Bevölkerungsgeographie der Entwicklungsländer: Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was sind die wichtigsten Entwicklungstendenzen der Bevölkerung in Entwicklungsländern?
Die Weltbevölkerung wächst langsamer als vor 30 Jahren (von 2% auf 1,3%), dennoch kommen jährlich 78 Millionen Menschen hinzu. Frauen bekommen im Durchschnitt weniger Kinder, aber die Anzahl der Frauen im gebärfähigen Alter ist gestiegen. 75% der Weltbevölkerung leben in Entwicklungsländern, auf die 90% des jährlichen Bevölkerungswachstums entfallen.
Was ist das Modell des demografischen Übergangs und wie funktioniert es in Entwicklungsländern?
Das Modell beschreibt die Entwicklung der Geburten- und Sterberate in vier Phasen. In Entwicklungsländern sinkt die Sterberate schneller als in Industrieländern, was zu hohen Wachstumsraten (Bevölkerungsexplosion) führt. Die Geburtenrate sinkt ebenfalls, beschleunigt durch moderne Kommunikationsmittel. Der gesamte demografische Übergang vollzieht sich daher schneller als in Industrieländern. England und Wales dienen als Beispiel für den klassischen Verlauf des demografischen Übergangs.
Was sind die Ursachen der Bevölkerungsexplosion?
Die hohe Geburtenrate resultiert aus verschiedenen Faktoren: Kinder sind Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, sichern die Altersversorgung der Eltern, erhöhen die Chance auf ein höheres Familieneinkommen und werden aus traditionellen und religiösen Gründen als Reichtum betrachtet. Man unterscheidet zwischen relativer Überbevölkerung (Bedürfnisse übersteigen Ressourcen bei gegebenen Strukturen) und absoluter Überbevölkerung (Ressourcenknappheit auch bei Reformen).
Welche Folgen hat das Bevölkerungswachstum?
Eine wichtige Folge ist die veränderte Altersstruktur, dargestellt in Bevölkerungspyramiden (Pyramidenform: wachsende Bevölkerung; Glockenform: stationäre Bevölkerung; Urnenform: schrumpfende Bevölkerung; Tropfenform: aussterbende Bevölkerung). Die Verteilung der Altersgruppen (unter 15, 15-65, über 65) beeinflusst die Wirtschaft. Industrieländer kämpfen mit Überalterung, Entwicklungsländer mit hohen Investitionsbedürfnissen in Gesundheit und Ausbildung für die junge Bevölkerung. Die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen wird oft nicht korrekt erfasst.
Welche Maßnahmen gibt es zur Bekämpfung der Bevölkerungsexplosion (Familienplanung und -politik)?
Bevölkerungspolitische Maßnahmen zielen auf eine Senkung des natürlichen Bevölkerungswachstums durch Familienplanung (Aufklärung, Verhütungsmittel, Sterilisation). Der Erfolg hängt jedoch stark von der Verbesserung des Lebensstandards, des Gesundheitswesens, des Bildungswesens und der Stellung der Frau ab. Eine Veränderung des generativen Verhaltens (Gesamtheit der Faktoren, die die Geburtenrate beeinflussen) ist schwierig, da sozio-kulturelle Normen eine große Rolle spielen.
Welche Rolle spielen Bildungsniveau und rechtliche Situation der Frau beim generativen Verhalten?
Höheres Bildungsniveau und bessere rechtliche Situation der Frauen führen zu einer geringeren Kinderzahl. Weitere Faktoren sind die Erwerbstätigkeit von Frauen und die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln. In Industrieländern sinkt die Geburtenrate durch gestiegene Lebensansprüche und Berufstätigkeit der Frauen. In Entwicklungsländern wird der Rückgang der Geburtenrate durch sinkende Kindersterblichkeit gebremst.
Wer sind die Gegner und Befürworter von Bevölkerungspolitik?
Gegner sind religiöse und ideologisch motivierte Gruppen (Fundamentalisten, ASW, Teile der Grünen), die Bevölkerungspolitik ablehnen und Armutsbekämpfung als Lösung sehen. Kritiker bemängeln die Ausnutzung von Armut für bevölkerungspolitische Zwecke und religiöse Argumente gegen Verhütung. Die katholische Kirche lehnt Verhütung aus moralischen Gründen ab. Befürworter betonen die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Regulierung des Bevölkerungswachstums und zur Verbesserung der Lebensbedingungen.
