I. Vorbereitung der Untersuchung
1. Was ist ein Zeitpionier?
In der qualitativen Studie "Zeitpioniere" von Karl H. Hörning, werden Personen befragt, die eigenständige Gestaltungsformen von Zeit, bezogen auf die Arbeitswelt sowie im außerbetrieblichen Alltag, entwickelt und verwirklicht haben. Sie flexibilisieren ihre persönlichen Arbeitszeiten um "mehr Zeit für sich zu haben", jedoch nicht unter der Prämisse, die gewonnene Zeit mit Freizeitaktivitäten vollzustopfen, sondern sie als "freie" Zeit für sich persönlich sinnvoll zu gestalten. Zeitpioniere bestreiten nicht die Sinnhaftigkeit von Arbeit. Im Gegenteil, gerade weil sie Arbeit als sinnerfüllend ansehen, versuchen sie einen Weg zu finden, diese auf das "ganze Leben" bezogen, so aufzuteilen, dass auch für ihre persönlichen Bedürfnisse noch Raum bleibt. D. h. die Flexibilisierung der Arbeitszeit wird nicht durch Freizeitbedürfnisse oder anderen Gründen (z. B. Kindererziehung, Tod eines Ehepartners usw.) motiviert. Damit gehen sie auf Konfrontationskurs: Zum einen zu den vorherrschenden Mustern der Arbeitswelt und zum anderen zu der Gesellschaft als Ganzes gesehen, die sehr schnell solches "Zeitdenken" negativ bewertet. Zeitpioniere setzen sich eigene Zeitmaßstäbe und versuchen ihre gesamte Lebensgestaltung danach auszurichten. Sie sind jedoch keine Aussteiger aus der Freizeit- und Konsumgesellschaft, sondern sie versuchen wieder ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Geld und Zeit herzustellen Weil er mit der Zeit anders umgeht, ist er ein Pionier, der weniger besitzen muß, weil er die Zeit zu seinen Besitztümern zählt...
1.1 Theoretischer Hintergrund
In der modernen (Arbeits-)Welt erfahren wir Zeit als etwas, was keiner mehr hat. Jeder klagt darüber, dass er zu wenig Zeit habe, egal für was. "Zeit ist Geld" dieser Spruch spiegelt unsere moderne westliche Gesellschaft wider. Die Gleichsetzung von Geld = Zeit und Arbeit = Geld macht deutlich, wer und was unser heutiges Leben bestimmt.
Die Bedeutung von Arbeit hat sich mit dem Einsetzen der Industrialisierung für den einzelnen Menschen stark verändert. Vor dieser Zeit war Arbeit für den Menschen "überlebensnotwendig" und damit auch sinngebend. Er arbeitete schwer, oft unter primitivsten Bedingungen und war der Natur oft hilflos ausgeliefert. Dafür hatte er jedoch eigenverfügbare Zeit und konnten diese, nach seinen Bedürfnissen ausgerichtet, selbst steuern. Unter dem Industrieregime wurde dies aufgegeben. Lohnarbeit entstand, d. h. für die geleistete Arbeit bekam man nun Geld. Die Abhängigkeit von der Natur wurde aufgehoben und regelmäßiges Einkommen trat an diese Stelle. Das Verhältnis Arbeitgeber - Arbeitnehmer begann sich zu entwickeln und dauert bis heute an. Einhergehend damit rückte die "sinnerfüllende" Arbeit immer mehr in der Hintergrund und die eigenverfügbare Zeit und deren Selbststeuerung musste aufgegeben werden. Von nun an bestimmten die Arbeitgeber und heute die marktwirtschaftliche Situation unsere persönliche Zeit. Es entstand die sogenannte Arbeitsgesellschaft, in der die gesamte gesellschaftliche Entwicklung von der Arbeit vorgegeben wurde. Alle Lebensphären waren auf die Erfordernisse der Erwerbsarbeit hin organisiert.
Zu Beginn der 80er Jahre trat wiederum eine langsame aber immer deutlicher werdende Veränderung in der Arbeitswelt ein. Die Arbeitslosigkeit begann stetig zu steigen und mit dem Beginn der Globalisierung verändert sich wiederum die Arbeitswelt. Flexibilität in der Arbeitswelt ist zunehmend gefragt. Die Erwerbstätigen sind auf diese Flexibilisierung nicht eingestellt. Heute haben wir die Situation, dass Arbeitslosigkeit jeden ohne große Vorwarnungen treffen kann. Auch langjährige Betriebszugehörigkeit oder das Alter schützen hier nicht mehr. In unserer Gesellschaft bedeutet aber keine Arbeit = kein bzw. wenig Geld und freie Zeit. Diese freie Zeit wird jedoch als negativ angesehen. Man hat verlernt damit umzugehen. Im Gegenteil, die freie Zeit wird nun als äußerst bedrohlich angesehen, da sie nicht ausgefüllt werden kann ohne schlechtes Gewissen den "Arbeitenden" gegenüber. Dazu kommt die Tatsache, dass man nun mit erheblich weniger Geld auskommen muss, zum Teil vom sozialen Abstieg bedroht ist. Die Menschen sind auf diese neuen Lebensbedingungen nicht vorbereitet und man spricht von einer "Krise der Arbeitsgesellschaft". Dies macht deutlich, dass der eigenständige Umgang mit Zeit zu einer der großen Fragen unserer Zeit zu werden scheint.
