Unbegleitete Jugendliche Flüchtlinge


Seminararbeit, 1999

31 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Warum haben wir dieses Thema gewählt?
1.2. Eingrenzung des Themas
1.3. Arbeitsablauf

2. Hauptteil
2.1. Zur Vorgeschichte
2.2. Probleme
2.2.1. Probleme der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge
2.2.2. Probleme in der Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
2.2.2.1. Ursachen und Folgen von Altersinkongruenz
2.3. Die Einrichtung
2.3.1. Das Haus
2.3.2. Das Personal
2.3.3. Der Alltag
2.3.4. Die Bewohner

3. Schlußteil
3.1. Zusammenfassung
3.2. Persönliches Resümee
3.3. Literaturverzeichnis
3.4. Übersicht über angesprochene Gesetze und Paragraphen
3.4.1. Auszug - Kinder- und Jugendhilfegesetz
3.4.2. Auszug - Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz)
3.4.3. Haagener Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen

1. Einleitung

1.1. Warum haben wir uns für dieses Thema entschieden ?

Für das Thema unserer Hausarbeit im Rahmen des Seminars ,,Interkulturelle Sozialarbeit" waren wir lange auf Themensuche. Zunächst entschieden wir uns gegen das Darstellen einer Praxisstelle und wollten ausländerfeindliche Rollen und Klischees im Fernsehen analysieren. Wir machten uns auf die Suche nach geeigneten Filmen und Berichten. Nach langem Suchen stellten wir jedoch fest, daß uns der sozialpädagogische Bezug fehlte. Also entschlossen wir uns doch zu dem Besuch einer Praxisstelle. Wir sammelten einige Anlaufstellen, jedoch wollten wir keine ,,gewöhnliche" Praxisstelle vorstellen. Nach gründlicher Recherche in Zeitungen und Zeitschriften wurden wir auf einen Artikel aufmerksam, der über das Projekt ALREJU berichtete. Die Problematik über unbegleitete minderjährige Flüchtlinge war uns bis dahin unbekannt und präsentierte sich uns als Schatten der Immigrantenthematik. Wir beschlossen deswegen diesen Teil der interkulturellen Sozialarbeit hier vorzustellen.

1.2. Eingrenzung des Themas

In unserer Hausarbeit konnten wir nicht alle Aspekte der Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen beachten. Unser Anliegen ist eine Praxisstelle, genauer die ALREJU Einrichtung vorzustellen. Auch möchten wir die Probleme dieses Arbeitsfeldes, sowie die rechtliche Lage der allein reisenden Jugendlichen und Kinder kurz erläutern. Wir werden uns nicht mit Heimerziehung im allgemeinen und der deutschen Ausländerpolitik auseinander setzen, da das ein zu weites Feld ist.

1.3. Arbeitsablauf

Nachdem wir uns für das Heim ALREJU entschieden hatten, begannen wir uns mit dem Thema intensiver zu beschäftigen und die Einrichtung ausfindig zu machen. Jedoch stellten sich beide Unterfangen als kompliziert dar. Zum einen weil es wenig Literatur oder Statistiken zu dieser Thematik gibt und zum anderen weil das Heim seine Adresse als Schutz vor rechtsradikalen Überfällen und Landsleuten der Einwohner geheim hält.

Erst das Jugendamt Fürstenwalde konnte uns weiterhelfen. Wir arrangierten einen Besuchstermin an dem unser Ansprechpartner genügend Zeit hatte uns ausreichend Auskünfte zu geben. Vor der Fahrt arbeiten wir uns so gut es ging Fragen aus, die wir stellen wollten. Schon die ersten Minuten im ALREJU zeigten, daß die Tragweite des gesamtem Projektes von einem Außenstehenden nicht eingeschätzt werden kann. Unsere aufgeschriebenen Fragen waren in den ersten Minuten beantwortet, doch unser Ansprechpartner ließ keinen Zweifel daran, daß es noch viele andere wichtige Dinge in der Einrichtung gibt, die noch erwähnenswert sind.

Auf einem Rundgang durch den ganzen Komplex der Einrichtung wurde uns ausführlich Rede und Antwort gestanden. Was uns angenehm überraschte war, daß wir aktiv am Arbeitsablauf in der Einrichtung teilnehmen konnten. Während des Rundganges halfen wir beim Kochen des Abendessens für die Jüngsten.

Die nächsten Schritte waren das ordnen der Informationen und die Recherche zu wichtigen Punkten die uns auffielen (z.B. Haagener-Minderjährigen-Schutzabkommen ).

2. Hauptteil

2.1. Zur Vorgeschichte

Nach der Wende waren auch die neuen Bundesländer verpflichtet, Asylbewerber aufzunehmen. Besonders das Land Brandenburg mit seiner langen Grenze zu Polen erwies sich als begehrtes Einreiseland für Flüchtlinge aus aller Welt. Da minderjährige Flüchtlinge in dem Bundesland betreut werden müssen, in das sie eingereist sind (für sie gilt nicht die Länderquote), und immer mehr Kinder und Jugendliche ohne Begleitung in den zentralen Aufnahmestellen um Asyl baten, mußten für diese jungen Menschen besondere, altersgerechte Unterbringungsformen geschaffen werden.

Die Unterbringung von Asylbewerbern war für die neuen Bundesländer eine neue Aufgabe, die sie in der Regel mit der Unterstützung von Beratern und erfahrenen Institutionen aus den alten Ländern in den Griff bekommen haben.

Im November 1990 kamen dann die ersten 300 Flüchtlinge nach Brandenburg.

Im "Haus Hoffnung" fanden sie bald eine neue Heimat. Bis heute ist dieses Heim das einzige in Deutschland, das nicht privat, sondern vom Diakonischen Werk betrieben wird. Für die Unterbringung von größeren Zahlen minderjähriger Flüchtlinge allerdings gab es noch keine konzeptionell umgesetzten Ideen.

Von 1992 bis Frühjahr 1993 kamen auch acht unbegleitet minderjährige Flüchtlinge in das "Haus Hoffnung" . Dies sollte aber nur eine vorübergehende, provisorische Lösung sein, über die keiner so recht glücklich war. Es wurden zahlreiche Versuche gestartet, ein eigenes Projekt für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge auf die Beine zu stellen, doch alle mißlangen. Es gab einfach keine finanziellen Mittel für solche Projekte.

Erst als eineinhalb Jahre später eine große Gruppe vietnamesischer Jugendlicher eintraf, mußte unbedingt eine andere Lösung gefunden werden.

Durch Vermittlung der Ausländerbeauftragten konnte das Konzept über die Betreuung in jugendgemäßer Form mit der Unterstützung des Bildungs- und Innenministeriums verwirklicht werden .

Am 9. Juni 1993 wurde das Projekt ALREJU ins Leben gerufen.

2.2. Probleme

2.2.1. Probleme der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge

- Umweltfaktoren als Problemauslöser bei alleinreisenden Jugendlichen

Zu diesem Thema muß man erwähnen, daß für Jugendliche, die durch die Fluchtumstände und deren psychosoziale Auswirkungen, ein Begriff verwendet wird, den des Resettlement- Stress (Entwurzelungsstreß). Dieser umfaßt die Stressfaktoren, die für alleinreisende Jugendliche in ihrer neuen Situation und neuen Umgebung entstehen können. Dazu gehören Angst und Bedrohungsgefühle, die das Verhalten und die Denkweisen der betroffenen Jugendlichen beeinflussen oder verändern. Resettlement-Stress kann auch durch den Umgang mit Behörden des Aufnahmelandes entstehen, die Zuweisung an gesetzliche Vormünder der minderjährigen Flüchtlingen, die ihre neuen Pfleglinge weder kennen noch ihren kulturellen Hintergrund oder die Fluchtumstände.

