Angst in der psychoanalytischen Betrachtung Sigmund Freuds


Seminararbeit, 2000

10 Seiten, Note: noch nicht


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Psychoanalytische Theorie
2.1. Angstneurosen
2.2. Signaltheorie

3. Abwehrmechanismen

4. Angstentwicklung

5. infantile Angst

6. Anwendung am Beispiel der Zwangsneurose

7. Quellennachweis (einschließlich Zitaten)

1.Vorwort

Angst ist ein Faktor, welcher uns unmittelbar im Leben begleitet und damit auch teilweise prägt. Nun ist es bei Menschen so, dass sie unterschiedlich auf bestimmte Gefahrensituationen mit entsprechender Angst reagieren. Im Sprachgebrauch verwenden wir dann oft Worte, wie ängstlich oder nervös, wenn auf dieser Ebene eine sehr starke Reizbarkeit vorhanden ist.

Wir verspüren Angst als ein Gefühl und können es kaum in Worten wiedergeben, doch was macht dieses wirklich aus? Dorsch (1987) definierte Angst folgendermaßen: „ ... ist ein mit Beengung, Erregung, Verzweiflung verknüpftes Lebensgefühl, dessen besonderes Kennzeichen die Aufhebung der willensmäßigen und verstandesmäßigen ‘Steuerung‘ der Persönlichkeit ist. Man sieht in der Angst auch einen aus dem Gefahrenschutzinstinkt erwachsenen Affekt, der teils in akutem Ausbruch (dem Schreck verwandt), teils in schleichend - quälender Form eine elementare Erschütterung bewirkt.“ Dorsch bringt das Wesen der Angst hier mit am besten auf den Punkt. Es stellen sich jedoch noch einige Fragen, was die Entstehung der Angst und deren Bedeutung anbelangt. Dies möchte ich im weiteren Verlauf der Arbeit anhand der Theorien Sigmund Freuds auf diesem Gebiet ausführen.

Freud beschäftigte sich in seiner Arbeit als Psychoanalytiker hauptsächlich mit der Ätiologie der Neurosen, wobei das Phänomen der Angst ein wichtige Rolle spielte. Diesem widmete er sich 1926, im Alter von ca. 70 Jahren noch einmal umfassend in einer theoretischen Auseinandersetzung. In der Schrift „Hemmung, Symptom und Angst“ und vor allem in den Nachträgen dieser Arbeit diskutierte Freud auch seine älteren Auffassungen zur Angst und zeigte die wesentlichen Veränderungen auf, die in dieser Abfassung vorgenommen wurden.

2. Psychoanalytische Theorie

Umgangssprachlich werden oft die Formen Angst, Furcht und Schreck als Synonyme verwendet. Freud unterscheidet deutlich zwischen diesen. Seiner Meinung nach bezieht sich Angst immer auf einen Zustand, steht im Zusammenhang mit Erwartungen, also zukunftsgerichtet, ist unbestimmt bzw. objektlos. Hingegen ist bei der Furcht die Aufmerksamkeit auf ein Objekt, etwa ein gefährliches Tier, gerichtet. Diese Form der Angst betitelt Freud als „Realangst“, welche er gegensätzlich der zuvor genannten „neurotischen Angst“ sieht. Der Schreck hebt die Gefahr hervor, welche nicht von der Angstbereitschaft empfangen wird, wenn also eine plötzliche Gefahrensituation auftaucht, wo sich zuvor keine Angst bilden konnte. Diesen Schreckzustand beschreibt Freud jedoch als sehr unvorteilhaft, da in jenem Moment kaum Reaktionsvermögen vorhanden ist. Die Angst sieht er folglich als Schutz vor dem Schreck an.

Wie kann man sich jedoch die Entstehung der Angst in der Psyche vorstellen? Freud unterscheidet hierbei in zwei Angsttheorien. Die „Signaltheorie“ und die „Theorie der Angstneurose“.

