Polarisierung - eine Legitimationskrise für das bestehende System


Seminararbeit, 2000

24 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Gliederung:

1. Einleitung

2. Polarisierung

3. Legitime Ordnungen
3.1 Legitimation über den Output des politischen Systems
3.2 Legitimation über den Input in das politische System
3.2.1 Partizipationsmöglichkeiten im Nationalstaat
3.2.2 Partizipationsmöglichkeiten im Zuge von Transnationalisierung

4. Legitimationskrise durch Polarisierung?

5. Fazit

6. Bibliographie

1. Einleitung

Die Reform oder der Um und Rückbau sozialstaatlicher Strukturen ist mittlerweile in allen europäischen Staaten1 zur Realität bzw. dem dominierenden Paradigma der Politik geworden. Während der Sozialstaat zum Abfangen der Risiken, die aus der Verallgemeinerung der Arbeit2 entstanden sind, gebildet wurde und somit nicht nur die gleichberechtigte Inklusion aller BürgerInnen in politische und ökonomische Prozesse ermöglichte, sondern die unerwünschten Folgen des höchst produktiven Wirtschaftssystems Kapitalismus durch politische Redistribution der primären Einkommen zugunsten aller der sehr verschiedenen Klientelgruppen weitestgehend ausgeglichen hat, zeigt sich gegenwärtig eine explizite qualitative und quantitative Reduktion bestehender kompensatorischer Steuerungs und Umverteilungsleistungen, die ursprünglich die soziale Grundsicherung, die Sicherung des erreichten Lebensniveaus aber auch Chancengleichheit3 auf verschiedenen politischen und ökonomischen Ebenen gewährleisten sollten, insofern also dem Leitbild unterlag, daß sich unmittelbare Beschäftigungs und Einkommensrisiken nicht zwingend als materielle Existenzrisiken determinieren4.

Der wirtschaftliche Anpassungsdruck auf die Sozialsysteme, welcher mit der viel rezipierten Globalisierungsthese vom unausweichlichen Zurückschrauben aller sozialen und öffentlichen Ansprüche und Leistungen, um, angesichts weltweiter Herausforderungen, wettbewerbsfähig zu bleiben und Arbeitsplätze schaffen zu können, dargelegt wird, führte bereits in den 70er Jahren zu vermehrten Verteilungskämpfen5 und zieht zunehmend Einsparungen und Sparmaßnahmen wenn auch sorgfältig dosiert und nicht zu viele protestrelevante Gruppen betreffend, um mögliche sozialpolitische Auseinandersetzungen zu vermeiden nach sich. Die apodiktische Rezeption der aktuellen Debatte um Standortakkumulation, deren einzige Chance der Erlangung komparativer Vorteile offenbar in der Senkung von Steuern und der stärkeren Differenzierung der Löhne, also u.a. der Abschaffung von (Flächen)Tarifverträgen, besteht, übersieht allerdings die unmittelbaren Folgen der Globalisierung. Die gesellschaftliche Situation innerhalb der sozialstaatlich flankierten Wirtschaftszentren zeichnet sich durch eine zunehmende soziale Fragmentierung aus, gekennzeichnet durch eine steigende Zahl von Milieus und Lebensstilen sowie der Destabilisierung und Erosion bedeutsamer Institutionen bzw. institutionalisierter Lebensmuster6 (vgl. Greven 1995, S. 267; Schäfer 1998, S. 63).

Als kaum bestritten kann allerdings gelten, daß gerade die sozialstaatlichen Kompensationsleistungen, die eine Umverteilung kapitalistischer Ungleichheiten und Unsicherheiten erst ermöglichen, einen wesentlichen Beitrag zur Legitimationsstiftung politischer Systeme darstellen, wie auch eine konkrete Funktion im ökonomischen und sozialen Chancenausgleich haben und sich damit indirekt auf potentielle politische Partizipationsmöglichkeiten auswirken. Beide Punkte berühren demzufolge wichtige, wenn nicht gar existentielle, Fragen der Legitimation politischer Herrschaft, einerseits bezogen auf die Erwartungen an die wirtschaftliche wie soziale Leistungsfähigkeit des Systems, allgemein als Output bezeichnet, und andererseits an seine Gestalt und Struktur, also die Möglichkeiten politischer Einflußnahme, politischen Inputs in das System. Insofern erscheint es offensichtlich, daß gerade diese Leistungen den innergesellschaftlichen sozialen Frieden sichern, deren Rückbau demzufolge nicht nur die soziale wie ökonomische Polarisierung der Gesellschaft bewirkt, sondern darüber hinaus die legitimatorischen Grundlagen politischer Herrschaft und des politischen Systems und damit die Stabilität der Gesamtgesellschaft gefährden können.

Die vorliegende Arbeit wird sich deshalb mit der Frage beschäftigen, ob und inwieweit die Basis gesellschaftlichen Zusammenlebens durch die sich verstetigenden Ungleichheiten betroffen sind, wobei gerade im Bereich politischer Einflußnahme zwischen der nationalstaatlichen und der europäischen Ebene die sich durch grundlegend divergierende Institutionen auszeichnen unterschieden werden soll. Ziel ist es, zu klären, ob die aktuellen weltwirtschaftlichen Veränderungen demokratische Systemen unter Legitimationsdruck setzen und in der Konsequenz eine fundamentale Legitimationskrise bewirken.

2. Polarisierung

Sowohl Armut als auch Reichtum sind Resultate der gesellschaftlichen Verteilung von Lebensbedingungen und Gütern. Das damit verbundene extrem hohe innergesellschaftliche Wohlstandsgefälle7 durch sozialstaatliche Redistributionsmaßnahmen zumindest partiell nivelliert reproduziert sich zunehmend durch den Rückbau staatlicher Leistungen, welche ursprünglich zur Absicherung der Bevölkerung gegen die mit dem Verkauf ihrer Arbeitskraft als einziger Grundlage individueller Reproduktion verbundenen fundamentalen Risiken dienten. „Es zeigt sich, daß sozialstaatliche Standards im Hinblick auf die zu sichernde, herzustellende, zu steigernde internationale Wettbewerbsfähigkeit insgesamt in Frage gestellt bzw. deren Aufbau verlangsamt oder unterlassen werden. […] Die Entgrenzung der Ökonomie hat Wohlstandsmehrung, aber auch Wachstumsbedingungen geschaffen, die zunehmend externe soziale und ökologische Kosten verursachen, die mittelfristig auch Akkumulationsinteressen in Frage stellen.“ (Huster 1996, S. 188) Die sich in dieser Entwicklung ausdrückende mehrfache Heterogenität materieller Lebensbedingungen, deren neue Qualität vor allem darin besteht, daß sie sich dauerhaft als das Leben determinierend präsentiert, kann mit dem Begriff der Polarisierung8 bezeichnet werden. Mit einer zunehmenden Verfestigung einer Sockelarbeitslosigkeit, einer Ausweitung prekärer und schlechtbezahlter Arbeitsverhältnisse9, mit dem stetigen Abbau traditioneller sozialer Sicherungssysteme zu Gunsten privater Absicherung und einem selektiverem Zugang zu qualifizierten und qualifizierenden Bildungsmöglichkeiten, entsteht eine neue soziale Differenzierung der Arbeitsgesellschaft (vgl. Roy 1998, S. 56). Zwar können statistische Erfolge bezogen auf sinkende Erwerbslosenzahlen, Staatsverschuldung etc. vorgezeigt werden, wie die Beispiele Großbritannien und die Niederlande zeigen, doch wird auch eine Zunahme sozialer Ungleichheit hervorgebracht, die sich nicht mehr wie früher in einer zeitlich begrenzten bzw. als temporär empfundenen, sondern einer immer mehr verfestigten Marginalisierungäußert.

