Die Kierkegaardkritik Adornos


Seminararbeit, 2000

21 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


I. Zum Geleit

Die innerhalb dieser Arbeit zu besprechende Problemstellung vorerst zu formulieren, soll dieses Wort dienen. Anhand der von Theodor W. Adorno im Jahre 1931 bei Paul Tillich eingereichten Habilitationsschrift Kierkegaard-Konstruktion des Ä sthetischen 1 wird der Vergleich zur Philoso- phie des Dänen Søren Kierkegaard gesucht werden. Das Problem, wie weit -oder ob überhaupt- die Interpretation Adornos dieser gerecht werden kann, in Gegenüberstellung zur Dialektik der ethischen und der ethisch-religi ö sen Mitteilung 2, der Maieutik Kierkegaards zu untersuchen, soll das Ziel dieser Arbeit werden.

Die Vorgehensweise ist, die Kritikschrift Adornos inhaltlich darzustellen sowie einen Einblick in den Kontext seiner Philosophie und seiner Idee der Ästhetik zu geben. Dabei wird nicht näher auf thematische Kritik Adornos am Werk Kierkegaards eingegangen werden, da diese nur unter den ihr eigenen Vorraussetzungen Gültigkeit beanspruchen kann. Adornos Interpretation immanent zu kritisieren bedeutet, sich auf die von ihm gestellten Voraussetzungen einzulassen. Diese Vorraus- setzungen aber als grundlegenden Bestandteil der Methode zu untersuchen, ist Teil der Thematik dieser Arbeit. Daraus folgt ein Vorgehen, das sich auf die Darstellung von Adornos Abhandlung beschränkt.

Diese Vorgehensweise begründet sich aus dem für diese Betrachtung gestellten Thema, welches sich ausdrückt in der Rücksicht auf die ethische und die ethisch-religiöse Mitteilung Kierkegaards. Hiernach zu urteilen bedeutet, Adornos Schrift auf Kierkegaards Art der Mitteilung zu beziehen. Der Prüfstein ist das Maß der Entsprechung zur indirekten Mitteilung. Diese zum Maßstab zu machen ergibt sich, wie ich denke, aus der Schriftstellerei Kierkegaards.

Von ihm selbst formuliert wird die „Kategorie des Einzelnen“3, in welcher der Anspruch ist, das Subjekt in seiner Existenz durch die Methode der Mitteilung zu erreichen. Der entsprechende Entwurf steht als immanenzphilosophischer entgegen der wesentlich auf historischem Materialismus basierenden Ideologiekritik Adornos.

II. Theodor W. Adorno

II.1. Konstruktion des Ästhetischen II.1.1. Begrifflichkeit

Adornos Vorraussetzungen zur Interpretation der Kierkegaardschen Philosophie werden in den ersten Teilen seiner Kritikschrift explizit dargestellt. Um überhaupt mit Kritik beginnen zu können, sei es „...das este Anliegen einer Konstruktion des Ästhetischen in Kierkegaards Philosophie, von Dichtung sie zu scheiden.“4 Die von Adorno vorerst formal gestellte Bedingung zum „Charakter als Philosophie“, formuliert im „Formgesetz“, ist die nach Wirklichem, das „...in die Begriffe einging, in ihnen sich ausweist und sie einsichtig begründet.“5 Diesem ist Dichtung nicht verpflichtet, ent- zieht ihr Werk damit jedoch der Kritik: „Nur aber in Kommunikation mit dem kritischen Geiste vermöchte es geschichtlich sich zu erproben.“6 Adorno fordert mit Hegel eine klare Form, nach der das Bewußtsein differenzieren kann und der Gehalt entgegen dem rein „esoterischen Besitztum“ Einzelner allgemein mitteilbar wird. Dies ist, was dem „Neu Erscheinenden“ in seinem dichteri- schen Schein anhaftet; der Verdacht auf esoterisches Geheimgut.7 Diesen zur Mitteilung zu bringen sei die dialektische Methode bemüht, welche die Begriffe erst aus ihrer Totalität heraus erklärt. Diese Methode impliziert den Schein des Dichterischen, der zwar entgegen der Forderung nach Wissenschaftlichkeit steht, nach diesem Maßstab aber nicht gemessen werden kann: die „...Forderung nach wissenschaftlicher Begrifflichkeit [fällt] nicht zusammen mit der nach eindeuti- ger Gegebenheit der Begriffe als der von Merkmaleinheiten.“8

Den Anschein von Dichtung im Werk Kierkegaards als reine lyrische Zutat zu denunzieren unternimmt Adorno mit der Anklage gegen die Dialektik der Mitteilung, durch die Kierkegaard einzig erreicht, ohne Autorität reden zu müssen. Jedoch rückt diese „...Dichterschaft [...] ihn ins Bereich religionsphilosophischer Spekulation...“9 Daß Kierkegaard Dichter nicht ist glaubt Adorno an der „philosophischen Durchsichtigkeit“ sämtlicher lyrischen Werke bewiesen. Diese sind geprägt von einer „...spezifischen Funktion des dichterischen Anspruchs...“10, sind Form von Reflexion, welche die Aneignung der Inhalte lediglich suggerieren.

Kierkegaard als Philosoph zu kritisieren bedeutet für Adorno, auf die Pseudonyme sich in keiner Weise einzulassen. Diese werden lediglich als Bestandteil der Lyrik abgetan. Lyrik ist ausgeschlos- sen nach Adornos Vorraussetzungen; ist sie auch zentraler Bestandteil der ästhetischen Schriftstel- lerei Kierkegaards. Auf diesem Wege gelangt Adorno zur Forderung nach ‚Wörtlichkeit‘, mit der die Metaphern Kierkegaards auf ihren Gehalt hin geprüft und der durch Reflexion verdrängte, auf Subjektivität irreduzible historische Charakter konstruiert werden soll.11 „Die einzelnen Aussagen der Pseudonyme sind wörtlich zu fassen...“12 und die Art der Mitteilung, die Bewegung zum ‚Einzelnen hin damit auszuschließen. Psychoanalyse als Methode ausschließend - agiert sie doch in einem Bereich, der Kierkegaards Immanenz untergeordnet ist - verwirft Adorno ‚das Dunkel der subjektiven Immanenz‘.

II.1.2. Ästhetik äquivok

Unter dem Titel ‚Äquivokationen‘ beginnt die Umsetzung der systematischen Forderungen. Unter dem Dogma der Wörtlichkeit sucht Adorno den für verschiedene Bedeutungen genutzten Terminus ‚Ästhetik‘ bei Kierkegaard aufzuklären. Unter dem Vorbehalt, die Bedeutungen faßten innerhalb des Werkes ineinander, unterläßt es Adorno nicht, diese analytisch zu trennen. Die von ihm festge- stellten Formen sind (1) der Bereich der ästhetisch theoretischen Abhandlungen, welche auch ohne die Integration in den Bereich eines der Pseudonyme Gültigkeit beanspruchen könnten. Als zentra- le Verwendung (2) nennt Adorno die Haltung oder „Sphäre“, in denen sich die Figuren befinden und gelangt zur verbleibenden (3) Form der Mitteilung, welche „...als Wie der subjektiven Mittei- lung in Erscheinung tritt...“13. Nach Adorno ist die Mitteilung Kierkegaards eine derart unscharfe und allgemeine Kategorie, daß sie sich nicht mehr konkretisieren kann: „Niemals erreichen die pompösen Konflikte des Allgemeinen den eigentlichen Sachverhalt.[...] [Die Schlußfolgerung ist, daß] Die Unschärfe der Kategorie [...] [sich] nicht mit umfassender Methode, sondern bloß durch geschärfte Anschauung einzelner Phänomene [...] verändern [läßt].“14 Kierkegaards Philosophie zu verstehen heißt nach Adorno, diese zu analysieren und in ihre Einzelteile zu zerlegen.

II.1.3. Ontologie

Kierkegaard geschichtlich zu fassen gilt es im Versuch, die existentielle Mitteilung in ihren Grundsätzen zu erschließen. Diese sind, so Adorno, zu finden in der Relation von Subjekt und Ob- jekt. Es ist der Versuch, die Tradition im Kierkegaard unterstellten Idealismus wiederzufinden, um zu verhindern, daß er „...ins Allgemein-Menschliche zerrinnt, wofern nach dem ‚Daseinsentwurf‘ gefragt wird.“15 In Gegenüberstellung zum Idealismus Fichtes diagnostiziert Adorno ein Subjekt, welches in völliger Immanenz auf sich zurückgeworfen wird. Eine Welt, die Objekte bereithielte gibt es nicht mehr: „Es gibt bei Kierkegaard so wenig ein Subjekt-Objekt im Hegelschen Sinne wie seinshaltige Objekte; nur isolierte, von der dunklen Andersheit eingeschlossene Subjektivität.“16 Innerhalb dieser bewege sich Kierkegaards Dialektik im Versuch, ‚Sinn‘ zu erlangen. Hieraus de- duziert Adorno eine Art Mystizismus, der die ethische Selbstwahl im Nichts verschwinden läßt, ist

sie doch lediglich innerlich bestimmt. Selbstwahl im Sinne Kierkegaards ist das Wählen der Ent- scheidung; dadurch in die reale Historie zu gelangen der Sinn. Adornos Vorwurf ist, die totale Objektlosigkeit verhindere die Möglichkeit der „materialen Definition“ und Kierkegaard ergehe sich einzig in „schlechter Unendlichkeit“.17 Um Kierkegaard auswendige Geschichte oder wenigstens die Abhängigkeit von ihr nachzuweisen, stellt Adorno erneut Hegel zur Diskussion. Dessen geschichtsphilosophische Konzeption sei bei Kierkegaard nach „...innen geschlagen, und [...] erreicht die Realität am ehesten, wo er an Hegels historischer Dialektik festhält.“18

