Hannah Arendt und der Eichmann-Prozess. Die Hochphase der Kontroverse


Hausarbeit, 2016

28 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Eichmann-Prozess

3. Die Kontroversen um den Eichmann-Prozess

4. Kritikpunkte
4.1 Die „Banalität des Bösen“
4.2 Der Prozess
4.3 Die Rolle der jüdischen Führung
4.4 Der Gesamteindruck

5. Kritiker
5.1 Gershom Scholem
5.2 Kurt Blumenfeld
5.3 Ernst Simon
5.4 Gesamteindruck der Kritik
5.5 Golo Mann
5.6 Rolf Schroers

6. Unterstützer

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Es ist vorauszusehen, dass Hannah Arendts Buch nicht ohne Anfeindungen bleiben, wahrscheinlich aber auch von vielen mißverstanden und falsch gedeutet werden wird.“1 Mit diesen weitsichtigen Worten endete die erste ausführliche Rezension in der Neuen Zürcher Zeitung des Redakteurs Eric Streiff von Hannah Arendts kontroversem Buch „Eichmann in Jerusalem“2.

Der 1963 erschienene Prozessbericht der politischen Theoretikerin Hannah Arendt vom Verfahren vor dem Jerusalemer Bezirksgericht gegen Adolf Eichmann verursachte eine polemische öffentliche Auseinandersetzung, die sich an verschiedenen Aspekten ihrer Analyse abarbeitete, die zum Teil aber auch in persönliche Angriffe auf die Autorin ausartete und die ihr letztes Lebensjahrzehnt überschattete.3

Die Verweildauer von Kontroversen nimmt gegenwärtig angesichts der alles durchdringenden Medienpräsenz immer mehr ab. Auf einen Aufschrei folgt meist recht schnell der nächste und die öffentliche Aufmerksamkeit wandert weiter. Dass ein Ereignis, eine Äußerung oder Meinung auch nach Jahrzehnten noch diskutabel ist, ist daher einer näheren Betrachtung wert.

Die Kontroverse um Hannah Arendts Bericht, „die an Bitterkeit und Schärfe nicht zu überbieten war“4, ist ein prägnantes Beispiel für einen mit äußerster Härte ausgetragenen öffentlichen Disput, der seinerzeit wohl nur infolge der Ermordung John F. Kennedys recht schnell abebbte, aber in der intellektuellen Welt noch lange Zeit nachhallte und bis heute von wissenschaftlichem Interesse ist.

Die nachfolgenden Ausführungen sollen die Auseinandersetzung um den EichmannBericht in seinen Grundzügen nachvollziehen. Dafür werden nach einer kurzen Darstellung des historischen Kontextes die zentralen Kritikpunkte zusammengefasst und die Kontroverse rekapituliert. Durch die exemplarische Darstellung verschiedener Kritiker und ihrer Argumentation in der Kontroverse soll dem Kern der Auseinandersetzung näher gekommen und tiefer liegende Intentionen aufgezeigt werden.

Die Untersuchung konzentriert sich zeitlich auf die unmittelbare Hochphase der Kontroverse sowie ihre publizistischen Nachwirkungen, wobei auch auf Erkenntnisse der neueren Forschung zurückgegriffen wurde.

Von der zu Rate gezogenen Literatur sind besonders der bereits 1964 von Friedrich A. Krummacher herausgegebene Sammelband mit kritischen Essays zahlreicher intellektueller Rezensenten5 oder auch verschiedene Korrespondenzsammlungen zwischen Hannah Arendt und Freunden und Unterstützern wie etwa Karl Jaspers, aber auch entschiedenen Gegnern wie etwa Gershom Scholem, zu nennen. Aus der neueren Forschung sind zudem der von Gary Smith herausgegebene und im Rahmen einer Tagung zu Arendts Eichmann-Buch entstandenen Essayband6 sowie etwa die ArendtBiografie von Kurt Sontheimer und die Eichmann-Biografie David Cesaranis7 zu nennen.

