Augenkommunikation


Seminararbeit, 2000

17 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


1) Augenkommunikation - ein Teil der nonverbalen Kommunikation

”The world’s languages necessarily spring from the set of sounds that humans can produce.”1

Lange Zeit galt dies als die Definition von Kommunikation. Hierbei wird jedoch ein ganz wesentlicher Teil von Kommunikation außer acht gelassen, der - immer wieder tabuisiert - erst seit jüngster Zeit Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Untersuchung ist und somit überhaupt Anerkennung findet: die nonverbale Kommunikation.

So antwortet beispielsweise Key auf Pagels Zitat folgendermaßen:

” a human being may communicate something without words, but some kind of body stance, movement, facial expression or some noise is always present. These components usually have not been accounted for or even recognized by linguists - in fact the subject has appaered to be taboo. Even when a nonverbal Act seems neutral or passive, it is still part of the communication process. ” 2

Diese Aussage deutet darauf hin, wie vielfältig die Ausdrucksmöglichkeiten sind, die über die eigentliche Sprache hinausgehen. Körperhaltung, Gestik und Mimik sind die drei Hauptkomponenten, die nicht nur den Sprechakt unterstützen, sondern mittels derer selbst Kommunikation ablaufen kann.

Werden bei der verbalen Kommunikation von den sensorischen Kapazitäten des Menschen vor allem die artikulatorische und die auditive genutzt, so wird bei genauerer Untersuchung der nonverbalen Kommunikation sehr schnell der Einsatz weiterer sensorischer Fähigkeiten erkannt werden. Es kommen nicht nur Motorik bzw. Lokomotorik zum Tragen, sondern vor allem auch die visuelle Dimension (das Sehen). “Sie umfasst eine Vielzahl eigener kommunikativer Möglichkeiten, die reich ausgebildet sind.”3

Auf diese, die visuelle Dimension und deren kommunikative Möglichkeiten, die Ehlich und Rehbein unter dem Begriff “Augenkommunikation” beschreiben, soll in der vorliegenden Arbeit näher eingegangen werden.

2) Aufbau und Bewegungspotential des Auges

4 Trotz des nicht geringen Ausdruckspotentials des Auges ist es primär ein Sinnesorgan, das “auf Ausschnitte der Umwelt in spezifischer Weise reagiert und entsprechende Impulse dem zentralen Nervensystem übermittelt.”5 Es ist also in erster Linie für die Weiterleitung optischer Reize verantwortlich, die im Gehirn ausgewertet werden.

Auf den Aufbau des Auges soll hier nur insofern eingegangen werden als dies für die Beschreibung der Kommunikation relevant ist, also auf den Teil des Auges, der nach außen sichtbar ist. Dieser besteht im wesentlichen aus drei Teilen:

der Sclera, den weißen Außenbezirken, der Iris, deren farbige Pigmentierung individuell ist und der schwarzen kreisrunden Pupille in der Mitte des Auges. Die sichtbare ovale Fläche ist leicht konvex und wird von den mit Wimpern besetzten Lidern umgeben.

Das Auge selbst “kann immer nur Ausschnitte seiner Umgebung wahrnehmen. Der Ausschnitt, der vom unbewegten Auge gesehen werden kann, heißt monoculares Gesichtsfeld6, bzw. bei Berücksichtigung beider Augenpaare binoculares Gesichtsfeld. Die tatsächliche Sehfähigkeit allerdings wird durch die Bewegungsfähigkeit des Auges wesentlich erweitert. Hierfür sind sechs Muskelpaare verantwortlich. Man spricht dann vom Blickfeld, also “jenem Bereich der visuellen Umwelt, der bei unbewegtem Kopf aber frei umherblickenden Augen wahrgenommen werden kann.”7

Desweiteren kann der Pupillendurchmesser durch Kontraktion der Irismuskulatur verändert werden. Obwohl dies nicht willkürlich geschieht, spielen doch bestimmte psychische Faktoren eine Rolle, so dass auch diese Bewegung eine kommunikative Bedeutung haben kann.