Die Polarisierung vorrangig eine Entwicklung, die sich auf das Arbeitsleben bezieht verursacht somit die Perpetuierung und Reproduktion der in der Lohnabhängigkeit erworbenen sozialen Position auch außerhalb des Erwerbslebens, d.h. in Zeiten des Verlustes von Arbeitsfähigkeit oder Erwerbsmöglichkeit. Aufgrund der spezifischen Struktur der Sozialleistungen können nur die im Erwerbsleben erwirtschafteten Ansprüche geltend gemacht werden und bestimmen darüber den Lebensstandard (vgl. Baumann 1982, S. 15). Seit Ende der 80er Jahre ist allerdings eine Erosion des Normalarbeitsverhältnisses dahingehend zu verzeichnen, daß sich eine neue Heterogenität der Beschäftigungsformen sowie eine steigende Entstandardisierung und Destabilisierung der Erwerbsbiographien10 durchsetzt. „Normalität im Erwerbssystem und die Schutzwirkung rechtlicher Normen fallen immer mehr auseinander, und es setzen sich neue Formen der sozialen Ungleichheit durch.“ (Dombois 1999, S. 13) Gleichzeitig hat die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse, die vom Normalarbeitsverhältnis abweichen empirisch massiv zugenommen; so ist der Anteil der Personen mit unbefristeten Vollzeitverträgen in Westdeutschland zwischen 1970 und 1995 von etwa 84 Prozent auf 68 Prozent gefallen, die Zahl der Personen in Teilzeitbeschäftigungen ist demgegenüber jedoch von 6 Prozent auf 23 Prozent gestiegen (vgl. Dombois 1999, S. 15).11 Die Abnahme dieser Normalarbeitsverhältnisse ausgelöst durch nationalökonomische Deregulierungsstrategien, die ihrerseits Veränderungen des Arbeitsmarktes und des traditionellen Systems der Kollektivvereinbarungen12 in Gang setzten bedeutet demzufolge gleichzeitig eine Zunahme an prekären Beschäftigungsformen, die vielfach kein existenzsicherndes Einkommen bieten. Die Erosion der als Normalität betrachteten Struktur der Arbeitsgesellschaft führt also konsequenterweise sowohl zu einer gesellschaftlich nicht irrelevanten Anzahl von Langzeit und Dauerarbeitslosen13, die auf immer weniger staatliche Umverteilungsmaßnahmen vertrauen können und auch kaum oder gar keine Chancen besitzen, ihren sozialen Status zu verbessern letztendlich bestimmen Kausalität und Äquivalenzprinzip vorrangig die Leistungsstrukturen des bundesdeutschen Sozialleistungssystems, d.h. Arbeitslosigkeit hat nicht nur Auswirkungen auf den öffentlichen Lohnersatz, sondern auch auf die soziale Integration, die vornehmlich über Erwerbsarbeit erfolgt als auch zu einer zunehmenden Ungleichverteilung gesellschaftlichen Reichtums14 auch innerhalb der Gruppe der Erwerbstätigen. So sind gegenwärtig einerseits ein Drittel aller Beschäftigungsverhältnisse als prekär klassifizierbar und zeichnen sich durch geringe Einkommen, geringe Sicherheitsstandards und hohe individuelle Risiken aus, andererseits kann selbst innerhalb des Normalarbeitsverhältnisses ein drastische Differenzierung der Einkommen festgestellt werden.15 (vgl. Schäfer 1998, S. 64ff.; Huster 1996, S. 32) Durch die stetige Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen aus dem Erwerbsprozeß, die Veränderung der Struktur der Arbeitsverhältnisse und einer staatlichen Bevorzugung unternehmerischer Einkünfte16 gegenüber Einkommen aus Erwerbstätigkeit kann man eine Verschiebung der ökonomischen und damit einhergehend auch der sozialen Struktur der Bevölkerung konstatieren. In der Bundesrepublik besitzen z. B. 6% der Privathaushalte 40% des gesamten Nettogeldvermögens, während sich 65% der Haushalte 10% des Vermögens teilen. (vgl. Schäfer 1998, S. 67) Trotz dieser Vermögensverteilung wurden für BezieherInnen hoher Einkünfte (vor allem Selbständige) weitere Steuerentlastungen vorgenommen. Betrug die durchschnittliche Nettobelastung 1982 noch 29,8% des Einkommens, verringerte sie sich 1993 auf 23,2%, während die Belastung von Angestelltenhaushalten von 27,3% auf 30,0% und von ArbeiterInnenhaushalten von 22,3% auf 24,8% stieg und die durchschnittliche Besteuerung von Einkommen aus UnternehmerInnentätigkeit von 21,2% 1980 auf 9,7% 1995 fiel. Und dies eingedenk der Tatsache, daß nur 55% des feststellbaren Einkommens aus Unternehmen und Vermögen überhaupt dem Finanzamt angezeigt werden gegenüber 90% bei Arbeitnehmer und VerbraucherInnen. Dementsprechend stieg auch das verfügbare Einkommen von Selbständigen von 227,6% des Durchschnittseinkommens aller Haushalte im Jahre 1980 auf über 350% 1995, während es bei einem ArbeiterInnenhaushalt von 97,6% 1980 auf 87,1% 1995 fiel (vgl. Schäfer 1998, S. 74ff.).

In den Auswirkungen viel entscheidender ist jedoch die Zunahme der Haushalte die unter der Armutsgrenze17 liegen18. Waren es 1983 noch 24,6%, stieg ihre Zahl bis 1988 auf 28,5% an und schnellte bis 1993 auf 36,5% aller Haushalte in die Höhe (vgl. Greiffenhagen 1997, S. 248).

Doch nicht nur die durch das Sozialstaatssystem verfestigten systemimmanenten Ungleichheiten, wonach Lohnersatzleistungen an die Höhe der Beitragsleistungen gebunden sind, und demzufolge Schutz vor Verarmung bei prekären Beschäftigungsverhältnissen noch weniger gegeben ist als bei Vollzeitbeschäftigung die Zahlungen decken das vorherige Einkommen jeweils nur anteilig ab, dadurch geraten Ansprüche aus niedrigen Arbeitseinkommen sehr schnell in eine die Existenz gefährdende Zone befördern die innergesellschaftliche Polarisierung, vielmehr dient die Ausdünnung des sozialen Schutzes und der Rückbau kompensatorischer Leistungen sowie die Verschärfung der Bezugsvoraussetzungen19 zugleich als Hebel zur weiteren Deregulierung des Arbeitsmarktes und damit zur Absenkung und Differenzierung des Lohngefüges. (vgl. Bäcker 1996; Adamy/Hanesch 1990) „Durch die Streichung von Leistungen und Ansprüchen sollen die Arbeitslosen mit Gewalt auf den Arbeitsmarkt zurückgeführt werden, um dort für extrem niedrige Löhne und ohne ausreichenden sozialen Schutz zu überleben“ (Deppe 1997, S. 66), d.h. durch die Mobilisierung von Konkurrenz durch eine systematische Ausweitung der schon bestehenden Ungleichheiten und Diskriminierungen per Einsparungen und „Verschlankung“ werden konsequenterweise soziale Spaltungsprozesse katalysiert, die sich auch außerhalb der Arbeitsgesellschaft reproduzierten. Dieser einkommensbezogene Abstieg breiter Bevölkerungsschichten zieht in vielfältiger Weise auch einen sozialen Abstieg20 nach sich, der nicht mehr wie bisher eine überwiegend temporäre Erscheinung darstellt bzw. als solche wahrgenommen wird, sondern sich zu einer permanenten Lebensrealität ausweitet.

