Democratic Backsliding in der Tschechischen Republik? Demokratie in Tschechien im Regierungszeitraum Andrej Babiš


Hausarbeit, 2020

21 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Forschungsstand
Charakteristiken der jüngeren demokratischen Entwicklung in der Tschechische Republik

III. Forschungsfrage und Fallauswahl

IV. Theoretischer Rahmen
a) Demokratie
b) Democratic Backsliding

V. Methodisches Vorgehen

VI. Analyse

VII. Fazit und Diskussion

VIII. LITERATURVERZEICHNIS

I. Einleitung

Die Demokratie scheint weltweit auf dem Siegeszug zu sein (Center for Systemic Peace 2018; Bermeo 2016; Diamond und Morlino 2004), getragen von einem liberalen Konsens, der sie als die einzig legitime Regierungsform akzeptiert (Vierecke et al. 2018; Berg-Schlosser 2004). Andererseits sind vielerorts De- Demokratisierung und Formen demokratischer „Malaise“ zu beobachten (James Dawson und Sean Hanley 2016). In vielen Staaten Europas sind populistische Parteien im Aufwind, in einigen postkommunistischen Staaten herrschen sie dagegen sogar (Hannah 2019; Anna Vachudova 2020). Stellvertretend dafür stehen die vier Visegrad-Staaten (V4) Mittelosteuropas (MOE) (Greskovits 2015), die 2004 in den Staatenverbund der Europäischen Union, der demokratische Qualität als elementares Beitrittskriterium erachtet (Berg-Schlosser 2004), aufgenommen wurden.

Nachdem unter dieser Staatengruppe lange Zeit besonders Polen und Ungarn darin auffielen, den Abbau liberaldemokratischer Standards voranzutreiben, gerät in jüngerer Zeit und besonders seit dem Wahlsieg der populistischen ANO-Bewegung und ihrer Führungsfigur, dem kontroversen Großunternehmer und jetzigem Regierungschef Andrej Babis im Oktober 2017, der demokratische Status Quo der Tschechische Republik ins Blickfeld. In Tschechien, einem sehr säkularen Staat mit einer homogenen ethnischen Bevölkerung und nur marginalen Minderheiten sowie der geringsten Arbeitslosigkeit in Europa (Hanley und Vachudova 2018; Lenka Bustikova und Petra Guasti 2017b; Statista 2020) sorgte der ANO-Erfolg für eine disruptive Zäsur in der noch jungen tschechischen Demokratiegeschichte und dem tschechischen Parteiensystem (Vachudova & Hanley 277). Es stehen Befürchtungen im Raum, dass Tschechiens zweitreichster Mann Babis, der durch die Organisationsstruktur der ANO eine absolute Kontrolle über die Partei ausübt, als potenziell autoritärer Anführer eine exekutive Machtkonzentration zu seinen Gunsten forciere (Patocka 2017; Kirchgeßner 2019). Im Kern gründen sich solche Ansichten auf Babis schon vor dem Wahlsieg vorhandenen enormen ökonomischen und medialen Machtressourcen, deren Zustandekommen unter fragwürdigen Bedingungen und seine ausformulierten antiliberalen Visionen (Hanley und Vachudova 2018). Babis verfolgt ein technokratisches Regierungsnarrativ, welches die Zentralisierung von Macht vorsieht, um den Staat effizient, „wie ein Unternehmen“ mittels schneller Entscheidungsvorgänge zu lenken (ZEIT Online 2017b). In der Endkonsequenz impliziert sein Politikverständnis, dass Regierungsgeschäfte nicht durch demokratische Verhandlungen im Parlament behindert werden und dieses umgangen werden soll (Lenka Bustikova und Petra Guasti 2017b, S. 169).

Entgegen der vorhandenen Literatur, die vor allem länderübergreifende Variationen im democratic backsliding thematisiert, in einem größeren Kontext Dynamiken vergleicht und Gemeinsamkeiten sucht (Lenka Bustikova und Petra Guasti 2017b), wird hier eine Fallanalyse der Tschechischen Demokratie anhand empirischer Demokratieindikatoren gängiger Indexe vorgenommen. Zielsetzung dabei ist zu prüfen, ob und zu welchem Grad der Aufstieg der ANO „ democratic backsliding “ in der Tschechischen Republik auslöste. Zu diesem Zweck wird zunächst der Forschungsstand mit der spezifisch tschechischen Demokratieentwicklung der vergangenen Jahre abgedeckt. Anschließend wird theoretisch in die zentralen Begrifflichkeiten der liberalen Demokratie und des democratic backslidings eingeführt. Zuletzt wird, nachdem das methodologische Vorgehen geklärt wurde eine empirische Analyse durchgeführt, und nachdem ein Fazit zum Zustand der Demokratie in Tschechien gezogen wurde, einige Aspekte daraus diskutiert.