Weiter wären die Akkomodation anzuführen, also die Veränderung der Linse, die die Einstellung der Sehschärfe bewirkt, sowie rotatorische Bewegungen und sog. Augenfolgebewegungen.

Außerdem werden neben den Bewegungen des Auges auch die Augenlider (hauptsächlich das obere Augenlid) bewegt. Man unterscheidet hier zwischen dem unwillkürlichen Lidschlu ß reflex und dem willkürlichen teilweisen Schließen (z.B. Blinzeln) oder extremer Lidanhebung. Das untere Lid bewegt sich nur wenig. Der Abstand zwischen den Lidern wird Lidspalte genannt.

3) Ausdrucksrepertoire des Auges

Man unterscheidet bei der Augenmechanik zwischen einer “inneren Mechanik” (automatisch ablaufende Bewegungen ) und der bewußten Bewegung gegenüber dem betrachteten Objekt. Diese willkürliche Veränderung ist bewußt einsetzbar und für den Gegenüber sichtbar. Diesen sichtbaren Teil des Auges mit seinen oben beschriebenen Stellungen und Bewegungen bezeichnet man als Augenbild. Nur das Augenbild hat direkte Relevanz für die Untersuchungen zur Augenkommunikation.

Zur Kommunikation wird das in Kapitel 2 beschriebene Bewegungspotential funktionalisiert und zu Ausdruckseinheiten zusammengesetzt. “Das Ausdrucksgeschehen der nonverbalen Kommunikation hat also Handlungscharakter.”8

Die Gesamtheit der Ausdruckseinheiten wird als Ausdrucksrepertoire bezeichnet und umfasst alle Kommunikationsformen (in diesem Fall des Auges), die für alle Mitglieder einer Kommunikationsgemeinschaft verständlich sein müssen.

Hierin unterscheidet sich die Augenkommunikation nur unwesentlich von der verbalen Kommunikation. Unterschiede zum verbalen Ausdrucksrepertoire sind neben der Beschränkung auf die face-to-face Kommunikation der geringere Reichtum der “Augensprache” aufgrund der physikalisch-physiologischen Unterschiede sowie eine damit einhergehende Unvollständigkeit der Zeichenqualität.

Von Cranach stellt 1971 die Terminologie des Ausdrucksrepertoires wie folgt zusammen9:

1 ”One-sided gaze” or ”looking at the partner” or ”visual orientation towards the partner” or ”eye gaze”

( “einseitiger Blick”, “anschauen”, “visuelle Zuwendung” )

2 ”Mutual gaze”

( gegenseitiger Blick)

3 ”Eye-contact”

(Blickkontakt)

4 ”Gaze movement” or ”Gaze shift”

5 ”Gaze duration”

(Blickdauer)

6 ”Omnission of gaze” or ”unreciprocated gaze”

(Blickunterlassung)

7 ”Gaze avoidance” or ”gazeaversion” or ”cut-off”

(Blickvermeidung)

8 ”Mutual gaze avoidance” or ”mutual gaze aversion” or ”mutual cut-off”

Obwohl zu berücksichtigen ist, dass von Cranachs Kriterien hauptsächlich methodologischen Bedürfnissen angepaßt sind, bieten sie doch eine solide Übersicht über die Möglichkeiten des Auges zur Kommunikation.

Zur Erforschung der Augenkommunikation wie auch der nonverbalen Kommunikation allgemein ist nun eine Analyse unumgänglich: “Die Analyse der nonverbalen Kommunikation hat zur Aufgabe, gerade die Ausdrucksrepertoires als Mittel einer spezifischen Form kommunikativen Handelns zu erkennen.”10

In den folgenden Kapiteln sollen nun einige Ausdruckseinheiten in ihrer kommunikativen Funktion näher betrachtet werden.

4) Blickverhalten

4.1) Blickverhalten in interpersonalen Einstellungen

In interpersonalen Einstellungen, insbesondere beim Herstellen von Beziehungen, spielt das Blickverhalten eine entscheidende Rolle. Die beiden signifikanten Komponenten bezüglich des Blickverhaltens sind Blickdauer und Blickqualität.