2. Der Eichmann-Prozess

Um die Erregung um und das Echo auf Hannah Arendts Prozessbericht nachzuvollziehen, ist es zunächst notwendig, den zugrunde liegenden Prozess in seinen historischen Kontext einzuordnen und Adolf Eichmanns Laufbahn bis vor ein israelisches Gericht kurz zu rekapitulieren.

Der 1906 in Solingen geborene Adolf Eichmann verbrachte seine Jugend im österreichischen Linz, arbeitete für verschiedene Unternehmen als Reisevertreter und trat 1932 in die aufstrebende österreichische NSDAP und die SS ein. 1933 kam er nach Deutschland, wo er 1934 Mitarbeiter des SD (Sicherheitsdienst) wurde, dem kleinen Parteigeheimdienst Reinhard Heydrichs, der sich später zu einem zentralen Instrument der Judenverfolgung entwickelte.

Im neu gegründeten Referat für „Judenangelegenheiten“ stieg Eichmann auf und kehrte 1938 als Experte für Zionismus und die jüdische Auswanderung nach dem „Anschluss“ nach Österreich zurück, wo er erstmals mit exekutiver Macht ausgestattet die Vertreibung der Juden forcierte. Über Prag kam er nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wieder nach Berlin. Nach der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 wurde seine bisherige Hauptaufgabe, die Deportation von Juden aus Deutschland, Österreich und dem Protektorat Böhmen und Mähren, maßgeblich erweitert und er wurde „zum Manager des größten Völkermords der Geschichte.“8

Nach Kriegsende geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, konnte dieser jedoch im Februar 1946 entkommen und folgte wie viele andere flüchtige Nazis nach einigen Jahren in Norddeutschland 1950 der sogenannten „Rattenlinie“, die über Italien nach Argentinien führte.

Dort konnte er mit seiner ihm nachgereisten Familie einige Jahre ungestört leben, bis er 1956 eher zufällig in den Fokus des israelischen Geheimdienstes Mossad geriet. Die Spur wurde zunächst fahrlässig behandelt und nicht weiter verfolgt und erst 1959 folgte eine Neuaufnahme des Falls. In einer verdeckten Mission entführte ihn der Mossad schließlich im Mai I960 in der Nähe seines Hauses in Buenos Aires und brachte ihn in einer Maschine der staatlichen Fluglinie El Al nach Israel.

In Jerusalem begann nach monatelangen Verhören am 11. April 1961 der Prozess gegen Adolf Eichmann, der mit der Verurteilung zum Tod durch Erhängen enden sollte.9

3. Die Kontroversen um den Eichmann-Prozess

Das die Kontroverse auslösende Buch „Eichmann in Jerusalem. A report on the Banality of Evil“ erschien 1963, ein Jahr später folgte die deutsche Übersetzung. Erstmals veröffentlicht wurde der Inhalt zuvor bereits Anfang 1963 in fünf langen Beiträgen im US-amerikanischen Magazin The New Yorker, für das Hannah Arendt auf eigene Initiative hin als Beobachterin den Eichmann-Prozess in Jerusalem verfolgte.10

Das Erscheinen von „Eichmann in Jerusalem“ führte zu einer hitzig geführten öffentlichen Kontroverse. Besonders vehement ausgetragen wurde die Debatte in Israel und unter denjüdischen Intellektuellen New Yorks, zu denen Hannah Arendt auch selbst gehörte.11 Der jüdisch-amerikanische Schriftsteller Irving Howe sprach gar davon, dass das Buch in Amerika unter Juden und vor allem unter Intellektuellen einen „Bürgerkrieg“ ausgelöst habe.12

Dass der Eichmann-Prozess auch heute noch stark mit ihrem Namen assoziiert wird, bedeutet allerdings nicht, dass sie die einzige Intellektuelle gewesen ist, die sich kritisch mit dem Strafverfahren auseinandersetzte.

