Das Kabuki Theater


Seminararbeit, 1999

13 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Entstehung und wichtige Entwicklungsstufen des Kabuki
2.1. Der Ursprung des Kabuki
2.2. Das onna kabuki
2.3. Das wakashu kabuki
2.4. Das yaro kabuki

3. Einflüsse auf das Kabuki

4. Die räumlichen Besonderheiten des Kabuki
4.1. Das Theatergebäude
4.2. Der Vorhang
4.3. Die Bühne und Requisiten
4.4. Der hanamichi

5. Die Kabukistile

6. Die Kabukidramen

7. Der Kabukischauspieler

8. Der Bühnenassistent

9. Die Bühnenmusiker

10. Wichtige Formelemente des Kabuki
10.1. Die Maske
10.2. Die Perücke
10.3. Die Kostüme

11. Die Darstellungsweise des Kabuki

12. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Diese Arbeit intendiert, einen allgemeinen Überblick über das japanische Kabukitheater zu geben. Dabei sollen besonders die Formen und Entwicklungen des Kabuki in der Tokugawa Periode von 1603 bis zur Meiji Restauration im Jahre 1868 berücksichtigt werden, da Japan in diesem Zeitraum aufgrund seiner politischen Lage von äußeren Einflüssen isoliert war und sich das Kabuki daher, in seinen grundlegenden Zügen, unabhängig von den Einflüssen westlicher Theatertraditionen entwickeln und entfalten konnte. Die Betrachtung des Kabuki bietet darüber hinaus, in Bezug auf die europäische Theatergeschichte, insbesondere in Zusammenhang mit Theaterreformern des frühen 20. Jahrhunderts wie Meyerhold, Appia, Craig, Brecht u.a., einen Ausgangspunkt für ein erweitertes Verständnis von Theater.

2. Die Entstehung und wichtige Entwicklungsstufen des Kabuki

2.1. Der Ursprung des Kabuki

Das Kabuki entwickelte sich aus dem Tanz, der nach dem Mythos seinen Ursprung im heiterem Tanz der Göttin Inari hatte, mit dem sie die Sonnengöttin Amaterasu, welche sich in einer Höhle verborgen hielt, hervorlockte und somit der Welt das Licht wiedergab. Im Rahmen der buddhistischen Religion bildeten sich Tänze heraus, die später volkstümlichen, lebendigen Charakter annahmen und odori genannt wurden.

Auf dieser Grundlage entwickelte sich das Urkabuki zu Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts, dem Zeitraum der Etablierung der Tokuwaga Dynastie im Jahre 1603, die den zuvor herrschenden Bürgerkriegen und Fehden ein Ende gesetzt hatte.

2.2. Das onna kabuki

Die erste Aufführung ist auf das Jahr 1596 datiert. Der Überlieferung zufolge wurde das Kabuki von Okuni, einer Priesterin des Izumoschreins, im ausgetrockneten Bett des Flusses Kamogawa in Shijogawara, Kioto gegründet. Okuni soll dort, zusammen mit ihrer Truppe, die zum größten Teil aus Frauen bestand, welche meist dem Gewerbe der Prostitution nachgingen, sinnliche erotische Tänze aufgeführt haben, die einerseits dem Zweck der Erheiterung und Unterhaltung, andererseits dem Werben um Freier dienten. Eine wichtige Rolle nahm bei diesen Tänzen Komik und Lachen ein, was zum Beispiel durch das Prinzip der Umkehrung der Geschlechterrollen provoziert wurde. In den ersten 50 Jahren seiner Existenz bestand das Kabuki fast ausschließlich aus Tanzdarbietungen und erlangte schnell Beliebtheit und Verbreitung, indem sich Imitatoren der Tänze Okuni’s in Gruppen formierten und in ganz Japan auftraten.

Seinen Namen erhielt das Kabuki seiner Außergewöhnlichkeit wegen, denn das Wort kabuki wird mit den Adjektiven modisch, ausgefallen und unkonventionell in Verbindung gebracht. Die erste Form des Kabuki, das onna (Frauen-) kabuki oder auch yujo (Prostituierten -) kabuki, wurde jedoch im Jahre 1629 vom Tokugawa Shogunat verboten, da unter den Zuschauern öfters Streitigkeiten und Kämpfe um die Unterhalterinnen ausbrachen.