3. Legitime Ordnungen

Grundlage demokratisch organisierter Systeme ist die freiwillige Zustimmung der Regierten zur politischen Herrschaft. Im folgenden gilt es zu klären, auf welchen Prinzipien diese Akzeptanz beruht und ob soziale und ökonomische Differenzierung der Lebenslagen der Demokratie die fundamentale Basis entzieht.

Legitime Ordnungen basieren auf der freiwilligen Anerkennung einer politischen Herrschaftsordnung, welche gleichermaßen für den Staat und die Gesellschaft bindend ist. Insofern ist Legitimität ein bestreitbarer Geltungsanspruch, der seine Berechtigung durch den immer wieder erneuerten Konsens der BürgerInnen erhält, d.h. eine Ordnung ist erst dann legitim, wenn alle Mitglieder der Gesellschaft stets Entscheidungsmöglichkeiten für oder gegen diese Ordnung haben wobei voice aber auch exitOptionen21 als Ausdruck für Zustimmung oder Ablehnung gewertet werden. Dieser Vorstellung zufolge müßten signifikantes Schweigen und konkludentes Handeln gleichermaßen Ausdruck für die Zustimmung zum System und den in diesem System durch die EntscheidungsträgerInnen getroffenen politischen Maßnahmen sein, wohingegen weitreichende Proteste und radikalisierte Opposition den faktischen Legitimationsverlust kennzeichnen würden. (Ballestrem 1986, S. 39ff.) In demokratischen Systemen kann diese Zustimmung zu Regeln und Maßnahmen unter Beachtung der wohlerwogenen individuellen Interessen einer jeden Person über institutionalisierte Partizipationsmöglichkeiten wie Wahlen, Mitgliedschaft in Parteien und Gewerkschaften o.ä. geäußert werden. Gesellschaftliche Legitimitätsforde rungen, in Zeiten politischer Normalität zum großen Teil nur latent22 vorhanden, gewinnen in Krisen und Umbruchsphasen an Radikalität und betreffen zumeist die soziale und ökonomische Leistungsfähigkeit des Staates. „Die Legitimität einer politischen Ordnung beruht auf der direkten oder mittelbaren Anerkennung der gesellschaftlichen Funktionalität ihrer Regulierungsleistungen.“ (Haldenwang 1996, S. 302) Demzufolge würde die Unfähigkeit des Staates negative Auswirkungen der Kapitalakkumulation in verträglichem Maße zu gestalten bzw. wachsenden politischpartizipatorischen23 Ansprüchen zu genügen, fundamentale Auswirkungen auf die Stabilität der Gesamtgesellschaft haben. “[T]oo little spend on legitimisation runs the risk of serious social and political unrest, even revolution.” (Newton 1995, S. 123) Demnach gerät ein System in eine Legitimationskrise, wenn es nicht gelingt, über die übernommenen Steuerungs und Regulationsforderungen ein ausreichendes Niveau an Massenloyalität aufrechtzuerhalten, allerdings nur angesichts eines evidenten, systemimmanenten24 Legitimationsdefizits. (vgl. Habermas 1996, S. 68) Die Aufrechterhaltung faktischer Loyalität gegenüber dem System obgleich der offensichtlichen asymmetrischen Verteilung von legitimen und legitimierenden Chancen der Bedürfnisbefriedigung beruht nicht allein auf dem Legitimitätsglauben, also der Überzeugung der Beherrschten von der Rechtmäßigkeit und Richtigkeit der Herrschaftsordnung, sondern auch auf der bloßen „Duldung angesichts der eigenen perzipierten Ohnmacht und fehlender Alternativen“. (Habermas 1996, S. 132)

Fehlende Legitimationen müssen durch systemkonforme Entschädigungen gleichberech tigter Zugang zu Bildung, sozialstaatliche Umverteilung primärer Einkommen aber auch betriebliche Sozialpolitik, die in Ländern mit gering ausgebauten Sicherungssystemen den UnternehmerInnen ein Minimum an Stabilität in ihrer Personalstruktur und Loyalität der Beschäftigten sichern soll ausgeglichen werden. Diese, die Stabilität des Systems beeinflussenden, Ersatzleistungen sind sowohl auf der Ebene des SystemOutputs als auch des Inputs in das System zu suchen.

3.1 Legitimation über den Output des politischen Systems

Der Staat und seine Legitimation wird primär danach beurteilt, was er zu leisten vermag und vor allem, in welcher Weise er bereit und in der Lage ist, die Risiken, die der kapitalistischen Produktionsweise immanent sind, abzusichern. Dabei bemißt sich die Leistungsfähigkeit einer Regierung und damit des zu legitimierenden Systems gegenwärtig eingedenk der sich verstetigenden Marginalisierung breiter Bevölkerungsschichten und der daraus resultierenden sozialen Desintegration am Vermögen, wachstumssichernde Politik zu betreiben (oder wenigstens vorzutäuschen) und soziale Ungleichheiten (oberflächlich) zu korrigieren. Soziale und ökonomische Integration mit den Mitteln des Wohlfahrtsstaates ist ein wie schon mehrfach angedeutet bestimmender Legitimationsfaktor der modernen kapitalistischen Gesellschaft. (vgl. Greiffenhagen 1997, S. 48; weitergehender Habermas 1996) Reduziert sich jedoch die Integrationsfähigkeit des Staates durch zunehmende Senkung der Sozialausgaben, können ihm legitimatorische Nachteile entstehen, die der Substitution bedürfen was ein grundlegendes neoliberales Dilemma nach sich zieht, da der Staat diese Aufgaben lösen soll, obwohl sie grundlegend der kapitalistischen Marktlogik widersprechen. Der Sozialstaat verliert als befriedendes Element an Bedeutung und „Legitimationsbedrohungen können [demzufolge] nur abgewendet werden, wenn sich der Staat […] glaubhaft als Sozialstaat präsentieren kann, der die dysfunktionalen Nebenwirkungen des Wirtschaftsprozesses auffängt und für den Einzelnen unschädlich macht.“ (Habermas 1976, S. 51) Letztendlich werden Einschränkungen der Grundrechte eher akzeptiert als Eingriffe in das Sozialleistungssystem, da die wirtschaftliche Ausstattung die allgemeine Lebensqualität, und darüber die Zufriedenheit mit der Demokratie, dem politischen Regime und der Regierung determiniert. (vgl. Greiffenhagen 1997, S. 171f., 199ff.) Kürzungen und Veränderungen der Voraussetzungen für das Anrecht auf Transferleistungen betreffen deshalb nachgerade Gruppen mit geringem Protestpotential, wie bspw. Arbeitslose oder Sozialhilfebeziehende und sehr viel seltener die klassische IndustriearbeiterInnenschaft; überlieferte Paradigmen sozialer Gerechtigkeit verlieren somit für einen großen Teil der „Regierten“ zunehmend an Substanz, was eine Entsolidarisierung mit dem gesamten Umverteilungs und Ausgleichssystem zur Folge haben könnte, da sich in der Vergangenheit der Staat als Garant sozialen Ausgleichs und potenter Akteur auf ökonomischem Gebiet präsentierte. Aufgrund dessen wird ihm die Verantwortung für die Lösung der anstehenden Probleme zugeschrieben. Dies erscheint um so problematischer angesichts seiner beschnittenen bzw. sich verändernden Möglichkeiten im Rahmen der Globalisierung.25 Das Phänomen der Selbstzuschreibung individueller Fehlleistungen (Keil 1992, S. 286) als Ursache von Arbeitslosigkeit, Armut etc. ist wenn auch nur bis zu einem gewissen Grad extrem funktional, da Störungen und unerwünschte Nebenwirkungen des Akkumulationsprozesses sich solange nicht in Legitimationsentzug übersetzten, wie die Interessen, die beeinträchtigt werden und wurden, als Privatinteressen gelten und segmentiert werden können keine dauerhafte und generalisierbare Alternative zur Verantwortlichkeitszuweisung an das politische System, da die historische Erfahrung mit dem Sozialstaat einerseits und die Erfahrung von sozialer Ausgrenzung als Massenerscheinung andererseits dazu in einem offensichtlichem Widerspruch steht.

