Mathematik und Physik im Nationalsozialismus


Seminararbeit, 1997

36 Seiten


Leseprobe


0 Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Hitler und die nationalsozialistische Wissenschaftsideologie

3 Naturwissenschaft und NS-Ideologie
3.1 Grundlagen mathematischen und physikalischen Arbeitens
3.2 Konflikte und Widersprüche zur NS-Ideologie

4 Mathematik und Physik als Wissenschaften unter der NS-Herrschaft
4.1 Die `deutsche Mathematik'
4.2 Die `deutsche Physik'

5 Fazit und Ausblick

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Wissenschaft und Forschung werden oftmals als ein Hort überparteilicher Objektivität angesehen. Die Wissenschaft selbst ist bemüht, dieses Bild zu erhalten, indem sie Regeln für wissenschaftliches Arbeiten aufstellt und so Intersubjektivität anzustreben versucht. In dieser Beziehung nehmen die Naturwissenschaften eine herausgehobene Stellung ein. Gerade sie erscheinen völlig immun gegen politische oder ideologische Einflüsse. So gilt das Streben des Physikers den wahren Naturgesetzen, die er mittels scharfer Beobachtungen, genauer Messungen und unbestechlicher Logik immer besser erkennen, beschreiben und begreifen möchte. Ähnliches gilt für den Mathematiker, dessen Forschungen sich mit ,,einem so reinen und einfachen Gegenstand beschäftigen, daß sie gar nichts voraussetzen, was die Erfahrung unsicher zu machen imstande wäre [...]"1.

Beschäftigt man sich mit deutscher Wissenschaft und Forschung in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft, so geraten denn auch zunächst oft andere Gebiete als Physik oder Mathematik in das Blickfeld. Da ist etwa die Medizin mit all ihren Verstrickungen in Menschenversuche und in die als `Euthanasie' getarnten Morden zu nennen. Auch die Rechtswissenschaft, die eine Unrechtsinstitution wie den Volksgerichtshof mit trug, oder auch die Biologie, die in Anknüpfung an sozialdarwinistische Lehren die `Rassenkunde' entwickeln half, liefern Beispiele für enge und oft unheilvolle Verbindungen zwischen Wissenschaft und Forschung und der nationalsozialistischen Diktatur. Dabei stellten viele Forscher nicht nur ihre Ergebnisse in den Dienst der herrschenden Ideologie, sondern sie gestalteten ihre eigene Wissenschaft im Sinne dieser Ideologie um, indem sie neue Zielsetzungen und Normen annahmen. Bei den klassischen Naturwissenschaften Mathematik und Physik ist eine solche Beeinflussung kaum denkbar, da sie ideologischer Beeinflussung wenig Angriffsfläche zu bieten scheinen. Dennoch stoßen wir in der Geschichte der Naturwissenschaften auf Phänomene wie die `arische Physik' oder die `deutsche Mathematik'. Es stellt sich die Frage, ob sich nicht auch die reinen und klaren Naturwissenschaften, die ihrem Wesen nach immun sein sollten, vom nationalsozialistischem Bazillus infizieren ließen. Das Thema `Wissenschaft im Nationalsozialismus' ist - selbst bei einer Beschränkung auf Mathematik und Physik - äußerst facettenreich und vielschichtig, so daß eine klare Abgrenzung des in dieser Arbeit zu behandelnden Aspektes notwendig wird. Häufig stehen Fragen der Forschungs- und Hochschulorganisation2 oder das ethisch-moralische Problem der Beurteilung des Verhaltens einzelner Gelehrter3 im Vordergrund. Die vorliegende Arbeit setzt keinen dieser Schwerpunkte. Die Wissenschaften selbst, ihre Methoden und inhaltlichen Strukturen sollen in den Blickpunkt rücken.

Zunächst müssen für beide Disziplinen gemeinsam einige grundlegende Überlegungen angestellt werden. Im ersten Kapitel gilt es, wichtige Elemente nationalsozialistischer Wissenschaftsideologie zu erarbeiten. Die Auffassungen Adolf Hitlers zum Thema Wissenschaft und Forschung spielen dabei aufgrund seiner herausragenden Stellung eine wichtige Rolle. Anschließend steht das allgemeine Verhältnis zwischen NS-Ideologie und den Grundprinzipien naturwissenschaftlicher Forschung im Blickpunkt. Dabei stellt sich die Frage, ob es nur einige Reibungspunkte gab, oder ob eine prinzipielle Unvereinbarkeit von Mathematik/Physik und Nationalsozialismus festzustellen ist. Danach soll der Versuch unternommen werden, am konkreten Beispiel zu klären, in welchem Maße der totalitäre Staat Einfluß auf Inhalte und Arbeitsweisen von Mathematik und Physik hatte. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage nach den Wesensmerkmalen `arischer Physik' und `deutscher Mathematik' in Abgrenzung zu den `konventionellen Richtungen' zu stellen sein

2 Hitler und die nationalsozialistische Wissenschaftsideologie

Kaum eine andere Periode in der deutschen Geschichte ist so sehr von einer einzelnen Person geprägt worden wie das Dritte Reich. Der Nationalsozialismus war ,,nicht primär eine ideologische und programmatische, sondern eine charismatische Bewegung, deren Weltanschauung durch den `Führer' Hitler verkörpert wurde [...]".4 Er war im Dritten Reich die bestimmende politische Persönlichkeit und die letzte Machtinstanz, der sich alle zu beugen hatten.5 Dies galt auch für alle ideologischen Fragen, was sich darin zeigte, daß Hitlers `Mein Kampf' die einzige für den Nationalsozialisten verbindliche größere ideologische Schrift war.6 Aus diesem Grund erscheint es notwendig, den persönlichen Einstellungen Hitlers zu Wissenschaft und Technik besondere Beachtung zu schenken. Zwar läßt sich im Falle Hitler ein prinzipielles Interesse für Wissenschaft und Technik nicht verleugnen, doch konzentrierte sich dieses im wesentlichen auf Ergebnisse, also nutzbare Erfindungen.7 Sein Verständnis für Grundlagen und Voraussetzungen wissenschaftlichen Arbeitens war äußerst beschränkt. Er verfügte - nicht nur im naturwissenschaftlichen Bereich - lediglich über ein Halbwissen, das aus einer wahllosen Sammlung zumeist pseudowissenschaftlicher Thesen bestand.8 Hitlers Ansichten waren kein Ergebnis eines

Abwägens unterschiedlicher Argumente, sondern vielmehr eine intuitive Entscheidung, die auf persönlichen Vorlieben oder Abneigungen basierte. Mit den Merkmalen einer modernen Naturwissenschaft, wie abstraktem Denken und dem Zwang zur widerspruchsfreien Begründung konnte Hitler wenig anfangen. Nur so konnte er 1942 noch Anhänger der Welteislehre Hanns Hörbigers sein, während der `Volksbrockhaus' schon feststellte: ,,Die

Welteislehre widerspricht in vielen Punkten der astronomischen Forschung".9 Technik war denn auch für ihn nicht Resultat einer nach bestimmten Regeln betriebenen wissenschaftlichen Arbeit, sondern Nachahmung der Natur. So hielt er Zeppeline und Raketen für Fehlkonstruktionen, da diese Arten des Fliegens in der Natur ohne Vorbild seien.10 Es zeigt sich also, daß Hitlers Auffassungen in vielerlei Hinsicht zutiefst rückständig und unreflektiert waren.

Ebenso wie Hitler fehlte der nationalsozialistischen Ideologie insgesamt ein Grundverständnis für moderne Wissenschaft.11 Daran war die ganz und gar unwissenschaftliche Struktur des Nationalsozialismus nicht unschuldig. Im Gegensatz etwa zum Marxismus beruhte die nationalsozialistische Weltanschauung nicht auf einer einheitlichen Theorie, sondern stellte gleichsam ein Sammelbecken für verschiedene geistige Strömungen dar.12 Sie bildete kein in sich geschlossenes Gebäude, sondern vereinigte vielmehr nur einzelne Ideologieelemente, die fast alle auf Hitlers persönliche Überzeugungen zurückzuführen waren.13 Antisemitismus, Führerprinzip und Rassenlehre gehörten sicherlich zum Kern der nationalsozialistischen Weltanschauung, die jedoch durch eine Vielzahl weiterer Komponenten ergänzt werden konnte.14 Durch diese programmatische Unschärfe konnte sie modern und antimodern, konservativ und revolutionär zugleich erscheinen. Dies erhöhte die Anziehungskraft der NSDAP für Menschen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen.15 Eine schwerwiegende Fehlannahme Hitlers war seine Unterschätzung der Bedeutung einer breiten, umfassenden Bildung für die wissenschaftliche Forschung. Im Gegenteil, zuviel Wissen wirkte sich seiner Meinung nach nur schädlich aus.16 Hitler setzte die Priorität eindeutig zu Ungunsten der geistig-wissenschaftlichen Ausbildung. Oberstes Ziel war es, eine körperlich kerngesunde Jugend `heranzuzüchten'. Die Entwicklung intellektueller Fähigkeiten hatte hinter die Stählung des Körpers zurückzutreten. Bei der Formung des Geistes sollten Charakterbildung, Förderung von `Führungseigenschaften' und Erzeugung von National- sowie Rassenbewußtsein Vorrang haben, während ,,erst als letztes die wissenschaftliche Schulung" zu erfolgen hatte.17 Hinter diesen Ansichten steht die Überzeugung, ,,daß ein zwar wissenschaftlich wenig gebildeter, aber körperlich gesunder Mensch [...] für die Volksgemeinschaft wertvoller ist, als ein geistreicher Schwächling", und daß der gesunde Geist ,,in der Regel und auf die Dauer nur in einem gesunden Körper wohnen" wird.18,,Die Tatsache, daß Genies manches mal körperlich wenig gutgebildete, ja sogar kranke Wesen sind", war für Hitler nur die Ausnahme, welche die Regel bestätigte.19 Diese Vorstellungen wurden in der nationalsozialistischen Schulpolitik umgesetzt, indem neben den eine völkisch- rassische Gesinnung fördernden Fächern Geschichte, Deutsch und Biologie der Sport und die Leibeserziehung einen hohen Stellenwert erhielten.20

Die geschilderte, gewollte Vernachlässigung der naturwissenschaftlichen Bildung im Dritten Reich war Folge einer falschen Auffassung von der Genese wissenschaftlichen Fortschritts. Hitler zufolge waren Erfindungen und technische Entwicklungen nicht das Ergebnis einer breit angelegten, koordinierten und kontinuierlichen Forschungsarbeit, sondern entsprangen ,,der schöpferischen Kraft und Fähigkeit der einzelnen Person".21 Folgerichtig war für ihn eine breite wissenschaftliche Grundbildung für zur Erzielung wissenschaftlicher Erfolge nicht notwendig und somit überflüssig. ,,Wahre Genialität", so Hitler, ,,ist immer angeboren und niemals anerzogen oder gar angelernt."22 Diese fatale Fehleinschätzung manifestierte sich im `Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen`23. Schon vor Kriegsbeginn sanken die Studentenzahlen an den deutschen Universitäten von 92.512 im Winter-Semester 1932/33 auf 40.645 im Sommer-Semester 1939.24 Die Naturwissenschaften waren von diesem allgemeinen Rückgang überproportional betroffen.25 Die Bedeutung einer fundierten Ausbildung wurde völlig unterschätzt, das Wachsen hervorragender Forscher und Erfinder als ein automatischer Prozeß aufgefaßt. Man verkannte, daß nur eine breite und umfassende Bildung in Schule und Hochschule einen ausreichenden Zustrom an qualifiziertem wissenschaftlichem Nachwuchs garantieren kann, der wiederum Basis der wissenschaftlichen Entwicklung eines Landes ist.26

Die Betonung der Schöpferkraft des einzelnen mochte dem sich für künstlerisch veranlagt haltenden Hitler sympathisch erscheinen, da somit technische Erfindungen gleichsam zu `Kunstwerken' wurden.27 Im 18. und 19. Jahrhundert war es tatsächlich häufig die Arbeit einzelner Genies, die entscheidende Fortschritte brachte. Doch der Untersuchungsbereich der Physik war zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch Quanten- und Relativitätstheorie deutlich erweitert worden, und zudem war das klassische, auf Newton zurückgehende, mechanische Weltbild schwer erschüttert worden.28 Wissenschaftlicher Fortschritt in den neuen, entscheidenden Bereichen war nur noch denkbar als Produkt einer organisierten, kollegialen Zusammenarbeit einer großen Zahl von Gelehrten.29 Hitler hatte nicht begriffen, daß Wissenschaft nicht eine Aneinanderreihung von Erfindungen singulären Charakters ist, sondern einem stetigen Wachstumsprozeß unterliegt.30 Somit waren seine Vorstellungen antiquiert und insbesondere den Erfordernissen des anbrechenden Atomzeitalters nicht angepaßt. Doch fügten sie sich geradezu ideal in die nationalsozialistische Rassenlehre ein. Denn beruht wissenschaftlicher Erfolg auf Veranlagung und Genie einzelner, so ist die Vielzahl bedeutender Entwicklungen deutscher Naturwissenschaftler ein Beleg für die Überlegenheit der eigenen Rasse.31 Diese Scheinplausibilität verbaute Hitler den Blick auf die

Realität.