2.3. Das wakashu kabuki

Daraufhin setzte das wakashu kabuki (Kabuki der jungen Männer) das Kabuki fort und feierte durchschlagende Erfolge bei den Zuschauern. Den Machthabern hingegen mißfiel auch diese Form des Kabuki, weil die jungen Männer, wie auch schon zuvor die Frauen im onna kabuki ihre Körper verkauften. Deshalb wurde 1652 auch das wakashu kabuki untersagt, und das Shogunat forderte, daß das Kabuki erst nachhaltigen Reformen unterworfen werden mußte, bevor es fortgesetzt werden konnte. Man verlangte, daß das Kabuki auf den kyogen des No basierte, Farcen die in der Umgangssprache jedoch in sehr formaler Spielweise zwischen Nostücken dargeboten wurden. Dem Nodrama, welches an sich sehr ernst und formell ist, wurden die witzigen Kyogenfarcen gegenübergestellt; möglicherweise, um dem Ernst des Stückes durch diesen Kontrast noch mehr Gewicht zu verleihen, vielleicht aber auch um die Tragik der Stücke und letztendlich die des Lebens durch befreiendes Lachen zu mildern, die Menschen zu trösten und zu entlasten. Indem der Dialogstil, Schauspieltechniken und der Realismus des kyogen in den Kabukistil eingingen, entwickelte sich das Kabuki von der Aufführung einer Reihe von Musik begleiteten Tänzen zu einer neuen Form des Dramas.

2.4. Das yaro kabuki

Unter dem Namen “Stücke, die Verhaltensweisen und Bräuche imitieren” (monomane kyogen zukushi) wurde das yaro (Männer-) kabuki ins Leben gerufen. Für diese Form des Kabuki mußten sich die Darsteller ihre Stirnlocken abschneiden lassen, um sich von den attraktiven Jünglingen des wakashu kabuki zu unterscheiden und ein Zeichen ihrer Männlichkeit zu setzen. In diesem Zeitraumahm das onnagata Rollenfach, die Darstellung von Frauenrollen durch Männer, wie sie auch im antiken griechischen und im elisabethanischen Theater üblich war, an Bedeutung zu. In puncto Mode und Benehmen orientierten sich Frauen der Edozeit sogar an der onnagata Darstellung im Kabuki. Von Seiten der Autoritäten wurde streng darüber gewacht, daß die Schauspieler ihre Körper nicht provokativ zur Schau stellten und sich prostituierten. Mit der Entstehung des yaro kabuki wurde eine entscheidende Phase in der Entwicklung des Kabuki erreicht, in der sich alle wesentlichen Züge des Kabuki, die nachfolgend beschrieben werden sollen, entwickelten oder bereits entwickelt hatten.

3. Einflüsse auf das Kabuki

Das Kabuki entstand als ein kommerziell geformtes Theater, welches sich an der Nachfrage des Publikums orientie rte. Dieser Haltung entsprang eine Flexibilität, die es ermöglichte schnell neue oder Elemente anderer Theaterformen in sich aufzunehmen. Während der ersten Entwicklungsphasen des Kabukitheaters, wurde es besonders durch das No- und das Puppentheater, welc hes sich fast zeitgleich zum Kabuki entwickelte, beeinflußt, von denen es zahlreiche weitere Elemente übernahm. Beispielsweise wurden die einfachen Texte vieler Nostücke und joruri, Erzählungen die während Bunrakustücken rezitiert wurden, in modifizierter Form in Kabukistücke aufgenommen. Die Handlungsstränge wurden länger und komplexer, wie auch die Anzahl der Rollen wuchs.

Nachdem das Kabukitheater im späten 17. Jahrhundert sehr erfolgreich in Kamigata, der Gegend um Kioto und Osaka, gespielt wurde, stie g dort die Popularität des Puppentheaters stark an, was sich zu Ungunsten des Kabukitheaters auswirkte. Deshalb adaptierte man auf der Kabukibühne bald Bunrakustücke, um das verlorene Publikum zurück zu erobern. Ungefähr die Hälfte des heutigen Kabukireportoires besteht aus Adaptionen von Bunrakustücken. Die musikalische und narrative Begleitung der Bunrakuvorstellungen fand somit auch Einzug im Kabuki, und selbst die kontrollierte Bewegungsweise der Puppen wurde von den Kabuki Schauspielern nachgeahmt. Das Kabuki und der aragoto Stil zogen im Gebiet Tokio weiterhin ein breites Publikum an, wobei auch hier das Kabuki strukturelle und realistische Züge des Puppentheater annahm. Die anfängliche Begeisterung für das Puppentheater mäßigte sich schon bald, und das Kabuki stand wieder hoch in der Gunst der Stadtbevölkerung. Bis zur Mitte des 17. Jahrhundert befand sich das kulturelle Zentrum Japans im Kamigatagebiet, bis es sich letztendlich nach Edo verlagerte.

