Grundlagen politischer Existenz


Seminararbeit, 2000

9 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Machtfrage

3. Die Lösung des Thomas Hobbes

4. John Locke (1632-1704

5. Jean-Jacques Rousseau (1712-1778)

6. Weiterführende Modelle

7. Liberalismus als Fortsetzung von Lockes Gesellschaftsmodell

8. Marx´ Lösungsansätze...

9 und Lenins Fortentwicklung

10. Das Schlußwort hat Marx Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Grundlagen politischer Existenz... Warum müssen sich Sozialarbeiter/Sozialpädagogen überhaupt mit solchen Problemstellungen befassen? Unter anderem fällt mir da zum Beispiel die Abhängigkeit der Sozialen Arbeit von der gerade aktuellen Sozialpolitik ein. Aber auch der Umstand, daß Politik genau wie Soziale Arbeit immer etwas mit Macht, mit Machtausübung zu tun hat. Zum Beispiel beruht ja auch schon die bloße Existenz der professionelle Sozialen Arbeit auf dem gesellschaftlich anerkannten Machtgefälle in diesem Gesellschaftssystem. Diese ungleiche Machtverteilung wird als so gravierend angesehen, daß man sie als Grund für professionelle Hilfe betrachtet.

Aber auch in der helfenden Beziehung an sich besteht ein Machtungleichgewicht. Der Sozialarbeiter/-pädagoge hat einen sozialen und professionellen Status, den der Klient in der Regel nicht hat. Und er hat (und das wird wahrscheinlich vom Klienten als Hauptaspekt des Machtgefälles wahrgenommen) gerade auf dem Gebiet, auf dem der Klient derart große Probleme hat, daß die ihn eben zum Klienten machen, ein größeres Wissen und eine größere Erfahrung als der Klient.

Aber warum gibt es in der menschlichen Gesellschaft dieses Machtgefälle? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, machen sich einige historische Betrachtungen notwendig.

2. Die Machtfrage

In der Epoche, der monarchistischen Staaten war die Machtfrage gelöst. Es gab klar geregelte Machtstrukturen, einen Regenten und seine Untertanen. Durch die Kriege, in die sich diese Monarchen immer häufige verstrickten und die auch immer teurer wurden, gerieten viele dieser Monarchen in die Schuld von reichen Händlern und Kaufleuten, die diese Kriege finanzierten. Durch diese Entwicklung schwächte sich die Machtstellung der Monarchen, die immer mehr Macht an eben diese reichen Bürger abgeben mußten. Dadurch rückte der Markt immer mehr in den Mittelpunkt. Auf diesem Markt zählt nicht mehr die hierarchische Position eines Individuums, sondern nur noch die Ware. Es sind also grundsätzlich alle Individuen auf diesen Markt gleich. Deshalb treffen auf diesem Markt die unterschiedlichen Interessen der gleichen Individuen aufeinander. Dadurch entsteht die Machtfrage als Frage danach, wer seine Interessen gegen den anderen durchsetzen kann und wer nicht. Mit dem Finden einer Antwort auf diese Frage beschäftigen sich seitdem Philosophen und Staatstheoretiker:

3. Die Lösung des Thomas Hobbes

Thomas Hobbes (1588-1679) erkannte, daß die unter 2. dargestellte Entwicklung eine Reduktion der menschlichen Gesellschaft auf den Urzustand (alle gegen alle) darstellte. Die gottgewollte Ordnung und Kultur ist zerfallen, es herrscht wieder der Kampf der Individuen um die Herrschaft.

