Der Paradigmenwechsel in der Arbeitsmedizin: von der Pathogenese zur Salutogenese


Seminararbeit, 1999

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die geschichtliche Entwicklung der Arbeitsmedizin
2.1. Von den Ursprüngen bis 1878
2.2. Die Sozialversicherungsgesetzgebung und weitere Entwicklungen im Deutschen Reich
2.3. Die Rolle der Gewerbehygiene in der Weimarer Republik
2.4. Arbeitsmedizin im Nationalsozialismus
2.5. Die Bundesrepublik Deutschland und ihr Umgang mit dem Arbeitsschutz

2. Betrachtung Pathogenese vs. Salutogenese

3. Resümee

Anhang: Zeittafel wichtiger arbeitsschutzrelevanter Ereignisse

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Public Health Action Cycle

Abb. 2: Modell der Public Health Intervention

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Die Entwicklung der Arbeitsmedizin läßt sich nur im jeweiligen politischen Kontext betrachten. Wie bei jeder Wissenschaft ist der fachliche Erkenntnisgewinn nur ein Rädchen des Antriebs. Großen Einfluß auf die Richtung und das Tempo des Fortschritts haben ebenso die herrschenden Rahmenbedingungen und die gesundheitspolitischen Akteure. Deshalb soll in dieser Hausarbeit der Weg der Arbeitsmedizin von seinen Anfängen bis in die heutige Zeit unter diesen Aspekten beleuchtet werden. Die Analyse wird die Ursachen des Paradigmenwechsels untersuchen und aufzeigen, daß die Pathogenese erst mit der Bismarckschen Sozialpolitik zum Muster in der Arbeitsmedizin wurde. Ein salutogenetischer Ansatz existierte bereits vorher, auch wenn es diese Bezeichnung damals noch nicht gab. Die Rückkehr zu diesen Wurzeln ist 1996 durch die Umsetzung der EG-Rahmenrichtlinie 89/391/EWG als neues deutsches Arbeitsschutzgesetz möglich geworden. Ob bzw. ab wann man von einem salutogenetischen Paradigma in der Arbeitsmedizin sprechen kann, muß sich in der Praxis jedoch noch zeigen.[1]

2. Die geschichtliche Entwicklung der Arbeitsmedizin

Die Bezeichnung "Arbeitsmedizin" bzw. "occupational health" wurde erst 1929 auf einer Sitzung der "ständigen Kommission für Berufskrankheiten und Arbeitshygiene" der WHO in Lyon eingeführt. Sie umfaßt die Bereiche Physiologie, Pathologie, Klinik und Hygiene der menschlichen Arbeit einschließlich der Begutachtung und Versicherung von Berufskrankheiten. Damit wurde der bis dahin geltende Begriff "Gewerbehygiene" (Deutschland) bzw. "industrial hygiene" (England und USA) abgelöst. Schon dieser sprachliche Wechsel zeigt eine Festlegung auf die pathogenetische Sichtweise. Um diese Manifestation zu erklären, ist es nötig die Wurzeln des Arbeitsschutzes freizulegen.[2]

2.2. Von den Ursprüngen bis 1878

Schon im Altertum war der Zusammenhang zwischen bestimmten Tätigkeiten und Erkrankungen bekannt. So beschrieb z.B. Hippokrates Bleikoliken bei Hüttenarbeitern. Im Mittelalter standen vor allem die Krankheitsgefahren im Vordergrund, die bei der Metallgewinnung und -verarbeitung auftraten, wie z.B. die "Bergsucht". 1700 erschien das erste systematische Werk zur Arbeitsmedizin "De morbis artificum diatriba" des italienischen Arztes Bernhardino Rammazzini. Hiermit beginnt die professionelle Erforschung und Darstellung arbeitsbedingter Erkrankungen.[3] Von einem Paradigma kann man bis in diese Zeit sicherlich noch nicht sprechen, da es sich nur um einzeln agierende Akteure in einer noch nicht von der industriellen Pathologie bedrohten Gesellschaft handelte.

Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert veränderte die Gesellschaft. Die Mechanisierung schuf viele neue gefährliche Arbeitsplätze. Die gesundheitliche Lage der Arbeiter war zusätzlich dadurch bedroht, daß sie in Massenarmut und in beengten Verhältnissen lebten. Neben Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen waren sie auch von Seuchen (z.B. 1848 Typhusepidemie in Oberschlesien, 1871 Pockenepidemie im Ruhrgebiet) bedroht. Als Folge dieser Verhältnisse entstanden die Gewerbehygiene und die Sozialmedizin. [4] In dem in den Jahren 1871 - 1878 erschienenen Werk von Ludwig Hirt "Die Krankheiten der Arbeiter" zeigt sich noch deutlich, daß es in der Gewerbehygiene nicht nur um Krankheits- bzw. Unfallverhütung ging, sondern auch um die Förderung deröffentlichen Gesundheitspflege und Prophylaxe. Es gab zu dieser Zeit viele Initiativen und Gesetzesvorlagen, die den Ausbau des Arbeitsschutzes hin zur Vorbeugung forderten. Doch solche Ansichten erregten heftigen Widerstand von Seiten der Fabrikanten. Die Fabrikbesitzer waren an der maximalen Nutzung der Arbeitskraft interessiert. Sie sahen Vorkehrungen zum Arbeitsschutz als unnötige finanzielle Belastung an. Dem Staat ging es beim Arbeitsschutz nur um die Erhaltung der Wehrkraft. Aus diesem Grunde wurde z.B. 1839 das "Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken" erlassen, das die Kinderarbeit verbot bzw. einschränkte. Als weitere Gesetze folgten die Gewerbeordnung (Preußen 1845, Norddeutscher Bund 1869) und 1871 das Reichshaftpflichtgesetz. Die Arbeiter selbst waren im Fall einer Erkrankung in ihrer Existenz bedroht, da sie beim Fernbleiben von der Arbeit Gehaltseinbußen hinnehmen mußten. Sie griffen zur Selbsthilfe, organisierten sich in Gewerkschaften und kämpften für verbesserte Arbeitsbedingungen. 1871/72 erschütterte einer Streikwelle das Deutsche Reich. Bismarck versuchte mit dem "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" von 1878 Ruhe innerhalb der Arbeiterschaft herzustellen.