Neue Lebensstile und -wege sind gefragt. In dieser Studie wird vom Lebensstil als Analysekonzept und Zeit als thematischem Kern ausgegangen.
Was versteht man unter einem Lebensstil? Ein Lebensstil entsteht, wenn ein Mitglied einer Gesellschaft sich immer stärker als alleiniges Zentrum seiner Lebensplanung sieht und in den Vordergrund stellt. Die Ausformung einen Lebensstils erfolgt in Differenz und Distanz zu anderen Lebensstilen. Hier kommt es auf das "In-Beziehung-Setzen" und auf den Nachweis von Unterschieden an. In unserer heutigen Gesellschaft, wo die Möglichkeits- und Gestaltungsspielräume für den einzelnen immer größer werden, wird der Einzelne immer stärker gedrängt, seine Lebensplanung und -gestaltung aktiv zu betreiben. Die Studie geht bei ihrem Lebensstil-Konzept von der wachsenden Bedeutung von Zeitbezügen in der modernen Lebensführung aus. Solche Individuierungsprozesse und Neugestaltung der Lebensplanung benötigt Zeit und zwar nicht als Quantum, als genügend viel Zeit, sondern als Qualität, als subjektiv sinnvoll empfundene Zeit.
Was versteht man unter Zeit? Die Untersuchung will über Zeit als eigenständige Analysedimension in den inhaltlichen Verweisungsreichtum konkreter Arrangements der Lebensführung vordringen. Sie geht davon aus, dass Zeit keine dinghafte Qualität ist, die schon immer da war und vom Menschen nur entdeckt werden muss, sondern dass Zeit eine von Menschen sinnhaft gestaltete Dimension ist, über die der Mensch seine natürliche und soziale Umwelt erfassen kann. Soziologisch von Interesse ist nun, wenn Menschen beginnen sich über ihre Zeit Gedanken zu machen, den Versuch zu starten ihrer Zeit eine Sinnhaftigkeit zu geben und dadurch beginnen, in ihrem Leben neue Deutungsmuster aus zu formulieren. Die Studie will herauszufinden, ob ein verändertes Zeitbewußtsein und das Handeln danach, die Ausdifferenzierung eines neuen Lebensstils zur Folge hat.
2. Hypothese
Hörning geht davon aus, dass flexible Arbeitszeitformen Ausdruck von Umbrüchen in der Arbeitswelt und ihrem industriellen Zeitregime sind. Das Interesse der individuellen Arbeitszeitflexibilisierung wie Zeitpioniere sie praktizieren, weist darüber hinaus auf eine Sensibilisierung der Zeit an sich hin. Ausgangspunkt dieser Studie ist die Flexibilisierung der Arbeitszeit, die sich die Zeitpioniere persönlich erkämpft und die verkürzte Arbeitszeit nach ihren Bedürfnissen ausgerichtet haben. Die These nach der sich die Studie richtet, lautet, dass im Verlauf der eigenständigen Auseinandersetzung mit den vorherrschenden Zeitstrukturen die Zeitpioniere Handlungs- und Deutungspraktiken gewinnen, die immer mehr Züge eines eigenständigen Lebensstils erhalten. Dieser Lebensstil ist durch 3 Veränderungen gekennzeichnet:
- das veränderte Verhältnis von Zeit und Geld (Arbeitszeitflexibilisierung)
- die Umstellung alltäglicher Zeitschemata
- Engagement und Distanz (Engagiert in der Arbeit bei gleichzeitiger Distanz zur Arbeitszeit)
Forschungsleitend ist hier die Frage, wie sich zeitbezogene Bedeutungskomplexe unter der Bedingung flexibler und reduzierter Arbeitszeiten ändern.
Bisherige empirische Untersuchungen beschäftigten sich entweder allein mit dem Problem flexibler Arbeitszeiten und interessierten sich nicht für die damit verbundenen sozialen Umbrüche im betrieblichen sowie privaten Bereich, oder sie konzentrierten sich ausschließlich auf die Frage nach veränderten Zeiteinstellungen und Zeitwünschen ohne die soziale Gestaltungskraft von Bewusstseinsveränderungen zu beachten.
II Vorgehen der Untersuchung
1. Die Kriterien für die Untersuchungsgruppe
Die Untersuchungspersonen mussten folgende Kriterien erfüllen:
- Das Arbeitsarrangement weicht von der Regelarbeitszeit ab, das heißt die Arbeitszeit muss flexibel sein. Nicht dazu zählen Schicht- und Kurzarbeit, da diese Formen der Flexibilisierung vom Arbeitgeber ausgehen und betriebliche Gründe im Vordergrund stehen. Teilzeitarbeit wegen Kindererziehung usw. wird dann ausgeschlossen, wenn nur wegen der Kinder die Arbeitszeit reduziert wird, d. h. gäbe es keine Kinder, würde auch nicht Teilzeit- gearbeitet.
