Inhaltsverzeichnis:
1) Schulversagen
2) Schulisch "gemachtes" Schulversagen, Versager Teufelskreis
2.1) Definition Schulversagen
2.2) Erstes Stadium
-Attribuierung / Stigmatisierung
-Repressionen
-Wirkung auf das Selbstwertgefühl
2.3) Zweites Stadium
-Erste Reaktionen beim Kind
-Rückwirkung der Erklärungen
-Ausgleichhandlungen und Verhaltensstörungen als Reaktion auf die soziale Demütigung
-Randbedingungen
-Direkte Folgen nach Erreichen des zweiten Stadiums
-Charakterlosigkeit
-Mittelbare Folgen
-Soziale Wirkung der Lücken
-Rückwirkung der Lücken auf das Selbstvertrauen
2.3) Drittes Stadium
2.4) Viertes Stadium
-Aufbau einer mißerfolgsorientierten Motivationslage
-Mißtrauen in der Umgebung
-Die Wirkung der Mißerfolgsmotivation
-Eingriffsmöglichkeiten des Betreuers
-Das "klassische pädagogische Mißverständnis"
-Die positive Lernstruktur
-Die negative Lernstruktur
2.5) Aufbau einer Lernstörung in Stadien
-Stadium 1: Pädagogische Teufelskreis
-Stadium 2: Sozialer Teufelskreis
-Stadium 3: Innerpsychischer Teufelskreis
-Stadium 4: Stabile negative Lernstruktur mit Mißerfolgserwartung
3) Die normal begabten Schulversager
3.1) Eine Untersuchung
3.2) Behebung oder Vermeidung von Schulversagen
4) Literaturverzeichnis
1) Schulversagen:
1992 erreichten in der BRD ca. 250.000 Schüler das Klassenziel nicht und mußten deswegen diesen Jahrgang wiederholen (Oerter und Montada, S. 990).
Die erhoffte Leistungsverbesserung durch diese Maßnahme erfüllt sich jedoch meist nicht, oftmals kommt es sogar zu Leistungsverschlechterungen. Die pädagogische Maßnahme der Wiederholung bedeutet für den einzelnen Schüler, daß er den Lernstoff eines gesamten Jahres in allen Fächern mit denselben Vermittlungsverfahren, an denen er bereits scheiterte, durcharbeiten muß. Die aufgetretenen Lernschwierigkeiten werden jedoch nicht konkret aufgearbeitet.
Durch den Verlust der sozialen Bindungen zu seinen ehemaligen Mitschülern und der nun eingetretenen Gleichstellung mit Jüngeren kann sein Fähigkeitsselbstkonzept und das damit verbundene Selbstwertgefühl erheblich beeinträchtigt werden. Ebenso können Mißerfolge in mehreren Fächern über längere Zeit zum Verlust des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten führen und eine Vereinheitlichung negativer schulischer Selbstbewertung zur Folge haben.
Ein niedriger Bildungsstand und ein schlechtes sprachliches Niveau im Elternhaus sind in vielen Fällen mitverantwortlich für Schulleistungsprobleme.(Oerter und Montada, S. 997)
Laut Hurrelmann (1988) rufen die Berechtigungszertifikate, welche die Schüler für die einzelnen Schultypen selektieren, Schulleistungsprobleme hervor. (Oerter und Montada, S. 995)
Die Mehrzahl der Jugendlichen erlebt Schulversagen als "persönlichen Mißerfolg" und somit zunächst negativ. Eine "Ist-Soll-Diskrepanz" tritt auf und bleibt vor, während und nach dem Schulversagen gegenwärtig, dies führt meist zu noch schlechteren Leistungen als zuvor. (Oerter und Montada, S. 998)
2) Schulisch "gemachtes" Schulversagen, Versager Teufelskreis
2.1) Definition Schulversagen:
Formales Schulversagen ist das Ergebnis negativer Fremdbewertung von Schülerleistungen. Diesen schulischen Entscheidungsprozessen liegen fast immer soziale Vergleichsmaßstäbe zugrunde. Formale Barrieren sind an Schullaufbahnübergängen für die gesamte Schulzeit vorgesehen: nämlich die Zurückstellung vom Schuleintritt, die Nichtversetzung im Rahmen der Jahrgangsstruktur, die negative Selektion (z.B. Sonderschulüberweisung), die Nichterteilung des (angestrebten) Schulabschlusses.(Oerter und Montada)
2.2) Erstes Stadium
Attribuierung (Stigmatisierung)
Vorerst handelt es sich um Attribuierungen mannigfaltiger Art, die zurückführbar sind, da es sich bei dem betroffenen Kind und den Personen seiner Umwelt um "normale" Menschen handeln soll.
Es ist also davon auszugehen, daß "naiv- psychologische" Vorstellungen im Sinne von Laucken(1979) zutreffen.
Die "naiv-psychologischen" Vorstellungen:
a) Charaktermerkmale sind nichtveränderbare Eigenschaften
b) die vorhandenen Eigenschaften definieren die Handlung in einer bestimmten Situation
c) es gibt in jeder Situation eine "normale" Reaktion
d) jede Situation wird von allen gleich erlebt, d.h. die Erlebnisinhalte einer Situation sind objektiv
Daraus ergibt sich Folgendes:
Ein schulisch schlechtes Kind vergleicht sich mit anderen Kindern und seine Leistungen mit den Erwartungen seiner Umwelt -- das Kind stellt fest, daß andere Kinder Aufgaben anders lösen und Dinge sehen , die ihm verschlossen sind.
Nach der Festlegung Lauckens muß das Kind einen Defekt haben, der aber in allem bestehen kann (ist noch nicht definiert).
Aus der Unveränderlichkeit der Eigenschaften muß man schließen, daß der Defekt permanent ist und das betroffene Kind niemals schreiben und lesen lernen wird.
Das hat zur Folge, daß das Kind sich aus der Gruppe der "normalen" Kinder ausgeschlossen fühlt.
Der Attribuierungsprozeß verläuft ohne eigene Berichtigung durch das Kind, das Kind erlebt nur Negatives.
Die Umwelt bezeichnet das Kind als faul, dumm, unkonzentriert u.s.w.