„Es ist die Abhängigkeit der Person von der auswendigen Geschichte“19, mit deren Hilfe Adorno die Immanenz der Subjektivität in Kierkegaards Philosophie, die Person zu widerlegen trachtet. Angeführt wird die Dialektik von Kierkegaards Individuum, welches (1) für sich existiert in einem Bereich, aus dem lediglich Hoffnung den Ausgang anzeigen kann, also in einer sich selbst imma- nenten Geschichtlichkeit, in welcher „...die innersubjektive Dialektik in die zum ‚Absoluten‘ um- schlagen soll.“20 Angesichts der ‚Sprache‘ sieht Adorno (2) reale Geschichte durchbrechen: „Wenn Sprache Form der Mitteilung purer Subjektivität ist und zugleich paradox als historisch-objektiv sich darstellt, dann wird in ihr objektlose Innerlichkeit von der auswendigen Dialektik erreicht.“21 Eine Notiz über die inwendige Reflexion Kierkegaards im Kampf gegen die Kirche führt Adornos Ontologiekritik zum Bild des „Intérieur“22. Dieses ist die allegorische Entsprechung zur „verstell- ten Ontologie“ , welches er aus dem Tagebuch des Verf ü hrers 23 destilliert. Wirklichkeit gelangt hier einzig durch einen Spiegel, der diese reflektiert, in das Wohnungsinnere. Die so projizierten Objekte verlieren dadurch ihren Charakter als Realien und gelangen lediglich als Schein in den Bereich der Subjektivität, unterliegen dieser ähnlich den ‚Situationen‘. Hiermit wird dem Subjekt nicht nur die Wirklichkeit unterworfen, das Subjekt werde eben dadurch auf eine nur scheinbare Welt begrenzt. Für Adorno ist in diesem Bild der „...Schlüssel zu seinem Schrifttum insgesamt [zu] suchen...“24 Dieser ist die vergessene Räumlichkeit. Raum, so Adorno, verliert seine Räumlichkeit durch Reflexion. Diesen aber nehmen die Gegenstände, mit denen Kierkegaards Subjekt die Um- welt affiziert ein; stoßen also an Nicht-Reflexives, von Außen notwendig gegebenes.

II.1.4. Selbstherrlichkeit des Geistes

Sich nunmehr kritisch direkt innerhalb des Kierkegaardschen Subjekts bewegen zu können, meint Adorno bis hierhin bereitet zu haben Im dritten Teil der Arbeit ergeht sich Adorno im Beweisen der Abhängigkeiten zur faktischen Historie. Auffällig, daß gerade faktische Historie immer wieder als Relation bemüht wird, ist doch die radikale Immanenz des Subjekts zu dieser vorerst indifferent.

Darum scheint gerade das erste Anliegen seiner Konstruktion, auswendige Geschichte nachweisen zu wollen. „Indem aber der autonome Geist als leibhaft erscheint, nimmt Natur vom Geiste besitz, wo er am geschichtlichsten auftritt: im objektlosen Innen.“25

Scheible formuliert die These Adornos treffend: „...daß Kierkegaard, gerade weil er die Illusion hegt, er könne sich eines abgegrenzten Bezirks reiner Subjektivität diesseits aller Geschichte versi- chern, der geschichtlichen Entwicklung verfällt. Aus dieser Verstrickung aber gibt es keinen Aus- weg mehr, weil ein Denken, das sich diesseits der Geschichte wähnt, seiner Befangenheit nicht einmal mehr gewahr werden kann. Kierkegaard - darauf will Adorno hinaus - hat nicht den Weg aus der Geschichte heraus gefunden, er hat sich vielmehr gerade zum Vollstrecker dessen gemacht, wogegen er sich wandte: in der reinen Subjektivität ist die geschichtlich hervorgebrachte ‚Entfrem- dung von Subjekt und Objekt‘ vollendet.“26 Ähnlich Adorno noch Jahre später im Rahmen der ‚kritischen Theorie‘: „So wird dem total verinnerlichten Individuum Wirklichkeit Schein und Schein Wirklichkeit. Indem es seine vereinzelte, von der Gesellschaft abhängige, ja widerruflich tolerierte Existenz absolut setzt, macht es sich zur absoluten Phrase, zum [...] ‚Einzigen‘.“27 Dies wirft Adorno zur Gelegenheit jeder Figur auf, die sprachlich in irgend einer Weise mit Historie sich in Verbindung bringen läßt. Daß dieses von Kierkegaard nicht gedacht wurde, erkennt Adorno und konstatiert „idealistischen Spiritualismus“. An den im Werke Kierkegaards genutzten Bildern ver- rät sich das Scheinhafte, dessen Definition im „Intérieur“ gegeben wurde. Die zur Darstellung des Geistes gebrauchten Metaphern zeugen, so Adorno, vom Mythos, in dem „...die Charaktere histori- scher Faktizität und ontologischer Wahrheit vereint untergehen...“28. Dies wird aus der Abhandlung des Ästhetikers über die Begierde induziert, „...der immerhin wohl seine eigentliche Lehrmeinung vertritt.“29 Dort ruhen im ersten Stadium des Begehrens eben das Begehren und der Gegenstand noch androgyn ineinander. Dies sei das immanent-spirituelle Bild für Kierkegaards gesamte Philo- sophie: „Die immanente Spiritualität selber ist mythisch.“30 Innerhalb dieser Mythologie findet sich der gesamte Inhalt Kierkegaardscher Philosophie. Selbst dem Ethischen sei „...das Äußere [ledig- lich] eine magische Apparatur...“31. Deutlicher wird etwas später, daß Adorno das Gesamtwerk Kierkegaards unter der Kategorie des Ästhetischen betrachtet: „Ästhetisch sind für Kierkegaard die objektiven Bilder und subjektiven Verhaltensweisen, deren mythischer Scheincharakter im Entwurf seiner Philosophie selber enthüllt ist.“32 Der somit sich selbst als absolut setzende Geist steht „...in Indifferenz [...] zur äußeren Geschichte...“33, ist durch die dialektische Methode geschichtlich nur in sich selbst.

Darum die etwas spröde anmutende Einordnung Kierkegaards in einen historischen Zusammenhang, das Aufzeigen seiner Affinitäten zum Barock.34

II.1.5. Existenz

Nachdem Kierkegaard durch Adorno seinen historischen Platz fand, soll dargestellt werden, welche immanenten Kritiken Adorno bemüht, den Begriff des Existierens zu analysieren. In Gegenüber- stellung zu Fichte und Hegel zeigt Adorno die Idee des Kierkegaardschen Wahrheitsbegriffes auf. Sind Fichtes Ich-Ich und Hegels Subjekt-Objekt Betrachtungen des Subjekts auf objektive Weise, besteht der wesentliche Gehalt des Existenzbegriffes bei Kierkegaard in der Reflexion der Inner- lichkeit. Diese Reflexion findet ihre Entsprechung im Begriff der Doppelreflexion. Reflektiert wird auf das Verhältnis des Subjektes zur Wahrheit. Damit entsteht ein Schwerpunkt, der auf dem sub- jektiven Wie liegt, welches für Adorno die Scheinhaftigkeit prägt. Hier ist der Weg bereitet zum einzelnen, existierenden Menschen; dessen Dasein ist wesentlich Werden. Bedingung dafür, so Adorno, ist der Einzelne als „...Schauplatz von Ontologie, [einzig dadurch, daß er] [...] nicht selber ontologisch ist.“35

Zweideutig heißt er Kierkegaard nach Zitaten des Ethikers aus Entweder-Oder: „...scheinlose Wahrheit [der Begriff der Durchsichtigkeit], in welche paradox, sich selbst negierend, die Bewe- gung einzelmenschlichen Bewusstseins einströmen soll, wird in die Bewegung selbst hineingezo- gen ohne Möglichkeit von Unterscheidung..."36. Auf Kant verweist Adorno als Grund für Kierke- gaards Wahrheitsbegriff, der für die Zweideutigkeit verantwortlich ist. Ontologie nach Kant, also „...subjekt-immanente [, sei] [...] ohnmächtig um ihrer Abstraktheit willen.“37 Diesem habe sich Kierkegaard entgegengewandt, wie auch der Hegelschen Identität von Sein und Vernunft. Gegen- über transzendentaler Objektivität und Identität gilt für Kierkegaard „...das besondere Bewußtsein des einzelnen Menschen...“38. Dieses steht als „abstraktes Selbst“ entgegen der Durchsichtigkeit. Abstrakt da die Verallgemeinerung des Subjekts notwendig zur Inhaltslosigkeit zerrinnt, ihre Kon- kretion verliert. Die Ethik Kierkegaards wird also nicht konkret, da sie ihre Konstitutionen aus denen des eigenen Subjekts ableiten muß. In diesem Subjekt aber gibt es nur ein „Verhalten zum Verhältnis“, welches durch Reflexion jede Konkretion verhindert, wähnt sie sich doch nur schein- bar im Besitz der Objekte. Es geht Adorno „...um den Nachweis, daß der existentielle Akt der Ent- scheidung [...] selbst abstrakt und inhaltsleer ist.“39 Dieses Verhältnis sei der mythische Charakter, in dem die Philosophie Kierkegaards sich verliert.