Während die Blickdauer sich einfach mit einer Uhr messen läßt, werden zur Bewertung der Blickqualität u.a. Kriterien wie Pupillenerweiterung, Blinzelhäufigkeit, Öffnung der Augen, die Richtung eines ausweichenden Blicks oder der Gesichtsausdruck im Augenbereich untersucht.

Bezüglich der Blickdauer konnte festgestellt werden, dass sich schon allein an der Quantität von Blicken Sympathien ablesen lassen. So wurde beispielsweise herausgefunden, dass im Gespräch bevorzugte Gesprächspartner auch häufiger angesehen werden.

Auch im Tierversuch, vor allem bei Primaten, spielt die Blickdauer eine Rolle. Durch die Häufigkeit des Anblickens entsteht eine Aufmerksamkeitsstruktur, eine Hierarchie. Demnach ist derjenige, der am häufigsten angesehen wird, der Mächtigste der Gruppe. Umgekehrt wird der Rangunterste einer Gemeinschaft auch am wenigsten angeblickt.

Diese Beobachtung ist teilweise auch auf den Menschen übertragbar.

In diesem Zusammenhang ist aber auch das “Nichtanblicken” von ebenso großem Gewicht, da es Mißachtung beziehungsweise zumindest eine gewisse Ignoranz bedeutet. Allerdings gibt es auch die gegenläufige Tendenz, den Blick zu senken, wenn der Gruppenhöchste (z.B. ein Monarch) erscheint, um Respekt und Unterwerfung zu zeigen.

Auch für die Blickqualität lassen sich zahlreiche Beispiele anführen.

Der Blick ist ein wesentlicher Bestandteil im Sexualverhalten zwischen den Geschlechtern. Er dient als Werbesignal (Vgl. “Jemandem schöne Augen machen.”). Frauen schminken sich die Augen, um diese größer und ausdrucksstärker wirken zu lassen. “Nach Exline schauen Frauen mehr in kooperativen Situationen und wenn sie eine hohe affiliative

Motivation haben.”11 Bei Männern fand man heraus, dass deren Pupillen sich erweiterten, wenn man ihnen Fotos attraktiver Frauen vorlegte.

Exline stellte im Experiment mit Primaten fest, dass die Tiere mit einem intensiven Blick mit weit aufgerissenen Augen drohen, wohingegen das Wegblicken als Beschwichtigung dient. Dies erwies sich für Tierforscher als wichtige Voraussetzung für die Kommunikation mit Affen.

4.2) Blickverhalten bei bestimmten Personengruppen

Das Blickverhalten ist in vielen Fällen abhängig von der Personengruppe. Bestimmte Personengruppen weisen Anomalien oder zumindest Abweichungen in ihrem Blickverhalten auf.

Autistische Kinder beispielsweise haben Aversionen gegen Blickkontakte. Sie sind nicht nur selbst unfähig, andere Personen anzublicken, sondern reagieren auch auf den Blickkontakt des Gegenübers ablehnend. Dieses Verhalten ist ebenfalls bei schizophrenen Patienten zu beobachten.

Aber auch zwischen Frauen und Männern ist ein unterschiedliches Blickverhalten zu erkennen. Untersucht wurde hier unter anderem das Blickverhalten der beiden Gruppen bei der Konfrontation mit Problemen. Bei beiden Gruppen trat das Phänomen des “deliberativen Wegblickens” ein, auf das später noch eingegangen werden soll, der Blick wich allerdings jeweils in andere Richtungen aus. Bei Frauen war dieses Ausweichen viel weniger konsistent als bei den Männern. “Man nimmt an, dass Menschen, die nach links ausweichen ein dominante rechte Hemisphäre haben und umgekehrt.”12 Auf interkulturelle Unterschiede soll im nächsten Kapitel eingegangen werden.

