff der „Ein-Eltern-Familie“ wird auch sehr wertend verwendet. Dies ist nicht gerechtfertigt, zumal besonders arme ledige junge Mütter zumeist einen Partner zumindest in der Nähe haben oder aber durch die eigene Familie große Unterstützung. Kinder die bei ihren jungen ledigen Mutter aufwachsen, müssen nicht zwangsläufig später in ihrem sozialen Aufstieg scheitern. Oft ist es besser das Kind hat nur die Mutter als zwei Elternteile die in ständigem Konflikt leben. So gesehen sollte man die Einelternfamilie zwar nicht fördern aber doch tolerieren. Grundsätzlich läßt sich noch hinzufügen, daß das Problem nicht die Schwangerschaft ist, sondern die Armut.

Der Label „unterstandslos“ wird oft mit Bettlern gleichgesetzt, obwohl diese zumeist einen Wohnsitz haben. Oft sind es Drogenabhängige und psychisch Kranke, die die Unterkunft verloren haben. Hier hilft es auch nichts, wenn man die Kranken heilt, oder die Süchtigen entwöhnt. Selbst danach haben sie auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance, um sich eine Wohnung erhalten zu können. Und solange es nicht genügend Jobs und Wohnungen gibt, muß es quasi Menschen geben, die arbeits- und unterstandslos sind.

Labels beschreiben also nie die Ursachen und wahre soziale Tatbestände, sondern hauptsächlich vermeintliches Verhalten.

2.4 Die W ü rdelosigkeit der Armen

Den Label „underclass“ aus der Gesellschaft zu entfernen, beseitigt nicht die Gefahren selbst, die zu der Stigmatisierung führen. Wird ein Label verdrängt, taucht ein neuer auf. Allen gemeinsam ist, daß sie Armut zum Teil als unwürdig und selbstverschuldet sehen.

Diese Perzeption von Armut als schuldhaft ist die Wurzel dafür, daß Arme heute oft als Sündenböcke dargestellt werden, denen am besten dadurch beizukommen ist, daß man ihnen möglichst jede Unterstützung versagt.

Die Unwürdigkeit von Menschen ist ein sehr machtvolles Label und wurde und wird wiederholt auf viele Gruppen angewandt. Vor oder während eines Krieges wurden die Bürger des gegnerischen Staates mit diesem Label bedacht, um die moralische Rechtfertigung zu haben, diese zu vernichten.

Mehr als das sprachen sich viele antagonistische Gruppen gegenseitig die Würde ab: Arbeiter den Angestellten und umgekehrt, Neureiche den Altreichen und umgekehrt, etc. Nur in einem waren sich alle diese Gruppen einig, nämlich, daß den Armen, denen man unterstellte, kriminell oder zumindest „abnormal“ zu sein, diese Würde abzusprechen sei. Diese Haltung resultierte aus einem bewußt oder unbewußt perzipierten Gefühl der Bedrohung. Dies kann natürlich langfristig dazu führen, daß politische Maßnahmen gefordert werden, die auf die Beseitigung dieser Bedrohung hinauslaufen: die Beseitigung der Armen (und nicht der Armut).

2.4.1 Bedrohung durch die Armen

Angst ist sicherlich ein Hauptgefühl, das die wohlhabenden Menschen den „wertlosen“ Armen entgegenbringen. Diese Angst wird in den USA nicht nur von Politikern sondern auch von Medien und der Unterhaltungsindustrie geschürt. Politiker wollen wiedergewählt werden und haben somit kein Motiv die Armen zu verteidigen, oder dafür Geld auszugeben.

Die Ängste der Menschen sind natürlich nicht immer begründet, und so unterscheidet Gans zwischen „ ... actual, imagined, exaggerated, and displaced ... [threats] ... The threats can also be classified into a number of substantive categories that have changed little over the centuries... “ 14

Tatsächliche Bedrohung ist nach Gans somit basierend auf persönliches Erleben und empirisch belegbar. Eingebildete Bedrohung existiert nicht wirklich, und bildet eine wesentliche Basis für die Entwicklung von Stereotypien. Um solche eingebildete Bedrohung zu bekämpfen, muß man ihre Ursachen suchen.

Übertriebene Bedrohung ist Übersteigerung von tatsächlicher Bedrohung und extrem schwer mit sachlichen Argumenten zu bekämpfen, da sie immer auch einen kleinen Kern Wahrheit enthalten. Sie gelten soziologisch als die gefährlichsten.

Übertragene Bedrohung ist solche, die eigentlich andere Ursachen als die Armut anderer Menschen hat, jedoch von den Leuten auf diese projiziert wird. Ein Beispiel ist hier die Angst um die persönliche wirtschaftliche Lage.

Die Bedrohung der persönlichen Sicherheit wird durch die Menschen am intensivsten empfunden. Selbst wenn Kriminelle auf den Straßen nicht gewalttätig werden, wie beispielsweise bei Taschendiebstahl wird dies doch als immenser Eingriff in die Privatsphäre empfunden.

Ein Grund dafür, daß Straßenkriminalität so bedrohlich empfunden wird, liegt darin, daß die Gefahr nicht berechenbar ist. Diese Unsicherheit wird durch die Medien noch verstärkt, die in diesem Zusammenhang von „zufälligen“ Opfern sprechen.

Untersuchungen zeigten, daß gute nachbarschaftliche Beziehungen die empfundene Bedrohung reduzieren können. Statistiken zeigen, daß Leute die schon über einen längeren Zeitraum in der selben Gegend leben, sich weniger von Kriminalität fürchten. Es gibt Hinweise darauf, daß die Angst vor Kriminalität eine transformierte Angst vor wirtschaftlicher Unsicherheit ist. Diese Angst wird auch auf Nicht-Kriminelle übertragen, wie Bettler oder Unterstandslose. So wurden in den USA ledige Mütter oft auch als Züchterinnen von (potentiell) Straffälligen betrachtet.

