Essay versus Short Story: Ein Vergleich von zwei Alice Walker-Texten: "The Civil Rights Movement - What Good Was It?" und "Advancing Luna - and Ida B. Wells"


Hausarbeit (Hauptseminar), 1999

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. EINLEITUNG

2. BETRACHTUNG
2.1. ESSAY: ‘THE CIVIL RIGHTS MOVEMENT: WHAT GOOD WAS IT?’
2.2. STRATEGIEN DES ESSAYS
2.3. SHORT STORY: ‘ADVANCING LUNA - AND IDA B. WELLS’
2.4. CHARAKTERISTIKA DER SHORT STORY UND VERGLEICH MIT DEM ESSAY

3. ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSBEMERKUNG

4. LITERATUR
4.1. PRIMÄRLITERATUR
4.2. SEKUNDÄRLITERATUR

1. EINLEITUNG

1981 erschien Alice Walkers Short Story-Sammlung You Can’t Keep A Good Woman Down[1] mit der Geschichte ‘Advancing Luna - and Ida B. Wells’, die in den siebziger Jahren entstanden ist, wie man dem Schlusskapitel der Geschichte entnehmen kann. 1984 kam die Anthologie In Search of Our Mothers’ Gardens[2] heraus , eine Sammlung von Aufsätzen, Artikeln und Reden, die den Essay ‘The Civil Rights Movement: What Good Was It?’ enthält. Walker weist in einer später hinzugefügten Vorbemerkung darauf hin, dass er im Winter 1966-67 entstand (Gardens, 119).

Obwohl die Texte verschiedenen Gattungen zugerechnet werden, wirken sie nah verwandt. Abgesehen von der offensichtlichsten Gemeinsamkeit, dass sie sind von der gleichen Autorin stammen, erzählen sie beide in der ersten Person, wirken stark autobiographisch und behandeln die sechziger Jahre in den USA. Sie haben ein gemeinsames zentrales Thema: die schwarze Bürgerrechtsbewegung, (Civil Rights Movement[3] ). Beide Texte befinden sich in einer ‘boundary zone’ (Hesse[4], 85), denn sie nähern sich dem jeweils anderen Genre an. Die narrativen Elemente des Essays rücken ihn in die Nähe der Short Story, die Short Story hat durch ihre metafiktionalen, reflektierenden Abschnitte Essay-Qualität.

Die beiden Darstellungen haben ganz unterschiedliche Perspektiven auf die Bürgerrechtsbewegung und die black community. Sie unterscheiden sich in ihrem Ansatz, unangenehmen Wahrheiten auf die Spur zu kommen und Selbstkritik zu üben. Essay und Short Story sollen sowohl formal als auch inhaltlich darauf hin verglichen werden, welche Selbst- und Fremdbilder sie vermitteln. Dafür werde ich beide Texte vorstellen, analysieren und gegenüber stellen.

2. BETRACHTUNG

2.1. ESSAY: ‘THE CIVIL RIGHTS MOVEMENT: WHAT GOOD WAS IT?’

Es handelt sich hier um einen persönlichen Essay, der das essayistische Ich zum Subjekt seiner Ausführungen macht. Das Geschlecht des essayistischen Ichs ist an keiner Stelle benannt und auch nicht eindeutig zu identifizieren. Auch die narrativen, persönlich und autobiographisch wirkenden Erfahrungsberichte könnten von einem Mann oder von einer Frau stammen. Nur die Tatsache, dass es sich um sehr persönliche und authentisch wirkende Erlebnisse handelt, verleitet dazu, ‘I’ mit Alice Walker gleichzusetzen. Trotzdem ist davon auszugehen, dass sie ihre persönlichen Erlebnisse „inszeniert“, d. h. so präsentiert und interpretiert, dass sie ihrem Anliegen dienen.

Der Titel suggeriert, dass die Civil Rights Movement der Geschichte angehört und dass man jetzt Bilanz ziehen kann (‘What Good Was It?’). Der Ansatzpunkt der Argumentationlinie ist, dass die Bewegung wirklich für einige Menschen tot ist bzw. von ihnen getötet wird: ‘it is killed by the press and made dead and buried by the white American public. [...] White liberals and deserting Civil Rights sponsors’ (Gardens, 120) sind sogar der Meinung, sie sei gescheitert:

They then list statistics supposedly showing how much more advanced segregation is now than ten years ago […]. They speak of ghetto riots and of the survey that shows that most policemen are admittedly too anti-Negroe to do their jobs in ghetto areas fairly and effectively. They speak of every area that has been touched by the Civil Rights Movement as somehow or other going to pieces. (Gardens, 120).

Der Essay argumentiert gegen diese negative Einschätzung mit den persönlichen Erfahrungen einer Schwarzen, um zu zeigen, dass die Bewegung der Lebensnerv der Afro-Amerikaner ist.

Die Essayistin beschreibt Kindheitserlebnisse aus den fünfziger Jahren, als ihre Mutter Hausmädchen bei einer weißen Familie war, dort Fernseh-Seifenopern sieht und dabei „lernt“, die weiße Kultur für überlegen zu halten. Sie war nicht darüber entrüstet, in den Medien nur als untergeordnete Randfigur vorzukommen, sondern wünschte sich, genauso zu sein wie die, die sie im Fernsehen sah: ‘She subordinated her soul to theirs and became a faithful and timid supporter of the “Beautiful White People“’ (Gardens, 123). Dagegen steht ihre eigene kindliche Unlust, sich von der Bewunderung der Mutter anstecken zu lassen und ihre heute noch spürbare traurige Wut über deren Anpassung an weiße Weltbilder. Dann folgt der Moment ihrer „Erweckung“, die sie in einer religiös gefärbten Sprache beschreibt: 'I waited to be called to life. And by miracle, I was called’ (Gardens, 122). Und:

‘Six years ago, after half-heartedly watching my mother’s soap operas and wondering whether there wasn’t something more to be asked of life, the Civil Rights Movement came into my life. Like a good omen for the future, the face of Dr. Martin Luther King Jr., was the first black face I saw on our new television screen.’ (Gardens, 124).

Die Essayistin verdeutlicht die revolutionäre Veränderung, die King in den Köpfen und Herzen der Schwarzen verursacht hat. Er war der erste schwarze Held, den sie bewundern und mit dem sie sich identifizieren kann. King steht für ein paar einfache, aber umwälzende Wahrheiten:

What Dr. King promised was not a ranch-style house and an acre of manicured lawn for every black man, but jail and finally freedom. He did not promise two cars for every family, but the courage one day for all families everywhere to walk without shame and unafraid on their own feet. He did not say that one day it will be us chasing prospective buyers out of our prosperous well-kept neighbourhood, or in other ways exhibiting our snobbery and ignorance as all other ethnic groups before us have done; what he said was that we had a right to live anywhere in this country we chose, and a right to a meaningful well-paying job to provide us with the upkeep of our homes. He did not say we had to become carbon copies of the white American middle class; but he did say we had the right to become whatever we wanted to become. (Gardens, 124-25).

King verkörpert den Glauben, dass man vielleicht doch über ein Schattendasein in dieser Gesellschaft hinauskommen, dass man eine eigene Identität und Wertvorstellungen erwerben kann: ‘Because of the Movement, [...] I have fought harder for my life and for a chance to be myself, to be something more than a shadow or a number, than I had ever done before in my life. Before, there had seemed to be no real reason for struggling [...]’. (Gardens, 125). Die Bewegung hat also für grundlegende Veränderungen im schwarzen Selbstverständnis gesorgt und viele Hoffnungen erfüllt.

Sie geht auf die Kritik von ‘hippies and other nihilists’ (Gardens, 126) ein, die die Bewegung kritiserten, weil sie die Schwarzen ermutige, weißen bürgerlichen Wertvorstellungen nachzueifern

Once they have their rights, they say, they will run all over themselves trying to be just like everybody else. They will be [...] emotionless [...]. “What has the Movement done“, they ask, “with the few people it has supposedly helped?“ “Got them white-collar jobs, moved them into standardized ranch houses in white neighbourhoods, given them nondescript grey flannel suits?“ (Gardens, 126).

Gegen diese Kritik hat Walker eine Menge vorzubringen. Sie argumentiert, dass es nicht vorrangig sei, wie die Schwarzen ihr Leben gestalten, sobald sie die Wahl hätten. Wichtiger sei, dass sie überhaupt die Wahl dazu hätten. In diesem Zusammenhang erklärt sie, dass man der Entwicklung vorgreifen würde, wenn man ihnen eine zu bourgeoise Lebensweise vorwerfe. Die Probleme der Afroamerikaner seien immer noch viel elementarer. In vielen Gebieten herrsche schlicht und ergreifend Hunger und nackte Existenzangst: ‘I went to school with children who ate red dirt’ (Gardens, 127).

Laut Walker zielt die Kritik der Hippies darauf ab, dass die Bürgerrechtsbewegung nicht revolutionär genug sei und keine Gegenentwürfe zum überkommenen American way of life anbiete, sondern sich nur bemühe, den Schwarzen einen Anteil daran zu erkämpfen. Darum sei sie eher schädlich als nützlich. Darauf entgegnet Walker: ‘The lack of a movement, however, did not keep my mother from wishing herself bourgeois in her daydreams.’ (Gardens, 126).

Die Erzählerin zeigt eindringlich, dass die Civil Rights Movement nicht um weiße, bürgerliche Wertvorstellungen kämpfe, sondern um fundamentale Verbesserungen. Sie verteilt Seitenhiebe auf die Hippies, die sich in Drogen flüchten, was sich Schwarze nicht leisten könnten. Die Schwarzen aber müssten wach bleiben und kämpfen:

The Movement has prodded and pushed some liberal senators into pressuring the government for food so that the hungry may eat. Food stamps that were two dollars and out of reach of many families not long ago have been reduced to fifty cents. The price is still out of reach of some families, and the government, it seems to a lot of people, could spare enough free food to feed its own people. It angers people in the Movement that it does not; they point to the billions in wheat we send free each year to countries abroad. Their government’s slowness while people are hungry, its unwillingness to believe that there are Americans starving, its stingy cutting of the price of food stamps, make many Civil Rights workers throw up their hands in disgust. But they do not give up. They do not withdraw into the world of psychedelia. They apply what pressure they can to make the government give away food to hungry people. They do not plan so far ahead in their disillusionment with society that they can see these starving families buying identical ranch-style houses and sending their snobbish children to Bryn Mawr and Yale. They take first things first and try to get them fed [meine Betonung]. (Gardens, 126-27).

Noch einmal stellt sie die Hippies als naiv dar, als naive, verwöhnte Mittelstandskinder dar, die wenig von den Problemen der Schwarzen verstünden und sich mit psychedelischen Drogen die Sicht vernebelten:

I think there are so few Negroe hippies because middle-class Negroes, although well fed, are not careless. They are required by the treacherous world they live in to be clearly aware of whoever or whatever might be trying to do them in. They are middle-class in money and position, but they cannot afford to be middle-class in complacency. They distrust the hippie movement because they know that it can do nothing for Negroes as a group but “love“ them, which is what all paternalists claim to do. And since the only way Negroes can survive (which they cannot, unfortunately, on love alone) is with the support of the group, they are wisely wary and stay away. (Gardens, 127-28).

Civil Rights Movement und Hippie-Bewegung gehen von verschiedenen Ausgangssituationen aus:

Everyone would be surprised if the Israelis ignored the Arabs and took up “tripping“ and pot smoking. In this country we are the Israelis. Everybody who can do so would like to forget this, of course. But for us, to forget it for a minute would be fatal. “We Shall Overcome“ is just a song to most Americans, but we must do it. Or die. (Gardens, 128).

Sie beschließt ihren Essay mit einer Zusammenfassung aller Leistungen der Bürgerrechtsbewegung (vgl. Kap. 2.2) und widerlegt damit alle, die das Scheitern der Bewegung diagnostiziert oder frohlockend festgestellt hatten.

2.2. STRATEGIEN DES ESSAYS

Im gesamten Text gibt es eine Fülle von klassischen rhetorischen Mitteln zur Überzeugung des Publikums. Die Hauptzielgruppe sind die amerikanischen Schwarzen in den sechziger Jahren. Sie werden dazu aufgerufen, in ihrem Kampf um Glechberechtigung einig zu sein.

Durch die Bezugnahme auf Martin L. King macht die Essayistin deutlich, dass sie dem gewaltlosen Teil der Bewegung nahe steht. Sie geht sogar so weit, dass sie King mit der Bewegung gleich setzt und andere, radikalere Führer, wie z.B. Malcolm X[5], gar nicht erst erwähnt, sondern verdächtig tot schweigt. Ich gehe davon aus, dass sie zwischen den Zeilen auf diese Bezug genommen hat, z. B. mit der Zitierung des Vorwurfs, die Bewegung wolle die Schwarzen zu Mittelklasse-Bürgern machen. Genau diese Vorwürfe hatten radikalere Schwarzen dem gewaltlosen Widerstand um King vorgeworfen. Die Civil Rights Movement erlebte in den mittleren und späten 1960er Jahren innere Krisen. 1966 wurden die Black Panthers gegründet, die bewaffnet und zur Gegenwehr bereit waren. Schon vorher hatte die Nation of Islam andere Schwerpunkte als King gesetzt. Bei vielen war die Überzeugung gewachsen, dass Gewaltlosigkeit zu wenig politischen Druck erzeuge und nicht zum Ziel führe.

[...]


[1] Walker, Alice. ‘Advancing Luna - and Ida B. Wells’. In: You Can’t Keep A Good Woman Down. New York, 1981. 84-104. Hier verwendete Abkürzungen für Quelle und Short Story: Woman und ‘Advancing Luna’.

[2] Walker, Alice. ‘The Civil Rights Movement: What Good Was It?’. In: In Search of Our Mothers’ Gardens. London, 1984. 119-129. In dieser Arbeit verwendete Abkürzungen für Quelle und Essay: Gardens und ‘Civil Rights Movement’.

[3] Ich habe im folgenden Text den bestimmten Artikel von der deutschen Übersetzung des Wortes abgeleitet, werde mich also auf die Civil Rights Movement beziehen.

[4] Hesse, Douglas. ‘A Boundary Zone: First-Person Short Story and the Narrative Essay’. In: Lohafer, Susan und Jo-Ellyn Clasey (Hg.). Short Story Theories at a Crossroads. London, 1989. 85-105.

[5] Malcolm X war im Jahr 1965 von Schwarzen ermordet worden. Obwohl er bereits nicht mehr lebte, als der Essay erschien (1966-67), war er zum bleibenden Vorbild für eine aggressive Rhetorik geworden. Anders als King hatte er sich nicht ausdrücklich von Gewalt distanziert und war für eine strikte Abgrenzung der schwarzen von der weißen Kultur eingetreten.

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Details

Titel
Essay versus Short Story: Ein Vergleich von zwei Alice Walker-Texten: "The Civil Rights Movement - What Good Was It?" und "Advancing Luna - and Ida B. Wells"
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Anglistik und Amerikanistik)
Veranstaltung
Der Essay als Kulturkritik
Note
1,0
Autor
Jahr
1999
Seiten
27
Katalognummer
V9722
ISBN (eBook)
9783638163507
ISBN (Buch)
9783638641203
Dateigröße
627 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Essay, Short Story, Genre, Civil Rights Movement, schwarzer Feminismus, Alice Walker, Martin Luther King
Arbeit zitieren
Cornelia Neumann (Autor:in), 1999, Essay versus Short Story: Ein Vergleich von zwei Alice Walker-Texten: "The Civil Rights Movement - What Good Was It?" und "Advancing Luna - and Ida B. Wells", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9722

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