Da die Leistungen in den anderen Fächern ausreichend sind, muß es sich um nicht hinreichende Bemühungen handeln.
Repressionen
Es gehören noch weitere Vorstellungen zu den naiv-psychologischen Ansichten:
e) auch sonst verpönte Mittel sind legitim, um bestimmte, höherwertige Ziele zu erreichen
f) bestimmte Werte sind auf jeden Fall zu verteidigen
Unter diese zu verteidigenden Werte fallen z.B: Ordnung, Disziplin, Religion und Moral.
Basierend auf den Regeln (c), (e) und (f), "(in jeder Situation gibt es eine "normale" Reaktion, und der Zweck heiligt die Mittel")", ist es dem Lehrer und den Eltern erlaubt, schwere soziale Strafen anzuwenden, um das Kind auf den "rechten Weg" zurückzuführen. Dies geschieht ja nur zum Besten des Kindes (f).
Viele Lehrer halten Strafen für einen geeigneten Ansporn zur Lernverbesserung.
Vorzeigen schlechter Arbeiten vor der Klasse u.s.w wird oft als Druckmittel genutzt.
Untersuchungen zeigten, daß oftmals die ersten Repressionen durch das Verhalten der Klasse, z.B. "sich lustig machen" der anderen Kinder entstehen.
Wirkung auf das Selbstwertgefühl
Die Umwelt reagiert verschieden auf das Versagen:
- Die anderen Kinder lachen über das Kind, es kommt zum Ausschluß aus der Gruppe
- Der Lehrer ist wütend.
- Die Eltern sind enttäuscht, sie zweifeln an ihrer Erziehung. Sie suchen medizinische Gründe als
Entschuldigung. Sie konsultieren verschiedene Ärzte und das Kind wird mit Medikamenten vollgestopft.
Aufgrunddessen stellt das Kind den Defekt nicht mehr in Frage, es nimmt den Defekt an und fühlt sich unnormal.
Die schlechten Lese- und Schreibleistungen des Kindes führen dazu, daß die Umwelt sich ein schlechtes Bild von dem Kind macht.
Das Verhalten der Umwelt,und das mangelnde Verständnis isolieren das Kind sozial und vertiefen die Zweifel am sowieso schon durch die schlechten Leistungen angegriffenen Selbstwertgefühl.
2.3) Zweites Stadium
Erste Reaktionen beim Kind
Das Kind erlebt den Mißerfolg als angstauslösend und unheimlich, da es keine einleuchtende Erklärung dafür finden kann. Da jedoch nichts grundlos passiert, muß ein Grund für das Versagen vorhanden sein.
Das Kind weiß zwar, welches Ziel es erreichen soll, es weiß aber nicht, wie es das schaffen soll.
Zudem fehlt dem Kind die Erklärung für den Mißerfolg, die Gründe, die die Umwelt angibt (Faulheit, Dummheit, Unkonzentriertheit u.s.w) sind alle negativ und greifen das Selbstwertgefühl an. Deshalb lehnt das Kind diese Gründe als Erklärung ab.
Dennoch sucht es weiterhin Entschuldigungen für das Versagen, einerseits um der sozialen Mißachtung zu entgehen, anderseits um die Angriffe auf die Intelligenz und das "in Frage stellen" der Intelligenz zu vermeiden.
Meist werden Entschuldigungen wie "ich will ja gar nicht lesen und schreiben lernen, es interessiert mich nicht" angeführt, um dem Verdacht der mangelnden Intelligenz zu entgehen.
Neben dem aktiven Typ, der aktiv nach Entschuldigungen sucht, gibt es auch einen passiven Typ des Schulversagers, der die Erklärungen der Umwelt, z.B. Unkonzentriertheit, als Entschuldigung vorschiebt.
Rückwirkung der Erklärung
"In beiden Fällen, dem mehr aktiven wie dem mehr passiven, muß das Kind versuchen, sein Verhalten mit diesen Erklärungsmodellen in Einklang zu bringen. Nur so entgeht es dem Konflikt, der sonst aus der kognitiven Dissonanz unweigerlich folgt." (Betz & Breuninger, S.35).
Als eine "sich selbst erfüllende Prophezeiung" adaptiert das Kind die ihm von der Umwelt nachgesagten Verhaltensweisen, wird bockig, unkonzentriert u.s.w.
Für den Lehrer/die Eltern stellt dies eine Bestätigung ihrer Annahme dar.
Ausgleichhandlungen und Verhaltensstörungen als Reaktion auf die soziale Demütigung
Das Kind beginnt sich aufgrund der fehlenden Anerkennung und des Ausschlusses aus der Gruppe abzulehnen. Das Selbstwertgefühl wird durch die tägliche Demütigung zerstört und die Selbstablehnung wird vorangetrieben.
Ersatzhandlungen sollen für die fehlende Wertschätzung sorgen.
Cartwight (1942) und Dembo (1931) fanden in Untersuchungen heraus, daß Ersatzhandlungen, die dem ursprünglichen Ziel an nächsten sind, favorisiert werden, z.B. den Klaspenkasper spielen, den Lehrer ärgern oder lächerlich machen oder den Unterricht stören, bringen oftmals die begehrte soziale Anerkennung.
Je nach sozialem Umgang und Alter des Kindes können solche Ersatzhandlungen auch in Sachbeschädigungen oder Ladendiebstählen bestehen.
Die Besserung der Lage durch die soziale Anerkennung der "peer-group" führt jedoch zu einer weiteren Diskrepanz, da die restliche soziale Umwelt (Eltern, Lehrer, Nachbarn...) das Kind aufgrund der negativ bewerteten Ersatzhandlungen verurteilt.
Das Kind versucht seine Umgebung durch die Kompensationshandlungen zu manipulieren, um so sein Ziel, die soziale Wertschätzung, zu erreichen.
Die Erfolglosigkeit der Manipulation ist voraussehbar, trotzdem oder gerade deswegen versucht das Kind dies immer wieder. "Sofern die Umwelt überhaupt etwas bemerkt (wenn also die Reaktion nicht in die Richtung "Schüchternheit" oder "Rückzug" erfolgen), gehen die Kompensationen jedem auf die Nerven. Sie werden daher mit Recht als Verhaltensstörung eingeordnet." (Betz & Breuninger, S.36).