2.1. Theorie der Angstneurose

Die Angstneurose zählt mit der Neurasthenie (Nervenschwäche) und der Hypochondrie (Gefühl einer körperlichen/ seelischen Krankheit ohne pathologischer Grundlage) zu den Aktualneurosen. Die Eigenart jener Gruppe stellen die Symptome dar. Diese äußern sich nämlich „nicht nur vorwiegend am Körper, wie auch z.B. die hysterischen Symptome, sondern sie sind auch selbst durchaus körperliche Vorgänge, bei deren Entstehung alle die komplizierten seelischen Mechanismen, die wir kennengelernt haben, entfallen.“ (°0) In Freuds erster Angsttheorie 1894 beschreibt er die Entstehung der Angst durch die Unterdrückung unbewußter Impulse. So wird nicht entladene Libido verdrängt und in Angst umgewandelt.

In der Ätiologie der Angstneurose unterscheidet Freud Fälle mit stark heditärer Belastung und Fälle „erworbener“ Neurosen. Für die letztere Form führt er eine Reihe „ätiologisch wirksame Momente von Schädlichkeiten und Einflüssen aus dem Sexualleben aus“ (°1), wie z.B. virginale Angst, Angst der Neuvermählten u.ä..

Eine erworbene Neurose tritt demnach bei Menschen auf, welche frustranen Erregungen ausgesetzt sind, wo also die sexuellen Erregungen durch ein unbefriedigendes Sexualleben keine notwendige Abfuhr erfahren. Als Folge dessen schwindet die libidinöse Erregung und Angst tritt an deren Stelle.

Weiterhin unterscheidet Freud zwischen reinen Angstneurosen und gemischten Neurosen. Bei den letzteren läßt sich eine „Vermengung mehrerer spezifischer Ätiologien nachweisen“ (°2). Gemischte Neurosen stellen eine Symptomkombination aus reiner Angstneurose und anderen Neurosen (Neurasthenie, Hysterie und Zwangsvorstellungen) dar.

Jeder der vier Neurosen schreibt Freud eine andere sexuelle Ätiologie zu, die sich von unbewussten sexuellen Erlebnissen in der Kindheit herleiten lässt.

Freud prägte den Begriff „Angstneurose“, weil eine solche Angst aus innerer Erregung eine neurotische ist und chronisch verläuft. Der Affektzustand der Angst dagegen ist die Reaktion auf einen äußeren Reiz (Gefahr) und ein „rasch vorübergehender Zustand“.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.2. Signaltheorie der Angst

Die Signaltheorie Freuds stellt die Angst als eine Warnung vor einer antizipierten (gedanklich vorweggenommenen) Gefahr dar. Außerdem sieht Freud diese als Voraussetzung der Verdrängung und anderer Abwehrmechanismen an. Die drei Instanzen des psychischen Apparates sind die Voraussetzung für die Existenz dieser Theorie. Das Ich stellt eine vermittelnde Organisation zwischen den Forderungen von Es , Über-Ich und Realität dar und ist außerdem direkte Angststätte. Bei einer Konfliktsituation mit den drei Instanzen produziert das Ich Angst.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Formen der Angst:

① Die Realangst ist die Reaktion auf eine Wahrnehmung einer äußeren, bedrohlichen Gefahr, von der eine Schädigung erwartet wird. In den meisten Fällen ist sie mit einem Fluchtreflex gekoppelt, welcher als eine Äußerung des Selbsterhaltungstriebes verstanden werden darf. Dieses Angstauftreten hängt jedoch mit unter vom Stande unseres Wissens ab. Bei „unzivilisierten“ Völkern ließe sich dies sehr gut beobachten. Diese Menschen hätten vielleicht vor einem Hochhaus oder einem Fahrzeug Todesangst, würden aber nicht reagieren, wenn man eine Waffe auf sie richtet.

Genau das Gegenteil kann man erkennen, wenn man sich ältere, erfahrenere Menschen anschaut. Sie sind in der Lage viele Situationen besser einzuschätzen, was jedoch nicht immer von Vorteil sein muss.