II.1.6. Idealismus

In der Anlage der „Sphären“, der Stadien in Kierkegaards Philosophie, meint Adorno die Ansätze zum zwingenden System gefunden zu haben. Ästhetisches, ethisches und religiöses Stadium stehen als „...Sphärenhirarchie [im] Widerspruch [...] zur Existenzlehre...“40. Existenz sei der Punkt, in dem Sein und Werden ohne Unterschied ineinanderfallen; Sphären, zumal formuliert in Kierke- gaards Schriften selbst, seien nun die verdinglichte Form der Existenzlehre. Diesem Vorwurf bietet die geschichtliche Entwicklung der Stadien als Grund sich dar. Die dialektische Vermittlung des Ästhetischen mit Reflexion führt zur Aufhebung im Ethischen, welches Hegels Geschichtsphiloso- phie durch Entscheidung überwinden soll. Hegel zu bemühen reicht der Verweis auf die Methode Kierkegaards, die dialektische, welche bei ihm „...nach innen geschlagen [ist] : was [für Hegel] [...] die Weltgeschichte, ist für Kierkegaard der einzelne Mensch.“41 In diesem philosophiehistorischen Zusammenhang steht auch die Interpretation der Sphären, die sich in ihrer Anlage von Hegels Me- thode unterscheiden, indem sie nicht nur in sich dialektisch sind, sondern auch untereinander. Hier drückt sich, so Adorno, „...die Aporie der Sphärendialektik selber...“42 aus. In ihrem mythologisch abstrakten Charakter seien die Sphären Kierkegaards der reine „...Schrecken [, welcher] an der Größe ihres allgemeinbegrifflichen Umfanges...“43 hafte. Diese Sphären sind vom Subjekt gesetzt, und eben dieses wirft „...sich zur Richterin auf über sich selber und das Gericht ihrer Endlichkeit ist so scheinhaft wie der unendliche Prozeß vergebens...“44. Die abstrakten Sphären zur Konkretion zu bringen ist nach Adorno unmöglich. Hier zieht er den Schluß, daß Kierkegaard „...den zentralen Wahrheitsanspruch von Philosophie [...], den der Interpretation von Wirklichkeit ...“45 preisgege- ben habe.

II.1.7. Martyrium

Als notwendig in der Gesellschaft fungierendes Modell hat Adorno die Philosophie Kierkegaards weitgehend erwiesen. Dieser soziologische Vergleich bildet den Grund zur These, Kierkegaard würde sich selbst vernichten. Anhand der Konfrontation der Ideen mit der Außenwelt werde die geistige, idealistische Philosophie in ihrer Grundfeste, dem Bewußtsein, in Frage gestellt. Gesell- schaft könne nicht aus Ideen abgeleitet werden, meint Adorno: „Indem das Bewußtsein von beding- tem, nicht zureichend aus sich selber deduzieblen Dasein als oberster Widerspruch seines Idealis- mus sich statuiert, wird er [Kierkegaard] zum Kritiker des Systems.“46 Dieses System, welches Kierkegaard kritisiert, sei aber wesentlich auch sein eigenes; es ist der Systemgedanke schlechthin. Diese Bewegung stellt den ‚archimedischen Punkt‘ dar, welcher in sich „... das Recht von Denken, als Gesetz seiner selbst Wirklichkeit zu begründen“47 faßt. Seine Manifestation findet dieser Punkt im „Opfer von Bewußtsein“. Auf Mythologie führt Adorno diese Idee zurück, meint sie doch „...das Schweigen wortloser Unterwerfung unters Schicksal...“48. Mythologisch heißt Adorno eben- so die Lehre von der Hoffnung. Kritikpunkt aber ist, daß Kierkegaard sich gegen Mythen als Ver- dinglichung in Form von Symbolen gerade im Christentum stellte, sein „...Bild des Opfers [aber] selbst mythisch ist, welches die innerste Zelle seines Denkens einnimmt...“49. Dieses Opfer, meint Adorno, würde den Menschen direkt in die Nachfolge Christi stellen. Das stete Beharren Kierke- gaards auf diesem „Kult“ führe ihn zu einer „...Gnosis, [...] der der Protestant Kierkegaard leiden- schaftlich sonst opponiert.“50 Adornos Schluß ist, daß Kierkegaards Theologie Gott aus einer rein geistigen Dialektik konstruiere, „...damit aber Gott in jene Natur auflöst, welche in Wahrheit gera- de die absolute Spiritualität des Menschen ist.“51

Durch das Opfer des Geistes, aus rationaler Reflexion motiviert -also paradox- , erweist sich das Subjekt als Herrscher über sich selbst „...und seiner [des Opfers] Dämonie erliegt der Name der Gottheit.“52 Kierkegaard werde durch das Opfer der Vernunft zum Atheisten, sein Ausdruck, „...er sei kein Glaubender...“ ist durch diese „Allvernichtung“ nicht als einer “...christlicher Demut sondern des wahren Sachverhaltes zu nehmen.“53

II.1.8. Trotzdem

Die Schwermut Kierkegaards müßte „...doch bezwungen sein [...] vom polemisch-paradoxen Christentum.“54 Doch ist sie es nicht aus dem Grund, daß die Manifestationen der latenten Schwermut diese als ihren Ursprung zu vernichten trachten. Schwermut sei letztlich ähnlich gespal- ten wie Verzweiflung selbst. Diese „Trümmer von Schwermut“ sind es, denen Adorno die Hoff- nung gesellt. Am deutlichsten sei diese in der „Sphäre“ des Ästhetischen zu erkennen, wo sie sich dem „Widersinn der Wünsche“ zur Seite stellt. Hoffnung gerade im Bereich des Ästhetischen zeigt für Adorno: „Die Sphärenordnung kehrt sich um.“55 Die Schwermut des Ästhetischen gibt sich als „verstellt-utopischer Wunsch“ nach Seligkeit. Für Adorno noch immer auf den reinen Geist redu- ziert, zeigt sich diese Hoffnung als Illusion: „Sie hat aber als Wunsch nach Seligkeit ihren Gehalt nicht im Unendlichen sondern in einer Endlichkeit, die, als sperrende Wand selbst, Leib und Nah- men besser rettet als der offene Horizont des Gedankens, in dem sie verfließen.“56 So gilt es denn für Adorno, Ästhetik der Subjektivität als dem ‚wie‘ zu entreißen und als „...Zelle eines Materia- lismus, der ‚nach einer besseren Welt‘ sich umsieht...“57, nach ihren Gehalten zu konstituieren. Durch die Art der Mitteilung Kierkegaards, die nach Adornos Einteilung zu den Bedeutungen des Terminus ‚Ästhetik‘ zählt, sei Kunst selbst entwertet, ja Kierkegaard sei Kunstfeind. Durch Mittei- lung sei die Form, welche einem Inhalt durch einen Mitteilenden aufgeprägt wird, vernichtet; han- delt es sich doch kaum mehr um den Inhalt, sondern dem Hauptmaß nach um die Mitteilung selbst. Die in dieser Form mitgeteilten „entfremdeten, verstummten Gehalte“ entsagten, so Adorno, der „Verbindlichkeit“ und würden lediglich im Bereich der objektlosen Innerlichkeit, im Subjekt also, agieren. Daher auch der Schluß der ‚monologisierenden Mitteilung‘. Hat doch dieses Bemühen um den Nächsten seinen Platz ebenso im Intérieur wie alle anderen Objekte auch. „Das Wie der Mittei- lung bleibt subjektives Surrogat für die zwangvolle Erscheinungsweise von Ontologie, die in Abs- traktheit unterzugehen droht.“58 Spricht Adorno der Philosophie insgesamt das Recht auch nicht ab, Wahrheit vermöge es, sich durch den Schein darstellen zu lassen, so sei dieser bei Kierkegaard doch als kontingent verworfen, motiviert durch „...die Idee der scheinlosen Selbstdarstellung von Wahrheit...“59. Daraus erklärt Adorno die Kunstfeindschaft Kierkegaards, die nur konsequent sei. In der Phantasie sieht Adorno die Möglichkeit, die Welt in ihrem Elend idealistisch und damit nicht real zu denken. Hier ist für ihn der Ansatzpunkt zur Hoffnung, die eine Welt im Glanze erstrahlen lassen kann und Motivation zur Veränderung gibt. Was Existenz, da notwendig verzweifelnd, nicht kann, vermag Phantasie in ihrer nur scheinbaren Schwäche: sie „...reicht hin, Verzweiflung ins Wesenlose aufzulösen, [...] ist deren Bürgschaft für Hoffnung.“60 Trotz aller ‚Nichtigkeit‘ des ob- jektlosen, als Totalität gesetzten, immanenten Subjekts konstatiert Adorno die Möglichkeit eines Wunsches, einer Sehnsucht in Kierkegaards Philosophie. Um Worte wie „...der Schritt aus Trauer in Trost ist nicht der größte sondern der kleinste“61, in denen sich das (selbst verzweifelte) Postulat nach Hoffnung ausspricht, zu verstehen, ist ein Blick auf die Philosophie Adornos, seiner Idee zur Funktion der Ästhetik notwendig.