- Die Untersuchungspersonen haben eine hohe Wahlchance hinsichtlich der Dauer und der Lage der Arbeitszeit durchgesetzt. Dies ist wichtig, da erst die relativ hohe Wahlfreiheit bei der Festsetzung der Arbeitszeit dem Arbeitnehmer die Möglichkeit gibt, seine persönlichen Interessen einzubringen und veränderte Zeitumgangsstile zu entwickeln. · Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt zwischen 20 und 32 Wochenstunden. Die Obergrenze von 32 Stunden soll gewährleisten, dass durch die Arbeitszeitkürzung freie Zeit entsteht und die 20-Stunden-Grenze als Mindestarbeitszeit soll Beschäftigte ausschliessen, die nicht sozialversicherungspflichtig arbeiten (heute nicht mehr aktuell, da auch 630,-- DM Arbeit sozialversicherungspflichtig ist.) Auch flexible Ruhestandsvorregelungen sind ausgeschlossen.
- Die zu untersuchenden Erwerbstätigen praktizieren die veränderten Arbeitszeiten seit mindestens einem halben Jahr und die Flexibilisierung ist zeitlich unbegrenzt. Dies soll sicher stellen, dass sich die flexible Arbeitszeit als "Normalität" im Alltagsleben eingestellt hat. Es werden somit Personen ausgeschlossen, die flexible Arbeitszeiten immer kurzfristig betreiben, wie Jobber. Andererseits ist es nicht Pflicht, die verkürzte Arbeitszeit Lebenslang zu verrichten. Die Flexibilisierung soll nur nicht von vornherein als Übergangs- oder Notlösung verstanden werden, sondern es sollte eine bewusste Entscheidung der betroffenen Personen sein.
- Die Personen sind alle abhängige Beschäftigte. Selbständige und Freiberufler sind ausgeschlossen, da diese schon immer ihre Arbeitszeit selbständig einteilen konnten.
- Des weiteren sind alle Untersuchungspersonen hauptberuflich tätig.
- Ein weiterer Punkt ist, dass sie alle alleinverdienend erwerbstätig sind. Mitverdienende Ehepartner oder andere Angehörige werden ausgeschlossen, da sie nicht darauf angewiesen sind, ihren Lebensunterhalt alleine zu bestreiten. Bei diesen Personen ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass mit ihren flexiblen Arbeitszeiten kein verändertes Zeitbewusstsein einhergeht, obgleich es aber auch nicht generell ausgeschlossen werden kann. Die Erfüllung dieser Kriterien war die Bedingung für die Teilnahme an der Untersuchung. Durch die Festlegung dieser Kriterien wurde verhindert, dass sich die Gruppe nach den klassischen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Einkommen, Position, Ausbildung, Beruf oder dergleichen vorstrukturiert.
Die Studie will sich von der gewerkschaftlichen Argumentationsweise abheben, dass Erwerbstätige in Teilzeitbeschäftigungen Angehörige einer so genannten Sondergruppe wie Alleinerziehenden, ältere Arbeitnehmer usw. darstellen. Durch diese Stigmatisierung schaffen die Gewerkschaften eine Abgrenzung zur normalen Arbeitszeit für den normalen Arbeitnehmer. Wer will schon gerne zu einer Sondergruppe zählen. In der Studie wird gezielt der Blick auf den regulären Arbeitnehmer gerichtet um zu zeigen, dass Flexibilisierung und Individualisierung nicht als Thema von Sondergruppen zu betrachten ist.
2. Methoden der Datenerhebung und Auswertung
Für die Datenerhebung sowie -auswertung wurden qualitative Methoden angewandt, d. h. die von den Befragten verbalisierte Erfahrungswirklichkeit wird interpretativ ausgewertet. Für die Datenerhebung wurde das offene, thematisch strukturierte Interview mit narrativen1 Phasen für die Erhebung angewandt. Für die Auswertung der Daten der Interviewgespräche griffen die Autoren auf qualitativ-interpretative Verfahren zurück, die in 2 Schritten durchgeführt wurden:
a) es erfolgte eine textanalytische Sondierung des produzierten Textes, hinsichtlich des Redestils, der Erzählstruktur, der sprachlichen Darstellungsform usw.
b) anschließend wurden die Texte hermeneutisch2 ausgelegt.
Inhaltlich umfasst die Auswertung folgende Schwerpunkte:
- die Arbeitszeitflexibilisierung, wobei hier die Beweggründe für die Flexibilisierung, die Schwierigkeit bei der Durchsetzung und die Probleme die flexible Arbeitsformen im Betrieb aufwerfen im Vordergrund stehen.
- die sozialstrukturellen Veränderungen auf den Lebensstil der Zeitpioniere die die Arbeitszeitflexibilisierung mit sich bringt.
3. Präsentation
Hinsichtlich der Präsentation werden keine Aussagen darüber gemacht, ob das Interview mit Tonband aufgenommen wurde oder handschriftlich. Dies wäre wichtig zu wissen, da durch das Mitlaufen eines Tonbandgerätes oder das Mitschreiben des Interviewers, die Befragten unterschiedlich beeinflusst werden können. Zudem sind Mitschriften eines Interviews nicht so genau wie das Abschreiben eines Tonbandgerätes. Auch fehlen konkrete Fallbeschreibungen im Anhang. Es werden nur einzelne Aussagen von Befragten im Text zitiert. Durch das Fehlen der Fallbeispiele besteht die Möglichkeit der Verzerrung, indem nur die Ergebnisse dargestellt werden, die die Hypothesen bestätigen.
