Politische Gesundheitsreformen in der Ära Margaret Thatchers


Seminararbeit, 1999

30 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Allgemeiner Überblick über das britische Gesundheitssystem 3 zu Beginn der Ära Margaret Thatchers
2.1. Die Verwaltungsstruktur des National Health Service
2.2. Leistungsangebot, Finanzierung und Fachstruktur des 4 National Health Service

3. Gesundheitspolitische Reformen in den Jahren 1979 bis 1982
3.1. Die Finanzierung des National Health Service: Steuerinstrumente, Patientenselbstbeteiligung und Steuerfinanzierung
3.2. Die Erschließung des private Gesundheitssektor und seine Folgen
3.2.1. Der Health Service Act von 1980
3.2.2. Private Krankenversicherungen
3.2.3. Private Krankenhäuser
3.2.4. Das contracting out
3.3. Die Reorganisation des National Health Service im Jahre 1982

4. Gesundheitspolitische Reformen in den Jahren 1982 bis 1985
4.1. Der Anfang des 'New Manageralism'
4.2. Die Griffith-Reform
4.2.1. Die Folgen der Griffith-Reform
4.3. Erneute contracting out-Initiative
4.4. Das buying in
4.5. Neue Steuerung der ambulanten Versorgung
4.5.1. Die Neuordnung des Verwaltungsstatus der FPCs
4.5.2. limited list- Instrument zur Senkung der Arzneimittelausgaben

5. Gesundheitspolitische Reformen in den Jahren 1985 bis 1989
5.1. Reformen in der primären Gesundheitsversorgung
5.2. Die Finanzkrise im Jahre 1987/88
5.2.1. Das Konzept der internen Märkte
5.2.2. Das Konzept des opting out
5.3. Die letzte Reform des National Health Service unter Margaret Thatcher

6. Berwertung der gesundheitspolitischen Reformen in der Ära Margaret Thatchers

7. Zeittafel der Strukturveränderungen des National Health Service in der Ära Margaret Thatchers

8. Strukturveränderungen innerhalb des National Health Service in der Ära Margaret Thatchers graphisch dargestellt

9. Abkürzungsverzeichnis

10. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Im Mittelpunkt der Betrachtung dieser Arbeit sollen die Reformen des britischen Gesund- heitssystem in der Ära Margaret Thatchers, daß heißt in den Jahren 1979 bis 1990, stehen. Da die Struktur des National Health Service (NHS) innerhalb Großbritanniens nicht ein- heitlich ist und für Schottland, Wales und Nordirland teilweise spezielle Regelungen gelten, beziehen sich nachfolgende Ausführungen ausschließlich auf den britischen Landesteil Eng- land.

Als die Konservativen im Jahre 1979 an die Macht der britischen Regierung kamen, fanden sie ein Gesundheitssystem vor, dessen Reformierung in Ansätzen zwar schon von der Vor- gängerregierung, der Labour-Partei, diskutiert und umgesetzt wurde, das aber in seinem Sys- tem und in seiner Struktur wohl funktionierte. So stellt sich dem Betrachter die Frage, warum Thatcher es für erforderlich hielt, die Inhalte und Leistungsbestandteile sowie die einzelnen Verwaltungsebenen des NHS zu reformieren und auf welchem Wege und mit welchen Mitteln dieses bewältigt wurde.

Der vorliegende Text soll keinen Vergleich des britischen Gesundheitssystems mit den Ge- sundheitssystemen anderer Länder leisten, sondern einen möglichst umfangreichen Blick auf die Reformen mit all seinen Konsequenzen während der Regierungszeit Thatchers aufzeigen.

Margaret Thatcher wurde im Jahre 1925 geboren und ging als erste weibliche Premier- ministerin in Großbritanniens Geschichte ein. Sie gewann für die Konservativen dreimal hintereinander die Wahlen in den Jahren 1979 bis 1990 und wurde im Jahre 1990 nach drei Jahren ihrer letzten Amtsperiode von John Major abgelöst. Seitdem repräsentiert sie weiterhin die Konservative Partei im House of Lords.

Zu Thatchers obersten Zielen gehörte es, „[...] den Sozialismus in Großbritannien zu zer- stören“1, wodurch sie unter anderem in den Ruf einer 'Eisernen Lady' kam. So läßt sich der Grundtenor der konservativen Strukturreformen ab dem Jahre 1979 mit den Schlagwörtern Zentralisierung, Entmediatisierung, daß heißt Stärkung des privaten Sektors, und Ökonomi- sierung, was die Einführung von marktwirtschaftlichen Prinzipien betraf, zusammenfassen.2 Das Interesse der Partei zielte dementsprechend in erster Linie auf den Ausstieg in den privaten Sektor. Der Schwerpunkt im Parteiprogramm von 1979 bezüglich des National Health Service lag sehr allgemein gehalten auf der Betonung einer größeren Effizienz, in einer Verwaltungsvereinfachung, in der Dezentralisierung und in möglichen Änderungen im Finanzierungsverfahren.3 Konkrete Ansätze und Reformierungsvorhaben gab es noch nicht, was sich im Laufe ihrer Amtsperioden, wie zu zeigen ist, jedoch änderte.

Der NHS ist der in Großbritannien vertretene Gesundheitsdienst, welcher in seiner Organi- sation und seinen Leistungen eine Ausnahmeerscheinung in der Gesundheitspolitik westlicher Demokratien darstellt.4 Die Grundlagen der gegenwärtig bestehenden Einrichtung erfolgten 1946 mit dem National Health Service Act. Den wesentlichen Anstoß dafür gab der Beveridge-Report von 1942, der das unzureichende britische Versicherungswesen der Vorkriegszeit kritisierte. Zweifellos war aber auch der Schock des Zweiten Weltkrieges für die Entstehung des NHS mitverantwortlich, die soziale Integration der Bevölkerung sollte gesichert und die Entbehrungen des Krieges kompensiert werden.5

Seitdem wird der Gesundheitsdienst allen Menschen unabhängig von Staatsangehörigkeit, Einkommen, Beruf oder Alter, in Großbritannien lebende Personen gewährt- gleichgültig, ob sie Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung leisten oder nicht.6

In diesem Zusammenhang muß erwähnt werden, daß der NHS einer bestimmten Ideologie unterliegt, welche vor allen Dingen durch den ehrenamtlichen Charakter in den oberen Ver- waltungsebenen und dem consensus management, daß heißt der Konsensfindung zwischen den verschiedenen beteiligten Interessengruppen (u.a. der Verwaltung des NHS, den ge- wählten Laien und des medizinischen Personals), gekennzeichnet ist. Das Konsultations- prinzip gilt als eine zentrale 'standard operating procedure' des politischen Entscheidungs- prozesses, das seinen Ausdruck z.B. im Einsatz von politisch ausgewogenen besetzten Royal Commission und umfangreichen Anhörungen im Vorfeld von Gesetzgebungsvorhaben findet.7

Wie noch zu zeigen sein wird, hat Thatcher immer wieder erfolgreich versucht, an diesem Punkt mit ihren Reformvorhaben anzuknüpfen, um den NHS in der Gesamtheit seiner Organisationsstruktur zu schwächen.

2. Allgemeiner Überblick über das britische Gesundheitssystem zu Beginn der Ära Margaret Thatchers

2.1. Die Verwaltungsstruktur des National Health Service

An dieser Stelle möchte ich vorweg erwähnen, daß ich mich auf die wichtigsten Verwaltungseinheiten und Akteure im britischen Gesundheitssystem begrenzt habe, auf denen sich die Reformen der Regierung Thatcher hauptsächlich konzentrierten und aufbauten. Um eine möglichst leserfreundliche Arbeit zu gewährleisten, habe ich ab diesem Kapitel kontinuierlich die Zeitform der Vergangenheit gewählt.

Der NHS war zu Beginn der Ära Thatchers durch einen weit verzweigten Strukturaufbau gekennzeichnet, bei dem das Gesundheitsministerium, das Department of Health and Social Services (DHSS), an der Spitze stand. Das Ministerium war dem Parlament gegenüber ver- antwortlich, beaufsichtigte aber alle Finanzierungs- und Aufgabenplanungen, so daß es als zentraler Hebel zur Durchsetzung der Regierungspolitik galt. Das Personal bestand aus Beamten, die jedoch häufig zwischen den einzelnen Ministerien wechselten, wodurch sie keine ausgeprägten ressortspezifischen Loyalitäten entwickelten. Ihr zentrales Interesse galt der Karriere, wobei die Einhaltung des Etats als karrierefördernd zählte.8

Als dem DHSS nachgeordnete Verwaltungseinheit folgten die Health Authorities (HA), die in Regionen, Regional Health Authorities (RHA), und Bezirken, Area Health Authorities (AHA)9, aufgeteilt waren. Neben der Gewährleistung der Gesundheitsversorgung fungierten sie als eigenständige Behörden unter ehrenamtlicher Führung und erbrachten eine Finan- zierungs- und Leistungserbringungsfunktion, was die Kontrolle über das für sie eingeteilte Budget bedeutete, wobei ihr oberstes Ziel der Budgeterhöhung galt. Darüber hinaus kontrollierten sie die stationäre Versorgung und die kommunalen Gesundheitsdienste und entschieden formal über die Menge deren einzustellenden Personals.

Das Personal der HAs bestand aus Verwaltungsfachleuten, Vertreter der Professionen und einem Laienklientel, deren Arbeitsstil bis zur letzten Reform vor allem konsensual geprägt war. Da die HAs nicht zur staatlichen Bürokratie gehörten, war ihre Beziehung zum DHSS in erster Linie ein System interorganisatorischer Verhandlungen.10

Die Family Practitioner Comitee (FPC) stellten die Verwaltungseinheit der Ärzte dar, wo- durch diese vertraglich an den NHS gebunden wurden. In erster Linie waren sie für die Kontrolle der ambulanten Versorgung zuständig und fungierten unabhängig von den HAs in gleicher territorialer Zuständigkeit wie die AHAs. Ebenso wie die HAs wurden sie ehrenamt- lich geleitet, zu je einer Hälfte aus Ärzten und einem Laienklientel. Im Hinblick auf die Orga- nisation der Ärzteschaft ist an dieser Stelle zu erwähnen, daß ein überwiegender Teil in der British Medical Association (BMA) vertreten war und dieser einer der wichtigsten Verhand- lungspartner der Regierung darstellte.11

Die Community Health Councils waren Großbritanniens kommunale Gesundheitsdienste, die Verbraucherinteressen auf der Bezirksebene repräsentierten und der Kontrolle der HAs unter- lagen. Das Personal bestand aus Gesundheitsbeiräten, die von diversen Lokalbehörden und freien Verbänden entsandt wurden. Darüber hinaus galten sie als Beratungsorgan für die District Management Teams, welche die Krankenhäuser verwalteten und kontrollierten.