II.2. Utopie und Hoffnung

II.2.1. Kontext

Nachdem Adorno in seiner Schrift die „kunstreich verkleidete Nichtigkeit“ aufgezeigt zu haben glaubt, stellt sich die Frage nach dem Sinn dieser „Entsubstanziierung Kierkegaards“.62 Durch das Wörtlichnehmen der Metaphern Kierkegaards wird seine Abhängigkeit zur Geschichte erwiesen, sowie ein Aufscheinen von Wunsch und Sehnsucht nach Versöhnung. Dieses mittels der Kritik an Kierkegaard erstellt zu haben ist das Verdienst Adornos, werden an seine Methode keine Fragen gestellt. Warum er es tat, erläutert er selbst in der zum Habilitationsverfahren gehörenden Antritts- vorlesung Die Aktualit ä t der Philosophie 63. Einleitend schreibt Adorno: „Wer heute philosophische Arbeit als Beruf wählt, muß von Anbeginn auf die Illusion verzichten, mit der früher die philoso- phischen Entwürfe einsetzten: daß es möglich sei, in Kraft des Denkens die Totalität des Wirkli- chen zu ergreifen. Keine rechtfertigende Vernunft könnte sich selbst in einer Wirklichkeit wieder- finden, deren Ordnung und Gestalt jeden Anspruch der Vernunft niederschlägt; allein polemisch bietet sie dem Erkennenden als ganze Wirklichkeit sich dar, während sie nur in Spuren und Trüm- mern die Hoffnung gewährt, einmal zur richtigen und gerechten Wirklichkeit zu geraten.“64 Ein- deutig zu erkennen ist hier die kritische Distanzierung zum Idealismus, der ja wesentlich system- bildend ist und damit auch zu Kierkegaard, den Adorno aufgrund seiner Kategorien als Idealist, mit dem „Intérieur“ als „ontologisch verstellt“ identifizierte. Hier wird der „...Begriff der Totalität selbst [...] zweifelhaft. Der Verdacht stellt sich ein, daß sie Trug ist, ein Gespinst, hervorgebracht von einer bloß subjektiven Vernunft, die ihren Anspruch auf totale Herrschaft ausgibt als objektive Totalität.“65 Die „Frage nach Sein“ hat sich nach Adorno als die „unradikalste Frage“ erwiesen durch die Unmöglichkeit, Wirklichkeit und Idee von Sein - induktiv oder deduktiv - einander zu- gänglich zu machen. Somit gegen den Idealismus Hegels, der das Seiende mit Vernunft identifi- ziert („Das Wahre ist das Ganze“66 ) und Heidegger, der Ontologie neu zu entwerfen trachtete („Die Frage nach dem Sinn von Sein soll gestellt werden.“67 ) geht die Kritik ebenso gegen Kierkegaard, dem für Adorno Sein nach Denken sich richtet, der also Sein und Denken als kompatible Größen ausgibt. Aus dieser Kritik entwickelt Adorno eine Philosophie, die sich als ‚Deutung‘ gibt.68 Deu- tung meint, in Anlehnung an Husserls phänomenologische Methode, zur Wirklichkeit zu gelangen, ohne sie durch subjektive Vernunft zum System zu verfälschen. „Philosophische Deutung muß also in der diesseitigen Welt der Erscheinungen konstruiert werden, ...“69 will sie nicht einer solchen Verfälschung zum Opfer werden. Verfälschung äußerte sich in einer Spekulation, die Wahrheit, wie es der Idealismus tat, in einer Welt hinter der Welt, dem Reich der ewigen Ideen sucht. Hier meint Adorno ebenso Husserl überwunden, der seine Methode auf subjektiver Vernunft begründete. Der Ausschluß jeder kategorialen Ableitung bringt Adorno zur Geschichte als Einzigem, das übrig blieb - und damit zur Methode der Empirie. In seiner Ausführung gibt sich dies als eine Art philosophische Soziologie durch die Forderung nach „exakter Phantasie“, „...die streng in dem Material verbleibt, das die Wissenschaften ihr darbieten, und allein in den kleinsten Zügen ihrer Anordnung über sie hinausgreift...“70 Das sind die Konstituenten für Adornos Kierkegaardkritik ebenso wie für sein Programm der Gesellschaftskritik, der ‚kritischen Theorie‘. Diese wendet sich reflexiv auf die sozialen Existenzbedingungen eben auch der Philosophie. Daher sei „Kritik an der Gesellschaft [...] Erkenntniskritik und umgekehrt.“71

II.2.2. Gesellschaft

Der von Adorno erarbeitete Gesellschaftsbegriff bildet die Ursache für seine Auffassung von Ästhetik. Diesen Begriff detailliert darzustellen, seine philosophischen Grundlagen aufzuzeigen, liegt nicht im Rahmen dieser Arbeit, dieses nur zum Ausblick dienenden Kapitels; nur einige für die Ästhetik relevante Grundgedanken sollen hier genannt sein.

Für Adorno erscheint Gesellschaft in einem ökonomischen Zwangsgefüge. Das Individuum ist existent lediglich in einem Kreislauf der Produktion, seine Tätigkeit das Erstellen eines Mehrwer- tes, der dem Produzierenden unzugänglich bleibt. Dieser besteht aus der Differenz des Tauschwer- tes der Arbeitskraft (Lohn) und dem Wert des Produktes (Umsatz durch Verkauf). Hier ist der tra- gende Kern der Funktionsweise der Gesellschaft, „...die aber letzten Endes von Statik kaum zu unterscheiden ist, weil die gesellschaftliche Produktion eben nicht in erster Linie von den Bedürf- nissen der Menschen bestimmt wird, sondern vom Verwertungsinteresse.“72 Diese auf Tauschwert konzentrierten Deutungen gelten für Adorno uneingeschränkt, so daß nichts mehr ‚für sich‘ bestand hat, sondern nur noch ‚für anderes‘ ist; hier ist die „Profitgier“ anzusiedeln. Entgegen Marx sieht Adorno im Bewußtsein der Arbeitskräfte keine Möglichkeit, diese kapitalistischen, notwendig un- gerechten Verhältnisse zu überwinden. Eine erster Ansatz zur Veränderung der angeklagten Ver- hältnisse besteht lediglich in der Kritik eben dieser. Hierzu ist Adorno bereit, ein Stück - von her- kömmlicher strikt getrennter - Metaphysik (das minimale Hinausschreiten über gegebene Fakten) zu bemühen, welche Einblicke in die Strukturgesetzte der Gesellschaft formal zu begründen im- stande ist.

Eine Vermittlung zwischen Individuum und dem gesellschaftlichen Gefüge als Ganzem ist für A- dorno unter diesen Bedingungen zum Scheitern verurteilt. In seiner „negativen Theorie“ sucht er die Gründe für dieses Scheitern zu klären. „Negativ“, da es ihm nicht um konkrete Lösungsversu- che als vielmehr um den Grund dieser Unvereinbarkeit geht. Das weist auf einen Begriff des Indi- viduums hin, welches nicht gefaßt werden kann als eine transzendente oder subjektive, in sich im- manente Persönlichkeit, sondern als „...Subjekt des ökonomischen und kulturellen Gesche- hens...“73, das als geschichtlich bedingtes sich erweist. In dieser Historie wird das Individuum durch als Norm gesetzte Konventionen bedrängt, die es, als konkrete Person, nicht einzulösen ver- mag. Diese Norm ist der radikale Leistungsdruck, unbekümmert um allgemein menschliche Inte- ressen. Hier liegt die Gefahr, daß „...dem total verinnerlichten Individuum Wirklichkeit Schein und Schein Wirklichkeit [wird]. Indem es seine vereinzelte, von der Gesellschaft abhängige, ja wider- ruflich tolerierte Existenz absolut setzt, macht es sich zur absoluten Phrase, zum [...] ‚Einzigen‘.“74 Für Adorno gefaßt ist diese Vorstellung vom Individuum unter dem Begriff „Ideologie“, erweist es sich als historische Größe doch auch als vergänglich und kann also nicht, wie er kritisiert, als abso- lut gesetzt werden. Um Gesellschaft zu verändern, sei ein Bilderverbot zur Schilderung der Utopie gegeben, setzten diese Vorstellungen doch die bestehenden Verhältnisse voraus und wären dem- nach in diesen angelegt. Dennoch muß einen Traum haben, wer verändern will. Die Äußerung wäre zu wissen, was an der Gesellschaft „falsch“ ist, ohne zu wissen, was „richtig“ wäre. Das bezeichnet der Begriff „negativ“.