② Gerät das Ich in Konflikt mit dem Es, so entsteht die Es-Angst. Dieser Konflikt bildet sich durch das kompromißlose Drängen des Es nach Triebbefriedigung, dem das Ich jedoch nicht nachgeben kann. Gibt das Es seinen Anspruch nicht auf, so kommt es zur Störung des inneren Gleichgewichts und es wird Angst gebildet. Diese bezeichnet Freud als neurotische Angst. Das Ich behandelt die vom Es ausgehende Gefahr wie eine Äußere und versucht durch Verdrängung vor dieser zu fliehen. Dabei leitet das Ich die unerwünschten Es-Impulse an das Unterbewußtsein weiter. Mißlingt dieser Versuch, verharrt das Es also auf die Triebbefriedigung, so kommt es zur Gegenbesetzung, d.h. einer dauernden Verdrängung bzw. Abwehr des entsprechenden Impulses. Als Folge dieser treten neurotische Leiden auf. Hier kann man erkennen, dass Freud die Angst als Zentralproblem der Neurose angesehen hat. Die Krankheit entsteht jedoch nicht als Folge des Konflikts, sie ist vielmehr das Ergebnis der unzureichenden Maßnahme der Angstbewältigung vom Ich aus.

③ Die Über-Ich-Angst / Gewissensangst entsteht durch den Konflikt zwischen Ich und Über- Ich. Dieser ist das Resultat, wenn das Über-Ich Einwände gegen bestimmte Triebwünsche erhebt. Es ist die Angst vor Bestrafung, welche vom Ich als Schuld- oder Schamgefühl erlebt wird.

Die Angst scheint uns anfangs rationell, begreiflich, doch genau das Gegenteil ist der Fall.

Durch diese wird ein kühles Abschätzen der Gefahr erschwert bzw. verhindert. Wenn die Angst sogar so groß ist, dass eine Lähmung eintreten könnte, so erweist sie sich durchaus als sehr unzweckmäßig.

Die eigentliche Reaktion auf eine Gefahr besteht aus der Vermengung von Angstaffekt und Abwehrreaktion. Dadurch kann sich die Angst auf zwei verschiedene Arten äußern. Zum Einen ist es möglich, dass eine Art Bereitschaft auf die Gefahr eingestellt wird, was eine gesteigerte sensorische Aufmerksamkeit und motorische Spannung mit sich bringt. Dieser erzielte Effekt des Gefasstseins wirkt sich vorteilhaft auf die Situation aus.

Zum Anderen kann eine motorische Aktion ausgelöst werden, so zum Beispiel die Flucht oder eine tätige Abwehr auf höherer Stufe. Es stellt sich ein Angstzustand ein. Die Angstbereitschaft wird hier als zweckmäßig, die Angstentwicklung als zweckwidrig angesehen.

3.Abwehrmechanismen

Wie bereits angedeutet ist das Bilden von Angst eine Reaktion des Ich, einen intrapsychischen Konflikt zu verringern und Unlust zu vermeiden. Realangst kann in den meisten Fällen entweder durch Flucht oder durch direkte Abwehr beseitigt werden. Die Abwehrmechanismen, von welchen hier die Rede ist, sind jedoch eher unbewußte Strategien des Ich, um sich vor Triebansprüchen zu schützen. Sie dienen der Aufrechterhaltung des inneren Gleichgewichts. Um die Angst „bewältigen“ zu können, wird die Realität in gewisser Weise verändert, sodas die Abwehrmechanismen sich dieser anpassen können. Hier kann man jedoch erkennen, dass diese Angstbewältigungsmaßnahmen von unzureichender Qualität sind. Es ist jedoch normal, wenn sich dass Ich dieser Abwehrreaktionen bedient, um eventuell zu Neurosen führende Konflikte zu lösen, dies muss nur in einem eingeschränkten Rahmen passieren.

Nun kann man in einzelne Abwehrmechanismen unterteilen:

① Verdrängung

② Regression

③ Reaktionsbildung

④ Isolierung

⑤ Ungeschehenmachen

⑥ Projektion

⑦ Introjektion

⑧ Wendung gegen die eigene Person

⑨ Verkehrung ins Gegenteil und

⑩ Sublimierung.

Ich werde diese kurz an dem Beispiel der Geschwisterrivalität darstellen. Der psychoanalytischen Theorie nach zu urteilen besitzen eifersüchtige Kinder den Wunsch, ihre Geschwister zu beseitigen.

Abwehrmechanismen sind hier eine Reaktion auf diesen beängstigenden Triebimpuls.