Die Verhaltensstörung ist als eine Folge der Lernstörung zu betrachten, obwohl viele Lehrer verhaltensauffällige Kinder gerne nur als verhaltensgestört bezeichnen und an der Lernstörung zweifeln.
Es kommen nun verstärkte soziale Repressionen als Folge der vom Kind ausgehenden Reaktion in Form der Ersatzhandlungen auf das Kind zu. Dieses wird wiederum mit weiteren Kompensationen, um soziale Anerkennung zu erhalten, reagieren.
Der Teufelskreis ist entstanden.
Der Kreislauf erhält sich ohne Zufuhr von außen selber, Kompensationen und Repressionen können bis zum Extremmaß ansteigen.
Im ersten Stadium kann durch sofortiges Eingreifen noch eine Heilung herbeigeführt werden, im zweiten Stadium bestehen jedoch kaum noch Chancen auf eine Besserung.
Randbedingungen
Nach dem zweiten Stadium ist eine sich steigernde Lern-, Leistungs- und Verhaltensstörung zu erwarten.
Die Art der Störung läßt sich am ausgeprägtesten Anzeichen feststellen.
Neben den im ersten Stadium beschriebenen Bedingungen für die Entstehung des Teufelskreises, können andere Randbedingungen für das Abgleiten ins erste Stadium verantwortlich sein.
Repressionen und Stigmatisierungen sowie die Prozesse des ersten Stadiums können jedoch nebenher weiterhin ablaufen.
Solche Randbedingungen können bestehen in:
a) sozialen Aspekten, die Blockaden oder Angst produzieren, z.B. temporäres unpädagogisches Lehrerverhalten, eine Blamage vor der Klasse, Isolation, schlechte Benotung als Strafe...
b) Situationen, in denen das Schulversagen zunächst positive Konsequenzen, wie:
- Zuneigung
- Bedauern
- mehr Freizeit
- sozialer Aufstieg in der Peergroup
- oder ein sich erfüllendes Strafbedürfnis bei verhätschelten Kindern einbringt.
c) Unselbständigkeit des Kindes durch Überbehütung.
d) Konstellation nach Miller (1979), in denen das begabte Kind die Wünsche der Eltern nach einem kleinen, unselbständigen Kind verwirklicht.
e) Voraussetzungen die einem aufeinanderaufbauendem Lernen im Weg stehen, wie häufiger Schulwechsel, Umzug ins Ausland, sprachliche Defizite, die schichtbedingt sind -- das Kind hat Probleme, die Sprache, die in der Schule gesprochen wird, zu lernen. Der Mittelschichtcode ist wie eine Fremdsprache für das Kind.
f) nicht erkannten körperlichen Unzulänglichkeiten, wie:
- Seh-, Hör-, Motorik-Schwierigkeiten
- Sprachbehinderungen
und diagnostizierten körperlichen Beschwerden dieser Art, wenn sie im sozialen Bereich im Sinne von a) und b) wirken, also zu familiären Problemen, Isolation, Blamage oder zum anfänglichen Gewinn durch das Versagen führen...
Direkte Folgen nach Erreichen des zweiten Stadiums
Festzuhalten ist:
Das erste und zweite Stadium bewirken, daß das Kind die Verhaltensweisen seiner Bezugsperson anders auslegt, als diese gemeint waren. Die Bezugspersonen bewerten das Verhalten des Kindes jedoch in gleicher Weise falsch. Darüberhinaus wird das Benehmen des jeweils anderen als eine feststehende Eigenschaft gesehen und nicht als Folge der Situation.
Das Kind schließt daraus für sich, daß es ihm unmöglich ist, lesen und schreiben zu lernen, daß sowohl die anderen Kinder als auch der Lehrer und die Eltern es nicht mögen und es die Erwartungen, die andere Kinder erfüllen, nicht erfüllen kann.
-- andere Kinder sind besser!
Eltern und Lehrer registrieren, daß ihre Versuche, dem Kind zu helfen, durch Bemühungen oder Strafe, nichts nützen. Ratschläge und Verbote, die helfen sollen, führen nur zu schlimmerem Fehlverhalten, z.B. Kompensationen seitens des Kindes werden als Manipulation gesehen, Zweifel an der Intelligenz bestehen weiter.
Ergebnis: Kind gibt auf, Erwachsene verstärken aus Verzweiflung Druck und sind verbittert.
Das Kind verkriecht sich entweder in ein "Mauseloch" oder wird trotzig und geht zum Angriff über.
Die Schule wird verhaßt, da sie schuld an der Situation ist -- vor der Schule gab es die Probleme nicht. Das Versagen stellt jeden Tag eine Demütigung dar. Durch die Hausaufgaben wird die Demütigung in die schulfreie Zeit übertragen.
Das Kind befindet sich in einem Konflikt, da es bei Nichterledigen der Hausaufgaben oder Lese- und Schreibweigerung in der Schule bestraft wird. Dies ist genauso unangenehm wie die Demütigung,die auf eine schlechte Leistung folgt.
Es handelt sich um einen Aversionskonflikt, da es egal ist, wie das Kind sich entscheidet, die Folgen sind in jedem Fall aversiv.
Die einzig mögliche Änderung besteht in der Änderung der Gesamtsituation. Solange die Gesamtsituation gleich bleibt, schwankt das Kind zwischen Weigerung und Demütigung (oszillierendes Verhalten) oder flüchtet sich in Schuleschwänzen, Weglaufen, Tagträumereien Krankheiten oder Verhaltensstörungen.
Psychosomatische Krankheiten von Kopfweh bis Magengeschwüre können entstehen. Im schlimmsten Fall kann es zur hysterischen Lähmung kommen.
Charakterlosigkeit
Neben dem Oszillieren zwischen Demütigung und Weigerung kann das Kind auch zwischen kompensatorischer Hypermotorik und schüchternem "Rückzug ins Gehäuse" schwanken. Beide Extreme können gleichzeitig vorhanden sein.
Das Auftreten beider Tendenzen ist jedoch zeitlich verschieden. Die Resignation geht einher mit dem angegriffenen Selbstwertgefühl, d.h. sie entsteht in einem langwierigen Prozeß und ist langanhaltend. Die Kompensationshandlungen folgen jedoch unmittelbar auf die Situation, sie sind oft schon vorhanden, bevor sie dem Kind überhaupt bewußt sind. Sie sind nur eingeschränkt durch das Kind steuerbar.