Um aus dem Zwangsgefüge der Zweck-Mittel-Rationalität einen Ausweg zu finden und zu einer befriedeten, humanen, kontemplativen Gesellschaft zu gelangen, setzt Adorno die Kunst als Potentialträger der Hoffnung.75

II.2.3. Kunst

Den Ästhetikbegriff Adornos zur Darstellung zu bringen ist hier nicht nötig, da dieses dem Bezug zur Kierkegaardinterpretation nicht entspräche. Gesagt werden soll nur, was den Versuch, die Äs- thetik über Kierkegaard hinwegzuretten, ausmacht, welches der Zusammenhang im sozialkritischen Ansatz Adornos ist.

Die Produktion von Kunst sei nur darum von negativem Charakter, da sie sich von den Maßstäben des Nutzens nicht beeinflussen lasse. Darin liegt das Potential der Kunst: „Kunstwerke sind die Statthalter der nicht länger vom Tausch verunstalteten Dinge, des nicht durch den Profit und das falsche Bedürfnis der entwürdigten Menschheit Zugerichteten. [...] Eine befreite Gesellschaft wäre [...] jenseits der Zweck-Mittel-Rationalität des Nutzens. Das chiffriert sich in der Kunst und ist ihr gesellschaftlicher Sprengkopf.“76 Genau dieses Herausfallen aus den zwingenden Mechanismen der Leistungsgesellschaft, dem die Dinge verfremdenden Tauschwert macht Kunst tauglich zur Ver- mittlung von Utopie.

Die Utopie ist die von einer vernünftig eingerichteten Gesellschaft. Je mehr also die gegenwärtige Gesellschaft den Individuen Leid zufügt, um so mehr ist der Utopiecharakter in der Kunst zu er- kennen. Kunst ist wesentlich motiviert als der Ausdruck für Leid. Wäre dessen Ursache, die „fal- sche“ Gesellschaft verändert, würde Kunst selber überflüssig. Utopisch an der Kunst ist das Ver- sprechen des Glücks durch das Schöne. Erfüllte sich diese Prognose der Kunst, wäre dies das Ende der Kunst: „...wahre und scheinlose [Schönheit] [...] stellt Schönheit nicht in der Synthesis aller Werke, der Einheit der Künste und der Kunst sich dar, sondern bloß leibhaft und wirklich: im Un- tergang von Kunst selber.“77 Wohl gibt es eine zweite Bedeutung der Kunst, diese ist aber lediglich „...die unreflektierte, im abscheulichen Sinn realistische Bestätigung und Verdopplung dessen, was ist.“78 Auf Kant geht die Konzeption der Ästhetik Adornos zurück, der an Kunst Zweckmäßigkeit nicht als Zwang wahrnehmen will. Schönheit wird zum nicht wahrgenommenen Zweck des Schön- seins, der Zweck wird gewaltfrei.79

Scheible sieht hier (in Bezug auf die Dialektik der Aufkl ä rung) den Ansatz zur „...Versöhnung von Mimesis und Rationalität...“80, nachdem sich das Bild einer friedvollen Gesellschaft bei Adorno gestaltet. Einer Vernunft, die zum Kalkül von Wirtschaft und Profit pervertiert ist, wird die Kunst als die ursprünglichen Interessen des Menschen wiederholendes Spektrum genutzt, um den ökono- mischen Zwängen zu entkommen. Da ein ästhetisches Urteil notwendig subjektiv ist und einen- nicht rational begründbaren- Anspruch auf allgemeine Gültigkeit stellt, sei in der Kunst die Möglichkeit angelegt, den Antagonismus zwischen Individuum und Gesellschaft zu schlichten.81 Mag sein, daß durch die Kulturindustrie, die planmäßige Vermarktung von Kunst, das Individuum geradezu gezwungen werde zur Utopie, so stellt sich die Frage nach eben dieser Kommerzialisie- rung neu im Zeitalter der durch Mittelkürzung zum Verwerten von Kunstobjekten genötigten Mu- seen. Ob in diesen die Kunst tatsächlich noch den Ansatz zur Utopie bieten kann oder dieser nicht vielmehr von den Entfremdungen durch den wieder adäquaten Begriff des Tauschwertes verwischt werde, wird zweifelhaft im Angesicht der Notwendigkeit, diese zu verkaufen.82

III. Søren Kierkegaard

(Die ethische und die ethisch-religiöse Mitteilung)

III.1. Das Problem der Darstellung

In Gegenüberstellung zur ethisch-religi ö sen Mitteilung sollte der Ansatz Adornos Kierkegaardin- terpretation auf seine Rechtfertigung gegenüber dieser geprüft werden. Das sich ergebende Prob- lem ist die indirekte Mitteilung; wollte man sie ernst nehmen, dürfte sie nicht von ihrem Material, ihrer Ausführung getrennt werden. So auch Fahrenbach: „ Dieser Mitteilungssinn stellt aber ein eigenes Problem dar, sofern sich Selbstsein schlechterdings nicht ‚direkt‘ übermitteln läßt...“83 Ge- rade das war es, was Kierkegaard als „...die Verwirrung in der neueren Zeit...“84 kritisierte, nämlich daß es scheinbar möglich geworden ist, die Methode von ihrer Ausführung im Material zu trennen: „...wenn etwas, das als Wissenschaft mitgeteilt werden sollte, als Kunst mitgeteilt wird [...], aber auch, wenn, was als Kunst mitgeteilt werden sollte, als Wissenschaft mitgeteilt wird...“85. Die von Kierkegaard selbst aus eben diesem Grund, daß er sich in der begrifflich systematischen Ausfüh- rung seiner Idee der Mitteilung widersprochen hätte, nicht zur Veröffentlichung gebrachten Tage- buchaufzeichnungen hier zu referieren, müßte also eben diesem Fehler zum Opfer fallen.86

Unter Bezug des angekündigten Themas bedeutete es scheinbar gar, sich notwendig auf den analy- tisch materialistischen Ansatz Adornos einzulassen. Um dennoch das Programm dieser Arbeit aus- führen zu können, soll verwiesen sein auf den historischen Materialismus Adornos. Demgegenüber scheint die sich selbst widersprechende Darstellung der indirekten Mitteilung als Pflicht, will man sich nicht mit Stillschweigen gegenüber dem Zerlegen selbst die Möglichkeit nehmen, Kierkegaard und seine Mitteilung ernst zu nehmen. Der Widerspruch, die Idee der indirekten Mitteilung auf direktem Wege darzustellen wird akzeptiert, um Kierkegaard nicht aufgeben zu müssen. Kierke- gaard selbst, so Hagemann, meint eben diesen Widerspruch in der Darstellung der Mitteilung dann überwunden, wenn „Eine direkte Mitteilung über die indirekte [..] diese unterstützen oder gar Be- standteil derselben sein...“87 könne. Doch stellt sich das Problem dann erneut, wird doch die Art der Mitteilung zum Gegenstand eben dieser gemacht, die Mitteilung würde sich selbst zum Gegens- tand, wäre Methode und Inhalt zugleich. Dies zur Darstellung zu bringen könnte vielleicht einen ersten Eindruck von der Wirksamkeit der Mitteilung vermitteln, taugt aber eigentlich nicht zu deren Verteidigung, da sie sich selbst im Widerspruch vernichtet. Darum ist der Grundgedanke der Mit- teilung von den verschiedenen Pseudonymen Kierkegaards nur im Bereich ihrer psychologischen Tragweite dargestellt, niemals jedoch systematisch ausformuliert88.

Dies mag auch als Argument gegen die These gelten, die mit ‚Søren Kierkegaard‘ als Verfasser und Herausgeber genannten Schriften Kierkegaards könnten zur pseudonymen Schriftstellerei ge- zählt werden. ‚Kierkegaard‘ würde hier nivelliert in der Zuordnung unter die Reihe seiner Pseudo- nyme, welche psychologische Extreme darstellen. Damit aber wäre die Dialektik im Gesamtbild des Kierkegaardschen Werkes in sich zurückgedrängt, der „Sprung“ in den (das) Glauben nicht mehr möglich. Kierkegaard hätte dann gemäß seiner Mitteilung keine erbauliche Rede schreiben dürfen.

Darum das Zugeständnis an den Verlust der Positivität, wird die Mitteilung als Methode von ihrem ausgeführten Programm in Kierkegaards schriftstellerischem Werk getrennt; was getan werden muß, um eben dieser Positivität den Platz zu erhalten. Die scheinbare Systematik in der Theorie der Mitteilung läßt sich, wie auch Liessmann bemerkt, nicht verabsolutieren: „Das widerspräche der innersten Intention [...] [Kierkegaardschen] Denkens genauso wie den Formen, die er diesem Den- ken gegeben hat.“89 Der Anspruch, Kierkegaards Art der Mitteilung zu vermitteln wie Kierke- gaards Idee es verlangt, kann also nicht gestellt werden. Nur als negative Theorie kann sie hier dargestellt werden.