Auch am Beispiel des ersten Weltkrieges zeigen sich noch einmal in aller Deutlichkeit die Fehleinschätzungen Hitlers. Dieser Krieg, der ein entscheidender Einschnitt im Leben Hitlers war, unterschied sich deutlich von allen früheren Kriegen. Im Kampfgeschehen von 1914- 1918 trat so deutlich wie noch nie zuvor die Rolle der Technik für die Kriegführung hervor. Zwar konnte der Einsatz von Giftgas, das erstmalig von der deutschen Führung benutzt wurde, keinen entscheidenden Einfluß auf den Kriegsverlauf nehmen. Doch die Anfänge des Luftkrieges und die Erfolge der im letzten Kriegsjahr auf alliierter Seite eingesetzten Tanks deuteten unmißverständlich auf einen tiefgreifenden Veränderungsprozeß im Kriegswesen hin.32 Der einzelne Soldat trat immer mehr in den Hintergrund gegenüber der immer bedeutender werdenden Rüstungstechnik, was auch dem Gefreiten Hitler nicht verborgen blieb. Denn er stellte später im November 1941 fest: ,,Vierhundert Tanks im Sommer 1918 und wir würden den Weltkrieg gewonnen haben."33 Doch zog Hitler aus dieser Feststellung keine Konsequenzen. Er war sich nicht bewußt, daß Entwicklungen wie Tanks, Giftgas oder Flugzeuge eine langjährige wissenschaftliche Forschungsarbeit zu Grunde liegt. Folgerichtig ignorierte auch die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik diese Tatsache und versprach sich durch singuläre Erfindungen durchschlagende Erfolge.34 Zwar entdeckte man angesichts der katastrophalen militärischen Lage Ende 1944 zumindest teilweise die rüstungstechnische Bedeutung einer, langfristigen, koordinierten Forschungspolitik.35 Doch wurde die Wende zu einer Wissenschaftspolitik, in der auch die Grundlagenforschung ihren Platz gehabt hätte, nicht konsequent durchgehalten. Schon wenige Monate später wurden wiederum alle Arbeiten eingestellt, von denen nicht innerhalb von zwei Monaten ein Ergebnis zu erwarten war.36 Insgesamt läßt sich sagen, daß kaum von einer selbständigen nationalsozialistischen Wissenschaftsideologie gesprochen werden kann.37 Der Wissenschaftspolitik beruhte nicht auf einer weitsichtigen Konzeption, sondern bestand aus einer Reihe von Maßnahmen, die auf bestimmten, generellen Grundsätzen nationalsozialistischer Ideologie beruhen. Auf diese hatte Hitler maßgeblichen Einfluß, so daß sich seine persönlichen Einstellungen und Ansichten deutlich in der nationalsozialistischen Wissenschaftsideologie widerspiegeln. Hitler war sich durchaus bewußt, welche entscheidende Rolle technische Entwicklungen für den Krieg spielen konnten, denn er zeigte ,,einen durchdringenden Sinn für die Einsatz- und Wirkungsmöglichkeiten moderner Waffen".38 Er hatte erkannt, daß man ,,geistvoller wissenschaftlicher Erkenntnisse" bedarf, um ,,Waffen zu schmieden für die Kämpfe der Zukunft."39 Doch die notwendigen Voraussetzungen für deren Entwicklung, wie etwa die Grundlagenforschung, hatte er nicht erfaßt. Dieses generelle Unverständnis zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Wissenschaftspolitik im Dritten Reich.40 Hitlers starke persönliche Abneigung gegen Intellektuelle, die ebenfalls von vielen Funktionären und Anhängern der NSDAP geteilt wurde,41 erschwerte es ihm, den Mißstand zu erkennen zu erkennen. Hitlers Antipathie hatte ihre Wurzeln sicherlich auch in seinem mehrfachen Scheitern an der Wiener Kunstakademie - er fühlte sich von der Welt der Intellektuellen verkannt und verstoßen.42 Daß diese Wunden nur langsam oder überhaupt nicht heilten und er diesen Kreisen mit schroffer Ablehnung gegenüberstand, zeigt etwa die Zurückweisung der von der Technischen Hochschule Stuttgart 1933 ihm angetragenen Ehrendoktorwürde oder der Hochmut mit denen er Persönlichkeiten wie Max Planck oder C. F. Bosch begegnete.43

3 Naturwissenschaft und NS-Ideologie

Im folgenden Kapitel soll untersucht werden, ob die Grundsätze einer modernen Naturwissenschaft mit der nationalsozialistischen Ideologie vereinbar sind. Dabei werden zunächst einzelne Aspekte der nationalsozialistischen Weltanschauung im Vordergrund stehen. Im Zweiten Teil soll auf einer tieferen, erkenntnistheoretischen Ebene überlegt werden, ob es einen prinzipiellen Widerspruch zwischen dem dogmatischen System des Nationalsozialismus und dem mathematisch-physikalischen Wissenschaftssystem gibt. Als Voraussetzung für diese Betrachtungen müssen jedoch zunächst einige Grundlagen naturwissenschaftlichen Arbeitens geklärt werden.

3.1 Grundlagen mathematischen und physikalischen Arbeitens

Mehr noch als die Physik rühmt sich die Mathematik einer besonderen Unabhängigkeit und Reinheit. Die moderne Mathematik will sich durch nichts, was durch menschliche Wahrnehmung verfälschbar wäre, beirren lassen. Die Ursprünge der abendländischen Mathematik lagen in der euklidischen Geometrie - einem anschaulichen Bereich - begründet. Auch im 17.-19. Jahrhundert war die Anschauung44 ein probates Mittel mathematischer Argumentation und Begriffsbildung. Doch haftet anschaulichen Begründungen der Makel der fehlenden Strenge an, da sie letztlich in der sinnlichen Erfahrung wurzeln. Aus dieser Unzufriedenheit resultiert ab der Mitte des 19. Jahrhunderts das Bemühen, die Mathematik auf eine von Erfahrung und Anschauung unabhängige Basis zu stellen, und so wurde die axiomatische Vorgehensweise entwickelt.45 Ausgehend von Systemen von Axiomen, also Katalogen von bestimmten, nicht mehr zu hinterfragenden Grundannahmen, errichtet die Mathematik auf streng deduktivem Weg das komplette mathematische Gebäude.46 Sie ist somit die einzige unter den Naturwissenschaften, die innerhalb ihrer Wissenschaft Beweise liefern kann und deren ,,Aussagen und Folgerungen [...] unabhängig von den jeweiligen Gegebenheiten der Natur" sind.47 Axiome sind zwar im gewissem Sinne Voraussetzungen, aber sie werden deutlich als solche gekennzeichnet, haben keinen Anspruch auf Wahrheit und werden somit prinzipiell austauschbar.48 Das ,,anschauliche Substrat" der Begriffe in einem axiomatischen System ist völlig belanglos49 und auch die Axiome sind beliebig festgelegte Regeln.50 So erreicht die moderne, auf der Axiomatik beruhende Mathematik eine große innere Sicherheit, was allerdings mit einem Verlust an Anschaulichkeit bezahlt werden muß.51 Untersuchungsgegenstand der Physik sind ,,Körper in der unbelebten Natur und die Wechselwirkungen der Körper aufeinander."52 Die unbelebte Natur verfügt über eine feststehende, objektive Beschaffenheit. Daher hat auch die Physik Objektivität anzustreben, da eine Wissenschaft ihre Arbeitsweise an ihrem Untersuchungsgegenstand ausrichten muß. Die klassische Physik bedient sich methodisch zumeist einer induktiven Vorgehensweise.53 Sie versucht gemachte Beobachtungen zu erklären und entwickelt zu diesem Zweck Hypothesen. Anhand weiterer Beobachtungen und Experimente wird die Hypothese getestet. Treffen die von ihr gemachten Voraussagen zu, so spricht man von einer Theorie. Eine solche erklärende Theorie kann nie bewiesen, sondern nur belegt werden, wobei eine große Zahl von Belegen einen hohen Grad an Sicherheit gewährt. Somit ist jede physikalische Theorie prinzipiell falsifizierbar.54

Physikalische Hypothesen und Theorien werden häufig mathematisch formuliert. Durch diese Formalisierung wird dann auch in der Physik ein mathematisch-deduktives Vorgehen ermöglicht. Dabei können mit mathematischen Methoden, die nicht mehr aus der Physik heraus oder speziell für sie entwickelt wurden, neue Ergebnisse erzielt werden.55 Der Wert der auf diesem Weg gewonnenen Erkenntnisse korrespondiert mit dem Grad der Sicherheit der Theorie. Können die aus einer Theorie mit formal-mathematischen Methoden deduzierten Hypothesen in Beobachtungen und Experimenten bestätigt werden, so wächst wiederum der Sicherheitsgrad der Theorie. Das beschriebene System des mathematischen Formalismus in der Physik wurde gerade zu Beginn des 20. Jahrhundert immer wichtiger, da die zunehmende Komplexität der Untersuchungsgegenstände oftmals eine klassisch-anschauliche Arbeitsweise nicht mehr ermöglichte.56 Insbesondere Quanten- und Relativitätstheorie bedeuteten einen ,,völligen Bruch mit den Grundlagen der klassischen Physik."57

Insgesamt ergibt sich ein Bild zweier Disziplinen, die sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit nicht durch Vorgaben beeinflussen lassen dürfen, die keine naturwissenschaftliche Legitimation aufweisen können. Religiöse, philosophische oder politische Normen oder Ideologien sollten keinen Einfluß auf die fachliche Arbeit haben. Schließlich war die ,,radikale Abkehr von ihren [die Philosophie ist gemeint P.T.] Lehrmeinungen und

Autoritäten"58 eine notwendige Voraussetzung des Aufstiegs der Naturwissenschaften im 16. und 17. Jahrhundert. In diesem Sinne ist die Unabhängigkeit von äußeren Werten und Voraussetzungen - also die viel zitierte `Freiheit der Forschung' - eine unentbehrliche Grundlage für effektive mathematische oder physikalische Forschungen.59 Dazu gehört auch, daß der einzelne Gelehrte sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit als Person so weit wie eben möglich zurücknimmt und so Objektivität anstrebt.