Nach Hobbes gehen die Menschen nur dann eine Verbindung mit ihren Artgenossen ein, wenn sie für sich selber einen Vorteil daraus erhoffen, das heißt also, aus Liebe zu sich selbst und nicht zu den "Genossen"(wie Hobbes die Mitmenschen nannte). Durch gegenseitige Unterstützung, das wissen sie, können die Menschen die Annehmlichkeiten des Lebens vermehren. Dies kann man aber besser durch Herrschaft über andere als durch eine gleichberechtigte Verbindung mit ihnen erreichen. Das liegt auch eher in der Natur des Menschen, die ihn eher zur Herrschaft denn zur Gesellschaft drängt. Allein die Furcht, im Kampf um die Herrschaft zu unterliegen und selbst der Beherrschte zu sein, hindert die Menschen an diesem Verfahren und läßt ihnen gleichberechtigte Verbindungen zum Ziele werden. Für solche Verbindungen bedarf es einer Instanz, die von allen (an der Verbindung beteiligten) Menschen anerkannt ist. Diese Instanz wird mit Mitteln und Befugnissen ausgestattet, um die Koexistenz der Konkurrenten im Machtkampf zu sichern. Das ist notwendig, da eigentlich ein jeder Mensch ein Recht auf alles hat, also auch auf die Beförderung einer Person vom Leben in den Tod oder das Stehlen von eines anderen Eigentum. Da nach diesem Grundsatz diese Dinge also jedem geschehen können, willigt jeder in die Schaffung einer solchen Instanz ein, um solcherlei Übel von der eigenen Person abzuhalten. Die Legitimation dieser Instanz, dieser Staatsmacht ist also ein (gedachter) Gesellschaftsvertrag aller mit allen, der nur dann legitim ist, wenn die Zustimmung aller Individuen denkbar ist (wenn sie auch nur aus der Furcht, der Schwächere zu sein geboren wurde). An diese Überlegung knüpft Hobbes einige Eigenschaften, die demnach dieser

Gesellschaftsvertrag haben muß:

- kein Individuum kann den Vertag von sich aus lösen
- die Staatsmacht schützt die Existenz des Einzelnen wirksam

(Kriege und Todesstrafen stehen dem entgegen und provozieren so das, nach Hobbes durchaus legitime und verständliche, Ungehorsam des Staatsvolkes)

- es gibt eine Trennung zwischen öffentlichem und privatem Leben und der Staat darf nur für das öffentliche Leben zuständig sein; die Individuen können privat denken, tun und lassen, was sie wollen. Nach Hobbes muß sich für sie die Abtretung eines Teils ihrer Freiheit für den anderen Teil lohnen.

Gerade bei dem letzten Punkt stellt sich die überaus schwierige Frage, wo denn nun die Grenze zu ziehen ist zwischen öffentlichem und privaten Leben und diese Frage beschäftigt uns heute noch. Zum Beispiel findet häusliche Gewalt im privaten Bereich statt, dennoch greift hier der Staat (und das völlig zu Recht) ein. Ähnliches ist vom (privaten) Denken verfassungswidriger (also zum Beispiel nationalsozialistischer) Gedanken festzustellen.

4. John Locke (1632-1704)

John Locke z.B. versuchte sich an der Lösung dieser Frage nach der Trennung zwischen privat und öffentlich. Er formulierte: "Das große und hauptsächliche Ziel, weshalb Menschen sich zu einem Staatswesen zusammenschließen und sich unter eine Regierung stellen, ist also die Erhaltung ihres Eigentums". Locke definiert also das Eigentum als jenen privaten Bereich und als Aufgabe des Staates diesen zu schützen, aber nicht zu regeln. Der Begriff des Eigentums ist bei Locke jedoch sehr weit gefaßt. Bei ihm wird jemand, der über einen eigenen Körper verfügt, als Eigentümer dieses Körpers bezeichnet. Genauso sieht es Locke mit dem Besitz der eigenen Überzeugungen, Neigungen und Meinungen und mit dem Besitz der Natur, die das Material zur Lebenserhaltung liefert. Und schließlich ist der Mensch bei Locke auch Eigentümer jener dinglicher Sachen, die wir heute unter dem Begriff des Eigentums verstehen würden. Der Bürger als Eigentümer hat also das Anliegen, dieses Eigentum, also auch seinen Körper und seinen Überzeugungen, zu sichern. Der Staat ist das Mittel, um die Rechtsunsicherheiten der Bürger auf dem Gebiet der Eigentumsverhältnisse zu beseitigen. Aber auch der Staat selber soll diesen, seinen eigenen Gesetzen unterworfen sein. Damit begründet Locke das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Es macht sich also nötig, den Staat selbst zu kontrollieren. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, konzipiert Locke eine Gewaltenteilung mit unabhängigen Gerichten. Locke schlägt eine Dreiteilung in Gesetzgebung (Parlament), Regierung und Justiz vor, aus der der Staatstheoretiker Montesquieu die Grundlage der heutigen westlichen Demokratien entwickelte.