III.2. Der Einzelne

Zum Einzelnen hin gelangt Kierkegaard über eine Analyse des möglichen Wahrheitsanspruches von ‚Menge‘. Gemeint ist hiermit der heute gängige Begriff der Masse. Die Dialektik sagt, daß Menge nicht die entscheidende Instanz sein kann, geht es um eine Wahrheit, die den Einzelnen, das Individuum betrifft. Zwar kann die Menge allgemeine Entscheidungen fällen; was aber den Einzel- nen in seiner Existenz angeht, ist der Entscheidung der Menge, dem demokratischen Abstimmen, entzogen. Unter Berufung auf Paulus schreibt Kierkegaard: „Nur Einer gelangt zum Ziel.“90 Das meint für ihn, das die Existenz das ausschlaggebende Kriterium zur Bestimmung von Wahrheit ist. Inhaltlich sind es die Kategorien der Reue und der Verantwortung, welche den Einzelnen ausma- chen. Und eben dieser Einzelne ist es, dem die Ewigkeit, so er sich dafür entscheidet, möglich wer- den kann. Diese Kategorien werden von der abstrakten Menge notwendig negiert, hat diese doch als numerische nicht die Möglichkeit, in Existenz ein Gewissen zu erleben. Daher sind Entschei- dungen über Moral, die in den Bereich der individuellen Existenz fällt, der Menge inkommensura- bel.

Gleichheit unter den Menschen fordert Kierkegaard mit den Worten, daß „...davon ein Einzelner zu sein, [...] niemand, niemand ausgeschlossen [ist], außer dem, der sich selbst ausschließt indem er viele wird.“91 Diesem einzelnen Subjekt ist das Denken Kierkegaards gewidmet. Dieses zu errei- chen, in der Annahme, daß „...die Wahrheit des Menschen sich nur und ausschließlich in seiner Einzelheit erweist, und daß er nur dort, wo die Einzelheit angesprochen wird, sein Menschsein leben kann.“92, hat Kierkegaard die Dialektik der ethischen und der ethisch-religi ö sen Mitteilung erdacht, um nicht nur von Menschlichkeit zu reden, sondern diese im eigenen Werk auch umzuset- zen

III.3. Die ethische Idee

Der von Menschlichkeit lediglich Redende würde nach Kierkegaards Begriff der Mitteilung eben das tun, was er konsequent kritisiert: „Die ganze moderne Wissenschaft vom Ethischen ist ethisch verstanden, eine Ausflucht.“93 Gemeint ist, daß ethisches Verhalten nicht im strengen Sinne gelehrt werden kann, ethisches Verhalten muß ausgeführt werden. Die Lehre der Ethik, welche Kierke- gaard als untrennbar von ihrem Gehalt betrachtet, kann also nicht in einer Weise mitgeteilt werden, wie es die „Bücher-Welt“, indem sie „...die Kräfte aus der Menschen-Welt...“, zieht vollbringt.94 Um eine Ethik nach seinen Vorstellungen zur Anwendung bringen zu können, ist eine notwendige Voraussetzung, „...daß [...] jeder Mensch dies [Ethische] kata dunamin ist.“95 Erst dann ist eine Ethik in der Lage, durch den Mitteilenden über das Mitgeteilte zum Empfänger zu gelangen und das in ihm bereits angelegte Ethische zur ‚Geburt‘ zu bringen. Dem entspricht der Begriff der „Maieutik“ bei Kierkegaard. Deutlich wird, wie sehr Kierkegaard hiermit seiner Kategorie des Einzelnen gerecht wird, kann sich eine solche Mitteilung doch einzig an ein einzelnes Subjekt rich- ten. Diese Mitteilung steht im krassesten Gegensatz zu einem spekulativ objektiven Denken, wel- ches das Subjekt, das denkt, ignoriert. Daher die Worte über „..die Wahrheit der Aneignung.“96 Über dieses objektive Denken sei den Menschen der Sinn für die „Primitivität“ verlorengegangen. „Primitivität“ heißt für Kierkegaard die „...Revision des Fundamentalen.“97 Fundamental ist für ihn die Frage nach dem ‚Wie‘ der Mitteilung, welche in der modernen Zeit durch Gewöhnung verlo- rengegangen ist. Diese Frage zu vernachlässigen ist „... die Unredlichkeit der modernen Zeit... “ 98 , die sich über diese Fragestellungen längst hinaus vermeint.

Wie sich nun aber das Ethische zur Mitteilung bringen läßt, hat Kierkegaard durchdacht in der indi- rekten Mitteilung, und „Weil ja das Ethische fordert, daß jeder Mensch es in jedem Augenblick verwirklichen soll...“99, es aber nicht direkt mitgeteilt werden kann, muß „Das Ethische [...] als Kunst mitgeteilt werden, eben darum, weil jeder es weiß“100, aber noch nicht jeder es realisiert hat.

III.4. Wissen und Können

Die der Mitteilung zugrunde liegende Unterscheidung ist die zwischen dem Gegenstand und der Mitteilung. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich die ganze Sprachtheorie Kierkegaards. Um aber nicht in die zu kritisierende „Wissens-Mitteilung“ verfallen zu müssen, wird im sich ergeben- den Feld eine zentrale Rolle dem Mitteiler und, für Kierkegaards Schriftstellerei das Merkmal schlechthin, der Empfänger. Somit denkt Kierkegaard in seiner Mitteilung „...ein Vierfaches: 1)

den Gegenstand, 2) den Mitteiler, 3) den Empf ä nger, 4) die Mitteilung.“101

Die sich ergebenden Möglichkeiten der Reflexion faßt Kierkegaard unter den Begriffen (1.) „Wissens-Mitteilung“, was der ausschließlichen Reflexion auf den Gegenstand entspricht und der „Könnens-Mitteilung“, der die Möglichkeit eingeräumt wird, ohne Gegenstand auszukommen, reflektiert sie doch einzig auf die Mitteilung selbst.

Ohne jeden Gegenstand auszukommen meint wohl, daß der Gegenstand, welcher mitgeteilt wird, der „Könnens-Mitteilung“ unterstellt ist, dieser nur zur Hilfe steht. Irgendeinen Gegenstand muß diese Mitteilung, wie ich denke haben, auch wenn dieser nicht sich selbst meint. Selbst wenn die Mitteilung des Könnens jeden anderen Gegenstand ausschließt und nur sich selbst mitteilt, hat sie sich selbst zum Gegenstand gemacht, hat also einen Gegenstand. Dies aber ist ein Widerspruch, da hiermit die Möglichkeit indirekter Mitteilung aufgehoben ist; müßte hier doch das Direkte indirekt mitgeteilt werden. Damit aber wäre der Sprung zur Quantität, zur „Wissens-Mitteilung“ vollzogen: „Und dieses ist wiederum die Verirrung der Moderne, vollständig vergessen zu haben, daß es eine Mitteilung gibt, die Könnens-Mitteilung heißt, daß man diese ganz abgeschafft hat, oder wohl so- gar unsinnigerweise das, was als Können mitgeteilt werden soll, als Wissen mitgeteilt hat...“102 Kierkegaards Idee meint also nicht absolute Gegenstandslosigkeit als vielmehr die dem Gegenstand übergeordnete Reflexion auf die Mitteilung als Totalität.

Die von Kierkegaard etablierte (2.) Könnens-Mitteilung verlangt gerade diese Gegenstandslosigkeit, denn wenn „...nicht auf den Gegenstand reflektiert werden kann...“, kann nur „...auf die Mitteilung reflektiert...“ werden.103 Diese gegenstandslose Mitteilung wird unterschieden nach dem Gewicht der Beteiligten, also von Mitteiler und Empfänger.

Stehen beide in einem (2.a) gleichberechtigten Verhältnis, entsteht „...die eigentliche KunstMitteilung...“, welche „...wesentlich indirekt“ ist.104

Wird (2.b) der Empfänger absolut und der Mitteiler in Indifferenz zu diesem gesetzt, so daß „Der Mitteiler verschwindet...“, ist die ethische Mitteilung erreicht, welche „...nicht in Richtung auf Wissen, sondern auf Können“ zielt.105 Leisten kann sie, den Empfänger zur Selbstwahl (das Kier- kegaardsche gnwJi seauton) zu bringen. Hat sich dieser nun abstrakt gewählt, hat er die Mög- lichkeit, sich zu entscheiden. Innerhalb dieser Entscheidung, was das Entscheiden in der Realität ist, kann aber noch nicht festgelegt sein, ob positiv oder negativ entschieden wird.106

Ihre Kulmination findet die „Könnens-Mitteilung“ (2.c) „Wenn die ethische Mitteilung zugleich ein Wissensmoment in sich als ihr erstes hat...“107 In dieser Mitteilung wird gleichermaßen auf den Empfänger reflektiert, was ihr „Können“-Moment ist, als auch auf ein mitzuteilendes Wissen, welches in der Unterordnung zum „Können“ einem „Können-Sollen“ entspricht. Das mitzuteilende Wissen kommt vom Mitteiler, der selbst in dem ist, was er lehrt. Dieser Mitteiler reflektiert nun ebenso in sich selbst zurück, wie er auf das Mitzuteilende, das Wissen, reflektiert; dies ist der Begriff der „Doppel-Reflexion“. Diese Form der Mitteilung wird von Kierkegaard gekennzeichnet als „...direkt-indirekt...“108. Hier erlangt die Mitteilung ihren Höhepunkt im subjektiven Aneignen der objektiv nicht lehrbaren, dennoch vermittelten Gehalte durch den Empfänger. Erst mit Hilfe dieser Mitteilung wird für Kierkegaard das große Programm möglich, „...so viele wie möglich, womöglich alle dahin zu bringen, daß sie aufs Christentum eingehen...“109