II. Forschungsstand

Etwas mehr als 30 Jahre nachdem in den heutigen EU-Mitgliedstaaten Mittelosteuropas (MOE) mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime die Transformationsprozesse begannen, die vom kommunistischen Einparteiensystem zur liberalen, pluralistischen Mehrparteien-Demokratie nach westlichem Vorbild und zur liberalen Marktwirtschaft führen sollten, wurde die Einschätzung eines bislang positiv verlaufenden Trends der Demokratisierung in der Region weitgehend verworfen und in jüngerer Zeit von Auslegungen eines „ democratic backslidings “ ersetzt (James Dawson und Sean Hanley 2016, S. 21; Cianetti et al. 2018, S. 243). Als Vorreiter in diesem für die Demokratieforschung in der Region nun dominierenden Paradigmas wurden insbesondere Ungarn und Polen, regiert von populistisch ausgerichteten Regierungsparteien, ausgemacht (Hanley und Vachudova 2018, S. 276).

Im Konsolidierungsprozess galt die Tschechische Republik, fortwährend als „ star democratizer “, „ consistent high achiever in terms of democratic progress “ (James Dawson und Sean Hanley 2016), , frontrunner of democratic transition and consolidation in post-communist Europe” (Haviik 2019, S. 2) oder auch „posterchildfor democratic consolidation “ (Bustikova und Guasti 2019, S. 303) unter den postkommunistischen EU-Mitgliedsstaaten. Jüngere Bedenken, die tschechische Demokratie sei zum Gegenstand einer demokratischer Erosion geworden und unterläge Gefährdungen sind in erster Linie mit dem Aufstieg der ANO-Bewegung, dem politischen Vehikel des Großunternehmers und Multimiliardärs Andrej Babis (Vachudova 2019a), und der Wiederwahl des Präsidenten Milos Zeman (2018), einem als informellen Verbündeter Babis verknüpft (Hanley und Vachudova 2018, S. 280). Pehe (2018, S. 69) argumentiert in seiner im Journal of Democracy erschienen Publikation „ Czech Democracy under pressure “, dass dadurch, dass zwei Populisten die höchsten Ämter der Republik bekleiden die Herausforderungen, welchen die tschechische Demokratie begegnet nicht auf einen Protagonisten begrenzt sind, sondern eher „ from the cooperation between these two figures” stammen.

Charakteristiken der jüngeren demokratischen Entwicklung in der Tschechische Republik

Seit ca. 2010 erlebt Tschechien signifikante Veränderungen in seinem zuvor über zwei Dekaden demokratischer Transformation bemerkenswert stabilen Mehrparteiensystems, welches eine gewisse Standardaufstellung an Parteien besaß und den konsolidierten Parteiensystemen Westeuropas ähnlicher war als viele andere, volatilere Parteienlandschaften MOEs (James Dawson und Sean Hanley 2016; Havhk 2019). Analysen zeigen, dass seitdem die Parteienpolarisierung im Parteienwettbewerb auf der soziokulturellen Dimension (GAL-TAN) zunahmen und Inhalte von wirtschaftlichen Schwerpunkten zu Identitätsthemen übergingen (Vachudova 2019a, S. 698). Der als „Sieg des Populismus in Tschechien “ (Prag 2017) bezeichnete Erfolg der 2011 gegründeten, populistischen Akce nespokojenych obcanu 1 markierte bei den Parlamentswahlen 2017 den bisherigen Gipfel dieser Entwicklungen . Er führte zu einer tiefgreifenden Zäsur im Parteiensystem (Hanley und Vachudova 2018, S. 278; James Dawson und Sean Hanley 2016). Das Wahlergebnis kennzeichnete, drastisch gedeutet, den Todesstoß für das ehemalige Parteiensystem mit seinen dominanten Pfeilern, den sozialdemokratischen und konservativen Parteien (ODS und CSSD), die das Jahr seit den 1990ern abwechselnd regierten (Pehe 2018) und damit die Transformation im Wesentlichen formten.