3.2 Legitimation über den Input in das politische System

Ein anderer Aspekt zunehmender sozialer Polarisierung ist ihre Auswirkung auf die Möglichkeiten aktiver Partizipation am politischen System. Staatsbürgerliche Beteiligungsrechte, also die Möglichkeit des Eingriffes in politische Entscheidungsprozesse (vgl. Eder/Hellmann/Trenz 1998, S. 322), sind ein wesentlicher Baustein des Wertekanons, den politische Herrschaft zu sichern hat, um als legitim angesehen zu werden. Sozialstaatliche Politik legte den Grundstein dafür, daß diese Rechte, wie eingeschränkt sie in einer formalen Demokratie auch sein mögen, nicht mehr nur von privilegierten Schichten, sondern von der gesamten Bevölkerung wahrgenommen werden können. Durch gesellschaftliche Umverteilung wurde die materielle und soziale Basis für eine, zumindest partielle, Angleichung der Partizipationsmöglichkeiten erreicht. Die Verbreiterung der nahezu gleichberechtigten Zugangsmöglichkeiten zu Bildung und Wissen durch technische Neuerungen (wie beispielsweise dem Internet), die sich als explizite Chance erweisen, da sich als bedeutungsvolle Voraussetzung für Partizipationsfähigkeit darstellen (vgl. Kaiser 1998, S. 5) und die Verbesserung der materiellen Ausgangspositionen für die Erlangung von intellektueller und sozialer Kompetenz gebunden an sozialstaatliche Absicherungsmechanismen (vgl. Berger/Vester 1998, S. 15), schuf zwar keine gleichen Möglichkeiten der Artikulation politischer Interessen aber einen akzeptierten Status Quo, der über Jahrzehnte weitgehende politische Stabilität garantierte. Insofern bedingt der Sozialstaat nicht, wie von konservativen und liberalen Kritikern häufig behauptet, die Degeneration von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, durch seine sehr großen regulativen Potenzen, sondern er ist deren Voraussetzung. „Denn ein sozialpolitisch unregulierter Arbeitsmarkt wirkt nicht nur ökonomisch polarisierend, indem er die Gesellschaft in Klassen spaltet. Mit der Klassenspaltung zerstört er […] auch die Chancengleichheit bei der Wahrnehmung der individuellen Bürgerrechte und der politischen Freiheitsrechte […].“ (Deutschmann 1997, S. 163) Eine sich verstärkende soziale Polarisierung hätte demzufolge die Konsequenz da diverse Formen politischer Partizipation an Erwerbstätigkeit gekoppelt sind, immer mehr Menschen jedoch aus dem Erwerbsleben ausscheiden einer Differenzierung der Partizipationsmöglichkeiten, die politische Beteiligungschancen auf den Erwerbsbürger konzentrieren würde, ein Großteil der Bevölkerung also weniger oder gar nicht mehr in den aktiven Prozeß politischer Willensbildung und äußerung eingebunden wäre. Weitergehend wäre auch seine passive Vertretung nicht mehr in akzeptablem Maße gewährleistbar. Die Exklusion (nicht de jure aber de facto) aus den Standards gesellschaftlicher Teilhabe der um Erwerbsarbeit zentrierten Gesellschaft wird angesichts der besonderen Probleme, die sich nicht auf spezifische Ausbeutungsverhältnisse oder Interessengegensätze zwischen Kapital und Arbeit beziehen, und ihrer sehr geringen Möglichkeiten instutionalisierter Vertretung evident. Durch anhaltende Arbeitslosigkeit würde somit der, ihrem Anspruch nach universellen, Demokratie eine wesentliche Grundlage entzogen, da nur noch ein gewisser Teil der Bevölkerung auf die traditionellen und etablierten Formen der Artikulation, wie z.B. Betriebsräte, Gewerkschaften, Streiks usw., Zugriff hätten. Es gibt zwar alternative Wege, seine Interessen zu artikulieren, z.B. über Wahlen, die direkten Auswirkungen also beispielsweise Verbesserungen der individuellen sozialen Situation sind allerdings recht gering, da diese Möglichkeit nur alle vier Jahre zur Verfügung steht. Auch Engagement in Parteien und Verbänden gestatten nur indirekte Partizipation, vor allem ist die Frage nach der Relevanz der Verbände, die sich nicht am Arbeitsleben orientieren wesentlich. Grundlegend stellt sich immer das Problem, daß es zumeist schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, kollektive Interessen zu formulieren, was sich als fundamentales Hemmnis bezüglich der Effizienz von Forderungen erweist. Dabei erscheint die Verhaftung in traditionellen Strukturen26, selbst nach dem Ausschluß aus selbigen, als außergewöhnlich relevant. Die formale Gleichheit beim Zugang zu Qualifikation und Wissen und damit zu Partizipationsfähigkeit wird wegen der damit verbundenen Kosten partiell untergraben und erschwert bzw. verhindert aktives Engagement. Zudem wird das marginalisierte Drittel der sogenannten „Zweidrittelgesellschaft“27 von der Mehrheit der Gesellschaft schlicht überstimmt. Additiv ist deshalb zu bemerken, daß der offensichtliche, Entsolidarisierung postulierende Wertewandel, der ökonomische und soziale Marginalisierung zu einem politisch akzeptierten Zustand werden läßt, nicht mehr Objekt politischer Auseinandersetzung und politischen Veränderungswillens zu sein scheint.

3.2.1 Partizipationsmöglichkeiten im Nationalstaat

Wie bereits angesprochen ist politische Partizipation,28 also die Möglichkeit, Entscheidungen und Maßnahmen aktiv zu gestalten, ein fundamentaler Faktor bei der Legitimation politischer Regime. Die legitimatorische Bedeutung ökonomischen Outputs ist zwar größer29, als die des sozialpolitischen, welcher eine gesamtgesellschaftlich gerechte Verteilung impliziert. Daß heißt: Die individuelle Lebenslage ist wichtiger bei der Beurteilung der Regierung und des Systems als die materielle Lage der gesamten Bevölkerung. Insofern sind auch Probleme wie Artikulationsfähigkeit, politische Mobilisierbarkeit, also Fragen nach der politischen Integration und Inklusion von geringerer Relevanz aber dennoch entscheidend für die Stabilität des Systems.