Zur Aktualität (um nicht den Begriff der Ewigkeit zu strapazieren) der Kierkegaardschen Gedanken zur Mitteilung sei auf die modernere Kommunikationspsychologie hingewiesen, die zum Grundgedanken -in abgewandelter, empiristischer Form- eben jenen Aspekt hat, der bei Kierkegaard ‚Gegenstandslosigkeit in der Mitteilung‘ genannt ist.110

IV. Adorno contra Kierkegaard

(Was gegen Adorno spricht)

IV.1. Zwischenstück

Mit diesem Hintergrund ist Kierkegaards umfangreiches Werk zu erklären. Den dichterischen Cha- rakter erhält es dadurch, daß die zur Darstellung der Existenzsphären durch Kierkegaard erdachten Pseudonyme eben nicht darauf aus sind, einen bestimmbaren Gehalt objektiv vorzutragen. Die Pseudonyme müssen vielmehr als die Mitteiler gelten, die jeden einzelnen Leser direkt ansprechen, durch die Kierkegaard den einzelnen Leser indirekt anspricht. Gerade dadurch, daß Kierkegaard den Einzelnen derart radikal anspricht, ist sein Werk selbst (das pseudonym verfaßte) indirekt und muß dies sogar sein, um nicht zu einer von ihm abgelehnten Massenmitteilung zu entarten. Eben jener Einzelne ist es, auf den Kierkegaard hinaus oder vielmehr - in den er hinein wollte.

Um die These dieser Arbeit, Adornos Interpretation werde unter Bezug auf die Art der Mitteilung in Kierkegaards Werk nicht standhalten können, zu einem argumentativen Ende zu bringen, ist der folgende Teil angelegt.

bringen kann, jedoch nicht zum konkreten Entschluß, da ethische Mitteilung hier objektiv argumentieren muß und damit die Aneignung durch das Subjekt ausschließt. )

IV.2. Gegenständlichkeit

Zu bemerken ist, daß der von Kierkegaard gewählte Oberbegriff ‚ indirekte Mitteilung ‘ den Vorwurf der Äquivokation, den Adorno macht, nichtig erscheinen läßt, ist dieser Titel doch formal eindeutig nicht der Begriff ‚Ästhetik‘.111

Doch ist das eigentliche Argument gegen Adorno ein anderes. Der Vorwurf der Äquivokation ist nur zu verstehen unter der von Adorno gestellten Bedingung nach Wörtlichkeit, „...dem stimmigen Zusammenhang der Begriffe...“112. Damit Philosophie ihrem Formgesetz gerecht werden kann, muß sie die Wirklichkeit einsichtig begründen, fordert Adorno. Damit hat er jedoch schon im An- satz gegen Kierkegaards Mitteilung gesprochen, die es eben ihrer Gehalte wegen nicht zuläßt, di- rekt, also abstrakt und objektiv gegenständlich zu werden. Gegenständlichkeit ist aber, wie in der Antrittsvorlesung Zur Aktualit ä t der Philosophie bereits angedeutet, notwendig für eine deutend verfahrende Philosophie, wie Adorno sie entwarf.113 Wenn Kierkegaards Mitteilung in ihrer Aus- führung allgemein mitteilbar würde, wäre ausgeschlossen, daß ein Subjekt sich fände, welches den Gehalt sich aneignen könnte. Was Kierkegaard will, wirft Adorno ihm mit dem Terminus „esote- risch“ vor. Dieser Gehalt ist nicht direkt mitteilbar. Nur unter der Voraussetzung, Kierkegaard müsse sich geschichtlich als Philosoph bewähren, was er selbst nie gefordert hat, kann Adorno die Mitteilung umgehen und Kierkegaard auf die dargestellte Weise analysieren, die ihren Wesenszug in der Forderung nach allgemeiner Mitteilbarkeit trägt. Durch das Aufgeben der Kategorie des Ein- zelnen im Umgehen der indirekten Mitteilung verliert Kierkegaards zentrale Kategorie jede Wirk- samkeit. Adorno hat Kierkegaard zum Wissenschaftlich-Mitteilbaren Denker gemacht.

IV.3. Kierkegaard geschichtlich

Die von Adorno nachgewiesene Abhängigkeit zur Geschichte wird ungültig, ist diese doch auf genau die Weise ein Faktum, wie Adorno es beschreibt. Kierkegaard hat diese auswendige Ge- schichte nicht in Frage gestellt, einzig unter der Bezugnahme der Mitteilung ordnen sich die in Historie angelegten Objekte jener unter, werden zum Vehikel einer Mitteilung, deren Wahrheitsan- spruch nicht ist, die Geschichte zu bewältigen, sondern zum Einzelnen hin sich zu bewegen. Dies ist die Stelle, an der Adorno die „objektlose Innerlichkeit“ von auswendiger Geschichte, sind ihre Gegenstände doch in dieser gelegen, erreicht und damit widerlegt glaubt. Kierkegaards Gedanke in der Ausführung seiner Mitteilung war jedoch, den Einzelnen zur Geschichte zu bringen wenn es heißt, daß es „...eine zukünftige Zeit gibt, so wahr es [...] ein Entweder-Oder“114, also ein Ent- scheiden gibt. Entschieden werden muß sich vorerst dafür, überhaupt Entscheidungen zu treffen. Damit ist der Einzelne keineswegs aus der realen Geschichte genommen, er wird erst zu dieser gebracht, lernt den adäquaten Umgang mit ihr. Das ist auch Liessmanns These, der im in der Ge- sellschaft lebenden Individuum den „Träger dieser Perspektive“ sieht.115

IV.4. Pseudonym

Nur aufgrund der Forderung nach Wörtlichkeit ist es möglich, die Ästhetik als äquivok zu denun- zieren. Und es ist eben dieses Wörtlichnehmen, welches ausgeführt nicht mehr in der Lage ist, die wesentliche Differenzierung innerhalb der Mitteilung Kierkegaards vorzunehmen. Die einzig noch mögliche Erkenntnis bleibt auf dem Niveau der Mitteilung vom Pseudonym an den Rezipienten. Darum ist es auch für Adorno möglich, die vom Ästhetiker mitgeteilte Theorie zu kritisieren; was verlorengeht ist die indirekte Aussage, die Kierkegaard diesem Lebensstadium beigemessen hat, und mit dessen Darstellung er den Rezipienten (in Auseinandersetzung mit dem ethischen Stadium) gerade dazu bringen wollte, über dieses Stadium hinauszuwachsen. Die Dialektik ist im Werk also eine mehrdimensionale: (1.a) die dialektischen Bewegungen zwischen den Stadien, (1.b) die dialektische Bewegung zwischen den Pseudonymen im Werkzusammenhang (2.a) die Ebene vom Pseudonym zum Rezipienten mit ihren indirekten Aussagen, (2.b) die vom Pseudonym zum Rezi- pienten mit ihrer direkten Aussage, (3) die Mitteilung Kierkegaards durch die Pseudonyme hin- durch zum Rezipienten. Darum sind die Pseudonyme nicht nur „...ästhetische Figuren [...] einzig [zur] Illustration seiner philosophischen Kategorien...“116.

V. Zum Ende

Der vorliegenden Arbeit könnte der Einwand gemacht werden, sie würde sich notwendig auf die Auseinandersetzung mit dem kritischen Geiste eingelassen haben, sobald sie von Kierkegaard schreibt und damit eine zur Kritik grundlegende Forderung Adornos Interpretation angenommen zu haben, obwohl dieser gegenüber Kierkegaard als verfehlt gelten muß. Das scheint sich in einer Weise zu widersprechen, die für eine Interpretation wie diese unzulässig ist. (1) Dazu sei gesagt, daß diese Arbeit sich zwar auf die Forderung Adornos in diesem Sinne eingelassen hat, Adorno aber in seiner Schrift den Anspruch auch nicht gestellt hat, den Einzelnen zu erreichen. Vielmehr müßte die Schrift Adornos unter den Bereich der Wissens-Mitteilung gezählt werden, stellt sie doch den Anspruch, allgemein Mitteilbar zu sein. Diesen Anspruch mußte Adorno auch gestellt haben, um sich selbst in zweifacher Hinsicht gerecht zu werden. Zum einen veranschlagt er selbst dieses Maß an Mitteilbarkeit und würde sich andernfalls auch widersprochen haben, zum anderen ist dies, werden die Kategorien faktischer Historie und Wörtlichkeit akzeptiert, der Punkt, von dem aus Kierkegaard am wirksamsten kritisiert werden kann. (2) Als weiterer Versuch, den möglichen Vorwurf zu entkräften, mag gesagt sein, daß diese Arbeit sich nicht mit dem Angriff auf Kierke- gaard, sondern mit dessen Verteidigung befaßt. Wenn auf diesem Wege eine Auseinandersetzung mit dem kritischen Geiste zustandekommt, so ist diese nicht beabsichtigt als vielmehr ein sich Ergebendes.