Kennzeichnend für Großbritannien war, daß die Rollen des Regulierers und Finanzierers zu- sammen beim DHSS lagen. Für die Implementation der ministeriellen Richtlinien und die Verteilung der Finanzen auf die einzelnen Leistungserbringer waren die Vermittlungsinstan- zen, daß heißt die HAs und die FPCs zuständig. Die Ärzte spielten bei den Leistungser- bringern eine Schlüsselrolle: im ambulanten Bereich bestimmten die Allgemeinmediziner und im stationären Bereich die Chefärzte der Krankenhäuser die Menge der Leistungen. Die Krankenhäuser selbst verkörperten keine eigenständige gesundheitspolitische Rolle, da sie den HAs unterstellt waren.12

Über die Preise und die Qualität der Medikamente entschied im wesentlichen die Pharmaindustrie zusammen mit dem Gesundheitsministerium, wobei die britische Pharmaindustrie zu den wichtigsten Produzenten der Welt gehörte und somit einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor in Großbritannien darstellte.13

2.2. Leistungsangebot, Finanzierung und Fachstruktur des National Health Service

Der Leistungskatalog des NHS war sehr umfassend, er bezog sich auf die ärztliche und zahnärztliche Behandlung, auf die Versorgung mit Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln, auf die stationäre Unterbringung in Krankenhäusern und Pflegeheimen, er übernahm die Entbin- dungs- und Rehabilitationskosten, bezog sich auf den Mutterschutz und weitere diverse vorbeugende Maßnahmen, wie z.B. Impfungen. Die Dauer dieser Leistungen war dabei unbegrenzt und in der Regel unentgeltlich.

Ebenso waren die Sachleistungen weitgehend kostenfrei. Zwar bestanden für Arzneien, Hilfsmittel, wie Brillen sowie zahn- und augenärztliche Leistungen Selbstbeteiligungsregelungen, doch war ein Großteil der britischen Bevölkerung aus sozialen Gründen davon befreit, wie z.B. Kinder bis 16 Jahre und werdende Mütter.

Zur Finanzierung des NHS ist in diesem Kontext zu sagen, daß das Gesundheitssystem über- wiegend aus allgemeinen Steuermitteln finanziert wurde, es bestand nur insofern eine Bei- tragspflicht, als es für Arbeitnehmer und Selbständige einen Einheitsbetrag gab, dessen Höhe vom Einkommen der beruflichen Tätigkeit abhängig war. Durch die überwiegende Steuer- finanzierung gab es keine expliziten Krankenkassen, Beiträge wurden in eine sogenannte Volksversicherung eingezahlt, die Renten-, Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung gemeinsam umfaßte. Durch dieses Finanzierungssystem hatten private Krankenkassen bisher keinen großen Einfluß auf die Entwicklung des NHS nehmen können und die Konservative Regierung hat, wie noch zu zeigen ist, versucht, diesen Punkt auszubauen.

Die fachliche Infrastruktur des NHS bestand aus Allgemeinärzten, Zahnärzten, Augenärzten und aus der Versorgung mit Arzneimitteln.

Träger der ambulanten Versorgung waren freiberufliche Allgemeinärzte, general practitioner, die durch die FPCs vertraglich an den NHS gebunden waren. Da man nur über ihn Zutritt zur medizinischen Versorgung erhielt, trug sich jeder Bürger ab 16 Jahre in eine Patientenliste bei einem Arzt seiner Wahl ein. Bis zum Jahre 1989 war ein Arztwechsel nur bei einem Umzug oder auf Antrag möglich. Vergütet wurden die Mediziner durch eine sogenannte Kopfpauschale als Garantiesumme, die je nach Region und Alter der Patienten gestaffelt war sowie durch diverse Zulagen und Sonderleistungen für spezielle Dienste.14

Die Praxis des Allgemeinarztes umfaßte in der Regel nur eine Grundausstattung, die eine differenzierte Diagnose kaum möglich machte. Außer einem Blutdruckmeßgerät oder einem Stethoskop besaß der Arzt kaum Instrumente, da diese ihm nicht finanziert wurden. Im Gegensatz dazu jedoch bezahlte der NHS zum größten Teil die Miet- und Personalkosten einer Praxis.

Bei Bedarf überwies der Allgemeinarzt seine Patienten an Fachärzte, die ausschließlich in Krankenhäusern praktizierten. Um das Gehalt aufzubessern, war es üblich, daß Fachärzte teilweise privat in einer Klinik oder gleichzeitig für mehrere Krankenhäuser arbeiteten. Ihre Einstellung erfolgte nicht durch die Kliniken selber, sondern durch die RHAs, wodurch diese eine größere Unabhängigkeit gegenüber den Krankenhausverwaltungen besaßen.15

Die britischen Krankenhäuser innerhalb des NHS boten drei verschiedene Formen von Dienstleistungen an: die stationäre Versorgung, ambulante Leistungen und tagesklinische Dienste. Als herausragender Punkt ist hier das Thema der Wartelisten für Krankenhausbetten zu nennen, welches in öffentlichen Debatten immer wieder diskutiert wurde. Während akut Kranke in der Regel unverzüglich Aufnahme fanden, war die Wartezeit vor allem bei ortho- pädischen Operationen sehr lang. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, daß die Statistiken der Wartelisten auf den Meldungen der Chefärzte beruhten, die ein Interesse daran hatten, ihre Abteilungen als unterausgestattet darzustellen, um die finanziellen Zuweisungen zu verbessern. Zudem war die Warteliste eines Facharztes oft nur ein Telefonverzeichnis von Personen, die an einem freien Bett interessiert sein könnten.16

Die britischen Zahnärzte konnten nur über eine Grundversorgung bestimmen, daß heißt z.B. Füllungen, Röntgenaufnahmen und einen Zahnersatz bis zu drei Kronen. Weitere Leistungen mußten von einer speziellen Behörde, dem Dental Estimate Board, genehmigt werden. Anders als bei den Allgemeinmedizinern durften die Patienten hier ihren Arzt immer frei wählen.

Als abschließender Punkt ist an dieser Stelle noch zu erwähnen, daß der NHS als Groß- britanniens größter Arbeitgeber galt und einen hohen Anteil an nichtärztlichem Personal be- schäftigte. Demzufolge zählte er zu den Bereichen mit den vergleichsweise höchsten gewerk- schaftlichen Organisationsgraden, wobei daß nichtärztliche Krankenhauspersonal in etwa 50 verschiedene17 miteinander konkurrierende Gewerkschaften zusammengeschlossen war. Aufgrund der hohen Anzahl der nichtärztlichen NHS-Beschäftigten und deren gewerkschaft- licher Organisation, stellten diese einen gewichtigen Faktor in der Gesundheitspolitik Thatchers dar, was bedeutete, daß Reformierungen innerhalb des NHS auch gleichzeitig immer Angriffe auf die Gewerkschaften, z. B. in der Tarifpolitik darstellten.

3. Gesundheitspolitische Reformen in den Jahren 1979 bis 1982

3.1. Die Finanzierung des National Health Service: Steuerinstrumente, Patientenselbstbeteiligung und Steuerfinanzierung

In der ersten Amtsperiode widmete sich Thatcher vorerst der Finanzierung des NHS, was im einzelnen die staatlichen Gesundheitsausgaben, das heißt die parlamentarische Festlegung des jährlichen NHS-Budgets, die Erhebung von Selbstbeteiligungskosten für die Patienten und das Verfahren der Steuerfinanzierung betraf. Obwohl sich die Finanzbewilligungen für den NHS im untersten, gerade noch akzeptablen Bereich befanden, läßt sich bei der Betrachtung der gesamten Sozialausgaben erkennen, daß der britische Gesundheitsdienst zu den bevorzug- ten Ausgabenbereichen zählte.18

Die Konservativen übernahmen zunächst das von der Labour-Regierung eingeführte Spar- instrument der efficiency savings. Bei diesem Prinzip verlangte das DHSS von den HAs Rationalisierungsgwinne bei gleichbleibendem Leistungsniveau, wobei die Finanzierungs- bewilligungen um die erwarteten Einsparungen entsprechend geringer ausfielen. Nachdem die Einsparungsquote jährlich anstieg und schließlich im Jahre 1983/84 0,5 Prozent betrug, gab es im Unterhaus Bedenken gegenüber dieser Methode und sie wurde im Jahre 1984/85 durch das weniger strikte Verfahren der cost improvements ersetzt.19 Zu den weitaus wichtigeren Steuerinstrumenten für den NHS ist das Verfahren der cash limits zu zählen, welches für die RHAs, nicht aber für die FPCs relevant war. Eine von der Regie- rung gesetzte Grenze bestimmte hierbei die abrufbaren Gelder aus der Staatskasse, die unter Einbeziehung der Inflationsrate von der Treasury20 eingeschätzt wurde. Da die Inflationsrate jedoch oftmals zu optimistisch bewertet wurde, lag die Bedeutung dieses Instrumentes vor allem in der Möglichkeit versteckter Budgetkürzungen. Die cash limits wurden ebenfalls unter der Labour-Regierung eingeführt und obwohl die RHAs keinen automatischen An- spruch auf eine Erhöhung ihrer Zuweisungen hatten, war es üblich, daß finanzielle Diskrepan- zen im Folgejahr ausgeglichen wurden. Die Regierung Thatcher verschärfte dagegen den Um- gang. Die Behörden mußten nun im Rahmen der zugestandenen Finanzen bleiben und Ein- bußen durch Einsparungen und Umschichtungen ausgleichen. Man erhoffte sich dadurch eine Zurücksetzung des öffentlichen Sektors, da Mehrausgaben oft durch Sparmaßnahmen bei der medizinischen Ausstattung und dem Personal ausgeglichen werden mußten.21 Um den von den Gewerkschaften verteidigten Personaletat nicht antasten zu müssen, wurde aber vor allem in der Instandsetzung, wie z.B. bei der Renovierung der Krankenzimmer oder bei dem Aus- bau bzw. der Reparatur der Heizungen gespart. Die cash limits wirkten sich aber auch in anderer Weise als Druckmittel aus. Die Finanzierungszuweisungen galten als finanzieller Richtliniengeber für den öffentlichen Dienst und beeinflußten so die Tarifpolitik der Gewerk- schaften.