Die beiden Tendenzen können zwar nicht gleichzeitig erfolgen, jedoch im Wechsel.
"Der unmittelbare Übergang von "Frechheit" zu "Duckmäusertum" und zurück wird" dem Kind "als erhebliche Schwäche (Charakterlosigkeit) angelastet und führt zu weiteren sozialen Repressionen. (Betz & Breuninger, S.39)
Je nach Veranlagung und Umwelteinflüssen wird sich das Verhalten mit der Zeit in die eine oder andere Richtung festigen. Man erwartet, daß ältere Kinder überwiegend hyperaktiv, aggressiv oder schüchtern sein werden.
Mittelbare Folgen
Aufgrund der aufgebauten Angstblockaden und Anspannung werden psychische Funktionen blockiert, das Kind kann bereits erworbene Fähigkeiten nicht automatisieren und neue Fertigkeiten nicht erlernen, da die innere Blockade dies verhindert. Das Gelernte geht durch die fehlende Automatisierung verloren und Konzentrationsstörungen entstehen, da ein Großteil der Energie für die Kompensationshandlungen verbraucht wird.
Als Folge dessen kommen legasthenische Kinder bei allen schriftlichen Aufgaben während des Unterrichts in Zeitnot und das Versagen ist vorhersehbar.
Das legasthenische Kind meidet den Umgang mit der Schrift, da sie für Versagen steht. Es kann keinen Lernfortschritt erreichen, da es sich weigert zu schreiben. Die anderen Kinder der Klasse erarbeiten immer neue Wörter, da sie keine Probleme mit der Schrift haben und lassen das legasthenische Kind hinter sich zurück.
Die Leistungen des Kindes stagnieren und Lücken entstehen. Dem Kind kann dies als eine weitere Demütigung erscheinen, vor allem da sich die schlechten Leistungen vom Lehrer in Noten ausdrücken lassen. Der Lehrer kann dies jedoch nicht berücksichtigen, da er einen Stoffplan zu erfüllen hat.
Soziale Wirkung der Lücken
Der Kreislauf des ersten Stadiums vertieft sich mit dem zunehmden Druck der Umwelt.
Die Eltern schämen sich für ihr "dummes" Kind, der Lehrer fühlt sich in seinem Unterricht aufgehalten und die Klassenkameraden machen sich weiter lustig über das Versagen.
Rückwirkung der Lücken auf das Selbstvertrauen
Die Lücken schmälern das Selbstvertrauen in der gleichen Weise wie der Defekt und die sozialen Repressionen. Das Kind erlebt die Lücken täglich beim Lesen und Schreiben und es versucht dies zu meiden. Das Vermeidungsverhalten führt zu weiteren Lücken, die wiederum erneutesVersagen und erneute Weigerung mit sich bringen. Ein weiterer Kreislauf entsteht. Der Teufelskreis baut bestehende Lücken weiter aus, ein weiterer Kreislauf verstärkt den schon vorhandenen, und das Versagen zieht Angst und Blockaden nach sich, welche wichtige kognitive Funktionen blockieren und zu weiterem Mißerfolg fühen. Das Versagen wird antizipiert, und dies begünstigt Streßsituationen.
2.3) Drittes Stadium
All die Aspekte, die als direkte Folgen des zweiten Stadium beschrieben wurden, werden eigentlich zum dritten Stadium gezählt. Betz & Breuninger führten diese jedoch bereits im zweiten Stadium an, da sie keine Zeit verstreichen lassen wollten. Zur Erinnerung sei gesagt,daß die Schüler meistens über Vermeidung, Lernausfälle, Angst und Blockierungen aufgrund persönlicher Belastungen ins dritte Stadium abrutschen.
Es kann sich um Lücken handeln, die durch Krankheit, Umzug, Lehrerwechsel, temporäre seelische Belastungen usw. entstanden sind. Sobald der Schüler die Lücken für unüberwindbar hält, befindet er sich in der Gefahr, sich eine Lernstörung zuzuziehen.
2.5) Viertes Stadium
Aufbau einer mißerfolgsorientierten Motivationslage
Das Kind entwickelt Schuldgefühle, die wiederum das Selbstwertgefühl angreifen. Dies kann schon im ersten Stadium mit der Entdeckung des Defektes beginnen, an welchem sich das Kind selbst die Schuld gibt. Die Erfolglosigkeit, die vergebliche Anstrengung und die Vorwürfe der Umgebung, "das Kind wolle nicht", bringen das Kind dazu, die Vorwürfe von außen anzunehmen und den Grund des Versagens bei sich selbst zu suchen. Die Hoffnung auf Erfolg wird zur Illusion und somit aufgegeben.
Der Mißerfolg wird vorweggenommen, da z:B. beim Zurückerhalten eines Diktates für das legasthenische Kind sowieso nur die "6" als Note in Frage kommt, egal ob es mitgeschrieben oder sich geweigert hat. Sollte es doch einmal Erfolg haben, so wird dieser dem Zufall zugeschrieben.
Die mißerfolgsorientierte Motivationslage bewahrheitet sich immer wieder und macht den Schüler für mögliche Erfolge somit nahezu unzugänglich. Das Kind über positive Leistungserlebnisse aus der negativen Motivationslage herauszuholen, wird immer schwerer.
Mißtrauen in der Umgebung
Die Mißerfolgserwartung des Kindes findet sich in gleicher Weise in seiner Umgebung. Eltern und Lehrer haben die Hoffnung schon lange aufgegeben und vermuten bei einem plötzlichen Erfolg Betrug. Anstatt das Kind zu loben machen sie ihm Vorwürfe und verstärken die Repressionen auf diese Art und Weise. Die Rückschläge sind unvermeidbar.
Die Wirkung der Mißerfolgsmotivation: Therapieresistenz
Die negative Erwartung wirkt sich folgendermaßen aus:
1) Die Lernbereitschaft des Kindes ist gelähmt, da dieses sicher ist, keinen Erfolg erlangen zu können. Hieran ist auch das schulübliche Notensystem schuld, da bei einem Legastheniker eine Verbesserung von 80 auf 60 Fehler im Diktat keine Wirkung zeigen würde -- die Note wäre nach wie vor "6". Der Schüler gibt auf.