4. Ergebnis der Auswertung
Es wurden insgesamt 47 Personen befragt, wobei 36 Interviews ausgewertet wurden. Die Zahl der männlichen (16) und weiblichen (20) Befragten weicht nicht stark voneinander ab. Die Altersspanne reicht von 25 - 59 Jahre. Unter den Befragten waren Geschiedene (5), Getrennt- Lebende (9), Verheiratete (10) und Allein-Lebende. Die ausgeübten Berufe lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- technisch, gewerbliche Berufe wie Feinmechaniker, Schreiner, Lagerarbeiter, Fernmeldetechniker
- kaufmännische Berufe, Einkaufssachbearbeiter, Einzelhandelskaufmann, VerkäuferIn, Bankangestellte, Steuerberater
- Verwaltungsbereich, Personalchefin, Verwaltungsangestellte, Grabmalberater
- Sozialbereich, Psychologin, SozialarbeiterIn, Krankenschwester
- Bildungsbereich; Lehrerin, wissenschaftlicher Angestellter
Die befragten Personen wurden über die Medien (Presse und Rundfunk) ausfindig gemacht. Das Projekt wurde dort vorgestellt und man bat Betroffene sich für ein Interview zur Verfügung zu stellen. Die Erhebung fand vom Winter 1985 bis zum Sommer 1986 statt.
Zu der Frage nach dem Nettoeinkommen machten nur ¾ der Befragten Angaben, so dass keine genaue Bandbreite des Einkommensniveaus gemacht werden kann. Die Spannweite des Nettoeinkommens beträgt 1000 DM - 3000 DM, es wird jedoch angedeutet, dass die Spannweite deutlich größer ist. Hörning zieht hieraus den Schluß, dass Arbeitszeitflexibilisierung nicht unbedingt ein hohes Einkommensniveau voraussetzt. Die Beschäftigten gaben an, dass sie über keine Neben- oder Schwarzarbeit Zusatzeinkommen haben.
Die Wohnsituationen zeigen auf, dass die Zeitpioniere aus unterschiedlichen Haushaltskonstellationen kommen. 7 Personen leben in einem Einpersonenhaushalt. Die große Mehrheit lebt in Mehrpersonenhaushalten, einige auch in Wohngemeinschaften. Über 1/3 hat minderjährige Kinder zu versorgen.
Die Arbeitszeitverkürzung der befragten Zeitpioniere ist sehr vielfältig. Die Spanne der Flexibilisierung reicht hier von 72,5% bis zu 56,2% von der vollen Arbeitszeit und geht somit über die bloße Halbierung einer Normalarbeitszeit hinaus. Die befragten Beschäftigten verfügen über unterschiedlich lange Erfahrung mit den reduzierten und flexiblen Arbeitszeitformen. 1/3 praktiziert diese länger als 5 Jahre und die meisten länger als 1 Jahr. 10 Personen änderten ihre reduzierten Arbeitszeiten wieder. 5 hoben ihre Arbeitszeit wieder an, jedoch nicht auf eine Vollzeitstelle und 5 verkürzten ihre Arbeitszeit noch weiter.
Im Laufe der Auswertung kristallisierten sich weitere Kriterien heraus, die den Zeitpionier von den andern "Zeitflexiblisieren" hervorheben. Der Zeitpionier zeichnet sich neben der Arbeitszeitflexibilisierung darin aus:
eine ausgeprägte Sensilibisierung gegenüber der Zeit als sinngebendes Element im Laufe der Zeit entwickelt zu haben, nach möglichst autonomer Zeitverfügung und eigenständiger aktiver Zeiteinteilung zu streben, dass er ein reflexives Zeitbewusstsein besitzt.
4.1. Zeitpioniere und Zeitkonventionalisten
Darüber hinaus brachte die Auswertung der Interviews 2 Typen von Arbeitszeitflexibilisierern hervor. Die Zeitpioniere und die Zeitkonventionalisten die ihre Unterschiede in der Haltung und Bewertung des neuen Arbeitszeitarrangements in ihren Interviews selbst deutlich machten.
Zeitpioniere stellen die Besonderheit und die Außergewöhnlichkeit ihrer
Arbeitszeitflexibilisierung in den Vordergrund. Diese Situation, sich so deutlich von der Vollarbeitszeit zu unterscheiden, betrachten sie als Privileg. Ihre privilegierte Stellung sehen Zeitpioniere auch darin, dass eben nicht jeder die Art der Arbeitszeitverkürzung praktiziert. Sie legen Wert darauf, sich von den Beschäftigten abzugrenzen, die die klassische Teilzeitarbeit praktizieren. " ...Teilzeit ist eben etwas f ü r M ü tter, die nicht anders k ö nnen, weil sie ein Kind zu versorgen haben. Sie k ö nnen eben nur halbtags arbeiten " (S. 58). " ...Ich war pers ö nlich daran interessiert, weniger zu arbeiten, d. h. grunds ä tzlich weniger zu arbeiten..." (S.63). Ob diese Art der Arbeitszeitflexibilisierung für jeden zugänglich gemacht werden sollte oder als neues Normalitätsmuster für die zukünftige Arbeitswelt dienen könnte, wurde von den Befragten nicht thematisiert.