Die Patientenselbstbeteiligung an der medizinischen Leistung war sowohl für Labour als auch für die Konservativen ein Gebiet mit einem hohen ideologischen Wert. Die Gründe hierfür sind vor allem in der Grundphilosophie des NHS zu finden, das heißt ein vom Einkommen unabhängiger, gleicher und ungehinderter Zugang zu einer medizinischen Versorgung. Auch von den Konservativen wurde nie in Frage gestellt, daß sozial Schwache von einer Selbstbe- teiligung ausgenommen werden.22 Neben diesem offiziellen sozialem Argument wäre aber darüber hinaus auch ein großer administrativer Aufwand zum Feststellen der Gebührenbe- freiung von Nöten gewesen, so daß die Regierung schlichtweg zwischen den anfallenden Ver- waltungskosten und den zusätzlichen Einnahmen abwägte. Zwar wurde der Selbstkostenanteil für die Patienten seit 1979 jährlich angehoben, aber in einem Maße, der deutlich macht, daß dem Instrument der user charges von Anfang an relativ enge Grenzen gesetzt waren.23

Im Bereich der Steuerfinanzierung wagte die konservative Partei in ihrem Wahlprogramm von 1979 nur vage Äußerungen, da diese zu den tragenden Prinzipien des Gesundheits- dienstes gehörte und somit ein brisantes Thema war. Der dazu 1979 herausgegebene Bericht der Royal Commission erteilte denkbaren Reformen der Steuerfinanzierung eine klare Ab- sage. Ungeachtet dessen wurde eine regierungsinterne, von der Öffentlichkeit ausgeschlos- sene Arbeitsgruppe eingesetzt, die nach alternativen Finanzierungsformen suchen sollte. Im Jahre 1981 beendete die Kommission ihre Analyse mit der Empfehlung, die Übertragbarkeit der Versicherungssysteme z.B. aus Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden zu über- prüfen. Durch eine undichte Stelle kamen diese Pläne allerdings an die Presse, was sowohl massive Proteste in der Bevölkerung als auch in konservativen Reihen hervorrief. Margaret Thatcher sah sich darauf hin gezwungen, ihre Pläne zu dementieren und sagte in diesem Zu- sammenhang den bedeutsamen Ausspruch: „The NHS is safe with us“,24 was ihr im Hinblick auf spätere Reformen eher als Lippenbekenntnis ausgelegt werden kann.

Dem Eindruck nach war der erste Ansatz einer konservativen Gesundheitspolitik von einer „strategischen Suchphase“25 bestimmt, da öffentliche Bekenntnisse einerseits und wiederholte Angriffe auf den NHS andererseits Anhaltspunkte darstellen, daß es bezüglich dem Gesund- heitsdienst keine einheitliche Meinung und politische Strategie gab. Der in diesem Zusam- menhang vorgelegte Verweis auf die nach wie vor große Popularität des NHS kann zwar nicht ganz von der Hand gewiesen werden, doch hat sich Thatcher bei ähnlich populären Themen als weitaus konfliktfreudiger gezeigt.26 Vielmehr war es wahlkampfstrategisch nicht von Interesse konservativ wählende Mittelschichten zu verschrecken, da diese Einschnitte in das für sie betreffende Sozialprogramm fürchteten. Ebenso war für die Arbeitgeber die Stabili- sierung des Status quo weitaus vorteilhafter als mögliche kostenträchtige Versicherungs- lösungen, so daß sich die politischen Akteure zunächst keinen großen Vorteil durch eine restriktive Gesundheitspolitik versprachen.

3.2. Die Erschließung des private Gesundheitssektor und seine Folgen

3.2.1. Der Health Service Act von 1980

Der private Gesundheitsbereich stellte für die Regierung Thatcher ein weiteres Reform- gebiet dar. Während Anhänger des NHS in jeder Maßnahme der privaten Förderung einen Versuch sahen, die öffentliche Unterstützung für den Gesundheitsdienst zu untergraben, sahen die Konservativen in der Existenz eines privaten Leistungsangebots eine unverzichtbare Voraussetzung von Wahlmöglichkeiten für Konsumenten.27 Hatte die Labour-Regierung bis- her eine einschränkende Politik der Privatisierung eingeschlagen, führte die Konservative eine expansive durch.

Dies zeigte sich zunächst bei einem Kurswechsel der pay-beds. Die vorangegangene Labour- Regierung glaubte in der Einrichtung von Privatbetten Relikte einer Zwei-Klassen-Medizin, während die Ärzteschaft in ihr den Bestand einer lukrative Einnahmequelle sah. Nach kontro- versen Diskussionen kam es im Jahre 1974 unter der Labourpartei zu einem Kompromiß der Beteiligten: 1000 Privatbetten wurden sofort abgebaut und weitere Kompetenzen für den Ab- bau gingen vom DHSS auf eine neu eingerichtete unabhängige Kommission über, dem Health Services Board (HSB).

Die Konservativen schlugen im Hinblick auf die Privatbetten einen anderen Weg ein. In ihrem Wahlprogramm von 1979 hieß es: We shall... allow pay-beds to be provided where there is demand for them.“28 Dem privaten Gesundheitssektor sollte somit ein Wachstums- schub gegeben werden und das Regulierungsorgan für Privatbetten wurde im Zuge des Health Services Act von 1980 wieder aufgelöst. Damit einher ging eine Liberalisierung der Fach- arztverträge, wodurch die Möglichkeiten zur Behandlung von Privatpatienten, auch in finanzieller Hinsicht, für die Ärzte verbessert wurden. Mit dem Health Services Act verlagerten sich auch die Genehmigungskompetenzen für die Errichtung von privaten Kliniken, die Kompetenzen des aufgelösten HSB und die der kommunalen Behörden gingen auf das DHSS über, welches dann die Höchstgrenze für pay beds anhob. Eine Lockerung der Stadt- und Raumplanordnung sollte zusätzlich den privaten Markt unterstützten.

Im Rahmen dieser ordnungspolitischen Umstrukturierung steuerten auch einige circulars29 des DHSS an die HAs. Unter anderem wurden sie darin aufgefordert, NHS-eigene Immobilien bevorzugt an den privaten Sektor zu verkaufen und den HAs wurde die erstmalige Erlaubnis erteilt, Verträge mit kommerziellen Organisationen abzuschließen. Diese Genehmigungen bedeuteten einen Bruch mit allen vorhergegangenen Regierungen und den Anfang einer Politik, „[...] die bis dahin relativ klaren Grenzen zwischen dem staatlichen NHS und dem privaten Sektor aufzulösen“.30

3.2.2. Private Krankenversicherungen

Der traditionelle Schwerpunkt britischer Privatversicherungen lag im stationären Bereich, da der Zugang zum niedergelassenen Arzt für die Patienten kostenfrei war und hier keine lange Wartezeit, wie in den Krankenhäusern, von den Patienten in Kauf genommen werden mußte. Zudem war der private Versicherungsmarkt von seinem Leistungsangebot und seiner Prämienkalkulation eher als Zusatzversicherung für Besserverdienende konzipiert.31 Der An- reiz, eine zusätzliche Krankenversicherung abzuschließen, fehlte somit für den Großteil der Bevölkerung.

Infolge des Health Services Act jedoch erwiesen sich die Reformierungen Thatchers bezüg- lich der privaten Versicherungen zunächst als erfolgreich, es kam zu einer Konjunktur des privaten Versicherungsmarkt. Zum einem schuf die Liberalisierung der Arbeitsverträge für die Ärzteschaft neue Angebotskapazitäten, zum anderen expandierten die betrieblichen Gruppenversicherungen. Durch diese war es Unternehmen möglich, qualifizierte Arbeits- kräfte zu halten bzw. neu einzustellen, und das mit steuerlichen Vorteilen. Auch die Gewerk- schaften sahen in den Gruppenversicherungen einen Tariferfolg, obgleich die Förderung des privaten medizinischen Sektors innerhalb der Gewerkschaften umstritten blieb.

Der Aufschwung der privaten Versicherungen hielt jedoch nicht lange an. Bedingt durch die veränderte Mitgliederzusammensetzung, verschlechterte sich die Risikostruktur für die Ver- sicherungskollektive und sie sah sich gezwungen die Prämien anzuheben bzw. eine intensi- vere Risikoselektion durchzuführen. Die anfängliche Attraktivität sank wieder, da die Ver- sicherungen nur noch für eine bestimmte Bevölkerungsschicht zugänglich waren und sich die Unternehmen durch die erhöhten Prämien nunmehr bei betrieblichen Versicherungen auf höhere Angestellte beschränkten.

So kann man zu der Annahme kommen, „[...] daß starkes Mitgliederwachstum erhebliche Störpotentiale für die ökonomische Vitalität der privaten Krankenversicherungen besitzt und die Regierung Thatcher dem privaten Gesundheitssektor durch ihre Unterstützung eher geschadet als genützt hat“.32

3.2.3. Private Krankenhäuser

Ein weiterer Schwerpunkt der ersten Regierungsphase Thatchers lag in dem Bestreben, das Angebot an privaten Krankenhäusern auszubauen, welches durch die Verlagerung der Ge- nehmigungskompetenzen für deren Errichtung nun auch gezielt gefördert werden konnte. Doch auch in diesem Bereich lassen sich eher expansionshemmende Ergebnisse feststellen. Die Gründe hierfür sind in der gleichzeitigen Zunahme von Privatkliniken und pay-beds zu suchen, wodurch eine volle Auslastung der Kliniken nicht gesichert werden konnte, es ent- standen Überkapazitäten. Zudem gab es eine Sättigungsgrenze für Privatpatienten in London und Südost-England, da andere Landesteile aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage als uninteressant galten. Resultierend aus der ungleichen regionalen Verteilung und der sinkenden Kapazitätsauslastung entstand eine konkurrenzverschärfende Lage, so daß die Zunahme der Privatkliniken eher als Wachstumsbremse interpretiert werden kann.33

3.2.4. Das contracting out

Das contracting out bezeichnete die Privatisierung öffentlicher Aufgaben innerhalb des NHS, das heißt die Vergabe von Verträgen zur Güter- oder Dienstleistungsproduktion an Private, wobei Planung, Finanzierung und Vertragsgestaltung weiterhin unter öffentlicher Kontrolle blieben. Innerhalb des Gesundheitsdienstes betraf dieses vor allem weniger qualifizierte Bereiche, wie z.B. Textilwäsche oder Gebäudereinigung.

Wie efficiency savings und cash limits, war auch das contracting out keine Erfindung der Konservativen, auch dieses Steuerungsinstrument wurde bereits unter der Labour-Regierung für andere öffentliche Bereich angewendet. „Seinen strategischen Stellenwert erlangte das contracting out aber erst im Zusammenhang mit dem 'winter of discontent'34 1978/79, weil die Streikfreudigkeit seinerzeit auch den NHS erfaßte und viele Krankenhäuser zwang, private Firmen hinzuzuziehen, um die Versorgung aufrechtzuerhalten“35. Thatcher erkannte in diesem Kontext, daß die Vergabe öffentlicher Aufgaben als ein wirksames Mittel gegen die Streik- freudigkeit der Gewerkschaften eingesetzt werden konnte. Darauf aufbauend verschickte das DHSS im Jahre 1981 ein circular an die HAs, mit der Aufforderung, Serviceleistungen an private Firmen abzugeben, wenn diese günstiger seien, als die NHS-eigenen Dienste. Zudem schlug es vor, das contracting out auch für medizinische Leistungen z.B. durch Verträge mit Privatkliniken auszuführen. Diesen Anordnungen folgten dagegen aber nur vereinzelte HAs und die Regierung war enttäuscht über die mäßige Wirkung ihrer Initiative.36

Obgleich des geringen Erfolges sahen die Gewerkschaften in dieser Maßnahme eine mög- liche Schwächung ihrer Position und sie war innergewerkschaftlich dementsprechend um- stritten.

3.3. Die Reorganisation des National Health Service im Jahre 1982

Die erste Regierungsphase der Konservativen schloß mit einer Verwaltungsrefom innerhalb des NHS ab, die über die politischen Grenzen hinaus kaum umstritten war. Die wichtigsten Ziele dabei waren die Entbürokratisierung und Dezentralisierung des Gesundheitsdienstes.37 Im Zuge dieser Reform wurden die 90 AHAs aufgelöst und mit den District Management Teams in District Health Authorities (DHA) zusammengefaßt. Die FPCs wurden durch den Verlust der mittleren Verwaltungsebene administrativ an das DHSS gebunden.