2) In einer Therapie müßte das Selbstwertgefühl des Kindes gestärkt werden. Das beste Mittel hierfür wären Erfolge, diese können jedoch aufgrund der mißerfolgsorientierten
Motivationslage nicht zum Tragen kommen. Der Umgebung (Eltern/Lehrer) steht jedoch kein anderes Therapeutikum zur Verfügung als erfolgreiche Übungen. Da das Kind aber eine Erfolgsresistenz entwickelt hat, ist keine Therapie mehr möglich.
Eingriffsmöglichkeiten des Betreuers
Lerngestörte Schüler werden meist mit der Absicht zu einem Förderlehrer gebracht, daß dieser die Störung behebe und die Leistung verbessere. Dabei wird oft nicht bedacht, daß der Betreuer nur insoweit Einfluß nehmen kann, wie der Schüler es zuläßt. Der Betreuer kann nur an den Stellen eingreifen, an denen der Schüler mit der Umgebung verbunden ist. Es findet ein Interpretations- prozeß seitens des Schülers statt, in dem er das Verhalten des Betreuers auslegt.
Seine Wahrnehmung und seine Erfahrungen in der Vergangenheit beeinflussen die Interpretationdes Betreuerverhaltens durch den Schüler zudem. Der Einfluß des Betreuers ist als eine Art "innere Variabel" anzusehen, sie ist das einzige, was beim Schüler wirksam wird. Der Betreuer kann die Umsetzung nicht steuern, da sie vom Schüler auf kognitiver Ebene geleistet wird. Der affektive Bereich des Schülers ist endgültig außerhalb der Zugriffmöglichkeiten des Betreuers.
Diese Einsicht löst bei den Betreuern meist Enttäuschung und Ohnmachtsgefühle aus. Ihm ist es nur durch zwei reale und direkte Bereiche möglich auf den Schüler einzuwirken:
1) Durch Hilfen zur sozialen Entspannung in der Umgebung des Schülers, z:B. in Form von Elterntraining, Lehrerfortbildung oder Gespräche mit den Betroffenen kann eine Besserung erreicht werden.
2) Der Betreuer kann indirekten Einfluß nehmen, indem er versucht, eine gute Beziehung zum Kind aufzubauen.
Das "klassische pädagogische Mißverständnis"
Das klassische pädagogische Mißverständnis besteht darin, daß der Lehrer meint, sein Einfluß liege in der Verbindung des Unterrichts mit dem Leistungsbereich des Kindes. Um dem Schüler die Chance zum Trainieren und zur Leistungsverbesserung zu geben, läßt er das Kind laut vorlesen. Er beachtet allerdings nicht, daß seine Absicht unwichtig ist, im Gegensatz zur
Auslegung des Schülers. Der Lehrer läuft Gefahr, daß der Schüler die Aufforderung des Lehrers als Schikane interpretiert. Bei einem guten Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler ist diese Gefahr nicht so gegeben, der Schüler mag das laute Vorlesen zwar unangenehm finden, er fühlt sich aber nicht mehr persönlich angegriffen, wie es bei einem schlechten Schüler-Lehrer- Verhältnis der Fall wäre. Fazit: Der Lehrer sollte versuchen, eine gute Beziehung zum Schüler aufzubauen und überhöhte Ansprüche vermeiden.
Die positive Lernstruktur
Man spricht von einer positiven Lernstruktur, wenn der Schüler den Einfluß des Lehrers und der Umwelt als positiv auslegt. Der Schüler erfährt im Falle der positiven Lernstruktur Bestätigung und Lob durch die Umgebung. Das Selbstwertgefühl wird gestärkt, Vertrauen zur Umgebung aufgebaut und die Leistungen nehmen, durch den Erfolg angespornt, zu.
Der Schüler traut sich Erfolg zu und erhält positives Feedback durch die Umgebung. Die positive Lernstruktur ist das Endziel der Therapie.
Die negative Lernstruktur
Die negative Lernstruktur ist das Gegenteil der positiven Lernstruktur. Sie entsteht bei einer negativen Interpretation des Verhaltens der Umgebung. Sie stellt die schon zuvor beschriebene Lernstörung dar. Kontrolle, Druck führen zu Kompensationshandlungen. Der Schüler vermeidet die mißerfolgbringenden Handlungen und blockiert. Das Versagen bringt Angst mit sich, und die Leistung nimmt ab. Seitens der Umgebung folgt aus dem Versagen eine enttäuschte Erwartung, und ein feindliches Klima gegenüber dem Kind wird aufgebaut.
2.6 Aufbau einer Lernstörung in Stadien
Stadium 1: Pädagogischer Teufelskreis
Ein Leistungsdefizit wird sichtbar. Der Lehrer muß dies als ein Alarmsignal nehmen und sollte überlegen, ob der Schüler außerschulische Hilfe benötigt. Der Lehrer sollte bedenken, daß der Schüler nicht mit einer Methode gefördert werden sollte, mit der er zuvor schon gescheitert ist, ansonsten besteht die Gefahr, daß der Lehrer der erfolglosen Methode gegenüber auch mißtrauisch wird und der pädagogische Teufelskreis ist entstanden.
Eine Förderung mit neuen Methoden und die Aktivierung verschiedener Sinne kann Erfolg bringen.
Stadium 2: Sozialer Teufelskreis
Der Schüler reagiert sozial auf seine Lage. Er fängt an, sich Erklärungen für seinen Mißerfolg zu suchen, die sich lernverhindernd auswirken.
In diesem Stadium liegt die Hauptgefahr darin, daß der Schüler das fördernde Lehrerverhalten falsch interpretiert und es als Repression auffasst und sich dagegen wehrt. Nur wenn der Lehrer in der Lage ist, diesen sozialen Teufelskreis zu erkennen und zu durchbrechen, kann der dem Schüler in seinem Lernprozeß weiterhelfen. Die sozialen Reaktionen des Kindes alarmieren den Lehrer, daß das 1. Stadium schon überschritten ist. Seine Aufgabe besteht nun darin, die Situation des Schülers wahrzunehmen und ggf. unter Mithilfe eines Schulpsychologen herauszufinden, wie und ob er helfen kann.