3.2 Konflikte und Widersprüche zur NS-Ideologie

Ein grundlegendes Merkmal der nationalsozialistischen Weltanschauung ist die konsequente Umsetzung des Führerprinzips.60 Letzte Instanz für die Unterscheidung von richtig oder falsch, von wahr oder unwahr, war das Wort des Führers.61 Es existierte somit auf politischer Ebene eine oberste Autorität, die ihren Führungsanspruch auch im Bereich der Wissenschaft durchsetzen wollte. Kennzeichnend für dieses Bemühen sind die Äußerungen des bayerischen Kultusministers Schemm, der vor Münchener Professoren erklärte: ,,Von jetzt ab kommt es für Sie nicht darauf an, festzustellen, ob etwas wahr ist, sondern ob es im Sinne der nationalsozialistischen Revolution ist."62 Die Weltanschauung erhielt den Rang einer absoluten, nicht hinterfragbaren Wahrheit, der sich alles andere zu beugen hatte. Diese massive ideologische Einflußnahme selbst auf fachliche Belange steht im krassen Widerspruch zur Freiheit naturwissenschaftlicher Forschung von äußeren Einflüssen und verhindert bei einer konsequenten Umsetzung jeglichen Fortschritt.

Ein weiteres grundlegendes Element der nationalsozialistischen Weltanschauung bildet die Doktrin von der Ungleichheit der menschlichen Rassen.63 Diese Lehre gerät ebenfalls in Widerspruch mit der erwähnten inneren Voraussetzungslosigkeit der Naturwissenschaften. ,,Es gibt keine voraussetzungslose Wissenschaft, sondern nur eine Wissenschaft mit Voraussetzungen" konstatierte Alfred Rosenberg.64,,Ideen, Theorien und Hypothesen" bildeten für ihn die Grundlage einer jeden Wissenschaft. Die mit großem Elan betriebene Rassenkunde lehrte jedoch, daß die Wesensmerkmale des Menschen allein durch seine Abstammung, durch sein Blut bestimmt seien.65 Somit mußten auch die von Forschern entwickelten grundlegenden Theorien und Ideen rassisch bedingt sein. Daher waren Charakter und Ergebnisse der Wissenschaft ebenfalls in wesentlichen rassisch beeinflußt und somit nicht voraussetzungslos. Die Rasse wurde gleichsam zur Bedingung für jede Erkenntnis gemacht.66 Der Nationalsozialismus stellte somit ,,Voraussetzungslosigkeit und Wertfreiheit" als ,,Wesensmerkmale" der Wissenschaft generell in Frage und hielt die eigenen Lehren für den ,,Mutterboden, aus dem alle Schöpfungen des menschlichen Geistes erwachsen."67 Tatsächlich wird in der Physik mit bestimmten Theorien und in der Mathematik auf

Grundlage bestimmter Axiome gearbeitet, welche durchaus entscheidenden Einfluß haben können. Ginge man selbst von einer blutsmäßigen Prägung des einzelnen Mensch aus, wäre es die Pflicht sowohl des Mathematikers als auch des Physikers, in der wissenschaftlichen Arbeit diese Beeinflussung zurückzudrängen, um dem Ziel der Intersubjektivität möglichst nahe zu kommen. Die Auswahl von Hypothesen oder Axiomen darf sich nicht an `rassischen' oder sonstigen Persönlichkeitsmerkmalen des Forschers orientieren.68 Ebenso ergeben die Fragestellungen der Naturwissenschaften sich nicht - wie nach Rosenberg - aus ,,Seele und Rasse", sondern es sind vielmehr reale Probleme und die Natur selbst, die Erklärungsbedarf wecken und somit das Ziel der Forschung vorgeben. Insgesamt fordert also naturwissenschaftliche Arbeit - würde man Unterschiede zwischen den Menschenrassen voraussetzen - eine `völkisch-rassische Selbstverleugnung' und steht somit im Gegensatz zur nationalsozialistischen Ideologie. Weiterhin mußte insbesondere einem mathematisch oder physikalisch geschulten Geist die von den Nationalsozialisten als grundlegende Naturwissenschaft proklamierte Rassenlehre äußerst fragwürdig erscheinen. Denn sie war völlig unzureichend abgesichert und lediglich mit Hilfe pseudowissenschaftlicher Argumente belegt.69 Obwohl alle ,,Versuche, die Rassendoktrin auf breiter Ebene»wissenschaftlich«zu fundieren [...] letztlich am inneren Widerspruch der Sache"70 scheiterten, wurde ihr von ideologischer Seite ein absoluter Gültigkeitsanspruch zugestanden, der nicht in Frage gestellt werden durfte.71 Dieses Verfahren stand in eklatantem Widerspruch zu den Ansprüchen, die ein Physiker oder ein Mathematiker an die Arbeit seiner Fachkollegen und an die eigene zu stellen hatte und mußte somit Unwillen auslösen.

Die bisher beschriebenen Gegensätze zwischen NS-Ideologie und Prinzipien physikalischen oder mathematischen Arbeitens spiegeln unterschiedliche Facetten ein und des selben Konfliktes wieder. Eine besondere Stellung dabei spielt die epistemologische Frage nach Wert- und Voraussetzungslosigkeit von Mathematik und Physik. Nach Spinner ist jeder Wissenschaft eine ethische Entscheidung zwischen Certismus und Kritizismus - oder schärfer zwischen Dogmatismus und Fallibilismus - vorgelagert, woraus folgt, daß ,,keine Wissenschaft wertfrei" sein kann, da sie ihre Erkenntnisregeln dieser offenen Wahl entsprechend ausrichten muß.72 Der Nationalsozialismus hatte seine Weltanschauung mit all ihren Bestandteilen - wie etwa Führerprinzip und Rassenideologie - zum unumstößlichen Dogma gemacht. Damit war im nationalsozialistischen Staat die Entscheidung zu Gunsten einer dogmatisch-irrationalen und gegen eine kritisch-rationale, allgemeine Erkenntnisgrundlage gefallen.73 Somit wurden im `Dritten Reich' die Bedingungen der Erkenntnisgewinnung einer jeden Wissenschaft von den alles zugrunde liegenden, absolute

Gültigkeit besitzenden Prinzipien der nationalsozialistischen Weltanschauung festgesetzt. In diesem Sinne konnte von einer voraussetzungslosen Wissenschaft tatsächlich keine Rede sein. Es hieße den NS-Ideologen zuviel der Ehre zuzugestehen, wenn man behauptete, sie hätten die von ihnen proklamierte Nicht-Wertfreiheit der Wissenschaften bewußt auf die erwähnte normative, präwissenschaftliche Entscheidung zurückgeführt. Sie hatten vielmehr die Prinzipien ihrer Weltanschauung auf emotionaler Grundlage angenommen und dogmatisiert. Die Überzeugung, daß Wissenschaft nicht wertfrei sein könne, folgte dann aus dem Inhalt der Dogmen selbst und nicht aus dem Bewußtsein, sich frei für ein dogmatisches Erkenntnismodell entschieden zu haben.

Fallibilismus und Dogmatismus schließen sich gegenseitig aus, da letzterer durch das Zulassen einer kritischen Überprüfung seiner Grundlagen sich selbst in Frage stellen würde. Kritisches Hinterfragen kann in einem solchen, auf certistischer Basis beruhenden Wissenschaftssystem durchaus auch erlaubt sein. Doch darf niemals die grundlegende Doktrin in Frage gestellt werden. Die Zulassung von Kritik birgt für ein dogmatisches System ein gewisses Risiko in sich, da nicht garantiert werden kann, daß die kritische Analyse an den genannten Grenzen halt macht. Dies gilt im besonderen Maße für Wissenschaftssysteme in totalitären Staaten. Ist nun der Kritizismus ein fester Bestandteil einer Wissenschaft, so ergibt sich automatisch ein Konfliktfeld. In diesem Punkt liegen Aversionen zwischen der Physik und Mathematik auf der einen und der nationalsozialistischen Ideologie auf der anderen Seite begründet.

Die moderne Mathematik beruht auf Axiomen, also auf nicht weiter hinterfragbaren Voraussetzungen. Zunächst ist hier eine mögliche Affinität zum Dogmatismus zu vermuten. Doch ein mathematisches Axiom ist kein Dogma. Denn es stellt eine ,,freie Schöpfung des menschlichen Geistes" dar.74 Als solche ist ein bestimmtes Axiom nur eines unter unendlich vielen möglichen und könnte somit willkürlich ersetzt werden.75 Es ist an sich zwar unhinterfragbar, aber nur im Sinne einer vorläufigen Arbeitsgrundlage, die keinen Anspruch auf alleinige Gültigkeit erheben kann. Somit ist die heutige Mathematik prinzipiell undogmatisch, da ihre Grundlage, die Axiome, beliebig sind. Daher gibt es einen strukturellen Gegensatz zwischen Mathematik und einem dogmatisch-irrationalen Erkenntnissystem.76 Gegen diesen Schluß könnte man einwenden, daß das geschilderte axiomatische System bereits kritisch-rationale Maßstäbe benutzt und somit nicht als urtypisches Wesensmerkmal der Mathematik gewertet werden darf. Dieser Einwand ist berechtigt, doch hat die Mathematik große praktische Erfolge mit dem beschriebenen System erzielt. Dessen Aufgabe würde also auch den Verzicht auf diese Ergebnisse bedeuten und ist infolgedessen nicht realisierbar.77 Dem modernen Mathematiker muß also eine Entscheidung zu Gunsten eines solchen certistischen Modells äußerst fragwürdig und als Bedrohung seiner gewohnten wissenschaftlichen Tätigkeit erscheinen.78

In der Physik scheint die Situation noch eindeutiger. Hier gibt es nicht einmal unhinterfragbare Axiome. Vielmehr ist Falsifizierbarkeit ein prinzipielles Merkmal aller physikalischen Theorien. Eine einzige der Theorie widersprechende Beobachtung kann ihre Gültigkeit in Frage stellen und ist oftmals der Anstoß für eine Weiterentwicklung des physikalischen Wissens.79 In der Geschichte der Physik mußten bereits eine Vielzahl von Theorien revidiert oder gar verworfen werden, und es gibt keinen Grund anzunehmen, daß dies für heute weitgehend akzeptierte Theorien nicht gelten sollte.80 Wiederum läßt sich einwenden, das dieser Fallibilismus kein gegebenes, natürliches Merkmal der Physik ist. Doch durch die praktischen Erfolge, welche eine deutliche Sprache sprechen, wird er zum integralen Bestandteil. Somit besteht auch zwischen der Physik und einem dogmatischen Erkenntnissystem ein struktureller Gegensatz.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es eine generelle Unverträglichkeit zwischen den Naturwissenschaften und certistisch-dogmatischen Systemen gibt. Dem certistischen System droht - insbesondere in einem totalitären Staat - von seiten der Mathematik und Physik eine echte Gefahr. Der Motor des physikalischen Fortschrittes ist ständiges in-Frage-stellen bestehender Theorien, und die Mathematik zeigt, daß man auf Grundlage verschiedenster, mitunter völlig gegensätzlicher Axiome erfolgreich und sinnvoll arbeiten kann. Wie nahe liegt dann für den naturwissenschaftlich geschulten Geist der Gedanke, daß auch die angeblich unabänderlichen Grundlagen eines dogmatischen Systems in Frage zu stellen sind. Der Physiker Otto Scherzer sieht die Gefahr für das dogmatische System darin, daß ein ,,junger Mensch von der Unabänderlichkeit der Naturgesetze auf die Unabänderlichkeit anderer, etwa der moralischen Gesetze"81 schließen könnte. Doch er irrt insofern, als es zum einen ist nicht ausgeschlossen, daß das, was heute als Naturgesetz gilt, morgen schon widerlegt ist. Zum anderen zeigt ein Blick in die Geschichte, daß moralische Gesetze definitiv nicht unabänderlich sind.82 Es ist vielmehr die prinzipielle Falsifizierbarkeit der Ergebnisse der naturwissenschaftlichen Forschung, die einem prinzipiell nicht falsifizierbaren System gefährlich erscheinen muß. Somit stellen beide Wissenschaften ein dogmatisches System an sich in Frage. Auf diese Herausforderung kann der Dogmatismus nur antworten, indem er versucht, auch den Naturwissenschaften ein weltanschauliches Fundament zu geben.83 Mathematiker und Physiker hätten also ständig dogmatische, aller Kritik entzogene Eingriffe auf fachliche Belange ihrer Wissenschaften zu befürchten. Sowohl Mathematik als auch

Physik wären aber ohne Kritik und Zweifel, ohne das ständige in-Frage-stellen nicht mehr die erfolgreichen Wissenschaften, die sie heute sind. Es scheint also die These gerechtfertigt, daß dogmatische Eingriffe in die Wissenschaften Mathematik und Physik - so wie sei sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts darstellen - zu einer Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit führen müssen. Eine Abwehrhaltung seitens der Naturwissenschaftler gegenüber totalitären Systemen wäre aufgrund des latenten Konfliktpotentials nur folgerichtig.