Für die Betroffenen besteht ebenso der Konflikt, in einem ihnen fremden Kulturkreis gekommen zu sein , ohne zu wissen wie es für sie weitergehen sollte. Diese ungewisse Zukunft stellt einen weiteren Streßfaktor für die Jugendlichen dar.

Der fehlende Kontakt zur eigenen Familie oder Menschen aus demselben Kulturkreis macht es für die Flüchtlinge um so schwerer , dem Faktor Stress entgegen zu steuern.

Stressauslösende Faktoren sind auch die Angst vor Ablehnung oder Abschiebung, die durch Behörden, Betreuungsteams oder Vormünder für die alleingereisten, und in Deutschland angekommenen Jugendlichen, verursacht werden können

- Angst und Probleme in sozialen Beziehungen der alleinreisenden Jugendlichen

Als Auswirkung von Angst- und Stressfaktoren gelten vorrangig Alpträume, Schlafstörungen, Angstzustände, psychosomatische Erkrankungen, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen sowie Schwierigkeiten in der Schule für die betroffenen Jugendlichen und Kindern.

Zu den Problemen in sozialen Beziehungen können Veränderungen im sozialen Verhalten beobachtet werden, wie der Verlust der Fähigkeit überhaupt, nach der Flucht, soziale Bindungen aufzubauen. Der Mangel sozialer Kontakte und die momentane Unfähigkeit traumatische Erlebnisse aufzuarbeiten, führen bei den Betroffenen oft zu Einsamkeit. Aber auch Gefühle wie Trauer oder Wut werden von ihnen psychisch abgeschottet. Verstärktes Verdrängungsverhalten zeigt sich in Form von religiösen und ideologischen Überzeugungen. Der Resettlement-Stress wird vermeintlich weniger für die Flüchtlingskinder und Jugendlichen.

Auffällig sind auch die Verhaltensweisen bei denjenigen, die ihre Eltern früh verloren haben. Ihr Sozialverhalten ist oft provokativ und unsozial. Jedoch zeigen sich bei vielen Betroffenen Symptome der Angst, wenn ihnen die entsprechende Vertrauensperson fehlt. Sie befürchten gewalttätige Übergriffe von Personen aus ihrem neuen Umfeld. Es zeigt sich jedoch, daß die Angst unterschiedlich groß ist und von Fall zu Fall verschieden intensiv erlebt wird. Das Verhalten durch die Angst ist demnach stärker oder schwächer geprägt.

- Folgen der Angst

Als Folge von Ängsten wurden bei den alleinreisenden Jugendlichen und Kindern Schulversagen, psychisch und emotionale Störungen beobachtet. Als weitere Folge können hier auch Aggressivität gegen andere Bewohner der Einrichtung oder gegen Betreuer genannt werden. Aber das größere Problem stellt die Depression der Betroffenen dar, daß unter ungünstigen Umständen zu autoaggressivem Verhalten führen kann. Also besteht die Tendenz zu Alkoholkonsum, Drogenmissbrauch oder im schlimmsten Fall Selbstmordversuche.

2.2.2. Probleme in der Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

Die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge erreichen die Bundesrepublik Deutschland meist ohne gültige Papiere oder ähnliches. Dadurch entsteht die Frage nach dem ,,wirklichen" Alter. Schon die Mitarbeiter der Aufnahmelager und Clearingstellen stehen damit vor der schwierigen Aufgabe,

diesen jungen Menschen, dessen Aussehen und Auftreten widersprüchlich (inkongruent) zu seinen Alter ist, in die entsprechenden Einrichtungen zu verweisen. Die Konsequenzen dieser Entscheidung sind sehr weitreichend, denn in den Einrichtungen die auf Jugendliche spezialisiert sind, ist die Art der Betreuung auch auf das Klientel ausgerichtet, im Gegenteil zu den Asylbewerberheimen für Erwachsenen.

Fehlt das Geburtsdatum, das einzig verläßliche Maß des Alters, müssen die Betreuer nach Kriterien der körperlichen und psychosozialen Entwicklung den Jugendlichen einordnen. Jedoch schwanken diese Merkmale im Jugendalter extrem. Deswegen kann keine sichere Schlußfolgerung auf das Alter an Hand von körperlichen Reifemerkmalen (zum Beispiel Skelettreifung) oder Verhaltensweisen gezogen werden.

Innerhalb der eigenen Kultur kann man das Alter genauer schätzen als bei Menschen aus anderen Kulturkreisen über die uns die verläßlichen Informationen und Erfahrung fehlt.

In unserem Rechtsstaat ist das Alter eine wichtige Grundlage. Das Gesetzt bindet viele Rechte und Pflichten an Altersgrenzen, welche sich an der westeuropäischen psychosozialen Entwicklung orientieren.

2.2.2.1. Ursachen und Folgen von Altersinkongruenz

- Gründe für Altersinkongruenz

Wenn ein unbegleiteter Flüchtling unter 16 Jahre alt ist, kann es für ihn wichtig sein, sich älter zu machen, um möglichst schnell als ,,erwachsen" zu gelten.

Dies ist besonders wichtig für ihn, denn erst dann kann er arbeiten und die möglichen Schulden der Flucht abzubezahlen oder seiner Familie finanzielle Unterstützung zu leisten. Oft haben Jugendliche nach ihrem erschwerlichen Fluchtalltag nur ein unmittelbares Lebensziel und zwar sehr schnell selbständig und in jeder Hinsicht unabhängig zu werden. Andernfalls ist ihm der gesetzliche Schutz, der in der deutschen Rechtsprechung festgehalten ist, so lang wie möglich gesichert, wenn er sich als unter 16 Jahre beziehungsweise unter 18 Jahre einstufen läßt.

Die zweite Methode der Alterslüge nutzen häufiger Mädchen als Jungs.

- Krisen und Konflikte von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

Meist bekommen jugendliche Flüchtlinge selbst Probleme mit der Altersinkongruenz.

In dem Fall, daß angegebene Alter ist höher als das reale Alter wird der Jugendliche in ein Asylbewerberheim verwiesen. Oft ist er jedoch noch nicht fähig, als erwachsener Asylbewerber zu leben und bräuchte für seine Entwicklung altersangemessenen Schutz und pädagogische Führung. ,,Die ,,Lüge"... erweist sich gerade dann als unerwarteter Bumerang, wenn sich Heimbetreuung, pädagogische Beziehungsarbeit, Schule oder Ausbildung, positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirken: Obwohl er in Wirklichkeit vielleicht gerade erst 16 ist, und anfängt, nach den traumatischen Erlebnissen die mit der Flucht zusammenhängen, zu sich selbst zu finden, muß er die vertraut-unterstützende Umgebung verlassen, weil er auf den Papier 18 Jahre alt geworden ist."1 Das Urtrauma der Entwurzelung wiederholt sich damit.

Hat der Jugendliche sich jünger gemacht, als es der Realität entspricht, lassen sich die Probleme leichter lösen. Wenn der Punkt erreicht ist, an den die Erwachsenenbedürfnisse nicht mehr unterdrückt werden können, kommt er ohnehin in Konflikt mit der Heimordnung und den Betreuern. Wenn er dann auch auf dem Papier älter als 16 Jahre ist, kann er sich umverteilen lassen in ein Erwachsenenheim für Asylbewerber.

- Falsche Altersschätzung durch Betreuer

Auf den Clearingstellen müssen die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge regelrecht um ihr Alter feilschen. An Hand von zwei Beispielen wollen wir die Auswirkungen der falschen Altersschätzungen verdeutlichen.

Fall 1

Ein 16 Jähriger, der auf Grund seines Fluchttraumas besonders auffälliges Verhalten vorweist, wird daraufhin von den Mitarbeitern auf 18 Jahre geschätzt und aus einem Heim für unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge entlassen. Dabei bedürfte gerade er besondere psychosozialer Betreuung und Geborgenheit.