Alle prophylaktisch orientierten Gesetzesvorlagen wurden von Bismarck gestoppt. Seine Beweggründe waren die Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie, Unnachgiebigkeit gegenüber der Sozialdemokratie und die Befürchtung, bei Zustimmung eine Lawine in Gang zu setzen, die zwischen die Regierung und das Industriebürgertum rollt. Das Engagement der Arbeiter hatte einen positiven Einfluß auf die Entwicklung der Arbeitsmedizin. Doch viele Ärzte versuchten politisch neutral zu bleiben und sahen sich nicht, wie Rudolf Virchow es forderte, als natürlichen Anwalt der Armen.[5]

2.3. Die Sozialversicherungsgesetzgebung und weitere Entwicklungen im Deutschen Reich

Das Sozialistengesetz konnte die Sozialdemokratie und mit ihr die Arbeiterbewegung nicht eindämmen. Im Gegenteil, im Untergrund war die Anhängerschaft sogar noch gewachsen. Der Reichstag lehnte daher 1890 eine Verlängerung dieses Gesetzes ab. Inzwischen hatte Bismarck die Sozialgesetzgebung (1883 Krankenversicherung, 1884 Unfallversicherung, 1889 Invaliditätsversicherung) initiiert. Die Arbeiter-unfallversicherung war als Kontrapunkt zum Sozialistengesetz und als "staatssozialistische Verheißung" gedacht. Auf Ratschlag des Großindustriellen Louis Barre wurde damit das Verschuldungshaftungsprinzip aus dem Reichshaftpflichtgesetz abgelöst. Die Arbeiterunfallversicherung wurde folgendermaßen geregelt:

- "korporative Zwangsversicherung mit unternehmerselbstverwalteten branchenmäßig organisierten Berufsgenossenschaften als Träger unter Oberaufsicht einer Reichsversicherungsanstalt;
- Aufbringung der Versicherungsprämie durch Unternehmenserträge auf der Basis eines Umlageverfahrens unter Heranziehung 1883 obligatorisch eingeführter Krankenkassen zur Absicherung einer 13-wöchigen Karenzzeit;
- Staffelung der Unfallrentensätze nach gutachtermedizinisch festzulegenden Erwerbsunfähigkeitsgraden bis zu einer Maximalhöhe von 2/3 des vorherigen Durchschnittslohnes bei gleichzeitiger Übernahme der Heilungskosten ab der 14. Woche;
- Fakultative Unfallverhütung durch Beauftragte der Berufsgenossenschaften und Einführung eines Melderegisters für entschädigungspflichtige Unfälle;
- Schwierige Revisionsmöglichkeiten gegen Berufsgenossenschaftsentscheidungen bei einem Schiedsgericht bzw. dem Reichsversicherungsamt als oberste Instanz." [6]

Arbeitsbedingte Erkrankungen wurden von einer Entschädigung vollkommen ausgeschlossen. Nur durch einen Unfall konnte ein Leistungsanspruch entstehen. Daher wurde dieser Begriff zum zentralen Steuerungsinstrument für die mit dem Arbeitsschutz befaßten Akteure. Die "Entwicklung der Gewerbehygiene, die mit Ludwig Hirt breit und grundsätzlich etabliert worden war, wurde von der Entwicklung der Unfallmedizin bzw. Unfallversicherungs- und Gutachtermedizin eingeholt bzw. eingeschränkt." [7]

Faktisch bedeutete die Einführung der Unfallversicherung die Abkehr von präventiven hin zu regulativen Aufgaben in der Arbeitsmedizin. Das Industrieproletariat hatte somit kein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Schon im Reichshaftpflichtgesetz hatte sich nur das Verschuldungsprinzip durchgesetzt, das vom Geschädigten die Beweisführung fordert. Das Konzept der Gefährdungshaftung hätte einen wirklichen Schutz für die Arbeiter bedeutet. Die Industriellen verhinderten das es dazu kam und auch sämtliche Reformen, die in diese Richtung gingen. Die Unfallversicherung war ein weiterer Schritt der "--- Abkopplung von Gesundheitsrisiken der Arbeitskraft von der Sphäre, in der solche Risiken vorzugsweise entstehen: der privatwirtschaftlichen Produktion." [8]

Nach außen stellte Bismarck seine Sozialgesetzgebung als arbeiterfreundliche Reform dar. Der Druck der Arbeiterbewegung in Richtung präventiver Sozialpolitik ging in den kommenden Jahren zurück. Nach der Politik des Umsturzes folgte eine Partizipationsbewegung. Der Weg von der Selbstbestimmung zur Mitbestimmung war gekennzeichnet durch ein Engagement innerhalb des Systems, vor allem in der Selbstverwaltung der Gesetzlichen Krankenversicherung. [9]

Die Anzahl der Ärzte und ihre Aufgaben im Arbeitsschutz wuchsen mit der Zeit. So wurde 1866 in der Badischen Anilin- & Soda-Fabrik (BASF) der erste Werksarzt eingestellt. Andere chemische Betriebe folgten diesem Beispiel. In der Gewerbeaufsicht kam es erst nach der Jahrhundertwende zur Einstellung von Medizinern. Wissenschaftliche Institute (z.B. Institut für Arbeitsmedizin) boten sich als Berufsfeld für arbeitsmedizinisch forschende Ärzte an. Je nach Arbeitsbereich hatten diese Mediziner unterschiedliche Aufgaben und Interessen im Arbeitsschutz. Während die Fabrikärzte im Spannungsfeld zwischen Loyalität zum Fabriksbesitzer (optimale Ausnutzung der Arbeiterarbeitskraft) und dem Arbeiterschutz standen, waren die Ärzte der Gewerbeaufsicht mit der Kontrolle des Arbeiterschutzes beschäftigt. Dies führte anfangs zu Spannungen zwischen den in diesen Bereichen tätigen Medizinern. Den rechtlichen Rahmen für ihre Handlungen bildeten vor allem die Arbeiterunfallversicherung und die Gewerbeordnung. Somit waren sie an das "Unfallparadigma" gebunden. Pragmatisch denkende Ärzte (z.B. der Toxikologe Louis Lewin) machten sich nun daran einzelne Gewerbekrankheiten mit Unfällen gleichzusetzen. Die "Gewerbehygieniker" wie z.B. Ludwig Teleky und Wilhelm Hanauer hatten keine Chance mit ihrer Forderung alle Gewerbekrankheiten aufgrund ihrer betrieblichen Pathogenese als Unfälle zu betrachten.[10]