4 Mathematik und Physik als Wissenschaften unter der NS-Herrschaft

Im vorausgegangen Kapitel wurde erarbeitet, daß die beiden Naturwissenschaften Mathematik und Physik strukturell im Gegensatz zu einem totalitären Gesellschafts- und vor allem Wissenschaftssystem stehen, wie es auch der Nationalsozialismus zu verwirklichen versuchte. Trotzdem finden sich in der Geschichte der beiden Disziplinen dunkle Flecken, wie etwa die `arische Physik' oder die `deutsche Mathematik'. In den beiden folgenden Kapiteln soll jeweils zunächst das Wesen dieser Phänomene näher untersucht werden. Im Anschluß daran drängt sich angesichts des in Kapitel 3.2 erarbeiteten strukturellen Gegensatzes die Frage auf, wie solche Erscheinungen überhaupt möglich waren.

4.1 Die `deutsche Mathematik'

Beschäftigt man sich mit der `deutschen Mathematik', so ist es der Name Ludwig Bieberbachs, der einem in vielen Zusammenhängen begegnet. Bieberbach, über dessen Reputation als Mathematiker keinerlei Zweifel bestehen konnte84, fungierte als Schriftleiter der seit 1936 herausgegebenen Zeitschrift mit dem programmatischen Titel `Deutsche Mathematik'85. Nicht nur in dieser Funktion liegt seine herausragende Rolle begründet. Unter den Versuchen Mathematik und nationalsozialistische Ideologie zu verbinden, ist der von Bieberbach bei weitem der bedeutendste.86 Daher wird auch hier sein Beispiel im Vordergrund stehen.

Grundlegend für Bieberbachs mathematisches Denken war der unerschütterliche Glaube an die Existenz zweier unterschiedlicher, sich unvereinbar gegenüberstehender Stilarten mathematischen Schaffens. Diese Einteilung ist nicht Bieberbachs Werk, sondern sie korrespondiert mit bereits angesprochenen Entwicklungen in der Mathematik ab Mitte des 19. Jahrhunderts.87 Auf der einen Seite stand die klassische, im Konkreten und in der Anschauung fußende Mathematik, die nie den Kontakt zur Anwendung verlor. Auf der anderen Seite waren die moderne Axiomatik und der Formalismus zu finden.88 Bieberbach selbst war ganz im geometrisch-anschaulichen Bereich verhaftet, so daß es auch seinem Vortragsstil zuweilen an mathematischer Strenge fehlte.89 Seiner Meinung nach führte der abstrakte Formalismus und das ,,Jonglieren mit Begriffen" zu einer ,,«Entmenschlichung» der Mathematik, Entfremdung von Natur, Anschauung und Anwendung"90. Bieberbach war nicht der einzige unter den Fachkollegen, der mit der Anpassung an das moderne, axiomatische System Probleme hatte. Durchaus bedeutende Wissenschaftler sahen in dem neuen System auch Gefahren.91 Doch akzeptierten Ende der 20er Jahre die meisten die moderne Axiomatik, welche der Mathematik zu unbestreitbaren Erfolgen verholfen hatte. Bieberbachs Auffassungen erschienen angesichts dieser Entwicklung wie Relikte aus vergangenen Zeiten.92

Kurz nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler schloß sich Bieberbach der nationalsozialistischen Bewegung an. Dies tat er zur Überraschung vieler, da er in der Weimarer Zeit doch als ,,guter Republikaner" und auch nicht als Antisemit gegolten hatte.93 Doch nun versuchte Bieberbach mit Hilfe der von Erich Rudolf Jaensch entwickelten Integrationstypologie94 nachzuweisen, das seine Auffassung vom mathematischen Arbeiten die richtige sei. Jaensch teilte die Menschheit generell in zwei Typen ein. Der S-Typus verfügte nach Jaensch nur über ein ,,labiles, schwaches und haltloses Seelenleben"95. Diesem Negativbild wurde der ,,biologisch vollwertige"96 J-Typus gegenübergestellt. In dieser Theorie sah Bieberbach eine Möglichkeit, seine Beobachtungen `wissenschaftlich' zu beschreiben und zu erklären.97 Die Jaensche Einteilung übertrug Bieberbach sodann auf die Mathematik und die Mathematiker. Die Arbeit des J-Typs als Mathematiker wurzelte in der Anschauung und im Realen, so daß dieser nie die Verbindung zur Anwendung verlor. Ihm gegenüber neigte der S-Typ dazu, ,,die Symbolzusammenhänge mit den wirklichen Zusammenhängen zu verwechseln"98 und somit eine abstrakte formalistische Mathematik zu betreiben. `Deutsche Mathematik' war für Bieberbach die vom J-Typus betriebene, wertvollere Art. Die gleichnamige seit 1936 herausgegebene Zeitschrift sollte dazu dienen, dieser Art der Mathematik die verlorene Dominanz zurückzugeben.

Auch wenn Bieberbachs Überlegungen eine große Affinität zur gängigen nationalsozialistischen Rassenlehre aufwiesen, so ist doch anzumerken, daß er selbst in seinen Publikationen das Wort `Jude' nicht nur äußerst selten verwandte, sondern sogar ausdrücklich davor warnte anzunehmen, daß ,,jeder Deutsche ein J-Typ und jeder Jude ein S-Typ" sei.99 Insofern unterschied er sich von Mathematikern wie Erhard Tornier, für den das ,,Jonglieren mit objektfremden Definitionen"100 eine typisch jüdische Eigenart war. Bieberbachs Bemühungen scheiterten auf der ganzen Linie. Die große Mehrheit der deutschen Mathematiker wollte mit der von ihm postulierten `deutschen Mathematik' nichts zu tun haben. Folgerichtig verlor er 1934 seine einflußreiche Position als Schriftführer der

Deutschen Mathematiker-Vereinigung.101 Er konnte lediglich eine kleine Gruppe von Gesinnungsgenossen um sich scharen. Die Auflage der zusammen mit diesen Leuten herausgegebenen Zeitschrift `Deutsche Mathematik' sank von 6500 im Jahr 1936 auf 700 im Jahr 1944, obwohl der Verkaufspreis durch die finanzielle Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) künstlich niedrig gehalten wurde.102 Es gab verschiedene Gründe für das Scheitern Bieberbachs `deutscher Mathematik'. Eine wichtige Rolle spielten wohl die Energie und Radikalität, mit denen Bieberbach seinen Ansichten zum Durchbruch verhelfen wollte. Auf diese Weise verschreckte er viele seiner konservativen Kollegen.103 Der Hauptgrund jedoch lag in Bieberbachs Theorien selbst. Es gelang ihm nicht, eine ,,klare Definition" für seine `deutsche Mathematik' zu liefern.104 Er benannte keine eindeutigen, fachlichen Kriterien, mit denen die `gute', anschauliche von der `schlechten', abstrakten Mathematik hätte unterschieden werden können. Diese klare Abgrenzung konnte ihm nicht gelingen, da trotz aller nicht zu leugnenden Verschiedenheit abstrakte und anschauliche Mathematik immer wieder ineinander greifen und daher nicht ohne einen Verlust an Substanz zu trennen sind.105 Also versuchte Bieberbach statt dessen durch eine Klassifizierung berühmter Mathematiker, seine `deutsche Mathematik' zu definieren.106 Dabei mußte Bieberbach allerdings Rücksichten auf berühmte und verdienstvolle Vertreter der Zunft nehmen, deren Diskriminierung niemand akzeptiert hätte. So geriet er in Widerspruch zu seiner eigenen Theorie. Dies zeigte sich deutlich in der völlig inkonsequenten Kategorisierung eines der Begründer des Formalismus, David Hilbert, als J- Typ.107 Diese Unvereinbarkeit von fachlichen Gegebenheiten und den dogmatischen Ansichten Bieberbachs kann als Beleg für den strukturellen Gegensatz108 zwischen Mathematik und - in diesem Fall Bieberbachs - Dogmatismus gewertet werden, den er selbst freilich nicht sah.

Was also brachte einen geachteten Akademiker wie Bieberbach dazu eine solch widersprüchliche Position zu beziehen? Er war ein angesehener Mathematiker und als ordentlicher Professor sicherlich nicht darauf angewiesen, durch irgendwelche Kampagnen seine Karrierechancen zu verbessern. Die alles bestimmende Grundkonstante seines Denkens und Handelns war die Liebe zu seiner Disziplin109, die er verschiedenen Gefährdungen ausgesetzt sah, von denen der moderne abstrakte Formalismus die gefährlichste war. So kämpfte er seit Beginn der 20er Jahre mit Leidenschaft gegen die anbrechende Dominanz axiomatischer Systeme.110 Die bei einem Anhänger der Axiomatik aufgrund des in Kapitel 3.2 erarbeiteten strukturellen Gegensatzes zu vermutende Ablehnung des Nationalsozialismus mußte bei Bieberbach in Zustimmung umschlagen, da er in dem dogmatischen System ein

Verbündeten für seinen Kampf sehen konnte. Der politische Umschwung war für ihn die letzte Gelegenheit, den mathematischen Grundlagenstreit doch noch zu seinen Gunsten zu entscheiden.111 Des weiteren mochte er die durchaus realen Gefahren für die Mathematik gesehen haben, die mit einer verweigerten Integration des Faches in den nationalsozialistischen Staat verbunden waren.112 So hatte er zwei gewichtige Gründe sich dem Regime anzudienen, die ihn vergessen ließen, welchen fachlichen Widersprüchen er sich damit aussetzte.