Fall 2

Eine Asiatin gab richtigerweise an, 20 Jahre alt zu sein wurde jedoch auf der Clearingstelle als 15 jährig eingestuft. Ein Jahr später bekam sie ein Kind. Für die deutschen Behörden war sie eine unmündige Mutter, und wurde von den ihnen entsprechend behandelt. Aus ihrer Sicht, war sie längst großjährig und den Anforderungen eines Kindes gewachsen. Durch die Demütigung, als die die Unmündigkeit empfunden wurde, und die Hoffnungslosigkeit, niemand würde ihr glauben, verfiel sie in tiefe Depressionen.

- Unterschiede in der körperlichen Reifung

Körperliche Reifemerkmale unterliegen Umweltfaktoren. Besonders bekannt ist beispielsweise die Akzelleration in den Industriestaaten. Das heißt, Jugendliche werden früher geschlechtsreif.

In ländlichen Gebieten dagegen, fand diese Verschiebung in noch nicht so großem Ausmaße statt. Aus Längsschnittuntersuchungen an Maja-Kindern, die aus Guatemala in die USA umgesiedelt wurden, geht hervor, daß allein die Umsiedlung zu einer Beschleunigung der körperlichen Reifung führt.2

Andererseits belegen Untersuchungen, ,,daß die südeuropäischen Kinder, wie auch Kinder, die aus den Balkanstaaten stammen, eine raschere somatische Reifung durchmachen, verglichen mit nordeuropäischen Kindern"3.

Eine zuverlässige Altersschätzung ist nach diesen Kriterien auch nicht möglich. Zu dem gilt zu beachten, daß somatische und psychische Reifung nicht synchron verlaufen.

- kulturelle Unterschiede

,,Zu Hause bist Du erwachsen und hier bist du ein Kind"

In anderen Kulturen werden auch andere Entwicklungsaufgaben an Kinder und Jugendliche in verschiedenen Altersstufen gestellt. Das ergibt sich aus den kulturspezifischen Erwartungen.

In Deutschland sind 15 jährige weit entfernt davon, ,,erwachsen" zu sein. Sie sind lediglich schulpflichtig und unterstehen einem gesetzlichen Vertreter.

In arabischen Kulturen sind sie indes bereits im besten heiratsfähigen Alter und stehen kurz davor Haushaltspflichten zu übernehmen.

Durch die starke Religionsverbundenheit gelingt es den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen nicht, dieses Denken abzulegen. Daher fühlen sie sich in Deutschland bevormundet und eingeschränkt.

- fluchtbedingte Altersinkongruenz

Die Erlebnisse auf der Flucht und die neuen Bedingungen wie zum Beispiel:

- Fehlen von familiären Bezugspersonen
- fremde Kultur des Aufnahmelandes
- Sprachbarrieren
- kein vertrautes Leben
- andere Normen

verursachen eine individuelle Altersverschiebung. Dies kann als Konsequenz eine außergewöhnliche und altersuntypische Reife oder eine Regression in kindliche Entwicklungsstadien haben.

2.3. Die Einrichtung

ALREJU ist das Kürzel für alleinreisende Jugendliche. Das klingt sehr nach Jugendherberge, tatsächlich ist es ein Heim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Einrichtungen dieser Art gibt es in mehreren deutschen Bundesländern und Großstädten. Die Kinder und Jugendlichen die in Brandenburg von Bundesgrenzschutz oder Polizei gefaßt werden, nimmt das ALREJU auf.

2.3.1. Das Haus

Die Einrichtung liegt versteckt am Stadtrand von Fürstenwalde. Hinter der Hofmauer aus Beton beginnt ein Fichtenwald. Das Gelände und auch das Haus wurden zu DDR Zeiten von der russischen Armee genutzt. Das Gebäude ist nicht sehr hoch (lediglich 3 Etagen) dafür recht lang, wobei der vordere Teil privat vermietet wird. Es fand sich ein spezifischer Mieterkreis zusammen: Sozialpädagogen und Erzieher. Diese Konstellation ist sehr entscheidend, da es so gut wie keine Probleme im Zusammenleben gibt. Es treten mehr Schwierigkeiten mit den Bewohnern des Nachbarhauses, einem Heim zur Resozialisierung obdachloser und alkoholkranker Menschen, auf.

Der gesamte Wohnkomplex hat drei Eingänge, von denen zwei die Einrichtung nutzt. In jeder Etage befinden sich zwei Wohneinheiten. Eine Wohnung das heißt: 3 Schlafräume, ein Gemeinschaftsraum, Küche, Bad und in zwei von sieben Wohnungen ein Schlafzimmer für den nachtschichthabenden Betreuer.

Insgesamt sind 50 Plätze vorhanden. Abgewiesen wird allerdings niemand, sondern die Bettenzahl aufgestockt. Momentan wohnen 54 Kinder und Jugendliche im ALREJU, seit dessen Entstehung vor sechs Jahren zählt es rund 300 Gäste. Für die Freizeitgestaltung wurde ein Sportraum mit Fitnessgeräten ausgestaltet, außerdem gibt es ein Party- und gleichzeitig Konferenzraum, sowie Fußball-, Basketball- und Tischtennisanlagen auf dem Hof. Der ehrgeizige Plan der Heimleitung den Keller zum Partykeller auszubauen, konnte bis jetzt aus finanziellen Gründen noch nicht verwirklicht werden.

Die aufgenommenen Kinder kommen vorerst in eine Kinderwohnung, in der sie eine intensivere Betreuung erfahren, als in den Jugendwohnungen. Diese beziehen sie ab dem Alter von 12 Jahren. Eine Besonderheit stellt noch die ausschließlich von Mädchen bewohnte Wohngemeinschaft dar. Da sich nur wenige Mädchen in der gesamten Einrichtung befinden, hat jedes ein eigenes Zimmer zur freien Verfügung.

Wegen der begrenzten Räumlichkeiten müßten die Mädchen bei Neuankommenden enger zusammenrücken, denn eine weitere Mädchenwohnung ist nicht geplant.

Die Jugendlichen verpflegen sich selbst und auch das Reinigen der Wohnungen und der Hausaufgänge wird von ihnen übernommen. Bei den Kindern wird das ein wenig anders gehandhabt. Die Lebensmittel werden von einer extra für diesen Wohnbereich angestellten Küchenfachkraft eingekauft. Sie ist auch zuständig für die tägliche Zubereitung des Essens. Hierbei muß natürlich auf die kulturellen Eigenheiten geachtet werden, wie beispielsweise kein Schweinefleisch für Moslems.

2.3.2. Das Personal

Seit fünf Jahren ist Mathilde Killisch die Leiterin des Heimes. Ihr zur Seite stehen drei Sozialarbeiter und für jede Wohnung ein bis zwei Erzieher. Unter ihnen sind auch zwei ausländische Mitarbeiter, eine Vietnamesin und ein Libanese. Da die gesamte Tageszeit abgedeckt werden muß, ist es wichtig, einen genau erstellten Dienstplan zu haben. Es ist erforderlich, daß die Kinder und Jugendlichen zu jeder Tages- und Nachtzeit einen Ansprechpartner haben, dem sie ihr Herz ausschütten können. Der Dienstplan wird in der Teamsitzung ausgearbeitet. Regelmäßig findet Supervision statt.

Weiterhin arbeitet ein Hausmeister, eine Sekretärin und ein Zivildienstleistender im ALREJU. Die Einrichtung freut sich immer wieder junge Männer aufnehmen zu können, die sich entschlossen haben ihren Zivieldienst im ALREJU abzuleisten. Sie beteiligen sich an Reparaturarbeiten von Einrichtungsgegenständen die in der Einrichtung anfallen und betreuen die Jugendlichen bei Sport und Spiel.

Nicht vergessen darf man auch die zahlreichen Vormundschafter/innen die außerhalb der Einrichtung wirken.