Mit der Internationalisierung der Ökonomie besteht für den Sozialstaat kaum noch die Möglichkeit einer Globalsteuerung, was dem Staat zwar das Monopol wirtschaftlicher Regelung entzieht, ihn aber weiterhin in der Verantwortung wirtschafts wie sozialpolitischer Entwicklungen beläßt. Die Auswirkungen dieser weltwirtschaftlichen Veränderungen beziehen sich aber in diesem spezifischen Zusammenhang politischer Legitimation nicht nur auf den Bereich des Outputs, sondern haben auch ganz massiven Einfluß auf den Input. Ein Folge der globalisierungsimmanenten innergesellschaftlichen Polarisierung ist der (partielle) Ausschluß von den tradierten Zugangsmöglichkeiten der Einflußnahme auf politische Entscheidungen. Darüber hinaus verringert sich allerdings mit der Liberalisierung des Handels und der neuen Flexibilität und Mobilität der Unternehmen, der nationale Standorte zunehmend unter Druck setzt, die Potenz des (National)Staates aber auch der Gewerkschaften, die kapitalistische Verteilung von Möglichkeiten und Lebenschancen zu regulieren. (vgl. Scharpf 1998, S. 82) Die essentielle Schwächung des Staates in sozialpolitischer Hinsicht, vor allem aber auch der organisierten Interessenvertretungen, wie den Gewerkschaften, die ihre Ursache in verschieden Faktoren hat einerseits sinken der Organisationsgrad und die Organisationsneigungen der ArbeiterInnenschaft allgemein, die entweder ihre Interessen nicht mehr vertreten sehen oder aber nicht mehr zu den klassisch Organisierten, der IndustriearbeiterInnenschaft, zählen30, andererseits bedingt die zunehmende Heterogenität innerhalb der Gewerkschaften (durch Fusionen der Einzelgewerkschaften) auch eine größere Heterogenität der Interessen (vgl. Franzmeyer 1999, S. 27) verunmöglicht somit immer stärker selbst klassische Methoden partizipativen Engagements.

3.2.2 Partizipationsmöglichkeiten im Zuge von Transnationalisierung

Unter Einfluß der zunehmenden Globalisierung wirtschaftlicher und folglich auch gesell schaftlicher Modalitäten verändern sich nahezu zwangsläufig die Möglichkeiten politischer Teilhabe, die ihrerseits fundamentale Legitimationsdefizite erzeugen können. Die Transnationalisierung treibt einerseits die Modifikation der traditionellen Arbeitsbeziehungen und strukturen voran, die eine Organisierung verunmöglicht, was demzufolge einen spezifischen Zugang zu Partizipation verschließt vor allem durch die Ausweitung des tertiären Sektors, dessen räumliche und zeitliche Flexibilität, die sich vorrangig auf technischem Fortschritt begründet oder zumindest traditionelle Formen gewerkschaftlicher Interessenvertretung beschränkt. Diese Tendenz ist in der Struktur der Gewerkschaft als solcher fundiert, die sich vor allem an Großbetriebe bindet, deren Belegschaft sich durch relative Homogenität auszeichnet und demzufolge leichter in der Lage ist, konzentrierte Interessen zu artikulieren. Anderseits verlieren sie mit der Erosion territorialer Grenzen ihren traditionellen Verhandlungspartner, der, anders als Gewerkschaften, nicht mehr an nationale Standorte gebunden ist, um handlungsfähig zu sein. (vgl. Altvater 1995, S. 24)

Dennoch sind nicht allein die weltwirtschaftlichen Veränderungen schwächende Faktoren, vielmehr ist der Bedeutungsverlust gleichermaßen ihrem Selbstverständnis geschuldet. Gewerkschaftliche Organisierung zentriert sich hauptsächlich um FacharbeiterInnen31 aus Schlüsselindustrien, d.h. fokussiert keineswegs die Einbeziehung prekär Beschäftigter aus Teilzeitarbeitsverhältnissen oder ZeitarbeiterInnen, die hingegen, wie bereits dargestellt, einen immer größeren Anteil an der Gesamtheit der Erwerbstätigen stellen. Deshalb muß sich immer auch die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz von Gewerkschaften gestellt werden vor allem hinsichtlich ihrer originären Funktion der Vertretung der Interessen der ArbeiterInnen gegenüber dem Kapital. Doch trotz des nachweislichen Bedeutungsverlustes stellt diese Form der Organisierung eines der letzten verfügbaren Mittel dar, denn darüber hinaus sind angesichts der Entgrenzung von Märkten und Enterritorialisierung institutionalisierte Wege der Teilhabe nur noch partiell vorhanden. Das bedeutet, daß, zusätzlich zur Erosion der partizipativen und legitimatorischen Kompetenzen im Nationalstaat, die Verdrängung der Politik durch den Markt Einschränkungen der politischen Rechte der BürgerInnen verstetigt, denn während politische Ordnungen Legitimation erhalten oder verlieren können, sind Weltmarkt oder Multinationale Konzerne nicht legitmationsfähig, es existieren dementsprechend keine instutionalisierten Wirkungsmechanismen auf den Weltmarkt oder für Multinationale Konzerne und zudem erscheint die Globalökonomie selbstevident auch gemäß ihrer Selbstdefinition, denn ausschließlich politische, nicht aber ökonomische Prozesse bedürfen der Legitimation. Schließlich stellt sich noch ein weiteres Problem: Selbst wenn die Ökonomie der Legitimation unterläge, so ist doch kein definiertes legitimierendes Subjekt vorhanden. Aber auch an transnationalen politischen Institutionen, wie den Einrichtungen der europäischen Union, läßt sich dieses Dilemma verdeutlichen. Da der Koordinationsbedarf zunehmend intergouvernemental geregelt wird, entziehen sich die Entwicklungen immer stärker der demokratischen Beteiligung bzw. verschleiern der Einfluß der BürgerInnen. Allgemein anerkannte Verfahren werden zwar wenn auch nicht hinreichend32 genutzt, jedoch ist das Legitimationsverfahren als solches ein sehr indirektes. Auf die Wahl wichtiger Entscheidungsgremien kann nur über extrem verzweigte Wege Einfluß genommen werden über Entscheidungen für nationale Parteien, die eine nationale Regierung bilden, welche wiederum MinisterInnen, StaatssekretärInnen oder andere RegierungsvertreterInnen entsendet bzw. zur Wahl stellt. Insofern bedeutet diese Verfahrensweise, die zudem einen Einfluß auf die anderen nationalen VertreterInnen politischer Institutionen verunmöglichen, daß die realen politischen Entscheidungen für die eigentlich legtimationsgebende Bevölkerung nicht erfahrbar sind, sie also von ihnen getrennt wird und zudem eine Rückkopplung33 verhindert.