4.3) Blickverhalten und emotionaler Zustand

Neben der Gruppenzugehörigkeit ist auch der emotionale Zustand von Bedeutung, in dem sich der Aktant befindet.

Beim Lügen schweift der Blick, da der Sprechende verunsichert ist, versucht, seine Lüge zu überspielen und deshalb den Blick des Gesprächspartners nicht erwidert.

Bei einer plötzlichen Änderung des Gefühlszustandes kommt es zu einer Vergrößerung der Pupillen, insbesondere bei Furcht. Dann werden nämlich zusätzlich noch die Augen weit aufgerissen, die Blinzelhäufigkeit ist höher. Dieses Verhalten ist Teil des “Fight-and-Flight-Syndroms”, eines biologischen Phänomens, bei dem der menschliche Körper bei Gefahr in “erhöhte Alarmbereitschaft” und Aufmerksamkeit versetzt wird, um schnell auf Gefahren reagieren zu können.

4.4) Blickverhalten in der Konversation

Eine weitere Besonderheit von Blickverhalten zeigt sich während des Sprechens. Das Blickmuster in der Interaktion folgt nämlich bestimmten, exakt festgelegten Regeln.

Von Cranach merkt an, “dass der Aufnahme der verbalen Kommunikation im allgemeinen eine Zuwendung des Körpers, des Kopfes und des Blickes vorausgeht. Wir nehmen an, dass diese Verhaltensweisen hierarchisch geordnet sind und die Intensität der Kommunikationsgemeinschaft ausdrücken.13

Bei der Kontaktaufnahme wird während des Aufeinanderzugehens der Blick zunächst abgewendet, worauf dann bei der Begrüßung ein Blickkontakt hergestellt wird und das Gespräch beginnt. Cary beschreibt die Kontaktaufnahme zwischen männlichen und weiblichen Probanden als einen komplexeren Ablauf: Cary ”studied visual signals given by seated females to male subjects as they entered a room. Both looked at each other as the males entered, but it was the second look by the female that decided whether a conversation would occur.”14

Den ersten Blickkontakt, das Begrüßen, nennt Eibl-Eibesfeldt “Augengruß”15. Hierbei werden für circa 1/6 Sekunde die Augenbrauen ruckartig hochgezogen. Der Augengruß wird neben der Begrüßung auch beim Flirten eingesetzt.

Auch Kendon & Ferber haben sich mit dem Grüßen am Beispiel einer Geburtstagsfeier beschäftigt : ”While approaching the hostess the guest averted the gaze until a second mutual gaze occured just before the handshake or embrace.”16

“Das mit dem Sprechen verbundene Blickmuster bildet ein eng integriertes System.”17

Kommt es nach der Begrüßung zu einer Konversation, so werden während ihres Verlaufs bestimmte signifikante Punkte des Gesprächspartners wie Augen und Mund in wiederholtem Kreislauf fixiert. Dies ist unter anderem abhängig davon, ob der Aktant selbst als Sender oder als Empfänger agiert. Außerdem werden bestimmte Gesprächsformen durch Blicke unterstrichen.

Bei Fragen werden die Augenbrauen beispielsweise angehoben, bei grammatikalischen Pausen blickt der Sprecher meist kurz auf.

Desweiteren wurden turn-taking-Mechanismen bezüglich des Blickverhaltens untersucht. Kendon erstellt hierfür folgendes Schema: ”... during listening, p looks at q with fairly long q-gazes (Blicke auf q, die Verf.), broken by very brief a-gazes (Blick weg von q, die Verf.), whereas during speaking, he alternates between q- and a-gazes of more equal length, the a-gazes being longer than those that occur during listening.”18

Zum Gesprächsende erfolgt dann ein erneuter Blickkontakt, allerdings, so Steer & Lake, eher zwischen einander vertrauten Personen wie zum Beispiel Freunden, als fremden Interaktanten.19

Auch hier bei der Interaktionssituation gilt es zu beachten, dass durch das Fehlen visueller Zuwendung oft auch verbale Kommunikation vermieden wird. Diese Tatsache deutet auf die Wichtigkeit der Körpersprache auch für die verbale Kommunikation hin, obwohl diese häufig als nebensächlich erscheinen mag.