Zu①: Verdrängung

Sie nimmt eine spezielle Position unter den Abwehrmecheanismen ein. Wie bereits erwähnt, werden bei diesem Vorgang unerwünschte Es-Impulse ins Unterbewußtsein weitergeleitet.

Zu ②:Regression

Es lässt sich schon aus dem Namen schlussfolgern, dass es sich hier um eine Rückentwicklung handelt. Die Psyche der betroffenen Person wird dabei in ein früheres Entwicklungsstadium zurückversetzt und zeigt entsprechend unreifere Verhaltensmuster auf. Damit wird der Versuch unternommen, der gegenwärtigen Angst zu entgehen. Bei Kindern würde sich dies durch erneutes Einnässen als Reaktion auf den vermeintlichen Liebesverlust der Eltern bemerkbar machen.

Zu ③: Reaktionsbildung

Gefühle werden dabei in ihr Gegenteil umgewandelt - so würde ein eifersüchtiges Kind sein Geschwister mit übermäßiger Liebe behandeln, aus Angst unangenehmen Impulsen (etwa Haß) nachgeben zu können.

Zu ④: Isolierung

Bei diesem Vorgang wird versucht, einen unlustbereitenden Gedanken von den vorangegangenen bzw. nachfolgenden abzutrennen. Der isolierte Gedanke herrscht sodann im Unterbewußtsein vor, da er unter normalen Umständen keine Verbindung mehr zum psych. Geschehen der Person hat.

Zu⑤: Ungeschehenmachen

„... ist ein Mechanismus, der die Wirkung eines für das Ich gefährlichen Es-Impulses rückgängig machen will.“ (°3) Diese Gedanken, ob sie nun feindseliger oder sexueller Hinsicht sind könnten anderen Schaden zufügen. Der Grundgedanke dieses Abwehrmechanismus ist, dass man eine aggressive Handlung gegenüber einer Person durch gegenteiliges Verhalten wieder aufheben kann.

So wird ein Kind, welches das Spielzeug des Geschwisters zerstört hat versuchen, diese Tat durch Küssen und Streicheln wieder gut zu machen.

Zu ⑥: Projektion

Dabei werden eigene Wünsche und Gedanken, welche man an sich nicht akzeptiert und als angsteinflößend empfindet auf andere Personen bzw. Objekte übertragen. Die Angst die man eigentlich vor seinen eigenen Gedanken hat wird nun an der Umwelt bekämpft. Eine Art Paradebeispiel bildet folgende Bemerkung eines Kindes: „Ich ärgere doch gar nicht, meine Schwester ärgert immer!“

Zu ⑦: Introjektion

...stellt die Einverleibung fremden Gedankenguts dar, also eine Identifizierung mit diesem. Die Introjektion ist ein wichtiger Faktor, welcher zur Ich-Entwicklung beiträgt. Dabei nimmt ein Mensch die Gedanken oder Verhaltensweisen einer, meist libidinös besetzten Person aus seiner Umgebung an.

Damit zum Beispiel ein Kind die Vorstellung introjiziert, sein Geschwister lieben zu müssen, kann es sich unbewusst mit der Mutter oder dem Vater identifizieren

Zu ⑧: Wendung gegen die eigene Person

Dieser Abwehrmechanismus stellt eine Autoaggression dar, d.h. die Triebimpulse richten sich gegen die eigene Person. Ein Kind würde sich demzufolge in Form von Beißen oder Schlagen Schaden zufügen, wenn es sich durch ein Geschwister vernachlässigt fühlt und dadurch aggressive Wünsche gegen seine Eltern hegt.

Zu ⑨: Verkehrung ins Gegenteil (=Identifikation mit dem Aggressor)

Diese Form wird als eine Verarbeitung unlustvoller oder traumatischer Erlebnisse (meist aus der Kindheit) angesehen. Dabei wird Passivität in Aktivität umgewandelt. Durch Introjektion von Anteilen des Angstobjekts und Imitation des Angreifers versucht das Kind seine Angsterlebnisse direkt zu verarbeiten. Es verwandelt sich vom Bedrohten zum Bedroher. Zum Beispiel könnte ein Kind, welches von den Eltern geschlagen wird sich mit diesen identifizieren und nun selbst seine(n) Schwester/ Bruder schlagen.