4. Legitimationskrise durch Polarisierung?

Die mehrfacher Heterogenität der ökonomischen, politischen und sozialen Lebensbedin gungen, deren Ursprung fast ausschließlich auf die aktuelle Verteilungskrise34 zurückzuführen ist, trägt zunehmend gesellschaftliche Konfliktpotentiale in sich, welche die Frage forcieren, ob aus den oben beschriebenen Veränderungen und den damit verbundenen Legitimationsdefiziten, die Entwicklung einer Legitimationskrise, mit ihrer finalen Wirkung für das gesamte System, realistisch erscheint. „Es stellt sich […] die Frage, wieviel Arbeitslosigkeit und wieviel Ungleichheit eine Gesellschaft bzw. eine Wirtschaftsordnung verkraften bzw. akzeptieren kann.“ (Pohl 2000, S. 25) Die Transformation der Arbeitsgesell schaft zur Arbeitslosigkeitsgesellschaft und die Prognose eines zukünftigen „jobless growth“ aber auch die Kopplung von Einkommen und Arbeit im Sozialversicherungssystem, trotz der Tatsache, das (Erwerbs)Arbeit nicht mehr für alle verfügbar ist und somit ein Mißverhältnis von Leistungsansprüchen und Einzahlungen nach sich zieht (vgl. Altvater 1995, S. 16 und S. 24), steht den Bedingungen für sozialen Frieden diametral entgegen. Das Potential einer systemgefährdenden Entwicklung ist sicherlich vorhanden, nicht zuletzt durch das Entstehen einer neuen Schicht von Ausgegrenzten einer urban underclass35 in einem System wachsender Segregation und sich selbst produzierender Ausgrenzung. Dennoch bildet gerade diese ungleiche Verteilung von sozialen Problemlasten besonders wichtige Kerngruppen bleiben von krisenhaften Auswirkungen ökonomischer Prozesse verschont, indem die Lasten auf soziale Randgruppen mit geringem Protestpotential verteilt werden eine wesentliche Legitimitätsressource. Eine derartige Marginalisierung der Kosten bestärkt einerseits die funktionalen, politisch tragenden gesellschaftlichen Gruppen in ihrem Legitimitätsglauben durch die evidente Privilegisierung und gleichzeitig werden durch die sehr unterschiedlichen Auswirkungen dieser Lasten und ihre spezifische Rezeption Solidarisierungseffekte erschwert. (vgl. Utz 1986, S. 524) Demzufolge wird der Legitimationsentzug und die daraus folgende Krise, welche, da der Staat seine Legitimation im wesentlichen von materiellen Leistungen an seiner BürgerInnen ableitet, bei einem Leistungsabbau garantiert scheint, durch verschiedene Umstände gedämpft. Zum einen sind die dargestellten Erscheinungen sozialer Polarisierung Tendenzen, die mit noch bestehenden sozialstaatlichen Strukturen aufgewogen werden können. Zwar erhöht sich der mögliche Konfliktgehalt durch die Polarisierung, die sich auch in einer zunehmenden Abgabenlast durch eine steigende Zahl der TransferempfängerInnen ausdrückt, wird aber in der gleichen Weise mittels diverser (staatlicher) Maßnahmen entschärft. So rechnen einerseits die Zahler großenteils auch zu den EmpfängerInnen sozialstaatlicher Leistungen. „Zum anderen verfolgt die deutsche Sozialpolitik als zentrales Ziel die Sicherung der im Erwerbsleben erworbenen Stellung, schließt also relativ direkt an eine gegebene Verteilung von Interessenpositionen an.“ (Mirbach 1995, S. 176) Insofern ist sicherlich kaum zu klären, wann und unter welchen Bedingungen (bzw. ob überhaupt) im politischen Bewußtsein die desintegrativen Strukturen schwerer wiegen werden, als die integrativen, zumal Polarisierung gleichzeitig Prozeß wie offensichtliche Tatsache ist. Noch ist die Erwartung, irgendwann, nach einer noch so langen Durststrecke, auf der Gewinnerseite zu stehen wirksamer, als die konkrete Erfahrung ökonomischer und sozialer Deklassierung und funktionieren die Mechanismen der politischen Kanalisierung von Legitimationsdefiziten. Allerdings steigen die Anforderungen an eine (wie auch immer geartete) WirIdentität, die bestimmt, wer dazu gehört und wessen Interessen deshalb berücksichtigt werden müssen, im gleichem Maße, wie gravierende Opfer solidarischer Umverteilung angesichts einer verstärkten Entsolidarisierung von der Bevölkerung gefordert werden. Das funktionale Forcieren der Loyalitäts und damit Stabilitätssicherung mittels nationalistischer Exkurse, das Wiederaufleben nationalistischer Ideen und Wiedererstarken nationalistischer und regionalistischer Parteien36 (vgl. Westle 1999, S. 13), scheint ein probates Mittel der Verschleierungen dysfunktionaler Entwicklungen. „[D]er Verweis auf von ‚außen‘ kommende Gefahren, der Aufbau von Sündenböcken für interne Krisenerscheinungen pointiert die auf den nationalstaatlichen Innenraum bezogene vorgestellte Gemeinschaft der Bürgerinnen und Bürger gerade da, wo ihre Substanz in der Form greifbarer Solidarität brüchig zu werden droht.“ (Kößler 1997, S. 340)

Zum anderen benötigt ein Legitimationsdefizit, um zu einer Krise zu werden, ein alternatives Legitimationskonzept. Akzeptiert man die These vom „Ende der Geschichte“37, welche impliziert, daß es keine Alternative zum kapitalistischen System mehr geben kann, wird es diese Legitimationskrise nie geben. Doch auch wenn man dieser Vorstellung nicht folgt, ist festzustellen, daß zur Zeit kein in größerem Maße akzeptiertes Konzept existiert, welches eine Systemkündigung der Bevölkerung bei nicht mehr tragbaren Verhältnissen katalysieren und vorantreiben würde. Insofern ist es sehr schwer, eine Unterscheidung zwischen passiver Akzeptanz, widerwilliger Beteiligung und vorübergehender Duldung der bestehenden politischen Ordnung zu definieren, da unzureichende Nutzung sowohl der voice als auch der exitOptionen undifferenziert als Zustimmung zu den politischen Entscheidungen gewertet werden, d.h. es ist schwer, wirklich destabilisierende, für das System gefährliche Tendenzen und Entwicklungen zu identifizieren.

5. Fazit

Trotz der Tatsache, daß politische Legitimation wesentlich von materiellen Leistungen an die Bevölkerung abhängig ist, wird offensichtlich, daß die finale Konsequenz eines absoluten Legitimationsentzugs der Systemkündigung keine Option darzustellen scheint. Vielmehr wird deutlich, daß nicht die realen Leistungen von Relevanz sind, sondern die Fähigkeit des Systems, das Vertrauen in die bestehende Ordnung aufrecht zu erhalten (vgl. Scharpf 1998, S. 99) Eine wesentliche Stütze bildet die der Demokratie immanente Parteienkonkurrenz, welche potentiell konfliktentschärfend wirkt. Immerhin betreiben Parteien zu einem nicht unwesentlichen Grad Interessenpolitik, die eine zwischengesellschaftliche Solidarisierung entgegen den Interessenlagen erschwert bzw. verhindert.38 Darüber hinaus haben sich über die innergesellschaftlichen Veränderungen soziale Nischen etabliert, die zwar kein systemisches Alternativmodell für die Gesamtgesellschaft präsentieren, aber wegen ihrer Ausgrenzung aus der Gesellschaft kein legitimationsgefährdendes Konfliktpotential mehr darstellen. Insofern ist zu fragen, ob nicht die Abkehr von etatistischer Aufgabenverteilung, die zur Folge hätte, daß nicht mehr der Staat bei Mißständen zur Verantwortung gezogen würde, hin zu kommunitaristischer Gesellschaftsorganisation das Problem der Relevanz gesellschaftlicher Polarisierung für die Stabilität von Regimen obsolet macht.

Obwohl wie oben ausgführt verschiedene Abfangmechanismen die Legitimationskrise, zu der es angesichts der materiellen Ausdifferenzierung der sozialen Lagen innerhalb der Gesellschaft kommen müßte, (momentan) verhindern können, ist dieses Problem dennoch für weitere Betrachtungen nicht irrelevant. Denn weitergehend ist natürlich von Bedeutung, wie lange diese Mechanismen der sozialer (Ersatz)Befriedung wirken. Momentan lassen sich zwei konträre Strategien identifizieren, deren Nutzen für die Systemstabilität evident sind.