Vordergründig schien diese Maßnahme eine ausschließlich organisatorische Vereinfachung zu sein, eigentliches Ziel war jedoch, den Einfluß der ehrenamtlichen HAs und der kommu- nalpolitischen Peripherie zu reduzieren. „Tatsächlich ging es darum den Einfluß der Gewerk- schaften und der von der Labour-Partei kontrollierten Kommunalbehörden im NHS zurückzu- schrauben“.38 Durch die Streichung der AHAs stimmten die territorialen Grenzen der NHS- Behörden nicht mehr überein und die untersten Verwaltungsbereiche des NHS profitierten mit einer größeren Unabhängigkeit gegenüber der Lokalpolitik. Die Kommunen erhielten hinge- gen nur noch ein Viertel statt ein Drittel der Sitze in den neuen DHAs, was einer Reduktion um 25% gleichkam. Die Regierung war demnach erkennbar bemüht, die kommunalen Veto- positionen im Gesundheitsdienst zu schwächen.

Mit der Reorganisation einher ging eine Handlungsanleitung für die chairmen39 der neuen DHAs im Jahre 1981: Care in Action. In ihr wird insofern eine Verschiebung von Verantwor- tung deutlich, als die Verteilung der finanziellen Mittel nicht mehr zentral vorgenommen werden sollte, sondern selbständig von den DHAs. Zwar wurde das Ziel der Prioritäten- setzung zugunsten geographischer und sozialer Problembereiche selbst nicht aufgegeben, wohl aber deren zentrale Planung. So konnte das DHSS bei Verfehlungen von Planungszielen nicht mehr haftbar gemacht werden.40 Darüber hinaus erhielten die DHAs mit Care in Action auch das Recht, eigene Einnahmequellen auf lokaler Ebene zu erschließen, so z.B. durch die Vermietung von Werbe- und Verkaufsflächen oder die Einrichtung zusätzlicher Privatbetten. Durch den Zuspruch einer größeren Flexibilität in der Planung des Dienstleistungsangebots für die DHAs, sollte die Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor weiter ausgebaut werden.

„Dieser Funktionskatalog für die DHAs rechtfertigt die These, daß das Verwaltungshandeln im NHS einen stärker unternehmerischen Zuschnitt erhalten sollte“.41

4. Gesundheitspolitische Reformen in den Jahren 1982 bis 1985

4.1. Der Anfang des 'New Manageralism'

Im Jahre 1982 setzte eine Umorientierung in der konservativen Gesundheitspolitik ein: der Übergang zum 'new manageralism', der an einer zentralen Kontrolle bei dezentraler Verantwortlichkeit und an der Mobilisierung von Rationalisierungsreserven orientiert war.42 Die Aversion Thatchers gegen den öffentlichen Sektor fand vor allem am Interesse an privatwirtschaftlichen Management- und Steuerungstechniken seinen politisch-strategischen Ausdruck und da das gesundheitspolitische Netzwerk unmittelbar dem Zugriff des Staates unterlag, konnte die Managementideologie mit ihren Techniken zur Straffung hierarchischer Kontrollen auch auf den NHS übertragen werden.

Im Hinblick dessen gab es zwei Steuerungsinstrumente, die im Sinne der Privatwirtschaft Einzug fanden bzw. modernisiert wurden. Zum einen waren es die im NHS neu eingeführten Betriebsprüfungen, Raynor Scrutinities, wobei einzelne Leistungsbereiche von fachfremden Verwaltungsbeamten nach ihrer Effizienz untersucht wurden. Eines der kontroversesten Ergebnisse dabei war der Vorschlag, NHS-eigene Wohnheime zu verkaufen, dem im Jahre 1984 ein entsprechendes circular folgte. Die Wohnsituation für das Personal verschlechterte sich daraufhin erheblich und die darauf folgende sinkende Moral trug zu einer Abwanderung des Pflegepersonals bei.43

Das zweite Steuerungsinstrument, das dem new manageralism unterlag, war die ministerielle Fachaufsicht. Bisher wurden eher wenige Erfolgskontrollen durch das DHSS bzw. Rechen- schaftspflichten der HAs gegenüber dem Gesundheitsministerium durchgeführt. Genauere Überprüfungen fanden meist nur bei einer Aufdeckung und deren Beseitigung von ersicht- lichen Mißständen statt. Ab dem Jahre 1982 fand jedoch eine Modernisierung dieses Instru- mentes ihren Einzug, es wurden nun jährliche Rechenschaftssitzungen, annual reviews, zwischen den Vorsitzenden der HAs und den Beamten des DHSS getätigt. „Die Einführung der annual reviews bedeutete zwar einen Umschwung von der Dezentralisierung zur Zentrali- sierung, der sich jedoch trickreich begründen ließ: 'health authorities are given greater free- dom to carry out central policies'“.44 Gegenstand der Rechenschaftssitzungen waren z.B. die medizinische Versorgung von Problemgruppen, die administrative Koordination zwischen den HAs und den kommunalen Behörden und die Effizienz der erbrachten medizinischen Leistungen, die mit Hilfe der performance indicators bewertet wurden. Mit diesem Kontrollmittel wurden verschiedene Leistungssegmente der HAs umfaßt (Anzahl der Notoperationen, Krankenhauseinweisungsquote, durchschnittliche Pflegedauer u.ä.), mit denen sie ihre Effizienz in den verschiedenen Bereichen vergleichend bewerten konnten, um daraus eventuell Möglichkeiten für eine Effizienzsteigerung abzuleiten. Da die performance indicators erstmals 1981 im Zusammenhang mit den regionalen Differenzen bei den Wartelisten für orthopädische Operationen angewandt wurden und Maßnahmen zur Reduzierung von Wartelisten sehr populär waren, war der Kritik an diesem Instrument so von Anfang an die Angriffsfläche genommen und ein direkterer Zugriff auf die HAs somit machbar.45

4.2. Die Griffith-Reform

Die Ernennung einer Kommission im Jahre 1983, die die Leistungsfähigkeit und deren mög- liche Reformierung der NHS-Verwaltung untersuchte, setzte den Trend zur Stärkung des Zentrums und den Abbau von Vetomöglichkeiten fort und kann als wichtigster und folgen- reichster Schritt der britischen Gesundheitspolitik bewertet werden.46 Entscheidend bei der Kommission war deren Zusammensetzung: von vier Mitgliedern kamen drei aus der Privat- wirtschaft und nur einer hatte berufliche Erfahrungen innerhalb des NHS sammeln können. „Dementsprechend wurde im gesamten Report die Meßlatte privatwirtschaftlicher Manage- ment- und Erfolgskriterien zugrundegelegt.“47 Die Kommission kam zu dem Ergebnis, daß die zentrale Schwäche im NHS in dem Mangel einer klardefinierten Managementfunktion zu sehen sei, da es keine Führungsstruktur mit klaren Kompetenzen und Verantwortlichkeiten gäbe. In erster Linie bemängelte man den konsensualen Führungsstil, der Entscheidungspro- zesse zu sehr verzögere. Diese Bilanz bedeutete einen Schlag gegen einen traditionellen Führungsstil mit einem hohen ideologischen Stellenwert.

Die Grundidee der Griffith-Reform war, ein general management einzuführen. Im einzelnen bedeutete dies, die Einrichtung eines NHS Management Board, welches zukünftig für die Verwaltungsaufgaben verantwortlich und gegenüber einem neu einzurichtenden Health Services Supervisory Board (HSSB) rechenschaftspflichtig sei. Sowohl das Management Board wie auch das HSSB sollten zu der Fachaufsicht der HAs beitragen. Innerhalb der NHS- Hierarchien, mit Ausnahme der FPCs, war vorgesehen, Manager zum Teil aus der Privatwirt- schaft zu rekrutieren, die als kündbare general manager allein verantwortlich fungieren sollten. Mit diesen neuen Verwaltungsleitern sollte die Ökonomisierung vorangetrieben werden und das consensus management von Ärzten, Pflegepersonal und Verwaltung durch effizientorientierte Rationalisierungsfachleute ersetzt werden. Als letzter Reformpunkt sollte die Verantwortlichkeit für Entscheidungen auf die niedrigste mögliche Hierarchiestufe ver- lagert werden, was die Einbindung von Ärzten in die Verwaltung bedeutete. „Die Stoßrich- tung der Reform bestand damit in der Erhöhung der Kontroll- und Steuerungskapazitäten des DHSS, der Hierarchisierung innerhalb der NHS-Verwaltung sowie der Förderung einer ge- schäftsmäßigen Management-Ideologie.“48

4.2.1. Die Folgen der Griffith-Reform

So durchdacht die Pläne des Griffith-Reports waren, es gab dennoch Probleme bei ihrer Um- setzung. Zunächst empfiehl der Report den NHS in einen unabhängigen Staatsbetrieb umzu- wandeln. Da der NHS für diese Maßnahme aber zuvor in ein öffentliches Unternehmen hätte umgewandelt werden müssen, da nur dieser Rechtsstatus eine Privatisierung erlaubte, wurde diese Idee als politisch zu brisant verworfen. Folglich mußte das neue Management Board und das HSSB im Gesundheitsministerium angesiedelt werden. Als verfrüht stellte sich auch die Hoffnung heraus, alle neuen Führungspositionen mit Managern aus der Privatwirtschaft besetzen zu können, „fünf der sechs Positionen im NHS Management Board wurden anfäng- lich mit Beamten des DHSS besetzt“.49 Darüber hinaus fehlte die Bereitschaft im DHSS, einen Teil der Kompetenzen abzugeben, das heißt die Führungsaufgaben des neuen Manage- ment Boards kollidierten sehr schnell mit dem britischen Regierungsapparat. Zudem verfügte das Management Board über keinerlei Weisungsbefugnisse gegenüber den nachfolgenden Verwaltungseinheiten, die RHAs und DHAs mußten direkt dem Ministerium Bericht erstat- ten. Der Grund lag darin, daß im Falle erweiterter Kompetenzen für das Management das Ministerium zwar immer noch die Verantwortung, nicht aber mehr die Kontrolle besessen hätte, und dieses Risiko wollte die Regierung nicht eingehen. So hatte die Beibehaltung des etablierten Kompetenzgefüges im DHSS die Folge, daß vom NHS Management Board kaum die erhofften Impulse ausgingen.50

Im Gegensatz dazu gab es aber durch die Einführung der general manager auf den nachge- ordneten Hierarchiestufen weitreichende Folgen, was vor allem das Prinzip des consensus management betraf. Zunächst ging man durch die neue Hierarchielinie in der Verwaltung von einer größeren Folgebereitschaft gegenüber zentralen Vorgaben aus, da sich das DHSS vor- mals oft nicht gegen Widerstände und Vetorechte der Peripherie durchsetzen konnte. Die Be- ziehung zwischen den beiden Akteuren veränderte sich daraus folgernd zugunsten der Zen- trale, so daß man den neuen Akteur als 'the arm of the government in management' charak- terisieren konnte.51 Da Entscheidungskompetenzen und -funktionen jedoch weiterhin bei den HAs lagen, darf man diese Reformierung dennoch nicht mit einer kompletten Zentralisierung verwechseln, „eher angemessen scheint der Begriff der 'Hierarchisierung', der darauf abhebt, daß die zentrale Handlungsfähigkeit durch den Abbau von Veto-Potentialen an der Peripherie gestärkt wird“.52