2.3.3. Heimalltag

Jeden Neuankömmling erwartet das ALREJU- Willkommenspaket. Das beinhaltet zwei Handtücher, eine Zahnbürste, ein T-Shirt mit dem Aufdruck ,,ALREJU", eine Telefonkarte und einen freien Anruf an eine Person ihrer Wahl. Wer das in der Regel ist, wissen die Erzieher nicht. Der obligatorische Tee gehört ebenfalls zum Ankunftsritual, denn ein langer Weg liegt hinter jedem, den es ins ALREJU verschlägt.

Die Hauptroute führt vom jeweiligen Heimatland per Flugzeug erst mal nach Kiew. Dort verbringen sie eine Woche bis mehrere Monate, um dann weiter in Lkws nach Deutschland, genauer nach Brandenburg, zu gelangen.

Die Kinder werden oft von ihren Eltern aus ökonomischen Gründen (z.B. Vietnam, Indien) oder wegen eines (Bürger-) Krieges (z.B. Sudan) in die Ungewißheit geschickt. Sie stammen aus Familien der unteren Mittelschicht, auf keinen Fall sind es die Ärmsten der Armen. Denen fehlen die Verbindungen und vor allem das Geld für die Schlepperbanden. Das ist die häufigste Variante; einige kommen auch mit entfernten Verwandten oder Bekannten. In Deutschland greift sie die Polizei oder der Bundesgrenzschutz auf. Dieser verhört sie, nimmt ihre Personalien auf und alarmiert dann das Jugendamt, welches sich wiederum an das ALREJU wendet. Wenn irgendwie möglich holt ein Mitarbeiter des Heimes den Flüchtling - oft aus der Zelle - ab. Zur Erholung von den letzten Stunden gibt es den Tee, und erst mal keine weiteren Fragen.

Im ALREJU wird keiner gezwungen zu bleiben. Wer den Entschluß fast zu gehen, dem steht die Tür offen. Die Aufenthaltsdauer liegt zwischen 24 Stunden und sechs Jahren.

Die Kinder und Jugendlichen verlassen die Einrichtung aus mannigfaltigen Gründen.

Beispielsweise wenn sie Verwandte in Deutschland oder im europäischen Ausland gefunden haben, oder sie zu sonstigen Kontaktadressen weiterreisen.

Einige wenige der Jugendlichen sind auf Trebe und ein weiterer, sehr seltener Grund, ist die extreme Altersinkongruenz (siehe 2.2.2. Probleme der Sozialpädagogen und Betreuer).

Denen, die schon längere Zeit in der Einrichtung sind, merken die Betreuer den Entschluß zu gehen oft an. Sie helfen mit Gesprächen oder anderen Mitteln so gut sie können. Jeder Zuund Weggang zieht viel Papierkram nach sich.

Der Träger der Einrichtung ist zwar die Diakonie, die Finanzierung läuft jedoch über die verschiedenen Jugendämter, in dessen Bereichen die Flüchtlinge aufgegriffen wurden. Bei denen müssen Fluktuationen gemeldet werden. Daher der aufwendige Bürokratismus.

Jedem Flüchtling stehen 9 DM Verpflegungsgeld pro Tag, Friseur- und Kosmetik, sowohl Taschengeld zu. Das Taschengeld staffelt sich nach Altersgruppen. Die Zwölf- bis Sechzehnjährigen erhalten 30 DM, die Sechzehn- bis Achtzehnjährigen 50 DM und die über Achtzehnjährigen 100 DM im Monat. Einmalig bei der Ankunft werden 300 DM Kleidungsgeld gezahlt.

Die Kinder und Jugendlichen die längere Zeit bleiben, finden sich bald in einen Alltag ein. Alle müssen zur Schule gehen. Zuvor lernen sie in einer hauseigenen Vorschulung Grundbegriffe der deutschen Sprache. Die Jüngeren beginnen in einer ersten Klasse der Grundschule. Die Älteren besuchen zunächst eine ,,Ausländerklasse". Dort werden sie anfänglich nur im Fach Deutsch unterrichtet. Nach und nach kommen die anderen Fächer dazu. Wer das Klassenziel der achten Klasse erreicht, wird in eine ,,normale" neunte Realschulklasse versetzt.

Ein großes Problem für die Betreuer und die Kommunikation untereinander war das ständige Fernsehen in der Freizeit. Seit nur noch ein Fernseher in jeder Wohnung zur Verfügung steht, werden die Sportanlagen des Hauses, oder die von Erziehern täglich organisierten Kurse ( Basteln, Malen usw.) vermehrt genutzt. Gelegentlich finden Fahrten zu Festen verschiedener Nationen, die im Heim vertreten sind, statt.

Komplikationen mit Rechtsextremen gab es bis jetzt kaum. Das beruht allerdings auf einer Meidungshaltung der ALREJU- Bewohner. Das multikulturelle Zusammenleben in der Einrichtung funktioniert sehr gut, obwohl die verschiedenen Nationen manchmal unter sich bleiben.

2.3.4. Die Bewohner

Seit Gründung der Einrichtung konnten rund 300 Kinder untergebracht werden. Vorrangig kamen sie aus Sri Lanka, Vietnam und Bangladesch. Die Zahl der über die Jahre untergebrachten Kinder und Jugendlichen kann nicht ganz exakt angegeben werden, da viele nicht länger als drei bis sechs Stunden bleiben. In dem Abschnitt, in dem wir den Heimalltag beschrieben haben, erwähnten wir schon die Hauptfluchtroute. Jetzt wollen wir versuchen, an Hand von vier Einzelschicksalen die Geschichte der alleinreisenden minderjährigen Kinder und Jugendlichen näher zu bringen.

Das Beispiel von Chang aus Nordvietnam beschreibt den typischen Fluchtablauf. Die 15jährige wurde von ihren Großeltern großgezogen. Kurz vor dem Tod der Großmutter verfügte diese, daß das Haus verkauft werden soll und von dem Erlös eine Flugticket für Chang gekauft wird. So gelangte Chang nach Kiew, wo sie ein halbes Jahr in einem Mehrfamilienhaus eingesperrt leben mußte, und auf die Fortsetzung ihrer Flucht wartete. In einer Nacht und Nebel Aktion wurde sie in ein Flugzeug, mit für sie unbekannten Ziel gesetzt. In Deutschland angekommen, wurde sie im Land Brandenburg vom Bundesgrenzschutz aufgegriffen. Das Team des ALREJU holte sie aus einer Gefängniszelle ab und brachte sie in die Einrichtung. Dort lebt sie jetzt schon seit ca. einem Jahr. Das Trauma der Flucht, konnte sie noch nicht ganz hinter sich lassen, da sie, um ihre Schulden der Flucht zu begleichen, für die

Schlepperbande, die sie nach Deutschland brachte, arbeiten muß,. Uns ist leider nicht bekannt, welche Tätigkeiten sie ausübt. Dies ist einer von den leisen, unspektakulären Fällen, die in der Einrichtung vorkommen.

Im Gegensatz dazu der sehr laute, außergewöhnliche Fall der beiden Brüder aus dem Irak. Mustafa, 17 ½ Jahre alt und Murrath, 13 Jahre alt sind die Kinder einer eher wohlhabenden Familie aus der Umgebung von Basra. Sie gehören einer christlichen Minderheit des Landes an.

Die Eltern betreiben ein gutgehendes Geschäft im Ort.

Im Irak müssen die jungen Männer im Alter von 18 Jahren ihre zweijährige Wehrpflicht und im Alter von 14 Jahren ihren Dienst in der Vorarmee antreten. Da die Eltern befürchteten, ihre Kinder könnten Opfer von religiösem Fanatismus werden, planten sie deren Flucht. Die Angehörigen unterstützten die Aktion finanziell und der Pfarrer der ansässigen Gemeinde stellte ihnen ein Empfehlungsschreiben aus, in dem die Bitte formuliert wurde, für die Kinder gut zu sorgen, wo immer sie auch aufgenommen werden sollten. Da auf Wehrflucht im Irak die Todesstrafe steht, werden die Brüder ihre Eltern nie wieder sehen, zumindest nicht in ihrem Heimatland. Ihren genauen Fluchtweg konnten wir nicht recherchieren.