4. Die räumlichen Besonderheiten des Kabuki

4.1. Das Theatergebäude

Die Anzahl der offiziell erlaubten Spielstätten in der Edozeit war auf jeweils vier in Kioto, Osaka und Edo, dem heutigen Tokio beschränkt und wurde später auf drei reduziert. Den besonderen Status, den diese Theater genossen, zeigte der yagura, ein kleiner Wachturm, von dem der Beginn einer Vorstellung mit einer Trommel signalisiert wurde, zum Ausdruck. Wie zu Zeiten Shakespeares, waren in den frühen Kabukitheaters lediglich die Bühne und die Logen vor Niederschlag geschützt. Die zentralen Sitzplätze waren ohne Überdachung, weshalb auch die Vorstellungen bei Regen abgesagt werden mußten. Erst in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war der Großteil der Theater vollständig überdacht.

4.2. Der Vorhang

In den ersten Jahren seines Bestehens waren die Vorstellungen des Kabuki eine lose Abfolge individueller Tänze, Pantomimen und dramatischer Skizzen, wobei Vorhänge meist nicht benötigt wurden. Etwa 1664 jedoch wurden in Osaka und Tokio erstmalig Zugvorhänge genutzt, welche neue theatralische Möglichkeiten, wie die Verlängerung der Vorstellungen durch die Präsentation von zu einem großen Handlungsstrang aneinandergereihten Einzelszenen und verborgene Wechsel des Ortes durch Umbau des Bühnenbildes, eröffneten.

Der für das Kabuki typische rotbraun, grün, schwarz gestreifte Zugvorhang, hikimaku / joshikimaku, wird von Menschenhand seitlich aufgezogen und ist gebräuchlicher als der nach oben zu öffnende Fallvorhang. Seine Verwendung war in der Edoperiode lizensiert und galt wie auch der yagura als offizielle Erlaubnis Theatervorstellungen zu geben.

Die Verwendungsweise des Vorhang im Kabuki unterscheidet sich oft grundlegend von der im europäischen Theater. Zum Beispiel bedeutet der Umstand, daß der Vorhang zugezogen wird meist nicht das Ende der Szene, des Akts oder des Stückes. Im Gegenteil, dies geschieht meist in Momenten kurz vor dem jeweiligen Höhepunkt, der nicht nur auf der Hauptbühne sondern auch auf dem hanamichi (Hilfsbühne) statt finden kann.

Des weiteren benutzt man in Kabukivorstellungen auch den asagimaku, einen hellblauen Vorhang, welcher über der Bühne aufgehängt wird und diese verdeckt, bis er, auf das Signal zweier aufeinander geschlagener Hölzer, plötzlich fallen gelassen wird, um, vergleichbar einem schnellen Schnitt im Film, eine neue eindrucksvolle Szene zu enthüllen.

4.3. Die Bühne und Requisiten

Die Kabukibühne wurde nach dem Beispiel der einfachen, undekorierten Notanzbühne gebaut und entwickelte sich dann allmählich weiter. Sie wird von einem Maß ulitaristischer Dekorationen und Requisiten geziert, welche Ort und Handlung bezeichnen, jedoch nicht bedeuten. Bühne und Dekoration wirken dem Körper des Schauspielers und seinem Spiel entgegengesetzt. Der kurumbo (Bühnenassistent) entfernt alle Gegenstände von der Bühne, die nicht mehr benötigt werden. Im Kabuki gibt es auch keine psychologische Ausdehnung des Ortes über die Grenzen der Bühnen und des hanamichi hinaus. Schwarzer Stoff markiert oft die Grenzen der Bühne und wird vom Publikum als “Nichts” akzeptiert.

Die Bühne wird in die rechte und die linke Bühnenseite geteilt. Der Konvention zufolge erfolgen Auftritte gewöhnlich von der linken Seite über den hanamichi. Der Grund dafür ist, daß die rechte Bühnenseite Personen hohen Ranges vorbehalten ist. Darsteller männlicher Rollen nehmen auf der Bühne immer rechts von denen weiblicher Rollen Platz und Personen höheren Ranges rechts von ihnen Untergebenen. Ebenso wird verlangt, daß sich onnagata Darsteller auf der Bühne immer hinter den anwesenden Männerdarstellern bewegen oder setzen, was auch auf Untertanen gegenüber Ranghöheren zutrifft.

Auf der Hauptbühne wird gelegentlich noch eine zweite, kleinere Bühne aus Zypressenholz aufgestellt, die aus rechteckigen Einzelteilen zusammengesetzt wird und den Zweck verfolgt den Klang des Aufstampfen der Füße beim Tanz , zu verstärken, wobei wieder der Kontrast von Bühne zu Schauspieler und Bewegung eine entscheidende Rolle spie lt.