5)Biologische Basis des Blickes und interkulturelle Unterschiede

Im interkulturellen Vergleich von Augenkommunikation zeigte es sich, dass die wichtigsten Blickphänomene doch universell sind.

Dies, sowie die Tatsache, dass auch bei Tieren Augenkommunikation stattfindet, läßt Rückschlüsse darauf zu, dass das Organ Auge für kommunikative Zwecke schon seit Urzeiten in Sozialisationen genutzt wird.

Bei Tieren ist der Blick hauptsächlich Drohsignal (vgl. Exline). Aber nicht nur Primaten, sondern auch andere Tiere nutzen diese Bedeutung des Blicks. Einige Schmetterlinge haben zum Beispiel Augenflecken auf den Flügeln. Sie ahmen damit ein Augenpaar nach, das Feinde drohend anblickt und so Angriffe verhindert. Man nennt dieses Phänomen Mimikry.

Beim Menschen hingegen dient der Blick seltener als Drohsignal, sondern meist als affiliatives Signal. Argyle beschreibt die Signifikanz des Blicks schon beim Säugling: “Schon in den ersten Stunden ihres Lebens folgen Säuglinge mit ihren Augen einem sich bewegenden Gegenstand; mit drei oder vier Wochen reagieren sie insbesondere auf ein Augenpaar oder auf Masken mit Augen.”20 Dies ist von besonderer Bedeutung für die Mutter-Kind-Beziehung und kommt auch beim “Guck-Guck-Spiel” zum Tragen, bei dem der Blick abwechselnd an- und abgewendet wird. “In der Entwicklung von Bindung und Soziabilität spielen der Blick und der wechselseitige Blickkontakt eine zentrale Rolle. [...]Ob dieses frühe Interesse an den Augen angeboren ist, oder, wie Fantz annimmt, ob eine angeborene Vorliebe für solche Stimuli vorhanden ist, die ein bestimmtes Maß an Komplexität, Klarheit und Bewegungsintensität aufweisen”21, bleibt umstritten.

Trotz all dieser Phänomene, die in allen Menschen gemein sind, hat sich das Blickverhalten in den unterschiedlichen Sozialisationen unterschiedlich entwickelt.

Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass die vorliegende Arbeit sich in erster Linie auf die westliche Kultur bezieht. Verschiedene andere Kulturen zeigen Abweichungen in ihrer Augenkommunikation. Diese Diskrepanzen zwischen den Kulturen können in der interkulturellen Kommunikation häufig zu Mißverständnissen führen, da nämlich dann oft der Code zwischen Sender und Empfänger nicht derselbe ist.

Im folgenden sollen nun anhand von einigen Beispielen aus Argyle einige dieser Unterschiede angeführt werden.

Auch hier kann wieder die Komponente der Quantität als Vergleichspunkt herangezogen werden.

In der arabischen Kultur ist Blickkontakt sehr wichtig. Deshalb ist es für den Araber sehr schwierig ein Gespräch zu führen, wenn kein Augenkontakt erfolgt, wenn beispielsweise der Gesprächspartner eine dunkle Sonnenbrille trägt und folglich die Augen des Gegenübers nicht erkennbar sind. Desweiteren gilt es als unhöflich, sich dem anderen während des Gesprächs nicht zuzuwenden. Dies bedeutet, dass es für Araber nahezu unmöglich erscheint, sich zu unterhalten, während man nebeneinander hergeht.

Außerdem achten arabische Händler in Verkaufsgesprächen besonders auf die Pupillen des potentiellen Käufers, um dessen Absichten zu erkennen.