Auch bei dem elfjährigen Mohammed aus Afghanistan wissen wir lediglich warum, jedoch nicht wie er nach Deutschland kam. Seine Eltern gehörten dem ehemaligen Regierungsstab an, aber durch einen fundamentalen Machtwechsel werden sie heute politisch verfolgt. Sie leiden unter massiven Repressionen. Ihr Sohn sollte diesem Druck nicht ausgesetzt werden, daher entschlossen sich die Eltern Mohammed mit dem Flugzeug außer Landes in Sicherheit zu bringen. Deutschland bot sich als Ziel an, da die Familie dort Verwandte hat, bei denen er unterkommen konnte. Sein Aufenthalt im ALREJU war daher nur von kurzer Dauer. Das Team half Mohammed seine hier lebenden Familienangehörigen zu finden. Dieser Fall könnte als harmlos bezeichnet werden, im Vergleich zur letzten Fluchtbeschreibung, die wir noch schildern möchten.

Die fünfzehnjährige Naomi, Tochter eines christlichen Priesters, aus einer Provinz im Südsudan gehört sicherlich zu den lauten Fällen, die bei ALREJU bekannt sind. Der verheerende Glaubenskrieg der muslimischen Fundamentalisten zwingt die Anhänger anderer Religionen in den Widerstand zu gehen. So auch Naomis Eltern.

Sie mußte miterleben, wie ihre Mutter von sudanesischen Militärs verschleppt wurde und ihren Vater ermordeten. Das verwaiste Mädchen kam vorerst bei entfernten Verwandten unter.

Doch dieser Alptraum hatte für sie noch kein Ende.

Gemeinsam mit einer Freundin wurde sie von Soldaten geschändet und danach sexuell mißbraucht, wovon sie schwanger wurde. Daraufhin schleusten ihre Verwandten sie, unter widrigen Umständen auf dem Seeweg nach Europa. Ihre erste Anlaufstelle war Hamburg, von wo sie weiter nach Brandenburg gelangte und in ALREJU ein vorläufiges Zuhause fand. Aufgrund dieser Erlebnisse zog sie sich weitestgehend zurück und ließ keinen körperlichen Kontakt zu. Vor einem halben Jahr gebar sie eine gesunde Tochter, die ihr neue Kraft und Lebensmut zurück gab. Allmählich versucht sie ihr Trauma aus dem Sudan aufzuarbeiten, ihren elterlichen Verlust zu überwinden und in ihre Mutterrolle reinzuwachsen.

Woher kommen wieviel Jugendliche ins ,,ALREJU" ?

Von der Eröffnung (Juni 1993) bis heute (August 1999).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3. Schlußteil

3.1. Zusammenfassung

Nach der Wende wurde auch Brandenburg ein Einwanderungsgebiet, und es wurden spezielle, altersgerechte Unterbringungsformen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge notwendig. Eine dieser Einrichtungen ist das ALREJU.

Es umfaßt 50 Plätze, jedoch wird bei Bedarf die Bettenzahl aufgestockt. Die Wohneinheiten sind aufgeteilt in Kinderwohnungen, Mädchenwohnungen und Jugendwohnungen. Die Jugendlichen verpflegen sich selbst, für die Kinder kocht eine Küchenkraft.

Die Leiterin der Einrichtung ist Mathilde Killisch. Ihr unterstehen drei Sozialarbeiter, und ein bis zwei Erzieher pro Wohneinheit.

In den letzten acht Jahren fanden circa 300 Flüchtlinge Zuflucht im ALREJU. Die Gründe dafür, daß Eltern ihre Kinder in die Industriestaaten schicken, sind vorallem Ökonomische, oder der Versuch sie vor den Kriegsgebahren und -folgen zu bewahren. Beiden ist aber gemein, daß sie ihren Kindern ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen wollen. Den höchsten Anteil der Bewohner stellen Kinder und Jugendliche aus Sri Lanka, Vietnam und Bangladesch. Deshalb ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß die Hauptfluchtroute über Kiew führt. Von dort aus gelangen sie dann in Lkws nach Brandenburg.

Die Aufenthaltsdauer im ALREJU liegt zwischen 24 Stunden und sechs Jahren. Wenn die Bewohner zu Verwandten in Deutschland oder im europäischen Ausland oder zu anderen Kontaktadressen weiterreisen wollen, werden sie nicht zurückgehalten, sondern unterstützt.

Das größte Problem in der Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ist das der Altersinkongruenz. Die jugendlichen und Kinder erreichen Deutschland ohne gültige Papiere und ihr wirkliches Alter kann nur geschätzt werden.

Doch es gibt keine zuverlässigen Kriterien zur Bestimmung der körperlichen und psychosozialen Entwicklung. Körperliche Reifemerkmale zum Beispiel unterliegen Umweltfaktoren. Die kulturellen Unterschiede und die Erlebnisse auf der Flucht verursachen zudem eine individuelle Altersverschiebung. Unbedingt beachten muß man auch die Tatsache, daß die somatische und psychische Reifung nicht synchron laufen.

Es gibt zwei Arten von Alterslügen. Für einige Jugendliche ist es wichtig so schnell wie möglich unabhängig und selbständig zu sein, um beispielsweise ihre Familie finanziell zu unterstützen oder Fluchtschulden abzuzahlen. Sie machen sich älter um baldigst als erwachsen zu gelten, und arbeiten zu können. Müssen diese Jugendlichen das Heim verlassen, wiederholt sich für sie das Entwurzelungstrauma.

Die andere Alterslüge wird vorallem von denjenigen genutzt, die die Sicherheit des Heimes längst möglich nutzen wollen. Sie machen sich jünger. Wenn sie ihre Erwachsenenbedürfnisse nicht mehr unterdrücken können müssen sie die Einrichtung verlassen.

3.2. Persönliches Resümee

Unser persönliches Resümee der ALREJU- Einrichtung möchten wir in verschiedenen Ebenen beschreiben .

Die erste Ebene ist das Haus selbst. Es ist ein ehemaliges sowjetisches Kasernengelände am Rande von Fürstenwalde, daß für Armeeangehörige und deren Familienangehörige als Wohnquartier diente. Der Eindruck dieses Ortes erschien uns doch eher trist und zweckgebunden zu sein.

Umzäunt und mit spärlichem Grün ist er nicht unbedingt ein Platz für Kinder und Jugendliche und deren Bedürfnisse. Aber um das Klientel in Fürstenwalde unterzubringen, bot sich diese Örtlichkeit an, da nach der Wende keine Verwendung für die Kasernenanlage mehr bestand. In dieser Hinsicht handelte die Stadt pragmatisch und kostenorientiert. Jedoch bewilligte man den Ausbau des Dachbodens für Konferenzräume und es ist der Ausbau der Kellerräume geplant für Partyräumlichkeiten, wenn das Budget es in der nächsten Zeit zuläßt.

Als zweite Ebene unserer Eindrücke ergab sich die Situation der Akzeptanz der Einrichtung innerhalb des Stadtgebietes von Fürstenwalde. Inwieweit hier die Kinder und Jugendlichen von den Anwohnern der Einrichtung und generell von den Bewohnern Fürstenwaldes angenommen wird, ist uns nicht bekannt. Dennoch denken wir, daß die BewohnerInnen von ALREJU sich vom ortsüblichen Erscheinungsbild unterscheiden und somit Opfer von fremdenfeindlichen Übergriffen werden könnten. Es ist ja bekannt, daß in Brandenburg eine hohe Ausländerfeindlichkeit vorherrscht. Aus diesem Grund ist die Institution sehr vorsichtig mit der Bekanntgabe ihrer Adresse.

Demnach ist die Adresse von ALREJU nur bei Jugendämtern, Polizeistationen und des Bundesgrenzschutzes Brandenburgs zu erfragen.