Es hieße ein falsches Bild zu zeichnen, wenn man behauptete, die Mathematik wäre von der nationalsozialistischen Herrschaft völlig unbeeinflußt geblieben. Vor allem in den Kriegsjahren neigten auch die Mathematiker dazu, sich durch die Betonung der Kriegswichtigkeit ihrer Studien Mittel und Personal zu verschaffen. Dies führte zu einer gewissen Stärkung der Teildisziplin der angewandten Mathematik, wodurch allerdings nie die Modernisierung durch die Axiomatik in Frage gestellt wurde.113 Man kann dies als ein Zugeständnis werten, mit dem sich eine gewisse Autonomie `erkauft' wurde. Insgesamt bleibt jedoch festzustellen, daß die große Mehrzahl der Mathematiker ihre fachliche Arbeit im Dritten Reich unbeeinflußt fortsetzten.114 Man paßte sich an, unterwarf sich jedoch nicht. Das zeigt das Scheitern der Versuche von Bieberbach und anderen, die Mathematik zu politisieren und eine neue, nationalsozialistische Mathematik zu erschaffen.115

4.2 Die `deutsche Physik'

Wie auch die `deutsche Mathematik' wurde die `deutsche Physik' durch einige wenige Personen bestimmend gestaltet, wobei es sich ebenfalls um durchaus namhafte Vertreter ihres Faches handelte. Neben dem Erfinder der `deutschen' oder `arischen' Physik, Philipp Lenard, ist noch der Name Johannes Stark zu nennen. Jeder von ihnen hatte noch zur Kaiserzeit den Nobelpreis für Physik erhalten und beide waren dann in der Weimarer Zeit eher unangenehm in Erscheinung getreten. Lenard hatte in den 20er Jahren - insbesondere durch seine Angriffe gegen Albert Einstein - seine antisemitische Grundeinstellung öffentlich und in aller Schärfe demonstriert.116 Stark galt als sehr unverträgliche und streitsüchtige Persönlichkeit.

Streitereien mit Fachkollegen führten letztlich dazu, daß er sich in den Jahren 1921-33 vergeblich um eine akademische Stellung bemühte.117 Im Rahmen dieser Arbeit kann nicht auf Entwicklung und Werdegang dieser beiden schillernden Persönlichkeiten ausreichend eingegangen werden.118 Es soll vielmehr versucht werden einige Grundzüge der `deutsche Physik' zu kennzeichnen, um sie in Beziehung zu den in Kapitel 3.2 gemachten Untersuchungen zu setzen.

Kern und Ausgangspunkt der `deutschen Physik' war die nationalsozialistische Rassenlehre. Man ging davon aus, daß ,,alles, was Menschen hervorbringen, rassisch, blutsmäßig bedingt"119 sei. Das galt natürlich auch für jede Art wissenschaftlichen Schaffens und insbesondere für die Physik. Die `arisch-nordische' Physik zeichnete sich nach Definition ihrer Anhänger durch eine enge Bindung an die Natur aus. Sie machten ,,Experiment und Beobachtung zu den einzig wahren Fundamenten der physikalischen Erkenntnis"120. Der `arische Physiker' sollte ein Natur forscher sein, der mittels geduldiger, experimenteller Arbeit ,,in die Wirklichkeit der Natur hinein[zu]schauen"121 versuchte. Diese Vorstellungen wiesen eine große Affinität zu nationalsozialistischen Lehren auf.122 Das Wunschbild konnte nicht verwundern angesichts der Tatsache, daß sowohl Lenard als auch Stark Experimentalphysiker waren und somit in ihrer gesamten wissenschaftlichen Laufbahn auf Basis von Experiment und Beobachtung gearbeitet hatten.123 Doch ähnlich wie auch die Vertreter der `deutschen

Mathematik' definierten sich die Anhänger der `deutschen Physik' nicht in erster Linie über das, was sie wollten, sondern über das, was sie ablehnten. Dieses Negativbild war die sogenannte `jüdische Physik', deren am häufigsten attackiertes Produkt die von Albert Einstein entwickelte Relativitätstheorie war. Die Gegnerschaft zur theoretischen Physik und insbesondere zur Relativitätstheorie war gleichsam das Substrat der `arischen Physik'.124 Diese Theorie wurde als Sinnbild eines typischen Produkts der ,,eigentümliche[n] Physik der Juden"125 angesehen. Als entscheidende Eigenschaften der `jüdischen Physik' wurden insbesondere der abstrakte mathematische Formalismus und damit einhergehende Loslösung von der Wirklichkeit der Natur gesehen.126 Dem Juden ging nach Ansicht der `arischen Physiker nicht darum, ehrfürchtig der Natur die wahren Naturgesetze abzuringen, sondern ,,Menschengeltung durch Massensuggestion mittels unverständlicher Dinge"127 zu erreichen. Abstrakte mathematische Theorien waren dabei sein Werkzeug.

Wie auch der `deutsche Mathematik' war der `deutschen Physik' kein großer Erfolg beschieden. Zwar konnten Lenard und Stark deutlich mehr Anhänger um sich sammeln als Bieberbach128, doch gelang auch ihnen weder ein institutioneller Durchbruch noch eine Durchdringung der Disziplin.129 Die Kampagne gegen die Relativitätstheorie130 scheiterte genauso wie die Versuche Starks, sich als Forschungspolitiker zu profilieren.131 Auch Lenards Bemühungen Personalpolitik zu betreiben, indem er auf die Besetzung von Lehrstühlen Einfluß nahm, waren nur mäßig erfolgreich.132 Der Anfang vom Ende der `deutschen Physik' waren die sogenannten `Münchener Religionsgespräche' im November 1940. Einige Physiker - unter ihnen Otto Scherzer - hatten eine wissenschaftliche Aussprache mit den Vertretern der `arischen Physik' angestrebt, um klarzustellen, daß deren Angriffen jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehrten.133 Der Darstellung Scherzers zufolge endete dieses

Treffen mit einem Debakel für die `deutsche Physik'.134 In der abschließenden Erklärung erkannten die `arischen Physiker' nicht nur die unanschauliche, abstrakte, vierdimensionale Darstellung von Naturvorgängen als ,,brauchbares mathematisches Hilfsmittel" an, sondern bestätigten zudem, daß Quanten- und vor allem Relativitätstheorie zu festen Bestandteilen der Physik geworden seien.135 Damit hatte die deutsche Physik eingestanden, daß sie über keinerlei fachliche Substanz verfügte.136 Wie eng das Schicksal der `deutschen Physik' mit dem des Nationalsozialismus verbunden war, zeigt, daß mit Ende des Dritten Reiches auch ihre letzten Reste verschwanden. Wie schon bei der `deutschen Mathematik' kann auch hier das fachliche Scheitern der 'deutschen Physik'137 als Beleg dafür dienen, daß eine Physik, die ihre fachlichen Belange ideologisch beeinflussen läßt, an Substanz und Leistungsfähigkeit verlieren muß.

Die Gründe für das Scheitern der 'deutschen Physik' liegen auf der Hand. Genau wie in der Mathematik hatte sich auch in der Physik zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Paradigmawechsel vollzogen. Relativitäts- und Quantentheorie waren Grundlagen der modernen Physik geworden, die Experimentalphysik befand sich auf dem Rückzug.138 Die `deutschen Physiker' rekrutierten sich aus den Forschern, die diesen Paradigmawechsel nicht mit vollziehen wollten. Ihnen erschien diese neue Art der Physik in all ihrer Abstraktheit und Unanschaulichkeit geradezu unheimlich.139 Bezeichnenderweise handelte es sich bei den `deutschen Physikern' durchweg um relativ alte Forscher, die ihren Zenit schon überschritten hatten und noch völlig in den klassischen Denk- und Arbeitsformen verankert waren.140 Als Symptom für die Rückständigkeit ihrer Richtung kann das völlige Fehlen fähigen Nachwuchses in ihren eigenen Reihen gewertet werden,141 wird somit doch die Vermutung nahegelegt, daß die wirklich begabten Nachwuchskräfte deutlich sahen, daß die von Lenard und Stark vertretene Richtung keine Zukunft hatte. In dieser für die meisten Fachkollegen offensichtlichen kontraproduktiven Rückständigkeit lag der Hauptgrund für das Scheitern der `deutschen Physik'.142 Sie war - wie einer ihrer eigenen Vertreter 1942 feststellte - der ,,Schwanengesang" einer vergangenen Epoche.143 Weiterhin mochten, ähnlich wie auch im Fall Bieberbachs, die sehr eigenwilligen Persönlichkeiten der Führer der 'deutschen Physik' auf viele Fachkollegen abschreckend gewirkt haben. Lenard und Stark waren schon vor 1933 weitestgehend unter den Physikern isoliert und galten als Sonderlinge.144 Auch versäumte es die 'deutsche Physik' sich eine echte politische Rückendeckung zu verschaffen. Der von Stark auserwählte Schirmherr Rosenberg hatte zu wenig Einfluß, um eine Ideologisierung der Physik zu erzwingen. So kam es das Stark, ,,der im wuchernden Intrigengestrüpp parteiinterner Konkurrenz- und Machtkämpfe recht hilflos umherirrte"145 nie die Machtmittel hatte, um die Konzeption der `deutschen Physik' politisch durchzusetzen. Nachdem nun wesentliche Merkmale und die Gründe für das Scheitern der 'deutschen Physik' untersucht worden sind, stellt sich die Frage, wie dieses Phänomen im Hinblick auf den in Kapitel 3.2 erarbeiteten strukturellen Gegensatzes zu erklären und einzuordnen ist. Wie im Fall der `deutschen Mathematik' bot auch in der Physik der Paradigmawechsel den Nährboden für das Entstehen einer ideologisch fundierten Naturwissenschaft. Wie Bieberbach sahen sich auch Lenard und Stark dazu berufen, ihre Disziplin von der `Bedrohung' durch die moderne theoretische Physik zu schützen.146 Darüber hinaus ist es sehr schwer zu sagen, warum Lenard oder Stark ein Prinzip wie die prinzipielle Falsifizierbarkeit von Theorien und Methoden147, die auch einem Experimentalphysiker nicht fremd sein durfte148, bei ihrem Engagement für die 'deutsche Physik' über Bord warfen. Insbesondere für die jüngeren Vertreter der 'deutschen Physik' mochten die sich durch die Vertreibung der jüdischen Physiker ergebenden Karrieremöglichkeiten eine verführende Wirkung gehabt haben, was jedoch zumindest nicht für Lenard gelten konnte.149 Er und Stark sahen sich selbst als Opfer einer dogmatischen Einstellung ihrer Gegner.150 Dieses Gefühl resultierte aus der fast einhelligen Ablehnung, die ihrer 'deutschen Physik' aufgrund der fachlichen Rückständigkeit entgegen schlug. Für Lenards Haltung spielte der tiefe Antisemitismus sicherlich eine wichtige Rolle. Zudem ist in Anbetracht seines Alters auch von einer äußerst geringen Bereitschaft auszugehen, sich neuen Thesen zu öffnen und Althergebrachtes in Frage zu stellen. Bei Stark scheinen seine zahlreichen, persönlichen Auseinandersetzungen mit Fachkollegen eine Rolle gespielt zu haben.151 So könnte bei ihm über die generelle antimoderne Einstellung hinaus der Groll gegen die Vertreter der modernen Physik verstärkt worden sein. Ein gewisser Machthunger könnte als weitere Begründung dienen, angesichts seiner vielfältigen Bemühungen als Politiker Einfluß zu erringen.152 So lassen sich eine Reihe von Erklärungen dafür finden, warum die Anhänger der 'deutschen Physik' den strukturellen Gegensatz ihrer Wissenschaft zu einem dogmatischen System nicht sehen konnten und/oder nicht sehen wollten.