Die Bedrohung der persönlichen Sicherheit wird oft auch auf reine Äußerlichkeiten der (schwarzen) Jugendkultur übertragen, wie Kleidung, Musik, etc. Gans nennt dies „ ...cultural safety threats...15

Erstaunlich ist, daß von der Mehrheit der Bevölkerung durchaus reale Bedrohung wie z. B. Umweltverschmutzung, oder Wirtschaftskriminalität als nicht existent empfunden wird. Ein Grund dafür ist darin zu suchen, daß die Bedrohung mit einer großen Anzahl von Menschen geteilt wird.

Straßenkriminalität ist für Gans eine ökonomisch sehr kleine Bedrohung. Die Kosten dafür steigen nur, wenn man die Kosten der Schutzmaßnahmen wie Polizei, Gefängnisse, Gerichte, etc. hinzuzählt. Dementsprechend wird Straßenkriminalität von den Menschen auch nicht als ökonomische Bedrohung empfunden.

Die am größten empfundene ökonomischen Bedrohung ist erstaunlicherweise jene durch die Wohlfahrtsempfänger. Obwohl alle in den USA dafür aufgewendeten Mittel nur 15% des Verteidigungsbudgets ausmachen, wird dies als persönliche ökonomische Bedrohung empfunden. Viele Menschen betrachten die Wohlfahrtsempfänger als Leute, die von ihnen persönliche durch ihre Steuergelder unterstützt werden, ohne dafür irgend etwas zurück zu erhalten.

Verhalten, welches von moralischen Werten abweicht, wird oft als persönliche Attacke empfunden, insbesondere von Menschen, die diese Werte aus ihrer religiösen Orientierung herleiten. Abweichendes Verhalten wird oft als Auswuchs von schlechten Werten perzipiert. Bei Armen wird oft nur das abweichende Verhalten gesehen, nicht jedoch, daß die Armen oft nicht in der Lage sind sich in ihrem Verhalten dem „mainstream“ anzupassen. Diese Menschen geben oft, danach gefragt, die selben moralischen Werte an, wie sie Wohlhabende haben oder vorgeben.

Oft zeigen auch wohlhabende Klassen abweichendes Verhalten, wie Drogenkonsum, haben jedoch im Gegensatz zu beispielsweise Unterstandslosen, die Möglichkeit, diese in der Privatshäre zu verbergen. Oft „hedonistischer“ Lebensstil von Reichen ist eben der Öffentlichkeit nicht sichtbar, und wird daher auch nicht als Bedrohung empfunden.

Zeigen Arme einzelnes abweichendes Verhalten, so geht von ihnen sogleich die Bedrohung einer „Masse devianten Verhaltens“16. Der republikanische Abgeordnete Newt Gingrich brachte dies in einer Rede 1993 zum Ausdruck:

„ ...You can ’ t maintain civilization with twelve-year-olds having babies and fifteen-year-olds killing each other and seventeen-year-olds dying of AIDS. “ 17

Übertragene Bedrohung wird durch verschiedenste Probleme in der Gesellschaft ausgelöst, und jene auf die diese Bedrohung übertragen wird, agieren als Sündenböcke. Diese werden einerseits dafür verantwortlich gemacht, neue Probleme zu schaffen, oder alte zu verschlimmern, oder aber für die Jugend als „schlechtes Beispiel“ zu fungieren.

Arbeiter machen z. B. Sozialhilfeempfänger für den Niedergang der Wirtschaft verantwortlich, und Eltern von jungen Mädchen fürchten, daß sich diese an den jungen ledigen Müttern ein „schlechtes Beispiel nehmen könnten“, obwohl dies erwiesenermaßen nicht zutrifft. (Mittelklassemädchen haben einen deutlich leichteren Zugang zu Verhütung und Abtreibung als sozial benachteiligte). Wenn Arme schon als Vorbild fungieren, so doch in der Modeindustrie, wo immer wieder Modeideen von der „underclass“ entlehnt werden.

Diese Transformierung von Problemen auf kriminelle Arme führt etztlich dazu, ein inneres Feindbild der Nation zu liefern, insbesondere dann, wenn die äußeren Feindbilder abhanden gekommen sind.

Hierzu gibt es wenige wissenschaftliche Untersuchungen. Eine davon, von Bruce Link, zeigte, daß fast die Hälfte der US-Amerikaner Unterstandslose als „gefährlich“ einstuft. Noch höher ist dieser Anteil bei geistig Kranken. Nicht gerade überraschenderweise waren es die am wenigsten gebildeten, ärmsten und ältesten unter den Befragten, die dies unterstützten.

Darüber hinaus zeigte sich, daß abweichendes Verhalten nicht per se eine Bedrohung darstellt, sondern solange toleriert wird, solange dieser Mensch nicht von öffentlichen Geldern unterstützt wird. Auf den Punkt gebracht trifft dies z. B. zu für unverheiratete Mütter, die stigmatisiert werden, die entsprechenden Väter jedoch (nicht von Sozialhilfe unterstützt), in der öffentlichen Meinung unangetastet bleiben.

2.4.2 Funktionen der „wertlosen“ Armut

Herbert Gans hat 13 verschiedene Funktionen, (unterteilt in fünf „Sets“) der „wertlosen“ Armut herausgearbeitet. Funktionen, welche den Angehörigen der wohlhabenden Schichten Vorteile aus der Etikettierung der Armut verschaffen, den Armen jedoch meist gleichzeitig Benachteiligung einbringt.

Diese dreizehn Funktionen seien hier schematisch dargestellt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.5 Eine Politik gegen Armut und Wertlosigkeit

Die Frage, wie man Politik gegen Armut und Würdelosigkeit machen kann, ist eng an die Frage der wirtschaftlichen Situation des Landes geknüpft. Nach Gans muß diese Politik auf drei Wegen ansetzen: Zum ersten muß den Armen das Gefühl der Würde zurückgegeben werden, zum zweiten müssen die mit der unwürdigen Armut einhergehenden Stereotype reduziert werden, und drittens muß die Straßenkriminalität reduziert werden, beziehungsweise, noch wichtiger, die Angst der Bürger davor.