Die dritte Ebene sehen wir in der sozialen Arbeit für die Betroffenen. Hier stehen den aufgenommen Kindern und Jugendlichen drei Sozialarbeiter, für die ganze Einrichtung, und zwei Erzieher, pro Wohneinheit, zur Verfügung.

Unser Eindruck war, daß die Sozialarbeiter sich gut im Bereich des Kinder- und Jugendhilfegesetzes auskennen und das Hin- und Herorganisieren mit Behörden um die Belange der BewohnerInnen viel von ihnen abverlangt und sie nachhaltig prägt.

Aus Erzählungen mit einigen der Angesprochenen hatten wir den Eindruck, daß doch viele Probleme die aus der Arbeit mit dem Klientel entstehen, mit nach Hause genommen werden und nur langsam verarbeiten werden können. Persönliche Bindungen zum Klientel entstehen zwangsläufig, und plötzliche Trennungen fallen dann auch schwer, zumal es meist kein Wiedersehen gibt und der Kontakt abbricht. Wem würde es nicht schwerfallen immer wieder von Neuem anzufangen. Wir haben den Eindruck, daß diese Arbeit nicht jeder machen kann.

Die letzte und vierte Ebene unseres Eindrucks von ALREJU ergab sich aus der Sicht der BewohnerInnen.

Wir hatten das Gefühl, daß die meisten, die wir dort antrafen, sich wohl zu fühlen schienen, obwohl wir nur kurze Zeit anwesend waren. Die älteren Jugendlichen spielten auf der kleinen Wiese vor dem Haus Fußball, die Mädchen im Haus hörten heimische Musik und sangen dazu. Kleinere Kinder sprangen im Treppenhaus die Stufen auf und ab. Eigentlich ein recht harmonischer Eindruck an einem sonnigen Sonntagnachmittag im Wohnheim für allein reisende Kinder und Jugendliche in Fürstenwalde.

Uns ist jedoch bewußt, daß jeder einzelne von ihnen seine Probleme und Ängste hat, aber eben auch, daß sie sich dort aufgehoben fühlen dürfen, wenn sie es zulassen.

Alles in Allem ist ALREJU ein Institution, die für Minderjährige Flüchtlinge eine erste Anlaufstelle sein kann. Aber wie viele zählen zur Dunkelziffer? Wie viele werden nicht als allein reisende Minderjährige erfaßt und registriert, also auch nicht entsprechend betreut und aufgenommen ?

ALREJU kann hier nur einen kleinen Teil gegen das Elend dieser Welt leisten, aber besser als gar nichts.

3.3 Literaturverzeichnis

Karin Weiß, Oggi Enderlein, Peter Rieker

,,Das Projekt unbegleitet jugendliche Flüchtlinge" Potsdam 1996

Berry Bogin

,,Patterns of Human Growth"

Cambridge 1996

Tanja Laier

,,Aus der Hand gelesen"

Gutachten im Auftrag von Pro Asyl e.v.

Frankfurt am Main 1995

3.4. Übersicht über angesprochene Gesetze und Paragraphen

3.4.1. Auszug - Kinder- und Jugendhilfegesetz

Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG)

Sozialgesetzbuch - Achtes Buch Textausgabe

5. Auflage 1998

§ 6

Geltungsbereich

(1) Leistungen nach diesem Buch werden jungen Menschen, Müttern, Vätern und Personensorgeberechtigten von Kindern und Jugendlichen gewährt, die ihren tatsächlichen Aufenthalt im Inland haben. Für die Erfüllung anderer Aufgaben gilt Satz 1 entsprechend.
(2) Ausländer können Leistungen nach diesem Buch nur beanspruchen, wenn sie regelmäßig oder auf Grund einer ausländischen Duldung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben.

§ 13

Jugendsozialarbeit

(1) Junge Menschen, die zum Ausgleich sozialer Benachteiligung oder zur Überwindung individueller Beeinträchtigungen in erhöhtem Maße auf Unterstützung angewiesen sind, sollten im Rahmen der Jugendhilfe sozialpädagogische Hilfen angeboten werden, die ihre schulische und berufliche Ausbildung, Eingliederung in die Arbeitswelt und ihre soziale Integration fördern.
(2) Soweit die Ausbildung dieser junger Menschen nicht durch Maßnahmen und Programme anderer Träger und Organisationen sichergestellt wird, können geeignete sozialpädagogisch begleitete Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen angeboten werden, die den Fähigkeiten und dem Entwicklungsstand dieser jungen Menschen Rechnung tragen.
(3) Jungen Menschen kann während der Teilnahme an schulischen oder beruflichen Bildungsmaßnahmen oder bei der beruflichen Eingliederung Unterkunft in sozialpädagogisch begleiteten Wohnformen angeboten werden. In diesen Fällen sollen auch der notwendige Unterhalt des jungen Menschen sichergestellt und Krankenhilfe nach Maßgabe der § 40 geleistet werden.
(4) Die Angebote sollen mit den Maßnahmen der Schulverwaltung, der Bundesanstalt für Arbeit, der Träger betrieblicher und außerbetrieblicher Ausbildung sowie der Träger von Beschäftigungsangeboten abgestimmt werden.

§ 42

Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen

(1) Inobhutnahme eines Kindes oder eines Jugendlichen ist die vorläufige Unterbringung des Kindes oder des Jugendlichen bei

1. einer geeigneten Person oder
2. in einer Einrichtung oder
3. in einer sonstigen betreuten Wohnform.

Während der Inobhutnahme sind der notwendige Unterhalt des Kindes oder des Jugendlichen und die Krankenhilfe sicherzustellen. Mit der Inobhutnahme dem Kindes oder dem Jugendlichen unverzüglich Gelegenheit zu geben, eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Während der Inobhutnahme übt das Jugendamt das Recht der Beaufsichtigung, Erziehung und Aufenthaltsbestimmung aus; der mutmaßliche Wille des Personensorgeberechtigten oder des Erziehungsberechtigten ist dabei angemessen zu berücksichtigen. Es hat für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen zu sorgen, das Kind oder den Jugendlichen in seiner gegenwärtigen Lage zu beraten und Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung aufzuzeigen.

(2) Das Jugendamt ist verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn das Kind oder der Jugendliche um Obhut bittet

3.4.2.Auszug - Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz)

Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz)

vom 09. Juli 1990 (BGBl.I S. 1334), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes vom 15. Juli 1999 (BGBl. I S. 1618)

§ 68

Handlungsfähigkeit Minderjähriger

(1) Fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nach diesem Gesetz ist auch ein Ausländer, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, sofern er nicht nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzes geschäftsunfähig oder im Fall seiner Volljährigkeit in dieser Angelegenheit zu betreuen und einem Einwilligungsvorbehalt zu unterstellen wäre.
(2) Die mangelnde Handlungsfähigkeit eines Minderjährigen steht seiner Zurückweisung und Zurückschiebung nicht entgegen. Das gleiche gilt für die Androhung und Durchführung der Abschiebung in den Herkunftsstaat, wenn sich sein gesetzlicher Vertreter nicht im Bundesgebiet aufhält oder dessen Aufenthaltsort im Bundesgebiet unbekannt ist.
(3) Bei der Anwendung dieses Gesetzes sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches dafür maßgebend, ob ein Ausländer als minderjährig oder volljährig anzusehen ist. Die Geschäftsfähigkeit und die sonstige rechtliche Handlungsfähigkeit eines nach dem Recht seines Heimatstaates volljährigen Ausländers bleiben davon unberührt.
(4) Die gesetzlichen Vertreter eines Ausländers, der das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und sonstige Personen, die an Stelle der gesetzlichen Vertreter den Ausländer im Bundesgebiet betreuen, sind verpflichtet, für den Ausländer die erforderlichen Anträge auf Erteilung und Veränderung der Aufenthaltsgenehmigung und auf Erteilung und Verlängerung des Passes, des Paßersatzes und des Ausweisersatzes zu stellen.