Dagegen betonen die Zeitkonventionalisten die Selbstverständlichkeit der Arbeitszeitverkürzung und die damit verbundenen Veränderungen. Für sie ist die verkürzte Arbeitszeit Normalität und sie glauben, das dies häufig praktiziert und überall anzutreffen sei. Sie sehen in ihrer Art zu leben nichts besonderes. Für diese Gruppe lag es auf der Hand ihre Arbeitszeit zu verkürzen. " ...Ich habe eine kleine Tochter, und dann ist es meiner Meinung nach auch n ö tig, weniger zu arbeiten..." (S. 60). Zeitkonventionalisten haben einen konkreten Anlass für die Flexibilisierung, behalten dann aber diese bei. Sie benutzen die dadurch gewonnene Zeit für andere Tätigkeiten wie Hobbys, Hausarbeit, Freizeitaktivitäten und verletzen somit nicht die Normalitätsunterstellung, "Frei"-Zeit sinnlos verstreichen zu lassen.
4.2 Lebensstil der Zeitpioniere
4.2.1 Bei der Umsetzung der Arbeitszeitflexibilisierung wurde davon ausgegangen, dass
diese selbständig von den Befragten in ihren Betrieben durchgesetzt wurde. Dies war in fast allen Fällen schwierig und die Realisierung oft nur dadurch möglich, dass für den Betrieb durch diese Verkürzung Vorteile heraus kamen wie z. B. auf Zusatzgratifikationen zu verzichten oder schlechtere Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen.
- Der Flexibilisierung wurde oft auch nur dann erlaubt, wenn die Betreffenden in der verkürzten Zeit mehr Arbeitsleistung erbringen - z. T. oft sogar das Doppelte - als andere. Sie sollen quasi beweisen, dass sie engagiert ihre Arbeit verrichten. Arbeitgeber stehen der These, engagiert in der Arbeit zu sein bei gleichzeitiger Verkürzung der Arbeitszeit, äußerst kritisch gegenüber.
- Oder die Flexibilisierung wurde als Ausnahmeregelung zugelassen und als Sonderfall deutlich gemacht, was zur Folge hatte, das Arbeitskollegen dies neideten.
- Hatte man eine starke Verhandlungsposition wie lange Betriebszugehörigkeit oder seltene Berufsqualifikation so wurde dem Wunsch nach Flexibilisierung ohne größere Probleme entsprochen.
Ein weiterer betrieblicher Nachteil der Arbeitszeitverkürzung stellt die Kommunikation unter den Arbeitnehmern da. Zum einen neiden es die Kollegen, dass man nicht Vollzeit arbeitet, zum anderen ist man oft in den "informellen Pausen" nicht anwesend. Dies verstärkt die Abhängigkeit von den Arbeitskollegen, was betriebsinterne Informationen angeht. Sie müssen sich also auch im Kollegium besonders bemühen akzeptiert zu werden. Dies gilt vor allen Dingen für die Zeitpioniere, da die Zeitkonventionalisten ja nachvollziehbare Gründe für ihre Arbeitszeit-Verkürzung angeben können. "...Am Anfang gab es wahnsinnig b ö ses Blut. Ich habe im April angefangen, und dann wurde es Sommer, und ich konnte mit meinem Vier- Stunden-Tag um Viertel nach elf gehen. Ich konnte zum Baden gehen, und die anderen mussten arbeiten. Sie k ö nnen sich vorstellen, das gab richtig Hass..." (S. 105). " ... Ich bin sehr vorsichtig. Ich erz ä hle von mir so wenig wie m ö glich, wenn ich mit Kollegen zusammensitze. Statt dessen h ö re ich lieber zu ..." (S. 110).
4.2.2 Im Zeit-Geld-Verhältnis zeigt der Zeitpionier deutlich seine Motivation der
Arbeitszeitflexibilisierung. Die Inkaufnahme von Einkommenseinbußen zugunsten der quantitativen Verlängerung von eigenverfügbare Zeit und der qualitativen Steigerung von Zeiterleben macht deutlich, wie wichtig dem Zeitpionier die freie Zeit als Lebensstil ist. Dies bedeutet für sie auch ein Umstrukturieren ihrer Lebensführung und eine Neuorientierung in ihrem Konsumverhalten. " ... Ich habe also immer versucht, niemandem auf der Tasche zu liegen und trotz geringem Einkommen keine Schulden zu machen und auf eigenen F üß en das zu praktizieren , was ich machen will ..." (S. 119).
Dadurch kommt es zu einer Distanzierung vom vorherrschenden Geld-Zeit-Diktat. Das Arbeitsverhältnis zeichnet sich zum einen, durch ihr Engagement in ihrer Arbeit bei gleichzeitiger Distanzierung zu ihrer Arbeitszeit und zum anderen, durch sein besonderes Verhältnis von Geld und Zeit aus. Wer viel arbeitet hat auch viel Geld. In unserer Konsumgesellschaft spielt Geld die wichtigste Rolle, d. h. wer kein Geld hat, kann an dem Konsum nicht teilnehmen. Durch den Verkauf von Lebenszeit in Arbeitszeit wird Geldvermögen erzielt, dass sehr vielfältig eingesetzt werden kann. Da dies heute noch die gesellschaftliche Norm ist, wird für die Zeitpioniere das Zeit-Geld-Verhältnis ein zentrales Thema nicht nur in Hinsicht des Konsumverhaltens, sondern auch gegenüber der Gesellschaft.