Bevölkerungsgeographie der Entwicklungsländer
1. Entwicklungstendenzen der Bevölkerung
- Anzahl der Menschen wächst langsamer als noch vor 30 Jahren (2% Zuwachsrate - heute: 1,3%!)
- trotzdem: 78 Mio. Menschen pro Jahr
- Frauen bekommen im Durchschnitt weniger Kinder - aber: mehr Frauen im gebärfähigen Alter
2. Modell des demographischen Übergangs
- regionale Verteilung der Menschen: 75% leben in Entwicklungsländern - auf sie entfallen 90% des jährlichen Zuwachses
- Demographie untersucht Bevölkerungswachstum und Entwicklung
- wichtigste Größe: natürliche Wachstumsrate (Saldo von Geburten- und Sterberate), Wanderungsbilanz (berechnet sich aus Zu- und Fortzügen)
- unterschiedliche Bevölkerungsentwicklung resultiert aus unterschiedlichen generativen Verhalten - in ein komplexes Gefüge aus wirtschaftlichen, soz. und religiösen Bedingungen eingebunden
- Modellfall: England und Wales
- vorindustrielle Agrargesellschaft Englands: Sterbe- und Geburtenrate verliefen auf hohem Niveau ungefähr parallel
- Industrialisierung u. rasch einsetzender med. und techn. Fortschritt: Sterberate sank ab etwa 1750, Geburtenrate bleib konstant
- Bevölkerung wuchs stark - bis 1880 um das Dreifache
- ab 1880 sank auch die Geburtenrate -> Bevölkerungswachstum verringerte sich
- veränderte Lebensbedingungen und Wertvorstellungen -> Veränderung des generativen Verhaltens
- heute: Bevölkerungsentwicklung in England nahezu stationär
- beobachtete Veränderung vollzogen sich auch in anderen Industrieländern -> Vier-Phasen-Modell des demographischen Wandels
- Besonderheiten bei der Übertragung auf Entwicklungsländer:
- Sterberate sinkt schneller, da gesamter med.-techn. und hyg. Fortschritt gleichzeitig zum Tragen kommt - Geburten- und Sterberate fallen besonders weit auseinander, Wachstumsraten sind sehr hoch (Bevölkerungsexplosion)
- Geburtenrate sinkt schnell; Möglichkeit: durch moderne Massenkommunikationsmittel ändern sich Verhaltensweisen schneller
- Erwartung: ges. demograph. Übergang vollzieht sich schneller
3. Ursachen für die Bevölkerungsexplosion
- relative Überbevölkerung
Von relativer Überbevölkerung spricht man, wenn die menschlichen Bedürfnisse, die derzeit unter den geltenden technologischen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen, verfügbaren Ressourcen überschreiten
- absolute Überbevölkerung
Von absoluter Überbevölkerung spricht man, wenn die Grenzen der Ausschöpfung auch dann überschritten werden, wenn politische, ökonomische und technische Reformen durchgeführt werden.
- Ursachen für die hohe Geburtenrate:
- Kinder sind wichtige Arbeitskräfte in einer wenig mechanisierten Land- und Hauswirtschaft
- Kinder dienen zur Sicherung der Altersversorgung der Eltern # viele Kinder erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass mind. ein Familienmitglied eine gutbezahlte Arbeit bekommt
- aus nationalen, traditionellen und religiösen Gründen werden viele Kinder als Reichtum betrachtet
4. Folgen des Bevölkerungswachstums
4a) Altersstruktur
- Formen von Bevölkerungspyramiden
Pyramidenform:
- wachsende Bevölkerung
- frühe Sterberate -> insg. langsam wachsende Bevölkerung
- Phase I-III des demograph. Übergangs
Glockenform
- Geburtenrate gegenüber der Pyramidenform gesunken
- jährliche Geburtenrate gleich
- stationäre Bevölkerung
- Bev.-Zunahme im Alter -> Lebenserwartung steigt
- Phase IV des demographischen Übergangs
Urnenform
- Neugeborenenjahrgang ist kleiner als voriger
- schrumpfende Bevölkerung
- Ende Phase IV und V des demographischen Übergangs
Tropfenform
- aussterbende Bevölkerung
- kein/kaum Nachwuchs
- Unterscheidung in drei Hauptaltersgruppen
- Kinder und Jugendliche unter 15 - noch nicht erwerbstätig, verursachen volkswirtschaftlich keine Kosten, die für Investitionen im Bereich Gesundheit und Ausbildung notwendig sind.