3.4.3. Haagener Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen

Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5.Oktober 1961

( BGBI, 1971 II S. 217 )

Die Unterzeichnerstaaten dieses Übereinkommens, in dem Wunsch, gemeinsame Bestimmungen über die Zuständigkeit der Behörden und über das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen festzulegen, haben beschlossen, zu diesem Zweck ein Übereinkommen zu schließen, und haben die folgenden Bestimmungen vereinbart:

Artikel 1

Die Behörden, seien es Gerichte oder Verwaltungsbehörden, des Staates, in dem ein Minderjähriger seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sind, vorbehaltlich der Bestimmung der Artikel 3, 4 und 5 Absatz 3, dafür zuständig, Maßnahmen zum Schutz der Person und des Vermögens des Minderjährigen zu treffen.

Artikel 2

Die nach Artikel 1 zuständigen Behörden haben die nach ihrem innerstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen zu treffen.

Dieses Recht bestimmt die Voraussetzungen für die Anordnung, die Änderung und die Beendigung dieser Maßnahme. Es regelt auch deren Wirkungen sowohl im Verhältnis zwischen dem Minderjährigen und den Personen oder den Einrichtungen, denen er anvertraut ist, als auch im Verhältnis zu Dritten.

Artikel 3

Gewaltverhältnis, das nach dem innerstaatlichen Recht des Staates, dem der Minderjährige angehört, kraft Gesetzes besteht, ist in allen Vertragsstaaten anzuerkennen.

Artikel 4

Sind die Behörden des Staates, dem der Minderjährige angehört, der Auffassung, daß das Wohl des Minderjährigen es erfordert, so können sie nach ihrem innerstaatlichen Recht zum Schutz der Person oder des Vermögens des Minderjährigen Maßnahmen treffen, nachdem sie die Behörden des Staates verständigt haben, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Dieses Recht bestimmt die Voraussetzungen für die Anordnung, die Änderung und die Beendigung dieser Maßnahmen. Es regelt auch deren Wirkungen sowohl im Verhältnis zwischen dem Minderjährigen und den Personen oder den Einrichtungen, denen er anvertraut ist, als auch im Verhältnis zu Dritten.

Für die Durchführung der getroffenen Maßnahmen haben die Behörden des Staates zu sorgen, dem der Minderjährige angehört.

Die nach den Absätzen 1 bis 3 getroffenen Maßnahmen treten an die Stelle von Maßnahmen, welche die Behörden des Staates getroffen haben, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Artikel 5

Wird der gewöhnlichen Aufenthalt eines Minderjährigen aus einem Vertragsstaat in einen anderen verlegt, so bleiben die von den Behörden des Staates des früheren gewöhnlichen Aufenthalts getroffenen Maßnahmen so lange in Kraft, bis die Behörden des neuen gewöhnlichen Aufenthalts sie aufheben oder ersetzen.

Die von den Behörden des Staates des früheren gewöhnlichen Aufenthalts getroffenen Maßnahmen dürfen erst nach vorheriger Verständigung dieser Behörden aufgehoben oder ersetzt werden.

Wird der gewöhnliche Aufenthalt eines Minderjährigen, der unter dem Schutz der Behörden des Staates gestanden hat, dem er angehört, verlegt, so bleiben die von diesen nach ihrem innerstaatlichen Recht getroffenen Maßnahmen im Staate des neuen gewöhnlichen Aufenthalts in Kraft.

Artikel 6

Die Behörden des Staates, dem der Minderjährige angehört, können im Einvernehmen mit den Behörden des Staates, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder Vermögen besitzt, diesen die Durchführung der getroffenen Maßnahmen übertragen.

Die gleiche Befugnis haben die Behörden des Staates, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, gegenüber den Behörden des Staates, in dem der Minderjährige Vermögen besitzt.

Artikel 7

Die Maßnahmen, welche die nach den vorstehenden Artikeln zuständigen Behörden getroffen haben, sind in allen Vertragsstaaten anzuerkennen. Erfordern diese Maßnahmen jedoch Vollstreckungshandlungen in einem anderen Staat als in dem, in welchem sie getroffen worden sind, so bestimmen sich ihre Anerkennung und ihre Vollstreckung entweder nach dem innerstaatlichen Recht des Staates, in dem die Vollstreckung beantragt wird, oder nach zwischenstaatlichen Übereinkünften.

Artikel 8

Die Artikel 3 , 4 und 5 Absatz 3 schließen nicht aus, daß die Behörden des Staates, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, Maßnahmen zu Schutz des Minderjährigen treffen, soweit er in seiner Person oder seinem Vermögen ernstlich gefährdet ist.

Die Behörden der anderen Vertragsstaaten sind nicht verpflichtet, diese Maßnahmen anzuerkennen.

Artikel 9

In allen dringenden Fällen haben die Behörden jedes Vertragsstaates, in dessen Hoheitsgebiet sich der Minderjährige oder ihm gehörendes Vermögen befindet, die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen.

Die nach Absatz 1 getroffenen Maßnahmen treten, soweit sie keine endgültigen Wirkungen hervorgebracht haben, außer Kraft, sobald die nach diesem Übereinkommen zuständigen Behörden die durch die Umstände gebotenen Maßnahmen getroffen haben.

Artikel 10

Um die Fortdauer der dem Minderjährigen zuteil gewordenen Betreuung zu sichern, haben die Behörden eines Vertragsstaates nach Möglichkeit Maßnahmen, erst dann zu treffen, nachdem sie einen Meinungsaustausch mit den Behörden der anderen Vertragsstaaten gepflogen haben, deren Entscheidungen noch wirksam sind.

Artikel 11

Die Behörden, die auf Grund dieses Übereinkommens Maßnahmen getroffen haben, haben dies unverzüglich den Behörden des Staates, dem der Minderjährige angehört, und gegebenenfalls den Behörden des Staates seines gewöhnlichen Aufenthalts mitzuteilen.

Jeder Vertragsstaat bezeichnet die Behörden, welche die in Absatz 1 erwähnten Mitteilungen unmittelbar geben und empfangen können. Er notifiziert diese Bezeichnung dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Niederlande.

Artikel 12

Als ,,Minderjähriger" im Sinne dieses Übereinkommens ist anzusehen, wer sowohl nach dem innerstaatlichen Recht des Staates, dem er angehört, als auch nach dem innerstaatlichen Recht des Staates seines gewöhnlichen Aufenthalts minderjährig ist.

Artikel 13

Dieses Übereinkommen ist auf alle Minderjährigen anzuwenden, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem der Vertragsstaaten haben.

Die Zuständigkeiten, die nach diesem Übereinkommen den Behörden des Staates zukommen, dem der Minderjährige angehört, bleiben jedoch den Vertragsstaaten vorbehalten.

Jeder Vertragsstaat kann sich vorbehalten, die Anwendung dieses Übereinkommens auf Minderjährige zu beschränken, die einem der Vertragsstaaten angehören.

Artikel 14

Stellt das innerstaatliche Recht des Staates, dem der Minderjährige angehört, keine einheitliche Rechtsordnung dar, so sind im Sinne dieses Übereinkommens als ,,innerstaatliches Recht des Staates, dem der Minderjährige angehört" und als ,, Behörden des Staates, dem der Minderjährige angehört" das Recht und die Behörden zu verstehen, die durch die im betreffenden Staat geltenden Vorschriften, und mangels solcher Vorschriften, durch die engste Bindung bestimmt werden, die der Minderjährige mit einer der Rechtsordnungen dieses Staates hat.

Artikel 15

Jeder Vertragsstaat, dessen Behörden dazu berufen sind, über ein Begehren auf Nichtigerklärung, Auflösung oder Lockerung des zwischen den Eltern eines Minderjährigen bestehenden Ehebandes zu entscheiden, kann sich die Zuständigkeit dieser Behörden für Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Minderjährigen vorbehalten.