Durch ihre Flexibilisierung der Arbeitszeit wird ein kontrollierter und bewusster Umgang mit Geld und Konsum für sie besonders wichtig. Den Zeitpionieren ist ihre freie Zeit kostbar und wichtiger als Geld und Konsumerwerb.
Durch diese Einstellung gehen sie auf Konfrontationskurs zur Gesellschaft. Auch innerhalb der Familie stoßen sie damit auf Schwierigkeiten besonders mit Kindern, denen sie versuchen müssen zu erklären, wieso freie Zeit so kostbar und wichtig ist. " ... Wenn man sich daf ü r hergibt, 40 Stunden zu arbeiten, sind die Leute enorm unzufrieden. Dann gehen sie zwar gro ß artig essen und geben viel Geld aus. Die Leute schuften, und als Ausgleich wollen sie sich etwas ganz Besonderes leisten. Dann gehen sie in die Tennishallen, bezahlen sie pro Essen sechzig Mark..." (S. 130). Zeitpioniere zweifeln die Legitimation der vorherrschenden Geldlogik als prägendes Element für den eigenen Lebensstil an. Dies erfordert einen großen Kraftaufwand von ihnen, da sie einen hohen Argumentationsaufwand für ihren Lebensstil in ihrem näheren aber auch breiter gestreuten Lebenskreis aufwenden müssen. Die Einschränkung im Konsumverhalten sehen die Zeitpioniere nicht als das größte Problem an:
"...Wir sind fr ü her viel und weit gereist und fangen jetzt an, ö fters in den Ferien zu Hause zu bleiben und dies gar nicht als Einschr ä nkung oder als Mangel zu empfinden, sondern merken, hier vor den Toren der Stadt, in dem Braunkohlegebiet, ist >Kleinkanada< und ein Badesee. F ü r mich ist Reisen auch anders geworden. Nicht mehr Konsumieren und viele L ä nder sehen, sondern ich reise dorthin, wo Freunde und Bekannte sind..." (S. 135). Durch die Veränderung ihrer Bewertungsschemata erfahren sie ein beruhigendes Vertrauen in den Wert eigenverfügbare Zeit zu besitzen: "...Das war schon ein Wagnis f ü r mich, weil es ja auch immer hie ß , Geld beruhigt, aber dass Zeit noch mehr beruhigt, das muss man selber erst lernen..." (S. 136). Die Einkommenseinbußen, die die Zeitpioniere in Kauf nehmen müssen, werden nicht als Verschlechterung empfunden. Der erlangte subjektive empfundene Zeitwohlstand wiegt diesen Nachteil für sie bei weitem auf.
4.2.3 Zeitpionier müssen eine Umstrukturierung ihrer alltäglichen Zeitschemata erlernen.
Die veränderten Zeitabläufe, wirken sich auf ihren Alltag aus. Da für die Zeitpioniere die Selbstbestimmung über die Lage ihrer freiwerdenden Zeit im Vordergrund steht, müssen sie neue Deutungsmuster bilden. Hier zeigte sich, dass diese Umstrukturierung nicht für alle gleich schnell und einfach war. Einige konnten ihre neu erworbene freie Zeit sofort genießen:
"...Fr ü her bin ich abends nach Hause gekommen, und dann wollte ich nur noch meine Ruhe und meinen Frieden haben. Ich hatte ü berhaupt keine Lust mehr, etwas zu unternehmen. Jetzt mache ich mehr und in meinen Augen Sinnvolleres. Fr ü her war da immer so das Gef ü hl, ich k ö nnte zwar oder m üß te ja eigentlich etwas machen, aber ich war eben so kaputt..." (S. 140).
Im Kontrast dazu fiel es einigen schwer mit dieser freien Zeit etwas anzufangen. Hier zeigte sich, dass der Spruch: "Wenn ich nur mehr Zeit hätte dann würde ich ...", leicht gesagt, jedoch nicht so einfach umzusetzen ist. " ... Ich versuchte, mit der vielen Zeit etwas anzufangen. Jetzt werde ich meinen Haushalt sehr sch ö n ordentlich machen k ö nnen. Ich male seit `81 und dachte, ich komme nach Hause, setzte mich an die Staffelei und dann wird produziert, es passierte nichts, das war das reine Chaos. Ich bekam Vorw ü rfe, >jetzt hast du Zeit, bist zu Hause und hast immer noch nicht gekocht< " (S. 142).
Hier zeigt sich, dass die Zeitpioniere verstärkt lernen mussten, sich über Zeitverwendungsmuster und Sinnzuordnungen von Zeit nachzudenken. Auch die Haushaltsführung wird komplett umstrukturiert. Die Zeitpioniere entdecken , dass die freie Zeit, die sie durch ihre Flexibilisierung erreicht haben, z. B. nicht von der Hausarbeit übernommen werden darf. Sie versuchen den Umfang der täglich anfallenden Hausarbeit zu reduzieren und die Zeitpunkte dafür nach dem "Lust-und-Laune-Prinzip" zu verrichten. Die Zeitpioniere lehnen eine sich verselbständigende Qualitätssteigerung der Hausarbeit bewusst ab, die sie als übertrieben bewerten. Sie entwickeln Strategien, um ihre "freie Zeit" sinnvoll zu nutzen. Z. B. umgehen sie beim Einkaufen, Behördengängen usw. Stoßzeiten, was ihnen ja möglich ist, und gewinnen so, zusätzliche freie Zeit. Sie versuchen feste Zeiten und eingefahrene Routinen zu lockern und aufzubrechen. Es gibt für sie nicht den Waschtag, den Feierabend, den Putztag. Eingefahrene Regeln werden nur dann akzeptiert, wenn sie in den neuen, nach Zeitwohlstand ausgerichteten Lebensstil passen.