Die Erfindung der Drehbühne, welche in die Hauptbühne integriert ist, wird dem Bühnenautor Namiki Shozo (1730-1773) zugeschrieben, der sie 1758 zum ersten mal zur Anwendung brachte. Später fügte man der einfachen Drehbühne noch eine zweite, hinzu, die man in der Mitte der ersten installierte und damit beide Drehbühnen gleichzeitig gegeneinander bewegen konnte. Die Verwendung dieser inneren, zweiten Drehbühne ist jedoch heute nicht mehr üblich. Die heute gebräuchliche Drehbühne befindet sich mit der Hauptbühne auf einer Höhe. In der Drehbühne, dem hanamichi und an anderen Stellen der Bühne sind Bühnenlifte installiert, die plötzliche Auftritte und Abgänge von Schauspielern und Szenerien ermöglichen, was besonders bei Geisterstücken Anwendung findet.

4.4. Der hanamichi

Ein weiteres wichtiges Merkmal des Kabukitheaters ist der hanamichi, was übersetzt “Blumenweg” bedeutet. Jenen Namen erhielt diese für Auf- und Abgänge der Darsteller genutzte Hilfsbühne, welche sich vom Zuschauerraum aus gesehen auf der links befindet, weil sie ursprünglich von Zuschauern genutzt wurde, um den Schauspielern Blumen und Geschenke, als Zeichen ihrer Wertschätzung, auf die Bühne zu bringen. Die Urform des hanamichi wurde in den 1660igern eingeführt und entwickelte sich möglicherweise aus der kleinen Treppe, die die Nobühne, welche als Model für die Ausgangsform der Kabukibühne diente, mit dem Auditorium verband. Andere Theorien existieren, die besagen, daß der hanamichi die Weiterentwicklung der Passage, die vom Spiegelraum zur Nobühne führte, darstellt. Der hanamichi, der seit 1716 auch als eigenständiger Spielort dient, verläuft von der Hauptbühne bis ins Zentrum des Auditoriums. Der hanamichi kann eine Straße oder einen Fluß in Verbindung mit der Bühne darstellen und simultan mit der Hauptbühne, als zweiter Handlungsort, bespielt werden.

Seine wichtigste Funktion besteht jedoch darin, Auftritten und Abgängen Gewicht zu verleihen. Eine besondere Stelle auf dem hanamichi ist der shichi-san (“sieben- drei Punkt”), der seinen Namen seiner Lage verdankt, welche, von der Bühne aus betrachtet, drei Zehntel der Länge des hanamichi ausmacht und vom hinteren Teil des Theaters aus sieben Zehntel.

Der hanamichi gibt dem Schauspieler eine besondere Möglichkeit, seine Fähigkeiten zu demonstrieren. Wenn er ihn betritt und der Hauptbühne zustrebt, schlüpft er in seine Rolle, wie in ein Gewand und steigert seine Ausdruckskraft, die auf dem shichi-san ihren Höhepunkt erreicht. Auf dem hanamichi werden Emotionen und Gedanken des Charakters in reiner Form, ohne äußere Beeinflussung gezeigt, doch sobald der Charakter die Hauptbühne betritt, ist er gezwungen mit anderen zu interagieren, Kompromisse einzugehen, sich Umständen und Personen zu fügen, gegen seinen Wunsch oder Willen zu handeln.

Gelegentlich stellt man parallel zum hanamichi in der rechten Hälfte des Auditoriums noch einen temporären hanamichi auf, welche dann als zusätzliche Bühne oder als Pfad etc. dient.

5. Die Kabukistile

Etwa 1673 wurde der aragoto (wilde) Stil vom Schauspie ler Ichikawa Danjuro in Edo entwickelt. Dieser kühne und maskuline Stil, der von Darstellern unerschrockener Helden, die mit Hilfe übernatürlicher Kräfte das Böse bekämpften und besiegten, angenommen und gezeigt wurde, erfreute sich großer Beliebtheit unter den Städtern. Dem aragoto Stil sind übertriebene Posen, Sprechweise und Kostüme eigen.

In der Gegend von Kioto und Osaka hingegen wurde der realistische wagoto Stil durch Sakata Tojuro (1647-1709), der besonders zur Darstellung junger romantischer Männer eingesetzt wurde, begründet. Foppish and slightly effeminate, the wagoto hero is also something of a clown, even a spoiled child. (Gunji, Seite 39)

Aragoto und wagoto Stil treten beide nicht zwangsläufig in ihrer reinen Form auf, sondern können in einem Stück durchaus kombiniert werden.