So äußerte sich etwa auch der Soziologe und Philosoph Max Horkheimer recht „schroff und unterkühlt“13 hinsichtlich eines Prozesses in Israel. Aus seiner Sicht wären die negativen Auswirkungen deutlich größer als der zu erreichende aufklärerische Nutzen. Vor allem befürchtete er, dass die Instrumentalisierung des Prozesses und die Übernahme der Methoden der Gegner das Judentum moralisch korrumpieren würden14 („Strafprozesse aus Berechnung gehören zum Arsenal des Antisemitismus, nicht des Judentums.“15 ).

Auch der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger äußerte sich sehr pointiert zu Eichmanns Prozess und seinen Verbrechen. Dabei versuchte er auf einer allgemeineren Ebene vor allem die vermeintlichen Ähnlichkeiten zwischen der Shoah und einem Atomkrieg aufzuzeigen. Der Einfluss der in den 1960er Jahren weit verbreiteten Angst vor einem atomaren Weltkrieg ist hier augenfällig, doch bedeutete Enzensbergers kaum differenzierte Gleichsetzung eine Relativierung des Holocausts, die Adolf Eichmann neben die gegenwärtigen Atomkriegsplaner stellte.16

Derartige Analogiebildungen böten heute ein enormes Potential für kontroverse Auseinandersetzungen. Man mag sie retrospektiv als dem Zeitgeist geschuldet verstehen, doch stellt sich hier auch die Frage, warum im Kontrast dazu gerade Arendts Deutungen auf derart vehemente Ablehnung stießen, zumal sie in Bezug auf den Holocaust immer dessen Einzigartigkeit betonte und diesen auch nicht in die bisherige Geschichte des Antisemitismus' eingereiht sehen wollte, sondern hervorhob, dass dies ein Verbrechen an der Menschheit, begannen am jüdischen Volk, war. In einer postulierten Kontinuität der jüdischen Geschichte, in der Juden ausschließlich Opfer sind und die ihnen ein Sonderschicksal zuschrieb, sah die New Yorker Intellektuelle die Gefahr einer indirekten Rechtfertigung der Existenz des Antisemitismus'.17

Jedoch schreckte sie auch nicht davor zurück, auf Ähnlichkeiten und gefährliche Entwicklungen hinzuweisen, wenn dies allgemein als unpassend empfunden wurde; so unterstellte sie etwa dem politischen System Israels aufgrund des Umgangs mit der arabischen Bevölkerung „die Tendenz zu faschistischen Zügen“18.

Ebenso scheint eine Tendenz zur Instrumentalisierung des Holocausts, wie sie hier von Enzensberger für die Warnung vor einem atomaren Konflikt vollzogen wird, bei Hannah Arendt undenkbar, da die in dem Fall politische Instrumentalisierung auch einer der Punkte war, den sie am Prozess kritisierte.

Auch in ihrem Urteil zur Person Adolf Eichmann und dessen Charakter stand sie nicht völlig abseits der medialen Meinungen. Peter Krause, der die Rezeption des EichmannProzesses in der deutschen Presse untersuchte, stellte in den von ihm ausgewerteten Zeitungen fest, dass etwa die Antworten auf die Frage nach Adolf Eichmanns Charakter in der Mehrheit feststellten, dass er „vor allem ein übereifriger Beamter gewesen sei, der in erster Linie nicht aus innerer Überzeugung, sondern aus überzogenem Pflichtgefühl und Gehorsam, sowie aus Karrierestreben“19 handelte. Die Feststellung, dass seine herausragende Eigenschaft kein hasserfüllter Antisemitismus sei, „sondern seine Unfähigkeit, zu begreifen, daß man nicht allein dadurch von der Verantwortung für seine Taten befreit ist, wenn man nur auf Befehl [...] handelt“20, korrespondiert stark mit Arendts diesbezüglicher Formulierung, dass Eichmann eine „Unfähigkeit zu denken“21 kennzeichne.

Der vehemente Widerspruch, den ihr Buch auslöste, überraschte Hannah Arendt. Sie sah sich „von israelischer und amerikanisch-jüdischer Seite eine[r] Entstellungskampagne“22 gegen ihre Arbeit und ihrer Person ausgesetzt. Tatsächlich mobilisierten verschiedene jüdische Organisationen wie etwa der Jüdische Weltkongress Kritik an ihrem Buch und sorgten für die Veröffentlichung von gegen sie gerichteten Artikeln in jüdischen Zeitschriften.23 Dass sie die Kritik hauptsächlich als Verschwörung gegen ihre Person wahrnahm, die sie mit dem Aussprechen unangenehmer Wahrheiten heraufbeschworen hatte, zeigt aber auch, dass Arendt der Ablehnung ihrer Thesen mit wenig selbstkritischer Reflexion begegnete. Denn es handelte sich bei aller Organisation der gegen sie gerichteten Kritik um keine Verschwörung, sondern um die Artikulation der Ablehnung ihrer Thesen seitens jener, die sich durch diese verletzt fühlten.24

4. Kritikpunkte

Hannah Arendt hat mit den in ihrem Bericht dargelegten Thesen in wissenschaftlichen und intellektuellen Kreisen eine Tabuzone betreten und viel Unverständnis ausgelöst. Als Reaktion auf ihr Werk erschienen über 200 Bücher und Artikel25, insgesamt brachte die Kontroverse über 1000 Publikationen hervor.26

Ihre Kritiker stützten die Ablehnung ihres Berichts in unterschiedlicher Akzentuierung hauptsächlich auf drei verschiedene inhaltliche Bereiche. Darüber hinaus geriet aber auch der Gesamteindruck des Werks unter den Beschuss der Kritik, vor allem hinsichtlich der sprachlichen Gestaltung, aber auch aufgrund einiger Fehler und Ungenauigkeiten.

4.1 Die „Banalität des Bösen“

Der von Hannah Arendt gewählte Untertitel „Ein Bericht von der Banalität des Bösen“ stieß auf allgemeines Unverständnis oder wurde in völliger Umkehr ihrer Intention falsch verstanden. Ihre im Titel enthaltene Begriffsschöpfung „Banalität des Bösen“ interpretierten nicht wenige als eine Verharmlosung der Shoah und eine Herabwürdigung ihrer Opfer.

Auch aus heutiger Perspektive verwundert die Entrüstung zunächst kaum, die die Verbindung der Begriffe „banal“ und „Böse“ im Kontext des Genozids an den europäischen Juden hervorrief. Auch wenn eine genauere Betrachtung ihrer These zeigt, dass diese in keiner Weise die Shoah verharmlost, hätte Hannah Arendt eigentlich bewusst sein müssen, dass diese „auch eine Provokation der Opfer“27 war, da das alltägliche Verständnis „banal“ eher mit alltäglichen, durchschnittlichen Situationen ohne Besonderheiten konnotiert. Ihre Kritiker bezogen den Begriff zudem auf den Holocaust selbst und interpretierten ihn als Bagatellisierung des Massenmords.28

Diese von ihren Kritikern hergestellte Verbindung spiegelt exemplarisch die aufgeheizte Stimmung wider, die die Kontroverse prägte. Denn es erscheint äußerst abwegig, Arendt zu unterstellen, Eichmanns Taten oder den Holocaust zu verharmlosen. So schreibt auch Seyla Benhabib rückblickend: „Man muß entweder völlig blind oder böswillig oder beides sein, um mißverstehen zu können, was sie meinte, wobei es selbstverständlich jedermann unbenommen ist, ihrer psychologischen Einschätzung Eichmanns zu widersprechen.“29

Arendt nutzte bereits in ihrem Hauptwerk über den Totalitarismus30 einen an Kant angelehnten Begriff des Bösen. Dort sprach sie vom „radikalen Bösen“, als der Ausprägung des Bösen, die nicht durch rational nachvollziehbare Motive „wie Habgier, Neid, Eifersucht, Eitelkeit motiviert ist“31, sondern auf ideologischer Grundlage basiert. Ihre Erfahrungen im Eichmann-Prozess führten dazu, dass sie ihre Definition des Bösen revidierte und dessen Radikalität bestritt. Damit stellte sie sich auch der abendländischen Denktradition entgegen, „in der teuflische Mächte oder menschliche Begierden als Bedingung bösen Handelns gegolten hatte.“32 Aus ihren neuen Erkenntnissen schuf sie den Begriff der „Banalität des Bösen“. Mit dieser strittigen und oft missverstandenen Idee versuchte sie letztlich nur dasjenige Böse zu beschreiben, das weder auf den oben genannten Motiven beruht, noch einen ideologischen Ursprung hat, sondern einer Unfähigkeit zu denken und zur reflexiven Hinterfragung des eigenen Handelns entspringt.33 Der Begriff „sollte eine spezifische geistige und charakterliche Beschaffenheit des Täters bezeichnen, also weder die Taten selbst noch die ihnen zugrunde liegenden Prinzipien.“34

Mit ihrer darauf beruhenden Charakterisierung Adolf Eichmanns prägte sie dessen öffentliche Wahrnehmung so nachhaltig, wie wohl niemand sonst und stärker als der Prozess selbst; ihre Darstellung des Beschuldigten „hat die Ikone gestaltet, zu der Eichmann werden sollte.“35

Arendts Bild von Eichmann basierte allerdings auf höchstens vier Tagen, in denen sie ihn in Aktion sah, sowie dem Prozessprotokoll. Während der von ihr verfolgten Verhandlungstage beantwortete Eichmann jedoch vor allem freundlich und bürokratisch Fragen; erst nach Arendts Abreise kam es zum Kreuzverhör durch Staatsanwalt Gideon Hausner, in dem sich Eichmann energisch verteidigte.36 Diese nur wenigen Tage, in denen sie sich ein Bild von ihm machen konnte, scheinen dieses stark geprägt zu haben: Sie verallgemeinerte sein Verhalten im Gerichtssaal und nahm seine uninteressierte Art nicht als Teil seiner Verteidigungsstrategie wahr.37 Der Kulturkritiker Harold Rosenberg bezeichnete 1961 diese von Eichmann über Jahre für die Prozesssituation perfektionierte Haltung als reine „Gerichtssaalidentität“38. Damit nimmt er stärker als Arendt die „verzerrende Wirkung des prozessualen Rahmens wahr“39, der dieser einstudierten Identität eine optimale Bühne bot.

4.2 Der Prozess

Auch verschiedene Aspekte der Prozessführung kritisierte Arendt in ihrem Bericht scharf. Vor allem Generalstaatsanwalt Gideon Hausner stieß bei Arendt auf Ablehnung. Seine Versuche, Eichmann als Initiator und Dreh- und Angelpunkt der Endlösung und teuflische Persönlichkeit darzustellen, empfanden in der Tat viele Beobachter als lächerlich.40 Doch ging sie weit über diese Kritik hinaus und ließ kein gutes Haar an Eichmanns Ankläger. Ihre „leicht überhebliche Kritik“41 glitt teilweise in fast rassistische Bemerkungen zur ostjüdischen Herkunft des aus Galizien stammenden Hausners ab.42 Im Gegensatz dazu lobte sie die Richter um den Vorsitzenden Moshe Landau über Gebühr und noch bevor er oder seine beiden Kollegen im Prozess wirklich in Erscheinung getreten waren als „bestes deutsches Judentum“.43 Diese sehr abschätzige Haltung findet sich mehrfach in ihrer privaten Korrespondenz. So schreibt sie etwa in einem Brief an Karl Jaspers über Hausner: „typisch galizischer Jude, sehr unsympathisch, macht dauernd Fehler. Vermutlich einer von denen, die keine Sprache können.“44

Insgesamt kritisierte sie vor allem eine politische Instrumentalisierung des Prozesses; in Hausner sah sie in dieser Hinsicht den Vollstrecker der Vorgaben von Premierminister David Ben Gurion, der sich in der Tat ,,[i]n flagranter Missachtung der Trennung von Exekutive und Justiz“45 an der Konzeptualisierung des Prozesses beteiligte.