Die zunehmende Segregation ganzer Bevölkerungsgruppen, die Herausbildung einer urban underclass, welche sich selbst immer weiter perpetuiert und reproduziert, kann positive aber auch negative Effekte nach sich ziehen. Der Anteil der Marginalisierten erhöht sich im Prozeß sich verstetigender Polarisierung immer weiter was sich aufgrund des hohen Anteils an der Gesamtgesellschaft als extrem problematisch erweisen kann. Wird die Ghettoisierung hingegen weiter forciert vergleichbar mit amerikanischen Ghettos stellt gerade diese Masse gar kein Problem mehr für die Stabilität des Systems dar, da diese Menschen weder als legitimatorischer Faktor anerkannt werden, noch Interesse an der Legitimation dieses sie ausschließenden Systems haben. Mit der urban underclass bildet sich sozusagen ein, wenn auch nicht für alle Teile der Gesellschaft akzeptables, Alternativsystem, welches sich seinerseits über andere Methoden legitimisiert.39

Die zweite Strategie steht im Zusammenhang mit den strukturellen, weltwirtschaftlich induzierten Veränderungen. Das Interesse an Redistribution ist gespalten. Dennoch reduziert diese Umverteilung konfliktverschärfende Ungleichheiten und gewährleistet darüber eine gewisse Stabilität, denn das Beschwören nationalistischer Ideen allein ist dauerhaft nicht hinreichend.40 Letztendlich bedeuten nationalistische Ansichten langfristig keine Verbesserung der individuellen Lebenslage. Insofern ist offen, wie lange diese Form der Befriedung auf gesellschaftliche Akzeptanz stößt. Sozialstaatliche Umverteilung der primären Einkommen hat seinen Ursprung in der Klassensolidarität der ArbeiterInnen, die perspektivisch die Verbesserung der Klassenlage bewirken sollte. Nationalistischer völkischer Solidarität fehlt diese sinngebende Perspektive hingegen.41 Die Frage ist demzufolge, wie lange die Besinnung auf Nationalismen soziale Ungleichheiten und materielle Ausgrenzungen oberflächlich zu ebnen in der Lage oder was die weitergehenden Perspektiven zur Schaffung des innergesellschaftlichen Friedens abseits von ökonomischem Ausgleich sind.

Ist auch eine Legitimationskrise unter den gegenwärtigen Umständen nicht zu erwarten, stellen dennoch die ausgeführten die konträren Entwicklungsmöglichkeiten enorme Systemrisiken dar, die auf die eine oder andere Art abgefangen werden müssen. Welche der beiden genannten Strategien zukünftig bedeutungsvoller für die Stabilisierung des Systems innerhalb weltwirtschaftlicher Veränderungen ist, kann in diesem Rahmen allerdings nicht geklärt werden.

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[...]


1 oder zumindest denen, die sich traditionell als Sozial und Wohlfahrtsstaaten verstehen (nachfolgend werden beide Begriffe als Äquivalente gebraucht, auch wenn es grundlegende Unterschiede gibt, diese sind jedoch für die vorliegende Arbeit ohne Relevanz)

2 Konzentration auf den Arbeitsmarkt als einzige Subsistenz und Einnahmequelle

3 Allerdings muß hierbei angemerkt werden, daß dieses System gleichermaßen Ungleichheiten perpetuiert(e), da die Leistungen des Systems primär an Einkommen aus Erwerbsarbeit gekoppelt sind und damit die Reproduktion tradierter Rollen im Erwerbsleben aber auch sozialer Ungleichheit in erwerbsfreien Systemen und Lebensphasen katalysiert.

4 “In response to growing popular expectations, governments are under pressure to increase spending and taxation, produce more and better services, allow more public participation, and to consult more widely. Many of these new areas involve inherently complex social and political problems where the chances of success are relatively slight, ore where even success is slow and qualified and serves only to create losers as well as winners.” Newton 1995, S. 125

5 „Nimmt man die Höhe der Sozialleistungsquote als Indikator, dann erfolgte in der Bundesrepublik ein merklicher Leistungsabbau schon Ende der 70er Jahre; im alten Bundesgebiet hat die Quote seitdem den Stand von 1975 nicht wieder erreicht.“ Mirbach 1995, S. 171

6 Normalarbeitsverhältnis, normale Erwerbsbiographie etc.

7 1988 verfügte in den alten Bundesländern das einkommenschwächste Quintil über etwa 8% des gesamten Haushaltseinkommens, demgegenüber hatte das einkommensstärkste Quintil einen Anteil von 43%. (vgl. Zimmermann 1995, S. 11)

8 Trotz allem ist dieser Begriff in der Literatur sehr strittig. Anderen Vertretern zufolge kann nicht von Polarisierung gesprochen werden, da es bei einem steigenden Anteil Einkommensarmer keinen extrem hohen Anteil an Wohlhabenden und Reichen gibt. vgl. Krause/Wagner 1997 Diese Position kann aus verschiedenen Gründen verworfen werden. Einerseits ist das Einkommen kein besonders aussagekräftiger Bezugsfaktor, besser wären Nettohaushaltseinkommen oder Vermögen, andererseits erlaubt die Kategorie „extrem“ zudem nur Spekulationen. Darüber hinaus belegen verschieden Studien eine Verschiebung des Vermögensbesitzes zu ungunsten der „Armen“, die eine massive Polarisierung der Lebenslagen mit sich bringt. Außerdem sagt Polarisierung etwas über den Abstand zw. arm und reich, erst in zweiter Linie über ihre relative Masse und so gut wie gar nichts über die absolute aus.

9 von 16% der abhängig Beschäftigten 1970 auf 32% 1995 vgl.: Schäfer 1996, 75

10 Das Normalarbeitverhältnis als Grundlage der typischen, standardisierten Erwerbsbiographie war gekennzeichnet durch unbefristete, tariflich und arbeitsrechtlich abgesicherte Vollzeiterwerbsarbeit als einziger Einkommensquelle, die sich kontinuierlich gestaltetet und allenfalls durch temporäre Arbeitslosigkeit unterbrochen war.

11 Anzumerken ist hierbei allerdings, daß sich gerade an diesem Beispiel auch die Veränderung der Erwerbsneigung demonstrieren ließe. Während noch in den 70er Jahren die tradierten Rollenvorstellungen zu einer verminderten Frauenerwerbstätigkeit beitrugen, werden heute die Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse fast überwiegend von Frauen ausgefüllt.

12 So gerät nicht nur der Tarifvertrag unter Druck, da er als Barriere für die Herausbildung und Nutzung komparativer Vorteile angesehen wird, darüber hinaus werden die Tarifverträge immer seltener von anderen Branchen übernommen bzw. bestehende Verträge gemäß den jeweiligen innerbetrieblichen Bedingungen modifiziert. vgl. Dombois 1999, S. 16f.

13 Dauerarbeitslosigkeit ist das Produkt der steigenden Flexibilisierung sowohl der Arbeit an sich als auch der Produktionsstrukturen, der viele Menschen nicht gerecht werden können. Zudem bewirkt „outsourcing“ der Produktion aber auch der Fortschritt in der Technik, der diverse Arbeitsplätze partiell überflüssig werden läßt, die dauerhafte Marginalisierung und Ausgrenzung aus dem Erwerbsprozeß.