Ein weiteres Ziel der Reform war es, die Kontrolle über die Organisationsphilosophie innerhalb des Gesundheitsdienstes zu erlangen und im Gegensatz zur traditionellen 'caring and curing'-Philosophie die Effizienz als wichtigstes Entscheidungskriterium durchzusetzen.53 Die Wirkung zeigte sich vor allem in der Besetzung von general manager-Positionen mit Beamten, die durch eine finanzielle und funktionale Aufwertung in ihrem vormaligen Selbstverständnis der Organisationsphilosophie beeinflußt wurden und dementsprechend Entscheidungen primär nach ökonomischen Gesichtspunkten trafen.54

Überdies beeinflußte die Reform auch den britischen Politikstil, da alle Empfehlungen des Reports mit Hilfe der delegated legislation durchsetzbar waren, ein im britischem System verankertes administratives Steuerungsmittel, mit dem die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung und somit einer parlamentarischen Zustimmung entfällt. Infolge der geringen Regelungsdichte von Gesetzen in Großbritannien und der fehlenden föderalen Kompetenz- verteilung, ergab sich somit für das Ministerium ein über technische Details weit hinaus- reichender Gestaltungsspielraum.55 Dem Vermittlungsorgan des consensus management fiel nur noch eine Statistenrolle zu, „die konservative Regierung hat damit ein Instrument der Entscheidungsvorbereitung suspendiert, dessen konsensbetontes [...] basierendes Verfahren stets als ein Bestandteil einer typisch britischen Form der Politikformulierung galt“.56 In Folge der Hierarchie- und somit auch der Machtverschiebungen wurde zudem die Funktion der management teams von einem Entscheidungs- zu einem Beratungsorgan degradiert, so daß auch hier das Konsultationsprinzip nur noch formal bestand.

4.3. Erneute contracting out-Initiative

Die Initiative des contracting outs aus der ersten Regierungsphase wurde im Jahre 1983 mit einem entsprechenden circular erneut aufgegriffen. Das Gesundheitsministerium forderte die HAs abermals auf, Serviceleistungen an private Firmen abzugeben, wobei diesmal eindeutig ein Bindungscharakter erkennbar war. Die HAs standen dem naturgemäß sehr skeptisch gegenüber, da neben dem Verlust von Autonomie auch ein Verlust von Arbeitsplätzen drohte und Anfang 1984 wurde deutlich, daß sie dem Auslagern von Dienstleistungen nicht mit dem gewünschten Eifer nachkamen.57 Infolgedessen gingen beim DHSS Klagen der privaten Ver- bände über unfaire Behandlungen bei Vertragsvergaben ein, worauf die Regierung ihnen ein direktes Beschwerderecht gegenüber dem NHS Management Board erteilte, was wiederholt zu massiven Interventionen des DHSS in den Entscheidungsprozeß an der Peripherie führte.58

Ein weiterer nicht unerheblicher Punkt des contracting outs lag für die Regierung in der Möglichkeit, erneut den Einfluß der Gewerkschaften zu minimieren. So hob sie im Zuge des circulars die Regelungen der Tarife für den öffentlichen Dienst, die auch für Privatfirmen galten, auf und wies die HAs an, Bestimmungen über Lohnhöhe oder Arbeitsbedingungen in den Verträgen mit Privaten nicht zu berücksichtigen.

Dennoch kann das contracting out aufgrund der geringen Vertragsvergabe an private Firmen „ [..] eher als Element einer neuen Organisationskultur, denn als ordnungspolitische folgen- reiche Maßnahme betrachtet werden“59 und ist somit ein Beispiel für die Grenzen der Privati- sierung im NHS. „Einwände gegen diese Einschätzung gewinnen dadurch an Gewicht, daß das contracting out theoretisch ja zugunsten einer vollständigen Privatisierung des Service- bereichs hätte radikalisiert werden können, was aufgrund des damit verbundenen politischen Risiokos- immerhin wären davon hunderttausende von NHS-Beschäftigten betroffen- aber ausgesprochen unwahrscheinlich ist.“60

4.4. Das buying in

Ein anderer Zweig der Kooperation zwischen NHS und dem privaten Bereich stellte das als buying in bezeichnete Einkaufen von medizinischen und pflegerischen Leistungen aus dem privaten Sektor dar. „Möglich wurde diese Kooperation dadurch, daß die konservative Re- gierung den Health Authorities gestattete, mit kommerziellen Unternehmen Verträge abzu- schließen“.61 Kooperationen wurden insofern durchgeführt, als zum einen die HAs medizi- nische Dienstleistungen von privaten Kliniken einkauften, um vor allem dem Problem der Wartelisten entgegenzukommen. Da die privaten Krankenhäuser jedoch hochspezialsiert waren und sich zum Teil Geräte aus den NHS-eigenen Krankenhäusern ausleihen mußten, stellte diese Variante aber keine große Konkurrenz für den Gesundheitsdienst dar.

Eine zweite Form der Zusammenarbeit bestand darin, daß die HAs mit Unternehmen Verträge z.B. für die Vermietung von Verkaufs- und Werbeflächen abschlossen. Darüber hinaus gab es joint ventures, die vor allem bei medizinischen Geräten angewendet wurden, so daß sich NHS und private Krankenhäuser die Finanzierung und Nutzung der Geräte teilten. Die Vermutung liegt nahe, daß durch diese Kooperationsvariante der Monopolstatus des NHS untergraben wurde, doch das buying in ist eher ein Beispiel für eine milde Form der Privati- sierung, das sich durch eine wechselseitige Vorteilsnahme auf Grundlage der jeweiligen Defizite auszeichnete.62

4.5. Neue Steuerung der ambulanten Versorgung

4.5.1. Die Neuordnung des Verwaltungsstatus der FPCs

Die Neuordnung des Verwaltungsstatus der FPCs griff auf die Reorganisation des NHS im Jahre 1982 zurück und trat in Folge des Health and Social Security Act 1985 in Kraft. Die FPCs bekamen im Zuge der Auflösung der AHAs den Status einer unabhängigen Ver- waltungseinheit mit direkter Verantwortlichkeit gegenüber dem Gesundheitsministeriums, so daß das DHSS an Durchsetzungsvermögen von zentralen Interessen gewann, da die Barriere der AHAs entfiel. Des weiteren hatte das Ministerium nun direkten Einfluß auf die Ernennung der FPC-Mitglieder und deren chairmen und die FPCs mußten, ähnlich den HAs, alle fünf Jahre einen Rechenschaftsbericht vorlegen. „Die administrative Neuordnung der FPCs [...] hat [...] zu einer Stärkung der Verwaltung geführt und darüber hinaus die Interventionsmöglich- keiten der Zentrale gegenüber der Peripherie in einem Bereich verbessert, der traditionell von fast allen Reformmaßnahmen ausgenommen blieb“.63 Dennoch gewannen die FPC-Verwal- tungen durch die neu zugewiesenen Planungs- und Kontrollfunktionen gegenüber der medizi- nischen Profession auch an Autonomie, so daß eine Emanzipation von ihrer ehemaligen Rolle zu beobachten war.64

4.5.2. limited list- Instrument zur Senkung der Arzneimittelausgaben

Um die Arzneimittelausgaben der FPCs zu senken geriet 1985 die Positivliste für Arzneien ins politische Blickfeld der Regierung, da die FPCs als einziger Teil innerhalb des NHS keinen cash limits unterlagen. Man war auf eine WHO-Veröffentlichung aufmerksam ge- worden, die eine Begrenzung von Arzneimitteln befürwortete und dies entsprach einer Standardkritik in Großbritannien. Die Arzneimittelkosten waren einer der wenigen Bereiche, die sich bisher einer zentralen Steuerung entzogen und mit erwarteten jährlichen Einsparun- gen in Millionenhöhe versprach man sich eine merkliche Reduzierung der NHS-Ausgaben. Ferner hatte die klar industriefreundliche Regierung Thatcher ihre Grenze deshalb erreicht, daß durch die Arzneimittel öffentliche Ausgaben tangiert wurden und somit auch die Steuer- zahler.65 Die Liste mußte jedoch gegen massive Widerstände durchgesetzt werden, die BMA sah ihre Verordnungsfreiheit bedroht, die Pharmaindustrie fürchtete um ihre Gewinne. Das Mißachten des Konsulatationsprinzip verstärkte die Proteste und so erwies sich die Verwirklichung der limited list als „gesundheitspolitischer Kraftakt“66.

5. Gesundheitspolitische Reformen in den Jahren 1985 bis 1989

5.1. Reformen in der primären Gesundheitsversorgung

Die primäre Gesundheitsversorgung, das heißt General Practitioners (GPs), Zahnärzte, Optiker und Apotheker, war bisher kaum von „marktförmigen Organisationsprinzipien“67 betroffen gewesen. „ Das Augenmerk der Regierung galt allein den Ausgaben der FPCs, dem einzigen Budgetposten im NHS-Etat, der nicht durch Ausgabenfestsetzungen gesteuert werden konnte“.68 Daher war es überraschend, daß ein Reformgedanke von der niedergelas- senen Ärzteschaft selbst ausging. Steigende Technisierung und Spezialisierung der modernen Medizin ließen bei ihnen die Befürchtung aufkommen, daß es durch die Verlagerung der medizinischen Versorgung in die Krankenhäuser zu einem Funktionsverlust der Allgemein- mediziner käme, wobei hier zweifellos auch Ängste vor einem Statusverlust eine Rolle spielten. So bemühte sich die Ärzteschaft der GPs seit geraumer Zeit „[...] den ambulanten Sektor durch eine extensivere Aufgabendefinition, die Betonung präventiver Tätigkeiten und Initiativen zur Qualitätserhöhung bzw. Leistungsbewertung als innovatives Segment der medizinischen Versorgung zu etablieren“.69 Basierend auf dieser Diskussion geriet das Thema Wettbewerb auch in diesem Gesundheitssektor ins Blickfeld der Regierung und Thatcher sah die Gelegenheit, hier ebenso ihre Vorstellungen von Konsumentensouveränität zu veran- schaulichen.