Die Behörden der anderen Vertragsstaaten sind nicht verpflichtet, diese Maßnahme anzuerkennen.

Artikel 16

Die Bestimmungen diese Übereinkommens dürfen in den Vertragsstaaten nur dann unbeachtet bleiben, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar ist.

Artikel 17

Diese Übereinkommen ist nur auf Maßnahmen anzuwenden, die nach seinem Inkrafttreten getroffen worden sind.

Gewaltverhältnisse, die nach dem innerstaatlichen Recht des Staates, dem der Minderjährige angehört, kraft Gesetzes bestehen, sind vom Inkrafttreten des Übereinkommens an anzuerkennen.

Artikel 18

Dieses Übereinkommen tritt im Verhältnis der Vertragsstaaten zueinander an die Stelle des am 12. Juni 1902 in Haag unterzeichneten Abkommens zur Regelung der Vormundschaft über Minderjährige.

Er läßt die Bestimmungen anderer zwischenstaatlicher Übereinkünfte unberührt, die im Zeitpunkt seines Inkrafttretens zwischen den Vertragsstaaten gelten.

Artikel 19

Dieses Übereinkommen liegt für die bei der neunten Tagung der Haager Konferenz für internationales Privatrecht vertretenen Staaten zur Unterzeichnung auf.

Es bedarf der Ratifizierung, die Ratifikationsurkunden sind beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Niederlande zu hinterlegen.

Artikel 20

Dieses Übereinkommen tritt am sechzigsten Tag nach der in Artikel 19 Absatz 2 vorgesehenen Hinterlegung der dritten Ratifikationsurkunde in Kraft.

Das Übereinkommen tritt für jeden Unterzeichnerstaat, der es später ratifiziert, am sechzigsten Tag nach Hinterlegung seiner Ratifikationsurkunde in Kraft.

Artikel 21

Jeder bei der neunten Tagung der Haager Konferenz für internationales Privatrecht nicht vertretenen Staat kann diesem Übereinkommen beitreten, nach dem es gemäß Artikel 20 Absatz 1 in Kraft getreten ist. Die Beitrittsurkunde ist bei Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Niederlande zu hinterlegen.

Der Beitritt wirkt nur im Verhältnis zwischen dem beitretendem Staat und den Vertragsstaaten, die erklärt haben, diesen Beitritt anzunehmen. Die Annahmeerklärung ist dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Niederlande zu notifizieren. Das Übereinkommen tritt zwischen dem beitretenden Staat und dem Staat, der diesen Beitritt anzunehmen erklärt hat, am sechzigsten Tag nach der in Absatz 2 vorgesehenen Notifikation in Kraft.

Artikel 22

Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung, der Ratifizierung oder beim Beitritt erklären, daß dieses Übereinkommen auf alle oder auf einzelne der Hoheitsgebiete ausgedehnt werde, deren internationale Beziehungen er wahrnimmt. Eine solche Erklärung wird wirksam, sobald das Übereinkommen für den Staat, der sie abgegeben hat, in Kraft tritt.

Später kann dieses Übereinkommen auf solche Hoheitsgebiete durch eine an das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Niederlande gerichtete Notifikation ausgedehnt werden.

Wird diese Erklärung über die Ausdehnung durch einen Staat abgegeben, der das Übereinkommen unterzeichnet und ratifiziert hat, so tritt das Übereinkommen für die in Betracht kommenden Hoheitsgebiete gemäß Artikel 20 in Kraft. Wird die Erklärung über die Ausdehnung durch einen Staat abgegeben, der dem Übereinkommen beigetreten ist, so tritt das Übereinkommen für die in Betracht kommenden Hoheitsgebiete gemäß Artikel 22 in Kraft.

Artikel 23

Jeder Staat kann spätestens bei der Ratifizierung oder beim Beitritt die in den Artikeln 13 Absatz 3 und Artikel 15 Absatz 1 vorgesehenen Vorbehalte erklären. Andere Vorbehalte sind nicht zulässig.

Ebenso kann jeder Vertragsstaat bei der Notifikation einer Ausdehnung des Übereinkommens gemäß Artikel 22 diese Vorbehalte für alle oder einzelne der Hoheitsgebiete, auf die sich die Ausdehnung erstreckt, erklären.

Jeder Vertragsstaat kann einen Vorbehalt, den er erklärt hat, jederzeit zurückziehen. Diese Zurückziehung ist dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Niederlande zu notifizieren.

Die Wirkung des Vorbehaltes erlischt am sechzigsten Tag nach der in Absatz 3 vorgesehenen Notifikation.

Artikel 24

Dieses Übereinkommen gilt für die Dauer von fünf Jahren, gerechnet von seinem Inkrafttreten gemäß Artikel 20 Absatz 1, und zwar auch für Staaten, die es später ratifiziert haben oder ihm später beigetreten sind.

Die Geltungsdauer des Übereinkommens verlängert sich, außer im Fall der Kündigung, stillschweigend um jeweils fünf Jahre.

Die Kündigung ist spätestens sechs Monate, bevor der Zeitraum von fünf Jahren jeweils abläuft, dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Niederlande zu notifizieren.

Sie kann sich auf bestimmte Hoheitsgebiete, auf die das Übereinkommen anzuwenden ist, beschränkt.

Die Kündigung wirkt nur für den Staat, der sie notifiziert hat. Für die anderen Vertragsstaaten bleibt das Übereinkommen in Kraft.

Artikel 25

Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Niederlande notifiziert den in Artikel 19 bezeichneten Staaten sowie Staaten, die gemäß Artikel 21 beigetreten sind:

a) die Notifizierung gemäß Artikel 11 Absatz 2;
b) die Unterzeichnungen und die Ratifikation gemäß Artikel 19;
c) den Tag, an dem dieses Übereinkommen gemäß Artikel 20 Absatz 1 in Kraft tritt;
d) die Beitritts- und die Annahmeerklärungen gemäß Artikel 22 sowie den Tag, an dem sie wirksam werden;
e) die Erklärung über die Ausdehnung gemäß Artikel 22 sowie den Tag, an dem sie wirksam werden,
f) die Vorbehalte und die Zurückziehung vom Abkommen gemäß Artikel 23;
g) die Kündigung gemäß Artikel 24 Absatz 3.

ZU URKUND DESSEN haben die gehörig bevollmächtigten Unterzeichneten dieses Übereinkommen unterschrieben.

[...]


1 Karin Weiss, Oggi Enderlein, Peter Rieker, Das Projekt ,,Unbegleitete Jugendliche Flüchtlinge", Matthias Schreckenbach (Hrsg); Potsdam Dezember 1996, Seite 30

2 Bogin, Berry: Patterns of Human Growth, Camebridge 1996

3 Laier, Tanja: Aus der Hand gelesen, Gutachten im Auftrag des Fördervereins PRO ASYL e.V.; Frankfurt/M 1995; S.15; Brief von Prof. Dr. Stöver

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Unbegleitete Jugendliche Flüchtlinge
Hochschule
Evangelische Hochschule Berlin
Autor
Jahr
1999
Seiten
31
Katalognummer
V97913
ISBN (eBook)
9783638963640
Dateigröße
511 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Unbegleitete, Jugendliche, Flüchtlinge
Arbeit zitieren
Nadinchen (Autor:in), 1999, Unbegleitete Jugendliche Flüchtlinge, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97913

Kommentare

  • Gast am 29.5.2001

    Unbegleitete Jugendliche Flüchtlinge.

    plastische Schilderung
    Dank für den Mut,dieses Thema ohne Vorkenntnisse überhaupt anzugehen.

    Es wäre schön, wenn jemand mit einschlägiger Berufserfahrung ergänzende Kommentare aus seiner Perspektive hinzugefügt hätte (bei Kenntlichmachung)

Blick ins Buch
Titel: Unbegleitete Jugendliche Flüchtlinge



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