Da das Eigentum die entscheidende Rolle spielt, sollte also die Gesetzgebung auch die Sache der Eigentümer sein. An dieser Stelle findet sich bei Locke eine interessante Inkonsequenz, deren Beseitigung bis ins zwanzigste Jahrhundert gedauert hat, in gewissem Sinne auch heute noch fortdauert. Nach Lockes oben skizzierter Eigentumsauffassung ist ja jeder Mensch ein Eigentümer, denn einen eigenen Körper zumindest sollte jeder haben. Die korrekte Konsequenz dieser Erkenntnis wäre also ein allgemeines Wahlrecht gewesen, statt dessen sieht Locke nur das Wahlrecht vor für Eigentümer, die besteuerbares Eigentum haben, den Staat also finanzieren. Auf diese Weise wird der Staat von den Reichen kontrolliert und, so die Kritiker Lockes, für die Besitzlosen ziemlich nutzlos, woraus die Gefahr erwächst, daß diese den Gesellschaftsvertrag kündigen und so der Staat auseinanderfällt.

5. Jean-Jacques Rousseau (1712-1778)

Jean-Jacques Rousseau bezeichnete das Staatsmodell von Locke, mit dem wir uns unter 4. beschäftigt haben, als "...raffinierten Plan des Reichen mit dem Zweck, aus seinen natürlichen Gegnern, den Schwachen und Besitzlosen, Verbündete zu machen." (Schlüter 1995, S. 122)

Rousseaus Grundfrage lautete: "Wie findet man eine Gesellschaftsform, die mit der ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögen jedes Gesellschaftsmitgliedes verteidigt und schützt und kraft derer jeder einzelne, obgleich er sich mit allen vereint, gleichwohl nur sich selbst gehorcht und so frei bleibt wie vorher?" (Rousseau 1974, S. 17)

Rousseau selbst liefert auch wenige Zeilen später die Antwort auf diese Frage: "Jeder von uns stellt gemeinschaftlich seine Person und seine ganze Kraft unter die oberste Leitung des allgemeinen Willens, und wir nehmen jedes Mitglied als untrennbaren Teil des Ganzen auf." (ebd., S. 18f.)

Für Rousseau gibt es also einen Gesellschaftsvertrag (so heißt auch sein Buch), der eine Gemeinschaft erzeugt. Diese Gemeinschaft ist für ihn ein "geistiger Gesamtkörper" mit einer volunté générale, einem gemeinsamen Willen also. In dieser Gemeinschaft hat jedes Individuum gleichsam eine Doppelfunktion. Als erstes ist es ein Untertan jener Gemeinschaft und als solcher unfrei. Frei ist das Individuum jedoch auch und zwar als freier Staatsbürger, der ein Teil dieser Gemeinschaft ist. Die eigentliche Freiheit entsteht nach Rousseau nur in dieser Doppelexistenz, da der einzelne Mensch als Individuum unfrei ist, weil er als Teil des Ganzen frei ist.

Diesem Modell zufolge müssen und werden die Gesetze, die sich diese Gemeinschaft gibt, inhaltlich im Interesse aller liegen (und nicht nur im Interesse der Besitzenden wie bei Locke). Dafür formuliert Rousseau drei Voraussetzungen:

- es darf keine "besonderen Vereinigungen"(also Interessensverbände) in der Gemeinschaft geben
- alle Teile der Gemeinschaft müssen nahezu gleiche Eigentumsbedingungen haben.
- alle Teile des Ganzen müssen unmittelbar an der Eruierung der volunté générale beteiligt sein.

Die ersten beiden Punkte machen den utopischen Charakter dieses Modells am deutlichsten sichtbar. Denn diese Bedingungen sind ja realiter nicht vorhanden, erst der allgemeine Wille der Gemeinschaft könnte sie herstellen, aber den kann man ja nicht fehlerfrei herausfinden, wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

Aus dem dritten Punkt spricht das Modell der plebiszitären Demokratie. Die parlamentarische Demokratie lehnt Rousseau ab, denn er befindet, daß ein Individuum, was seinen Willen an Volksvertreter delegiert, ist nicht mehr ein Teilhaber der volunté générale, im Sinne einer gemeinsamen Souveränität, da jemand anderes in seinem Namen entscheidet. Um dies zu verhindern entwickelt Rousseau eine Art Rätesystem. In regionalen Parlamenten (in den jeder Bürger einen Sitz hat) findet die Meinungsbildung statt und ein Abgesandter übermittelt dann nur noch das Abstimmungsergebnis an das "Zentralparlament", wo dann nur noch die Stimmen ausgezählt werden. Das große Problem eines solchen Systems ist jedoch das völlige Fehlen eines Diskussionsgremiums. Lediglich in den Regionalparlamenten ist noch eine Diskussion möglich, eine überregionale Diskussion und damit Konsensfindung ist nicht möglich. Es gibt nur die Möglichkeit, zwischen ja und nein zu entscheiden, ein Weg zwischen diesen Alternativen wird solch eine Gemeinschaft nicht begehen können. So kann es jedoch dazu kommen, daß eine große Minderheit unterdrückt wird von dem gemeinsamen Willen, ohne das auch nur der Versuch einer Konsensfindung stattgefunden hätte. Für Rousseau jedoch stellt das kein Problem dar, da er anders wie z.B. Hobbes und Locke, von einem Menschen ausgeht, der von Natur aus gut, friedlich und wohlwollend seinen Mitmenschen gegenüber ist. Deshalb wird wohl die Minderheit eine wohlwollende Zustimmung über die Niederlage zeigen und gar nicht um das Ergebnis kämpfen wollen. Dennoch ist es dieser Punkt, der Rousseaus Idee an dem selbstgesteckten Ansprüchen ("so frei bleibt wie vorher" (ebd., S. 17)) scheitern läßt. Denn diese (möglicherweise sogar sehr große) Minderheit ist eben nicht so frei wie vorher und hätte deshalb also gar kein Interesse mehr an der Gemeinschaft.