Den Ursprung dafür stellte ein Bericht des Office of Fair Trading (OFT)70 aus dem Jahre 1983 dar, in dem der fehlende Wettbewerb zwischen den Optikern für die hohen Preise von Sehhilfen verantwortlich gemacht wurde. Im Rahmen des Health and Social Security Act von 1984 wurde darauf folgernd der Markt für Sehhilfen dereguliert, Brillen wurden nur noch für Kinder bis 12 Jahren, Sozialhilfeempfänger und medizinisch schwere Fälle erstattet. Ferner wurde es auch Drogisten erlaubt, Brillen zu verkaufen, so daß die Optiker ihr Verkaufsmono- pol verloren. Zwei Jahre später, 1985, regte das OFT an, das Werbeverbot für Zahnärzte zu liberalisieren, um so eine bessere Information für die Konsumenten zu bewirken, was unter dem Druck der Regierung verwirklicht werden mußte. Eine Liberalisierung des Werbeverbots sprach ebenfalls der 1989 erschienene Bericht der Monopolies and Mergers Commission71 (MMC) für die GPs aus, der mit Unterstützung des DHSS erarbeitet wurde.

De facto traten mit der Einbindung von Kartellbehörden zwei neue Akteure in die britische Gesundheitspolitik ein, die die „Meßlatte einer marktgesteuerten Ökonomie“72 anlegten.

5.2. Die Finanzkrise im Jahre 1987/88

Den Ursprung für die Finanzkrise in den Jahren 1987 und 1988 bildete eine Pressekonferenz, bei der Labour-Parteiführer Neil Kinnock am Beispiel eines 10jährigen Jungen, dessen Herz- operation nach 15monatigen Wartezeit erneut verschoben wurde, die Unterfinanzierung des NHS anschaulich demonstrierte. Die Presse griff diesen Fall auf und weitere Mißstände im NHS wurden medienwirksam publik gemacht. Die Konservativen versuchten dieser Lage mit Statistiken entgegenzuwirken, es kamen jedoch weitere Vorfälle auf die politische Tagesord- nung, so daß die Gegenstrategie Thatchers nicht aufging. Vor allem der Umstand des Mangels an Krankenschwestern aufgrund der schlechten Bezahlung oder das Schließen ganzer Krankenhausabteilungen beruhigte die Öffentlichkeit wenig. Der Ruf nach zusätzlichen finan- ziellen Mitteln für den NHS wurde laut und die Regierung geriet unter enormen Druck, auch in den eigenen Reihen. Der Höhepunkt öffentlicher Kritik wurde mit einem Statement der renommiertesten Royal Colleges erreicht, die öffentlich mehr Finanzmittel für den NHS ein- forderten. In Folge der beträchtlichen Publicity wurden dem Gesundheitsdienst weitere Mittel zugebilligt und das Gehalt von Krankenschwestern, Medizinern und Zahnärzten in einem Maße erhöht, das „[...] unter normalen Umständen problemlos als weit überhöht verworfen worden wäre“.73

Ende 1987 kündigte Thatcher eine für den NHS einschneidende Reform an. Sie interpretierte die Finanzkrise als politische Handlungschance für einen Reformanlaß in ordnungspolitisch konservativem Sinne, was ihr durchaus als politische Raffinesse ausgelegt werden kann. Durch den Einsatz eines NHS-Kabinettausschusses, review group, und die Übernahme des Vorsitzes von Thatcher selbst, wurde der anstehenden Reform die entsprechende Tragweite zugemessen. Durch diesen Schritt verlagerte sich der Entscheidungsprozeß aus dem Ministerium in das Büro der Premierministerin, wodurch die Einflußchancen von Verbänden vermindert und eine strukturkonservative Ministerialverwaltung umgangen werden konnte.74 Der Ausschuß arbeitete fast unter vollständigem Ausschluß der Öffentlichkeit und der Interes- sengruppen, so das der bisherige Weg der Entscheidungsfindung durch das consensus management manipuliert wurde. Während die BMA keine Chancen zur Einflußnahme hatte, wurden diversen think tanks75 diese eingeräumt, mit deren Hilfe dann Markt- und Wettbe- werbsmodelle für den Gesundheitsdienst diskutiert wurden. So zeigt sich, daß die Regierung über die Fähigkeit verfügte, Interessengruppen in 'insiders' und 'outsider' zu trennen, wobei letztere kaum Chancen zur Einflußnahme auf die politischen Entscheidungen besaßen.76 Als Arbeitsergebnis des Ausschusses wurden vier Reformmöglichkeiten entwickelt, wovon zwei in den Vordergrund traten: das Konzept der internen Märkte und das opting out. Neben den Reformdiskussionen kam es im Jahre 1988 überraschend zu einer Kabinettsum- bildung. Aus mangelndem Vertrauen in die Fähigkeiten und Leistungen des bisherigen Gesundheitsminister wurde das DHSS in das Department of Social Security (DSS) und in das Department of Health (DoH) gespalten.77

5.2.1. Das Konzept der internen Märkte

Das Konzept der internen Märkte innerhalb des NHS beruhte auf der teilweisen Trennung zwischen Finanzierung und Leistungsproduktion, um so den Mechanismus von Angebot und Nachfrage in Gang zu setzen, wobei die zentrale Steuerfinanzierung, die vorherrschende staatliche Organisation und die umfassende medizinische Versorgung ohne finanzielle Zugangs- barrieren nicht reformiert wurden.

Die Grundidee basierte auf der Tatsache, daß zwischen den DHAs aufgrund der ungleichen medizinischen Ausstattung der Distrikte, ein Patientenaustausch erfolgte, wobei die meisten Überweisungen in den Norden Englands und nach London stattfanden. Aufgrund der Tat- sache, daß die finanziellen Zuweisungen aber in den Süden gingen, geriet dieser Austausch bei den benachteiligten DHAs in Mißkredit.78 Die Reform sah nun vor, daß die DHAs weiter- hin einen festen Etat erhielten, die Patienten aber auf der Grundlage von ausgehandelten Preisen überwiesen werden sollten. Ferner sollten sie freie Kapazitäten auf diesem internen Markt anbieten und Gewinne einbehalten dürfen. So sollten die DHAs sowohl als Anbieter wie auch als Nachfrager medizinischer Leistungen fungieren. „Um eine derartige 'culture of buying and selling' zu schaffen. soll[t]en den DHA-Managern größere Handlungsfreiräume geschaffen werden, die Entscheidungen nach unternehmerischen Kriterien erlaub[t]en“.79

5.2.2. Das Konzept des opting out

Das Konzept des opting out gründete sich auf der Gewährung eines Steuernachlasses. bzw. die Bereitstellung eines vouchers80 für Personen, die eine private Krankenversicherung ab- schlossen. Da diese Reformoption das Prinzip der zentralen Steuerfinanzierung berührte und somit einen Strukturbruch in Teilen des Finanzierungssystems des NHS darstellte, war diese entsprechend umstritten. Kritiker befürchteten in diesem Zusammenhang den Beginn einer Zwei-Klassen-Medizin, da nur die guten Risiken ohne substanzielle Zuzahlung zur Ver- sicherungsprämie den NHS hätten verlassen können81. Ferner erwartete man bei den Privat- versicherten eine abnehmende Unterstützung durch mangelndes Interesse für das öffentliche Gesundheitssystem. Das Verfahren des opting out ist letztlich jedoch nur in symbolischer Form erhalten geblieben, nämlich als geringfügige Steuererleichterung für über 60jährige.

5.3. Die letzte Reform des National Health Service unter Margaret Thatcher

Im Jahre 1989 wurde das white paper82 'Working for Patients' vorgelegt, daß Vorschläge zur umfangreichsten Reform des NHS seit seiner Gründung beinhaltete.83

Als erste Maßnahme sah die Regierung für den ambulanten und stationären Bereich ein System interner Märkte vor, das auf Wettbewerb und finanziellen Anreizen baute. Dabei wurden Krankenhäuser mit mehr als 250 Betten auf freiwilliger Basis in selbstverwaltete Kliniken umgeformt, die keiner direkten Kontrolle der DHAs mehr unterlagen und somit vom System des NHS losgebunden wurden. Die Krankenhäuser bezogen zwar weiter ihren Etat durch die DHAs, aber Art und Umfang wurden auf einer Vertragsbasis ausgehandelt. Darüber hinaus eröffneten Verträge mit privaten Unternehmen, Privatversicherungen, Privatpatienten und niedergelassenen Ärzten zusätzliche Einnahmen. Diese Autonomie galt auch für die Gehaltszahlungen des Personals, daß heißt die gängigen Tarifbestimmungen mußten nicht mehr eingehalten, sondern konnten individuell ausgemacht werden. Auf der Führungsebene der Kliniken wurden Ärzte mit einer vertraglichen Bindung, Mitarbeiter der HAs und Reprä- sentanten der Gewerkschaften ausgeschlossen. Sinn dieser neuen Strukturen war es, den selbstverwalteten Krankenhäusern eine größere unternehmerische Freiheit einzuräumen und somit eine wirtschaftlichere Effizienz zu ermöglichen.

Der zweite Reformschritt stützte sich auf einer Stärkung und Erweiterung der Zugriffe für das Management. Das im Verlaufe der Griffith-Reform entstandenen Management Board und das Health Services Supervisory Board wurden in NHS Policy Board und NHS Management Executive umbenannt. Die damit erreichte stärkere Trennung von der Ministerialverwaltung und der Einsatz von Industriemanagern sollte den gezeigten Führungsproblemen in den vor- maligen Management Boards entgegen wirken.84 Darüber hinaus wurden die Leitungsebenen der RHAs und der DHAs verkleinert. Vertreter der Lokalbehörden, Gewerkschaften und ein Teil der medizinischen Professionen waren somit in diesem Entscheidungsbereich nicht mehr involviert, womit die Vetorechte lokaler und professioneller Interessen stark eingeschränkt und die Handlungsspielräume der general manager erweitert wurden. Auch den FPCs wurde ein Management gegenübergestellt, sie wurden erstmalig mit einem general manager besetzt. Ebenso hielt die Ökonomie in den Krankenhäusern Einzug: bei der Beförderung von Ärzten wurde nun auch das Management eingeschaltet, das heißt es ging nicht mehr primär um fach- liche, sondern auch um wirtschaftliche Leistungen der Mediziner.