Ein ganz anderes Blickverhalten zeigen Japaner. In der östlichen Kultur wird Blickkontakt eher vermieden. Ein Japaner schaut während eines Gesprächs meist auf den Hals seines Gesprächspartners. Wenn überhaupt, dann tritt direkter Blickkontakt im Privatbereich auf, in der Öffentlichkeit wird er weitestgehend vermieden. Auch die bereits angesprochene Hierarchie, ein Senken des Blicks bei Höhergestellten, zum Beispiel beim Vorgesetzten oder bei älteren Menschen als Zeichen von Respekt, spielt in Japan eine große Rolle.

Amerikanische und südamerikanische Indianerstämme haben mehr Blickkontakt als wir Europäer. Aber auch innerhalb Europas sind Unterschiede festzustellen. “Die Griechen schauen mehr als Briten oder Amerikaner, sowohl bei Gesprächen als auch in der Öffentlichkeit, wenn sie fremde Personen ansehen.”22

In allen Kulturen spielt die Augenkommunikation also eine wichtige Rolle, auch wenn die Interpretation der gesendeten Signale unterschiedlich ist.

6) Eine Ausdruckseinheit: Deliberatives Wegblicken

Neben dem Augengruß nach Eibl-Eibesfeldt oder dem Überdrußblick, bei dem die Pupille von der Zentralstellung kurz nach oben und wieder zurück bewegt wird, was verbal einem Aufseufzen gleichzusetzen ist, findet man u.a. das Phänomen des “deliberativen Wegblickens”, das von Konrad Ehlich und Jochen Rehbein ausführlich untersucht und beschrieben wurde.

Grundvoraussetzung für das Vorkommen dieser Ausdruckseinheit ist die face- to-face Situation, die zwei oder auch mehrere Interaktanten erfordert.

Es soll nun zunächst der physiologische Bewegungsablauf geschildert werden, bevor dieser analysiert und an einem Beispiel veranschaulicht wird.

Zunächst einmal ist zu unterscheiden zwischen einem einfachen und einem komplexeren Bewegungsablauf des Auges.

Die Grundstellung ist jedoch in jedem Fall die Zentralstellung der Pupille. Aus dieser Position bewegt sich nun der Augapfel diagonal nach rechts oder links oben bis in die Extremstellung. Dort verweilt die Pupille, wobei die zeitliche Dauer variieren kann, um danach wieder in die Zentralstellung zurückzuwandern.

Parallel dazu findet auch eine Lidbewegung statt. Während es beim Übergang von der Zentral- in die Extremstellung zu einer Lidverengung kommt, findet keine Lidbewegung statt, während die Extremstellung beibehalten wird (abgesehen vom Lidschlußreflex zur Befeuchtung des Auges). Bei der Rückbewegung ist dann erneut eine Lidverengung beobachtbar.

In komplexeren Fällen weicht der Blick nach oben in beide Diagonalen aus, zuerst in eine Richtung, dann zurück in die Zentralstellung und anschließend in die andere Richtung. Gelegentlich ist sogar noch eine Bewegung vertikal oder diagonal nach unten festzustellen, wobei nicht klar ist, ob dies lediglich der Adaption dient oder tatsächlich noch Bestandteil der eigentlichen Ausdruckseinheit ist.

Zusätzlich spielt auch noch die Interaktion von Augen- und Kopfbewegung eine Rolle. Normalerweise bleibt der Kopf beim deliberativen Wegblicken unbewegt, die Extremstellung wird durch bloße Bewegung des Auges erreicht. Dasselbe Augenbild kann aber auch erzeugt werden, indem der Kopf schräg nach unten bewegt wird und das Auge selbst relativ konstant bleibt. Werden allerdings Kopf und Auge in die gleiche Richtung, nämlich nach schräg oben bewegt, bleibt das Auge in der Zentralstellung, es kommt nicht zum deliberativen Wegblicken. Diese Bewegung dient dazu, ein betrachtetes Objekt optimal fixieren zu können. Es handelt sich also hier nicht um eine kommunikative Funktion, sondern lediglich um eine Verbesserung der Wahrnehmung, das heißt es wird die primäre Funktion der visuellen Dimension genutzt, was für unsere Belange nicht von Bedeutung ist. Daher ist die Voraussetzung für Ehlichs Untersuchung, dass diese Kopfbewegung unterbleiben muß. Dadurch “ist in der Bewegung selbst eine Abkoppelung vom psychophysischen Zweckbereich deutlich. Damit wird ersichtlich, dass sie als ganze dem kommunikativen Zweckbereich zugehört. Es handelt sich bei den beschriebenen Phänomenen um eine spezifische Form, die von unterschiedlichen Personen in identifizierbarer Weise ausgeführt werden kann.”23