Stadium 3: Innerpsychischer Teufelskreis
Die Lernstörung tritt in Form von Lernlücken, Vermeidungsverhalten, Schul- und Mißerfolgsangst und Streßsignalen in Erscheinung.
Zu dem pädagogischem und sozialen Teufelskreis ist der innerpsychische Teufelskreis hinzugekommen. Der Lehrer kann an diesem Punkt angelangt, nur noch auf der Basis einer guten Beziehung zum Schüler pädagogische Hilfe leisten. Falls der Lehrer oder aber der Schüler die Beziehung als belastet, gereizt oder generell negativ empfindet, kann nur noch das Konsultieren eines Schulpsychologen weiterhelfen.
Stadium 4: Stabile negative Lernstruktur mit Mißerfolgserwartung
Das vierte Stadium stellt das Endstadium der Lernstörung dar.
Es handelt sich hierbei um eine psychoreaktive Störung, die sich je nach dem ausgeprägtesten Zeichen als "depressive Verstimmung, Streßsymptomatik, soziale Außenseiterproblematik, psychosomatische Beschwerden, Verhaltens- Beziehungs- oder Anpassungsstörung" diagnostizieren läßt.
Sobald das vierte Stadium erreicht worden ist, ist der Schüler nur noch mit einer außerschulischen Behandlung zu therapieren. Eine Lerntherapie oder ein Lese- Rechtschreibtraining ist nötig. Ein pädagogischer Umgebungswechsel in eine Heimschule, ein Internat kann auch von Nutzen sein.
Das Entstehen der Lernstörung wird meist von der Umgebung nicht bemerkt. Schwierigkeiten beim Lernen, auffälliges Verhalten oder/und Konzentrationsprobleme werden oft nicht oder zu spät als Folge der Lernstörung gesehen. Unterstützung kommt in den meisten Fällen zu spät oder wird falsch eingesetzt. Wenn der positive Effekt der Hilfe deswegen ausbleibt, ist die Umgebung enttäuscht und sie führt dies auf Aufmerksamkeitsstörungen oder Verhaltensauffälligkeiten zurück.
Als Folge dessen wird sie voreingenommen dem Kind gegenüber und das Entstehen einer negativen Lernstruktur wird begünstigt.
Fälle, in denen die Behebung einer Lernstörung durch Förderung gelingt, verstärken solche Vorurteile und das Entstehen einer negativen Lernstruktur. Daß der positiven Entwicklung eigentlich eine positive Lernstruktur zugrunde liegt, wird nicht erkannt. Der Erfolg wird nur den angewandten Methoden zugeschrieben.
Aufgrunddessen werden die Defizite zumeist nicht früh genug erkannt, so daß Präventions- maßnahmen, wie Überweisung in eine Therapie, Lehrerfortbildungen zu diesem Thema, nicht getroffen werden können.
Laut Betz &Breuninger müßte jeder Lehrer in der Lage sein, pädagogische Maßnahmen beim lerngestörten Kind anzuwenden.
3) Die normal begabten Schulversager
Darunter versteht man Kinder, die trotz ausreichender Begabung in unserem Schulsystem versagen. Zur Abhilfe muß man zunächst die Ursache des Schulversagens herausfinden, da diese nicht in der mangelnden Intelligenz liegt.
Klinck und Burger fanden heraus, daß es sich bei diesen Schülern nicht nur um eine Minderheit handelt, sondern daß viele Schulversager normal begabt sind.
Klinck untersuchte eine Gruppe von 50 Kindern der Schülerhilfe Hamburg, innerhalb der 30 Kinder empfindliche Leistungsstörungen aufwiesen.
Im Gegensatz zu den ersten Jahrzehnten, als sich nur Pädagogen und Psychologen mit diesem Problem auseinandersetzten, wurden in den letzten Jahren auch Ärzte zu Rate gezogen(Bennhold-Thomsen, von Harnack, Lempp, Wallis).Dies lag zum einem an der Weiterentwicklung der medizinischen Spezialdisziplin der Jugendpsychiatrie, vielfach aber auch an den Eltern, die sich eine körperliche Ursache wie Vitaminmangel oder ähnliches als Diagnose erhofften, um der öffentlichen Scham der fehlenden Begabung und um der eigenen Verantwortung für das Schul- versagen aus dem Wege gehen zu können. Zudem erwarten sie von ärztlicher Seite eine objektive Beurteilung, die sie dem Lehrer meist nicht zutrauen.
3.1) Eine Untersuchung
In der Untersuchung wurden die Krankengeschichten und Ambulanzblätter von 124 Kindern, die in der Zeit zwischen 1959 und 1963 in die Abteilung für Jugendpsychiatrie und - neurologie der Universitäts-Nervenklinik Tübingen eingeliefert wurden, untersucht und auf die als Ursache in Frage kommenden Faktoren hin überprüft.
Alle hier untersuchten Kinder waren intelligenzmäßig begabt genug für die Volkshochschulen, d.h. sie verfügten zumindest über einen Intelligenzquotienten von 90.
Die Kinder wurden in 5 Gruppen eingeteilt, wobei Gruppe 1 einen Intelligenzquotienten von 90-99, Gruppe 2 von100-109, Gruppe 3 von 110-119, Gruppe 4 von 120-129 und Gruppe 5 von 130 und mehr besaß.
Zur Ursachenfeststellung machte man mit den Kindern den Hamburger-Wechsler- Intelligenztest für Kinder (HAWIK), um den IQ zu bestimmen, erstellte die Krankengeschichte, Exploration von Kindern und Eltern und verfasste einen genauen neurologischen und konstitutionsbiologischen Befund.
Bemerkenswert ist, daß in einigen Fällen eine Ursache allein maßgebend war, während in anderen Fällen mehrere Faktoren zusammentrafen.
3.2) Ursachen und Faktoren
Bei 29% fand man organische Mängel als einzige Ursache. 28,2 litten unter familiären Schwierigkeiten.
Sowohl familiäre Schwierigkeiten als auch organische Schäden führten bei 37,9 % zu Schulversagen.
