Das Denken und das Politische bei Hannah Arendt. Was hat das Denken mit politischer Praxis zu tun?


Seminararbeit, 2020

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1. Das Denken bei Hannah Arendt
2.1.1. Was ist Denken?
2.1.2. Kann jeder denken?
2.1.3. Auswirkungen des Denkens12
2.1.4. Abgrenzung zum Denken: Konkret werden durch Urteilen15 (als Politisches Denken)16
2.2. Das Politische bei Hannah Arendt
2.2.1. Was ist Politik bei Hannah Arendt?
2.2.2. Erscheinungsraum und politischer Körper
2.2.3. Handeln und Sprechen
2.3. Wenn das Denken politisch gebraucht wird - Urteilen in Ausnahmesituationen
2.4. Querblick: Was ist nun die Praxis bei Hannah Arendt?
2.5. Kritik an Hannah Arendts Konzeption

3. Fazit

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Politik erlebt in heutigen Zeiten eine Renaissance. Wir sehen dies z.B. beim entschlossenen Handeln während der Corona-Pandemie, oder auch beim zunehmenden Eintreten für die Demokratie gegen Rechtsterrorismus und Populismus.

Den Menschen als Verstandeswesen zeichnet die Fähigkeit zum Denken aus. Somit scheint auch evident, dass das Denken auch in der Politik die Basis bildet, denn Politik ohne Denken scheint nicht vorstellbar. Allerdings ist somit nicht gesagt, welche Rolle genau das Denken in der Politik spielt oder anders formuliert: Wie manifestiert sich das Denken in den politischen Handlungen?

Eine seriöse Diskussion erfordert, sich klar zu machen, was wir unter Denken und Politik verstehen. Von möglichen Alternativen wird in dieser Proseminararbeit die Konzeption von Hannah Arendt zugrunde gelegt. Warum? Hannah Arendt gilt – unabhängig von ihrer eigenen Einschätzung – als Philosophin und Politologin;1 sie hat sich - motiviert durch ihre Untersuchungen im berühmten Eichmann-Prozess - einerseits damit befasst, was Denken auszeichnet.2 Und andererseits hat sie in ihrem Werk „Vita activa“ mit dem Begriff des Handelns für Politik eine neue Definition festgelegt.3 Die Verbindung der beiden Welten, der Vita contemplativa und der Vita activa ermöglicht, eine Linie zu zeichnen, wie Denken in der Politik praktisch werden kann.4

Dieser Bogen bildet das Geländer für diese Arbeit, in der auch für das Verständnis nötige Begriffe eingeführt sowie anhand vorliegender Rezeptionen und eigener Gedanken die vorgebrachten Argumente kritisch betrachtet werden.

2. Hauptteil

2.1. Das Denken bei Hannah Arendt

Also, was ist nun Denken? Sind es Gedanken, die man sich einfach so macht oder muss es dazu einen Anlass geben? Erfordert das Denken eine gewisse Qualifikation? Was passiert mit dem, was dann gedacht ist?

2.1.1. Was ist Denken?

Hannah Arendt formuliert, dass „der Mensch ein denkendes Wesen ist“5, und dass er „ein Bedürfnis […] hat, jenseits der Grenzen der Erkenntnis zu denken, mehr mit seinen intellektuellen Fähigkeiten, seiner geistigen Kraft“6. Sie grenzt also Denken von Erkennen ab, das beabsichtigte Ziele verfolgt. Das Denken hingegen ist nicht zielgerichtet, es umfasst alles, Metaphysisches und Reales. Denken findet im Geiste statt, wird nicht in Wort und Schrift gefasst und ist also der Sinnlichkeit enthoben, auch wenn die Gegenstände des Denkens Personen und Dinge sind. Das Denken unterbricht das Tun, es ist die Suche nach Sinn.7

Das Denken ist „das stumme, einsame Gespräch“8 mit mir selbst. „Das Denken als solches […ist…] jede Reflexion, die nicht der Erkenntnis dient und nicht von praktischen Zwecken geleitet ist“9. Seine Ergebnisse sind ungewiss, nicht zu verifizieren und selbstzerstörerisch; d.h. was gestern noch richtig war, kann morgen anders sein, da es wieder neu gedacht wird.10

2.1.2. Kann jeder denken?

Denken ist eine potenzielle Fähigkeit jedes Menschen, was nicht heißt, dass dies jeder auch – unabhängig von seiner Intelligenz – macht. Hannah Arendt nimmt zur Veranschaulichung hier Sokrates - ein repräsentativer „Jedermann“, kein professioneller Philosoph, sondern ein gleichberechtigter Bürger ohne Sonderrechte. Seine Dialoge, niedergelegt bei Platon, entfalten das Gesicht des Denkens. Sie sind alle aporetisch, d.h. die Dialog führen im Kreis oder nirgendwohin.11