Es wurde nun festgestellt, das die beschriebene Bewegung dann vorkommt und zur Ausdruckseinheit wird, wenn “zwei oder mehrere Interaktanten es mit der Abwicklung komplexer mentaler Prozeduren zu tun haben.”24 Eine solche Situation kann leicht für Versuchsreihen wie etwa die von Ehlich und Rehbein durchgeführten künstlich erzeugt werden.

Verbaler Auslöser für das Einsetzen der Ausdruckseinheit ist der “illokutive Akt der Frage.”25 Die Frage fordert den Empfänger auf, sein Wissen abzurufen und mittels des verbalen Codes dem Fragenden mitzuteilen. Man unterscheidet nun zwischen solchen Fragen, auf die sofort eine Antwort gegeben werden kann und solchen, bei denen “der Antwortende gezwungen ist, das angeforderte Wissenselement erst durch eine Reihe von mentalen Prozeduren, z.B. durch Schlüsse, Rekonstruktionen, Antizipationen usw. zu gewinnen. [...] Der Komplex dieser Tätigkeiten kann als Deliberation26 umschrieben werden.”27

Je nach Wissenstand des Befragten kann dieselbe Frage bei verschiedenen Personen einen mentalen Suchprozess auslösen oder nicht. Die Deliberation setzt dann nicht ein, wenn von Anfang an klar ist, dass das entsprechende Wissenselement nicht vorhanden ist. In diesem Fall tritt auch das deliberative Wegblicken nicht ein. In anderen Fällen wird zunächst zwar eine Deliberation gestartet, diese aber nach kurzer Zeit erfolglos abgebrochen, wobei die Ausdruckseinheit des Auges trotzdem in Gang gesetzt wird.

"Die Ausdruckseinheit des deliberativen Wegblickens hat die kommunikative Funktion, den Interaktionspartner darüber zu informieren, dass der Aktant mit einem mentalen Suchprozeß beschäftigt ist.”28 Diese Information soll dem Gesprächspartner mitteilen, “dass seine Anforderung eines Wissenselements vom Aktanten aufgenommen worden ist und bearbeitet wird - obgleich noch keine verbale Antwort erfolgt.”29 Das deliberative Wegblicken ist also ein wichtiges Element in der Turn-Organisation. Es überbrückt die Pause zwischen Frage und Antwort und signalisiert dem Gegenüber, dass ein Eingriff seinerseits nicht erforderlich ist und ist gleichzeitig eine Aufforderung, den Befragten nicht zu stören.

Der Deliberationsprozeß kann alternativ durch verbale Äußerungen wie “Moment”, “Laß mich mal überlegen”, “Wie war denn das gleich?” o.ä. erfolgen30, was sich jedoch als viel komplizierter erweist, zumal auch die visuelle Ausdruckseinheit ihre kommunikative Funktion hinreichend erfüllt und außerdem von der Wissensanforderung eher ablenkt.

Abschließend soll jetzt noch in vereinfachter Form auf ein Versuchsbeispiel von Ehlich und Rehbein eingegangen werden31. Im Gegensatz zu vorhergehenden experimentellen Settings handelt es sich hier um eine identische Situation:

deliberatives Wegblicken seitens des Lehrers während einer Schulstunde.