Gruppe 1:
Vorwiegend organische Defizite als Grund des Mißerfolgs:
- Die leichte frühkindliche Hirnschädigung war bei 21 von 36 Fällen die Ursache des Schulversagens. Bei zwei weiteren Fällen lag der Verdacht nahe, daß es sich um eine Hirnschädigung handelt.
Die leichtgradige Hirnschädigung muß keine Intelligenzverringerung mit sich bringen, führt aber zur kennzeichnenden Leistungsunfähigkeit und feinen Wesensänderungen, die sich in Konstitutionserfassungsunfähigkeit, körperlicher Unrast und permanent willkürlicher Auf- merksamkeit und Konzentrationsschwäche einerseits und in erhöhter Erregbarkeit, defizitärer Wirklichkeitsanpassung und willkürlichen spontanen Handlungen andererseits zeigen.
- Die damit verbundene Kommunikationsschwäche und körperliche Ungeschicktlichkeit erschwert den Kindern zudem die Eingliederung in die Klassengemeinschaft und wirkt sich somit als weiterer Faktor auf die Lernmotivation negativ aus. Zumeist werden diese Schüler von den überstrapazierten Lehrern, die sich an ihren Unterrichtskonzepten festhalten nicht akzeptiert, da der Lehrer unfähig ist, auf sie gesondert einzugehen. (Reinhard Lempp, Tübingen)
Die dadurch folgende schlechte Leistungsbeurteilung verstärkt die oben genannten Verhaltensweisen desweiteren.
- In den restlichen Fällen ließen sich andersartige Hirnschädigungsfolgen feststellen, als Folge von Unfällen, organischen Pubertätsstörungen, Krampfstörungen und legasthenischen Störungen auftraten.
Gruppe 2:
Häusliche Schwierigkeiten als Grund für den Mißerfolg:
-Diese Gruppe bestand aus 35 Kindern, wovon bei 18 Kindern ein gestörtes Eltern-Kind- Verhältnis zugrunde lag. In 13 Fällen war die Konkurrenz mit den Geschwistern der Haupt- grund für den schulschen Mißerfolg. Die gleiche Anzahl von Fällen, in denen eine falsche Erziehung schuld war (zu autoritär; zu nachlässig oder zu ehrgeizig), ließ sich finden.
Schwierigkeiten
bei der sozialen Anpassung, verursacht durch ein wahrscheinlich frustrierendes Kindheitsereignis, konnten bei 11 Kindern diagnostiziert werden.
- Es konnten folgende familiäre Situationen ermittelt werden:
Geschiedene Eltern, Familie mit Stiefvater, Unehelichkeit, Berufstätigkeit der Mutter, Heimunterbringung, ausgesprochene häusliche Mißstände, Familie mit Stiefmutter, ausgeprägte häusliche Spannungen und unvollständige Familien. (Reinhard Lempp, Tübingen)
Die Häufigkeit dieser Ursachen nimmt mit der Aufzählungsabfolge ab.
Gruppe drei:
Organische Defizite gekoppelt mit häuslichen Schwierigkeiten als Ursache des Mißerfolgs:
- Dies trifft auf 47 Kinder zu, wobei man nochmal innerhalb dieser Großgruppe in 2 Gruppen unterteilte. Bei 19 Fällen handelte es sich um eine schwere Organschädigung in Verbindung mit häuslichen Problemen und in den restlichen 28 Kindern lagen leichtere oder fragliche organische Schäden vor mit leichten häuslichen Problemen gekoppelt.
Die organischen Schäden waren in jedem Fall frühkindliche Hirnschädigungen, welche nach Asperger die familiären Probleme provozierten, da "das hirn-organisch-geschädigte Kind sich selbst sein pathogenes Milieu" (Asperger) errichtet.
- Folglich liegt bei den schwer organisch gestörten Kindern in der Regel ein gestörtes Eltern- Kind Verhältnis vor, selten handelt es sich um eine falsche Erziehung, Unehelichkeit oder Geschwisterrivalität. Andersrum steht die inadäquate Erziehung, frühkindliche Frustration oder Geschwisterrivalität im Vordergrund.
Aufgrund dieser Beobachtung ist nach Lempp deutlich geworden, daß bei einer leichten organischen Störung das gestörte Familienmilieu tragender ist als die organische Störung, während im anderen Fall der schweren organischen Störung die familiären Probleme sich geringfügiger auf die Schulleistung auswirken als die Störung.
3.3) Behebung oder Vermeidung des Schulversagens:
Um den normal begabten Schulversagern helfen zu können, ist es wichtig, die familiären Probleme frühzeitig zu erkennen und die gegebenenfalls leichten organischen Störungen frühzeitig
zu diagnostizieren. Schulischer Mißerfolg kann oftmals durch eine rechtzeitige Erkennung der Störung verhindert werden. In pädagogischer Hinsicht sind Verständnis,besondere pädagogische Maßnahmen, eine Bewertungsdifferenzierung und eine geänderte Einstellung gegenüber diesen Schülern die beste Vorraussetzung,um ein positiveres Leistungsverhalten zu erhalten.
Das die familiären Probleme provozierende auffällige Verhalten wird oft als Erziehungsfehler, "böser Wille" oder Faulheit abgetan. Dabei sind dies nicht die Ursachen des Schulversagens bei den normal begabten Schülern, und der Lehrer muß zu der Einsicht gelangen, daß Faktoren am schulischen Mißerfolg schuld sind, für die der Schüler nicht verantwortlich gemacht werden kann.
Diese Einsicht bedingt die Hilfe zur Entwicklung der zumeist nur gehemmten oder verschütteten Schulbegabung. (Reinhard Lempp, Tübingen)
4) Literaturverzeichnis
Betz, D. & Breuninger, H. (1987 ff.): Teufelskreis Lernstörungen; Weinheim: Psychologie Verlags Union. S. 33-54.
Lempp, Reinhard: Die normal begabten Schulversager; Tübingen; in: Psychologische Beiträge, Jg. 1969, Bd. XI;
Häufig gestellte Fragen
Was ist formales Schulversagen laut diesem Text?