Nach der Entlassung Bismarcks im Jahre 1890 gab es eine kurze Periode halbherziger sozialpolitischer Reformen. Die internationale Arbeiterschutzkonferenz im selben Jahr in Berlin einigte sich einstimmig nur auf wenige Arbeitszeitregelungen zum Schutze von Frauen und Kindern. Daraufhin erfolgte 1891 im Deutschen Reich eine Gewerbeordnungsnovelle, die in ihrem § 120 für spezielle Gewerbe verschärfte Arbeiterschutzbestimmungen festschrieb.

Eine Untersuchung August Bebels zur Lage der Arbeiter in den Bäckereien mit der Forderung einer amtlichen Untersuchung und Arbeitszeitbeschränkung führte zu einem kleinen Erfolg. 1896 setzte der Bundesrat die "Verordnung zur Regelung der Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien" in Kraft. Dies gelang auch nur, weil zu dieser Zeit der Sozialreformer von Berlepsch das Handelsministerium leitete. Kurz darauf erhielt er dafür die Quittung durch die bürgerlichen Kräfte: er wurde abgelöst. Für die Mehrheit der Arbeiter brachten diese Bestimmungen kaum etwas, denn erstens waren sie nur wenigen Bereichen vorbehalten und zweitens mußten die Fabrikanten den Bestimmungen nicht Folge leisten, wenn die "Natur ihres Betriebes" dies nicht gestattete. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), das 1900 in Kraft trat, enthielt ebenfalls Arbeitsschutzbestimmungen, die nun auch Bereiche außerhalb des Gewerbes betrafen. Doch im Rahmen der Kriegsvorbereitungen gerieten diese Regelungen wieder in den Hintergrund.[11] Auch die Reichsversicherungsordnung (RVO) von 1911, die von progressiven Kräften als Vereinheitlichung der Sozialversicherung geplant war, konnte aufgrund der Unternehmerintervention diesen Zielen nicht gerecht werden.[12] Während des 1.Weltkrieges erfolgte ein Ausbau der Gewerbeaufsicht. Die Grenzen der Belastbarkeit von den in der Kriegsproduktion vor allem tätigen Frauen und Kindern wurde gemessen und Schutzbestimmungen herabgesetzt. Die Folge war zwar kein signifikanter Anstieg der entschädigten Unfälle, jedoch breitete sich die Tuberkulose aus.[13]

3.3. Die Rolle der Gewerbehygiene in der Weimarer Republik

1920 stimmte auch der Preußische Landtag endlich einem Antrag der Sozialdemokratischen Fraktion zu, der die Mitwirkung von Ärzten in der Gewerbeaufsicht forderte. Der vermehrte Einsatz von Gewerbeärzten wirkte befruchtend auf die Entwicklung der Arbeitsmedizin. Ihr Arbeitsgebiet war durch Erlasse der Länderregierungen festgelegt. Neben der Durchführung der Arbeiterschutzgesetze und der Funktion als Sachverständige, oblag ihnen auch die Durchführung wissenschaftlicher Arbeiten, die Weiterbildung für Aufsichtsbeamte, Ärzte, Betriebsräte und Arbeiter, sowie die Untersuchung sozialhygienischer Probleme der erwerbstätigen Bevölkerung und deren Umwelt. Ein Vorreiter auf dem Gebiet der Sozialen Hygiene war der erste preußische Landesgewerbearzt Ludwig Teleky.[14] Doch die pathogenetische Herangehensweise hatte sich unter den Ärzten etabliert. Ihre Blickrichtung war retrospektiv von der Krankheit auf eine mögliche Gefährdung gerichtet. Die Unfallversicherung bildete weiterhin die Grundlage der Problembehandlung. Die Rationalisierungswelle in den Betrieben brachte einerseits Arbeitserleichterungen, aber andererseits auch Arbeitsintensivierung, Dequalifikation und Entfremdung von der Arbeit mit sich. Um die Arbeiter optimal gemäß ihren Fähigkeiten auf die vorhandenen Arbeitsplätze zu verteilen, wurden vermehrt Einstellungs- und Tauglichkeitsuntersuchungen durchgeführt.