Zum Schluß sei gesagt, daß sich der Anspruch, Kierkegaard nicht zu interpretieren um seiner Idee der Mitteilung im strengen Sinne Folge zu leisten, heute gewiß nicht realisieren läßt. Wie jeder andere Denker auch ist Kierkegaard eingereiht in die philosophiehistorischen Abhandlungen, ist systematisch kritisiert worden. Dennoch, oder gerade um diesem Fakt den Anschein von indirekter Mitteilung als Möglichkeit zuzusprechen sei gesagt, daß die heute in abgewandelter Form wieder- aufgetauchten Begriffe, wie „Menge“ oder „Wissens-Mitteilung“, eine Besinnung auf den Einzel- nen mehr als nur nahelegen.

[...]


1 Adorno, Theodor W., Kierkegaard-Konstruktion des Ä sthetischen, in: Beitr ä ge zur Philosophie und ihrer Geschichte 2, Tübingen 1933

2 Kierkegaard, Søren, Die Dialektik der ethischen und der ethisch-religi ö sen Mitteilung, hg. v. T. Hagemann, Bodenheim 1997

3 Kierkegaard, Søren, Die Schriften ü ber sich selbst, Gesammelte Werke Abt. 33, hg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes, Gütersloh 1985, S. 96 f.

4 Adorno, Kierkegaard-Konstruktion..., S. 3

5 Ebenda, S. 1

6 Ebenda, S. 1

7 Ebenda, S. 2

8 Ebenda, S. 1

9 Ebenda, S. 4

10 Ebenda, S. 4

11 Vgl. Scheible, Hartmut, Theodor W. Adorno, Reinbek bei Hamburg 1989, S. 65 f.

12 Adorno, Kierkegaard-Konstruktion..., S. 11

13 Ebenda, S. 15

14 Ebenda, S. 15

15 Ebenda, S. 28

16 Ebenda, S. 31

17 Ebenda, S. 32

18 Ebenda, S. 34

19 Ebenda, S. 35

20 Ebenda, S. 36

21 Ebenda, S. 38

22 Ebenda, S. 44 ff.

23 Kierkegaard, Søren, Entweder-Oder, hg. v. H. Diem und W. Rest, München 1975, S. 351 ff.

24 Adorno, Kierkegaard-Konstruktion..., S. 46

25 Ebenda, S. 59

26 Scheible, Hartmut, Theodor W. Adorno, Reinbek bei Hamburg 1989, S. 64

27 zitiert nach: Schweppenhäuser, Gerhard, Theodor W. Adorno zur Einf ü hrung, Hamburg 1996, S. 83

28 Adorno, Kierkegaard-Konstruktion..., S. 60

29 Ebenda, S. 38

30 Ebenda, S. 61

31 Ebenda, S. 64

32 Ebenda, S. 75

33 Ebenda, S. 66

34 Ebenda, S. 70 ff.

35 Ebenda, S. 79

36 Ebenda, S. 81

37 Ebenda, S. 82

38 Ebenda, S. 83

39 Scheible, Theodor W. Adorno, S. 63

40 Adorno, Kierkegaard-Konstruktion..., S. 98

41 Ebenda, S. 83

42 Ebenda, S. 110

43 Ebenda, S. 102

44 Ebenda, S. 102

45 Ebenda, S. 105

46 Ebenda, S. 120

47 Ebenda, S. 120

48 Ebenda, S. 121

49 Ebenda, S. 123

50 Ebenda, S. 125

51 Ebenda, S. 127

52 Ebenda, S. 132

53 Ebenda, S. 133 f.

54 Ebenda, S. 138

55 Ebenda, S. 139

56 Ebenda, S. 142

57 Ebenda, S. 147

58 Ebenda, S. 151

59 Ebenda, S. 153

60 Ebenda, S. 155

61 Ebenda, S. 159

62 F. J. Brecht, Wiesengrund-Adorno, Theodor, Kierkegaard., in Kant-Studien, Band 40, hg. v. Hans Heyse, Berlin 1935, S. 327

63 Adorno, Theodor W., Die Aktualit ä t der Philosophie, in Philosophische Fr ü hschriften, Gesammelte Schriften, Band 1, hg. v. R. Tiedemann, Frankfurt a. M. 1970-1986, S. 325 ff.

64 Ebenda, S. 325

65 Scheible, Theodor W. Adorno, S. 58

66 zitiert nach: Scheible, Theodor W. Adorno, S. 60

67 Heidegger, Martin, Sein und Zeit, Tübingen 19537, S. 5

68 Vgl. Adorno, Kierkegaard-Konstruktion..., S. 1, Die Aktualit ä t der Philosophie, S. 327

69 Scheible, Theodor W. Adorno, S. 60 f.

70 Adorno, Die Aktualit ä t der Philosophie, S. 342

71 zitiert nach: Schweppenhäuser, Gerhard, Theodor W. Adorno zur Einf ü hrung, Hamburg 1996, S. 72

72 Ebenda, S. 74

73 Ebenda, S. 81

74 zitiert nach: Ebenda, S. 83

75 Vgl. Ebenda, S. 72 ff.

76 Adorno, Theodor W., Ä sthetische Theorie, Frankfurt a. M. 1973, S. 337 f.

77 Adorno, Theodor W., De gustibus est disputandum., in Minima Moralia, Frankfurt a. M. 199723, S. 92 f.

78 Adorno, Ä sthetische Theorie, S. 145

79 Vgl. Schweppenhäuser, Adorno zur Einf ü hrung, S. 122 f.

80 Scheible, Theodor W. Adorno, S. 105

81 Vgl. Ebenda, S. 107 f.

82 Vgl. Rauterberg, Hanno, Friedhof der Kuschelkunst, in: Die Zeit, Nr.14 vom 14.3.1998, S. 41 f.

83 Fahrenbach, Helmut, Kierkegaards existenzdialektische Ethik, Frankfurt a. M. 1968, S. 176

84 Kierkegaard, Dialektik der Mitteilung, S. 19

85 Ebenda, S. 19

86 Vgl. Ebenda, S. 78

87 Ebenda, S. 11

88 Vgl. z.B. der Verführer Johannes im Verhalten zu Cordelia in Das Tagebuch des Verf ü hrers, aus Kierke- gaard, Entweder-Oder, S. 351 ff.; die Überzeugungsversuche des Ethikers zum Verantwortungsbewußten Leben in Allerlei ü ber die Ehe, aus Kierkegaard, Stadien auf des Lebens Weg, Band 1, S. 91 ff.; Das Selbstlo- se Verhalten in der Leidensgeschichte Schuldig?-Nicht Schuldig?, aus Kierkegaard, Stadien auf des Lebens Weg, Band 2, S. 205 ff.

89 Liessmann, Konrad Paul, Kierkegaard zur Einf ü hrung, Hamburg 1993, S. 11

90 Kierkegaard, Die Schriften ü ber sich selbst, S. 99

91 Ebenda, S. 106

92 Liessmann, Kierkegaard zur Einf ü hrung, S. 28

93 Kierkegaard, Dialektik der Mitteilung, S. 20

94 Ebenda, S. 18

95 Ebenda, S. 20

96 Richter, Liselotte, Existenz im Glauben, Aus Dokumenten, Briefen und Tageb ü chern S ø ren Kierkegaards, Berlin 19562, S. 18

97 Kierkegaard, Dialektik der Mitteilung, S. 65

98 Ebenda, S. 65

99 Ebenda, S. 23

100 Ebenda, S. 25

101 Kierkegaard, Dialektik der Mitteilung, S. 66

102 Ebenda, S. 67

103 Ebenda, S. 66

104 Ebenda, S. 67

105 Ebenda, S. 67, Vgl. Kierkegaard, Søren, Ein ü bung im Christentum, gesammelte Werke Abt. 26, hg. v. E. Hirsch u. H. Gerders, Gütersloh 1980, S. 135 ff.

106 Vgl. Kierkegaard, Søren, Stadien auf des Lebens Weg, Band 1, Gesammelte Werke Abt. 15, hg. v. E. Hirsch u. H. Gerders, Gütersloh 1991 2, S. 103 ff. (Die unglücklichen Versuche des Ethikers, vom positiven Entschluß zur Ehe zu überzeugen machen deutlich, daß Maieutik den Empfänger zum ‚Wählen des Wählens‘

107 Kierkegaard, Dialektik der Mitteilung, S. 68

108 Ebenda, S. 68

109 Kierkegaard, Die Schriften ü ber sich selbst, S. 12

110 z.B. Schulz von Thun, Friedemann, Miteinander Reden, Band 1 u. 2, Reinbek bei Hamburg 1981/89

111 Vgl. Adorno, Kierkegaard-Konstruktion..., S. 13 ff. (Vgl. S. 3 dieser Arbeit)

112 Ebenda, S. 1 (Vgl. S. 1 f. dieser Arbeit)

113 s. o. S. 9

114 Kierkegaard, Entweder-Oder, S. 723

115 Liessmann, Kierkegaard zur Einf ü hrung, S. 9

116 Adorno, Kierkegaard-Konstruktion..., S. 6

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Kierkegaardkritik Adornos
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2000
Seiten
21
Katalognummer
V97779
ISBN (eBook)
9783638962308
Dateigröße
397 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Adornos `Konstruktion des Ästhetischen` wird mit der Hermeneutik Kierkegaards konfrontiert
Schlagworte
Kierkegaardkritik, Adornos
Arbeit zitieren
Tilman Staemmler (Autor:in), 2000, Die Kierkegaardkritik Adornos, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97779

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