6. Die Kabukidramen

In der Edozeit wurden Stücke meist von einem Team von Bühnenautoren, die vom Theater beschäftigt wurden, geschaffen. Diesen Arbeitsgruppen stand ein Hauptautor vor, der die Handlung der Stücke festlegte, die Aufgaben unter den Co-Autoren verteilte und die Gesamtarbeit koordinierte. Diese Methode ermöglichte es, aktuelles Geschehen in Form des sewamono oder, wenn nötig, des jidaimono innerhalb kürzester Zeit auf die Bühne zu bringen. In manchen Fällen wurden sogar ganze Passagen aus Texten anderer Stücke übernommen und in neue Stücke integriert. Anhand dessen wird deutlich, daß der Text im Kabuki bei weitem nicht das wichtigste Element der Inszenierungen sein kann und eher einem praktischen Zweck dienlic h ist, als den Anspruch von Kunst zu erheben.

Bis zu Beginn der Genrokuperiode hatten sich die drei Arten von Kabukistücken, die jidaimono (historische Stücke mit ausgeschmückten Hintergründen und einen großem Ensemble), die sewamono (häusliche Stücke, die das Leben der Stadtbevölkerung porträtierten und welche im Vergleich zu den jidaimono auf realistische Weise aufgeführt wurden) sowie die shosagoto (Tanzstücke, die aus Pantomime und Tanz bestanden), herausgebildet. Die beiden Hauptkategorien sind die jidaimono, welche zeitlich vor der Edoperiode (1603-1867) spielen und sich mit dem Leben der Aristokraten und der Krieger beschäftigen, zum anderen die erst später entstandenen “zeitgenössischen Stücke”, sewamono, die in der Edozeit spielen und auf aktuellem Zeitgeschehen und sozialen Problemen, wie zum Beispiel Skandalen, Affären, Morden und Verbrechen, basieren. In der Edoperiode war es strikt verboten Stücke aufzuführen, die in jeglicher Art und Weise die Aristokratie, Oberschicht und die Shogune der Edozeit involvierten. Diese Zensur wurde jedoch leicht umgangen, indem man aktuelle Ereignisse, die mit diesen Personen verbunden waren, als geschichtliche Stücke getarnt, doch für jeden Zeitgenossen leicht durchschaubar, auf der Bühne zeigte. Ab dem 17. Jahrhundert spielte die Zusammenstellung der Stücke im Tagesprogramm eine wichtige Rolle. So mußte erst ein historisches Stück gezeigt werden, was von einem zeitgenössischen Stück gefolgt werden sollte. Dabei kontrastierte das informelle, lockere zeitgenössische Stück das formale, hoch stilisierte und zeremonielle historische Stück.

Dem 19. Jahrhundert entstammt das hengemono (Verwandlungsstück), welches aus einer Serie kleinerer Tänzen besteht, die alle von einem Schauspieler dargeboten werden, der sich von Tanz zu Tanz verwandelt, indem er in eine neue Rolle schlüpft.

7. Der Kabukischauspieler

Im Kabuki findet eine Rollenspezialisierung auf Männerrollen tachiyaku oder Frauenrollen oyama (auch onnagata), welche beide von Männern übernommen werden, statt. Das Können des Kabukischauspielers ist äußerst komplex: So formidable is the body of skills he must acquire that only after he has reached the age of fifty or so is he accepted as a finished actor, and it is not until this time that there is any considerable opportunity for him to make substancial changes in the traditional method of playing a certain role. (Ernst, Seite 194) Von Kindesbeinen an also erhält der zukünftige Schauspieler seine Ausbildung am Theater, die erst im reifen Alter von etwa 50 Jahren als vollkommen abgeschlossen gilt. Bis zu diesem Zeitpunkt beschränkt sich sein Spiel auf das so perfekt wie mögliche Kopieren seiner Lehrer. Aufgrund der hervorragenden Schauspielfähigkeiten der Akteure im Kabuki, werden Regisseure nicht benötigt. Das Reportoire eines ausgebildeten Kabukischauspielers beläuft sich auf mehr als 300 Stücke, die er, ohne Proben, lediglich mit Hilfestellung der kurumbo, zu spielen imstande ist.

Die Fähigkeit zum Tanzen ist grundlegend für einen Kabukischauspieler: Das hei ß t, alle Bewegungen des Kabuki basieren eigentlich auf dem Tanz. Solange man diesen nicht beherrscht, kann man nicht Kabuki spielen. Alle Bewegungen des Kabuki sind mehr oder weniger stilisiert, und es ist absolut notwendig, diese Bewegungsabfolge, diesen Tanz zu lernen. (Leims, Seite 107).