Zu ⑩: Sublimierung

Dieser Abwehrmechanismus nimmt eine Sonderstellung unter den anderen ein. Es werden ursprüngliche Triebimpulse in sozial akzeptierte Aktivität kanalisiert, was nach Freuds Theorie eine Voraussetzung für das Bestehen von Kultur darstellt. Dabei handelt es sich um eine Ersatzhandlung, die unbewusste Triebimpulse befriedigt, gleichzeitig gesellschaftlich anerkannt ist.

Die meisten Angstabwehrstrategien treten in der frühen Kindheit auf, wo das Ich noch nicht sehr stark ausgeprägt ist - hauptsächlich in der ödipalen oder prä-ödipalen Phase.

4. Angstentwicklung

Es stellt sich natürlich zuerst die Frage: Was bildet den Ursprung der Angst - ist dieser vielleicht genetisch festgelegt oder wird er durch das Leben geprägt? Freud ist der Auffassung, Angst entsteht durch das erleben einer Urangst, die sich im Geburtsakt unweigerlich entwickelt. Die Geburt erlebt das Kind als ein Trauma (auch Urtrauma), wo die Reizsteigerung bewirkt, dass sich bestimmte Bahnen für die Abfuhr der Angst bilden. Im späteren Leben ist Angst eine Reproduktion des Gefahrenzustandes der Geburt. Die erlebte Angst während der Geburt entsteht automatisch - Freud nennt sie daher „automatische Angst“. Das charakteristische dieser Angstform ist, dass das Ich keine Macht über die Reize aus Es, Über-Ich oder in dieser Situation Realität gewinnen kann. Im Laufe der Entwicklung (einhergehend mit der Entwicklung der Instanzen Ich und Über-Ich) wandelt sich die automatische Angst zunächst in „Signalangst“ um. Dabei wird das Ich befähigt, selber Angst zu bilden, was die Voraussetzung für einen neurotischen Konflikt darstellt. Der Inhalt der Gefahr verschiebt sich von der „ökonomischen Situation des Fötus zur Mutter hin“ zum Objektverlust (der Mutter). Eine weitere Wandlung der Angst findet in der phallischen Phase statt, wo aufgrund des Ödipuskomplexes Kastrationsangst erlebt wird. Die Kastrationsangst enthält, so Freud, nach der Geburt ein weiteres Moment der Trennungsangst, nämlich die vom Genital. Durch die stärker werdende Macht des Über-Ichs wandelt sich am Ende der phallischen Phase die Kastrationsangst um zur „Gewissensangst oder sozialen Angst“. Letztlich entsteht Todesangst aus Angst vor dem Über-Ich.

Die automatische Angst ist typisch für die Kindheit, wenn das Ich noch nicht genügend ausgebildet ist, sie existiert jedoch auch im Erwachsenenalter. Dabei sind die Abwehrmechanismen von großer Bedeutung, da das Ich noch nicht stark genug ist, Konflikte anders zu lösen. Sind diese Ängste zu stark, kann das Ich also den abgewehrten Triebimpuls nicht mehr unter Kontrolle bringen, so zeigen sich schon im Kindheitsalter erste Symptome einer Neurose.

5. infantile Angst

Freud sieht den Ursprung der Nervosität wie bereits angedeutet in der Kindheit. Dies scheint auch jedem verständlich, da wir eine Neigung dazu besitzen, Kinder im allgemeinen als ängstlich darzustellen, bedingt durch ihre Minderwertigkeit, da sie so schwach und hilflos erscheinen. Es wirkt also so auf uns, als wenn Kinder im allgemeinen zur Realangst tendieren. Es gibt natürlich verschiedenartige Kinder, weniger oder mehr empfänglich für Angst. Freud ist der Auffassung, „dass gerade die Kinder, welche eine besondere Scheu vor allen möglichen Objekten und Situationen äußern, sich späterhin als Nervöse erweisen.“(°4). Daraus lässt sich schließen, dass Kinder, welche sehr stark zur Realangst neigen, mit einer hohen Wahrscheinlichkeit später unter neurotischen Symptomen leiden. Freud bringt hier als Begründung ein, dass sie sich später auch vor der Höhe ihrer Libido ängstigen werden, da sie sowieso vor Allem Angst entwickeln.