Arbeitspsychologen und -physiologen propagierten eine "Erziehung des Menschen für die Wirtschaft" und sprachen von einer "Bewirtschaftung des Menschenmaterials" . Diese Degradierung des werktätigen Menschen zum Objekt kritisierten nur wenige Ärzte. Erst ab 1925 wurden auch bestimmte Gewerbekrankheiten durch die Unfallversicherung entschädigt. Gewerkschaften, Sozialdemokraten und der Fabrikarbeiterverband hatten sich für eine Berufskrankheitenverordnung eingesetzt. Allerdings umfaßte sie zu Beginn lediglich elf Krankheiten, bei denen es sich hauptsächlich um Vergiftungen handelte. Die Einbeziehung der Arbeiterkrankheiten war weiter aus dem Blickfeld gerückt und damit auch die Gedanken an Prävention. Ausschlaggebend für die listenmäßige Erfassung einer Erkrankung als Berufskrankheit, war nicht etwa ihr Schweregrad oder ihre Ausbreitung sondern ihre Nachweisbarkeit. Aber auch die erfaßten Berufskrankheiten wurden häufig nicht angezeigt, da die Fabrikärzte dies für überflüssig hielten oder eine Rentenhysterie befürchteten. Um ihr Klientel bei der Anerkennung von Berufskrankheiten zu unterstützen, holten sich die Gewerkschaften jetzt fachmännische Unterstützung in ihre Reihen. Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) schuf eine Abteilung "Gewerbeaufsicht, Gewerbehygiene und Gesundheitsschutz". Ihr Ziel war es, das Versicherungswesen zu vereinheitlichen und das Gesundheitswesen zu sozialisieren. Als Partner für die Beschaffung der stichhaltigen medizinischen Dokumente wählten sie die Krankenkassen und nicht die den Arbeitgebern nahestehenden Berufsgenossenschaften. Gemeinsam führten sie auch wissenschaftliche Untersuchungen über die Pathogenese verschiedener arbeitsbedingter Erkrankungen durch. Die gutachterliche Begründung einer Berufskrankheit erforderte die Herleitung eines monokausalen Zusammenhanges zwischen Schaden und Arbeit. Dieses naturwissenschaftliche Verfahren band Kräfte, die der Gewerbehygiene für eine sozialpolitische Intervention in Industrielle Pathologie verloren gingen. Die Begründung des Einzelfalles verhinderte gleichzeitig den Aufbau allgemeiner Arbeitsschutzmaßnahmen.[15]

3.4. Arbeitsmedizin im Nationalsozialismus

Die Machtübernahme Hitlers hatte auf die Arbeitsmedizin große Auswirkungen.

Personalpolitisch änderte sich jedoch zunächst wenig. Viele Gewerbemediziner blieben in ihren Positionen, paßten sich den neuen Gegebenheiten an oder gestalteten sie aktiv mit. Die Sozialisten oder Juden (wie z.B. Teleky) unter ihnen hingegen emigrierten zum großen Teil. [16]

Schon der Begründer der Sozialhygiene Alfred Grotjahn zielte auf die Verbesserung der physischen und sozialen Konstitution des Menschen. Er hielt die Eugenik daher für denHöhepunkt sozialhygienischer Maßnahmen.[17] Die im Nationalsozialismus propagierte und praktizierte Rassenhygiene setzte diesen Weg auf grausamste Weise fort.

Zur Durchsetzung ihrer leistungsmedizinischen Ideologie mußten die Faschisten zunächst die Arbeiterbewegung entmachten. Die freien Gewerkschaften wurden zerschlagen und statt dessen die Deutsche Arbeitsfront (DAF) aufgebaut.

Die Grundkonstante des NS-Gesundheitswesen war die Trias Leistung - Verwertung - Vernichtung. Auch im Betrieb sollte eine "Gesundheitsführung" stattfinden. Die Hebung der Leistungsfähigkeit des arbeitenden Menschen war das primäre Ziel. Laut Rassenhygiene war diese erb- und konstitutionsbiologisch festgelegt und bei den Deutschen besonders ausgeprägt. Sie galt als Meßgröße für den "sozialen Wert" des Menschen. Angestrebt wurde das Zusammentreffen des Zeitpunktes des Verfalls des individuellen Leistungsvermögens mit dem physiologischen Tod.

Die Wirklichkeit sah aber anders aus. Die "Gesundheitspflicht", die die Betroffenen letztendlich mit ihrer Krankheitsbewältigung allein ließ, führte zu einem Anstieg der Unfallhäufigkeit und zu einer Zunahme der Berufskrankheiten bei gleichzeitigem geringen Krankenstand. Durch die stringentere Entschädigungspraxis kam es jedoch zu einem Rückgang der Invalidenrenten. Und auch die Entschädigungsquote für Berufskrankheiten sank, trotz des umfassenderen Kataloges. Die Erweiterung der Erfassungs-, Melde- und Dokumentationsbestimmungen verstärkte die umgekehrt proportionale Entwicklung zwischen Schadensmeldung und Entschädigung.

Betriebsärzte wurden als Instrument dieser "Gesundheitspolitik" von den Unternehmen eingestellt. Ihre Anzahl und Bedeutung stieg vehement in den Kriegsjahren. Schließlich übernahmen sie auch die Funktion der Vertrauensärzte. Teilweise praktizierten sie aufgrund der geringen Ressourcen eine "Triage", bei der das Krankenkollektiv je nach Kostenaufwand und Behandlungschance aufgeteilt wurde. Ihr Ansehen bei den Arbeitern war daher miserabel. Als schrecklichen Höhepunkt der Nationalsozialistischen Arbeits- und Sozialpolitik ist sicherlich das Programm "Vernichtung durch Arbeit" und die "Verwertung" leistungsgeminderter Menschen als Objekte medizinischer Experimente zu sehen.[18]

3.5. Die Bundesrepublik Deutschland und ihr Umgang mit dem Arbeitsschutz

Nach dem von den Alliierten herbeigeführten Zusammenbruch der Nazi-Diktatur, kamen auch die wesentlichen gesundheitspolitischen Anstöße von den Besatzungsmächten. Der amerikanische Arzt Irving R. Tabershaw führte eine Untersuchung zur Lage der Gewerbehygiene in Deutschland durch. Er stellte fest, daß in diesem Bereich, in dem die Deutschen in der Weimarer Republik Vorreiter waren, jetzt unhaltbare Zustände herrschten.