5 Fazit und Ausblick

Im Rahmen dieser Arbeit konnten nur einige wenige Aspekte des äußerst facettenreichen Verhältnisses von Naturwissenschaft und Nationalsozialismus angesprochen werden. Institutionelle Vorgänge konnten nur am Rand betrachtet werden und auch die Bedeutung von Mathematik und Physik für die Kriegstechnik und die damit verbundenen Probleme blieben unbeachtet. Des weiteren beschränkte sich die konkrete Untersuchung der einzelnen Wissenschaften auf die Sonderfälle `deutsche Mathematik' und `deutsche Physik'. Hier müßte der Blickwinkel in weitergehenden Analysen deutlich erweitert werden. Trotz dieser Einschränkungen hat diese Untersuchung einige Ergebnisse geliefert, die es verdienen, hier noch einmal zusammengefaßt zu werden. Im ersten Abschnitt wurde ausführlich auf das nationalsozialistische Verständnis von Wissenschaft eingegangen. Es wurde deutlich, daß die persönlichen Einstellungen Adolf Hitlers hier eine ganz entscheidende Rolle spielten. Daher trug auch die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik die gleichen von Rückständigkeit und ideologisch begründeten Fehlurteilen geprägten Züge wie die Ansichten Hitlers. Weiterhin wurde aufgezeigt, daß einige Aspekte der NS-Ideologie - wie Rassenlehre und Führerprinzip - mit den Prinzipien von Mathematik und Physik nur schwer zu vereinbaren sind. Ausgehend von diesem Ergebnis ist die Frage gestellt worden, ob es einen strukturellen Gegensatz zwischen den Prinzipien moderner Mathematik und Physik auf der einen und einem ideologisch-dogmatischen Staats- und Wissenschaftssystem gibt. Die Überlegungen führten zu der These, daß es aufgrund der Neigung eines dogmatischen Systems, sich auch in die Wissenschaften regelnd einzuschalten, zu Konflikten und Reibungen kommt. Als Konsequenz wurde festgestellt, daß eine durch Ideologien und Dogmen auf der fachlichen Ebene manipulierte, moderne Naturwissenschaft des 20. Jahrhunderts an Leistungsfähigkeit und Substanz einbüßen muß. Die These konnte anhand der Beispiele für gescheiterte Versuche Ideologie und Naturwissenschaft zu verbinden, bestätigt werden. Doch zeigten gerade diese Beispiele ganz deutlich, daß der angesprochene strukturelle Gegensatz für die jeweilige individuelle Verhalten nur ein Faktor unter vielen ist und keine Garantie für eine besondere Resistenz von Naturwissenschaftlern liefert.153 Auch Wissenschaftler, die sich nicht der `deutschen Physik' oder der `deutschen Mathematik' anschlossen, haben sich beeinflussen lassen. So machte sich der eher ,,unabhängig gesinnte"154 Carl Ramsauer Physiker nationalsozialistische Rassenargumente zu eigen, um seiner Wissenschaft einen Vorteil zu verschaffen.155 Gerade angesichts solcher Beispiele zeigt sich die Notwendigkeit die These von dem strukturellen Gegensatz am Verhalten weiterer Physiker zu erproben.

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[...]


1 So René Descartes über Arithmetik und Geometrie in den ,,Regeln zur Leitung des Geistes". Zitiert nach Heuser, Harro, Lehrbuch der Analysis Teil 1, Stuttgart 101993, S. 3.

2 Mit Fragen zur Organisation und Verwaltung von Wissenschaft und Forschung beschäftigt sich eingehend Karl-Heinz Ludwig in dem mit `Naturwissenschaftlich-technische Forschung - das Stiefkind des Systems' betitelten 6. Kapitel von Ludwig, Technik und Ingenieure, S. 210- 270. Zu Gleichschaltung der Universitäten siehe Heiber, Helmut, Universität unterm Hakenkreuz, Teil 2, München 1994.

3 Viel biographisches Material bietet Heiber, Helmut, Universität unterm Hakenkreuz, Teil 1, München 1994. Unter anderem mit einigen bedeutenden Physikern beschäftigt sich Alan D. Beyerchen; Beyerchen, Wissenschaftler unter Hitler, S. 36-161.

4 Broszat, Der Staat Hitlers, S. 49.

5 Zwar ist fraglich, ob der Nationalsozialismus als `Hitlerismus' bezeichnet werden darf, doch unbestritten sind ,,Aufstieg, Triumph und Fall des Nationalsozialismus ohne Hitler nicht zu denken". Bracher, Die deutsche Diktatur, S. 60. Noch stärker betont Joachim C. Fest Einzigartigkeit und Bedeutung Hitlers. Fest, Hitler, S. 23.

6 Alfred Rosenbergs `Mythus des 20. Jahrhunderts' wurde immer als reine Privatarbeit angesehen. Bracher, Machtergreifung, S. 363.

7 Vgl. Ludwig, Technik und Ingenieure, S. 270 mit Anm. 223.

8 Hermann, Unschuld, S. 160.

9 Hitler, Monologe, S. 287 und 233. Zitat aus dem Volksbrockhaus, Leipzig 91941.

10 Hermann, Unschuld, S. 165.

11,,Weiterentwicklung von Technik erwarteten die Nationalsozialisten nur exogen von »Erfindungen«, nicht aber als Ergebnis einer in der Breite geförderten wissenschaftlichen Forschung oder gar Grundlagenforschung." Ludwig, Technik und Ingenieure, S. 210.

12 Bracher, Nationalsozialistische Machtergreifung, S. 363 und S. 374 und Broszat, Der Staat Hitlers, S. 33.

13,,... die abstrakte, utopische und vage NS-Weltanschauung erhielt überhaupt erst Realität und Bestimmtheit durch das Medium Hitler." Broszat, Der Staat Hitlers, S. 49.

14 Bracher, Machtergreifung, S. 363.

15 Vgl. Bracher, Die deutsche Diktatur, S. 159. Die ,,NS-Propaganda" vermochte ,,es allem recht zu machen." Broszat, Der Staat Hitlers, S. 47.

16 So sieht Hitler den Vorteil einer dreijährigen Militärdienstzeit u.a. darin, daß der Student ,,wenigstens einen Teil von dem Schmarren, der ihn völlig unnötigerweise eingebleut worden ist" vergißt. Hitler, Monologe, S. 375.

17 Unter Führungseigenschaften sind etwa Willenskraft und Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung zu verstehen. Hitler, Mein Kampf, S. 452. Zur Förderung von National- und Rassenbewußtsein ebd., S. 473 und 475.

18 Hitler, Mein Kampf, S. 452f. Vgl. Beyerchen, Wissenschaftler unter Hitler, S. 30.

19 Hitler, Mein Kampf, S. 452.

20 Innenminister Frick erwähnt in seiner Rede über die `neue Erziehung' die

Naturwissenschaften vom 9.5.1933 überhaupt nicht. Ursachen und Folgen, Bd. 9, S. 445f. Vgl. auch Bracher, Die Deutsche Diktatur, S. 285.

21 Hitler, Mein Kampf, S. 495. Praktisch zeigte sich dies in dem von Hitler persönlich forcierten `Erfindererlaß'. Ludwig, Technik und Ingenieure, S. 248f.

22 Hitler, Mein Kampf, S. 321.

23 Wortlaut des Gesetzes in Ursachen und Folgen, Bd. 9, S. 456f.

24 Statistisches Jahrbuch von Deutschland, S. 622.

25 Der Anteil derer, die Mathematik oder Physik studierten, an der Gesamtzahl aller Immatrikulierten sank vom maximalen Wert von 20% im Jahr 1930 auf 4% im Winter- Semester 1937/38. Wien, Nachwuchs der Physiker, S. 56. Die Zahl von 20% scheint nicht korrekt zu sein, doch vermerkt auch das Statistische Jahrbuch von Deutschland einen Rückgang von 18,3% im Sommer-Semester 1928 auf 9,1% im Sommer-Semester 1938. Diese Zahlen gelten allerdings für Mathematik, Physik, Biologie, Chemie und Erdkunde zusammen. Statistisches Jahrbuch von Deutschland, S. 622.

26 Die katastrophalen Auswirkungen der mangelnden Nachwuchsförderung zeigen sich in ihrem ganzen Ausmaß am Ende des Krieges. Siehe die Artikel Thomsen, Zurückdrängung der exakten Naturwissenschaften, insbes. S. 53 und Wien, Nachwuchs der Physiker. Letzerer spricht sogar vom ,,Anfang vom Ende unserer Wissenschaft", ebd. S. 56. In eine ähnliche Richtung deutet die schon vor Kriegsbeginn rückläufige Zahl bei den Patentanmeldungen. Zahlen siehe Ludwig, Technik und Ingenieure, S. 227.

27 Vgl. Hermann, Naturwissenschaft und Technik im Dienste der Kriegswirtschaft, S. 163 und 165.

28 Vgl. Hermann, Unschuld, S. 106 und Krafft, Selbstverständnis der Physik, S. 125.

29 Nichts belegt dies besser als das amerikanische Atombombenprojekt, an dem ein vielköpfiges internationales Team von Physikern und anderen Naturwissenschaftlern mitwirkte. Vgl. Hermann, Unschuld, S. 196f.

30 Vgl. Hermann, Unschuld, S. 137.

31 Diese Ansichten wurden etwa von Philipp Lenard vertreten: ,,In Wirklichkeit ist

Wissenschaft, wie alles, was Menschen hervorbringen, rassisch, blutsmäßig bedingt." Lenard, Volk im Werden, Heft 7 (1936), Sonderheft der Heidelberger Studentenschaft zum 550jährigen Universitätsjubiläum, S. 414. Zitiert nach Das Dritte Reich und seine Denker, , S. 297.

32 Karl Dietrich Erdmann spricht von einer ,,entmenschlichte[n] Kriegführung". Erdmann, Die Zeit der Weltkriege, S. 113.

33 Zitiert nach Hermann, Naturwissenschaft und Technik im Dienste der Kriegswirtschaft, S. 160. Leider wird das Zitat vom Autor nicht belegt und war somit nicht überprüfbar.

34 Die Maßnahmen zielten auf ein ,,unmittelbares Rüstungswachstum", nicht auf ,,wissenschaftliche Arbeit auf längere Sicht". Ludwig, Technik und Ingenieure, S. 250. Mehrfache `Stoppbefehle' stoppten alle Projekte, von denen keine unmittelbare kriegstechnisch verwertbare Ergebnisse zu erwarten. Ludwig, Technik und Ingenieure, S. 256 u. S. 232.

35 Himmler und Bormann spielten dabei eine treibenden Rolle Ludwig, Technik und Ingenieure, S. 262- 264.

36 Ludwig, Technik und Ingenieure, S. 266.

37 Horst Möller sagt, ,,daß die nationalsozialistische Wissenschaftsideologie im Grunde nicht mal diesen Namen verdient." Möller, Nationalsozialistische Wissenschaftsideologie, S. 75. Vgl. auch Ludwig, Technik und Ingenieure, S. 212, der Italien gegenüberstellt, welches ein forschungspolitisches Konzept gehabt habe

38 Fest, Hitler, S. 865.

39 Hitler, Mein Kampf, S. 496.

40 Das zeigt sich deutlich im Verhalten aller verantwortlichen Persönlichkeiten; Ludwig, Technik und Ingenieure, S. 256 und 254. Insbesondere die an den entscheidenden Stellen sitzenden Speer und Rust konnten nie ein echtes Verständnis für die Wissenschaft entwickeln; Ludwig, Techniker und Ingenieure, S. 247f und S. 269. Ausnahmen in den späteren Kriegsjahren, wie etwa Bormann und Himmler können dieses Bild nicht trüben. Vgl. Ludwig, Technik und Ingenieure, S. 257

41 Beispielhaft sie hier der Innenminister Frick genannt, dessen antiintellektuelle Haltung in seiner Rede vom 29.1.1934 deutlich wird. Ursachen und Folgen, Bd. 9, S. 465f. Aber auch die sich hauptsächlich aus Kleinbürgertum rekrutierende, nur mäßig gebildete NS- Verwaltungselite stand den Akademikern ablehnend gegenüber. Bracher, Die deutsche Diktatur, S. 301.

42 Fest, Hitler, S. 53f. Auch Bracher spricht von ,,einer tiefen Verachtung gegenüber Wissenschaft, Intellektuellen [...]". Bracher, Deutsche Diktatur, S. 298.