2.5.1 Beseitigung der Bedrohung der persönlichen Sicherheit

Die Geschichte hat gezeigt, daß höhere Haftstrafen, kein wirksames Mittel zur Beseitigung der Kriminalität sind. Eine neue umfassende Kriminalpolitik muß Kriminelle sicher aus dem öffentlichen Raum entfernen, gleichzeitig aber als eine Art „Rehabilitationszentrum“ fungieren, welches Ausbildung und eine sinnvolle Arbeit ermöglicht, und so den Wiedereinstieg in die Gesellschaft ermöglicht.

Natürlich können an einem solchen Programm nur jene Kriminellen teilnehmen, die nicht etwa chronisch gewalttätig sind, oder denen die kriminelle Handlung emotionale Befriedigung verschafft.

Gleichzeitig muß ein solches Programm mit massiver Arbeitsplatzbeschaffung einhergehen, um neue Sammelbecken für die Rekrutierung von Kriminellen zu vermeiden. Solche Arbeitsbeschaffungsprogramme müssen Jobs bieten, die so gut bezahlt sind, daß sich die Straßenkriminalität nicht lohnt.

2.5.2 Für eine umfassende Politik gegen Armut

Wie Gans schon mehrfach ausgeführt hat, liegt der Schlüssel zur Beseitigung der Straßenkriminalität und der unwürdigen Armut in der Vollbeschäftigung. Nur dadurch können langfristig Arme auf den „mainstream“ gebracht werden. Gans sieht ein Programm für eine „umfassende“ Politik gegen die Armut von vier Prinzipien geleitet:

1. Zuallererst muß eine Politik gegen die Armut geleitet von der Schaffung von Arbeitsplätzen sein. Die Schaffung von Arbeitsplätzen muß absolute Priorität auch unter Inkaufnahme von Einbußen bei der Inflation oder anderen ökonomischen Kennzahlen sein. Gans nimmt hier anscheinend Anleihen bei Keynes gesteht jedoch ein, daß die Umsetzung einer solchen Politik auf dem Papier leichter fällt als in der Praxis.

Langfristig wird eine solche Politik jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn die Jobs, die hier geschaffen werden, nicht nur low-level-jobs sind, und vor allem die Jugendlichen in der Armut und somit in der Stigmatisierung festhalten. Ist sie jedoch einmal erfolgreich, so ist sie dies nicht nur ökonomisch sondern auch sozial. So „aufgestiegene“ Arme werden verantwortungsvolle Mitglieder einer Gesellschaft.

2. Zweites Prinzip ist (zumindest in den USA), daß eine solche Politik auf die Unterstützung durch private Unternehmungen angewiesen ist. Dies wirkt sich insofern erschwerend aus, als seit den 80er Jahren generell eine Tendenz des „down-sizing“ festzustellen ist.

3. Ein solches Programm muß universalistisch und nicht spezifisch auf Arme ausgerichtet sein. Nur wenn alle von einem solchen Programm profitieren, erhält es auch die politische Unterstützung.

4. Das Programm darf keinesfalls auf die Förderung von bestimmten Rassen ausgerichtet sein. Wenn es sich an alle Bürger wendet, ist die schwarze Bevölkerung automatisch inkludiert.

In der Vergangenheit wurde bereits versucht, die Kaufkraft der Bevölkerung durch Senkung des Zinsniveaus zu heben. Eine weitere Möglichkeit wäre, das Einkommen der Armen, i. e. die Mindestlöhne anzuheben und so die Kaufkraft jener, die am ehesten als Käufer in Frage kommen, zu heben, nämlich jene der Armen.

In den USA wären gezielte Maßnahmen zur Förderung jener Industriebetriebe vonnöten, die arbeitskräfteintensiv sind und so mithelfen, die Arbeitslosigkeit zu senken. Dies Widerspricht natürlich dem amerikanischen Selbstverständnis der Wirtschaftspolitik, doch wäre es nach Gans sicher einen Versuch Wert.

Auch die direkte Schaffung von Arbeitsplätzen durch die Regierung oder die Kommunen ist eigentlich „unamerikanisch“, doch kann diese Maßnahme mithelfen, die Armen von der Straße wegzuholen und des Stigmas zu berauben.

Derartige Maßnahmen können von der Erneuerung von Gebäuden und Brücken bis zur Schaffung von Arbeitsplätzen für Lehrer reichen, die ihrerseits wiederum zur Reduzierung der Klassenschülerhöchstzahl und somit zu besseren Bildungschancen für die Betroffenen führt. Gans räumt ein, daß die staatliche Schaffung von Arbeitsplätzen nur ein Kurzzeitprogramm sein kann, welches aber durchaus durch Experimente und Innovation die Schaffung von Jobs in der Privatwirtschaft fördern kann. Durch all diese Maßnahmen kann natürlich nicht verhindert werden, daß einzelne Betroffene wiederum rückfällig werden, doch muß durch Aufklärungsarbeit sichergestellt werden, daß das Gesamtprojekt nicht gefährdet wird.

Teilung der zur Verfügung stehenden Arbeit ist eine sehr wichtige Maßnahme zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Gans stellt fest, daß „ ...work sharing policy is virtually unknown here, although it is being implemented in bits and pieces in Western Europe, where the average industrial work week is gradually being driven down to thirty-five hours or less... “ 18

Gleichzeitig ist jedoch klar, daß die Finanzierung der Arbeitszeitverkürzung und somit des „job- sharings“ nur über höhere Produktivität erfolgen kann. Kontraproduktiv ist sicherlich eine gleichzeitige Lohnsenkung, weil dadurch noch mehr Arme an den Rand des Existenzminimums gedrängt werden.

Für jene, die nicht arbeiten können, oder keine Arbeit finden, sollte nach Gans ein garantiertes Mindesteinkommen vorgesehen werden, welches gleichzeitig die Arbeitslosenunterstützung und die Sozialhilfe ersetzt. Diese beiden Beihilfen wurden ohnedies von den meisten Betroffenen eher als diskriminierend empfunden. Mit dieser neuen Form der Beihilfe wird den Betroffenen das Gefühl vermittelt, „ Opfer der Unfähigkeit der Wirtschaft, Jobs zur Verf ü gung zu stellen “ 19 zu sein.

