Grillparzer, Franz - Das Kloster Bei Sendomir


Referat / Aufsatz (Schule), 2000

4 Seiten


Leseprobe


“Das Kloster bei Sendomir“ beruht auf einer wahr überlieferten Begebenheit. Diese Erzählung erschien 1827.

Zwei Reisende nächtigen in einem neu erbauten Kloster der Woiwodschaft Sendomir in Polen. Ein verwildert aussehender Mönch bedient sie. Auf die Frage, „welch gottgeliebter Mann“ dieses Kloster habe bauen lassen, antwortet er mit „schmetternden Hohngelächter“. Nur widerstrebend lässt er sich schließlich herbei, die Geschichte des Klosters zu erzählen. Es wurde von einem Graf Starschensky gegründet, der zuvor das Schloss bewohnt hatte, dessen verkohlte Mauern man von dem Zimmer, in dem die Reisenden sich befinden, noch sehen kann. Starschensky lebte zufrieden in einem „über alles gehenden Behagen am Besit; seiner selbst“, bis ihn in Warschau eines Nachts Elga, ein zerlumptes Mädchen „von üppiger Schönheit“, auf der Straße anspricht und um Hilfe für ihren kranken Vater bittet. Großzügig unterstützt Starschensky die ganze Familie mit Geld und nimmt schließlich Elga zur Frau. Finanzielle Schwierigkeiten zwingen den Grafen, bald nach der Hochzeit auf seine Landgüter zurückzukehren. Überraschend vorbehaltlos erklärt sich Elga, die Geschmack an rauschenden Festen gefunden hatte, damit einverstanden. Auf Schloss Sendomir schenkt sie einer Tochter das Leben. Das Kind gleicht ganz der Mutter bis auf die befremdlich abweichende Farbe seines Haares und seiner Augen. Des Grafen wiederhergestelltes „Behagen“ wird von neuem getrübt, als ihn sein Hausverwalter auf einen mysteriösen nächtlichen Besucher Elgas hinweist. Erregt verlangt er von seiner Frau eine Erklärung. Elga aber beteuert glaubhaft, sie sei unschuldig. Einige Tage später aber entdeckt Starschensky in einem Schmuckkästchen Elgas ein Porträt Oginskys, einen entfernten Verwandten, und bemerkt dessen fatale Ähnlichkeit mit Elgas Kind. Unverzüglich in Warschau eingeholte Erkundigungen über Oginsky bestärken den Grafen in seinem Verdacht. Zum Äußersten entschlossen, bringt er Oginsky gefesselt und geknebelt auf das Schloss und sperrt ihn in die alte Warte. Nachdem auch der letzte Versuch, Elga zu einem Geständnis zu bewegen, gescheitert ist, führt Starschensky zu mitternächtlicher Stunde, unter einem „trauergefärbten Himmel“, Elga zusammen mit ihrer Tochter ins Turmgemach der alten Warte. Triumphierend konfrontiert er sie dort mit Oginsky, der mündlich und schriftlich bezeugt, Vater des Kindes zu sein. Nachdem Oginsky durch einen kühnen Sprung aus dem Fenster entkommen ist, fordert Starschensky Elga auf, das Kind zu töten. Als sie sich, „mit abgewandtem Auge“ anschickt, diesem Befehl Folge zu leisten, bringt er sie um. In der selben Nacht noch brennt das Schloss nieder. Das Kind setzt Starschensky bei der Köhlersfamilie aus. Dann verkauft er seinen gesamten Besitz und gründet ein Kloster, um Buße zu tun. „Die Zeit aber, statt den Stachel abzustumpfen, zeigte ihm stets gräßlicher seine Tat“. Als der Mönch seine Erzählung beendet hat, öffnet sich die Tür und der Abt ruft drohen ins Zimmer: „Wo bleibst du, Starschensky?“ Der Mönch zuckt zusammen und schleppt sich „wie ein verwundetes Tier“ zur allnächtlichen Totenmesse.

Interpretation

Die Erzählung, von Grillparzer selbst - weil „Prosa“ nie „poetisch“ sein könne - als ein minderwertiges Nebenprodukt abgetan, lässt deutlich den autobiographischen Anlass ihrer Entstehung erkennen: Der Dichter unterhielt zwischen 1818 und 1827 eine ehebrecherische Beziehung zu Charlotte von Paumgartten, der Gattin seines Vetters, die an die an dieser Liebe zugrunde ging. Sie starb 1827, kurz ehe diese Erzählung in Schreyvogels Zeitschrift „Aglaja“ erschien. Wie Erny in „Ein treuer Diener seines Herren“ und Lukrezia in „Ein Bruderzwist im Hause Habsburg“ gehört Elga zum Typus jener ins Rätselhafte stilisierten Frauengestalten in Grillparzers Dramen, deren Bild zwischen engelreiner Unschuld und abgründiger Verworfenheit schwankt. Der Versuch, gewaltsam klare Verhältnisse herbeizuführen, den hier Graf Starschensky unternimmt, bewirkt indes nur das unaufhaltsame Fortwuchern einer mehr erlittenen als begangene Schuld. Aber die Verwandtschaft des Klosters bei Sendomir mit Grillparzers Dramen ist nicht nur thematisch, sondern auch formal begründbar: Wie in den Dramen, so entfaltet sich auch das Geschehen dieser Erzählung als ein Enthüllungsvorgang, wobei aus der Trivialliteratur übernommene Schaumotive virtuos als Versatzstück eingesetzt werden. Das bevorzugte Stilmittel zur Herausarbeitung erzählerischer Höhepunkte ist der rein dramatische, nicht epische kommentierte Dialog.