Die als Anti-Establishment und Anti-Korruptionspartei angetretene ANO erhielt bei der Parlamentswahl 2017 nahezu 30% der Endstimmen (Pehe 2018). Daneben kam es zu einer Stärkung der rechten, offen rassistisch und xenophobisch auftretenden Svoboda a prima demokracie (SPD), die 11% der Stimmen sicherte. Illiberale, rassistische und antieuropäische Parteien erhielten über 60% der Wählerstimmen (Vachudova 2019a; Pehe 2018). ANO hatte bereits bei der Parlamentswahl 2013 als zweitstärkste Partei den Durchbruch mit 19% der Stimmen geschafft und war anschließend als Juniorpartner mit den Christdemokraten (KDU-CSL) Teil einer von den Sozialdemokraten (CSSD) geführten Koalition gewesen. Im vom Sozialdemokraten Bohuslav Sobotka geführten Kabinett (Januar 2014-Dezember 2017) bekleidete Andrej Babis den Posten des Finanzministers, bis er aufgrund von Steuerbetrugsvorwürfen die Regierung verlassen musste (ZEIT Online 2017a). Im Anschluss an die Parlamentswahl 2017 bildete die als stärkste Kraft hervorgehende ANO zunächst eine alleinige, „einfarbige“ Minderheitsregierung (Kabinett Babis I) aus ANO Ministern und parteilosen Experten, welche jedoch Im Januar 2018 eine Vertrauensabstimmung im Parlament nicht überstand (ZEIT Online 2018; Bustikova und Guasti 2019). Im Juli 2018, knapp 9 Monate nach den Wahlen formte Babis erneut eine Minderheitsregierung (Babis II), die aus einer Koalition mit den Sozialdemokraten besteht, jedoch von den Kommunisten (Komunisticka strana Cech a Moravy, KSCM), als Mehrheitsbeschaffer für die Misstrauensabstimmung toleriert wird (Bushkova und Guasti 2019; Martin 2018). Damit sind die weitestgehend unreformierten Kommunisten (Bundeszentrale für politische Bildung 2013) erstmals seit dem politischen Systemwechsel indirekt an einer Regierung beteiligt.

ANO positioniert sich als Partei, die den Willen „des Volkes“ vertritt und nimmt dabei für sich in Anspruch, als „Bürgerbewegung“ das Interesse „gewöhnlicher Leute“ gegen eine korrupte, ineffiziente und inkompetente Machtelite aus professionellen Berufspolitikern zu verteidigen (Hanley und Vachudova 2018, S. 281). Das Selbstverständnis der ANO als „Bürgerbewegung“ steht entgegengesetzt zur geringen Mitgliederanzahl und „Top-Down“ Struktur der Partei (Volker Weichsel 2018). Als „Oligarchenpartei“ (Weidenfeld und Wessels 2018; Vachudova 2019b) ist ANO hochgradig finanziell und administrativ abhängig von ihrem Gründer Babis, der dadurch innerhalb dieser eine herausragende Rolle mit Möglichkeiten absoluter Kontrolle einnimmt. Kritiker sehen in der ANO ein Instrument Babis, um am Wettbewerb um politische Macht teilzunehmen (Kopecek 2016) und ein „autoritäres Projekt eines Oligarchen“ (Pehe 2018, S. 67). Kombiniert wird der populistischen Politikansatz der ANO mit technokratischen Elementen (Havlik 2019), die im Leitsatz münden den Staat „wie ein Unternehmen zu führen“ zu wollen und die Führungsqualitäten und Expertise von Babis als Geschäftsmann betonen (Lenka Bustikova und Petra Guasti 2017b; Bustikova und Guasti 2019; Havtik 2019). Politik soll bei der Regierungsführung anhand schneller Entscheidungen zu effizienteren, ökonomischeren und unbürokratischeren Outcomes gelangen. Über die Anti-Korruptions- und Elitarismusrhetorik kommt ANO eher unideologisch daher (Havtik 2019). Ihr wird ein „ technokratischer Populismus“ zugeschrieben, „eine Ideologie, bei der unter dem Vorwand technokratischer Kompetenz im Namen des Volkes regiert wird“ (Bustikova und Guasti 2019). Die im tschechischen Fall erfolgte Fusion von technokratischem Politikdenken und Populismus verdeutlicht den „ thin-ideology “-Charakter des Populismus, der keine umfassende Ideologie liefert, sondern sich lediglich auf eine spezifische Legitimation und Organisation von Macht im Staat beruft. Zusätzliche Ideologien erklären schließlich, wie die Identität des „homogenen Volkes“ konzipiert ist (Kaltwasser et al. 2017). Im Kontrast zu den regierenden Parteien Ungarns und Polens, verwendet die ANO kaum nationalistische, „ethnopopulistische“ Elemente (Anna Vachudova 2020), verfügt nicht über eine entsprechende extreme exklusionistische Rhetorik (Ben Stanley 2019)2.