Gans sieht einen direkten Zusammenhang zwischen Armut und Kriminalitätsrate durch den Vergleich mit Westeuropa bestätigt:

„ ...Even though the Western European benefits have been reduced in the 1990s, they still remain far above American ones, where welfare and food stamps together come to only about 25% of the median American family income. This is one reason American crime and addiction rates are far above European ones. “ 20

2.5.3 Beseitigung der Würdelosigkeit

Viel wichtiger als die Arbeitsplatzbeschaffung, und noch vor deren Implementierung erforderlich, ist die Notwendigkeit, die Idee der Würdelosigkeit und der damit zusammenhängenden Stereotype zu beseitigen. Da der Begriff an sich eine Funktion in der Gesellschaft hat, nämlich den, Sündenböcke zu schaffen, kann dieser Kampf nicht leicht ausfallen.

Ansatz dabei muß sein, daß die Amerikaner davon überzeugt werden, daß ein deskriptiver Begriff der Armut viel zutreffender ist. Dabei muß man den Menschen zeigen, daß Arme aus nachvollziehbaren Gründen so leben wie sie leben und dies nicht nur negativ besetzt sein muß.

So kann man den Menschen zeigen, daß junge, unverheiratete Mütter vielleicht gesündere Babys auf die Welt bringen als etwa Karrierefrauen in späteren Jahren. Zur Beseitigung von Stereotypen sind weitreichende Informationsprogramme erforderlich. Hierbei müssen auch die Medien und die Journalisten davon überzeugt werden, daß es Sinn macht, gegen diese Vorurteile anzukämpfen. Dazu wäre eine neue Methode einzuführen, nämlich jene der „populären Ethnographie“21. Dabei muß der Öffentlichkeit gezeigt werden, warum Arme so leben, wie sie leben, und unter Einbindung von Biographien erklärt werden, daß diese armen Menschen oft nicht aus Vorsatz in ihrem Verhalten vom „mainstream“ abweichen, sondern von Sachzwängen getrieben werden.

Ein wesentlicher Ansatz muß es sein, der Öffentlichkeit den Unterschied zwischen abweichendem Verhalten und gefährlichem Verhalten vor Augen zu führen. Leider fühlen sich manche Menschen durch deviantes Verhalten anderer persönlich angegriffen, insbesondere, wenn es um religiöse Werte geht.

Dabei können „mainstream“-Werte auch die Gefühle von anderen verletzen, insbesondere dann, wenn diese, bedingt durch die Lebensumstände nicht gelebt werden können.

Gans ist sich im Klaren darüber, daß die Änderung von Einstellungen oder gar von Verhalten nicht von heute auf morgen funktioniert, und man sich anfangs sicher damit zufrieden geben muß, daß sich in der inneren Einstellung der Bevölkerung ein wenig ändert.

2.5.4 Die Umsetzung eines Aufklärungsprogramms

Alltagswissen zu entlarven und durch sachliche Information zu ersetzen, ist wie gegen einen starken Strom zu schwimmen. Daher vermeiden Abgeordnete oder Politiker dies zu tun, sind sie doch von den Wählerstimmen abhängig. So waren Kampagnen mit rassischen Vorurteilen oft von der Regierung lanciert.

Trotzdem kann die Regierung dazu motiviert werden, Informationskampagnen gegen Vorurteile gegenüber Armen zu unterstützen. Wenn die Regierung Anti-Raucher-Kampagnen fördert, warum nicht auch solche gegen die Stigmatisierung der Armen, die indirekt auch deren Gesundheitssituation verbessert.

Die meiste Unterstützung kann wahrscheinlich bei Institutionen gefunden werden, die sich bereits mit der Unterstützung der Armen beschäftigen.

Die Aktivierung der Medien ist vermutlich insofern nicht einfach, da diese wohl meist hinter „reißerischen“ Stories her sind, also eher Berichte über Kriminelle oder Gewalt. Dennoch kann es bei entsprechender Aufbereitung gelingen, auch die Medien für die entsprechenden Themen zu interessieren. Eine hitzige Diskussion mit Vertretern rassistischer oder armenfeindlicher Ideen kann das Publikum sicher motivieren.

Journalisten und Sozialwissenschafter haben in dieser Hinsicht eine besondere Verantwortung. Während jedoch Journalisten den Zwängen der Publikumsmaximierung ausgeliefert sind, sind insbesondere Sozialwissenschafter dazu angehalten, sowohl Kollegen als auch Auftraggeber über die Gefahren der leichtfertigen Vorurteile gegen Arme aufzuklären.

Sozialwissenschaftliche Untersuchungen über Armut waren lange Zeit damit beschäftigt, die Charakteristika der armen Bevölkerung zu untersuchen, und nicht die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die zur Entstehung von Armut führt. Diese Konzeption der Forschung hängt sicher mit dem Umfeld eines kapitalistischen Landes zusammen. Sozialwissenschafter müßten daher gegen die ideologische Polarisierung der Forschung ankämpfen.

Ein Schwergewicht der sozialwissenschaftlichen Forschung muß daher auf der empirischen Forschung liegen, die sich mit kausalen Zusammenhängen zwischen Ursachen und Folgen von Armut in der Bevölkerung beschäftigt. Diese Forschung muß jedoch ihrerseits höchst sorgfältig angelegt sein, um sich jeder ideologischen Ausrichtung zu entziehen. Gans ist sich jedoch durchaus darüber im klaren, daß selbst empirische Daten nur bedingt die Einstellungen der Menschen ändern können:

„ ...as Representative William McCollum of Florida once pointed out in a discussion of death penalty, „ While statistics might not indicate, that it deters crime, it ’ s common sense that it does. “ ... “ 22

2.5.5 Die Machbarkeit einer umfassenden Politik gegen Armut

Herbert Gans beurteilt die Verwirklichbarkeit seiner politischen Konzeption sehr realistisch. Seiner Ansicht nach kann diese derzeit nur kaum umgesetzt werden, und auch in Zukunft nur dann, wenn die amerikanische Wirtschaft wieder erstarkt.