Die Reformen der Regierung wurden mit Mißbilligung, auch in den eigenen Reihen kon- frontiert. Die Labour-Partei sah die Gefahr einer Privatisierung und die eines medizinischen Zwei-Klassen-Systems aufkommen. Stärkster Kritiker jedoch war die BMA und die Pharma- industrie, die mit einer Ökonomiesierung von medizinischen Entscheidungen einhergehende Qualitätsverluste verbanden. Beanstandet wurde auch der forsche Zeitplan für die Implemen- tation, der Verzicht auf Modellversuche und das Fehlen jeglicher Konsultationen.85 „Zwar hat Gesundheitsminister Clarke nach der Veröffentlichung des white paper die Konsultations- phase für eröffnet erklärt, ihr aber nur rein akklamatorischen Charakter zugebilligt, da fast im gleichen Atemzug die Grundprinzipien der NHS-Reform als 'non-negotiable' bezeichnet wurden“.86 Basierend auf dieser Tatsache wird deutlich, daß die Regierung ohne großen Folgen eine Politik der kontrollierten Regelverletzung ausüben konnte.87

6. Bewertung der gesundheitspolitischen Reformen in der Ära Margaret Thatchers

„Im Jahre 1979 konnte man den ganzen Tag verbringen, ohne je auf die private Wirtschaft zu stoßen. Ich wachte morgens auf und hörte dem staatlichen Radio zu, stand auf und köpfte mit einem vom Staat produziertem Stahlmesser mein vom Staat produziertes Ei, holte die staat- liche Post herein, die eine Woche zu spät ankam, und sagte dem staatlichen Müllmann, der gerade Müll auf dem Bürgersteig verschüttete, guten Morgen. Dann stieg ich in mein vom Staat hergestelltes Auto, fuhr die Kinder in eine staatliche Schule und setzte meine Frau am staatlichen Krankenhaus ab und ging zur Arbeit- für den Staat natürlich. Mit dem staatlichen Telefon rief ich ein staatliches Reisebüro an, um einen Flug in einem vom Staat produziertem Flugzeug zu buchen. Auf diese Weise konnte man tatsächlich ein ganzes Leben verbringen, ohne jemals auf die Art von Wirtschaft zu stoßen, die doch eigentlich den Wohlstand schafft.“

Madsen Pirie, Präsident des Adam Smith Instituts, London.88

Als Margaret Thatcher 1979 die Regierung Großbritanniens antrat, eröffnete sich mit ihr dem Land eine Wirtschaftspolitik der Privatisierung und Deregulierung. Wie obiges Beispiel zeigt, war Englands Wirtschaft zum größten Teil verstaatlicht und reguliert und bewegte sich in einem Prozeß, den man meiner Meinung nach, im günstigsten Fall als Stagnation bezeichnen kann.

Das bei der Durchsetzung eines weniger-Staat-Programms, das heißt die Ökonomiesierung der verschiedenen wirtschaftlichen Bereiche für mehr Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit, der Blick im Laufe der Regierungsphasen Thatchers zwangsläufig auf den NHS fiel, kann meiner Ansicht nach nicht überraschen. Das jedoch eine derartige Reformierung mit späterem Einzug eines ökonomischen Managementhandelns stattfinden würde, war anfänglich nicht ersichtlich und anhand des Parteiprogramms von 1979 auch nicht voraussehbar. Vielmehr radikalisierte sich Thatchers Politik von Jahr zu Jahr, anfängliches vorsichtiges Abtasten und Suchen von Anknüpfpunkten, auf denen Reformen aufgebaut werden konnten, führte zu einem Lernprozeß, der von Amtszeit zu Amtszeit eine neue Dynamik bekam. Vergleicht man die Regierungsphasen miteinander, wird schnell ersichtlich, daß die zweite die folgenreichste war. Mit der Griffith-Reform hielt ein Denken und Handeln seinen Einzug, der den ursprünglichen Gedanken von einer Organisationsphilosophie auf konsensualer Basis mit Gleichberichtigung und einem Mitspracherecht aller Beteiligten kippte und somit eine allzu nachhaltige Wirkung zeigte. Wettbewerbsfähigkeit und Effizienz sind hierbei wohl die einprägsamsten Synonyme für eine Politik, die deutlich macht, welche Ziele, auch in macht- politischer Hinsicht, von der Regierung verfolgt wurden. Denn das es im Verlaufe der NHS- Umstrukturierung auch um eine Regulierung, wenn nicht sogar um einen Umsturz der Macht- balance zu Gunsten des Staates ging, kann meines Erachtens nicht übersehen werden. Wagt man einen Blick hinter die Kulissen, wird schnell ersichtlich, daß es bei Thatchers Privati- sierungsprogramm auch um eine Schwächung der britischen Gewerkschaften im öffentlichen Sektor ging, beschränkte ihre Regierungspolitik doch die Möglichkeiten der Gewerkschaften „überhöhte Löhne und restriktive Arbeitsbedingungen“89 durchzusetzen. Die konsequente Ausschöpfung von Handlungsressourcen, die in der grundlegenden Struktur des politischen Systems Großbritanniens verankert sind, die Nicht-Verhandelbarkeit (non-negotiable) von Entscheidungen oder das Trennen von beteiligten Gruppen in insiders und outsiders kamen der Regierung hierbei zur Hilfe.

Um Thatchers Beweggründe zu erklären, mit denen sie das Bändigen der Gewerkschaften verfolgte, muß man das traditionelle Selbstverständnis dieser Interessengruppe verstehen. Es soll jedoch an dieser Stelle keine umfassende Darstellung der britischen Gewerkschaften und ihrer politischen und gesellschaftlichen Positionen erfolgen, sondern lediglich ein kurzer Ab- riß.

Großbritannien ist traditionell von einem starken Klassendenken geprägt und seit den fünf- ziger Jahren stellen die Gewerkschaften einen gesellschaftlich und politisch etablierten Macht- und Einflußfaktor dar.90 Das Verhältnis zwischen Regierung und Arbeitnehmer- vertretungen war nicht von einem Miteinander geprägt, sondern vielmehr von einem Oppositionsgedanken auf Seiten der Gewerkschaften. Da es keine Gewerkschaftsgesetz- gebung gab und somit zivil- und strafrechtliche Immunität der Gewerkschaften bezüglich Streikfolgen bestand, konnten diese sich dem Mittel des Streiks oder dessen Androhung unge- hindert bedienen. So war es für sie möglich, sowohl ökonomische wie auch politische Ziele zu verfolgen und durchzusetzen. Im 'winter of discontent' 1978/79 erreichte die Machtposition der Gewerkschaften ihren Höhepunkt, da durch unzählige Streiks nahezu der gesamte öffent- liche Sektor lahmgelegt wurde. Die Bevölkerung Großbritanniens quittierte die negativen Auswirkungen dieser Maßnahmen mit dem Wahlerfolg für die Konservativen und erteilte ihr somit einen Wahlauftrag für Gegenmaßnahmen. Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, welche Ziele die Regierung mit ihrer Wirtschaftspolitik, auch innerhalb des NHS, verfolgte.

Mit dem Einzug der general manager durch die Griffith-Reform wurde das DHSS in die Lage versetzt, seine Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den Interessengruppen deutlich zu erhöhen. Damit hatte sich die Regierung einen Koalitionspartner geschaffen, der von seinem Selbstver- ständnis her eher an einer wirtschaftlichen Optimierung interessiert war, als an der Erhaltung des gegenwärtigen Standes. Doch nicht nur die Schaffung eines neuen Akteurs erleichterte der Regierung die Implementation zentraler Politikvorgaben, auch der konsequente Einsatz von delegated legislation machte eine Durchsetzung ohne Risiken parlamentarischer Ab- stimmungsprozesse auf dem Verordnungswege realisierbar. Die Umsetzung der Griffith-Re- form ist dadurch erst ermöglicht worden.

Einer der weitreichendsten Folgen der Thatcher-Reformen innerhalb des NHS, betraf den sich ändernden Politikstil durch das gezielte Übergehen des Konsultationsprinzips, das vor allem in der Phase der Gesetzesvorbereitung etabliert war. Bisher beruhte dieses Prinzip vor allem auf der Einsicht der beteiligten Akteure in die „Notwendigkeit eines dauerhaften 'working relationship' “91, mit der Umstrukturierung des Gesundheitsdienstes minimierte sich dagegen die Chance externer Einflußnahme radikal, da Entscheidungen nun nicht mehr auf Einstim- migkeit beruhen mußten bzw. lokale und professionelle Interessen übergangen werden konnten. So hat das Konsultationsverfahren nach der Reformierung nicht mehr als einen sym- bolischen Wert. Nicht zu unterschätzen ist auch der nachhaltige Einfluß auf die unteren, loka- len Ebenen der Verwaltungshierarchie im NHS. Wie gezeigt, wurden diese zu einem großen Teil von der Labour-Partei dominiert, folglich wurde durch den Abbau lokaler Mitsprache- und Vetorechte nicht nur der Einfluß professioneller Interessen, sondern auch der der Konkur- renzpartei gemindert.

Deregulierung und Privatisierung sind zu Schlüsselelementen der Wirtschaftspolitik Thatchers geworden. Doch obwohl durch die Reformierung des NHS wettbewerbsähnliche Elemente, z.B. durch die Schaffung interner Märkte und unternehmerisches Denken, einge- führt wurden, hat eine lückenlose Privatisierung nicht stattgefunden. Zum einem haben die Konservativen die Grundprinzipien der gesundheitlichen Versorgung nie in Frage gestellt, zum anderen verhinderte der Rechtsstatus des NHS die Umwandlung in einen unabhängigen Staatsbetrieb. Thatcher hat die Reformierungsmöglichkeiten zwischen diesen beiden Grenzen meiner Meinung nach, jedoch zielorientiert und fast uneingeschränkt ausgeschöpft. Eine steuerliche Vergünstigung bei dem Abschluß einer privaten Krankenversicherung kann in diesem Zusammenhang schon fast als unlauterer Wettbewerb bezeichnet werden.

Mit ihrer Interpretation der Finanzkrise von 1987/88 als 'policy window' komme ich zu der Schlußfolgerung, daß diese Politikerin eine große Cleverness, wenn nicht sogar eine gewisse Gerissenheit gezeigt hat und ihrem Ruf als Eiserne Lady insgesamt mehr als gerecht wird.

7. Zeittafel der Strukturveränderungen des National Health Service in der Ära Margaret Thatchers

General Practitioners

1982: FPCs unter direkter Kontrolle des Ministeriums

1985: nach Health and Social Security Act von 1984 Positivliste für Arzneimittel; Richtlinien mit performance reviews; PACT-Informationssystem zum ärztlichen Verschreibungsverhalten

1988: Health and Medicines Act; cash limits für Praxiskosten; erweiterte Kontroll- kompetenzen für FPCs

1989: white Paper mit budgetären Richtlinien für Arzneimittelverbrauch; stärkere Kontrolle der Praxisführung durch FPCs und unabhängige audit commissions; Ausbau der Kopfpauschale mit größerer Arztwahlfreiheit für Patienten; stärkere Regulierung der Zulassung zur Praxis; Verkleinerung der FPCs mit general manager an der Spitze; Abrücken vom professionellen Repräsentationsprinzip; Mitgliederernennung durch RHAs nach individueller Kompetenz; Kontrolle der FPCs durch RHAs; Großgruppen- praxen mit über 11.000 Patienten unabhängige budget holder mit eigenem Arznei- mittelbudget; Budgetzuteilung durch RHAs

Consultants

1989: white paper: Verträge der consultants zwecks Einschränkung ihrer Unabhängigkeit mit DHAs statt RHAs; vertragliche Fixierung ihrer Pflichten; Richtlinien für die Tätigkeit durch Medical Advisory Commitee; medical audits ihrer Tätigkeit; Ernennung nicht mehr auf Grundlage professioneller Empfehlung, sondern unter Einbeziehung der district general manager; Modifizierung der District Awards: Vergabe nicht mehr durch professionelle Gremien, sondern durch RHA commitees unter Berücksichtigung der Manager-Fähigkeiten, Distinction Awards nur für begrenzte Dauer mit regelmäßiger Überprüfung; NHS Hospital Trusts als unabhängige budget holders unter Leitung eines Direktors; Ärzte im Leitungsgremium kaum vertreten

Gewerkschaften

1980: circular zur Ermächtigung der RHAs, Rücklagen für den Streikfall zu bilden

1981: circular zum contracting out, d.h. Kauf billiger Serviceleistungen von privaten An- bietern, so daß Unterbietung von NHS.Preisen möglich