Die Konventionen und Traditionen des hoch stilisierten Kabukispiels werden innerhalb der Schauspielerfamilien, die sich jeweils meist auf ein bestimmtes Rollenfach spezia lisiert haben, von Generation zu Generation weitergegeben. Es ist üblich, ausgesuchte Schüler, die keiner Schauspielerfamilie entstammen, durch Adoption in eine solche aufzunehmen. Somit bleibt der ruhmreiche Name der jeweiligen Dynastie erhalten und besteht fort. Verbunden mit dem Namen ist die Obligation, sich an die althergebrachten Regeln zu halten und die der Familie eigene Interpretation einer Rolle fortzusetzen. Eine persönliche Note in der Rolleninterpretation wird zwar angestrebt, jedoch erst, nachdem das Rollenfach den Konventionen nach perfekt beherrscht wird und nur innerhalb des Rahmens der überlieferten und bewährten Spielregeln.

8. Der Bühnenassistent

Eine Besonderheit des Kabukitheaters ist der kurumbo, der Bühnenassistent. The frank recognition of the theatricality of the performance and the consequent acceptance of workers in the theatre, other than the actor, upon the stage, is a basic principle of the kabuki. (Ernst, Seite 125) Da das Kabuki eine nichtillusionistische Theaterform ist, stellt das Auftauchen des an der Bühnenhandlung völlig unbeteiligten kurumbo auf der Bühne keine Gefährdung der Vorstellung dar, wie es bei vielen europäischen Theaterstilen der Fall wäre. Im Gegenteil, sie unterstützen den Eindruck des Schauspiels, indem ihre Zugehörigkeit zur Realität einen Kontrast zur Bühnenrealität bildet: The musicians, stagehands, and assistants by the very fact that they are not actors bring with them onto the stage the world of actuality, and against this background the theatricality of the actor ’ s performance is intensified. (Ernst, Seite 125)

Ganz in schwarz gekleidet erscheint der kurumbo, wann immer er benötigt wird, während des Stücks auf der Bühne. In seinen Aufgabenbereich fällt unter anderem der Umbau der Szenerie, das Soufflieren der Texte auf der Bühne hinter dem Schauspieler kauernd, das Ordnen der Kostüme und Hilfestellung beim Wechsel derselben (hikinuki und bukkaeri), außerdem ist der kurumbo verantwortlich für das Wohlbefinden der Schauspieler. Er reicht den Akteuren, die dem Publikum währenddessen den Rücken zukehren und das Spiel aussetzen, bei Bedarf Wasser oder Tee, Taschentücher oder versorgt sie in Szenen, die langes Stehen oder Knien erfordern, mit einer Art Stuhl, der die Schauspieler immer noch stehend oder kniend erscheinen läßt, obwohl sie tatsächlich sitzen.

9. Die Bühnenmusiker

Musik und Geräusche haben im Kabuki einen sehr hohen Stellenwert, man könnte die gesamte Inszenierung als eine Einheit rhythmischer Harmonie des Spiels und aller mitwirkenden Elemente, bezeichnen. Der übergeordnete Begriff für die musikalische Ausgestaltung der Kabukivorstellungen lautet hayashi und kann in zwei weitere Kategorien untergliedert werden: debayashi (Musik hinter der Bühne) und kagebayashi (Musik auf der Bühne). Es existiert eine große Auswahl an Bühnenmusik, die mehr oder weniger überliefert wurde. Was die instrumentale Besetzung anbelangt, reicht diese von einem breiten Spektrum an Schlaginstrumenten, Flöten, Gongs und Glocken bis zur Shamisen, welche den Kabukistücken ihren Grundrhythmus, an dem sich die Schauspieler in ihren Bewegungen und Sprache orientieren, gibt. Die Shamisen kann Töne der menschlichen Stimme ( z. Bsp. Weinen, Klagen) übernehmen und weiterführen. Sie ermöglicht damit einen harmonischen Übergang vom der stilisierten Rezitation des Schauspielers in Musik. Außerdem erzeugen die verschiedenen Instrumente Hintergrundgeräusche, die Wind, Regen, rauschende Flüsse, das Brechen der Wellen oder sogar Schneefall signalisieren sollen. Ein fundamentales Geräusch im Kabuki ist das des Klopfens der hyoshigi, zweier Holzblöcke, die während des Öffnens und Schließens des Vorhangs mit zunehmendem Tempo aufeinander geschlagen werden. Eine andere Form der hyoshigi, die nach verschiedenen rhythmischen Mustern auf ein Brett geschlagen werden, begleitet Kampfszenen, mie Posen sowie Auf- und Abgänge auf dem hanamichi.