Wesentlichster Ansatzpunkt einer praktischen Umsetzung seines Konzeptes ist jener, der Bevölkerung die Angst um die persönliche Sicherheit zu nehmen, und somit den Wunsch nach Rache und Sündenböcken. Sollte es nur gelingen die Gewalt selbst einzudämmen, könnte dies wiederum dazu führen, daß keine Notwendigkeit mehr gesehen wird, Geld für die Beseitigung der Ursache der Gewalt, nämlich der Armut, auszugeben.

Wichtigster Ansprechpartner einer Politik gegen die Armut sind die Armen selbst. Erst wenn sie lernen, am politischen Prozeß in einer Form teilzunehmen, die von der Masse der Bevölkerung (im Gegensatz zu den Ausschreitungen in Los Angeles 1992) als akzeptabel gesehen wird, wird ihre Stimme auch politisches Gewicht haben.

Die Gruppe der „neuen Armen“, also jener die bis vor kurzem einen Job hatten, und sich selbst nicht zu den „unwürdigen“ Armen zählen, muß in einem solchen politischen Ansatz mit berücksichtigt werden. Dies ist insofern nicht ganz einfach, als die langfristig Armen zumindest unbewußt als Konkurrenz um die wenigen Jobs betrachtet werden.

Gewerkschaften haben sich in der Vergangenheit eher wenig um die Armen gekümmert. Dies kann geändert werden, wenn die Gewerkschaften in den Arbeitslosen ein Potential von Beitragszahlern erkennt, die der Gewerkschaft durch höhere Mitgliederzahlen auch größeres politisches Gewicht verleiht.

Unternehmungen sollten in der großen Gruppe der permanent verarmten Menschen auch ein Reservoir von zukünftigen Konsumenten sehen.

Die große Masse der Steuerzahler kann durchaus zur Unterstützung einer solchen Politik mobilisiert werden, wenn man ihr vor Augen führt, daß vor allem die „sehr Reichen“ durchaus einen größeren Anteil an Steuern zur Linderung der Armut leisten sollten.

Politisch müßte eine solche Politik mit einem Schwenk zum Liberalismus in Amerika einhergehen, zumal konservative Politik diesem Konzept eigentlich diametral entgegengesetzt war.

Die Prognose einer neuen Politik gegen die Armut ist nicht sehr optimistisch. Was zuallererst not täte wäre eine umfangreiche Forschung über „ ... policies to deal with the conflicts producing the public anger and to eliminate the sources of that anger... “ 23

Hier müßte es gelingen, den Ärger der Menschen von den Sündenböcken der benachteiligten Mitglieder der Gesellschaft hin zu den wahren Mißständen abzuleiten. Dies wäre ein Prozeß der sozialen Selbsterkenntnis. Natürlich wird dies nicht ganz einfach sein, haben Sündenböcke durchaus ihre Funktion in der Gesellschaft, wie zum Beispiel jene, Politiker und Bürger davon abzuschirmen, sich mit den wahren Problemen der Gesellschaft zu beschäftigen. Indem man den Arbeitslosen unterstellt, faul zu sein, braucht man sich natürlich um die Neuschaffung verloren gegangener Arbeitsplätze nicht zu kümmern.

2.6 Eine Politik gegen Arbeitslosigkeit und Armut f ü r das 21. Jahrhundert

Gans fürchtet (freilich aus der Sicht der frühen 90er Jahre), daß eine weitere Steigerung der Arbeitslosigkeit und Tendenzen der Computerisierung und des Arbeitsplatztransfers in Niedriglohnländer die aktuelle Situation eher verschlimmern könnte. Er fürchtet, daß die wirtschaftliche Entwicklung zu einer Situation führen könnte, in der nur mehr ein kleiner Teil der Bevölkerung ständig beschäftigt ist, und der Rest von Teilzeitjobs abhängig ist.

Utopische Modelle, wie sie bereits seit dem 19. Jahrhundert existieren, in denen Maschinen die meiste Arbeit erledigen und die Menschen nur mehr wenige Stunden am Tag beschäftigt sind und sich den Rest der Zeit mit Bildung und Erholung beschäftigen lehnt er natürlich als unrealistisch ab. Für ihn liegt die Lösung nur in einem vernünftigen Wirtschaftswachstum.

Gans‘ Modell ist alles andere als hoffnungsfroh. Für ihn steht die Zukunft der Demokratie in den USA in Frage. Sollten bei schlechter wirtschaftlicher Entwicklung große Teile der heute wohlhabenden Bevölkerung ihre soziale Stellung verlieren und Opfer neuer Stigmatisierung werden, so kann die soziale Reaktion der Betroffen noch viel nachhaltiger sein, als jene, die ohnedies seit Generationen stigmatisiert sind.

Eine solche breite Verschiebung in der sozialen Schichtung führte meist zu blutigen Ausschreitungen, militärischer Gewalt und Verschwinden demokratischer Strukturen. Auf diese weise besteht Gefahr für die USA, zu einem „3.-Welt-Land“ zu werden.

Wie bereits mehrfach ausgeführt liegt für Gans die Lösung aller Probleme in der massiven Arbeitsplatzbeschaffung. Bei steigender Arbeitslosigkeit wird die Regierung in die Wirtschaft auch massiv durch Steuerpolitik dahingehend eingreifen müssen, daß arbeitsintensive Betriebe bevorteiligt werden. In der Vergangenheit wurde jede technische Entwicklung als „Fortschritt“ perzipiert. Obwohl dies in weiten Bereichen durchaus gerechtfertigt war, stellt sich die Frage, warum beispielsweise Autos nicht teurer (durch mehr menschliche Arbeit) produziert werden können, wenn der Staat die Rahmenbedingungen sicherstellt. Bereits heute sind handgemachte Möbel oder Keramik durchaus konkurrenzfähig.