Der Generalstaatsanwalt wollte den Prozess, den von Ben Gurion vorgegebenen politischen Imperativen folgend, für eine Gesamtdarstellung der jüdischen Katastrophe nutzen, anstatt sich einzig auf klare Bespiele für Eichmanns persönliches Handeln zu konze ntrieren. Um der durch dieses Vorgehen entstehenden Gefahr einer Verwässerung der verfügbaren Beweise zu begegnen, argumentierte Hausner, dass Eichmann als Leiter des mit der „Endlösung“ beauftragten „Judenreferats“ im Reichssicherheitshauptamt letztlich für alle Aspekte des Völkermords angeklagt werden könne.46

In ihrer negativen Einschätzung des Prozesses stand Hannah Arendt nicht alleine da: So bezeichnete etwa Harold Rosenberg den Prozess bereits bevor Arendts Bericht veröffentlicht wurde als Fehlschlag47 und auch die jüngere historische Forschung beurteilt den Prozess etwa aufgrund des eingeschränkten historischen Wissens der damaligen Zeit, das dazu führte, dass die Staatsanwaltschaft Eichmann Verbrechen vorwarf, die er gar nicht begannen hat, in der Retrospektive gewissermaßen als „Farce“48. Ihrer schweren Lage, die sie von allen Seiten der Kritik aussetzte, war sich die Anklage auch bewusst, wie Gideon Hausner in einem eigenen Buch über den Prozess später schreibt. So muss rückblickend neben aller auch berechtigten Kritik festgehalten werden, dass der Prozess erstmals dem jüdischen Volk und den Opfern des Holocaust die Möglichkeit gab, vor der weltweiten öffentlichkeit die eigene Geschichte der,,Endlösung" zu erzählen.49

[...]


1 Zitiert nach: Knott, Marie Luise (Hrsg.), Hannah Arendt, Gershom Scholem. Der Briefwechsel, Berlin 2010. Im Weiteren zitiert als „Knott, Briefwechsel“.

2 Arendt, Hannah, Eichmann in Jerusalem: A report on the banality of evil, New York 1963. Im Weiteren wird die aktuelle deutsche Ausgabe genutzt: Arendt, Hannah, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. Mit einem einleitenden Essay und einem Nachwort zur aktuellen Ausgabe von Hans Mommsen, München 2011. Im Weiteren zitiert als „Arendt, Eichmann in Jerusalem“.

3 Sontheimer, Kurt, Hannah Arendt. Der Weg einer großen Denkerin, München 2005, S. 201. Im Weiteren zitiert als „Sontheimer, Hannah Arendt“.

4 Sontheimer, Hannah Arendt,S.198.

5 Krummacher, Friedrich A. (Hrsg.), Die Kontroverse. Hannah Arendt, Eichmann und die Juden, München 1964.

6 Smith, Gary (Hrsg.), Hannah Arendt Revisited: „Eichmann in Jerusalem“ und die Folgen, Frankfurt am Main 2000.

7 Cesarani, David, Adolf Eichmann, Bürokrat und Massenmörder, Berlin 2004. Im Weiteren zitiert als „Cesarani, Adolf Eichmann“.