Die kagebayashi Musiker befinden sich nicht auf der Bühne, sondern in einem kleinen Raum, dem kuromisu, der sich links hinter der Bühne befindet und welcher von den Zuschauern abgeschirmt ist, deshalb wird sie auch kuromisu oder geza Musik genannt. Die debayashi Musiker hingegen sitzen, insbesondere bei Tänzen, auf der Bühne. Dabei hängt ihre Position von der Art der Begleitung ab. Bei der joruri (der narrativen) Begleitung sitzen der Erzähler und der Shamisenspieler (in dieser Kombination chobo genannt), je nach joruri Typ, entweder rechts oder links auf einer kleinen Bühne, welche sich auf der Hauptbühne befindet. Manchmal gibt der chobo Erzähler die Gedanken von Charakteren oder die Folge vergangener Geschehnisse, während die Schauspieler diese in den monogatari Szenen pantomimisch darstellen, wieder. Beim nagauta (langes Lied), der gesungenen Begleitung, die keine bestimmte Handlung besitzt, sondern den Fluß einer Stimmung oder Empfindung zum Ausdruck bringen soll, sitzen die Musiker, welche sich aus Sängern, Shamisenspielern, Trommlern und einem Flötenspieler zusammensetzen, dem Publikum gegenüber auf der hinteren Bühne. Die Nähe der Musiker zu den Schauspielern, besonders, wenn sie direkt auf der Bühne plaziert werden, ermöglicht die musikalisch angepaßte Begleitung des Spiels und der Tänze durch eine Gruppe von Musikern ohne Mitwirken eines Dirigenten.

10. Wichtige Formelemente des Kabuki

10.1. Die Maske

Ein besonders auffälliges Merkmal sind beim aragoto Stil die Schminkmasken, welche kumadori genannt werden und durch die Masken des Notheaters beeinflußt worden sind. Die kumadori Maske besteht aus der Gesichtsbemalung mit dicken roten oder blauen Linien auf weißem Grund. Die Symbolik der Farben spielt dabei eine bedeutende Rolle: Rot, beispielsweise, bringt Tugend und Kraft zum Ausdruck, Blau hingegen signalisiert Bosheit. So wird also dem Zuschauer mit Hilfe der Maske der Charakter der dargestellten Person in gut sichtbarer und direkter Weise vor Augen geführt, was eine eher stereotype Darstellung von “Gut” und “Böse” zur Folge hat.

10.2. Die Perücken

Neben den Schminkmasken verbildlichen auch die Perücken im Kabuki, welche immer schwarz sind, Veränderungen im Charakter der Dargestellten und geben darüber hinaus noch Auskunft über das Alter, Geschlecht, den Status und die Klassenzugehörigkeit. Einige Verwandlungen werden auf der Bühne direkt vor dem Publikum gezeigt: zum Beispiel löst der Darsteller einer Frau, die in Rage und Eifersucht gerät, geschwind die hochgesteckten Locken seiner Perücke, so das sie ihm über die Schultern fallen und signalisiert damit ihren Zorn.

10.3. Die Kostüme

Ganz ähnlich verhält es sich auch mit den Kabukikostümen, die in zwei verschiedenen Verfahren auf der Bühne und vor den Augen des Publikums plötzlich transformiert werden können. Die Schauspieler tragen gewöhnlich mehrere Kimonos übereinander, was ein Gewicht von bis zu 25-30 Kg ausmachen kann. Im hikinuki Verfahren wird jeweils der oberste Kimono, welcher mit Fäden am Darunterliegenden befestigt ist, mit der Hilfe von Bühnenassistenten von hinten gelöst und blitzschnell entfernt, womit man den Effekt einer spektakulären Verwandlung erzielt.

Im bukkaeri Verfahren wird der obere Teil des Kimonos an den Schultern und Ärmeln gelöst, so daß er daraufhin wie ein Rock von den Hüften des Schauspielers herabhängt und somit den optischen Effekt eines neuen Kostüms erzeugt. Im Gegensatz zum hikinuki, das allein dem atemberaubenden visuellen Eindruck dient, symbolisiert die Verwandlung, die durch die bukkaeri Methode vollzogen wird, Veränderungen in der Persönlichkeit des Charakters.