Den von ihm attestierten mangelnden Gesundheitsschutz der Arbeiter, sah er auch als Folge der Ausgrenzung der Prävention durch die Sozialversicherung. Tabershaws abschließendes Urteil über die Landesgewerbeärzte lautete: "None of the Landesgewerbeärzte have any concept that their function embrace interest in nonoccupational disease, in the total health of the worker, or in furthering general public health!"[19]

Doch trotz dieser genauen Analyse wurde das Prinzip der Sozialversicherung beibehalten, denn die meisten gesundheitspolitischen Akteure sahen es als bewährtes Konzept an. Die Kritik, die erfolgte war daher in erster Linie systemimmanent. Auch der neu formierte Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) plädierte in seinen "Sozialpolitischen Grundsätzen" von 1949 für einen Neuaufbau der Sozialversicherung. Seine Reformvorstellungen beinhalteten z.B. die Vereinheitlichen der Sozialversicherung sowie den Ausbau des Arbeitsschutzes. Der Restaurationswillen schlug sich deutlich bei den ersten Wahlen zum Deutschen Bundestag nieder. Die SPD erlitt eine Niederlage, und die gewählte konservative Regierungskoalition dachte an keine weitreichenden Reformen.[20]

1949 begann die Etablierung der Arbeitsmedizin an den Deutschen Hochschulen durch Vergabe eines dafür eingerichteten Extraordinates an der Universität Saarbrücken.[21] Außer dem Erlaß einiger Richtlinien und Vereinbarungen für die Tätigkeiten des werks- und betriebsärztlichen Dienstes passierte in den Folgejahren nichts im Sinne des Arbeitsschutzes. Vor allem in den Klein- und Mittelbetrieben war die diesbezügliche Lage kritisch. Die Reformbewegung Ende der sechziger Jahre brachte auch für den Arbeitsschutz neue Impulse. Die Anpassung der Arbeit an den Menschen wurde gefordert und der Begriff "Humanisierung des Arbeitslebens" (HdA) geprägt. Das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 nahm diese Anregung auf. Die Arbeitnehmervertretungen bekamen Mitbestimmungs- und Überwachungsrechte in Fragen des Arbeitsschutzes. Das Arbeitssicherheitsgesetz von 1973 verbesserte den Arbeitsschutz etwas. Ab diesem Zeitpunkt waren die Betriebe verpflichtet Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte zu bestellen und einen Arbeitsschutzausschuß einzurichten. Dadurch taten sich viele neue Arbeitsplätze in der Arbeitsmedizin auf. Kurz darauf (1975) folgte als weiteres Regelwerk die Arbeitsstättenverordnung. Diese Vorschrift über die Beschaffenheit von Arbeitsstätten gehörte zum Gewerberecht. Somit galt sie nur für Industrie-, Handels- und Handwerksbetriebe. Dieses Manko hatte zur Folge, daß der Ruf nach einem überall gültigen Arbeitsschutzgesetz immer lauter wurde. Trotzdem wurden zunächst weitere spezielle Verordnungen und Gesetze, die sich vor allem mit Gefahrstoffen auseinandersetzten verabschiedet.[22]

In den Folgejahren wandelte sich das Gesundheitsverständnis in der Bevölkerung. Die neue Gesundheitsbewegung suchte und schuf alternative Konzepte von Gesundheit. Zu Grunde lag diesen ein ganzheitliches Verständnis, das den Menschen nicht nur als physisches Wesen sah, sondern auch seine psycho-sozialen und spirituellen Bedürfnisse anerkannte. In der Weltgesundheitsorganisation setzte sich die Idee der Gesundheitsförderung durch. Auf der ersten internationalen Konferenz der WHO zu diesem Thema am 21.11.1986 wurde die "Ottawa-Charta" verabschiedet. In ihr wird z.B. die Schaffung "Gesundheitsförderliche Lebenswelten" als Grundlage für aktives, gesundheitsförderndes Handeln gefordert. Angeregt dadurch hielt der Gesundheitsförderungsgedanke auch in der deutschen Gesundheitspolitik einzug. Mit dem Gesundheitsreformgesetzgesetz vom 20.12.1988 wurde der Anspruch GKV-Versicherter auf "Leistungen zur Förderung der Gesundheit" normiert.[23] Erst auf Druck der Europäischen Union schaffte es Deutschland ein umfassendes Arbeitsschutzgesetz in Kraft zu setzen. Auslöser war die EG-Rahmenrichtlinie 89/391/EWG vom 12. Juni 1989. Die Umsetzung in Deutschland wurde bis zum August 1996 hinausgezögert. Das neue Paradigma, das den Hintergrund für diese Arbeitsschutzreform bildet, deckt sich mit den Erkenntnissen und Forderungen der Public-Health-Forscher. Kernstück ist ein gewandeltes Gesundheitsverständnis. Gesundheit wird nicht mehr gleichgesetzt mit der bloßen Abwesenheit von Krankheit oder Arbeitsfähigkeit oder gar Leistungsfähigkeit, sondern wird als ein Prozeß verstanden, den man nicht von außen herstellen kann, der sich aber durch die Schaffung einer stimmigen Umwelt fördern läßt. Aus dieser Sichtweise heraus lassen sich die neuen Anforderungen an den Arbeitsschutz verstehen, von denen hier nur die wesentlichen genannt werden:[24]

- Ganzheitlichkeit = Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren + Gesundheits- förderung + menschengerechte Gestaltung der Arbeit + Arbeitgeberverantwortung
- Sicherheitsmanagement = präventive Gesundheitspolitik als Führungsaufgabe
- Anpassungspflicht = Reaktion von Arbeitsschutzmaßnahmen auf veränderte Erkenntnisse
- Betriebsorientierung = Ausweitung des Arbeitsschutzes auf alle Tätigkeitsfelder
- Kooperationsprinzip = Zusammenarbeit aller betrieblichen Arbeitsschutzexperten unter wirksamer Beteiligung der Arbeitnehmer und ihrer Vertretungen
- Partizipationsprinzip = Einbeziehung der einzelnen Beschäftigten in die Sorge für Sicherheit und Gesundheit
- Einheitlichkeit und Transparenz des Arbeitsschutzrechtes
- Gefährdungsbeurteilung und Maßnahmenplanung durch den Arbeitgeber
- Wirksamkeitsprüfung und Dokumentation durchgeführter Schutzmaßnahmen

Dieses salutogenetische Konzept fand kurz darauf auch Eingang in die Unfallversicherung.