6. Weiterführende Modelle

Die oben dargestellten Konzepte von Hobbes, Locke und Rousseau gehen alle gemeinsam in die selbe Richtung einer demokratisch legitimierten Herrschaft. Sie schlagen sich in den großen demokratischen Bewegungen des 18. Jahrhunderts mit den Höhepunkten amerikanische Verfassung und französische Revolution nieder.

Die industrielle Revolution spitzte die materielle Ungleichheit und damit die Ungleichheit in der Machtverteilung noch mehr zu. Lockes Idee bildete die Grundlage für spätere Modelle des Besitzindividualismus und Liberalismus (auf den wir unter 7. noch näher eingehen werden) und leistete sogar dem Sozialdarwinismus Vorschuß (wer auf dem Markt der Stärkere (resp. Reichere) ist, überlebt und siegt). Die Ansätze Rousseaus finden sich, nicht zuletzt wegen der Prämisse des gleichen Besitzstandes, in den sozialistischen Ideen und der Lehre Marx' wieder.

7. Liberalismus als Fortsetzung von Lockes Gesellschaftsmodell

Adam Smith (1723-1790), Jeremias Bentham (1748-1832) und John Stuart Mill (1806-1873) dachten die von Locke angerissenen Gedanken weiter. Mill hat nach einer gedanklichen Auseinandersetzung mit den Vorschlägen Rousseaus und Lockes formuliert, daß der Staat das "größtmögliche Glück möglichst vieler" anstreben soll. Er erkannte, daß die beiden, von Locke und Rousseaus verwendeten, Parameter "Gemeinwohl" und "Gemeinwille" nicht oder doch nur sehr schwer zu ermitteln sein. Er erkannte das Problem ihrer Messung. Mill und auch andere Liberalisten des 19. Jahrhunderts forderten eine Minimalisierung der Staatsmacht, die gleichzeitig überprüfbar gemacht werden sollte. Gemäß der Gedanken dieser Liberalisten war die Aufteilung privat-öffentlich (die ja Locke und Rousseau solche Probleme gemacht hat) recht einfach: Der öffentliche Bereich umfaßt alle Dinge, die meßbar sind und der private Sektor enthält alles, was nicht meßbar ist, man muß es auch nicht messen, da ja im privaten Bereich ohnehin jedermann tun und lassen kann, was er will (laissez-faire). Wie aber geschieht die Messung im öffentlichen Bereich? Wie findet man die Antwort auf die Frage, ob etwas gut oder schlecht ist? Auch für dieses Problem hat Mill eine Lösung. Die Entscheidung, was ist gut und was ist schlecht, wird durch Macht getroffen. Die de facto mächtigste Gruppe oder das de facto mächtigste Individuum entscheidet, ob die derzeitige Politik gut oder schlecht ist. Diese Entscheidung trifft sie über den Markt. Hier ist nicht nur der Markt im ökonomischen Sinne gemeint, sondern auch ein Markt der Ansichten, Werte und Meinungen. Eine Wahl ist nach dieser Markt-Auffassung also nichts weiter, als, gleich einer Wertpapierbörse, zu sehen, welche Meinung derzeit am Höchsten im Kurs steht.