2.1.3. Auswirkungen des Denkens

Aber welche Bedeutung hat das Denken für die Welt, wenn es denn so ergebnislos ist?12

Das Denken ist für die Gesellschaft eher eine „marginale Angelegenheit“13, obwohl es, da auf der Suche nach dem Sinn, per se für alle Glaubensbekenntnisse potenziell gefährlich ist: es reflektiert das Festhalten am Bisherigen, unterminiert somit etablierte Kriterien, Werte, Maßeinheiten für Gut und Böse, Sitten und Regeln für Moral und Ethik.14

2.1.4. Abgrenzung zum Denken: Konkret werden durch Urteilen (als Politisches Denken)

Während sich das Denken15 im Allgemeinen bewegt, hat die Urteilskraft16 mit dem Besondern zu tun.17 Arendt drückt dies so aus: „Im Unterschied […zum Denken steht das…] Urteilen […] der Welt der Erscheinungen sehr viel näher“18. Danach kommen Urteile nicht durch Induktion oder Deduktion zustande, sondern durch „Suche nach dem „stummen Sinn“19. Menschen handeln als politische Wesen in einer pluralen Welt, indem sie sich die Standpunkte anderer vorstellen, und ein subjektives Urteil fällen in Anbetracht dessen, was ihre Gemeinsamkeiten sind oder nicht sind.20 Dies manifestiert sich dann durch Worte und Taten. Urteilen ist gleichbedeutend mit politischem Denken und fokussiert auf einen jeweils konkreten Einzelfall.21

2.2. Das Politische bei Hannah Arendt

Denken und politisches Denken stellen vernunftbasierte Potenziale dar, womit noch offenbleibt, wann und wie diese dann – im Sinne der Fragestellung dieser Arbeit - in der Politik wirken können und auch müssen?

2.2.1. Was ist Politik bei Hannah Arendt?

Aber wie ist das Politikverständnis bei Hannah Arendt? „Entgegen der abendländischen Tradition definierte Arendt Politik nicht als Herrschaft, sondern als Handeln“22 Handeln ist für Hannah Arendt die „höchste menschliche Tätigkeit, weil sie auf den Bereich zwischen den Menschen“23 ausgelegt ist.

Nach Arendt bewegen sich die Menschen in verschiedenen Räumen – dem privaten, dem gesellschaftlichen und dem Raum des öffentlich-politischen-Handelns.24 Eine gemeinsame Welt entsteht erst, wenn Menschen in ein gemeinsames Bezugsgewebe ihrer menschlichen Angelegenheiten eintauchen, d.h. sie Sprechen und Handeln miteinander auf Basis ihrer Pluralität und schalten sich somit in die Welt ein. So begründen sie den sog. Erscheinungsraum und den politischen Raum.25

Zum genaueren Verständnis muss dies etwas detaillierter entfaltet werden.

2.2.2. Erscheinungsraum und politischer Körper

„Handeln und Sprechen […etablieren…] ein räumliches Zwischen“26, den sog. Erscheinungsraum, in dem Menschen voreinander „ausdrücklich in Erscheinung treten“27. Dies bedeutet nicht nur eine Ansammlung von Menschen, sondern, dass sich Menschen durch ihr Handeln und Sprechen so zeigen, wie sie sind. Allerdings ist dieser Raum nicht permanent vorhanden, da viele Menschen dies bewusst nicht wollen und auch nicht permanent können.28

Den politischen Körper gebiert sein Machtpotenzial.29 Realisierte Macht entsteht dann, „wenn Worte und Taten untrennbar miteinander verflochten erscheinen“30, also da, wo Worte Wirklichkeiten enthüllen und Taten neue Bezüge etablieren und festigen, kurz: neue Realitäten schaffen.31

Macht „entsteht zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln“32. Der Charakter der Macht ist maßlos, nicht berechenbar und flüchtig. Da Macht durch Miteinander-Handeln entsteht, ist sie per se nicht begrenzbar und bedarf der Kontrolle, die sich z.B. durch Mächte anderer Gruppen ergeben. Aufgrund der Pluralität ist sie auch nicht berechenbar. Und sie bedarf des ständigen Miteinanders, sonst fällt der Erscheinungsraum und somit der politische Raum in sich zusammen.33

[...]


