Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I) Einleitung: Die Bedeutung der Körpergebärden im mittelalterlichen Recht
II) Hauptteil: Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels
II.1) Zur Einführung: Kurze Geschichte des Sachsenspiegels
II.2) Übersicht über die Handgebärden in den Bilderhandschriften
II.2.1) Die Redegebärden
II.2.2) Hinweisende Gebärden
II.2.3) Darstellende Gebärden
III) Schlußbetrachtung: Gebärden heute - Rückzug oder Revival?
Literaturverzeichnis
I) Einleitung: Die Bedeutung der Körpergebärden im mittelalterlichen Recht
Gebraucht man das Wort ,,Gebärde“ in heutiger Zeit, so meint man schlicht jene Bewegungen von Gesicht und Händen, durch die unbewußt oder bewußt Gefühle ausgedrückt werden. Anders war dies im Mittelalter. Damals umfaßte der Begriff viel mehr. Der althochdeutsche Begriff gibärida ist eine Ableitung des germanischen gabärian, was soviel heißt wie ,sich traurig gebärden, rufen, klagen´. Der Begriff beschreibt damit das Benehmen, Aussehen und Wesen des Menschen; allgemein also seine Haltung, die stets Ausdruck des Innern ist[1].
Neben den Gebärden des Körpers, also z.B. der Hände, Finger oder Beine, gibt es die sogenannten Lautgebärden, die auch im Mittelalter schon klar von der geformten Sprache unterschieden worden sind. In einer Rechtsquelle von 1290 wird diese Unterscheidung ganz explizit angesprochen: Dort ist von ,,(...)gemachten worten und geberden“ (Basel, 1290) die Rede[2]. Mit dieser Aussage wird bereits die große Bedeutung der Gebärden für das mittelalterliche Recht angedeutet. Sie traten neben die gesprochenen Wörter und sollten den rechtlichen Vorgang bekräftigen, der erst durch sie auch gesehen werden konnte. Sie brachten eine bestimmte Haltung der Parteien zum Ausdruck, die deren Sitte und Herkommen entsprach[3].
Das Recht wird im Mittelalter häufig als Rechtshandlung betrieben. Im Sachsenspiegel des Eike von Repgow etwa wird der Begriff ,,recht“ fast immer im Zusammenhang mit Handlungen innerhalb des Gerichtsverfahrens, also mit Prozeßhandlungen benutzt, selten im Zusammenhang mit materiellem Recht[4]. Derartige Rechtshandlungen kommen z.B. durch die Handgebärden im Lehensrecht zum Ausdruck. Durch das gegenseitige Reichen der Hände soll die Verbindung offensichtlich gemacht werden. Dabei sind meist Zeugen anwesend, die die Rechtsakte beobachten und damit eine lebende Erinnerung (living memory) aufrechterhalten.
Alles in allem läßt sich festhalten, daß die Gebärden im mittelalterlichen Recht auch deshalb eine so große Rolle spielten, da dieses viel stärker auf die beteiligten Personen[5], weniger auf die Rechtssache bezogen war. Die Person wurde grundsätzlich als genossenschaftliches Wesen angesehen, als Teil der Sippe; deshalb auch die Anwesenheit von Zeugen im Lehnverfahren, die die Gemeinschaft abbilden sollten.
II) Hauptteil: Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels
II.1) Zur Einführung: Kurze Geschichte des Sachsenspiegels
Mit dem Sachsenspiegel entstand um 1225 das wohl berühmteste, vielleicht sogar älteste deutsche Rechtsbuch und das erste Prosawerk in deutscher Sprache[6]. Auch wenn über die Persönlichkeit des Autors Eike von Repgow sowie Entstehungsgrund,- zeit und –ort bis jetzt noch keine endgültige Klarheit besteht, so spricht heute einiges dafür, daß um 1200 ein allgemeines Bedürfnis bestanden hat, die traditionellen, mündlich überlieferten Rechtssätze zweckmäßigerweise schriftlich aufzuzeichnen. Sie waren in ihrer Vielfalt unübersichtlich geworden. Vorbilder ergaben sich aus dem bereits wissenschaftlich bearbeiteten kanonischen und dem römischen Recht[7]. Zudem könnte die Verschriftlichung des Sachsenrechts die Funktion gehabt haben, Siedler aus weit entfernten Gebieten über das im Siedlungsgebiet geltende Recht zu informieren.
Inhaltlich ist der Sachsenspiegel unterteilt in ein Land- und ein Lehnrechtsbuch. Das Landrechtsbuch beschäftigt sich dabei mit dem Zusammenleben im bäuerlichen Alltag, während das Lehnrechtsbuch die rechtlichen Beziehungen zwischen Lehnherren und Vasallen beinhaltet[8].
[...]
[1] Schmidt-Wiegand, Ruth in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, Art. Gebärden, Sp. 1411
[2] vgl. Schmidt-Wiegand in: HdR, Bd. 2, Sp. 1411
[3] Schmidt-Wiegand in: HdR, Bd. 2, Sp. 1411
[4] Ignor, Alexander, Über das allgemeine Rechtsdenken Eike von Repgow, S. 150
[5] Lieberwirth, Rolf, Rechtshistorische Schriften, S. 497 ff.
[6] Mitteis, Heinrich; Lieberich, Heinz, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 300; Lieberwirth, a.a.O., S. 381
[7] Lieberwirth, a.a.O., S. 381
[8] Lieberwirth, a.a.O., S. 382