In der Edozeit waren Theatervorstellungen nur bei Tageslicht gestattet, da die Brandgefahr in den aus Holz und Papier gebauten Häusern sehr hoch war und offene Feuer in den Theatern eine zusätzliche Gefährdung dargestellt hätten. Aus diesem Grund war die Beleuchtungstechnik im Kabuki nicht sehr ausgefeilt und mußte durch andere Effekte, wie große Farbigkeit und Methoden wie den hikinuki, ausgeglichen werden. Besonders in den jidaimono findet man eine farbenreiche

Ausgestaltung der Szenerie, wohingegen die Farbigkeit bei den sewamono einen untergeordneten Platz einnimmt. Trotzdem: Niemals geht die Anwendung der Technik so weit, da ß die Gestik des Schauspielers “ erschlagen ” würde. Er ist es, der die Szene dominiert. (Leims, Seite 63)

11. Die Darstellungsweise im Kabuki

Das Kabukispiel ist, wie auch für Szenerie, Kostüme, Maske und Musik zu bemerken ist, Stilisierung in angemessener Weise, ohne daß es lächerlich und albern wirkt. Kabukitheater ist nichtillusionistisches Theater, also keine “Imitation des Lebens”, sondern Kunst, die sich bewußte Perfektion und Meisterschaft zum Ziel setzt. Der Kabukischauspieler “lebt” seine Rolle nicht, sondern spielt sie: The Kabuki actor, in brief, does not impersonate. He acts. And as with other productional elements of the Kabuki his performance is based upon its uncompromising theatricality. (Ernst, Seite 194). Dank der strengen Konventionen für das Kabuki, ergeben sich für den Zuschauer objektivere Kriterien zur Beurteilung des Schauspielers und des Schauspiels, als im westlichen Theater. Die hohe Stilisierung kommt sehr exemplarisch in den Auf- und Abgängen und der komplexen Choreographie von Kampf- und Mordszenen zum Ausdruck, ebenso wie in der Darstellung von Nachtszenen, welche nicht durch Veränderung der Lichtverhältnisse auf der Bühne angedeutet werden, sondern durch die Verlangsamung der Bewegungen der Akteure, ähnlich dem Zeitlupentempo.

Stilisierung findet sich ebenso in der Sprechweise des Kabuki, welche von der Prolongation von Vokalen geprägt ist. Sie klingt singartig, folgt aber keinem bestimmten Muster oder Melodie. Die Sprache orientiert sich an der Musikbegleitung. Das Spiel des Schauspielers ist oft nicht synchron zu seinen Worten, so daß in einer tragischen Szene kein sofortiger Zusammenbruch erfolgt, sondern erst, nachdem alles in diesem Zusammenhang Wichtige gezeigt und gesagt wurde.

Beim zu sprechenden Text der Schauspieler wendet das Kabuki mitunter außergewöhnliche Techniken an. So kann beispielsweise eine einzige Rede auf mehrere Schauspieler aufgeteilt werden. Teilen nur zwei bis drei Darsteller eine Rede untereinander auf, so wird dies als warizerifu bezeichnet. Haben jedoch mehr als drei Akteure Anteil an der Rede, so nennt man dies watarizerifu. Oft wird die Rede der Schauspieler auch häufig vom chobo Erzähler gesprochen Besondere Erwähnung gebührt dem ausdrucksstärksten Element der Kabukivorstellungen: der mie Pose, die gewissermaßen die Höhepunkte der Bewegung in Tanz und Spiel markiert. Der Schauspieler vollführt eine mie Pose, indem er mitten im Bewegungsablauf seines Spiels in einer beeindruckenden Pose gefriert und so einige Zeit verharrt, bevor er sein Spiel fortsetzt. Dabei führt er mit dem Kopf nickende Bewegungen aus und überkreuzt ein Auge. Mie Posen werden von Klopfgeräusch zweier Holzblöcke auf einem Brett und vom Beifall des Publikums begleitet. Applaudiert wird normalerweise nicht erst am Ende einer Szene oder der Vorstellung, wie meist im europäischen Theater, sondern spontan und unmittelbar in “applauswürdigen Momenten” der Vorstellung ( z. Bsp. bei mie Posen, Verwandlungen). The mie, as the ultimate physical expression toward which all Kabuki movement tends, is a synthesis of the patterns of characteristic Kabuki movement. (Ernst, Seite 178) Die mie Pose ist Inbegriff von hoch stilisierter Schauspielkunst: von Kabuki.

12. Literaturverzeichnis

Ernst, Earl: The Kabuki Theatre. The University Press of Hawaii. Honolulu: 1974.

Gunji, Masakatsu: The Kabuki Guide. Kodansha International Ltd. Tokyo: 1987.

Leims, Thomas: Kabuki: Das klassische japanische Volkstheater. Quadriga. Berlin: 1987.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Das Kabuki Theater
Hochschule
Universität Leipzig
Autor
Jahr
1999
Seiten
13
Katalognummer
V96552
ISBN (eBook)
9783638092289
ISBN (Buch)
9783656761181
Dateigröße
384 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kabuki, Theater
Arbeit zitieren
Liana Richter (Autor:in), 1999, Das Kabuki Theater, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96552

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Das Kabuki Theater



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden