Persönlichkeit und Bewusstsein - Überlegungen zur Identität im postbiologischen Zeitalter


Seminararbeit, 1998

33 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Persönlichkeit und Bewusstsein - Überlegungen zur Identität im postbiologischen Zeitalter

,,Wir haben", erklären wir dem Ingenieur, ,,das Schema eines Apparats gesehen, der aus acht Billionen Elementen besteht. Dieser Apparat besitzt eine eigene Energiezentrale, Fortbewegungssysteme, eine Hierarchie von Reglern sowie eine alles beherrschende Universalsteuerung, die sich aus fünfzehn Milliarden Teilen zusammensetzt. Dieser Apparat vermag so viele Funktionen auszuüben, daß ein Leben nicht ausreicht, sie alle aufzuzählen. Und trotzdem nimmt das ganze Schema, das nicht nur den Aufbau dieses Apparats ermöglichte, sondern ihn selbst aufbaute, nicht mehr als acht Tausendstel Kubikmillimeter ein." Der Ingenieur erwidert, so etwas sei unmöglich. Er irrt sich, denn wir sprachen von der winzigen Spitze der menschlichen Samenzelle, in der bekanntlich die gesamte Information steckt, die zur Erzeugung eines Exemplars der Gattung Homo sapiens erforderlich ist. (Stanislaw Lem: Summa technologiae. Frankfurt am Main, 1981. S. 156/157.)

I Vorbemerkungen

Ist der Mensch wirklich solch ein Apparat, wie in dieser formal technischen Beschreibung des Aufbaus und der Fähigkeiten des menschlichen Körpers in Stanislaw Lems Summa Technologiae ? Ist es nur die Frage der Komplexität des Apparats, eine Frage unserer bisher noch begrenzten technischen Möglichkeiten, daß der Ingenieur die Existenz einer solchen Maschine verneint, oder ist es das Widerstreben des Menschen, sich als funktionellen - theoretisch reproduzierbaren - Apparat zu betrachten? Unsere moderne Technologie, der Fortschritt zum Beispiel auf den Gebieten der Kybernetik, der Genetik und der Transplantationsmedizin läßt Grenzen verschwimmen und stellt unsere Selbstsicht in Frage. Wir wissen beinahe alles über die Funktionsweisen der einzelnen Körperteile, sind sogar imstande, sie gegen künstliche oder toten Körpern entnommene "Ersatzteile" auszutauschen. Das künstliche Hüftgelenk, die computergesteuerte Armprothese, die Silikonbrust oder das Kunstherz gehören inzwischen zum wenig Erstaunlichen. Sogar das Wie und Warum unseres verschiedenartigen Äußeren scheinen wir aufgeschlüsselt zu haben Der genetische Fingerabdruck dient uns zwar noch als unverwechselbares Merkmal unserer Individualität, doch könnte mit der - technisch verhältnismäßig einfachen, doch ethisch hochbrisanten - Methode des Klonens bald auch unser genetisches Erbmaterial exakt kopiert werden. Auf der anderen Seite werden Computer entwickelt, die die menschliche Wahrnehmung, die menschliche Fähigkeit des Lernens und der Erinnerung zu imitieren suchen. Ein selbständig lernender, aktiv wahrnehmender Computer - ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine solche Maschine uns in unseren geistigen Fähigkeiten gleich oder sogar überlegen ist? Bei diesen Entwicklungen allerdings drängen sich Fragen auf: Woher nehmen wir die Gewißheit, daß wir eine unsterbliche Seele, eine einmalige Persönlichkeit, eine Identität besitzen, während wir unseren intelligenten Maschinen so etwas beinahe ohne Zögern absprechen würden. Was macht uns zu dem, was wir sind, oder für das wir uns halten? Wo zwischen den "acht Billionen Elementen" sitzt unsere Persönlichkeit?

Wir scheinen einerseits kein rechtes Verhältnis mehr zu unserer Leiblichkeit zu haben, da wir ohne zu zögern die Medizin eingreifen lassen, um kleinere "Reparaturen" oder "Restaurationsmaßnahmen" vornehmen zu lassen, der Körper wird zum anonymen, austauschbaren Ding. Andererseits wird gerade in dieser Zeit Wert auf Individualismus gelegt. Die eigene, unverwechselbare Persönlichkeit wird mit Exzentrik markiert, in Seminaren zur Selbstfindung gesucht, in Talkshows öffentlich dargestellt.

In unserer modernen Konsumgesellschaft wird der Körper als Ware behandelt, bei Nichtgefallen bisweilen verändert, von vielen Menschen sogar als Last empfunden (ca. 68% aller Frauen sind zum Beispiel der Statistik einer Frauenzeitschrift zufolge unzufrieden mit ihrem eigenen Körper): Altersfalten werden geglättet, Fett abgesaugt, die Haare sollen mit neu entwickelten chemischen Mitteln ihren natürlichen Ton ohne Färben wieder annehmen. Nicht einmal das Geschlecht des Menschen bleibt mehr dem Schicksal überlassen, mit zahlreichen Operationen und Hormongaben läßt sich auch dies ändern. Die Brust der Frau wird in Größe und Form künstlich dem Zeitgeschmack angepaßt. Stars wie Cher und Michael Jackson zeigen, wie man sein Äußeres komplett künstlich verändern lassen kann. Dabei stellt sich zum Beispiel Pamela Anderson sicherlich nicht die Frage, ob sie denn wirklich noch sie selbst sei, wenn sie sich Silikon implantieren läßt. Wieviele Teile des menschlichen Körpers und welche jedoch kann man ohne Verlust der Identität austauschen? Ab wann wird dieser Körper dann zu einem fremden Körper, beziehungsweise wird er es überhaupt?

Bio- und Transplantationsmedizin führen dahin, daß der menschliche Leib nicht länger nur in einem Gedankenexperiment dem Schiff des Theseus gleicht, bei dem nach und nach die Planken erneuert werden und die Frage aufkeimt, mit welcher Planke es nicht mehr das Schiff des Theseus sei. Ein Bollwerk in der Geschichte der Selbstbeschreibungen des Menschen wird brüchig: die Person. Zieht sich unsere Identität in unserem Gehirn zusammen, das als nicht transplantierbar gilt, selbst wenn Übertragung von Hirnsubstanz medizintechnisch bereits möglich ist? Beinahe vierhundertjährig behauptet die berühmte glande des Descartes ihre Position. Ist dieser Fluchtort sicher? Wenn Identität nichts anderes als die Chiffre des Genoms ist, was bedeutet dann Individualität? Man denke an den Klon, diesen unheimlichen Genschatten, zertrümmert er nicht doch diese letzte Bastion? Wie werden wir über uns reden müssen, damit wir uns nicht permanent über unsere Existenz betrügen? Man spricht schon längst vom postbiologischen Zeitalter und meint damit, daß die sogenannte Natürlichkeit am Ende ist, daß sich die Manipulation durch den Menschen unbegrenzt fortsetzt, daß er in der Tat die Schöpfung in seine Hände nimmt. (Meyer Drawe, Käte: Menschen im Spiegel ihrer Maschinen. S. 15-16).

Die unumstößlichen Festen unserer Selbstsicht und Selbstdefinition geraten angesichts der vielfältigen technischen Möglichkeiten unserer modernen Gesellschaft ins Wanken. "Wie werden wir über uns selbst reden müssen," fragt Käte Meyer-Drawe, "damit wir uns nicht permanent über unsere Existenz betrügen?". Diese Frage äußert sich unter anderem in den Ethikdebatten unserer Zeit, der Literatur (insbesondere im Genre der Science Fiction), in Kino-Filmen und TV-Serien und ist damit alltäglich gegenwärtig. Angesichts unserer intelligenten Maschinen fühlen wir uns, die wir als Erbe der Aufklärung die Einzigartigkeit und Überlegenheit unserer menschlichen Persönlichkeit im Vergleich zum Tier, bisher an unseren geistigen Fähigkeiten, unserer Rationalität, der Sprache und der Möglichkeit der Selbstreflexion festgemacht haben, in unserer Selbstsicht als Geistwesen bedroht. Im Vergleich mit den intelligenten Maschinen, betonen wir wieder stärker unsere Leiblichkeit, die uns von den Maschinen unterscheidet. Fähigkeiten wie Kreativität und Emotionen werden als Kriterien der Unterscheidung herangezogen, um uns von den Maschinen abzugrenzen. Es scheint uns ein Bedürfnis, anders sein zu wollen, im Unterschied zu vergangenen Zeiten, in denen man Gott als Uhrmacher und die Menschen als seine präzise gestalteten Uhren ansehen konnte, scheut sich der Mensch vor dem Vergleich mit der rein funktional betrachteten Maschine. Wir wollen mehr sein als eine Summe von Einzelteilen verschiedener Funktion, wir möchten unsere Emotionen nicht als bloße bio-chemische hormonale Reaktionen begreifen, macht uns doch unsere Fähigkeit zu Liebe, zu Nächstenliebe und Rücksichtnahme im traditionellen Denken zu individuellen, ethisch höheren Wesen. Woran aber wollen wir in Anbetracht des technisch Möglichen und des vielleicht zukünftig technisch Möglichen unsere Persönlichkeit festmachen? "Where am I?" fragt Daniel Clement Dennett in einem Gedankenexperiment in Brainstorms.1 "Ich = x?" lautet die Frage bei Käte Meyer-Drawe in Menschen im Spiegel ihrer Maschinen 2 und die Hauptperson in der gleichnamigen Erzählung von Stanislaw Lem wird gefragt: "Gibt es Sie, Mister Johns?".3

Diese heikle Frage nach der menschlichen Persönlichkeit auch nur in Ansätzen beantworten zu wollen, vorausgesetzt, daß sie für unser Denken überhaupt beantwortbar ist, würde eine intensive, langfristige Beschäftigung mit dem Thema, den verschiedenen Theorien und Denkansätzen bedeuten. Im Rahmen dieser Arbeit können wir dies natürlich nicht leisten. Somit haben wir es uns hier zum Ziel gesetzt, verschiedene Denkanstöße, Gedankenexperimente und Sichtweisen des Themas in unserer Zeit aufzugreifen und vorzustellen, und sie auf dem Hintergrund der verschiedenen Theorieansätze zur Entwicklung der Persönlichkeit, des Ichs und des Selbstkonzepts zu betrachten. Wir benutzen hier Beispiele aus der alltäglichen Diskussion in den Medien, aber auch vor allem aus der Science Fiction Literatur und Filmen, da durch die Fiktion und die Möglichkeit der Überspitzung und Übertreibung des tatsächlich technisch Möglichen hier die Diskussion auf eine andere Ebene gehoben wird. Das Thema wird hier aus dem Abstand der Fiktion hemmungsloser angegangen, denn wir sehen - so hat es den Schein - nicht gerne unsere Selbstsicht und unser Selbstverständnis unmittelbar berührt und in Frage gestellt. So stellen wir uns in dieser Arbeit auch die Frage, ob wir uns vielleicht sozusagen "über unsere eigene Existenz betrügen" wollen oder müssen. Gehört die Illusion von der Einzigartigkeit der Persönlichkeit, von unserer Autonomie vielleicht zu den Notwendigkeiten der menschlichen Existenz?

II Exkurs: Das Leib-Seele-Problem

4 Aussagen über die Seele zu machen, liegt außerhalb der empirischen Methoden der Psychologie, obwohl sich der Name dieser Wissenschaft vom Begriff Seele ableitet. Sie fallen eher in den Bereich der Theologie und der Philosophie. Dennoch bedient sich die Psychologie häufig der Denkmodelle, die ihr dazu von Philosophie und Theologie bereitgestellt werden.

Die Entwicklung des Begriffs der Seele wird oft auf die Beobachtung des regungslosen Körpers eines Verstorbenen oder auf die eines Schlafenden, der eine "buntbewegte Ereignisfolge im Traum oder in ekstatischen Ausnahmezuständen erleben kann"5 zurückgeführt. Um diese Beobachtungen begrifflich erklären zu können, wurde ein Unterschied gedacht zwischen dem reglosen Leib und der beweglichen Seele. Diese Sicht des psychophysischen Problems ist bereits auf einer griechischen Amphore aus der Zeit um 500 v. Chr. abgebildet. Schlaf und Tod tragen einen Gefallenen vom Schlachtfeld, währenddessen entschwebt die abbildliche Seele, das Eidolon.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In vielen Sprachen drückt sich in dem Begriff der Seele der Gedanke des Hauches (der Atmung) oder einer fühlbaren Bewegung aus. (z.B. in Sanskrit atman, in Hebräisch nephesch, oder die Worte Psyche, Pneuma, anima und spiritus).

Nach dem Tod zerfällt der Körper, daher wurde der Schluß gezogen, die Seele erhalte die Gestalt oder erzeuge Gestalt aus der amorphen Materie (Entelechie). Im aristotelischen Denken wurde das Leib-Seele-Verhältnis in dem Gegensatzpaar der Form und der Materie ausgedrückt, das in den Lehren der scholastischen Philosophie bis heute nachwirkt. Jeder Organismus ist nach der Lehre des Hylomorphismus ein Ganzes bestehend aus Materie und Form, eine "komplette Substanz", wobei Seele und Körper für sich allein betrachtet als unvollständige Substanzen gelten. Hier werden Seele und Körper als Einheit betrachtet, und Beobachtungen an Lebewesen betreffen jeweils die Ganzheit beider Prinzipien.

Eine zweite Tradition des Denkens sieht den Körper als Gefängnis der Seele, aus dem die Seele nach Befreiung strebt. Das wahre und freie Leben der Seele ist daher unabhängig von der Leiblichkeit des Menschen. Platon drückte dies in dem Wortspiel "Soma=Sema" (Grabmal) aus. Das Leibliche wird somit zunehmend als etwas Niederes betrachtet. Der platonischen und neoplatonischen Sicht entsprechend, ist der Leib nicht nur gestaltlose Materie, sondern er führt ein "im Grunde dämonisches Eigenleben"6, wie es auch der Apostel Paulus ausdrückt, wenn er vom "Fleisch" und von "fleischlichen Menschen" spricht.

Die christliche Tradition enthält beide Denkansätze, daher ist es schwer herauszulesen, was jeweils mit "Leib" gemeint ist, ob tote, formlose Materie oder die bereits geformte und sich selbst bewegende Wesenheit (Fleisch). Aus der einen Haltung erwächst vor allen Dingen die tendenzielle Feindseligkeit des Christentums gegenüber den Bedürfnissen des Leibes und die Erhebung des Geistes zur wahren, freien Form der Existenz, die das Gefangensein im Leib überwinden muß. So versuchten im Mittelalter christliche Mystiker durch körperliche Entsagung, Selbstzüchtigung bis hin zur Selbstverstümmelung die Bedürfnisse ihres Körpers zu unterdrücken, um so eine Befreiung des Geistes zu ermöglichen. Solche Praktiken sind auch aus anderen Religionen bekannt, man denke beispielsweise an die Asketen und Fakire der östlichen Religionen.

Genau besehen handelt es sich somit um drei verschiedene Probleme: 1. die metaphysische Relation zwischen anorganischer Materie und Leben; 2. die psychophysische Relation zwischen physiologischen Abläufen und den Erlebnissen; 3. die psychologische Relation zwischen dem triebhaften und dem rationalen Verhalten (ebd. S. 188).

Descartes stellt die Welt des Bewußtseins (res cogitans) und die automatenhaft nach den Gesetzen der Physik funktionierende Welt der Körper (res extensa) einander gegenüber, wobei die Tiere z.B. als Automaten, als seelenlose Wesen gesehen werden. Beim Menschen besteht zwischen Körper und Seele eine Wechselwirkung. Materielle Basis dieser Wechselbeziehung ist danach das einzig unpaarige Organ des Gehirns, die Zirbeldrüse (Epiphyse, glans pinealis, conarium). Dieses Organ sei aber nicht wirklich der Sitz der Seele, da die Seele als eine unteilbare Substanz mit allen Organen des Körpers verbunden sei.7

Die seelische Wirkung besteht in einer Richtungsänderung der körperlichen Vorgänge, d.h. des Laufes der in den Nervenröhren strömenden ,,Lebensgeister" (spiritus animales), nicht aber in einer Vermehrung oder Verminderung der "Kraft des Körpers", da eine solche dem von Descartes bereits akzeptierten Konstanzprinzip der Kraft widerspräche. Die Seele wirkt auf den Körper, aber sie darf dabei die physikalische Energiebilanz nicht stören; sonst müßte sie ja selbst mit den Kategorien der res extensa begriffen werden, womit aber ihre substantielle Eigenständigkeit hinfällig würde (Fischer Lexikon, S. 188).

Die Lehre von der Wechselwirkung von Körper und Seele wurde Anfang des 18. Jahrhunderts in Zweifel gezogen, stattdessen glaubte man an einen psycho-physischen Parallelismus. " `Nach diesem System wirken die Körper, als wenn es - was in Wahrheit unmöglich ist - gar keine Seelen gebe; die Seelen wirken, als ob es keine Körper gebe; und alle beide wirken, als ob sie einen Einfluß aufeinander ausübten' (Monadologie § 81) Das dreifache "als ob" dieser These macht die Aufweisung einer den Zusammenhang zwischen den beiden in sich geschlossenen Kausalreihen gewährleistenden Instanz notwendig." [zitiert nach Fischer Lexikon, S. 188).

Andere machen dabei göttliches Wirken (concursus dei) zur Ursache der Koinzidenz von seelischen und körperlichen Bewegungen (Okkasionalismus). Bei diesen Theorien handelt es sich im wahrsten Sinne des Wortes um einen deus ex machina. Leibniz betrachtete das Zusammenspiel von Seele und Körper als im Schöpfungsakt bereits vorher festgelegt, so wie etwa zwei Uhren aufeinander abgestimmt werden können (prästabilierte Harmonie). Spinoza erklärt das Phänomen damit, daß es sich bei Leib und Seele nicht um eigenständige Substanzen handle, sondern um Erscheinungsformen (modi) ein und derselben unendlichen Substanz, so wird hier aus dem Nebeneinander von Körper und Seele die Lehre von ihrer Identität. Auch Schelling und Fechner folgen der Lehre Spinozas in Grundzügen. Als Bild wird hier oft der Kreisbogen benutzt, der von der einen Seite her konkav, von der anderen aber konvex erscheint. Aus der modernen Physik stammt der Begriff der Komplementarität. Ein Lichtquant kann in Form eines Korpuskels oder einer Welle auftreten, so kann auch das Lebendige als Leib oder als Seele erscheinen.

Die Identitätstheorie macht allerdings keine Aussagen zur Beschaffenheit dieser in verschiedenen modi erscheinenden unendlichen Substanz. So teilten sich die Auffassungen in die materialistische, nach der das Seelische lediglich ein Zustand oder eine Eigenschaft der Materie beziehungsweise der Energie ist (L. Büchner, J. Moleschott, C. Vogt, E. Haeckel und W. Oswald), und die spiritualistische Auffassung, nach der alle Realität von geistiger Art ist (u.a. Berkeley, Schopenhauer, F. Paulsen).

Das moderne Denken ist immer noch stark von dem Denken Descartes bestimmt, der die materielle Basis für unser Bewußtsein in einen Teil des Gehirns verlegte. John C. Eccles geht so weit, daß er erklärt: "Dieser Dualismus [die dualistisch-interaktionistische Hypothese in Bezug auf das Leib-Seele-Verhältnis, Anm.] der sokratisch-platonischen Philosophie führt weiter zum starken Dualismus bei Descartes in den Anfängen der modernen Philosophie. Im Licht der modernen Hirnforschung muß der Geist-Körper-Dualismus in einen Gehirn-Geist- Dualismus oder in einen Gehirn-Psyche-Dualismus umgeformt werden."8 Die leibliche Existenz wird gleichgesetzt mit dem Gehirn, das als Steuerzentrale alle leiblichen Funktionen bestimmt. Eccles wendet sich gegen die materialistischen Theorien des Geistes, da sie alle auf Determinismus zurückgeführt werden könnten und zu einem Verleugnen von Freiheit und Vernunft des Menschen führten. (ebd.)

Im Gegensatz dazu ist der dualistische Interaktionismus mit einem Leben in Einklang zu bringen, das mit der unaufhörlichen Suche nach den höchsten Werten - dem Wahren, dem Guten und dem Schönen -, die dem Leben Sinn und Zweck verleiht, befaßt ist und ebenso mit der Suche nach der Freiheit, die moralische Verantwortlichkeit mit sich bringt. Diese Philosophie wirft jedoch unweigerlich große ungelöste Probleme auf. [...] Nach der dualistisch-interaktionistischen Hypothese existiert die Psyche als eine unabhängige Ganzheit im Kern der Welt 2, verbunden mit dem Gehirn in Welt 1. Also stellt sich letztendlich die Frage: Was geschieht nach dem Tod des Gehirns? Ist die Psyche dann ebenfalls völlig ausgelöscht, oder können wir hoffen, dann noch eine, wenn auch gänzlich unvorstellbare, Zukunft gibt? In diesem Zusammenhang wird die Schlüsselfrage diskutiert: Kann es ein Selbst-Erkennen nach dem Tod geben? Jede Detailerinnerung muß verloren sein, aber wenn, wie vorgeschlagen, ein allgemeineres Gedächtnis mit der Psyche oder Welt 2 verbunden ist, dann könnte dies der Träger der Selbst-Identität sein (ebd. S. 275-276).

Auch für George Herbert Mead erscheint es unproblematisch, Körper und Geist als zwei getrennte Instanzen zu sehen, zwischen denen klare Begrenzungen stehen, die für uns erkennbar sind. Er leitet seine Argumentation von der Beobachtung ab, wie wir uns selbst wahrnehmen, und stellt die Behauptung auf, der Verlust eines oder mehrerer Körperteile lasse die Identität des Menschen als solche unangetastet:

Wir können sehr genau zwischen Identität und Körper unterscheiden. Der Körper kann vorhanden und sehr intelligent tätig sein, ohne daß Identität in der Erfahrung auftritt. Für die Identität ist es typisch, daß sie für sich selbst ein Objekt ist, und dieses Merkmal unterscheidet sie von anderen Objekten wie vom Körper. Es ist zwar richtig, daß das Auge den Fuß sehen kann, doch sieht es nicht den Körper als Ganzes. Wir können unseren Rücken nicht sehen; wir können Teile davon berühren, wenn wir beweglich sind, aber eine Erfahrung unseres ganzen Körpers können wir nicht gewinnen. Es gibt natürlich Erfahrungen, die vage und schwer zu lokalisieren sind; aber die körperlichen Erfahrungen sind für uns um eine Identität organisiert. Der Fuß und die Hand gehören zur Identität. Wir können unsere Füße als nur schwer erkennbare, fremdartige Dinge sehen, wenn wir auf sie durch ein umgekehrtes Opernglas blicken. Die Körperteile sind von der Identität deutlich unterscheidbar. Wir können Teile des Körpers verlieren, ohne daß ein ernstlicher Eingriff in die Identität erfolgt. Die bloße Fähigkeit, verschiedene Körperteile zu erkennen, ist von der Wahrnehmung eines Tisches nicht unterscheidbar. Der Tisch fühlt sich anders an, als die Hand, die man mit einer anderen Hand abtastet, doch handelt es sich um die Erfahrung eines Objektes, mit dem wir definitiv in Kontakt kommen. Der Körper erfährt sich selbst nicht in dem Sinne als ein Ganzes, in dem die Identität in die Erfahrung eintritt.9

Ähnliche Behauptungen stellt auch Eccles auf, indem er zum Beispiel schreibt: "Wir wissen, daß bei einer Tetraplegie [Lähmung aller vier Gliedmaßen, Anm.], bei der der gesamte Körper vom Gehirn und so vom Geist getrennt ist, eine Identität der Person bestehehn bleibt. Auch beeinträchtigt eine Herzverpflanzung oder die Verpflanzung eines anderen Organs nicht die Identität der Person, die ja sogar nach einer Kommissurotomie [Durchtrennung der Nervenverbindungen zwischen den beiden Großhirnhemisphären, Anm.] erhalten bleibt, wie in der ersten Vorlesung beschrieben wurde."10 (Psyche des Menschen, S. 282). Dabei ist die Auffassung, lediglich die das Sprachzentrum besitzende linke Hemisphäre könne aufgrund ihrer - wie hier angenommen - allein durch Sprache ermöglichten Befähigung zu abstraktem Denken wirklich materielle Basis des bewußten Selbst sein, durchaus fragwürdig.

Eccles hält das dualistisch-interaktionistische Verhältnis von Geist und Körper, bzw. Geist und Hirn für ein prinzipiell so deutlich strukturierbares, daß er die Wechselwirkung der zwei Welten (Geist und Hirn) sogar in einer schematischen Zeichnung wie folgt darstellt:

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Abb. 1-7. Schema des Informationsflusses bei der Gehirn-Geist-Interaktion. Die drei

Komponenten von Welt 2, äußerer Sinn, innerer Sinn und das Ich oder Selbst, sind mit ihren Verbindungen (Pfeile) dargestellt. Ebenso gezeigt sind die Kommunikationswege über die Grenzfläche zwischen Welt 1 und Welt 2 hinweg, das heißt, die Kommunikation zwischen dem Liasison-Hirn und diesen Komponenten von Welt 2. Das Liaison-Hirn ist säulenmäßig angeordnet, was durch die senkrechten gestrichelten Linien angezeigt ist. Man muß sich vorstellen, daß der Bereich des Liasion-Hirns enorm groß ist, mit über einer Million offener Moduln anstelle der wenigen, die hier eingezeichnet sind. (Abbildung und zugehöriger Text nach Die Psyche des Menschen, S. 37)

Wie schwer es uns aber ganz entgegen der Behauptung Meads fällt, Körper und Identität tatsächlich zu trennen, wird unseres Erachtens nach an den folgenden Beispielen deutlich:

Erst kürzlich wurde in der Presse (unter anderem in dem Nachrichtenmagazin der ARD: Tagesthemen) über Vorfälle berichtet (geschehen in Dortmund), in denen Eltern, die, nachdem ihre Babies am plötzlichen Kindstod verstorben waren, der Entnahme von Gewebeproben zu Forschungszwecken zwar zugestimmt hatten, nun aber befürchteten, daß ihren toten Kindern ohne ihr Wissen Organe entnommen werden könnten. Solche Fälle waren zuvor aus Großbritannien bekannt geworden. In den Dortmunder Fällen konnte eine illegale Entnahme von Organen ausgeschlossen werden. Die Eltern hier entrüsteten sich vor allem über den Gedanken womöglich einen völlig leeren Körper zu bestatten, und vor allem die Befürchtung einer Entnahme von Herz und Gehirn rief Empörung hervor. Zum einen ist dies ein Zeichen dafür, daß vielfach diese beiden Organe als der Sitz unserer Identität und Persönlichkeit gesehen werden, aber zum anderen auch ein Indiz dafür, daß wir den leblosen Körper eines Verstorbenen unangetastet und in Würde bestatten möchten, da der tote Leib nicht als ein bloßes Ding gesehen wird, das vollkommen unabhängig von der Identität des Menschen ist.

Ein anderes Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit (1992), welches oft im Zuge moderner Ethikdebatten Erwähnung findet, ist das einer 18-jährigen Frau aus Erlangen, deren toter Körper künstlich am Leben erhalten werden sollte, da der im Mutterleib befindliche Fötus noch lebte. So sollte das Kind im toten - künstlich am Leben erhaltenen - Körper der Mutter ausgetragen werden. Dieser Fall rief auf den verschiedensten Ebenen Entrüstung und Kritik hervor. Neben der strittigen Frage nach den Prioritäten (Recht des Ungeborenen auf Leben versus Persönlichkeitsrecht /Würde der Verstorbenen) richtete sich der Protest gegen die frauenfeindliche Reduzierung des weiblichen Körpers zum Brutkasten, aber auch generell gegen den Mißbrauch des menschlichen Körpers als ein rein funktionales Objekt. Sollte man den toten Körper der Frau lediglich als Materie ansehen, die dazu benutzt werden könnte, dem Ungeborenen das Leben zu ermöglichen oder müßten die Persönlichkeitsrechte der Verstorbenen gewahrt werden? Obwohl die Möglichkeiten der Medizintechnik es nahelegen, den toten Leib als Ersatzteillager und bloßes Ding zu betrachten, scheint es einem Großteil der Menschen schwerzufallen, den Körper eines geliebten Verstorbenen in einer solchen rationalen Weise als bloße tote Materie zu betrachten. In dem Erlanger Fall überlebte der ungeborenen Säugling nicht.11

Genauso verstört reagierten viele Menschen auf die Ausstellung der Ganzkörperplastinate des Gunther von Hagen. Viele Menschen waren fasziniert von der Möglichkeit des Hineinblickens in den menschlichen Körper und der Möglichkeit, den Körper somit der Vergänglichkeit zu entziehen. Andere waren abgestoßen von der schamlosen Zurschaustellung toter Menschen, da sie die Würde des einzelnen Menschen verletze. Die Faszination erklärt sich vielleicht zu einem Teil aus unserem Streben nach Selbst-Erkenntnis und unserer Neugier. Schließlich entziehen sich die Teile unseres Körpers, die bei den Plastinaten freigelegt werden, normalerweise unserer Wahrnehmung. Sie ermöglichen den Blick, den schon der ,,gläserne Mensch" erlaubte. Einige der Menschen, die bereits jetzt ihre Einwilligung zur Nutzung ihrer Körper nach dem Tode zur Herstellung von solchen Plastinaten gegeben haben, hoffen darauf, sich auf diese Weise der Unsterblichkeit näherzubringen. Ein Zeichen dafür, daß uns der Zerfall unseres Körpers nach dem Tode Angst macht, weil wir uns der Existenz eines vom Körper unabhängigen unendlichen Selbst eben nicht so sicher sind. Verstörend wirkt es auf uns, daß wir hier als unser Ebenbild nur totes Fleisch sehen. Die Frage nach dem Sitz und der Existenz der Seele wird angesichts dieser plastinierten Körper im Betrachter drängender.

In viele der Diskussionen um gesetzliche Regelungen spielt diese Frage mit hinein. Die Möglichkeiten der In-vitro-Fertilisation lassen die Frage aufkommen, was mit den Embryonen geschehen soll, die nicht in den Leib der Mutter oder einer Leihmutter eingesetzt wurden. Gelten sie bereits als Leben, sogar als Person, die das Gesetz schützen müßte, oder sind sie Abfallprodukt und Ausschußware? Auch die Möglichkeit des Klonens von Menschen wirft Fragen nach ethisch fundierten gesetzlichen Regelungen auf.

III Verhandlungssache Persönlichkeit

In diesem Kapitel möchten wir zwei fiktive Geschichten vorstellen, in denen die Frage nach der Persönlichkeit im Gerichtssaal verhandelt wird. Zum einen die Erzählung des polnischen Science Fiction Autors Stanislaw Lem Gibt es Sie, Mister Johns?, in der die Möglichkeiten der modernen Transplantationsmedizin auf die Spitze getrieben werden und sich das Gericht die Frage stellen muß, wie viele Teile eines menschlichen Körpers ausgetauscht werden können, bis eine Person quasi zur Nichtperson wird und sie somit - aus dem rechtlichen Rahmen fallend - der Zahlungspflicht für die von einer Firma bezogenen Prothesen nicht mehr nachkommen muß. (vergl. hierzu auch Christel Schachtner Geistmaschine 12 und Käte Meyer-Drawe Illusionen von Autonomie 13 )

Zum anderen möchten wir auf eine Folge der Science Fiction TV-Serie Star Trek - The Next Generation eingehen. Hier steht die künstliche Lebensform Data, ein Android, der Besatzungsmitglied des Raumschiffs Enterprise ist, vor Gericht, weil er der Aufforderung eines Offiziers der Sternenflotte, sich zu Forschungszwecken demontieren zu lassen, nicht nachkommen will. Verhandelt wird nun, ob er Person oder Maschine, also bloßer Gegenstand ist, und ob er somit das Recht habe, sich zu weigern, oder ob er vielleicht lediglich als Eigentum der Sternenflotte zu betrachten sei. Die fiktive Gerichtsverhandlung drückt sehr deutlich unsere Gespaltenheit im Umgang mit der Frage nach unserer Persönlichkeit, unserer Eigenständigkeit und Autonomie aus. Auf der Ebene der Fiktion jedoch können wir in Gedanken für beide Seiten die Anwaltschaft übernehmen. Meist fühlen wir uns der Seite der Verteidigung näher, geht es doch um unsere eigene Persönlichkeit und unser Selbstverständnis. Im Folgenden sollen die beiden Geschichten knapp inhaltlich skizziert werden.

III.1.The Measure of a Man

14 Commander Data ist ein Androide und Mitglied der Besatzung des Raumschiffs Enterprise. Als ein Vorgesetzter anordnet, er solle sich für die Zwecke der Androidenforschung demontieren lassen, und ihm dabei versichert, seine sämtlichen Daten würden gespeichert und - falls eine Remontage seines eigenen Körpers fehlschlüge - bei einem späteren Modell reaktiviert, lehnt er ab. Er begründet seine Weigerung damit, daß er überzeugt sei, daß jede Erfahrung innerhalb des persönlichen Erlebens einzigartig sei15.

Seine Weigerung veranlaßt den vorgesetzten Offizier, Datas Rechtsstatus, d.h. handelt es sich bei ihm um eine Person mit Rechten oder einen Gegenstand und somit Eigentum der Sternenflotte, vor Gericht verhandeln zu lassen. Seine Eigenschaften als Maschine, von Menschenhand erschaffen und durch den Menschen bedien- bzw. manipulierbar, wird von der Seite des Klägers demonstriert, indem ihm ein Arm entfernt wird und seine Energieversorgung abgeschaltet wird. Der Kläger argumentiert: ,,[...] die Marionette ist kaputt. Die Fäden sind zerschnitten.". Die Gegenseite versucht hier den Gegenstand der Verhandlung unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten, indem angeführt wird, Menschen seien ebenfalls Maschinen, lediglich eines anderen ,,Typs". Als Kriterien für die Definition eines Organismus als "fühlendes Wesen" werden Intelligenz, Bewußtsein und Selbstbewußtsein ausgemacht. Intelligenz wird in diesem Zusammenhang als die Fähigkeit zu lernen, zu verstehen und mit neuen Situationen umzugehen begriffen. Selbstbewußtsein wird verstanden als das Bewußtsein des eigenen Ichs und als das Bewußtsein über die eigene Existenz und das eigene Handeln, wobei hier der Begriff des Bewußtseins an sich nicht näher definiert oder erläutert wird. Der Kläger kann diese Kriterien nicht als bei Data existent verneinen und muß so zugeben, daß über den Bewußtseinsstatus des Androiden Data nicht wirklich sachlich verhandelt werden und somit kein Eigentumsanspruch der Sternenflotte geltend gemacht werden kann. Fazit der Geschichte hier ist quasi, daß wir uns über den Status unseres eigenen Bewußtseins und unserer eigenen Persönlichkeit im Prinzip genauso im Unklaren sind wie hier über den Status des Androiden Data. Die Frage nach der Autonomie des Menschen selbst bleibt hier genauso ein unlösbares Rätsel und somit muß Data sozusagen aus Mangel an Beweisen sein Persönlichkeitsrecht genauso zugestanden werden wie den menschlichen Besatzungsmitgliedern, deren Status als Persönlichkeit vermutlich ebenso wenig der objektiven Prüfung durch ein Gericht, insofern eine solche überhaupt in einem menschlichen Gericht möglich wäre, standhalten könnte.

III.2.Gibt es Sie, Mister Johns?

16 Ähnlich endet auch in Stanislaw Lems Erzählung die Gerichtsverhandlung mit einer Vertagung, die zu verhandelnde Sache wird nicht wirklich geklärt. Verhandelt wird auch hier der Rechtsstatus der Hauptperson, Harry Johns, und es soll die Frage geklärt werden, ob es sich bei ihm überhaupt um eine Person handelt.

Bereits als der Beklagte seine Personalien angibt, wirft der Anwalt ein, er lüge, denn er sei "durchaus nicht geboren". Auch seine Geburtsurkunde und die Anwesenheit seines Bruders im Gerichtssaal gelten nicht als Beweis: "Das ist nicht Ihre Urkunde, und dieses Individuum ist nicht Ihr Bruder.". Mr Johns verweist auf seine Karriere als Rennfahrer und die von ihm errungenen Preise. Johns verzichtet auf Rechtsbeistand, da seine Sache "so lauter wie Kristall" sei. Der Fall wird dargelegt. Der Beklagte habe nach seinen verschiedenen Rennunfällen von der Cybernetics Company zahlreiche künstliche Körperteile bezogen (Arm- und Beinprothesen, künstliche Nieren, Kunstherzen und andere Ersatzorgane, einen Brustkorb und ein Genick, später auch ein "Elektronengehirn Marke Geniox" als Ersatz für eine Großhirnhalbkugel) und er sei nicht bereit, diese Körperteile zu bezahlen. Als die Schulden des Beklagten auf 29 863 Dollar angewachsen waren, habe die Firma versucht, auf die Rückgabe aller Prothesen zu klagen. Diese Klage war jedoch vom Staatsgericht abgelehnt worden, da ihn eine Rückgabe der geforderten Prothesen "um das weitere Dasein gebracht hätte". "Zu dieser Zeit", stellt der Anwalt fest, "war nämlich von dem ehemaligen Mister Johns nur noch die eine Gehirnhälfte übrig." Auch diese sei später von der Firma noch ersetzt worden. Als der Anwalt fordert, Johns zu vermahnen ("[...] der Beklagte sucht mir böswillig das Reden zu erschweren, indem er mich mit allerlei Gezisch, Gezwitscher und Geknirsche übertönt."), erwidert Johns er trage dafür keine Verantwortung, da es das künstliche Gehirn sei, daß diese Geräusche verursache, somit sei es die Verantwortung der Cybernetics Company. Der Anwalt der Cybernetics Company argumentiert weiter, daß es sich bei dem sich "im Gerichtssaal befindlichen eigenmächtig aufmuckenden Prothesengefüge [...], das sich unrechtmäßig für Harry Johns ausgibt" um Eigentum der Cybernetics Company handle. Die Reste der physischen Person Harry John seien "verstreut an verschiedenen Autobahnen in ganz Amerika", demnach würde keine Person geschädigt und die Firma nehme nur ihren Besitz in Anspruch. Die Argumentation spitzt sich weiter zu und Johns stellt fest: "Dann ist ja alles ganz einfach: entweder bin ich eine Maschine, dann darf diese Verhandlung gar nicht stattfinden, da eine Maschine in einem Gerichtsverfahren nicht Partei sein darf, oder ich bin keine Maschine, sondern eine Person, und was für Rechte auf mich beansprucht dann irgendeine Firma?" Als der Bruder als Zeuge verhört werden soll, erhebt die Anklage Einspruch. Wie sich herausstellt, wurde der Bruder Opfer eines Flugzeugabsturzes und die Cybernetics Company hat "im Auftrag der Witwe einen neuen Bruder des Beklagten hergestellt". Johns empört sich: "Na und? Warum kann der Bruder nicht aussagen? Meine Schwägerin hat doch den Kaufpreis bar bezahlt?". Die Erzählung endet mit den Worten des Richters: "Bitte um Ruhe! In Anbetracht der Notwendigkeit einer Überprüfung zusätzlicher Umstände durch das Gericht - wird die Verhandlung vertagt."

III.3. Das Gehirn als Zufluchtsort der Persönlichkeit?

An diesen zwei Geschichten wird deutlich sichtbar, in welche Zwangslage uns diese Erörterungen über unsere "Person" bringen. Argumente für und wider finden sich, jedoch sind sie sehr verwirrend und äußerst schwer - wenn nicht unmöglich - zu beweisen oder zu widerlegen. Besonders die satirisch überspitzte Erzählung Lems macht deutlich, wie schwierig eine Argumentation hier fällt, und wie sich der Anwalt und Johns hier immer wieder in Widersprüche und Paradoxien verstricken.

Interessant ist die Sympathieführung in diesen beiden Geschichten. Im Falle von Commander Data ist der Zuschauer, der ihn als Seriencharakter kennt und ihn in diesen Grenzen nicht nur als Maschine, sondern als Person der Handlung akzeptiert, geneigt, die Argumentation FÜR seine Persönlichkeitsrechte zu favorisieren. Schwieriger ist es im Falle des Harry Johns in Lems Erzählung. Der Leser hat spätestens nach der Erwähnung des künstlichen Gehirns das untrügliche Gefühl, daß es sich hier nicht mehr um eine Person handelt. Hierfür liefert Johns selber ja auch ein schlagendes Argument, indem er sich für sein Handeln (den Anwalt mit Geräuschen zu unterbrechen) nicht für verantwortlich hält. Es liegt aber in der Ironie dieser Erzählung, daß es dem Leser ebenso wie dem Richter und dem Anwalt äußerst schwer fällt, die geschickte Argumentation des Beklagten zu widerlegen und ein Urteil zu fällen. Mit dem Verlust welches Körperteiles wird die Person Harry Johns ausgelöscht? Und wird sie zu einer neuen Person "Harry Johns 2", die ebenfalls Rechte besitzen müßte, oder handelt es sich um einen Gegenstand, ein bloßes "Prothesengefüge"? Der Argumentation der Verteidigung Datas zufolge ist dieses "Prothesengefüge" allerdings allem Anschein nach - in welcher Form auch immer - zu einem Bewußtsein und einem Selbstbewußtsein fähig.

Versucht man beide Fälle wirklich gedanklich durchzuspielen, wird klar, wie wenig wir über das Bewußtsein zu sagen vermögen. Sehen wir das Gehirn als die "alleinige materielle Basis unserer Persönlichkeit" an und ziehen uns auf den Standpunkt zurück, daß "die Frage nach der Selbigkeit der Person [...] unproblematisch" ist, "weil Gehirntransplantationen chirurgisch unmöglich seien" (Meyer-Drawe Illusionen von Autonomie, S. 29), wird die Sache einfach. Man kann die Geschichte Lems als rein fiktives Gedankenexperiment betrachten, das eine Frage aufwirft, die sich uns im Rahmen des heute technisch Möglichen und dem zukünftig Möglichen, überhaupt nie stellen wird. Auch die Figur des Commander Data und die sich hier stellende Frage nach dessen Bewußtseinsstatus und Persönlichkeitsrechten könnte man als rein spekulativ verwerfen, da es uns bisher nicht möglich ist, einen Androiden wie Data zu bauen und es uns auch in Zukunft vermutlich nicht möglich sein wird. Auch Dennett weist auf diesen Umstand bei ähnlichen Gedankenexperimenten hin:

[...] but philosophers have assumed for the sake of the argument that however technically difficult the task might be, it is "possible in principle". One should be leery of these possibilities in principle. It is also possible in principle to build a stainless-steel ladder to the moon, and to write out, in alphabetical order, all intelligible English conversation consisting of less than a thousand words. But neither of these are remotely possible in fact and sometimes an impossibility in fact is theoretically more interesting than a possibility in principle, as we shall see (Dennett, Consciousness Explained, S. 4).

Aber wie sicher kann man sich in Anbetracht zeitgenössischer technischer Entwicklungen sein, daß es sich bei der Transplantation des Gehirns wirklich um eine solche impossibility in fact handelt? Ist der Gedanke genauso abwegig wie der, eine Leiter zum Mond aus Nirosta- Stahl zu bauen? Zu bedenken wäre, daß es bereits technisch möglich ist, Hirngewebe zu transplantieren.17

Und wie sicher kann man sein, daß das Gehirn die alleinige materielle Basis unserer Persönlichkeit darstellt? Die in Kapitel II vorgestellte Ansicht Meads und Eccles', der Verlust oder die Ersetzung einzelner Körperteile ändere nichts an der Identität einer Person, kann so ohne weiteres nicht wirklich nicht gelten.

Man kann schon daran zweifeln, daß die Person des Menschen nach einer Organverpflanzung dieselbe bleibt. Damit ist nicht gemeint, daß die Seele des Spenders übergreift. Gedacht ist vielmehr daran, daß man Organe nicht in einen Körper einsetzt wie eine Batterie in ein Auto. Eine Transplantation ist auch ein leibliches Phänomen, das das Zur-Welt-sein insgesamt betrifft und nicht nur eine zeitweilige therapierbare psychische Verunsicherung. Das Wissen, daß es z.B. ein fremdes Herz ist, das das eigene Leben erhält, bleibt nicht folgenlos für die eigene Lebenserfahrung. Die Nierentransplantation, die den unbarmherzigen Zeittakt der Dialyse überflüssig macht, verändert die personale Existenz. Erblindung und Verkrüppelung sind nicht Defekte, die ein obskures Inneres unversehrt ließen. Selbst der tote Leib ist für uns nicht lediglich ein Körper, ein anonymes Ding. Das wird deutlich, wenn man sich durch die seit den späten sechziger Jahren durchgeführten Crashtests an Leichen beunruhigen läßt. Dieser Zweig der Unfallforschung kam in die Schlagzeilen, als bekannt wurde, daß Kinderleichen in die Experimente einbezogen wurden. Ohne sogleich das Zauberwort "Ethik" zu bemühen, kann man sich vergegenwärtigen, daß der gestorbene andere mit seinem Leib voller Zeichen eine geteilte Geschichte repräsentiert, die es dem Angehörigen unmöglich macht, ihn als bloßes Körperding zu betrachten (Meyer-Drawe. Menschen im Spiegel ihrer Maschinen, S. 81).

Dafür spricht ebenso die Entrüstung über die bereits erwähnten Fälle der Organentnahme bei Säuglingen, die am plötzlichen Kindstod verstorben waren, oder die hitzige Debatte um die tote Mutter, deren Körper als organischer Brutkasten für das noch lebende Ungeborene künstlich am Leben erhalten werden sollte. Auch wäre die seltsame Mischung aus Faszination und Abscheu angesichts der Ausstellung der ,,Plastinate" des Gunther von Hagen nicht erklärbar. Wir stehen unserem Körper und seiner Endlichkeit nicht in derart rationaler Distanz gegenüber und können ihn auch nicht so ohne weiteres von unserem Geist trennen. Wären wir uns wirklich so sicher, daß mit dem Tod des Gehirns auch wirklich unsere Persönlichkeit restlos ausgelöscht wäre, so dürfte es doch nicht schwer fallen, einen toten Körper als bloßes Ding, einen nützlichen Gegenstand für die unterschiedlichsten Zwecke, als Ersatzteillager, Forschungsobjekt, als natürlichen Brutkasten oder als Demonstrations- und Kunstobjekt zu betrachten. Dafür spricht eben auch das Jahrtausende alte Bedürfnis unsere Toten zu bestatten oder zu verbrennen, das Eccles sogar als eins der Kriterien für Selbst-Erkenntnis anführt:

Es wird allgemein anerkannt, daß Bestattungsbräuche uns bei weitem die besten Kriterien für Selbst-Erkenntnis liefern. Erinnern wir uns erst daran, daß kein Tier in freier Wildbahn irgend ein Interesse für seine Toten zeigt. Daher unternimmt es noch nicht einmal primitive Versuche, den toten Körper zu beseitigen; er wird einfach ignoriert. [...Ausführungen über Bestattungsbräuche bei den Neandertalern, Anm.] Daraus kann zweifellos geschlossen werden, daß der Neandertaler Selbst-Erkenntnis besaß, und zwar in der Art, wie wir sie erleben, und das Gefühl, daß andere Mitglieder seiner Gemeinschaft Wesen seien wie er.18

Man darf der allgemein stark verbreiteten Ansicht der Reduzierung des Menschlichen auf die Fähigkeiten des Gehirns also durchaus kritisch gegenüber stehen, handelt es sich doch bei einem Menschen immer um ein leibliches Wesen, daß seine Erfahrung des Selbst und der Umwelt ebenso aus leiblichen Erfahrungen konstituiert wie aus Wahrnehmung und Kognition.

Nur ein sehr reduzierter Blick kann die Persönlichkeit des Menschen mit seinem Gehirn gleichsetzen. Dieser Blick ratifiziert eine rationalistische Tradition und übertüncht unsere Ratlosigkeit im Hinblick darauf, was Person heißt (ebd., Meyer-Drawe, S, 81).

IV Die Identität - ein Gauklertrick?

Suppose evil scientists removed your brain from your body while you slept, and set it up in a life- support system in a vat. Suppose they then set out to trick you into believing that you were not just a brain in a vat, but still up and about, engaging in a normally embodied round of activities in the real world. This old saw, the brain in the vat, is a favorite thought experiment in the toolkit of many philosophers. It is a modern-day version of Descartes' (1641) evil demon, an imagined illusionist bent on tricking Descartes about absolutely everything, including his own existence. (Daniel C. Dennett: Consciousness Explained, S. 3)

In diesem Kapitel soll es um die Illusion der Identität gehen, wir betrachten hier zwei Gedankenspiele, einmal das Kapitel Where am I? aus Daniel C. Dennetts Brainstorms, in dem es um die Möglichkeiten der räumlichen Trennung von Gehirn und Körper geht und den damit entstehenden Fragen und Denkproblemen. Als ein weiteres sehr treffendes Beispiel für eine solche Zukunftsvision soll hier der Kinofilm Matrix (1999) angeführt werden, der einige sehr interessante Fragen im Bezug auf die Identität und die ,,Notwendigkeit der Illusion" (s. Kapitel V) aufwirft.

IV.1.Where am I?

Dennett stellt in seinem Buch Brainstorms ein interessantes Gedankenexperiment vor. Er erzählt davon, wie er an einem streng geheimen Projekt der NASA und des Verteidigungsministeriums teilgenommen hat. Es ging darum, einen atomaren Sprengkopf zurückzuholen, der bei Testläufen eines Systems, daß nukleare Sprengköpfe durch Tunnel im Erdinneren direkt unter Rußland positionieren sollte, im Tunnel steckengeblieben war. Durch die Nähe zum Erdkern habe sich in dem Sprengkopf eine nukleare Strahlung solcher Art entwickelt, daß sie zwar alle anderen Körperteile nicht schädige, lediglich das Gehirn.

Man sei also an ihn herangetreten, da er als Hirnforscher für diese Aufgabe besondere Voraussetzungen mitbringe. Sein Gehirn wird in einer Operation entfernt und in einem Tank mit einer Flüssigkeit am Leben erhalten. An den Stümpfen der durchtrennten Nervenbahnen werden Radio-Transmitter befestigt, ebenso an seinem Gehirn, so wird eine Kommunikation zwischen Hirn und Körper ermöglicht. Als er aus der Narkose erwacht und bald zu dem Tank, in dem sich sein Gehirn befindet geführt wird, fängt er an sich zu fragen, wo er sich befinde. Außerhalb des Tanks oder in dem Tank. (I thought to myself: ,,Well, here I am, sitting on a folding chair, staring through a piece of plate glass at my own brain...But wait," I said to myself, ,,shouldn't I have thought, `Here I am, suspended in a bubbling fluid, being stared at by my own eyes?")19 Er versucht, sich in den Tank hineinzuversetzen, doch es mißlingt ihm. Er fragt sich, ob es lediglich die Macht der Gewohnheit sei, die ihn annehmen läßt, daß er sich in seinem Körper befinde, oder ob es nicht zwingend notwendig sei, daß eine Person dort sei, wo das Gehirn als physikalischer Sitz seiner Persönlichkeit sich befinde. Er macht den Versuch, Körper und Gehirn unterschiedlich zu benennen. Er nennt das Gehirn ,,Yorick", den Körper ,,Hamlet". Er selbst ist Dennett:

Yorick's my brain, Hamlet's my body, and I am Dennett. Now, where am I? And when I think ,,where am I?" where's that thought tokened? Is it tokened in my brain, lounging about in the vat, or right here between my ears where it seems to be tokened? Or nowhere? Its temporal coordinates give me no trouble; must it not have spatial coordinates as well? I began making a list of alternatives.

(1) Where Hamlet goes, there goes Dennett. The principle was easily refuted by appeal to the familiar brain transplant thought-experiments so enjoyed by philosophers. If Tom and Dick switch brains, Tom is the fellow with Dick's former body - just ask him; he'll claim to be Tom, and tell you the most intimate details of Toms's autobiography. It was clear enough, then, that my current body and I could part company, but not likely that I could be separated from my brain. The rule of thumb that emerged so plainly from the thought experiments was that in a brain-transplant operation, one wanted to be the donor, not the recipient. Better to call such an operation a body-transplant, in fact. So perhaps the truth was,
(2) Where Yorick goes, there goes Dennett. This was not at all appealing, however. How could I be in the vat and not up and about to go anywhere, when I was obviously outside the vat looking in and beginning to make guilty plans to return to my room for a substantial lunch? This begged the question I relized, but it still seemed to be getting at something important. Casting about for some support for my intuition, I hit upon a legalistic argument that might have appealed to Locke.20

Er entwickelt die Frage, was passieren würde, wenn er nun nach Kalifornien flöge, eine Bank ausraubte und verhaftet würde. In welchem Staat sollte er vor Gericht gestellt werden: In Kalifornien, wo der Überfall stattfand, oder in Texas, wo der ,,Kopf" der Unternehmung zu suchen sei? Und würde er ein kalifornischer Straftäter mit einem außerstaatlichen Gehirn sein oder ein texanischer Straftäter, der einen entfernten Komplizen in Kalifornien kontrolliert? Und was würde passieren, wenn er tatsächlich verurteilt würde, würde Kalifornien ,,Hamlet" einsperren, während ,,Yorick" frei in Texas bliebe, oder würde Texas Yorick einsperren, während Hamlet frei wäre nach Rio zu flüchten? Diese Möglichkeit gefällt Dennett, da er annimmt, daß, wenn lediglich der Tank mit seinem Gehirn in ein Gefängnis gebracht würde, dies auf ihn selbst keinen Einfluß habe, einsperren könne man ihn nur, indem sein Körper irgendwo festgehalten würde.

So entwickelt er eine dritte Möglichkeit: Dennett is wherever he thinks he is. Es hänge von dem jeweiligen Blickwinkel (point of view) ab, wo die Perosn sich befinde. Er gibt hierfür zwei Beispiele. Einmal eine illusorische Veränderung dieses Blickwinkels, wie sie bei Besuchern eines Kino 2000 (Effekt-Kino, bei dem man das Gefühl hat mitten im Geschehen, z.B. einer Achterbahnfahrt zu sein) und einer weniger illusorischen Verschiebung des Blickwinkels, wie es Arbeiter erleben, die mit gefährlichen Substanzen umgehen, indem sie aus sicherer Distanz Roboterarme steuern. Weniger illusorisch sei diese Verschiebung aus dem Grunde, weil die Arbeiter tatsächlich die Beschaffenheit der Objekte, mit denen sie arbeiten ,,fühlen" und ,,erleben".

They know perfectly well where they are and are not fooled into false beliefs by the experience, yet it is as if they were inside the isolation chamber they are peering into. With mental effort, they can manage to shift their point of view back an forth, rather like making a transparent Neckar cube or an Escher drawing change orientation before one's eyes. It does seem extravagant to suppose that in performing this bit of mental gymnastics, they are transporting themselves back and forth. (ebd. S. 315).

Dennett begibt sich auf die Mission, den unterirdisch lagernden Sprengkopf zu bergen. Dabei bricht die Verbindung zu seinem Körper ab, nach und nach fallen alle Radio-Transmitter aus, er ist taub, stumm und blind. Plötzlich stellt er fest, daß er sich ohne Körper (disembodied) in Houston befindet, jeder Kontakt zu seinem Körper war abgebrochen er meint entdeckt zu haben, daß alle materialistischen Leib-Seele-Theorien widerlegbar sind:

It occurred to me then, with one of those rushes of revelation of which we should be suspicious, that I had stumbled upon an impressive demonstration of the immateriality of the soul based upon physicalist principles and premises. For as the last radio signal between Tulsa and Houston died away, had I not changed location from Tulsa to Houston at the speed of light? And had I not accomplished this without any increase in mass? What moved from A to B at such speed was surely myself, or at any rate my soul or mind - the massless center of my being and home of my consciousness. My point of view had lagged somewhat behind, but I had already noted the indirect bearing of point of view on personal location. (ebd. S. 317/318).

Kurz später wird Dennetts Gehirn in einen Schlaf versetzt, aus dem er nach etwa einem Jahr wieder aufwacht. Wie er feststellt, befindet er sich in einem anderen Körper. Sein ,,ehemaliger" Körper konnte aus dem radioaktiv verseuchten Tunnel nicht geborgen werden. Als er Yorick besucht, versucht er den Output-Transmitter-Hebel auf AUS zu stellen und zu seinem Erstaunen passiert nichts. (Zuvor war er in sich zusammengesackt, als er den Hebel umgelegt hatte) Er wird darüber unterrichtet, daß ein Computer-Duplikat seines Gehirns angefertigt wurde, genannt Hubert, dessen Programm synchron mit dem Output Yoricks lief. Alle Informationen, die Yorick an Hamlet sendete, wurden mit dem simultanen Output von Hubert, dem Computer verglichen. Über Tage und Wochen liefen die beiden Systeme synchron. Nun hatten die Wissenschaftler die Kontrolle über den Körper (nicht mehr Hamlet, sondern Fortinbras) erstmalig ganz Hubert überlassen. Mittels eines Schalters kann Dennett nun zwischen dem Output Huberts und Yoricks hin und her schalten. Seine Befürchtung ist es nun, daß ein zweiter Körper an eines der beiden ,,Gehirne" angeschlossen werden könnte und somit ein zweiter Dennett ins Leben gerufen würde:

The truly unsettling aspect of this new development was the prospect, which was not long in dawning on me, of someone detaching the spare - Hubert or Yorick, as the case might be - from Fortinbras and hitching it to yet another body - some Johnny-come-lately Rosencrantz or Guildenstern. Then (if not before) there would be two people, that much was clear. One would be me, and the other would be a sort of super-twin brother. If there were two bodies, one under the control of Hubert and the other being controlled by Yorick, then which would the world recognize as the true Dennett? [...] I didn't want to be my own rival for the affections of my wife, nor did I like the prospect of the two Dennett sharing my modest professor's salary. Still more vertiginous and distasteful, though, was the idea of knowing that much about another person, while he had the very same goods on me. How could we ever face each other? (ebd. S. 320/321).

Um solche Gefahren zu vermeiden, wird ihm selbst die Kontrolle über die beiden ,,Gehirne" überlassen, er erhält den einzigen Schalter an einer Armbanduhr, mit der er zwischen beiden hin und her schalten kann. Die Geschichte hört damit auf, daß die beiden synchron laufenden ,,Gehirne" Hubert und Yorick sich voneinander entfernen und nicht mehr identischen Output liefern, mitten in seiner Erzählung schaltet Dennett zwischen den beiden Gehirnen um. Das nun zugeschaltete Gehirn hat ein Bewußtsein, daß sich von dem des vorher den Körper kontrollierenden unterscheidet. So endet das Gedankenexperiment mit den Worten: ,,Ladies and gentlemen, this talk we have just heard is not exactly the talk I would have given, but I assure you that everything he said was perfectly true. And now if you'll excuse me, I think I'd - we'd - better sit down."

Diese fiktiven Überlegungen Dennetts bedürfen keiner weiteren Erläuterung, spielen sie doch das gesamte Spektrum der üblichen Überlegungen zum Gehirn-Transplantations- Gedankenspiel durch. Die Probleme, die eine solche Möglichkeit für unsere üblichen Begrifflichkeiten von Person, Identität, Einmaligkeit der Person den Begriff des ,,hier", usw. mit sich bringen würde. Alle von Dennett hier gezogenen Schlüsse darüber sind natürlich rein spekulativ und stützen sich auf Annahmen oder Theorieansätze. Dennoch wird hier sehr deutlich, daß die gängigen Theorien nicht ohne Widersprüche sind, daß weder die Annahme, die Person sei da, wo sich der Körper befindet, noch die Annahme die Person sei da, wo sich das Gehirn befinde, noch die, daß es allein von dem jeweiligen Blickwinkel abhänge, wo sich die Person befinde, dem Gedankenexperiment lückenlos standhalten.

IV.2.Matrix

Der Kinofilm Matrix aus dem Jahr 1999 erzählt sie Geschichte des Computerexperten Thomas Anderson (als Hacker ist er bekannt unter seinem screen name Neo), der im Jahr 1999 bei einer Software-Firma arbeitet - oder zumindest glaubt, bei einer Software-Firma zu arbeiten. Über seinen Computer und ein ihm zugesandtes Mobiltelefon nehmen ein Mann namens Morpheus und eine Frau, die sich Trinity nennt, unter mysteriösen Umständen Kontakt auf. Sie sprechen davon, daß Neo in Gefahr sei und verfolgt würde und daß sie wüßten, daß er auf der Suche nach Morpheus sei. In der Tat hat Neo schon etwas von Morpheus gehört und möchte wissen, was es mit ihm und ,,der Matrix" auf sich hat. Schließlich wird Neo zu Morpheus gebracht. Neo soll erfahren, was es mit der ,,Matrix" auf sich hat. "Es [die Matrix] ist eine Scheinwelt, die man dir vorgaukelt, um dich von der Wahrheit abzulenken.", beschreibt sie Morpheus. Auf die Frage, von welcher Wahrheit die Matrix ablenken solle, antwortet Morpheus: ,,Daß du ein Sklave bist, Neo! Du wurdest wie alle in die Sklaverei geboren und lebst in einem Gefängnis, das du weder anfassen noch riechen kannst, ein Gefängnis für deinen Verstand." Morpheus fährt fort, er könne nicht erklären, was genau die Matrix sei, jeder müsse es selber sehen. Er gibt Neo die Wahl zwischen zwei Kapseln, einer roten und einer blauen. Wenn er sich für die blaue entscheide, würde er alles vergessen und wieder zuhause in seinem Bett aufwachen, nehme er aber die rote, würde er die Wahrheit erfahren. Es gebe von dieser Entscheidung allerdings kein Zurück. Neo nimmt die rote Kapsel. Morpheus erklärt ihm, sie sei Teil eines Trace- Programmes, das sein ,,Carrier-Signal" orten solle. Neo versteht zunächst nicht, was danit gemeint ist. Morpheus versucht ihn vorzubereiten: "Hattest du schon einmal einen Traum, der dir völlig real erschien? Was wäre, wenn du aus diesem Traum nicht mehr aufwachen würdest? Woher wüßtest du, was Traum ist und was Realität?". Neos Carrier-Signal wird geortet und er kann damit ,,entkoppelt" werden. Neo erfährt nun, was das bedeutet. Er wacht plötzlich in einer Blase gefüllt mit einer Flüssigkeit auf, seinen Körper bedecken zahlreiche Anschlüsse. Er steht auf und zerreißt die Hülle, in der er sich befindet. Überall um ihn herum hängen in einer dunklen, kalten Felslandschaft ähnliche Blasen, die anscheinend ebenfalls Menschen enthalten. Plötzlich taucht eine Maschine vor ihm auf, die ihn untersucht, die Anschlüsse entfernt und ihn ,,entsorgt". Er wird in eine Art Abwassersystem gespült, wo er von einem Schiff, in dem sich Morpheus, Trinity und einige weitere Personen befinden, aufgelesen wird. Neo wird begrüßt: ,,Wilkommen in der wirklichen Welt!"

Nach und nach erklärt sich die Situation. Neo muß einige Eingriffe über sich ergehen lassen (,,Was macht Ihr mit mir?" - ,,Deine Muskeln sind atrophiert, wir bauen sie wieder auf!"; ,,Warum tun meine Augen so weh?" - ,,Weil du sie noch nie benutzt hast.") Morpheus erklärt ihm nun, er befinde sich ungefähr im Jahr 2199, auf dem Schiff Nebuchadnezar. ,,Von hier aus senden wir unser Piratensignal und hacken uns in die Matrix ein.". Neo wird mit dem verbleibenden Anschluß in seinem Nacken an einen Stecker gekoppelt und befindet sich plötzlich in einem leeren, weißen Raum. Morpheus erläutert, es handle sich um ,,das Konstrukt" - ein Ladeprogramm, hier könne alles geladen werden. Als Neo Zweifel daran anmeldet, sich wirklich in einem Computerprogramm zu befinden antwortet Morpheus: ,,Die Anschlüsse an deinem Körper sind weg, du trägst andere Kleidung, deine Frisur ist ganz anders. Deine momentane Erscheinung nennen wir das Restselbstbild - die mentale Projektion deines digitalen Selbst." Morpheus erklärt nun, was genau die Matrix ist. "Was ist die Wirklichkeit, wie definiert man das - Realität? Wenn du darunter verstehst, was du fühlst, was du riechen, schmecken, oder sehen kannst, ist die Wirklichkeit nichts anderes als elektrische Signale interpretiert von deinem Verstand." Die Matrix sei also eine neuro-interaktive Simulation, die den Menschen eine Realität und eine Identität vorgaukelt, die nicht real physisch existent ist. Morpheus erklärt, wie es zu der Erschaffung der Matrix gekommen ist, und wozu sie diene. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts habe die Menschheit auf dem Gebiete der K.I., der künstlichen Intelligenz, enorme Fortschritte gemacht und immer neue intelligente Maschinen hervorgebracht. Morpheus erklärt, man wisse nicht mehr genau, wer dann den Krieg begonnen habe, die Maschinen oder die Menschen. Allerdings haben die Menschen den Himmel verdunkelt. Sie hofften, die Maschinen, die auf Solarenergie angewiesen waren, würden nicht überleben. Jedoch schufen sich die Maschinen eine andere Energiequelle. Der menschliche Körper besitze eine unheimliche Menge von Bio-Elektrizität und setze bis zu 6300 kcal an Körperwärme um. So fingen die Maschonen an, speziell Menschen zu züchten, um sie in Feldern, dem Ort, an dem Neo aufgewacht war, anzuzapfen und als Energiequelle zu nutzen. Ernährt werden sie, so erklärt Morpheus, intravenös mit in Flüssigkeit aufgelösten toten Menschen. Dabei sind die Menschen mit ihrem Gehirn an ein System angeschlossen, daß ihrem Gehirn die Matrix als Realität darstellt. ,,Die Matrix ist eine computergenerierte Traumwelt, um uns unter Kontrolle zu halten."

Geschützt wird die Matrix zum einen von den einzelnen ihr angeschlossenen Individuen, die in ihr leben und von ihr abhängen, aber zusätzlich von ,,Agenten", intelligenten Programmen, die sich in jede Software einklinken können, die an das System der Matrix gekoppelt ist. Diese Agenten sind sozusagen Suchprogramme, die Individuen wie Morpheus und Neo, die die Matrix gefährden, suchen und vernichten sollen.

Im weiteren Verlauf der Geschichte wird klar, daß Neo ,,der Auserwählte" ist, von dem vorausgesagt wurde, er habe die Fähigkeit, die Matrix als das zu entlarven, was sie ist und die Menschen zu befreien. Als sich Neo, Morpheus und die anderen in die Matrix einhacken, werden sie von Agenten angegriffen, denn einer aus ihrer Gruppe (Cypher) ist ein Verräter. Er hat sich zuvor mit den Agenten geeinigt. (Cypher - In einem Restaurant in der ,,Matrix"): "Hören Sie, ich weiß, daß dieses Steak nicht existiert, ich weiß, daß wenn ich es in den Mund stecke, die Matrix meinem Gehirn sagt, daß es saftig ist und ganz köstlich. Nach neun Jahren ist mir eine Sache klar geworden. Unwissenheit ist ein Segen." Cypher möchte als Belohnung für den Verrat wieder in die Matrix eingegliedert werden, nichts mehr wissen, genug ,,Geld" zur Vefügung haben. Interessiert sind die Agenten vor allen an den Zugangscodes für den Großrechner von Zion, der letzten Stadt, in der noch freie Menschen leben, im Erdinnern. Morpheus besitzt diese Codes. Trotz des Verrats gelingt es am Ende den Menschen, den Agenten zu entkommen und sich wieder aus der Matrix auszuklinken. Der Film endet mit der Hoffnung, daß Neo als ,,der Auserwählte" nun die übrige Menschheit befreien kann.

Matrix zeigt eine klassische Zukunftsvision der Science Fiction, die Produkte des menschlichen Fortschrittsglaubens werden dem Menschen überlegen, werden zu Feinden und rächen sich in ironischer Weise an ihren Schöpfern. Ähnliches findet sich bereits in Mary Woolstonecraft Shelleys Frankenstein oder H.G. Wells The Time Machine. In Matrix wird an die Möglichkeit der Erschaffung einer solchen künstlichen Intelligenz geglaubt und in ihr eine potentielle Gefahr gesehen. Die hier auftauchenden Maschinen besitzen Bewußtsein, Selbstbewußtsein und einen Selbsterhaltungstrieb, das macht sie den Menschen ähnlich und sogar überlegen. Ähnlich, wie der Mensch die Maschinen als Werkzeuge benutzt hat, benutzen sie nun den Menschen. Das eigentlich Neue hier ist auch eigentlich die Idee der ,,Matrix", der neuro-interaktiven Simulation. Die Menschen leben zufrieden in einer virtuellen Realität und merken so nicht, daß sie eigentlich nicht mehr als Batterien für ihre Maschinen sind.

Hier stellt sich die Frage, ob es sich im Sinne Dennetts um eine possibility in principle oder eine impossibility in fact handelt. Dennett behauptet, daß es nicht wirklich möglich sei, eine so komplexe virtuelle Welt zu erschaffen, in der dem Menschen alle Optionen offen stehen, die er auch in der Realität habe, zu viele Berechnungen, zu viele Daten würden hier vom Computer zu bewältigen sein müssen, vermutlich würde der Versuch, eine virtuelle Realität solcher Art zu erstellen zu dem Phänomen der ,,combinatorial explosion"21 führen. Bekannt ist dieses Phänomen aus dem berühmten Reis-Schachbrett-Rechenbeispiel. Hier soll einem Bauern folgende Belohnung ausgezahlt werden: Auf dem ersten Feld des Schachbretts 1 Korn Reis, auf dem zweiten 2, dann 4, usw. jeweils die vorhergehende Menge verdoppelnd. Bei Weiterführung dieser Rechnung ergibt sich eine unvorstellbare Menge von Reiskörnern (264 ). Dennett nennt hier noch ein weiteres Beispiel für dieses Phänomen:

Closer to our example is the plight of the French ,,aleatoric" novelists who set out to write novels in which, after reading chapter 1, the reader flips a coin and then reads chapter 2a or 2b depending on the outcome, and then reads chapter 3aa, 3ab, 3ba, or 3bb after that, and so on, flipping a coin at the end of every chapter. These novelists soon came to realize that they had better minimize the number of choice points if they wanted to avoid an explosion of fiction that would prevent anyone from carrying the whole "book" home from the bookstore. (ebd., S. 5).

Es mag sein, daß es völlig unmöglich ist, eine solche ,,Matrix" zu erschaffen, weil ein solches Programm eine unendliche Anzahl an möglichen Reaktionen kalkulieren müßte, andererseits besteht ein großer Unterschied zwischen der Klassifizierung als "faktisch unmöglich" und "nicht vorstellbar". Wenn man bedenkt, wie unvorstellbar unsere heutigen technischen Möglichkeiten vergangenen Zeiten erschienen sein müßten.

Anders aber als die Frage der rein technischen Machbarkeit stellt sich ähnlich wie in Dennetts Where am I? ob die zugrunde liegende - ebenfalls klassische - Annahme, es genüge, das Gehirn entsprechend zu stimulieren, um beim Menschen eine gewisse Form von Identität und Selbstbild entstehen zu lassen. Besteht die Wirklichkeit, wie wir sie erleben tatsächlich aus nichts weiter als ,,elektrischen Signalen interpretiert von" unserem "Verstand"? Welche Rolle spielen leibliche Phänomene bei unserer Interpretation von Wirklichkeit? Ist unser Körper wirklich nichts sonst als die Kontaktfläche, durch die unser Gehirn mit der Welt interagiert? Es scheint vieles dafür zu sprechen, daß das Gehirn als Steuerungszentrale auch die materielle Basis unserer Persönlichkeit darstellt.

Um bei einem Beispiel des Films zu bleiben stellt sich hier die Frage: Wäre die reale Erfahrung, die ein Mensch macht, wenn er ein Stück Steak in seinen Mund steckt, es langsam kaut, mit der Zunge, dem Gaumen, den Zähnen, dem Geruchssinn, den Augen ,,erlebt", dabei gleichzeitig das Gefühl hat mit dem Gesäß und dem Rücken einen Stuhl zu berühren, im Hintergrund Geräusche, Gespräche, Musik wahrzunehmen, diese enorme Flut von gleichzeitig auftretenden, als wichtig oder nebensächlich interpretierten Sinneseindrücken, wirklich nicht zu unterscheiden von der bloßen elektrischen Stimulation bestimmter Partien des Gehirn und der Nervenbahnen? Um es deutlicher zu sagen: Kann man eine leibliche Erfahrung, ein konkretes Erleben im Gehirn generieren, ohne dabei irgendeinen weiteren Teil des Leibes mit einzubeziehen? Eine Antwort auf diese Frage zu geben scheint uns heute nicht möglich zu sein, aber es erscheint zweifelhaft, ob sich das menschliche Erleben und Bewußtsein wirklich auf eine Anzahl elektrischer Impulse reduzieren läßt.

V Die Notwendigkeit der Illusion

,,Unwissenheit ist ein Segen!" - Cypher (Matrix)

Wenn wir uns fragen, warum uns die von dem Film Matrix, von Lems Erzählung oder von Dennetts Where am I? gezeichneten Visionen so beängstigen und beunruhigen, so ist es wohl die Angst vor dem Unbekannten, die Angst vor Veränderung und Ungleichgewicht. Das, woran wir seit jeher geglaubt haben, an unsere Einzigartigkeit, unserer Person, wird in Frage gestellt. Was wird passieren, könnte man sich fragen, wenn wir an unsere Subjektivität - an unsere Autonomie - nicht mehr glauben dürfen?

Die Demontage der Subjektivität könnte bedeuten, daß der Einzelne für die Folgen seines Handelns nicht verantwortlich gemacht werden kann oder will. Unklarheit über die Identität könnte auch die Unterordnung unter ein Kollektiv bedeuten, eine Daseinsform ähnlich dem Prinzip eines Bienen- oder Ameisenvolkes in der der Einzelne nur als Teil des übergeordneten Prinzips seinen Sinn hat. Diese Vorstellung drückt sich ebenfalls vielfach in der Science Fiction und in zahlreichen Utopien bzw. Anti-Utopien aus. Die Welten, die von Romanen wie 1984, Brave New World entworfen werden leben von der Angst des Menschen vor einem Verlust seiner Identität. Auch die in der Science Fiction Serie Star Trek auftauchende Rasse von Cyborgwesen, den Borg, die aus einem Kollektiv einzelner einem kollektiven Bewußtsein untergeordneter ,,Einheiten" besteht, ist ein Ausdruck dieser Angst. Die Möglichkeit des Klonens wirkt bedrohlich, weil wir nicht wissen, wie identisch Klone im Bezug auf ihr Bewußtsein, tatsächlich sein würden. Legen allein die Gene fest, wie ein Mensch sich entwickelt, wie er denkt, fühlt und handelt, wie er auf bestimmte Situationen reagiert? Oder ist diese Angst unbegründet, da sich selbst bei identischem Erbmaterial aus dem Aufeinanderwirken von unterschiedlichsten Einflüssen und Erlebnissen doch eine unverwechselbare Identität entwickeln würde? Fragen, die wir uns angesichts des technisch Machbaren stellen müssen. Warum erscheint uns der Klon, der ,,unheimliche Genschatten" (vergl. Meyer-Drawe) so bedrohlich?

Es bleibt zu hoffen, daß die Identität sich aus mehr zusammensetzt, als aus dem Chiffre der Gene und der Funktionsweise unseres Gehirns. Es gibt Hinweise darauf, daß ein Klon in dieser Hinsicht niemals völlig identisch sein könnte. Um mit dem erwachsenen ,,Spender" der genetischen Information vollkommen identisch zu sein, müßte der Klon vermutlich dieselbe Entwicklung durchlaufen, die selben Erfahrungen durchleben, da sich bei identischem Erbmaterial doch völlig unterschiedliche neuronale Verknüpfungen entwickeln könnten. Der Verweis auf den ,,substantiellen Reiz der Realität" (s.o.), die Einzigartigkeit einer persönlich erlebten Erfahrung, gibt Anlaß zur Hoffnung.

Es ist allem Anschein nach ein menschliches Bedürfnis, auf Begrenzungen und Prinzipien zu vertrauen. Der Film Matrix stellt eine interessante Frage. Cypher, der die Wahrheit nicht erträgt, der nicht in der trostlosen realen Welt leben möchte, sagt: ,,Ich denke im Grunde seit ich hier bin an nichts anderes: Wieso wollte ich Idiot nicht die blaue Kapsel?". Kann der Mensch einen solchen Zusammenbruch der Prinzipien, in die er vertraut, verkraften?

Das Bedürfnis, eine Scheinwelt zu erschaffen, der der Mensch vertrauen kann und die ihn die Wirklichkeit des Daseins ertragen läßt, hat unter anderem Friedrich Nietzsche in seinem Entwurf einer ästhetischen Metaphysik22 in Die Geburt der Trag ö die aus dem Geiste der Musik dargestellt.

Nietzsche entlehnt für die Prinzipien, die er in seiner Metaphysik umschreibt, die Namen zweier Göttergestalten der antiken griechischen Mythologie, die "beiden Kunstgottheiten, Apollo und Dionysos" (Geburt der Trag ö die, S. 19).

Die Götter Apollo und Dionysos sind also in diesem Sinne nicht in ihrer Eigenschaft als mythische Wesenheiten zu begreifen, Nietzsche nimmt sie nicht als Wirklichkeiten an, ihre Existenz ist "für ihn nicht ontologisch fundiert, sondern psychologisch motiviert"23. "Um leben zu können," sagt Nietzsche, " mußten die Griechen diese Götter, aus tiefster Nötigung, schaffen" (Geburt der Trag ö die, S. 30) und stellt sie damit dar als Kunstwerke, geschaffen durch menschliche Bedürfnisse.

Er erklärt diese Prinzipien an den Phänomenen des Rausches (Dionysos) und der des Traumes. Diese Welt verkörpert Apollo. Er beherrscht die Welt des schönen Scheins und des Traums und die Künste durch die "das Leben möglich und lebenswert gemacht wird" (ebd. S. 21). Aber Nietzsche stellt diese Welt auch als eine mit klaren Begrenzungen heraus. Die Linie zwischen Schein und Wirklichkeit muß akzeptiert werden "um nicht pathologisch zu wirken" (ebd. S. 22). Das Betrachten dieser Scheinwelt macht die Wirklichkeit erträglich, jedoch will sie eine Scheinwelt bleiben und nicht als Wirklichkeit angenommen werden; so gehört das Erwachen zu den Charakteristika des Traumes. Das Vertrauen in diese Begrenzung jedoch ist Quelle für Ruhe. Sehr gut drückt sich diese Vorstellung in dem von Nietzsche herangezogenen Bildes Schopenhauers aus:

Und so möchte von Apollo in einem exzentrischen Sinne das gelten, was Schopenhauer von dem im Schleier der Maja befangenen Menschen sagt, Welt als Wille und Vorstellung I: ,,Wie auf dem tobenden Meere, das, nach allen Seiten unbegrenzt, heulend Wasserberge erhebt und senkt, auf einem Kahn ein Schiffer sitzt, dem schwachen Fahrzeug vertrauend; so sitzt mitten in einer Welt von Qualen, ruhig der einzelne Mensch, gestützt und vertrauend auf das principium individuationis." (ebd.)

Zerbricht dieses principium individuationis an irgendeiner Stelle, erzeugt dies beim Menschen Entsetzen, aber auch Faszination ("Grausen" und "wonnevolle Verz ü ckung"). Diese "wonnevolle Verzückung" entspringt - so Nietzsche - aus dem "innersten Grunde des Menschen, ja der Natur". Hierin zeigt sich das Prinzip des Dionysischen, das Nietzsche hier mit dem Phänomen des Rausches beschreibt. "Entweder durch den Einfluß des narkotischen Getränkes" oder im "gewaltigen, die ganze Natur lustvoll durchdringenden Nahen des Frühlings" durch das Erwachen jener "dionysischen Regungen", die das "Subjektive" zu "völliger Selbstvergessenheit" auflösen, wird das Maß, die Begrenzung aufgehoben (ebd. S. 22/23).

Die Angst vor dem Verlust eines solchen principium individuationis zeigt sich in der Angst des Menschen vor dem Verlust seiner Subjektivität, seiner Identität, dem vielleicht eigentlich Menschlichen. Bedrohliche Zukunftsvisionen, wie sie in den zahlreichen Beispielen aus Literatur und Film gezeichnet werden, weisen darauf hin, daß wir den Glauben an unsere Identität brauchen. Es bleibt zu überlegen, wie der Mensch seine Subjektivität angesichts der Möglichkeiten der modernen Technologie wahren, wie er sie neu definieren kann. (vergl Meyer-Drawe Illusionen von Autonomie, 3. Formationen von Subjektivität).

Mit dieser Arbeit haben wir versucht, Denkanstöße zu liefern, Anlässe zu geben, über eine solche zukünftige Sicherung unserer Identität nachzudenken, und auf Probleme der Definition von Bewußtsein und Identität hinzuweisen.

VI Bibliographie

Beyer, Uwe. Christus und Dionysos: Ihre widerstreitende Bedeutung im Denken H ö lderlins und Nietzsches. Münster, Hamburg: Lit, 1992. (Philosophie, Bd. II.).

Dennett, Daniel Clement. Brainstorms. Philosophical Essays on Mind and Psychology. Brighton, Sussex: Harvester, 1981.

Dennett, Daniel Clement. Consciousness Explained. London/New York/Toronto: Penguin, 1991.

Descartes, René. Meditationen ü ber die Grundlagen der Philosophie. übers. und hg. v. Arthur Buchenau. Hamburg: Meiner, 1994.

Eccles, John C. Gehirn und Seele. Erkenntnisse der Neurophysiologie. München/Zürich: Piper, 1987.

Eccles, John C. Die Psyche des Menschen. Das Gehirn-Geist-Problem in neurologischer Sicht. München/Zürich: Piper, 1990.

Lem, Stanislaw. Nacht und Schimmel. Erzählungen. Frankfurt a.M.: suhrkamp, 1976.

Lem, Stanislaw. Summa technologiae. Frankfurt a.M.: suhrkamp, 1981.

Mead, George Herbert. Geist, Identit ä t und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. Frankfurt a.M.: suhrkamp, 1973.

Meyer-Drawe, Käte. Illusionen von Autonomie. Diesseits von Ohnmacht und Allmacht des Ich. München: Kirchheim, 1990.

Meyer-Drawe, Käte. Menschen im Spiegel ihrer Maschinen. Übergänge, Bd. 29. München: Fink, 1996.

Nietzsche, Friedrich. Die Geburt der Trag ö die aus dem Geiste der Musik. Stuttgart: reclam, 1952.

Schachtner, Christel: Geistmaschine. Faszination und Provokation am Computer. Frankfurt a.M.: suhrkamp, 1993.

Filme

Star Trek - The Next Generation:

The Measure of a Man (Episode 35)

Drehbuch: Melinda M. Snodgrass. Regie: Robert Scheerer. Erstausstrahlung: 1989.

Matrix

Buch und Regie: The Machowski Brothers, 1999.

[...]


1 Dennett, Daniel Clement. Brainstorms. Philosophical Essays on Mind and Psychology. Brighton, Sussex: Harvester, 1981. Kapitel IV. 17. S. 310 ff.

2 Meyer-Drawe, Käte. Menschen im Spiegel ihrer Maschinen. Übergänge, Bd. 29. München: Fink, 1996. Kapitel 3. S. 79-95.

3 Lem, Stanislaw. Gibt es Sie, Mr Johns?. In: Nacht und Schimmel. Erzählungen. Frankfurt a.M.: suhrkamp, 1976.

4 soweit nicht anders angegeben sind alle Informationen in diesem Kapitel entnommen aus: Das Fischer Lexikon: Psychologie. hg. v. Prof. Dr. Peter R. Hofstätter. Frankfurt a.M.: Fischer, 1970.

5 Fischer Lexikon, S. 186.

6 ebd., S. 187.

7 Descartes, René. Sechste der Meditationen über die Grundlagen der Philosophie: "37. Sodann bemerkte ich, daß der Geist nicht von allen Teilen des Körpers unmittelbar beeinflußt wird, sondern nur vom Gehirn, oder sogar nur von einem ganz winzigen Teile desselben, nämlich von dem, worin der Gemeinsinn seinen Sitz haben soll. So oft dieser Teil nun in gleicher Weise gestimmt ist, stellt er dem Geiste dasselbe dar, wenn sich auch inzwischen die übrigen Teile des Körpers auf verschiedene Arten verhalten mögen, wie unzählige Erfahrungen beweisen, die ich hier nicht aufzuzählen brauche." (Descartes, René. Meditationen ü ber die Grundlagen der Philosophie. übers. und hg. v. Arthur Buchenau. Hamburg: Meiner, 1994. S. 74.)

8 Eccles, John C. Die Psyche des Menschen. Das Gehirn-Geist-Problem in neurologischer Sicht. München/Zürich: Piper, 1990. S. 275.

9 Mead, George Herbert. Geist, Identit ä t und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. Frankfurt a.M.: suhrkamp, 1973.

10 Nach Eccles (1982) wird bei einer Kommissurotomie ein bewußter Geist, der mit der rechten Gehirnhemisphäre verknüpft ist, abgespalten. Die linke Hemisphäre (der einzig Sprache gebrauchende und somit zum abstrakten Denken befähigte Teil des Gehirns), verbleibt mit einem relativ intakten selbst-bewußten Geist und der damit verbundenen Person. (vergl. Psyche des Menschen, S. 31/32).

11 gerade als wir dieses Kapitel bearbeiteten, wurde in Spanien ein neuer Fall bekannt, in dem das Baby einer hirntoten Frau per Kaiserschnitt auf die Welt gebracht wurde. Die Mutter hatte zuvor, als sie noch lebte ihren Willen kundgetan, sie möchte künstlich am Leben erhalten werden, um das Überleben des Säuglings zu ermöglichen. Noch ist nicht sicher, ob das Baby überleben wird.

12 Schachtner, Christel. Geistmaschine. Faszination und Provokation am Computer. Frankfurt a.M.: suhrkamp, 1993. S. 197-199.

13 Meyer-Drawe, Käte. Illusionen von Autonomie. Diesseits von Ohnmacht und Allmacht des Ich. München: Kirchheim. 1990. S. 25 ff.

14 wertvolle Anregungen hierzu erhielten wir von unserem Kommilitonen Thomas Ruschin

15 Data spricht hier von dem ,,substanziellen Reiz der Realität"

16 Lem, Stanislaw. Nacht und Schimmel. Erzählungen. Frankfurt a.M.: suhrkamp, 1976.

17 Meyer-Drawe Menschen im Spiegel ihrer Maschinen: "Die seit 1987 praktizierte Transplantation von Hirngeweben abgetriebener Feten zur Behandlung der Parkinsonschen Krankheit steigert die Frage nach dem Sitz der Seele.", S. 83.

18 Eccles, John C. Gehirn und Seele. Erkenntnisse der Neurophysiologie. München/Zürich: Piper, 1987. S. 126-127.

19 Brainstorms, S. 312.

20 ebd. S. 313.

21 Dennett, Daniel Clement: Consciousness Explained, S. 5.

22 Nietzsche sieht das Dasein lediglich in seiner Eigenschaft als ästhetisches Phänomen gerechtfertigt.

23 Beyer, Uwe. Christus und Dionysos: Ihre widerstreitende Bedeutung im Denken H ö lderlins und Nietzsches. Münster, Hamburg: Lit, 1992. (Philosophie, Bd. II.). S. 222.

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Persönlichkeit und Bewusstsein - Überlegungen zur Identität im postbiologischen Zeitalter
Note
1.0
Autor
Jahr
1998
Seiten
33
Katalognummer
V97579
ISBN (eBook)
9783638960311
Dateigröße
611 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Wer sind wir? Wo sitzt unsere Persönlichkeit und was ist sie? Sind wir organische Maschinen, gibt es die "Seele"? Wie müssen wir über uns denken, wenn immer mehr "Geheimnisse" durch die moderne Wissenschaft, die Gentechnik etc. aufgeschlüsselt werden. Was rettet unsere men! schliche Einzigartigkeit? Ist der Begriff von der "Persönlichkeit" überhaupt noch gerechtfertigt? Anhand der Literatur von Stanislaw Lem, einigen Beispielen aus populären Science Fiction Filmen geht diese Arbeit dem Bild nach, dass wir heute von unserer "Persönlichkeit" und unserem "Bewusstsein" besitzen. (u.a. der Film "Matrix" und "Star Trek"), betrachtet werden dabei auch theoretische Annäherungen an das Problem von Gehirnforschern, Psychologen, Philosophen und Pädagogen (Dennett, Descartes, Mead, Eccles, Nietzsche...)
Schlagworte
Persönlichkeit, Bewusstsein, Identität, Zeitalter
Arbeit zitieren
Dorothea Stobbe (Autor:in), 1998, Persönlichkeit und Bewusstsein - Überlegungen zur Identität im postbiologischen Zeitalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97579

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