Eine weitere Möglichkeit die Produktivität zu erhöhen liegt in der Demokratisierung der Arbeitsplätze durch Gewinnbeteiligung, Selbstverwaltung, besseren Arbeitsbedingungen, etc. Dies kann jedoch nur auf der Basis verstärkter gewerkschaftlicher Organisation gelingen, da nur so dem Druck von Regierung und Gesellschaften widerstanden werden kann.

Die Frage, wie man Arbeitsplätze schaffen kann ist eng geknüpft an die grundsätzliche Neuverteilung der Arbeit. Um einen entsprechenden Effekt zu erreichen, wird es erforderlich sein, die wöchentliche Arbeitszeit auf maximal 24 Stunden zu reduzieren. Sicherlich wird dadurch jeder zu einem Teilzeitarbeiter, doch war es bisher so, daß dies unfreiwilligermaßen auf nur auf einen Teil der Bevölkerung zutraf. Hier ist sicher eine gewisse Solidarität der Arbeiter vonnöten, die erkennen müssen, daß alle in einem Boot sitzen. Diese Solidarität müßte weltweit existieren, daß System somit global institutionalisiert werden.

In der Praxis muß es nach Gans natürlich auch Ausnahmen für dieses Wochenzeitmodell geben, wie z. B. Gehirnchirurgen, Topmanager, etc. Die Frage der Finanzierung ist sicherlich eine ausgesprochen schwierige, doch gesteht Gans ein, daß es nicht ohne Lohneinbußen abgehen kann. Für die Bezieher von Mindesteinkommen muß es natürlich ebenfalls Ausnahmen geben, um nicht kontraindikativ zu wirken.

Die Regierung hat bei der Umsetzung eines solchen Programms zur Neuverteilung der Arbeit die Aufgabe, den hohen Lebensstandard der Bevölkerung nach Möglichkeit zu erhalten, da ansonsten vermehrt schwarz gearbeitet wird, was wiederum Arbeitsplätze gefährdet.

Maßnahmen der Regierung können nun beispielsweise sein, Dienste oder Güter bereitzustellen, für jene Bereiche, wo der Staat dies billiger kann als private Anbieter. Zum anderen wäre eine Möglichkeit, ein garantiertes Mindesteinkommen für jeden Staatsbürger bereitzustellen. Damit würde ein Teil des Wohlstandes, der ja durch die gesamte Gesellschaft als solche erarbeitet wird, umverteilt. Unbeliebte Jobs müßten dann natürlich besser bezahlt werden. Sollten manche Menschen zugunsten des Mindesteinkommens darauf verzichten, zu arbeiten, so sei dies nach Gans kein großes Problem, da dies wiederum den Arbeitsmarkt entlastet.

Viele Menschen, glaubt Gans, würden ihrerseits kein Interesse an zuviel Freizeit haben. Diesen Menschen könnte in kommunalen und öffentlichen Einrichtungen die Möglichkeit gegeben werden, ihr Einkommen aufzubessern.

Die emotionale und soziale Funktion der Arbeit wird von Gans durchaus anerkannt und er sieht auch Probleme darin, daß viele Menschen bei drastischer Arbeitszeitverkürzung sich plötzlich nicht mehr so „gebraucht“ oder nützlich fühlen werden. Gans sieht dieses Problem allerdings als nicht sehr groß, solange alle Arbeitnehmer unter den gleichen Bedingungen leben.24

Befürchtungen, zuviel Freizeit könnte die Menschen dazu bringen, sich plötzlich nur mehr zu betrinken und sich zu prügeln, relativiert Gans. In einer Zeit, wo selbst kleine Arbeiter zu Hausbesitzern und Weltreisenden geworden sind, wird wohl jeder genug zu tun haben. Gans sieht die Zukunft noch viel idyllischer:

„...Actually the availability of more leisure time will encourage some people to grow their own food, manufacture their own goods and engage in nonmonetary barter with friend and neighbors.“25

Gans sieht seinen futuristischen Träumen allerdings auch Grenzen gesetzt:

All die oben beschriebenen Maßnahmen einer Politik gegen Arbeitslosigkeit und somit gegen Armut basieren auf dem Grundsatz der Gleichheit aller Menschen nicht nur in moralischer sondern auch in ökonomischer Hinsicht. Gans fürchtet, daß die Umsetzung dieser Maßnahmen daran scheitern könne, daß sie durch rassistische und Klassengrenzen manipuliert werden.

So wurde beispielsweise nachdem Erdbeben in Los Angeles 1993 den Unterstandslosen die Unterstützung versagt, die jene bekommen haben, deren Haus beschädigt oder zerstört worden ist. Wer kein Haus hat, der konnte auch nicht geschädigt sein und somit auch keinen Anspruch auf Schadenersatz erheben.

Gesellschaftliche Gleichstellung, wie sie das Modell der 24-Stunden-Woche fordert, kann ohne Lohnkürzungen nicht abgehen, die jedoch nicht bei den Ärmsten ansetzen kann. Dies setzt jedoch Solidarität und die Bereitschaft der Amerikaner voraus, vom gelebten Individualismus abzugehen, und sich gesellschaftlichen Notwendigkeiten unterzuordnen.

3 Zusammenfassung und kritische Würdigung des Werks

Die Arbeit von Herbert J. Gans läßt sich im Wesentlichen in drei große Bereiche unterteilen. Im ersten Teil beschäftigt sich der Autor mit der theoretischen Analyse von Etikettierungen von Armen und Kriminellen. Im zweiten Teil versucht der Autor die praktischen Gefahren und Auswirkungen von solchen Stigmata aufzuzeigen, die nach seiner Ansicht weit über persönliches „Verletztsein“ hinausgeht. In einem dritten Teil versucht Gans eine praktische Politik zur Beseitigung der Ursachen von Armut zu entwickeln, die sich großteils auf die Beseitigung von Arbeitslosigkeit konzentriert.

3.1 Die Entwicklung von Etikettierungen

Gans beschreibt recht eindrucksvoll und durchaus nachvollziehbar, wie sich Begriffe für soziale Tatbestände in der Gesellschaft entwickeln. Hierbei wird auf die Rolle von „lable-maker“, Legitimatoren sowie Publikum besonders hingewiesen.