1 Vgl. STR, 9.

2 Vgl. HAD, 128f.

3 Vgl. HEU, 8.

4 Vgl. SCH, 182. Vgl. auch SCH, 179f.: Hannah Arendt unterscheidet zwischen dem tätigen und dem geistigen Leben (Vita activa und Vita contemplativa). Ersteres wird differenziert in Arbeiten, Herstellen und Handeln, letzteres in Denken, Wollen und Urteilen. Während Arbeiten reproduktiv ist und die primären Lebensbedürfnisse befriedigt, dient das Herstellen der Erzeugung von Gütern. Diese letzten beiden Begriffe haben in dieser Arbeit aber keine Relevanz.

5 HAD, 131.

6 Ebd.

7 Vgl. ebd., 132-134.

8 Ebd., 153.

9 Ebd., 134.

10 Vgl. ebd., 134f.

11 Vgl. ebd., 136-138.

12 Vgl. HAD, 144f. Aber auch NICHT-Denken birgt Gefahren. So besteht die Gefahr, alles unter vorhandene Regeln zu subsummieren, wodurch man sich einer eigenen Überzeugung verweigert. Ein solches Verhalten fördert dann auch die Anfälligkeit, in Krisen einfach ein bisheriges durch ein neues Regelsystem ohne Reflexion zu akzeptieren.

13 Ebd., 154.

14 Vgl. ebd., 144.

15 Die Interpretation dieses Urteils-Begriffs basiert auf der frühen, praktischen Phase von Hannah Arendt, in der das Urteilen als erweiterte Denkungsart des politische Handelnden zu verstehen ist. In einer späteren Phase ordnet sie das Urteilen eher den Tätigkeiten des Geistes als eigene Tätigkeit zu, die eher als unabhängige, kontemplative Tätigkeit zu sehen ist. Vgl. dazu BEI, 133-136.

16 Zur ergänzenden Einordnung: Hannah Arendt teilt das Leben des Geistes in Denken, Wollen und Urteilen ein, die sie in dieser Folge verbindet. Das Wollen hat wesentlich die Behandlung der Willensfreiheit zum Gegenstand. Auch wenn der Willen als Triebfeder des Handelns dadurch eine Verbindung ins Politische aufweist, ist die Erläuterung in dieser Arbeit entbehrlich; denn der Fokus liegt hier auf dem Denken und seiner Orientierung in der Politik. Vgl. dazu HAG, 245-249. Dies ergibt sich auch aus der Sicht von Beiner, der so formuliert: „Das Wollen […] treibt uns in eine theoretische Sackgasse. Wollen, wenn es überhaupt etwas bedeutet, impliziert einen „Abgrund reiner Spontaneität““ (BEI, 131.).

17 Vgl. HAU, 14.

18 Ebd.,12.

19 Ebd.,13.

20 Vgl. BEI, 133-136. Vgl. auch MEI, 693f.: Hannah Arendt folgt hier Kant, der die Urteilskraft in bestimmend und reflektierend differenziert. Während erstere das Allgemeine, eine Regel bezeichnet, unter der das Einzelne, Besondere subsummiert werden kann, geht die reflektierende Urteilskraft vom Besonderen aus, zu dem das Allgemeine zu finden ist.

21 Vgl. ROB, 13.

22 HEU, 8.

23 SCH, 180.

24 Vgl. STR, 54.

25 Vgl. SCH, 180.

26 HAV, 250.

27 Ebd.

28 Vgl. ebd.

29 Zur Abgrenzung Macht, Gewalt, Stärke: Von der Macht ist in Arendts Diktion die Gewalt zu unterscheiden, die ein Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen ausdrückt, das im Ernstfall durch entsprechende Mittel manifestiert wird. Vgl. dazu STR, 68. Macht ist auch von der Stärke einer Person zu unterscheiden, die sich physisch oder mental äußert. Vgl. dazu HAV, 253.

30 HAV, 252.

31 Vgl. ebd., 252.

32 Ebd.

33 Vgl. STR, 68-70.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Das Denken und das Politische bei Hannah Arendt. Was hat das Denken mit politischer Praxis zu tun?
Hochschule
Hochschule für Philosophie München
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
13
Katalognummer
V978621
ISBN (eBook)
9783346336941
ISBN (Buch)
9783346336958
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arendt, Denken, Urteilen, Politik
Arbeit zitieren
Herbert Gross (Autor:in), 2020, Das Denken und das Politische bei Hannah Arendt. Was hat das Denken mit politischer Praxis zu tun?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/978621

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