Die Realangst der Kinder, von der hier ausgegangen wird, müsste durch das Minderwertigkeitsgefühl entstehen, unter welchem die Kinder leiden. Diese Voraussetzung ist jedoch nicht gegeben. Bei näherer Betrachtungsweise fällt sogar auf, das Gegenteiliges der Fall ist. Kinder überschätzen sich leicht, da sie die Gefahren noch nicht kennen - sie spielen an Flüssen, hohen Mauern,

Doch fürchten sich beispielsweise kleinere Kinder vor fremden Personen oder der Dunkelheit. Der Grund des erstgenannten Phänomens liegt in dem ungewohnten Anblick des Menschen, der eine Enttäuschung und Sehnsucht bei dem Kind, das an die Mutter gewöhnt war auslöst. Hier wird die unverwendbar gewordene Libido (Verlangen nach der Mutter) in Angst umgewandelt, also eine Signalangst. Das kleine Kind entwickelt eine Art Realangst, welche der Entstehung nach (unverwandte Libido) mit der neurotischen Angst vergleichbar ist. Eine direkte Realangst existiert beim Kinde jedoch nicht. Diese wird dem Wissensstand entsprechend gebildet. In der Kindheit ist es eine Frage der Erziehung. Die Eltern sagen dem Kind, wovor man sich fürchten sollte, da es in diesem Fall kaum selber Erfahrungen machen kann.

Bedarf das Kind nun von Geburt an einer größeren libidinösen Zuwendung oder ist mit dieser übermäßig „verwöhnt“ worden, so kommt es der Erziehung in Hinsicht auf die Angst wahrscheinlich ein Stück entgegen und findet schließlich noch selber Gefahren, vor denen es nicht gewarnt wurde. Unter diesen befinden sich auch die späteren „Nervösen“ (wie Freud die Neurotiker zu nennen pflegte), da die Libido so stark ausgebildet ist, dass das Ich dem Anspruch auf Triebbefriedigung wahrscheinlich nicht lange standhalten kann. Zusammenfassend lässt sich sagen:

„Die infantile Angst hat sehr wenig mit der Realangst zu schaffen, ist dagegen der neurotischen Angst der Erwachsenen nahe verwandt. Sie Entsteht wie diese aus unverwandter Libido und ersetzt das vermisste Liebesobjekt durch einen äußeren Gegenstand oder eine Situation.“

6. Anwendung am Beispiel der Zwangsneurose

Bei seiner Arbeit als Psychoanalytiker wurde Freud oft mit Fällen von Zwangsneurose konfrontiert. Bei dieser Form der Psychoneurosen spielt die Angst durchaus eine wichtige Rolle. Um später näher auf das Wesen dieser Krankheit eingehen zu können werde ich mich vorerst einem Fall widmen, welchen Freud in seiner frühen Arbeit als Psychoanalytiker bearbeitet hatte (°6). Dabei handelte es sich um eine 30 Jahre alte Dame, welche seit einem gewissen Erlebnis unter schweren Zwangshandlungen litt. Freud beschreibt diese folgendermaßen: „Sie lief aus ihrem Zimmer in ein anderes nebenan, stellte sich dort an eine bestimmte Stelle bei dem in der Mitte stehenden Tisch hin, schellte ihrem Stubenmädchen, gab ihr einen gleichgültigen Auftrag oder entließ sie auch ohne solchen und lief dann wieder zurück.“. Dieser Ablauf scheint relativ harmlos, sogar alltäglich, doch muss gesagt werden, das jene Frau diesen mehrmals täglich und bis ins Detail genau wiederholt. Außerdem spielen andere Komponenten als die genannten eine weitere Rolle.

Ich erwähnte bereits, dass die genannte Zwangshandlung aus einem Vorkommnis entstanden war - die Hochzeitsnacht der Patientin. In jener erwies sich ihr Gatte als impotent. Nach einigen Versuchen, wo er zwischendurch immer von seinem Zimmer in das der Frau gelaufen war, schüttete er rote Tinte auf das Laken des Bettes , um sein Versagen nicht vor dem Stubenmädchen zu offenbaren, welches am Morgen die Betten machen würde.

Dieses Verhalten versuchte nun die Frau zu imitieren, setzt es fort und korrigiert es, indem sie den Fleck auf dem Bettuch, den ihr Mann an einer sehr ungünstigen Stelle plaziert hatte, mit einem solchen auf der Tischdecke ersetzte. Jedesmal, wenn sie das Stubenmädchen rief, war dieser von ihr nicht zu übersehen. Mit dieser Korrektur macht sie jedoch auch die Impotenz ihres Mannes und damit die Enttäuschung in jener Nacht ungeschehen. Obwohl sie zum Zeitpunkt der Behandlung schon lange Zeit auf ihren Wunsch hin von ihrem Mann getrennt wohnte, war sie dennoch von ihm abhängig. Sie versuchte ihn zu schützen, außerdem lebte sie völlig isoliert von der Außenwelt, um ihm möglichst treu zu bleiben. Sie „entschuldigt und vergrößert sein Wesen in ihrer Phantasie“.

Nun sind jedoch Zwangsneurosen selten solcher Art. Zum einen war der betroffenen Frau ihre Lage durchaus bewusst und Freud schilderte, dass sie selbst sehr schnell den Grund für ihr Leiden gefunden hatte, was sehr selten auftritt. Zum anderen gehen Zwangsneurosen in den meisten Fällen auf eine fehlerhafte Entwicklung der psychischen Instanzen in der Kindheit zurück und nicht wie hier auf ein Ereignis im späteren Leben.

Die Ausgangssituation der infantilen Neurose bildet eine Art Hysterie während der phallischen Phase, wo die libidinösen Ansprüche des Ödipus-Komplexes eine notwendige Abwehr erfahren. Das Ich versucht nun mittels Regression und Verdrängung (Gegenbesetzung) die Triebansprüche des Es abzuwehren, was einen wichtigen Faktor für den weiteren Verlauf der Zwangsneurosen darstellt.

Durch die regressive Erniedrigung des Ödipus-Komplexes bekommt das Über-Ich einen gewissen Machtanspruch, wodurch Triebansprüche immer mehr untersagt werden. Jungen droht nun ein Verlust ihrer Männlichkeit, was Freud als „Kastrationskomplex“ bezeichnet. In diesem Entwicklungsstadium ist ein solcher in gewisser Weise normal, wird bei der Zwangsneurose jedoch übertrieben.

Der Ödipus-Komplex spielt also die Rolle des Abgewehrten und der durch das Über-Ich suggerierte Kastrationskomplex wird zum Motor der Abwehr.

Es kommt zur Reaktionsbildung im Ich, als neuer Abwehrmechanismus gegen die Regression und Verdrängung. Die Symptome, welche hierbei in der Kindheit auftreten werden meist im Erwachsenenalter fortgeführt - sie bilden den allgemeinen Charakter des späteren Zeremoniells.

Bis zur Pubertät tritt eine gewisse Ruhezeit in der Sexualität ein. Von nun an setzt sich jedoch der Kampf des Über-Ich gegen die Sexualität in sehr extremer Form fort. Die Abwehr des vom Über-Ich stark beeinflussten Ich wird so groß, dass es die eigentlichen Triebregungen, die es verdrängt nur noch in entstellter Form wahrnimmt und diesem die Aggressionen von Seiten des Es als „bloßer Gedankeninhalt“ erscheinen. Das Ich hat eine deutliche Veränderung seiner Selbst erfahren. Es dient nicht mehr als Kopplung zwischen den Instanzen, sondern hat sich vielmehr dem Über-Ich unterworfen bzw. dessen Charakter angenommen. Die Folge ist eine fast vollständige Libidoabwehr. Durch diese gerät das Ich jedoch in eine Konfliktsituation. Auf der einen Seite „empfindet“ es seine Abwehrreaktion als berechtigt, auf der anderen Seite wird es aufgrund dieser jedoch vom Über-Ich beschuldigt. In manchen Fällen versucht das Ich sich der Kritik des Über-Ich zu entziehen. Es kommt jedoch auch vor, dass bei einer Zwangsneurose ein solches Schuldgefühl des Ich nicht auftaucht.

Es muss jedoch, wie Eingangs am Beispiel der Zwangsneurotikerin angedeutet, der Ursprung der Zwangsneurose nicht immer eine fehlerhafte Entwicklung der psychischen Instanzen in der Kindheit sein. Ebenso ist es möglich, dass ein traumatisches Erlebnis, welches von der betroffenen Person nicht vollständig bzw. gar nicht verarbeitet wurde zum Auftreten dieser Krankheit führt.

Die vom Ich gebildeten Symptome können verschiedener Art sein, sie äußern sich entweder in Form von Verboten, Vorsichtsmaßnahmen und Bußen, oder als symbolische Ersatzbefriedigungen. Letztere nehmen im Verlauf der Krankheit mehr und mehr Überhand. Es ist als eine Art Triumph der Symptombildung anzusehen, wenn das gestellte Verbot durch eine entsprechende Befriedigung abgelöst wird. So wird zum Beispiel das Verbot, Kontakt mit anderen Menschen zu pflegen (aus Angst vor Infizierung) durch die Befriedigung einer meist übertriebenen Reinlichkeit ersetzt, also eine Art des „Ungeschehenmachens“. Dies ist jedoch ein sehr roher Fall - in extremeren können die Symptome einen sehr antithetischen Charakter aufweisen, was die Macht der Ambivalenz, einen für die Zwangsneurosen sehr bedeutenden Faktor zeigt.

Es fällt auf, dass bei dieser Form der Neurosen die Angstentwicklung scheinbar keine Rolle spielt, Zwangsneurotiker wirken sogar angstfrei. Doch zeigt dieser Sachverhalt nur die Situation auf, welche mit der Symptombildung gekoppelt ist. Hindert man einen Patienten an der Ausübung seines Zeremoniells, so kann man mitverfolgen, wie er in kürzester Zeit von Panik befallen wird. Die Symptome, die das Ich vor Triebansprüchen schützen erzielen demzufolge einen weiteren Effekt, die Angstentwicklung zu unterbinden.

An diesen Erläuterungen kann man bereits erkennen, wie mannigfaltig die Ausprägungen der Zwangsneurosen sind. Ich möchte deshalb an dieser Stelle nicht weiter auf das Wesen jener eingehen.

7. Quellennachweis

Literatur:

Freud, S. Essays/ 1

Freud, S. Essays/ 3

Freud, S. Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1930). Wien, Internationaler Psychoanalytischer Verlag.

Freud, S. Darstellungen der Psychoanalyse (1969). Frankfurt/ Main, Fischer Bücherei

Freud, S. (1995). Hemmung, Symptom und Angst. Leipzig, Wien, Zürich: Internationaler Psychoanalytischer Verlag.

Freud, S. (1895). Über die Berechtigung, von der Neurasthenie einen bestimmten Symptomenkomplex als „Angstneurose“ abzutrennen. Neurologisches Zentralblatt.

Sörensen, Maren. Einführung in die Angstpsychologie. Deutscher Studienverlag

Zitate:

-0: Freud, S. „Vorlesungen zur Einführung...“: 3/ 24 (S. 370)
-1: Freud, S. „Über die Berechtigung, von der Neurasthenie...“: 14(2), 50-66
-2: ~
-3: Sörensen, Maren
-4: Freud, S. „Vorlesungen zur Einführung...“: 3/ 25
-5: ~
-6: Freud, S. „Essays 3“

Ende der Leseprobe aus 10 Seiten

Details

Titel
Angst in der psychoanalytischen Betrachtung Sigmund Freuds
Note
noch nicht
Autor
Jahr
2000
Seiten
10
Katalognummer
V97166
ISBN (eBook)
9783638098410
Dateigröße
961 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Angst, Betrachtung, Sigmund, Freuds
Arbeit zitieren
Bianca Reichel (Autor:in), 2000, Angst in der psychoanalytischen Betrachtung Sigmund Freuds, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97166

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