Zum ersten Mal erhielten die Berufsgenossenschaften den Auftrag, sich um die Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren zu kümmern. Laut §1 SGB VII besteht die präventive Aufgabe der Unfallversicherung darin, "mit allen geeigneten Mitteln Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sowie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten".[25] In § 14 SGB VII wird noch die Ursachenforschung hinzugefügt.[26] Der Präventionsauftrag der Krankenkassen wurde hingegen kurz darauf mit dem Beitragsentlastungsgesetz von 1996 zurückgenommen. Diese beiden Institutionen sind aber weiterhin zur Zusammenarbeit verpflichtet.[27] Damit die Träger der Unfallversicherung diese Aufgabe erfüllen können, bedarf es einer Reform dieser Einrichtungen. Durch ihre über hundertjährige Fixierung auf die Entschädigung von Unfällen und die etwas kürzere Praxis im Berufskrankheitenverfahren, sind ihre Ressourcen und Struktur nicht auf Prävention und Gesundheitsförderung vorbereitet. Die monokausale naturwissenschaftlich-technische Blickrichtung verhindert die ganzheitliche Betrachtung von Gesundheitsgefahren. Das sich das in den nächsten Jahren ändern wird, wäre für die Entwicklung des Arbeitsschutzes und die Gesundheit der Arbeitnehmer zu hoffen.[28]

4. Betrachtung Pathogenese vs. Salutogenese

Was beinhaltet ein pathogenetisches bzw. ein salutugenetisches Paradigma? Bevor ich zu einer Gegenüberstellung komme, möchte ich zunächst die Kernaussagen beschreiben. Pathogenese: "Krankheitsentstehung"[29], "--- Prozeß der Ausbildung einer Erkrankung"[30] Entscheidend ist hierbei die retrospektive Betrachtung von einem Ereignis (Krankheit, Unfall) zur Ursache. Das setzt eine Einzelfallorientierung voraus, die die allgemeine Gefährdung ausblendet. Da die Schädigung oder der Ausfall körperlicher Funktionen schneller beobachtbar und leichter nachweisbar ist, liegt in diesem Bereich der Schwerpunkt. Arbeitswissenschaftliche Grundlagen wie das Reiz-Reaktions-Modell und das Belastungs- Beanspruchungs-Modell dienen als Erklärungsmethode. Damit wird der Kranke zum Objekt, das sich nur passiv den Bedingungen anpassen kann. Ziel der durchgeführten Maßnamen ist die Wiederherstellung der Gesundheit, bzw. in der Arbeitsmedizin die Rückführung in Lohnarbeit.[31]

Salutogenese: Gesundheitsentstehung

Der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky prägte diesen Begriff in den achtziger Jahren dieses Jahrhunderts. Entscheidend ist hierbei die Änderung der Blickrichtung und der dichotomen Betrachtungsweise durch die Frage: "Was rückt die Leute in Richtung auf das gesunde Ende des health-ease / dis-ease-Kontinuums?"[32] Antonovsky hat als Antwort darauf seine Gesundheitstheorie entwickelt. Der gesundheitliche Standort eines Menschen ergibt sich danach aus der Interaktion zwischen Stressoren und Widerstandsressourcen. Zu letzterem zählt er vor allem den Kohärenzsinn (SOC), der sich aus den Komponenten Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit zusammensetzt.[33] Ich will auf dieses Modell nicht weiter eingehen, da es mir erstens sehr kompliziert und zweitens nicht sehr praxisnah erscheint. Besser geeignet als Instrument der Arbeitsmedizin ist meines Erachtens der Public Health Action Cycle:

Abb. 1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Rolf Rosenbrock hat in mehreren Publikationen sehr plastisch den bisherigen Standard dem Modell der Public Health Intervention in der Betrieblichen Gesundheitsförderung gegenübergestellt. Der bisherige Standard ist das Handeln nach dem Pathogenetischem Paradigma, also dem biomedizinischem Modell. Die Public Health Innovation orientiert sich dagegen an der Salutogenese.

Abb. 2

Assessment (Problemwahrnehmung)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle der Tabellen: Rolf Rosenbrock, WZB, in: Gesundheitswesen 57 S. 140-144, Thieme 1995; ähnlich in: Müller, Rainer / Rosenbrock, Rolf, 1998, S. 21-28

Deutlich sichtbar an dieser Gegenüberstellung ist die kollektive, interdisziplinäre, partizipative, ressourcenstärkende, prozeßorientierte, ganzheitliche, präventive und gesundheitsfördernde Ausrichtung der Public Health Innovation.

5. Resümee

Die Arbeitsmedizin ist eine interdisziplinäre Wissenschaft und daher in besonderem Maße abhängig von Außeneinflüssen. Sie steht im Spannungsfeld zwischen soziokulturellem Wandel, Gefährdungsverschiebung, Machtverteilung im Betrieb, Organisationsentwicklung, Produktivität, Arbeits- Sozial und Gesundheitspolitik und rechtlicher Rahmenbedingungen. Im Spiegel dieser Begleitung läßt sich ihre Entwicklung wie folgt zusammenfassen:

Bis zur Einführung der Unfallversicherung existierten in der Gewerbehygiene, auch angeregt durch die Gesundheitspflegebewegung, durchaus Überlegungen eines Gesundheits-schutzes, der die Prophylaxe mit einbezog.[34] "Gewerbehygiene --- war in der Tat ein Grenzgebiet verschiedener Wissenschaftszweige, dessen Erkenntnisse nicht ohne die Betroffenen reiften und nicht ohne beständige Thematisierung zu einem besserem Gesundheitsschutz führten."[35] Die Sozialversicherungsgesetzgebung veränderte diese präventive Orientierung. Gesundheitsprobleme wurden nur noch wahrgenommen, wenn ein Schadensfall eingetreten war. Dies förderte eine biomedizinische, juristische, retrospektive Einzelfallbetrachtung. Allgemeine Arbeitsbedingungen und soziale Lage waren kaum noch Interventionsbereiche. In der Weimarer Republik änderte sich nur wenig, da die sozialreformerischen Kräfte mit ihrer Kritik im System blieben. Die Ausweitung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten verstärkte sogar das pathogenetische Paradigma.