Formales Schulversagen wird als das Ergebnis negativer Fremdbewertung von Schülerleistungen definiert, wobei diesen schulischen Entscheidungsprozessen soziale Vergleichsmaßstäbe zugrunde liegen. Formale Barrieren sind an Schullaufbahnübergängen vorgesehen, wie z.B. Zurückstellung vom Schuleintritt, Nichtversetzung, negative Selektion (z.B. Sonderschulüberweisung) und Nichterteilung des angestrebten Schulabschlusses.
Was sind die Stadien des "Versager Teufelskreises"?
Der Text beschreibt mehrere Stadien, die im Teufelskreis des Schulversagens durchlaufen werden können:
- Erstes Stadium: Attribuierung (Stigmatisierung) und Repressionen, die das Selbstwertgefühl beeinträchtigen.
- Zweites Stadium: Erste Reaktionen des Kindes auf den Mißerfolg, Entwicklung von Erklärungen für das Versagen und Ausgleichshandlungen.
- Drittes Stadium: Hier entstehen Lernausfälle, Ängste und Blockaden aufgrund persönlicher Belastungen.
- Viertes Stadium: Aufbau einer mißerfolgsorientierten Motivationslage mit Mißtrauen und Therapieresistenz.
Welche Arten von Randbedingungen können zum Schulversagen beitragen?
Es gibt verschiedene Randbedingungen, die zum Abgleiten ins erste Stadium des Teufelskreises beitragen können, darunter:
- Soziale Aspekte, die Blockaden oder Angst produzieren (z.B. unpädagogisches Lehrerverhalten, Blamage).
- Situationen, in denen das Schulversagen zunächst positive Konsequenzen hat (z.B. Zuneigung, mehr Freizeit).
- Unselbständigkeit des Kindes durch Überbehütung.
- Konstellationen, in denen das begabte Kind die Wünsche der Eltern nach einem unselbständigen Kind verwirklicht.
- Voraussetzungen, die einem aufeinander aufbauenden Lernen im Weg stehen (z.B. häufiger Schulwechsel, sprachliche Defizite).
- Nicht erkannte körperliche Unzulänglichkeiten (z.B. Seh-, Hör-, Motorik-Schwierigkeiten).
Was sind die direkten Folgen nach Erreichen des zweiten Stadiums des Schulversagens?
Nach dem zweiten Stadium legen Kinder Verhaltensweisen ihrer Bezugspersonen oft anders aus, als diese gemeint waren. Das Kind schließt daraus, dass es unmöglich ist, zu lernen, dass es von anderen nicht gemocht wird und Erwartungen nicht erfüllen kann. Erwachsene verstärken aus Verzweiflung Druck und das Kind gibt auf. Es entsteht ein Aversionskonflikt, bei dem jede Entscheidung aversive Folgen hat, was zu Oszillieren zwischen Weigerung und Demütigung, Schuleschwänzen oder psychosomatischen Krankheiten führen kann.
Was versteht man unter Charakterlosigkeit in Bezug auf Schulversagen?
Kinder können zwischen kompensatorischer Hypermotorik und schüchternem Rückzug schwanken, wobei der unmittelbare Übergang zwischen "Frechheit" und "Duckmäusertum" als Charakterlosigkeit wahrgenommen wird und zu weiteren sozialen Repressionen führt.
Welche mittelbaren Folgen hat Schulversagen?
Aufgrund von Angstblockaden und Anspannung können psychische Funktionen blockiert werden, was zur Folge hat, dass bereits erworbene Fähigkeiten nicht automatisiert und neue Fertigkeiten nicht erlernt werden können. Dies führt zu Konzentrationsstörungen, dem Verlust des Gelernten und der Entstehung von Lücken.
Was passiert im dritten Stadium des Schulversagens?
Im dritten Stadium rutschen Schüler meistens über Vermeidung, Lernausfälle, Angst und Blockierungen aufgrund persönlicher Belastungen ab. Sobald ein Schüler die Lücken für unüberwindbar hält, befindet er sich in der Gefahr, sich eine Lernstörung zuzuziehen.
Was kennzeichnet das vierte Stadium des Schulversagens?
Das vierte Stadium ist das Endstadium der Lernstörung, gekennzeichnet durch eine stabile negative Lernstruktur mit Mißerfolgserwartung. Dies kann sich als depressive Verstimmung, Streßsymptomatik, soziale Außenseiterproblematik, psychosomatische Beschwerden oder Verhaltens- und Anpassungsstörungen äußern.
Was sind die Merkmale der normal begabten Schulversager?
Dies sind Kinder, die trotz ausreichender Begabung im Schulsystem versagen. Die Ursache liegt nicht in mangelnder Intelligenz, sondern kann organische Mängel, familiäre Schwierigkeiten oder eine Kombination aus beidem sein. Es ist wichtig, die Ursachen frühzeitig zu erkennen, um rechtzeitig gegenzusteuern und positive Lernerfahrungen zu ermöglichen.
Welche Ursachen und Faktoren wurden in der Untersuchung bei normal begabten Schulversagern gefunden?
Es wurden organische Mängel, familiäre Schwierigkeiten und die Kombination aus beiden als Ursachen festgestellt:
- Organische Mängel: leichte frühkindliche Hirnschädigungen, Kommunikationsschwierigkeiten, körperliche Ungeschicklichkeit, die die Integration in die Klassengemeinschaft erschweren.
- Häusliche Schwierigkeiten: gestörtes Eltern-Kind-Verhältnis, Konkurrenz mit Geschwistern, falsche Erziehung (zu autoritär, zu nachlässig oder zu ehrgeizig), Schwierigkeiten bei der sozialen Anpassung durch frustrierende Kindheitsereignisse.
Wie kann Schulversagen bei normal begabten Schülern behoben oder vermieden werden?
Wichtig ist, die familiären Probleme frühzeitig zu erkennen und die gegebenenfalls leichten organischen Störungen frühzeitig zu diagnostizieren. In pädagogischer Hinsicht sind Verständnis, besondere pädagogische Maßnahmen, eine Bewertungsdifferenzierung und eine geänderte Einstellung gegenüber diesen Schülern die beste Voraussetzung, um ein positiveres Leistungsverhalten zu erhalten.
- Arbeit zitieren
- Natalie Taepel (Autor:in), 1997, Schulisch "gemachtes" Schulversagen, die normal begabten Schulversager, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97823