Sowohl in der Wirtschaft als auch in der Medienlandschaft Tschechiens ist Andrej Babis eine bedeutende Größe, was in den Augen seiner Kritiker, mit seiner Position als dem Volk verantwortlicher Premierminister kollidiert und Interessenskonflikte impliziert (Kirchgeßner 2019). Das von ihm hochgezogene Agrikultur- und Chemie Firmenkonglomerat Agrofert umfasst 230 Unternehmen und beschäftigt etwa 32.000 Menschen (Tait 2017). Es wuchs in großem Umfang anhand des Staatseigentums an Unternehmungen, dass im Zuge der Wirtschaftstransition in einem korruptionsbeladenen Prozess unter zweifelhaften Bedingungen privatisiert wurde (Hanley und Vachudova 2018, S. 284). In diesem Zusammenhang kann stark angenommen werden, dass Babis nicht der unpolitische Outsider ist, als der er sich gibt. Zum einen soll er im Privatisierungsprozess Vorteile aus der verbreiteten Korruption gezogen haben und war lange Zeit Angehöriger der post­kommunistischen Wirtschaftselite, die er nun bekämpfen will (Bustikova und Guasti 2019). Zum anderen wird ihm informelle Zusammenarbeit mit damaligen tschechischen Top-Politikern im Ausbau seines Unternehmens angehängt (Havtik 2019, S. 5) und seine Rolle während der kommunistischen Zeit kontrovers debattiert. Der tschechische Staat ist durch öffentliche Aufträge einer der wichtigsten Kunden von Agrofert- Unternehmen, die zudem Empfänger von großen Summen öffentlicher Gelder und EU-Subventionen sind. Zwar ist Agrofert an Treuhandfonds übergeben und Babis damit nicht mehr nominelle Besitzer, doch behält er die effektive Kontrolle über die Geschäfte (Prag 2017). Im Zusammenhang mit Anschuldigungen der Verwicklung in EU-Subventionsbetrug wurden Ermittlungen gegen Babis, die dieser als politisch motivierten Komplott gegen sich ansah, von tschechischen Behörden kürzlich eingestellt (Peter Lange 2019). Seine Doppelrolle als aktiver Part in der Aushandlung des EU-Haushaltsprogramm, der Überwachung als Regierungschef und als potenzieller Abnehmer von Geldern wird aber weiterhin, etwa vom EU-Parlament, kritisch adressiert (Burchard 2020).

Als medialer Player verfügt Babis über ein Medienimperium mit mehreren Radiostationen, zwei der wichtigsten und auflagestärksten Tageszeitungen des Landes und TV Kanälen die er mit der MAFRA- Gruppe parallel zu seinem Einstieg in die Politik erwarb (Bustikova und Guasti 2019, S. 316; Havllk 2019, S. 5). Auf seine geballte Medienmacht beziehen sich Bedenken des Einflusses auf die öffentliche Meinung, der Diskreditierung politischer Gegner und tendenziöser Berichtserstattung (Bustikova und Guasti 2019; Puhl 2019; Hanley und Vachudova 2018, S. 287). Problematisiert wird aus einem liberal­demokratischen Standpunkt die Zusammenführung verschiedener Machtressourcen in den Händen eines Individuums, die durch politische Macht weiter ergänzt und multipliziert werden (Hanley und Vachudova 2018). Babis wird außerdem vorgehalten, eine Umgestaltung des politischen Systems anzustreben. Unter den Gesichtspunkten der Effizienz und ökonomischeren Gestaltungen von Regierungsvorgängen kokettierte Babis offen mit Veränderungen an der Architektur der tschechischen Demokratie, wobei er für die Konzentrierung exekutiver Macht, vorzugsweise in seinen Händen eintritt (Lenka Bustikova und Petra Guasti 2017b, S. 169). Um den Staat wie ein Unternehmen zu führen befürwortet er die Abschaffung machtverteilende Institutionen: Im tschechischen parlamentarischen Zweikammersystem soll der Senat abgeschafft und für die Parlamentswahl ein first-past-the-post Wahlsystem installiert werden (Hanley und Vachudova 2018, S. 282; Sitter und Bakke 2020, S. 6). Dreißig Jahre nach der „Samtenen Revolution“, die den Übergang von kommunistischer Einparteienherrschaft zur liberalen Demokratie markierte, fanden 2019 die größten zivilgesellschaftlichen Proteste statt, die sich gegen den tschechischen Regierungschef richteten und Rücktrittsforderungen vertraten (Kirchgeßner 2019). Die Proteste mobilisierten in dem zehneinhalb Millionen Land (Bertelsmann Transformations Index 2020) etwa 250.000 Menschen.