Für die Volksgesundheit der Nationalsozialisten war nur Leistungsfähigkeit entscheidend. Pathogenese spielte dann eine Rolle, wenn sie mit der Rassenhygiene übereinstimmte. Die "Gesundheitsführung" diente nicht dazu Gesundheit zu fördern, sondern der Aufteilung der Menschen gemäß ihres "sozialen Wertes", der ihre "Verwertungseignung" kennzeichnete. Wie schon in der Weimarer Republik, wurde auch in der Bundesrepublik Deutschland kein Neuanfang gewagt. Der Dualismus zwischen Gewerbeaufsicht und Unfallversicherungs- trägern im Arbeitsschutz blieb bestehen. Erst nach der Übernahme der Regierung durch die sozialliberale Koalition entstanden kleinere Arbeitsschutzrelevante Gesetze. Sie hafteten jedoch noch am biomedizinischen Modell.

Durch die Einführung des Arbeitsschutzgesetzes 1996 hat der Gesundheitsschutz branchenweit eine gesetzliche Grundlage erhalten. Hiernach hat der Arbeitgeber nicht nur Maßnahmen zur Verhütung von Unfällen zu treffen, sondern auch gegen arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und für die menschengerechte Gestaltung der Arbeit.[36] Da gleichzeitig auch die Berufsgenossenschaften im SGB VII einen Präventionsauftrag erhalten haben, besteht erstmals die Möglichkeit von zwei Seiten für gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen zu sorgen. Es ist zu wünschen, daß diese beiden Institutionen synergetische Kräfte entwickeln und dazu beitragen, daß ein salutogenetisches Paradigma in der Arbeitswelt Einzug hält. Die Erfahrungen der Krankenkassen könnten besser genutzt werden, wenn diese auch wieder gesundheitsfördernde Leistungen abrechnen dürften. "Erwerbsarbeit kann gesundheitsgefährdend, aber auch gesundheitsfördernd wirken, sie definiert den soziale Status, bestimmt den Lebensstil des Menschen und ermöglicht seine soziale existentielle Sicherung."[37] Die Erkenntnis, daß Erwerbsarbeit auch gesundheitsfördernd wirken kann, stellt sich in den letzten Jahren vermehrt ein, vor allem, wenn man ihr die Pathogenität der Erwerbslosigkeit gegenüberstellt. Gleichzeitig sind multiprofessionelles Fachwissen und Strategien für gesundheitsfördernde Interventionen im Betrieb vorhanden. Hindernisse zeigen sich jedoch im Bereich der Umsetzung und große Mängel bei der Evaluation von Maßnahmen. Solange hierarchische Strukturen im Unternehmen vorherrschen, Kontrolle wichtiger als Gestaltung ist und der Arbeitnehmer in erster Linie als ersetzbarer Produktionsfaktor gesehen wird, dürfte das salutogenetische Paradigma Schwierigkeiten beim Einzug in die Betriebsphilosophie haben.

Anhang

Zeittafel wichtiger arbeitsschutzrelevanter Ereignisse[38]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Literaturverzeichnis

Bücher und Broschüren

Arbeitsschutzgesetz in: Taschenbuch für Angestellte imöffentlichen Dienst, Stuttgart 1998, Verlagsanstalt Courier GmbH

Deppe, Hans-Ulrich / Regus, Michael (Hrsg.): Seminar: Medizin, Gesellschaft, Geschichte, Frankfurt/Main 1975, Suhrkamp

Hauß, Friedrich (Hrsg.): Arbeitsmedizin und präventive Gesundheitspolitik, Frankfurt/Main 1982, Campus

Kaupen-Haas, Heidrun / Rothmaler, Christiane (Hrsg.): Strategien der Gesundheitsökonomie, Frankfurt/Main 1998, Mabuse

Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt (KDA) Bundesvorstand sowie Fachausschu ß

Humanisierung - Neue Technik (Hrg.): Leben Arbeit und Gesundheit 2000, Boll / Berlin 1994, Stimme der Arbeit Verlag

Marschall, Bodo et al.: Überlegungen zur Situation der Arbeitsmedizin in der Bundesrepublik Deutschland - Eine Begutachtung aus betriebsärztlicher Sicht, Dortmund 1989, Wirtschaftsverlag NW

Müller, Rainer / Rosenbrock, Rolf: Betrtiebliches Gesundheitsmanagement, Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung - Bilanz und Perspektiven, Sankt Augustin 1998, Asgard Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.): Berufsarbeit und Krankheit - Gewerbehygienische, historische juristische und sozialepidemiologische Studien zu einem verdrängten sozialen Problem zwischen Arbeitnehmerschutz und Sozialversicherung, Frankfurt/Main 1985, Campus

Norporth, Klaus H.: Einführung in die Arbeitsmedizin, Landsberg/Lech 1991, ecomed Pensky, Angelika: Schutz der Arbeiter vor Gefahren für Leben und Gesundheit - Ein Beitrag zur Geschichte des Gesundheitsschutzes für Arbeiter in Deutschland, Dortmund 1987, Wirtschaftsverlag NW

Priester, Klaus: Betriebliche Gesundheitsförderung, Voraussetzungen - Konzepte - Erfahrungen, Frankfurt/Main 1998, Mabuse

Pschyrembel, Willibald: Klinisches Wörterbuch, Berlin / New York 1982, de Gruyter

Rosenbrock, Rolf / Hauß, Friedrich (Hrsg.): Krankenkassen und Prävention, Berlin 1985, edition sigma Sozialgesetzbuch, München 1997, dtv

Waller, Heiko: Gesundheitswissenschaft - Eine Einführung in Grundlagen und Praxis, Stuttgart 1995, Kohlhammer

Periodika

Kentner, M.: Paradigmenwechsel im Gesundheits- und Arbeitsschutz, in: Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin, S. 412-413, 33, 9, 1998

[...]