8 Cesarani, AdolfEichmann, S. 170.

9 Ebd., S. 284-453.

10 Sontheimer, Hannah Arendt, S. 195f.

11 Ebd., S.198.

12 Cesarani, AdolfEichmann, S. 491f.

13 Krause, Peter, Der Eichmann-Prozeß in der deutschen Presse, Frankfurt am Main 2002, S, 129. Im Weiteren zitiert als „Krause, Eichmann-Prozeß“.

14 Krause, Eichmann-Prozeß, S. 129ff.

15 Horkheimer, Max, zitiert nach: Ebd., S. 130.

16 Enzensberger, Hans Magnus, zitiert nach: Ebd., S. 132ff.

17 Arendt, Eichmann in Jerusalem, S. 42.

18 Mommsen, Hans, zitiert nach: Arendt, Hannah, Eichmann in Jerusalem, S. 23.

19 Krause, Eichmann-Prozeß, S. 170.

20 Ebd.

21 Arendt, Eichmann inJerusalem. S.126.

22 Arendt, Hannah, zitiert nach: Knott, Briefwechsel, S. 440.

23 Cesarani, AdolfEichmann, S. 491.

24 Smith, Gary, Eichsicht aus falscher Distanz, ln: Smith, Gary (Hrsg.), Hannah Arendt Revisited: „Eichmann in Jerusalem“ und die Folgen, Frankfurt am Main 2000, S.7- 16, S. 7. Im Weiteren zitiert als „Smith, Einsicht“.

25 Cesarani, AdolfEichmann, S. 457.

26 Rabinbach, Anson G., Hannah Arendt und die New Yorker Intellektuellen, ln: Smith, Gary (Hrsg.), Hannah Arendt Revisited: „Eichmann in Jerusalem“ und die Folgen, Frankfurt am Main 2000, S. 33 - 56, S. 33.

27 Sontheimer, Hannah Arendt, S. 208.

28 Ebd.

29 Benhabib, Seyla, Identität, Perspektive und Erzählung in Hannah Arendts Eichmann in Jerusalem. In: Smith, Gary (Hrsg.), Hannah Arendt Revisited: „Eichmann in Jerusalem“ und die Folgen, Frankfurt am Main 2000, S. 95 - 119, S. 105. Im Weiteren zitiert als „Benhabib, Identität“.

30 Arendt, Hannah, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt 1955.

31 Vowinckel, Annette, Hannah Arendt [Grundwissen Philosophie], Leipzig 2006, S. 117. Im Weiteren zitiert als „Vowinckel, Hannah Arendt“.

32 Heuer, Wolfgang, Heiter, Bernd u. Rosenmüller, Stefanie (Hrsg.), Arendt-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung, Stuttgart 2011, S. 271.

33 Vowinckel, Hannah Arendt,Ebd.

34 Benhabib, Identität, S. 105.

35 Cesarani, AdolfEichmann, S. 456.

36 Ebd., S. 486f.

37 Ebd., S. 363.

38 Ebd., S. 463f.

39 Ebd., S. 476.

40 Ebd., S. lOf.

41 Sontheimer, Hannah Arendt, S. 209.

42 Benhabib, Identität, S. 95.

43 Ebd.

44 Arendt, Hannah, zitiert nach: Köhler, Saner, Hannah Arendt, Karl Jaspers, S. 471.

45 Cesarani, AdolfEichmann, S. 361.

46 Ebd., S, 355.

47 Cesarani, AdolfEichmann, S. 463.

48 Ebd., S. 400.

49 Smith, Einsicht, S. 11.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Hannah Arendt und der Eichmann-Prozess. Die Hochphase der Kontroverse
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für deutsche Sprache und Literatur)
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
28
Katalognummer
V975089
ISBN (eBook)
9783346328243
ISBN (Buch)
9783346328250
Sprache
Deutsch
Schlagworte
hannah, arendt, eichmann-prozess, hochphase, kontroverse
Arbeit zitieren
Marc Pawlowski Mariano (Autor:in), 2016, Hannah Arendt und der Eichmann-Prozess. Die Hochphase der Kontroverse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/975089

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