1983: Aufhebung der Fair Wages Resolution; private Anbieter befreit von Tarifen des öffent- lichen Dienstes; Errichtung eines speziellen 'Review Body for Nursing Staff, Midwives, Health Visitors and Profesions Allied to Medicine' zur Besoldung paraprofessionellen Personals

1989: white paper: general managers der Health Authorities nicht mehr an nationale Tarifab- kommen gebunden; größere lokale Flexibilität in der Definition der Arbeitsbedingun- gen; keine Repräsentation der Angestellten in Verwaltungsgremien des NHS-Hospital Trusts, die über die Beschäftigungsbedingungen autonom bestimmen können

Health Authorities

1979: raynor srutinities: Betriebsprüfungen des öffentlichen Dienstes

1982: consensus management auch in management units unterhalb der Distriktebene; annual accountibility reviews der HAs

1983: performance indicators zur Überprüfung der HAs; Griffith-Report: Ende des consensus management, general manager an der Spitze aller HAs; NHS Management Board im Ministerium; audits durch private Wirtschaftsprüfer

1989: white paper: Verkleinerung der HA Führungsstäbe auf 11 Personen; Abrücken vom Re- präsentationsprinzip zugunsten der Ernennung von Individuen mit Management-Kom- petenz; erweiterte Entscheidungsspielräume der general managers; zentrale Kontrolle durch ministeriellen NHS Management Execcutive und Policy Board unter dem Vorsitz des Ministers

Local Authorities

1982: durch Abschaffung der AHAs Aufhebung der geographischen Überlappung der HAs und local authorities; größere Unabhängigkeit der HAs von lokaler Politik; Reduzie- rung der Repräsentation lokaler Behörden in den DHA-Boards

1989: white paper: lokale Behörden nicht mehr im DHA-Führungsgremium repräsentiert

Quelle: Alber, Bernardi-Schenkluhn 1992. Tabelle 5.1.

8. Strukturveränderungen innerhalb des National Health Service in der Ära Margaret Thatchers graphisch dargestellt

Quelle: Alber, Bernardi-Schenkluhn 1992. S. 548ff.

9. Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

10. Literaturverzeichnis

Alber, Jens; Bernardi-Schenkluhn, Brigitte: Westeuropäische Gesundheitssysteme im Vergleich: Bundesrepublik Deutschland, Schweiz, Frankreich, Italien, Großbritannien. Frankfurt/Main; New York 1992

Döhler, Marian: Gesundheitspolitik nach der „Wende“: Policy-Netzwerke und ordnungspolitischer Strategiewechsel in Großbritannien, den USA und der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1990

Döhler, Marian in: Sturm, Roland (Hg): Thatcherismus - Eine Bilanz nach zehn Jahren. Bochum 1990

Fröhlich, Hans-Peter; Schnabel, Claus: Das Thatcher-Jahrzehnt. Eine wirtschaftspolitische Bilanz. Köln 1990

Hohmann, Jürgen: Gesundheits- Sozial- und Rehabilitationssysteme in Europa: Gesellschaftliche Solidarität auf dem Prüfstand. Bern; Göttingen; Toronto; Seattle 1998

André Kaiser in: Kastendiek, Hans; Rohe, Karl; Volle, Angelika (Hg.): Großbritannien. Geschichte-Politik-Wirtschaft-Gesellschaft. Frankfurt/Main; New York 1994

Naujoks, Wilfried; Werres, Bernhard: Euro-Länderprofile. Band 2. Großbritannien. Köln 1990

Sturm, Roland: Großbritannien. Wirtschaft, Gesellschaft, Politik. Opladen 1991

Aus dem Internet:

British Politics: Margaret Thatcher, OM, FRS (Baroness Thatcher of Kesteven) 06.09.1999: http://hewett.norfolk.sch.uk/curric/polit/thatcher.htm

BBC: The 1992 General Election - Conservatives

06.09.1999: http://cgi.bbc.co.uk/politics97/background/pastelec.ge92con.htm http://cgi.bbc.co.uk/politics97/background/pastelec.ge79con.htm

Die Welt: Radikalkur in Großbritannien 06.09.1999: http://welt.de/archiv/1996/12/03/1203wi05.htm

Internationale Bestandsaufnahme HTA: Institutions- sowie Länderspezifische Informationen: HTA in Großbritannien 06.09.1999: http://www.dimdi.de/germ/evalua/htaendb/h_gb.htm

Medi-Netz: Hintergrund: Das Gesundheitssystem in Großbritannien 06.09.1999: http://www.medi-netz.com/me200883.htm

[...]


1 Döhler, Marian: Gesundheitspolitik nach der „Wende“. Berlin 1990. S. 227

2 vgl. Alber, Jens; Bernardi-Schenkluhn, Brigitte: Westeuropäische Gesundheitssysteme im Vergleich. Frankfurt/Main; New York 1992. S. 553

3 vgl. Döhler 1990. S. 228

4 vgl. Sturm, Roland: Großbritannien. Wirtschaft - Gesellschaft - Politik. Opladen 1991. S. 123

5 vgl. Alber, Bernardi-Schenkluhn 1992. S. 539

6 vgl. Naujoks, Wilfried; Werres, Bernhard: Euro-Länderprofile. Band 2. Großbritannien. Köln 1990. S. 94

7 vgl. Döhler, Marian in: Sturm, Roland (Hg.): Thatcherismus - Eine Bilanz nach zehn Jahren. Bochum 1990. S. 206

8 vgl. Alber, Bernardi-Schenkluhn 1992. S. 545

9 Wie noch zu zeigen, wurden die AHAs 1982 aufgelöst und statt dessen District Health Authorities (DHAs) eingeführt, die von den RHAs kontrolliert wurden.

10 vgl. Alber, Bernardi-Schenkluhn 1992. S. 546

11 vgl. André Kaiser in: Kastendiek, Hans; Rohe, Karl; Volle, Angelika (Hg.): Großbritannien. Geschichte, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Frankfurt/Main; New York 1994. S. 232

12 vgl. Alber, Bernardi-Schenkluhn 1992. S. 572

13 vgl. ebd. S. 583ff.

14 vgl. Alber, Bernardi-Schenkluhn 1992. S. 590

15 vgl. ebd. S. 594

16 vgl. ebd. S. 597

17 vgl. ebd. S. 582

18 vgl. Döhler 1990. S. 231

19 vgl. ebd. S. 231

20 Treasury stellt die britische Staatskasse dar.

21 vgl. Alber, Bernardi-Schenkluhn 1992. S. 565

22 vgl. Döhler 1990. S. 235

23 vgl. Döhler 1990. S. 235

24 Döhler 1990. S. 237

25 ebd. S. 255

26 vgl. ebd. S. 237

27 vgl. ebd. S. 239

28 Döhler 1990. S. 240

29 Das circular ist das wichtigste und gebräuchlichste Instrument, mit dem die Ministerien zu den nachgeordneten Behörden in Kontakt treten. Ihre Bedeutung und Verbindlichkeit variiert jedoch.

30 Döhler 1990. S. 242

31 vgl. Döhler in: Sturm 1990. S. 210

32 Döhler 1990. S. 245

33 vgl. Döhler 1990. S. 247

34 In diesem Zeitraum kam es zu unzähligen Demonstrationen und Streiks und ein großer Teil des öffentlichen Sektors wurde lahmgelegt. Ausführliche Beschreibung in: Händel, Heinrich; Gossel, Daniel A.: Großbritannien. München 1994. S. 310ff.

35 Döhler 1990. S. 249

36 vgl. Döhler 1990. S. 250 (Wie noch zu zeigen, folgten im Jahre 1983 weitere Schritte hinsichtlich des contracting outs.)

37 vgl. ebd. S. 251

38 Alber, Bernardi-Schenkluhn 1992. S. 550

39 Chairmen stellen die Vorsitzenden der jeweiligen Verwaltungseinheiten dar.

40 vgl. Döhler 1990. S. 253

41 ebd. S. 253

42 vgl. Döhler 1990. S. 255ff.

43 vgl. ebd. S. 257

44 ebd. S. 258

45 vgl. ebd. S. 259

46 vgl. Alber, Bernardi-Schenkluhn 1992. S. 551

47 Döhler 1990. S. 261

48 Döhler in: Sturm (Hg.) 1990. S. 214

49 Döhler 1990. S. 264

50 vgl. Döhler 1990. S. 265

51 vgl. ebd. S. 266

52 ebd. S. 266

53 vgl. ebd. S. 269

54 vgl. ebd. S. 269

55 vgl. Döhler in: Sturm (Hg.) 1990. S. 207

56 Döhler 1990. S. 273

57 vgl. Döhler 1990. S. 276

58 vgl. ebd. S. 276

59 ebd. S. 278

60 ebd. S. 277ff.

61 ebd. S. 279

62 vgl. Döhler 1990. S. 281

63 ebd. S. 285

64 vgl. ebd. S. 285

65 vgl. ebd. S. 287

66 ebd. S. 285

67 Döhler S. 293

68 ebd. S. 293

69 ebd. S. 294

70 Office of Fair Trading ist eine aus dem Jahre1973 stammende Behörde, die Empfehlungen zur Beseitigung von einschränken Handelspraktiken ausspricht.

71 Monopolies and Mergers Commission stellt das britische Gegenstück zum Bundeskartellamt dar.

72 Döhler 1990. S. 297

73 Döhler 1990. S. 303

74 vgl. ebd. S. 306

75 Think tanks sind eine Art Expertenkommisionen, die in diesem Falle aus dem Center for Policy Studies, Institute of Economic Affairs und dem Adam Smith Institute bestanden.

76 vgl. Döhler 1990. S. 307

77 Der ehemalige Minister des DHSS, John Moore, blieb Minister des DSS, Kenneth Clarke übernahm das DoH.

78 vgl. Döhler 1990. S. 309

79 ebd. S. 310

80 Voucher ist eine Art Gutschein.

81 vgl. Döhler 1990. S. 310ff.

82 White paper ist ein in Großbritannien üblicher Report mir politischen Zielsetzungen und Lösungsvorschlägen.

83 vgl. Döhler 1990. S. 313

84 vgl. ebd. S. 314

85 vgl. ebd. S. 316

86 ebd. S. 316

87 vgl. ebd. S. 316

88 Fröhlich, Hans-Peter; Schnabel, Claus: Das Thatcher-Jahrzent: eine wirtschaftliche Bilanz. Köln 1990. S. 136

89 ebd. S. 163

90 vgl. Fröhlich; Schnabel 1990. S. 173

91 Döhler 1990. S. 182

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Politische Gesundheitsreformen in der Ära Margaret Thatchers
Note
1
Autor
Jahr
1999
Seiten
30
Katalognummer
V97316
ISBN (eBook)
9783638099912
Dateigröße
415 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Politische, Gesundheitsreformen, Margaret, Thatchers
Arbeit zitieren
Andrea Rosicki (Autor:in), 1999, Politische Gesundheitsreformen in der Ära Margaret Thatchers, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97316

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