1 Vgl.: Müller, Rainer / Rosenbrock, Rolf: Betrtiebliches Gesundheitsmanagement, Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung - Bilanz und Perspektiven, 1998, S. 15

2 Vgl. Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.): Berufsarbeit und Krankheit - Gewerbehygienische, historische juristische und sozialepidemiologische Studien zu einem verdrängten sozialen Problem zwischen Arbeitnehmerschutz und Sozialversicherung, 1985, S. 27 + 363 sowie Norporth, Klaus H.: Einführung in die Arbeitsmedizin, 1991, S. 17

3 Vgl. Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, S. 50 + 341 und Norporth, Klaus H, 1991, S. 15

4 Vgl. Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, S. 49-50 + 346 und Norporth, Klaus H., 1991, S. 16 sowie Hauß, Friedrich (Hrsg.): Arbeitsmedizin und präventive Gesundheitspolitik, 1982, S. 28

5 Vgl. Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, S. 51-52 + 349-350 und Hauß, Friedrich (Hrsg.), 1982, S. 28-32 ebenfalls Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt (KDA) Bundesvorstand sowie FachausschußHumanisierung - Neue Technik (Hrg.): Leben Arbeit und Gesundheit 2000 1994, S. 60 sowie Rosenbrock, Rolf / Hauß, Friedrich (Hrsg.): Krankenkassen und Prävention, 1985, S. 3-5

6 Machtan, L. in: Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, S. 61-62

7 Machtan, L. in: Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, S. 65

8 Rosenbrock, Rolf / Hauß, Friedrich (Hrsg.), 1985, S. 10

9 Vgl. Pensky, Angelika: Schutz der Arbeiter vor Gefahren für Leben und Gesundheit - Ein Beitrag zur Geschichte des Gesundheitsschutzes für Arbeiter in Deutschland, 1987, S. 12

10 Vgl. Marschall, Bodo et al.: Überlegungen zur Situation der Arbeitsmedizin in der Bundesrepublik Deutschland - Eine Begutachtung aus betriebsärztlicher Sicht, 1989, S. 7-9 und Machtan, L. in: Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, 64-71

11 Vgl. Pensky, Angelika, 1987, S. 209-246 und Hauß, Friedrich (Hrsg), 1982, S. 33-34

12 Vgl. Machtan, L. in: Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, S. 79

13 Vgl. Machtan, L. in: Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, S. 84-85

14 Vgl. Hauß, Friedrich (Hrsg), 1982, S. 36-38

15 Vgl. Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, S. 83-109

16 Vgl. Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, S. 111

17 Vgl. Deppe, Hans-Ulrich / Regus, Michael (Hrsg.): Seminar: Medizin, Gesellschaft, Geschichte, 1975, S. 111f

18 Vgl. Roth, Karl-Heinz: Public Health - Nazi Style, in: Kaupen-Haas, Heidrun / Rothmaler, Christiane (Hrsg.): Strategien der Gesundheitsökonomie, 1998, S. 131-176 und Roth, KarlHeinz: Leistungsmedizin und Vernichtung, ebd. S. 177-195 sowie Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, S. 111-126

19 Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, S. 130 (mit einem Zitat von Tabershaw, Irving,R.)

20 Vgl. Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, S. 127-133

21 Vgl. Marschall, Bodo et al, 1989, S. 10 anders aber Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, S. 131

22 Vgl. Marschall, Bodo et al, 1989, S. 10-16 und KDA Bundesvorstand sowie FachausschußHumanisierung - Neue Technik (Hrsg.) 1994, S. 60-61

23 Vgl. Priester, Klaus: Betriebliche Gesundheitsförderung, Voraussetzungen - Konzepte Erfahrungen, 1998, S.109-127

24 Anm. siehe hierzu auch Kentner, M.: Paradigmenwechsel im Gesundheits- und Arbeitsschutz, in: Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin, S. 412-413, 33, 9, 1998

25 § 1, 1 SGB VII in: Sozialgesetzbuch, 1997, dtv

26 s. §14, I, SGB VII in: Sozialgesetzbuch, München 1997, dtv

27 Vgl. . Priester, Klaus:, 1998, S.127-137

28 Vgl. Müller, Rainer / Rosenbrock, Rolf:, 1998, S.15-19

29 Pschyrembel, Willibald: Klinisches Wörterbuch, 1982, S. 898

30 Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, S. 218

31 Vgl. Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, S. 195-222 und Pensky, Angelika, 1987, S. 253-273

32 Waller, Heiko: Gesundheitswissenschaft - Eine Einführung in Grundlagen und Praxis, 1995, S. 15 (mit einem Zitat von Aaron Antonovsky)

33 Vgl. Waller, Heiko, 1995, S. 14-17

34 Vgl. Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, S. 49-52

35 Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, S. 52

36 s. § 1 f. Arbeitsschutzgesetz in: Taschenbuch für Angestellte imöffentlichen Dienst, 1998, S. 1054 f.

37 Müller, Rainer / Rosenbrock, Rolf, 1998, S. 11

38 Vgl. Milles, Dietrich / Müller, Rainer (Hrsg.), 1985, S. 341-373 (Auswahl durch die Verfasserin), ab dem Jahr 1984: Vgl.: Priester, Klaus: Betriebliche Gesundheitsförderung, Voraussetzungen - Konzepte - Erfahrungen, Frankfurt/Main 1998, Mabuse, S. 120-137 sowie Müller, Rainer / Rosenbrock, Rolf:, 1998, S.15-19, Taschenbuch für Angestellte imöffentlichen Dienst, 1998, S. 925

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Der Paradigmenwechsel in der Arbeitsmedizin: von der Pathogenese zur Salutogenese
Note
1,0
Autor
Jahr
1999
Seiten
25
Katalognummer
V97466
ISBN (eBook)
9783638959186
Dateigröße
510 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
spannend und kritisch dargestellte Betrachtung der Entwicklung der Arbeitsmedizin von ihren Ursprüngen bis in die heutige Zeit.
Schlagworte
Paradigmenwechsel, Arbeitsmedizin, Pathogenese, Salutogenese
Arbeit zitieren
Corinna Meyer-Suter (Autor:in), 1999, Der Paradigmenwechsel in der Arbeitsmedizin: von der Pathogenese zur Salutogenese, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97466

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