Der Lehrer fragt nach bestimmten Arten von Reisen. Der ersten Schülerantwort “Pauschalreisen” stimmt er zu, weitere Antworten weist er als falsch zurück. Im weiteren Verlauf fällt der Begriff “Rundreise”. Dieser Begriff scheint von der Wortbildung her dem Begriff “Pauschalreise” zu entsprechen, unterscheidet sich allerdings in seiner semantischen Bedeutung

Der Lehrer ist nun gefordert, “(a) das Richtige vom Falschen zu sondern und (b) die Sonderung gegebenenfalls zu begründen und zu erörtern”.32 Hier setzt das deliberative Wegblicken ein. Daraufhin folgt verbal der Vorschlag: “Darauf müssen wir gleich nochmal zurückkommen.”

Der Lehrer löst also das Dilemma durch die Verschiebung auf einen späteren Zeitpunkt. Während des deliberativen Wegblickens versucht er, den Maximenkonflikt zwischen der Maxime “Korrigiere Falsches” und “Honoriere Richtiges” zu lösen. Die Deliberation führt also nicht zu einer echten Lösung des Problems, sondern vielmehr einer Befreiung davon. Dies wird höchstens der dritten Lehrermaxime gerecht, nämlich möglichst zügig im Stoff fortzufahren.

Das Beispiel zeigt, wie die Ausdruckseinheit auch in der Praxis beobachtbar ist und als Signal verstanden wird, auch wenn wir dies nicht bewußt wahrnehmen.

7) Schlußbemerkung

Das Auge mit seinen kommunikativen Funktionen ist ein wichtiger Bestandteil der Kommunikation. Die Ausdruckseinheiten des Auges unterstützen nicht nur die verbalen Ausdrucksmöglichkeiten, sondern können auch eigenständig Signale geben.

Es sei hier noch bemerkt, dass - wie bereits in der Überschrift “Augenkommunikation-ein Teil der verbalen Kommunikation” deutlich wird- die Augenkommunikation immer als Teil des Ganzen zu sehen ist und mit anderen Ausdrucksformen insbesondere der Körpersprache interagiert.

[...]


1 Pagel, 1975 In: Gilroy, Peter: Meaning without words-philosophy and nonverbal communication, Brookfield: Aldershot, 1996

2 Key, 1975 in: Gilroy, S.vii

3 Ehlich, Konrad und Jochen Rehbein: Augenkommunikation. Methodenreflexion und Beispielanalyse. Amsterdam: Jochen Benjamins BV, 1982, S.3

4 vgl. Ehlich Kap, 3.1

5 Schmidt u.a.,1973 In: Ehlich, S.21

6 Ehlich, S. 23

7 Ehlich, S. 23

8 Ehlich, S.43

9 Ehlich, S. 49

10 Ehlich, S. 52

11 Argyle, Michael : Körpersprache und Kommunikation. Paderborn: Junfermann,1996, S.228

12 Argyle, S.228

13 Cranach, M. von:Über die Signalfunktion des Blickes in der Interaktion. In:Albert, H. (Hrsg.)Sozialtheorie und soziale Praxis. Meisenheim: Hain, S.212

14 Ehlich, S. 67

15 Vgl. Argyle, S. 77ff

16 Ehlich, S. 67

17 Argyle, S.231

18 Ehlich, S. 68f.

19 vgl Ehlich, S. 68

20 Argyle, S.233

21 Argyle, S.233

22 Argyle, S.233

23 Ehlich, S.80

24 Ehlich, S.100

25 Ehlich, S.100

26 von lat.:deliberare: erwägen, überlegen, abwägen

27 Ehlich, S.101

28 Ehlich, S.102

29 Ehlich, S.102f

30 Vgl. Ehlich, S.103

31 Vgl. Ehlich 126ff

32 Ehlich, S. 126

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Augenkommunikation
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Veranstaltung
Seminar Interkulturelle Kommunikation
Note
1,5
Autor
Jahr
2000
Seiten
17
Katalognummer
V97150
ISBN (eBook)
9783638098250
Dateigröße
358 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Augenkommunikation, Seminar, Interkulturelle, Kommunikation
Arbeit zitieren
Anja Lott (Autor:in), 2000, Augenkommunikation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97150

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