Die eigenverfügbare Zeit wird hauptsächlich zur Ausformung und Ausdifferenzierung eigener Interessen in Anspruch genommen. Dadurch wird Zeit für sie gleichgesetzt mit Wohlstand, d. h. je mehr eigenverfügbare Zeit ich habe, desto mehr Wohlstand habe ich. Ihr Streben ist "Musszeiten" in "Kannzeiten" umzuwandeln. Durch den bewussteren Umgang mit der freien Zeit wird es dem Einzelnen erst möglich spezielle Hobbies auszubilden bzw. persönliche Neigungen kennenzulernen und diesen nachzugehen und auszubilden. Doch auch hier gilt, dass das Hobby keinen Pflichtcharakter haben darf.
5. Fazit
Durch dieses intensive Auseinandersetzten mit Zeit und deren Sinnhaftigkeit erfahren die Zeitpioniere die qualitative Dimension von Zeit. Zeit wird als Reservebecken für neue Energien offen gehalten und dies verleiht ihnen eine innere Ruhe.
Mit dem zeitpionierhaften Lebensstil werden Brüche des kulturellen Paradigmas der Arbeitsgesellschaft aufgenommen. Sie können durchaus als eine neue Form der Beteiligung am Erwerbsleben und als identifizierbare, eigenständige Sozialform angesehen werden
6. Kritik an der Studie
Hörning sagt, dass dem Zeitpionier trotz seiner momentan geringen Verbreitung eine Voreiterrolle, bei der Entfaltung neuer gesellschaftlicher Entwicklung, zugesprochen werden kann. Er bleibt jedoch die Antwort schuldig, welche gesellschaftliche Entwicklung er meint. Dient das Konzept der Zeitpioniere der Verminderung der Massenarbeitslosigkeit oder meint er eine Besinnung des Menschen in dem Punkt, dass Arbeit nicht alles ist?
Die Darstellung seiner Auswertung wirft viele Fragen auf, deren Antworten er ebenfalls schuldig bleibt. So gibt er z. B. die hohe Spanne der Arbeitszeitverkürzung von 72% - 56% an, ohne zu sagen welcher Personenkreis, bei welchem Einkommen wie verkürzt hat. Eine alleinlebende Person kann leichter 72% Arbeitszeit verkürzen, als ein alleinverdienender Familienvater. Durch das Fehlen differenzierter Angaben zu den einzelnen Äußerungen der Befragten, ist die Studie hinsichtlich ihrer Schlußfolgerungen angreifbar. Auch sind 36 Personen nicht als repräsentativ anzusehen. Aus empirischer Sicht ist das Fehlen der Bedingungen unter denen die Interviews stattfanden negativ zu bewerten. Gerade wenn Probanden frei erzählen sollen, ist es wichtig, die äußeren Bedingungen zu kennen.
Deutlich wurde in der Studie aber auch, dass es vom Wunsch, mehr Zeit für sich zu haben, bis zur Realität ein langer und harter Weg ist. Die Probleme, die sich Zeitpionieren in den Weg stellen, wurden deutlich gemacht und ihre Sonderstellung, die sie in unserer Gesellschaft noch haben.
Persönlich finde ich diese Art zu leben sehr gut, da wir, d. h. mein Mann und ich, schon lange so leben. Die Probleme, die sich den Zeitpionieren in den Weg stellen, konnte ich gut nachvollziehen, da es auch für uns diese Schwierigkeiten gab, sowohl im Berufsleben als auch im alltäglichen Leben. Deswegen geht es meiner Meinung nach nicht so sehr darum, ob Zeitpioniere wirklich Vorreiter einer neuen gesellschaftlichen Entwicklung sind oder sein können. Vielmehr können sie aufzeigen, dass es möglich ist, mit weniger Arbeitszeit = weniger Geld = mehr "freie Zeit", an Lebensqualität nichts verlieren und am Konsumleben in einer anderen Art und Weise teilhaben können.
Literaturliste:
1. "Zeitpioniere"
Karl. H. Hörning, Anette Gerhard und Matthias Michailow Frankfurt am Main, 1990
2. Forschungsmethoden und Evaluation
Jürgen Bortz, Nicola Döring
Springer Verlag Berlin 1995
[...]
1 eigene Anmerkung: Das narrative Interview dient dazu, Erlebnis und Episoden aus der Lebensgeschichte des Befragten zu erfahren. Eingeleitet wird diese Art des Interviews mit einem so genannten Erzählanstoß wie z. B.: " Frau M, Sie sind vor einem Jahr in eine Großstadt gezogen. Erzählen Sie doch einmal wie das dazu kam? Gab es hierfür einen besonderen Grund?" Die so in Gang gekommene Erzählung soll möglichst nicht vom Interviewer unterbrochen werden. Vielmehr sollte dieser eine angenehme Gesprächsatmosphäre sorgen und Interesse und Verständnis signalisieren. Narrative Interviews sind sehr informativ, wenn der Erzähler von sich aus Dinge erklärt und ausführt.