In diesem Zusammenhang ist es die Aufgabe der Staatsmacht, zu verhindern, daß jemand auf diesem Markt soviel Macht ansammelt, daß er den Markt selbst (hier der Markt der Meinungen als Sinnbild der demokratischen Auseinandersetzung) ausschaltet. Das Ergebnis davon wäre nämlich eine Diktatur. Hieraus ergibt sich das Problem liberaler Staatsformen: der liberale Staat ist völlig ungeschützt, denn er muß jeden Umsturz voll akzeptieren, wenn er nur erfolgreich ist.

8. Marx´ Lösungsansätze...

Karl Marx (1818-1883) hat eine ganz andere Idee zur Lösung der Machtfrage. Er sucht nicht nach Bedingungen und Kriterien, nach denen Herrschaft ausgeübt und akzeptiert wird, sondern es geht ihm darum, die Herrschaft ganz abzuschaffen, weil er der Ansicht ist, daß Herrschaft von Menschen über Menschen grundsätzlich unlegitimierbar ist.

Er sucht also Wege zur Beseitigung der Ursachen, die eine Herrschaft überhaupt notwendig machen. Doch um Wege zur Beseitigung der Ursachen zu suchen, muß man diese erst einmal kennen. Für Marx war die Ursache für eine Herrschaft von Menschen über Menschen die in der Urgesellschaft vollzogene Trennung der Arbeit in Kopf- und Handarbeit und die Aufteilung dieser beiden Bereiche auf verschiedene Individuen. Aus dieser Aufteilung erwuchsen zwei Klassen, die Marx die Klasse der Herren, der Privateigentümer und die Klasse der Sklaven, der Besitzlosen nannte. Der Erhalt dieser Klassen ist das Interesse der Herren und deshalb haben sie ein Interesse an der Beherrschung der Staatsgewalt. Auch die Klasse der Sklaven, in der Zeit der industriellen Revolution das Proletariat, muß Interesse an dieser Staatsmacht haben. Nach Marx soll das Proletariat die Staatsgewalt an sich bringen und eine Diktatur des Proletariats errichten. Diese Diktatur wird als Übergangsphase zur Aufhebung des Privateigentums, was Marx als Ursache für alle Partikularinteressen ansieht, benötigt. Da das Proletariat (zumindest zu Marx´ Zeit) besitzlos ist, hat es demzufolge auch keine Partikularinteressen und ist demnach historisch prädestiniert, das Allgemeininteresse durchzusetzen und die Klassen und damit alle Herrschaft abzuschaffen. Bisherige Revolutionen, so stellt er fest, haben nie die Art der Tätigkeiten angetastet, sondern sie immer nur anders verteilt. Eine kommunistische Revolution beseitigt die Arbeit. Die Arbeiterklasse ist auch deshalb prädestiniert, weil sie gar nicht als Klasse anerkannt ist und sich die Auflösung der Klassen , Nationalitäten etc. schon in ihr selbst vollzieht. Für die kommunistische Revolution ist jedoch auch ein kommunistisches Bewußtsein nötig, es bedarf einer "massenhaften Veränderung der Menschen" (Marx). Dieses Bewußtsein ist jedoch keine Vorbedingung für eine Revolution, es kommt von selbst durch die praktische Durchführung der Revolution, denn die Vergesellschaftung der Produktionsmittel verändert die Produktionsweisen (es wird nicht mehr am Profit, sondern am tatsächlichen Bedarf orientiert produziert) und das wiederum ändert die Denk- und Empfindungsweise der Menschen und zwar aller Menschen, nicht nur der bisherigen Proleten. Dadurch kommt es zu einer Aufhebung der Teilung der Arbeit und die Arbeit wird zu einer lustvollen Produktivität in einer kommunistischen Gesellschaft, in der, so Marx, "...jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweig ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktivität regelt und mir dadurch eben möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu betreiben und nach dem Essen zu kritisieren, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden."

Marx formuliert zwei Voraussetzungen für den Beginn der kommunistischen Revolution:

- Verelendung der Massen
- Steigerung der Produktivkräfte, so daß der Warenausstoß in allen Sparten ausreicht, um die Bedürfnisse der gesamten Menschheit zu befriedigen

Ferner stellt er fest, daß diese beiden Voraussetzungen weltweit gleichzeitig eintreten müssen. Das bedeutet, daß der Kapitalismus die Voraussetzung für die kommunistische Revolution ist. Und dieser Kapitalismus war (und ist) eben nicht in allen Ländern der Welt die herrschende Gesellschaftsform und schon gar nicht mit dem selben Fortschritt. Ohne diese Vorbedingungen, so erkannte Marx, könnte im Falle einer kommunistischen Revolution ein Machtgefälle anderer Kategorie eintreten, z.B. zwischen verschiedenen Nationen oder zwischen einem weitentwickelten, kommunistischen und einem armen, nichtkommunistischen Land. Also muß es in kommunistischen Ländern, solange es noch nichtkommunistische auf dieser Welt gibt, eine andere Herrschaftsstruktur (also die Diktatur des Proletariats) geben, damit diese Länder die Konfrontation mit den anderen Staaten bestehen können.