Die Grundlage dieser Erzählung ist dramatisch, und dies drückt auch der Stil aus. Der Dialog bestimmt die Art der Darstellung. Häufig lässt der Mönch seine Personen in wörtlicher Rede sprechen oder seine Erzählung geht unvermittelt in Rede und Gegenrede über: „Wer sagt das?

- Ich, der ich ihn selbst gesehen habe. - Heimlich aufs Schloß kommend? - Heimlich aufs Schloß! - Wann? - Oft! - Ein Vertrauter meiner Schwäger? - In Warschau sah ich ihn an ihrer Seite“. An Grillparzers Dramenstil erinnern die zahlreichen Jamben: „Drei Jahre steht das Kloster. Dreißig Jahre! - Ihr habt ja auch gefragt? Was war es nun? - Und stille Ruhe, hold vermischend ihren Schleier...“ Grillparzer gliedert die gesamte Erzählung durch das Auftreten Oginskys. Erstmal wird er während Starschenskys Werben um Elga flüchtig erwähnt, doch „verschwand er ganz, und niemand wußte, wo er hingekommen war“. Nach der genauen Darstellung von dem seltsamen Aussehen des Kindes folgt der Bericht des Verwalters über den Besuch des „Vertrauten“, der „heimlich aufs Schloß“ kommt. Oginsky drittes Auftreten bleibt ebenso geheimnisvoll und unerklärt; in einer hellen Mondnacht, die das Schloss in einen „schimmernden Feenpalast“ verzaubert und in ihm eine Sehnsucht nach Elga erweckt, „wie er sie seit Tagen des ersten Begegnens, der bräutlichen Bewerbung kaum je empfunden hatte“, sieht ihn der Graf dem Schloss zuschleichen. Das erste und dritte Auftreten Oginskys fällt jeweils in eine Zeit, in der Starschensky von besonderer Liebe zu Elga erfüllt ist. Hatte Grillparzer zwischen den ersten und zweiten Hinweis auf Oginsky die Beschreibung des Kindes eingeschoben, so stellt er zwischen den vierten und letzten Mal die Entdeckung des Grafen, dass Oginsky der Vater des Kindes sein müsse. Am Ende der Erzählung tritt Oginsky zum viertenmal auf, diesmal jedoch nicht mehr geheimnisvoll und ungreifbar, sondern von Starschensky selbst im verschlossenen Wagen gebracht. Jetzt aber wird seine Anwesenheit vor Elga verborgen, die erst in der höchst dramatischen Schlussszene, nach erzählerisch wirksamen Verzögerungen, davon erfährt. Für den Leser bleibt die Gestalt Oginskys, der zu Beginn der Erzählung lediglich als „gut gebaut und wohl aussehend“ beschrieben worden war, auch jetzt im Dunkeln. Die Spannung, in welche Grillparzer den Leser am Anfang versetzt und hält, lässt den überlegten Aufbau ebenso leicht übersehen wie die dramatisch gedrängte Sprache. Grillparzer wollte weder eine Ehebruchsgeschichte erzählen, noch sein eigenes Leben darstellen. Er zeigt die rätselhafte, nicht zu durchschauende Frau, die ihrem ersten und einzigen Geliebten treu ist, und den Mann, der in unbeherrschter Leidenschaft und aus verletztem Stolz mit menschlichen Mitteln Unrecht sühnen will, ja sich sogar dazu verpflichten glaubt und daran scheitert. Jeder Wertung des Geschehnisses enthält sich Grillparzer ebenso wie einer geistigen Selbstenthüllung. Allein der Gedanke daran wäre ihm schon widerwärtig. Mit Willen bedient er sich einer Objektivität, die ihm ermöglicht, seelische Abgründe aufzudecken, sodass sie zu ahnen sind und doch jeder indiskreten Enthüllung entzogen bleiben.

Ende der Leseprobe aus 4 Seiten

Details

Titel
Grillparzer, Franz - Das Kloster Bei Sendomir
Autor
Jahr
2000
Seiten
4
Katalognummer
V96899
ISBN (eBook)
9783638095747
Dateigröße
331 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Grillparzer, Franz, Kloster, Sendomir
Arbeit zitieren
Harald Messner (Autor:in), 2000, Grillparzer, Franz - Das Kloster Bei Sendomir, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96899

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