43 Voigt, Die TH Stuttgart, S. 43. Vielleicht wollte er sich nicht auf eine Stufe mit der Art Menschen begeben, die ihn so verkannt hatten und ihm nun ein - aus seiner Sicht - `Almosen' zuwarfen. Zu Planck und Bosch siehe Hermann, Unschuld, S. 136. In einem Gespräch mit Bosch soll Hitler auch gesagt haben: ,,Dann arbeiten wir eben einmal hundert Jahre ohne Physik und Chemie." Auch wenn diese Äußerung nicht überbewertet werden darf, so wird doch Hitlers ablehnende Grundhaltung deutlich.

44 Anschauung ist ein wichtiger mathematischer Begriff. Beispiel: Wenn man in einem Dreieck von einem Eckpunkt aus einen Strahl zeichnet, der im Inneren des Dreieckswinkels verläuft, so trifft dieser Strahl die gegenüberliegende Dreiecksseite. Dieser Satz ist anschaulich richtig und wurde daher als gültig akzeptiert. Vgl. Meschkowski, Wandlungen, S. 5.

45 Der Mathematiker David Hilbert (1862-1943) spielte dabei eine entscheidende Rolle. Zu Begriff Axiom und Axiomatik vgl. Siegmund-Schultze, Mathematische Berichterstattung, S. 70 mit Anm. 5.

46 Der Satz aus Anm. 44 gilt in einem axiomatischen System nur als richtig, wenn er ausschließlich aus den Axiomen hergeleitet wird.

47 Schneider, Hypothese, Experiment, Theorie, S. 17. Vgl. auch ebd., S. 44.

48 Einstein nach Der Weg der Physik, S. 642f. Vgl. auch Hermann, Unschuld, S. 54f.

49,,Man muß jederzeit an Stelle von `Punkten, Geraden, Ebenen' , `Tische, Stühle, Bierseidel' sagen können." Hilbert zitiert nach Meschkowski, Wandlungen, S. 62. D.h. Inhalt und Bedeutung des Begriffs `Gerade' hängt nur von seiner Definition ab, nicht von irgendwelchen anschaulichen Vorstellungen.

50 Sie müssen nur wenigen Grundannahmen genügen, z.B. dürfen innerhalb eines axiomatischen Systems zwei Axiome nicht widersprechen. Meschkowski, Wandlungen, S. 63. Vgl. auch Mehrtens, Mathematik im nationalsozialistischen Deutschland, S. 318.

51,,Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit." Einstein zitiert nach Meschkowski, Wandlungen, S. 62. Vgl. auch Mehrtens, Ludwig Bieberbach, S. 209 und Krafft, Selbstverständnis der Physik, S. 128.

52 von Oy, Was ist Physik?, S. 5. Ebenso Schneider, Hypothese, Experiment, Theorie, S. 18. Vgl. auch Anm. 59.

53 von Oy, Was ist Physik?, S. 10.

54 von Oy, Was ist Physik?, S. 85f. Schneider, Hypothese, Experiment, Theorie, S. 43f und S. 46. Die Relativitätstheorie Einsteins ist beispielsweise bis heute nur mehr oder minder gut belegt, aber nicht bewiesen worden. Gleiches gilt für die Quantentheorie. Den Charakter der Vorläufigkeit unterstreicht die Tatsache, daß nach neueren Forschungen ,,nicht einmal Quanten- und Relativitätstheorie [...] widerspruchsfrei miteinander bestehen können." Krafft, Selbstverständnis der Physik , S. 128.

55 Krafft, Selbstverständnis der Physik, S. 128 und von Oy, Was ist Physik?, S. 10.

56 Schreier, Geschichte der Physik, S. 350.

57 Der Weg der Physik, S. 624

58 Schneider, Hypothese, Experiment, Theorie, S. 12.

59,,Die Naturwissenschaft steht in höherem Maße als andere Wissenschaften außerhalb der staatspolitischen Kontroversen. Die Natur ist etwas einmaliges, und es gibt nur einen Weg in ihre Geheimnisse einzudringen, der im wesentlichen seit Beginn der modernen Forschung immer der gleiche geblieben ist." So der Chemiker Carl Bosch, zitiert nach Beyerchen, Wissenschaftler unter Hitler, S. 105.

60 Bracher, Nationalsozialistische Machtergreifung, S. 363 und Erdmann, Die Zeit der Weltkriege, S. 377f. Vgl. Auch Hitlers Äußerungen über die ,,beste Staatsverfassung", Hitler, Mein Kampf, S. 591.

61,,Der Führer hat immer recht, in allen Lagen und immerdar." Robert Ley zitiert nach Das Dritte Reich und seine Denker, , S. 19. Vgl. auch Bracher, Die deutsche Diktatur, S. 371.

62 Zitiert nach Erdmann, Die Zeit der Weltkriege, S. 427.

63 Siehe Hitler, Mein Kampf, 11. Kapitel `Volk und Rasse', S. 311-362. Insbesondere ebd., S. 317f. Auch Alfred Rosenberg sieht den Rassegedanken als ,,Grundlage einer neuen Weltanschauung". Rosenberg, Mythus, S. 115.

64 Rosenberg, Mythus, S. 119.

65 Den allgemeingültigen Charakter zeigt der Artikel zu `Menschenrassen' im Volksbrockhaus, S. 443: ,, Menschenrassen, Gruppen von Menschen, die sich durch den gemeinsamen Besitz vieler [...] körperlicher und geistig-seelischer Erbeigenschaften von anderen eben solchen Menschengruppen unterscheiden."

66 Vgl. Rosenberg, Mythus, S. 120. Für den selbst ernannte Chefideologen der nationalsozialistischen Bewegung war denn auch die Philosophie nicht die Bemühung, das Wesen des Menschen zu erkennen, sondern sich zum durch die Rasse determinierten Wesen zu bekennen; ebd. S. 118. Ganz auf dieser Linie liegt der Physiker Phílipp Lenard: ,,In Wirklichkeit ist die Wissenschaft, wie alles, was Menschen hervorbringen, rassisch, blutsmäßig bedingt." zitiert nach Das Dritte Reich und seine Denker, , S. 297.

67 So der Reichserziehungsminister Bernhard Rust in einer Rede vom 29.6.1936 zitiert nach Ursachen und Folgen, Bd. XI, S. 90-94, hier S. 91 und S. 93. Rust sprach weniger von `Rasse' als vielmehr von `Volk', zog aber die selben Schlüsse wie Rosenberg.

68 Dieser Idealvorstellung vollständig gerecht zu werden ist zwar fast unmöglich, doch muß sie trotzdem angestrebt werden.

69 Bracher, Die deutsche Diktatur, S. 276. Vgl. auch den Vortrag des Medizinprofessors Rudolf Frick vom 28.3.1935, in: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1935 - Physikalisch-Mathematische Klasse, S. 347-364. Dort unterstreicht er die Unwissenschaftlichkeit des Begriffes `Rasse' an sich.

70 Bracher, Die deutsche Diktatur, S. 297.

71,,Wenn auch die Richtigkeit unseres rassischen Denkens an sich für uns ohne weiteres feststeht und keines Gelehrtenbeweises bedarf, sind diese Beweise für das geistige Ringen mit den Gegnern der rassischen Denkungsart unentbehrlich." So der Leiter des rassenpolitischen Amtes Walter Gross in einem Schreiben vom 24.10.1934 abgedruckt in Das Dritte Reich und seine Denker, S. 411-413.

72 Spinner, Pluralismus als Erkenntnismodell, S. 11. Das häufig zu vernehmende Bekenntnis zu einer wertfreien Wissenschaft ist bereits Folge der normativen Entscheidung für ein Erkenntnismodell.

73 Die auf verabsolutierten, dogmatisierten Ideologien basierenden Erkenntnissysteme besitzen oft die Eigenschaft, ,,ein Chaos anscheinend unzusammenhängender Erfahrungsdaten [...] zu einem systematischen, sinnvollen Kosmos zu organisieren und praktisches Handeln sinnvoll und erfolgreich zuleiten." Spinner, Pluralismus als Erkenntnismodell, S. 19f. Für den Nationalsozialismus scheint dies auch gegolten haben. So konnte etwa mit der Theorie von der jüdischen Weltverschwörung die angeblich schlechte Situation Deutschlands und jedes einzelnen Bürgers `stichhaltig' erklärt werden.

74 Einstein zitiert nach Der Weg der Physik, S. 642f.

75 Die Wahl eines Axioms erfolgt in der Praxis natürlich nicht immer willkürlich, doch können auch ganz unterschiedliche Auswahlen zu vernünftigen Ergebnissen führen. So gilt in der projektiven Geometrie das euklidische Parallelenaxiom (parallele Geraden schneiden sich nie) nicht. Dort wird vorausgesetzt, das zwei Geraden immer einen eindeutig bestimmten Schnittpunkt haben. Auf beiden Axiomen läßt sich eine vernünftige, anwendbare Geometrie aufbauen.

76 Als Beleg für diesen strukturellen Gegensatz können die Jahrhunderte andauernden Kämpfe zwischen den Wissenschaften und der autoritär-dogmatischen Institution der Kirche dienen.

77 Spinner behauptet, daß ,,die Entscheidung zwischen alternativen Erkenntnismodellen [i.e. Kritizismus und Certismus; P.T.] und den daraus abgeleiteten Wissenschaftsprogrammen [...] prinzipiell offen und folglich eine echte Wahlhandlung" ist. Spinner, Pluralismus als Erkenntnismodell, S. 17.

78 Die Frage ob es möglich ist in einem dogmatischen Erkenntnissystem eine vernünftige, d.h. praktisch-anwendbare, Mathematik von Grund auf zu entwickeln und Spinner somit (vgl. Anm. 77) doch recht behielte, kann hier nicht erörtert werden. Doch erscheint es unwahrscheinlich in Anbetracht der Tatsache, daß der Aufstieg der modernen Wissenschaften erst im Konflikt mit autoritären Instanzen - z.B. der Kirche - beginnen konnte. Vgl. S. 12

79 Vgl. Anm. 54, Heisenberg, Der Teil und das Ganze, S. 101 und Planck zitiert nach Der Weg der Physik, S. 626.

80 Beispiele für aufgegebene Theorien sind etwa das heliozentrische Weltbild oder die Existenz des Äthers. Die Gravitationstheorie Newtons wurde durch die Relativitätstheorie revidiert.

81 Scherzer, Physik im totalitären Staat, S. 47.

82 So ist Pazifismus etwa heute in Europa als eine positive moralische Norm. Vor einhundert Jahren noch war dieser Begriff weitestgehend negativ besetzt. Darüber hinaus können auch verschiedene Kulturen verschieden Normen haben.

83 Auch im Marxismus wurde das versucht. Siehe Heitsch, Wolfgang, Mathematik und Weltanschauung, Berlin 1976, insbesondere die Einleitung und Kapitel 5.2 `Die weltanschaulichen Voraussetzungen'.

84 Mehrtens, Ludwig Bieberbach, S. 198f, Lindner, »Deutsche« und »gegentypische« Mathematik, S. 98 und Siegmund-Schultze, Mathematische Berichterstattung, S. 86.

85 Die `Deutsche Mathematik' erschien von 1936 bis 1944. Neben einem fachwissenschaftlichen Teil, der selbst vom Emigranten Gumbel als ,,gut" bewertet wird (Gumbel, Arische Naturwissenschaft, S. 262), finden sich in ihr weltanschaulich gefärbte Beiträge, die leider nicht in die mir zur Verfügung stehende Reproduktion übernommen wurden.

86 Daneben gab es zwar noch einige andere Versuche, doch erreichte keiner von ihnen ein ähnliches Maß an Beachtung. Vgl. Lindner, »Deutsche« und »gegentypische« Mathematik, S. 88f.