Herbert Gans zeigt am Beispiel des Labels „underclass“, daß ein Label durchaus nicht von Beginn an stigmatisiert, sondern dieses in einem Prozeß der Verwendung eines Labels durch Journalisten oder Sozialwissenschaftler mit einer Bedeutung „geladen“ wird, und erst dann zu einem Stigma wird.

Dieser Prozeß der Zuweisung von Etiketten ist keine an sich unmittelbar neue wissenschaftliche Erkenntnis. So wird in der gängigen soziologischen Definition „Stigmatisierung“ betrachtet als „ ...der Proze ß , durch den einer Person bzw. einem Aggregat von Personen ein Stigma verliehen wird, (z.B. das Etikett „ unehelich “ in den Akten der Sozialf ü rsorge) und zum anderen jegliches verbale oder nonverbale diskriminierende Verhalten aufgrund eines zu eigen gemachten Stigmas. “ 26

Gans hat den Zusammenhang zwischen einer von Wohlhabenden empfundenen wirtschaftlichen Bedrohung durch die Armen und der Intensität des Auftretens von Etikettierungen dargestellt. Er folgt hier einer Tradition, die bereits Anfang der Dreißiger Jahre durch Paul F. Lazarsfeld in seiner berühmten Untersuchung über die „Arbeitslosen von Marienthal“ begonnen wurde. Lazarsfeld, im übrigen einer der Vorgänger von Herbert Gans an der Columbia Universität in New York, stellte hier zum Beispiel bereits fest, daß lang andauernde Arbeitslosigkeit (=Armut) soziale Konflikte fördert:

„ ...Der R ü ckfall von der h ö heren kulturellen Stufe der politischen Auseinandersetzung auf die primitivere der individuellen Gehässigkeit ist fast aktenm äß ig zu belegen. Wir denken dabei an die anonymen Anzeigen, die wegen unbefugter Gelegenheitsarbeit trotz Bezug der Arbeitslosenunterst ü tzung erstattet wurden Bemerkenswert ist, da ß auch der Prozentsatz der unberechtigten Anzeigen steigt.“27

Leider hat Gans auf die Verwendung empirischer Methoden großteils verzichtet, und seine Argumentation überwiegend auf illustrative Einzelbeobachtungen begründet.

3.2 Politische und individuelle Gefahren von Stigmatisierung

Gans weist wiederholt auf die Gefahren des sogenannten „umbrella-Effekts“ hin, einer Tatsache, die auch bereits in der Stigmaforschung beschrieben wurde und feststellt „ ...ein zentrales Kennzeichen von Stigmata [sei] es, da ß den Merkmalsträgern weitere ebenfalls negative Eigenschaften zugewiesen werden, die mit dem ursächlichen Merkmal oder dem tatsächlichen Verhalten nichts zu tun haben...“28 und nennt dies „Generalisierungseffekt“.

Gans‘ Theorie, die im wesentlichen eine (wenn auch nicht empirische) Verifizierung des sogenannten „labeling approach“, „... eines theoretischen Ansatzes der Kriminalsoziologie, der abweichendes Verhalten nicht nur vom „ Täter “ und der „ Tat “ aus sieht, sondern gesellschaftliche Ursachen stärker miteinbezieht... “ 29, an der Gesellschaft der USA.

Robert Merton wiederum hat mit der Schaffung des Begriffs „self-fulfilling-prophecy“ bereits jene Tatsache beschrieben, daß Vorhersagen über soziales Verhalten (sei es nun wissenschaftlich oder nur aus Alltagsvermutung), und dazu gehören auch Stigmata, das tatsächliche Verhalten in dieser Richtung verstärken.

Gans sieht nun in der Armut, die Wurzel allen Übels, die unter anderem auch für den Einstieg in eine kriminelle Laufbahn. Indem den mittellosen Jugendlichen vor allem in sogenannten „Schwarzen- Vierteln“ in den USA kriminelles Verhalten von vornherein attestiert wird, „... erzeugt man eine Au ß enseiterposition des davon betroffenen Individuums, engt seinen Handlungsspielraum ein, motiviert dadurch Abweichungen, verstärkt das abweichende Verhalten, bis der Abweichler letztlich auch seine deviante Rolle akzeptiert.“30

Natürlich, und darin liegt vermutlich die spezifische Dimension in den Befürchtungen von Herbert Gans, wirken staatlich institutionalisierte Stigmata, wie z. B. jene der „Wohlfahrtsabhängigen“ oder der „underclass“ als „self-fulfilling-prophecies“ für eine sehr große Zahl von Betroffenen, die wiederum das soziale Gefüge der gesamten Nation beeinflussen können.

3.3 Politische und ö konomische L ö sungsmodelle

Neben den wohl unbestrittenen Analysen der amerikanischen Gesellschaft und ihres stigmatisierenden Umganges mit der armen und arbeitslosen Bevölkerung, wagt sich Gans auf das Glatteis der Nationalökonomie und versucht Modelle für eine Politik gegen Armut zu entwerfen.

Gans definiert drei wesentliche Ansatzpunkte für eine Politik gegen Armut und Kriminalität: Zum Ersten einen soziologischen Ansatz, zum Zweiten einen allgemein politischen Ansatz und zum Dritten einen ökonomischen Ansatz mit konkreten wirtschaftspolitischen Maßnahmen.

Der soziologische Ansatz versucht, den Armen die Würde zurückzugeben, indem einerseits durch Aufklärung und Information sowohl über Medien als auch durch staatliche Kampagnen und andererseits durch eine umfassende Kriminalpolitik die Kriminalisierung abweichenden Verhaltens vermieden wird. Derartige Ansätze wurden zumindest in Österreich bereits seit vielen Jahren umgesetzt wo etwa durch das System der Bewährungshilfe für Jugendliche „... statt einer fr ü hzeitigen „ Kriminalisierung “ (Einschlu ß in das kriminelle Milieu, Verstärkung der Lernprozesse kriminellen Verhaltens in „ totalen Institutionen “ ) eine Strategie der Normalisierung ... eingeschlagen wurde.“31

Problematischer als den Bereich der Informations- und Kriminalpolitik sind sicherlich Gans‘ Vorschläge für konkrete Wirtschaftsmaßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu sehen. So wünschenswert die massive Bereitstellung von Arbeitsmöglichkeiten für mittellose Menschen zu sehen ist, so fragwürdig sind jedoch die Vorschläge von Herbert Gans, die von ihm aufgeworfen werden, ohne die nationalökonomischen Auswirkungen zu analysieren.