Diese Forderung nach der Weltrevolution war zwar illusionär, aber gemessen an der eigenen Zielsetzung (Abschaffung der Herrschaft) richtig gedacht. Allein Marx´ Prämissen sind unlogisch:

- Massenverelendung: der Kapitalismus erkennt früher oder später (zumal man die Folgen ja bei Marx nachlesen kann), daß er mit der Verelendung der Massen Krisenpotential erzeugt, das sich gegen ihn richtet und geht selbst gegen das Elend vor. Davon zeugt z.B. die Bismarcksche Sozialgesetzgebung.
- Steigerung der Produktivität: zumindest im Vorfeld der kommunistischen Revolution müssen die Produkte noch gekauft werden, das steht jedoch im Gegensatz zu elenden Massen.

Außerdem führt solche extensive Produktion sehr schnell zu Rohstoffknappheit, der auch eine kommunistische Welt nicht gewachsen wäre.

9 und Lenins Fortentwicklung

Wladimir Iljitsch Lenin (1870-1924) läßt die Marxsche Vorbedingung (Kommunismus nur, wenn gleiche Bedingungen auf der ganzen Welt) fallen. Er ist der Meinung, daß der Kapitalismus automatisch einen Imperialismus mit in sich trägt und deshalb nie weltweit der gleiche Entwicklungsstand erreicht werden kann, da ja der Imperialismus seine Macht aus der Ausbeutung seiner Kolonien gewinnt und es so immer ein Entwicklungsgefälle zwischen dem imperialistischen Mutterland und seiner Kolonie geben muß. Lenin spricht sich daher dafür aus, erst einmal in wenigen oder gar nur einem kapitalistischen Land die politische Macht zu erobern und eine Diktatur des Proletariats zu errichten, nicht aber die Herrschaft ganz abzuschaffen. "So ist es nicht verwunderlich, daß das von Engels prophezeite Überflüssigwerden und Absterben des Staates (MEW 20, 262) nicht nur nicht eintrat; vielmehr verfestigte sich die Institution des Staates, dessen Herrschaft sich nunmehr lediglich dadurch "legitimierte", daß sie eine "Maschine" (Lenin: Werke 29, 479) in der Hand der kommunistischen Partei ist und bleiben muß, bis alle Ausbeutung im Innern, wie in der ganzen Welt beseitigt ist. Daß diese Maschine nicht nur gegen Ausbeuter, sondern auch gegen solche verwendet wird, die den kommunistischen Staat nicht überzeugend legitimiert finden, stellt sich innerhalb dieses Systems nur als Scheinproblem dar; denn gemäß dem monokausalen ökonomistischen Ansatz können solche Systemgegner nur vom Kapital gekaufte oder geblendete Propagandisten der Ausbeutung sein." (Schlüter 1995, S. 135)

10. Das Schlußwort hat Marx

Der sagte nämlich, "...die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern." Rousseau, Locke, Hobbes und auch er selbst, Marx, haben nicht revolutioniert, sondern philosophiert und dennoch hat es die Welt verändert.

Literaturverzeichnis

- Lenin, Wladimir Iljitsch: Werke, Band 29. Berlin 1972.
- Locke, John: Zwei Abhandlungen über die Regierung. Frankfurt 1977.
- Marx, Karl/Engels, Friedrich: Werke. Berlin 1956ff.(Kürzel MEW)
- Mill, John Stuart: Über Freiheit. Frankfurt 1969.
- Rousseau, Jean-Jacques: Der Gesellschaftsvertrag. Stuttgart 1974.
- Schlüter, Wolfgang: Sozialphilosophie für helfende Berufe. München, Basel 1995.

Ende der Leseprobe aus 9 Seiten

Details

Titel
Grundlagen politischer Existenz
Veranstaltung
Seminar Sozialphilosophie
Note
2,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
9
Katalognummer
V97009
ISBN (eBook)
9783638096843
Dateigröße
355 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Grundlagen, Existenz, Seminar, Sozialphilosophie
Arbeit zitieren
Christian Holz (Autor:in), 2000, Grundlagen politischer Existenz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97009

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