87 Vgl. Kapitel 3.1.

88 Gumbel, Arische Naturwissenschaft, S. 256. Als Beispiele für Arbeitsgebiete der unterschiedlichen Stile seien Geometrie bzw. Gruppentheorie genannt.

89 Mehrtens, Ludwig Bieberbach, S. 198f. Er hatte der Axiomatik und dem Formalismus nicht immer so verschlossen gegenübergestanden. Begründungsversuche finden sich ebd., S. 201-204 und bei Siegmund-Schultze, Mathematische Berichterstattung, S. 90.

90 Bieberbach nach Gumbel, Arische Naturwissenschaft, S. 256.

91 Die völlige Loslösung von der Anschauung wurde vielerorts bedauert. Siegmund-Schultze, Mathematische Berichterstattung, S. 71.

92 Mehrtens, Ludwig Bieberbach, S. 211, Meschkowski, Wandlungen, S. 95 und SiegmundSchultze, Mathematische Berichterstattung, S. 70f.

93 Gumbel, Arische Naturwissenschaft, S. 255. Die zeittypische nationalistische Grundeinstellung läßt sich allerdings auch bei Bieberbach finden. Mehrtens, Ludwig Bieberbach, S. 217f.

94 Zu dieser Theorie äußert sich ausführlich Lindner, »Deutsche« und »gegentypische« Mathematik, S. 93-98.

95 Lindner, »Deutsche« und »gegentypische« Mathematik, S. 94.

96 Lindner, »Deutsche« und »gegentypische« Mathematik, S. 96.

97 Mehrtens, Ludwig Bieberbach, S. 225.

98 Lindner, »Deutsche« und »gegentypische« Mathematik, S. 95.

99 Mehrtens, Ludwig Bieberbach, S. 231. Verbindungen zu Rassenlehre sah er aber gleichwohl Das Dritte Reich und deine Denker, S. 312f.

100 Dritte Reich und deine Denker, S. 316.

101 Lindner, »Deutsche« und »gegentypische« Mathematik, S. 104.

102 Mehrtens, Ludwig Bieberbach, S. 225f.

103 Mehrtens, Ludwig Bieberbach, S. 224.

104 Nicht einmal in seinen eigenen Arbeiten war eine spezifische `deutsche Art' erkennen. Lindner, »Deutsche« und »gegentypische« Mathematik, S. 103, vgl. auch ebd. S. 90.

105 So lassen sich etwa mit Hilfe der abstrakten Gruppentheorie geometrische Vorgänge wie Drehungen und Spiegelungen erklären.

106 Lindner, »Deutsche« und »gegentypische« Mathematik, S. 97.

107 Er erfand dazu einen Untertyp des J-Typus, der ,,dazu neigt, den Einflüssen des S-Typus sich zu öffnen." Nach Dritte Reich und deine Denker, S. 313. Vgl. auch Lindner, »Deutsche« und »gegentypische« Mathematik, S. 103 und Mehrtens, Ludwig Bieberbach, S. 227f.

108 Vgl. Kapitel 3.1.

109 Bieberbach war mit ganzem Herzen Mathematiker wie eine Bemerkung Einsteins zeigt: ,,Ganz köstlich ist Herrn Bieberbachs Liebe und Verehrung für sich und seine Muse." Zitiert nach Lindner, »Deutsche« und »gegentypische« Mathematik, S. 105.

110 Vgl. Mehrtens, Mathematik im nationalsozialistischen Deutschland, S. 318.

111 Auch Mehrtens sieht in dem Bestrebungen Bieberbachs einen ,,Versuch einer

antimodernen wissenschaftlichen Konterrevolution mit Hilfe politischer Macht." Mehrtens, Mathematik im nationalsozialistischen Deutschland, S. 325. Vgl. auch Lindner, »Deutsche« und »gegentypische« Mathematik, S. 103.

112 Angesichts der Gleichschaltung fast aller Wissenschaften war zu befürchten, daß einer nicht rassische begründeten Mathematik das Lebensrecht abgesprochen werden könnte. Lindner, »Deutsche« und »gegentypische« Mathematik, S. 91f.

113 Mehrtens, Mathematik im nationalsozialistischen Deutschland, S. 318.

114 Mehrtens, Mathematik im nationalsozialistischen Deutschland, S. 346 und Lindner, »Deutsche« und »gegentypische« Mathematik, S. 107

115 Der emigrierte Mathematiker E.J. Gumbel stellte schon 1938 fest: ,,Die Gleichschaltung der deutschen Hochschulen ist [...] gelungen. Der Aufbau einer «arischen» Mathematik ist aber, wie zu erwarten, misslungen (sic!)." Gumbel, Arische Naturwissenschaft, S. 262.

116 Beyerchen, Wissenschaftler unter Hitler, S. 133.

117 Und das als Nobelpreisträger! Beyerchen, Wissenschaftler unter Hitler, S. 157f.

118 Ich verweise dazu auf das Buch von Beyerchen, insbesondere die Kapitel 5 und 6.

119 Lenard nach Das Dritte Reich und seine Denker, S. 297.

120 Beyerchen, Wissenschaftler unter Hitler, S. 181.

121 Stark nach Richter, Deutsche Physik, S. 121.

122,,Die Natur [läßt] sich nicht durch Zauberei [...], aber auch nicht durch Verstandesschemen [...] meistern [...], sondern nur durch innigste Naturbeobachtung." Rosenberg, Mythus, S. 142.

123 Zu Lenard siehe Gumbel, Arische Naturwissenschaft, S. 249. Lenards vierbändiges Lehrbuch `Deutsche Physik' war denn auch den klassischen Gebieten der Physik gewidmet: Mechanik, Akustik, Wärme, Optik, Elektrizität und Magnetismus. Zu siehe Stark Beyerchen, Wissenschaftler unter Hitler, S. 147. Bezeichnend auch, das Stark seine Lebenserinnerungen `Erinnerungen eines deutschen Naturforschers' nannte.

124 Richter, Deutsche Physik, S. 123.

125 Lenard nach Gumbel, Arische Naturwissenschaft, S. 248.

126 Richter, Deutsche Physik, S. 120 und Beyerchen, Wissenschaftler unter Hitler, S. 184.

127 Lenard nach Das Dritte Reich und seine Denker, S. 297.

128 Richter, Deutsche Physik, S. 123.

129 Richter, Deutsche Physik, S. 127.

130 Auf einer Tagung des NSD-Dozentenbundes 1937 stellte Professor Debye in einem Vortrag die Quantentheorie als ein wichtiges Werkzeug für die Beschreibung von Atom- und Kernreaktionen dar. Siehe seinen Beitrag in dem Büchlein Nationalsozialismus und Wissenschaft. Gekürzte Wiedergabe der auf der Hochschultagung des NSD-Dozentenbundes Gau Berlin vom 18.2. bis 20.2.1937 gehaltenen Ansprachen und Vorträge, hrsg. vom NSDDozentenbund Gau Berlin, 1937.

131 Ludwig, Technik und Ingenieure im Dritten Reich, Schüler, 214f.

132 Möller, Nationalsozialistische Wissenschaftsideologie, S. 162.

133 Scherzer und seine Kollegen handelten dabei nicht aus Heldentum, sondern aus Gegenwehr. Scherzer, Physik im totalitären Staat, S. 56 und Richter, Deutsche Physik, S. 127.

134 Scherzer, Physik im totalitären Staat, S. 57.

135 Richter, Deutsche Physik, S. 127f und Beyerchen, Wissenschaftler unter Hitler, S. 240f.

136 Auch Theodor Vahlens Äußerungen von 1942 sind ein Dokument trotziger Hilflosigkeit im Angesicht der Niederlage: ,,Wenn damit [mit der neuen theoretischen Physik; P.T.] nur soviel erreicht werden soll, um mit Einsteinschen Tensoren und Heisenbergschen Matrizen rechnen zu dürfen, so rennt man offen Türen ein: denn niemand hat daran gedacht das zu »verbieten«. [...] Wenn aber [...] unsere Erkenntnis von der rassischen und völkischen Bedingtheit der naturwissenschaftlichen Entwicklungslinien unterhöhlt werden soll, dann müssen wir dagegen auf das schärfste Front machen." Zitiert nach Richter, Deutsche Physik, S. 131, Sperrung ist von hinzugefügt. Neun Jahre zuvor hatte Stark noch allen Gegnern der arischen Physik `Gewalt' angedroht. vgl. unten Anm. 144.

137 Vgl. dazu Richter, Deutsche Physik, S. 131f.

138 Vgl. Kapitel 3.1.

139,,Was ich nicht gleich verstehen kann, sehe ich als jüdisch an." Scherzer, Physik im totalitären Staat, S. 52.

140 Lenard war Jahrgang 1862, Stark Jahrgang 1874.

141 Richter, Deutsche Physik, S. 130.

142 Vgl. Hermann, Unschuld, S. 122f.

143 Ernst Rudolf Tomaschek nach Richter, Deutsche Physik, S. 131.

144 Ein Beispiel für das abschreckende Verhalten Starks schildert Scherzer. Stark hatte 1933 auf einem Physikertag den Forschern gedroht: ,,Und seid ihr nicht willig, so brauch' ich Gewalt." nach Scherzer, Physik im totalitären Staat, S. 52.

145 Ludwig, Technik und Ingenieure, S. 215.

146 Es sollte erwähnt werden, daß es auch Werner Heisenberg und Ernst Schrödinger - beides entscheidende Figuren bei der Entwicklung der Quantentheorie - nicht leicht fiel, Abschied von der klassischen, anschaulichen Physik zu nehmen und den ,,unanschaulichen Quantensprung" zu akzeptieren. Heisenberg, Der unanschauliche Quantensprung, S. 6.

147 Das gilt insbesondere für die eigenen Theorien und Methoden. Dies einzusehen, fällt den wenigsten leicht.

148 Stark behauptete sogar nach dem Krieg, ,,daß ein wirklicher Forscher eine Diktatur über eine Wissenschaft für einen Unsinn halten muß." Physikalische Blätter 2 (1946), S. 272.

149 Stark dagegen von 1921-1933 sich vergeblich um einen Lehrstuhl bemüht. Beyerchen, Wissenschaftler unter Hitler, S. 157f.

150 Stark nach Das Dritte Reich und seine Denker, S. 298. Vgl. auch Richter, Deutsche Physik, S. 130.

151 Unter anderem stritt er sich auch mit Einstein. Beyerchen, Wissenschaftler unter Hitler, S. 147f.

152 Seine Beteuerungen, er habe alles nur für die Freiheit der Forschung getan, können nicht überzeugen. Siehe den Artikel Starks in Physikalische Blätter 2 (1946), S. 271f und die Erwiderung von Max von Laue, ebd. 272f.

153 Es ist nur besonders traurig, wenn sich gerade Naturwissenschaftler gegen ihre Prinzipien wenden und Anhänger totalitärer System werden.

154 Beyerchen, Wissenschaftler unter Hitler , S. 111.

155,,Eine fertige Technik kann ohne große Schwierigkeiten nachgeahmt werden, die Werdeprozesse neuer Technik und neuer Naturwissenschaft sind dagegen an das geistige Potential der Rasse gebunden. Dieser Schlüsselstellung muß auch der Staat Rechnung tragen." Ramsauer, Die Schlüsselstellung der Physik, S. 33.

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Mathematik und Physik im Nationalsozialismus
Autor
Jahr
1997
Seiten
36
Katalognummer
V97707
ISBN (eBook)
9783638961585
Dateigröße
564 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mathematik, Physik, Nationalsozialismus
Arbeit zitieren
Peter Tilly (Autor:in), 1997, Mathematik und Physik im Nationalsozialismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97707

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