Maßnahmen wie beispielsweise die Anhebung der Mindestlöhne, Förderung arbeitsintensiver Industriebetriebe, direkte Schaffung von Arbeitsplätzen durch die öffentliche Hand, globale Institutionalisierung einer 24-Stunden-Arbeitswoche sind sicherlich nicht ohne Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Umsetzbarkeit solcher Ideen zu sehen.

Gans verlangt hier die Verwirklichung einer keynesiansitischen Wirtschaftspolitik, welche durch massive staatliche Eingriffe versucht begrenzte Zeiten wirtschaftlicher Stagnation zu überdauern. Für diesen Zweck scheint eine solche Wirtschaftspolitik auch geeignet, nicht jedoch zur Beseitigung struktureller gesellschaftlicher Probleme über einen längeren Zeitraum.

So war der sogenannte „Austrokeynesianismus“ in Österreich Anfang der siebziger Jahre durchaus erfolgreich:

„ Neben der Erh ö hung der staatlichen Nachfrage wurden auch Exporte und Privatinvestitionen verstärkt gef ö rdert, zur Stabilisierung der Währung wurde eine Hartwährungspolitik ... betrieben. Die Gewerkschaften st ü tzten den Kurs der Regierung durch zur ü ckhaltende Lohnpolitik Die Kosten der Konjunkturpolitik belasteten zwar den Staatshaushalt, als die Wirtschaftskrise aber vor ü ber schien, gelang es Finanzminister Androsch das Budgetdefitzit von 4.6 % auf rund 2.8 % des BIP zu senken. “ 32

Als Anfang der 80er Jahre, ausgelöst durch die sogenannte „Ölkrise“, wiederum heftige Konjuktureinbrüche erfolgten, war das Budgetdefizit nicht mehr in den Griff zu bekommen.

In den USA wäre eine solche Politik darüber hinaus auch nur sehr schwer umsetzbar, da sie dem tiefsten Grundverständnis einer liberalen Wirtschaftspolitik widerspricht.

Gans beschwört durch seine wirtschaftspolitischen Vorschläge einen alten Widerspruch zwischen Ökonomie und Soziologie herauf, der auch an den Namen Max Weber geknüpft ist. Kritisch zu vermerken ist hier, daß hier ein Soziologe versucht, mit der Analyse gesellschaftlicher Problemstellungen auch gleich konkrete wirtschaftspolitische Lösungen mit anzubieten, ohne deren Umsetzung zu ende zu denken. Dies könnte dazu führen, daß auch die soziologische Analyse an Glaubwürdigkeit verliert.

4 Literaturverzeichnis:

GANS, Herbert J.; The war against the poor; Basic Books; New York; 1995

HILLMANN, Karl-Heinz; Wörterbuch der Soziologie; Kröner Verlag; Stuttgart, 1994 [4]

LAZARSFELD, Paul F. u. a.; Die Arbeitslosen von Marienthal; Suhrkamp; Frankfurt, 1975

SCHÄFERS, Bernhard (Hrsg.); Grundbegriffe der Soziologie; Leske + Budrich; München, 1986

SCHULZ, Wolfgang; Einführung in die Soziologie; Institut für Soziologie der Universität Wien, SOWI; 1993 [4]

SIEDER, Bernhard u. a. (Hrsg.); Österreich 1945 - 1995; Verlag für Gesellschaftskritik; Wien, 1995

[...]


1 Email von Prof. GANS (hjg1@columbia.edu) vom 6. Mai 1998

2 Übersetzung des Begriffs „feeblemindedness“

3 GANS, 1995, S 28

4 GANS, 1995, S 28

5 „The underclass: Enduring Dilemma“, Time-magazine, 17 06 1974

6 GANS, 1995, S 33

7 GANS, 1995, S 36

8 GANS, 1995, S 47

9 GANS, 1995, S 48

10 GANS, 1995, S 49

11 GANS, 1995, S 57

12 GANS, 1995, S 63

13 GANS, 1995, S 63

14 GANS, 1995, S 76

15 GANS, 1995, S 80

16 „...mass of deviant behavior...“; GANS, 1995, S 84

17 GANS, 1995, S 85

18 GANS, 1995, S 113

19 „victims of the economy’s inability to supply jobs“; GANS, 1995, S 115

20 GANS, 1995, S 115

21 „ popular ethnography“; GANS, 1995, S 120

22 GANS, 1995, S 128

23 GANS, 1995, S 131

24 „...as long as everyone is roughly in the same boat.“; GANS, 1995, S 144

25 GANS, 1995, S 145

26 SCHÄFERS, 1986, S 334

27 LAZARSFELD, ZEISEL, JAHODA, 1975, S 61

28 SCHÄFERS, 1986, S 333

29 HILLMANN, 1994, S 468

30 SCHULZ, 1984, S 305

31 SCHULZ, 1984, S 306

32 SIEDER, u.a., 1995, S 192

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Herbert J. Gans: "the war against poverty"
Veranstaltung
SE aus Rechts- und Kriminalsoziologie: Soziale Ungleichheit, Armut, Kriminalität
Autor
Jahr
1998
Seiten
25
Katalognummer
V96411
ISBN (eBook)
9783638090872
Dateigröße
420 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Herbert, Gans, Univ, Pilgram, Rechts-, Kriminalsoziologie, Soziale, Ungleichheit, Armut, Kriminalität
Arbeit zitieren
Rainer Frank (Autor:in), 1998, Herbert J. Gans: "the war against poverty", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96411

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