14 So lassen sich sowohl Belege für steigenden Wohlstand als auch für steigende Verarmung finden: „Von 1980 bis 1992 hatte sich beispielsweise die Zahl der Empfänger von Hilfen zum Lebensunterhalt in der Sozialhilfe mehr als verdoppelt […], während sich gleichzeitig die Anzahl der Haushalte mit einem monatlich verfügbaren Einkommen von 10.000 DM und mehr fast verfünffacht hatte.“ Huster 1996, S. 46

15 Während 1975 nur 30 Prozent der Vollzeitbeschäftigten unter 75% des durchschnittlichen Lohns verdienten, ist die Anzahl bis 1990 auch fast 37 Prozent gestiegen. vgl. Schäfer 1998, S. 65

16 Zeitgleich mit dem explosionsartigen Wachstum der Gewinne wurde die reale Steuerbelastung auf 30% gesenkt beispielsweise durch die Streichung der Vermögenssteuer und hat damit das niedrigste Niveau der Nachkriegsgeschichte der BRD. vgl. Zimmermann 1995, S. 10

17 50% des Durchschnittseinkommens

18 dazu gehören u.a. auch 10% der Vollzeiterwerbstätigen vgl. Schäfer 1996, S. 66

19 durch Ausweitung der Vorversicherungszeiten, Verlängerung der Sperrfristen mit entsprechender Kürzung der Dauer des Bezugs des Arbeitslosengeldes (bei Ablehnung „zumutbarer“ Arbeit), Veränderung der Berechnungsverfahren etc. vgl. Bäcker 1996, S. 228

20 Das läßt sich an verschiedenen Daten belegen: so nimmt bspw. die Zahl der dauerhaft von Sozialhilfe Abhängigen zu, die Zahl der Sozialhilfebezieher (als Unterstützung zum Einkommen u.a.) steigt usw.

21 voiceOptionen sind, da sie die verbale Artikulation betreffen, weit vielfältiger vorhanden und nicht im gleichen Maß an materielle Grundlagen bzw. Systemalternativen je nach dem wie weit der Begriff gefaßt wird, kann er den „Austritt“ aus der ganz konkreten, von der betreffenden Person nicht mehr legitimierten Ordnung aber auch aus dem nicht mehr legitimierten System bezeichnen gebunden, wie exit Optionen.

22 „[G]eringes Interesse, wenig Information, kaum begründete Meinungen, seltene Partizipation (allenfalls die relativ unbekümmerte Teilnahme an Wahlen)“ für aktuelle politische Fragen und Entscheidungen ‚Politikverdrossenheit‘ scheinen explizit in ökonomisch wie sozial friedlichen Zeiten offensichtlich. Ballestrem 1986, S. 41

23 Habermas zufolge entzieht sich das System Kapitalismus durch seinen Erfolg auch gleichzeitig seine Basis, da er nachdem die grundlegende Bedürfnissicherung durch allgemeine Wohlstandsmehrung erfolgt ist immer bewußtere, an politischer Partizipation interessierte BürgerInnen (citoyens) produziert. siehe weiter dazu: Habermas 1996

24 Das ist es deshalb, weil alle Gesellschaften deren Reproduktion auf der privilegierten Aneignung gesellschaftlichen Reichtums (trotz sozialstaatlicher Umverteilung) basieren das Problem der ungleichen aber trotzdem legitimen Verteilung des sozialen Mehrprodukts lösen müssen. vgl. Habermas 1996, S. 132

25 Gerade in diesem Zusammenhang wird verstärkt auf Demokratiedefizite hingewiesen, die sowohl im Output als auch im Input deutlich werden: einerseits fehlen klassische Akteure und Institutionen, eine einheitliche Gesellschaft als legitimatorische Kraft existiert zunehmend weniger, die Auswirkungen „globaler“ Politik müssen nationalstaatliche Regierungen verantworten, es existieren keine exitOptionen etc.

26 Angesichts einer Zahl von vier Millionen Arbeitslosen sollte es grundsätzlich möglich sein, ein gemeinsames Interesse mit Nachdruck einzufordern. Das dies kaum geschieht, mag an der Vorstellung liegen, daß Interessenvertretung vor allem im Rahmen des Arbeitslebens passiert.

27 Dieser Begriff ist nur bedingt angemessen, da er nicht den prozessualen Charakter zu erfassen vermag. Grundsätzlich ist er dennoch in der Lage, die Differenzierung der Gesellschaft zu verbildlichen.

28 Ziel ist es nicht, sämtliche Inputprobleme in bürgerlichen Demokratien anzuführen, sondern vielmehr die spezifischen. mit der Differenzierung gesellschaftlicher Lebenslagen in Beziehung stehenden zu erarbeiten

29 „Der Kernbereich des Wohlfahrtsstaates wird von über 90 Prozent der Deutschen für unverzichtbar gehalten“ Greiffenhagen 1997, S. 172

30 Die Ausweitung des tertiären Sektors, auch bedingt durch Neuerungen der Kommunikations und Informationstechnologien, die keine feste Ortsbindung mehr verlangen, spielt dabei eine entscheidende Rolle.

31 So hatte gerade der Streik der MetallarbeiterInnen besonders negative Auswirkungen für die Unternehmen, da der strukturelle Umbau hin zur „just in time“Produktion aufgrund der spezifischen, ihr immanenten Eigenschaften (geringst mögliche Lagerkosten, Produktion bei Nachfrage) real meßbare Kosten verursachte.

32 Die Beteilungung an Europawahlen ist europaweit sehr gering.

33 So kann die Bevölkerung nur indirekt über die Wahl der Regierung über seine Vertretung in wichtigen europäischen Institutionen wie der Europäischen Kommission entscheiden, kann diese aber nicht wieder abwählen.

34 welche natürlich ein dem kapitalistischen System immanentes Problem ist

35 zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema: Bremer/Gesting 1998

36 wie z.B. durch Regierungswechsel oder die demonstrative Wahl einer nichtetablierten Partei wie der DVU in SachsenAnhalt; siehe: Habermas 1976 und Breit/Forndran/Schieren 1998

37 Fukuyama, Francis (1992): Das Ende der Geschichte: Wo stehen wir?, München

38 Damit ist nicht gemeint, daß es das erklärte explizite Ziel der Parteien ist, in einer großen Verschwörung systemische Konflikte zu verschleiern. Dennoch werden über Parteien die Interessenlagen in verschiedene, oftmals nicht kompatible Gruppenlagen übersetzt.

39 Drogen, Kriminalität etc.

40 Es sei denn, sie setzen eine imperialistische Politik in Gang.

41 Auch in diesem Fall würde einzig imperialistischen Politik eine Perspektive darstellen, denn das reine Rekurrieren auf völkische Gemeinsamkeiten hat außer vielleicht der ideologischen Festigung keinen Einfluß auf die Verbesserung der gesellschaftlichen Situation.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Polarisierung - eine Legitimationskrise für das bestehende System
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2000
Seiten
24
Katalognummer
V97014
ISBN (eBook)
9783638096898
Dateigröße
398 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ist die innergesellschaftliche Polarisierung, die sich auch in der verstetigten Beschäftigungskrise ausdrückt, möglicherweise ein Problem für die Fundamente des Systems und in der Konsequenz auch für die dessen Stabilität? Inhaltlich bearbeitet dieses Papier die Polarisierungstendenzen in der BRD, die Grundlage für legitime Ordnungen ! (sowohl per Input als auch per Output) und die Frage, ob und wann die Verwerfungen kritisch werden.
Schlagworte
Polarisierung, Legitimationskrise, System
Arbeit zitieren
Britta Krause (Autor:in), 2000, Polarisierung - eine Legitimationskrise für das bestehende System, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97014

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