Häufig gestellte Fragen
Was ist ein Zeitpionier laut der Studie "Zeitpioniere"?
Ein Zeitpionier ist eine Person, die eigenständige Gestaltungsformen von Zeit entwickelt und verwirklicht hat, sowohl in der Arbeitswelt als auch im außerbetrieblichen Alltag. Sie flexibilisieren ihre Arbeitszeiten, um mehr "freie" Zeit für sich persönlich sinnvoll zu gestalten. Sie bestreiten nicht die Sinnhaftigkeit von Arbeit, sondern versuchen, Arbeit so aufzuteilen, dass Raum für persönliche Bedürfnisse bleibt.
Was ist der theoretische Hintergrund der Studie?
Die Studie untersucht die Veränderungen in der modernen Arbeitswelt, in der Zeit als knappes Gut wahrgenommen wird. Sie beleuchtet die Entwicklung von der "Überlebensnotwendigkeit" der Arbeit vor der Industrialisierung zur Lohnarbeit und der damit einhergehenden Aufgabe eigenverfügbarer Zeit. Die Studie untersucht auch die Auswirkungen der steigenden Arbeitslosigkeit und Globalisierung auf die Arbeitswelt und die Notwendigkeit neuer Lebensstile und -wege.
Welche Hypothese wird in der Studie aufgestellt?
Die Studie geht davon aus, dass flexible Arbeitszeitformen Ausdruck von Umbrüchen im industriellen Zeitregime sind. Die These lautet, dass Zeitpioniere im Laufe der Auseinandersetzung mit vorherrschenden Zeitstrukturen Handlungs- und Deutungspraktiken entwickeln, die Züge eines eigenständigen Lebensstils annehmen. Dieser Lebensstil ist gekennzeichnet durch ein verändertes Verhältnis von Zeit und Geld, die Umstellung alltäglicher Zeitschemata sowie Engagement und Distanz zur Arbeitszeit.
Welche Kriterien mussten die Untersuchungspersonen erfüllen?
Die Untersuchungspersonen mussten flexible Arbeitszeiten haben, eine hohe Wahlchance hinsichtlich der Dauer und Lage ihrer Arbeitszeit durchgesetzt haben, zwischen 20 und 32 Stunden pro Woche arbeiten, die veränderten Arbeitszeiten seit mindestens einem halben Jahr praktizieren, abhängig beschäftigt und hauptberuflich tätig sein sowie alleinverdienend sein.
Welche Methoden wurden zur Datenerhebung und -auswertung verwendet?
Es wurden qualitative Methoden angewandt, insbesondere offene, thematisch strukturierte Interviews mit narrativen Phasen. Die Auswertung der Daten erfolgte in zwei Schritten: textanalytische Sondierung und hermeneutische Auslegung.
Was waren die Ergebnisse der Auswertung?
Es wurden 47 Personen befragt, von denen 36 Interviews ausgewertet wurden. Die Befragten kamen aus unterschiedlichen Berufsfeldern und Lebenssituationen. Die Arbeitszeitverkürzung war sehr vielfältig, und die Befragten verfügten über unterschiedlich lange Erfahrung mit den reduzierten Arbeitszeitformen.
Welche Typen von Arbeitszeitflexibilisierern wurden identifiziert?
Es wurden zwei Typen identifiziert: Zeitpioniere und Zeitkonventionalisten. Zeitpioniere betonen die Besonderheit und Außergewöhnlichkeit ihrer Arbeitszeitflexibilisierung, während Zeitkonventionalisten die Selbstverständlichkeit der Arbeitszeitverkürzung und die damit verbundenen Veränderungen betonen.
Wie wirkt sich die Arbeitszeitflexibilisierung auf den Lebensstil der Zeitpioniere aus?
Die Arbeitszeitflexibilisierung führt zu einer Umstrukturierung der Lebensführung, einer Neuorientierung im Konsumverhalten und einer Distanzierung vom Geld-Zeit-Diktat. Die Zeitpioniere müssen eine Umstrukturierung ihrer alltäglichen Zeitschemata erlernen und die eigenverfügbare Zeit zur Ausformung eigener Interessen nutzen.
Was ist das Fazit der Studie?
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Zeitpioniere durch die Auseinandersetzung mit Zeit und deren Sinnhaftigkeit die qualitative Dimension von Zeit erfahren. Ihr Lebensstil kann als eine neue Form der Beteiligung am Erwerbsleben und als identifizierbare Sozialform angesehen werden.
Welche Kritik wird an der Studie geübt?
Kritisiert wird, dass die Studie die Antwort schuldig bleibt, welche gesellschaftliche Entwicklung sie meint. Zudem wird die Darstellung der Auswertung und die Repräsentativität der Stichprobe bemängelt. Auch das Fehlen von detaillierten Angaben zu den Interviewbedingungen und der Personen, die die Interviews geführt haben, wird negativ bewertet.
- Arbeit zitieren
- Ute Roos (Autor:in), 2000, Was ist ein Zeitpionier?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97600