Musik und Musiker in außereuropäischen Kulturen
Musik ist für den Europäer eine "Kunst". Sie ist für ihn nicht lebensnotwendig. Das ist aber nicht überall so. Jedes Volk für sich hört seine eigene Musik und sie bedeutet jedem etwas anderes. Bei der Betrachtung einer nicht abendländischen Musik ist es daher notwendig, die Musikauffassung zu kennen. Viele Völker spielen Musik in bestimmten Situationen. Zum Beispiel gibt es den Krankenkurgesang, der gespielt wird zur Unterstützung der Genesung. Jeder Gesang hat eine bestimmte Bedeutung. Außerdem ist Musik ein bestimmter Bestandteil verschiedener Ereignisse (z.B. bei festlichen Anlässen). Europäer kennen auch die zweckgebundene Musik (z.B. Kirchenmusik oder Militärmusik). Sie ist aber nur relativ funktionsgebunden. Schließlich kann man einen Militärmarsch auch ohne Musik durchführen. Die Musik verschönert nur die Veranstaltung ohne spezielle Bedeutung.
Die Soux sind damals ohne Büffelgesang nicht auf die Jagd gegangen. Er machte den Jägern Mut. Musik ist Medizin für die Menschen. Sie beruhigt die Seele und den Geist. Viele Naturvölker glauben immer noch, daß Musik Magie gegen Dämonen, Götter und Götzen ist. Außerdem macht sie das Vieh und den Acker fruchtbar. Europäer trafen auf Völker, die ohne einen nötigen Anlaß keine einzelnen Tänze oder Zeremonien aufführten. Eine völlig freie, weltliche Musik ohne jede Bindung an ein Brauchtum oder an religiöse Vorstellungen ist außerhalb Europas selten. Eine Musik, die so stark zweckgebunden und so sehr mit außermusikalischen Vorstellungen beladen ist, wird anders erlebt.
Außenstehende können die Musik anderer Kulturen oft nicht verstehen, weil die kulturellen Gegensätze zu verschieden sind. Heiterkeit und Trauer empfindet man überall gleich. Jedoch wird das in Melodien verschieden ausgedrückt. Jeder hat seine eigene Kultur und deshalb auch seine eigene Musik.
Für das Verständnis fremder musikalischer Kulturen ist es wichtig, die Stellung des Musikers zu kennen.
In der unbeeinflussten Musik der Naturvölker gibt es kein passives Publikum und auch keinen Solisten. Jedes Stammmitglied beteiligt sich am Musizieren. Manche klatschen , andere singen oder tanzen. Erst in gehobenen Kulturen haben einzelne Personen bestimmte Pflichten (Priester, Vortänzer).
Jedoch wird immer noch zusammen musiziert. Es wird zusammen auf den Boden gestampft oder in die Hände geklatscht. Erst Trommeln, Xylophon, Muschel- und Tierhorn usw. setzen eine Spezialisierung der Kultur voraus. Hier gibt es die ersten Anfänge eines musikalischen Berufsstandes. Mindestens aber die Teilung in Ausübende und Publikum.
Die Anfänge einer Orchesterbildung in den Panpfeifengruppen melanischer und polynäsischer Stämme und den Trommlergrupen der Neger sind auch die Anfänge einer Musikergenossenschaft. Nun werden die Instrumentalisten aus der Masse gehoben und die Sänger wandern umher, um ihre Kunst vor einem echten Publikum vorzuführen. Sie sind aber meist nur nebenberuflich tätig. Erst bei Beherrschung der Instrumente und Verständnis für die Musik wird sie hauptberuflich ausgeübt und als Lebensaufgabe betrachtet. Der Musiker spielt nun im Dienste eines Fürsten oder als Hofmusiker. Er ist aber kein unabhängiger Musiker, er ist Diener des Hofes. Am häufigsten gibt es den freien unabhängigen Künster in Indien. Er ist zugleich Dichter, Philosoph und Lehrer.
Die Kultur spaltet sich nun in gehobene Schichten. Die Musiker musizieren nicht nur um einen gewissen Wohlstand zu erreichen sondern sie haben ein gutes Wissen von ihrer Musik. Ihre Technik und ihre Komponisationen werden meist von den unteren Schichten nachgeahmt.
In Bali oder Jawa gibt es neben der höflichen Gamelanmusik auch eine Art der Kammermusik. Sie dient der Unterhaltung des Volkes außerhalb der Fürstenhöfe. Der Stil der dargebotenen Stücke entsprechen der Orchestermusik.
Überall in Asien findet man spezielle Formen der Volksmusik. Sie ist nicht vergleichbar mit der europäischen. Ebenfalls ist die Musik der Indianer Mexikos, Perus usw. nicht europäisch. Sie haben alle ihren eigenen Stil. Die Volksmusik ist nur eine verkleinerte Form der Kunstmusik und sozial tieferliegend.
Die Kunstmusik ist in Japan fremdennationalen Ursprungs. Die Darbietungsform ist japanisch, in Form und Theorie ist sie aber chinesischer Herkunft.
Früher improvisierte man frei in öffentlich Konzerten. Es gibt kaum Aufzeichnungen oder Beobachtungen von der Überlieferungstreue der Musik, der Naturvölker. Es ist anzunehmen, daß Chorliedertexte in einer festen Struktur waren. In der Musik der Neger überwiegt die freie Improvisation. Es gibt daher nur die Überlieferung des einzelnen Schemas. Es gibt aber auch bei Neger- gruppen eine bestimmte Melodie. Ein Dorfbewohner würde diese Melodie sofort erkennen auch wenn sie nur gepfiffen oder gesummt wird. Aber auch dort gibt es gewisse Freiheiten. Feste Überlieferungen gibt es nur bei den Völkern, wo Musik heilig oder an einen Brauch gebunden ist.
Selbst in Indien, wo die Musik über Jahrtausende überliefert wurde, ist die Überlieferung nicht notentreu. Es passiert dadurch, dass die Notenschriften nur Hauptmelodieschriften fixieren. Der Ausführende hat die Freiheit die Feinheiten und Ausgestaltungen des Liedes selber zu bestimmen. Eine ähnliche Freiheit der Überlieferung gibt es in Europa, in Teilen der Volks- musik.
Wenn man die Musik fremder Kulturen verstehen möchte, muß man gewillt sein ihre Kultur, ihren Stil und ihren Standpunkt zu studieren.
Wer exotische Musik mit europäischen Maßstäben mißt, wird sie weder verstehen nochbeurteilen können.
- Arbeit zitieren
- Mario P. (Autor:in), 2000, Außereuropäische Musik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97143