Der 2018 für eine zweite Amtszeit wiedergewählte tschechische Staatspräsident Milos Zeman, ein Partner Babis, gilt als weiterer Risikofaktor für den Abbau der liberalen Demokratie in Tschechien (Lange 2020). Dem pro-russischen, illiberal-nationalistisch eingestuften Zeman werden Bestrebungen vorgeworfen, das parlamentarisch-demokratische System nach präsidentieller Grundsätzen ausrichten zu wollen und seine Kompetenzen auszudehnen (Pehe 2018). Zu dieser Annahme führte u.a. Zemans Versuch 2013 über die parlamentarische Mehrheit hinweg eine Experten-Regierung zu installieren (James Dawson und Sean Hanley 2016) und Babis trotz Verlust eines Misstrauensvotums die Möglichkeit einer erneuten Regierungsbildung zuzusichern. Bestrebungen, das Land semi-präsidentiell auszurichten konnten jedoch bisher von den demokratischen Institutionen verhindert werden (Sitter und Bakke 2020).

III. Forschungsfrage und Fallauswahl

Zwischen dem Aufstieg von Populismus im Allgemeinen und in seinen spezifischen Ausprägungen in MOE und der Verschlechterung der Demokratiequalität werden häufig Verbindungslinien gezogen (Ben Stanley 2019; Martin Brusis 2019; Bugaric 2019; Kaltwasser et al. 2017; Grzymala-Busse 2019; Havlik 2019). Dies liegt mitunter in der Inkompatibilität der Konzeptionen des demos im Populismus und aus liberaldemokratischen Perspektiven begründet:

Der Populismus konstruiert das Volk als homogene Gemeinschaft mit einem allgemeinen Willen, dessen Ausdruck Politik sein soll. Demgegenüber ist das Volk im Verständnis der liberalen Demokratie eine nicht reduzierbare Pluralität, die aus freien und gleichen Bürgern besteht (Kaltwasser et al. 2017). Der damit der liberalen Demokratie inhärente politische Pluralismus, d.h. der Wettbewerb divergierender und gegensätzlicher Ideologien, versucht auf Basis von Deliberation und im Rahmen des Konstitutionalismus einen Konsens zu finden. Dahingegen erkennt der Populismus als angenommen einziger Vertreter des als homogen konstruierten, „wahren Volkes“ seine politischen Gegner nicht an und delegitimiert sie als Feinde des Volkes (Havhk 2019, S. 13). Dadurch, dass die Gesellschaft als Ganzes durch diese Linse zusammengefasst wird, lässt der Populismus den Schutz von Minderheiten, Gewaltenteilung, Checks-and-Balances und anderer konstitutioneller Prinzipien kaum Raum (Kaltwasser et al. 2017). Im tschechischen Zusammenhang wird auch die Vereinbarkeit von liberaler Demokratie und technokratischen Regierungsansichten, wie von der ANO vertreten, in Frage gestellt. Im technokratischen Politikdenken verankerte Aspekte umfassen den „ denial of political pluralism; anti-partyism, resistance to constitutionalism and the embrace of majoritarinism” (Havlik 2019, S. 1). Die „ Depolitisierung “ von Politik zur effizienteren Regierungsführung befürwortet eine Stärkung der Position der Exekutive zu den Kontrollfunktionen der Legislative. Das „Regieren wie bei Führung eines Unternehmens“ zielt auf eine Zentralisierung von Macht ohne die Hemmnisse institutioneller Kontrollen (Bushkova und Guasti 2019, S. 304).

[...]


1 ANO steht als Akronym für „Aktion unzufriedener Bürger“ aber bedeutet übersetzt auch schlichtweg „Ja“ auf Tschechisch ZEIT Online 2017b.

2 Die Idee von „nationalem Grandeur“ mit der Vorstellung eines „Großtschechiens“ spielt, wenn überhaupt, eine marginale Rolle in der tschechischen Politik

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Details

Titel
Democratic Backsliding in der Tschechischen Republik? Demokratie in Tschechien im Regierungszeitraum Andrej Babiš
Hochschule
Universität Konstanz
Veranstaltung
Vertiefungsseminar Politik in Mittel- und Osteuropa
Note
1,3
Jahr
2020
Seiten
21
Katalognummer
V976225
ISBN (eBook)
9783346327635
ISBN (Buch)
9783346327642
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Demokratie, Tschechische Republik, Andrej Babis, Empirie, Democratic Backsliding
Arbeit zitieren
Anonym, 2020, Democratic Backsliding in der Tschechischen Republik? Demokratie in Tschechien im Regierungszeitraum Andrej Babiš, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/976225

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