- Altergruppe zw. 15 und 65 - produktiver und aktiver teil der Bevölkerung, sind in der Regel erwerbstätig
- Altersgruppe über 65 - nicht mehr erwerbstätig, verursacht Kosten im Bereich der Rentenversorgung und Gesundheit
- über die direkte Zahl der Erwerbstätigen ist keine Aussage möglich
- Verschiebung der Schwellenwerte zw. den Hauptaltersgruppen durch:
Industriel ä nder: Verlängerung der Ausbildung, Herabsetzung des Rentenalters
Entwicklungsl ä nder: Teilnahme von Kindern am Erwerbsprozess
- offene und versteckte Arbeitslosigkeit werden nicht ausgewiesen + Arbeit der Frau erscheint meist nicht in den Statistiken
- Arbeiten der Frau (landwirtschaftl. Arbeit, Herstellung einfacher Konsumgüter, Verkauf der Pro. auf dem Markt) gelten als Hausarbeit, obwohl sie meist wesentlich zum Einkommen der Familie beitragen
- traditionelle Auffassung: Frauen dürfen keinem offiziellen Beschäftigungsverhältnis nachgehen - ausschließlich Aufgabe des Mannes
TM Vergleich zw. Industrie- und Entwicklungsländern nur bedingt aussagekräftig
- volkswirtschaftlich wünschenswert: ausgewogene Verteilung der drei Altersgruppen
- ein zu gr. Teil inaktiver Bevölkerung bedeutet hohe Investitionen -> Finanzierung von der produktiven Bevölkerung
- Probleme der Industrie- und Entwicklungsländer stellen sich unterschiedlich dar:
Industrieländer:
- hoher Anteil der Bevölkerung über 65 + niedrige Geburtenrate - schrumpfende Bevölkerung -> zunehmende Überalterung mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen (Rentenfrage, Krankenversicherung)
Entwicklungsländer:
- jährlich steigende Anzahl von Kindern und Jugendlichen -> hohe Investitionen in den Bereichen Gesundheit und Ausbildung
- hohe Anzahl von Jugendlichen sucht Arbeitsplätze
- gesetzliche Renten- und Krankenversicherungen fehlen
- ihre aufgaben werden noch weitgehend von den Großfamilien übernommen => viele Kinder sind daher wünschenswert
5. Familienplanung und -politik: Maßnahmen zur Bekämpfung der Bevölkerungsexplosion
5a) Bevölkerungspolitik
- Bevölkerungswachstum macht zunehmend bevölkerungspolit. Maßnahmen erforderlich
- gezielte Familienplanung (u.a. Geburtenregelung) -> Verringerung des natürlichen Bevölkerungswachstums
- Maßnahmen: Aufklärung der Bevölkerung, Durchführung von freiwilliger Sterilisation sowie anderer empfängnisverhütender Methoden
- Maßnahmen allein bringen wenig Erfolg -> zusätzliche Strategien (v.a. Hebung des Lebensstandards) müssen ergriffen werden
- Verbesserung in anderen Bereichen (z.B. Gesundheitsvor- und -fürsorge, im Bildungsbereich und Verbesserung des Status der Frau und ihr Zugang zum Arbeitsmarkt) müssen mit der Familienplanung Hand in Hand gehen - > hat viel größere Auswirkungen als ein Faktor allein
- sozio-kulturelle Normen und Verhaltensweisen bestimmen die Anzahl der Kinder
- Kinder werden zunächst als Arbeitskräfte und Mitverdienende, später als Altersversicherung gesehen
=> Änderung des generativen Verhaltens sehr schwierig!!!
5b) Generatives Verhalten und Wachstumsunterschiede
- unterschiedliche Bevölkerungsentwicklung der versch. Staaten erklärt sich aus dem unterschiedlichen generativem Verhalten
generatives Verhalten:
Gesamtheit der wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und kulturellen, psychologischen und rechtlichen Handlungs- und Verhaltensbedingungen, einschließlich der Ziele und Wertvorstellungen der Menschen, von denen die zahl der Lebendgeborenen pro Leben einer Frau beeinflusst wird.
- generatives Verhalten wird von einem komplexen Beziehungsgefüge gesteuert
- zwei Faktoren spielen eine zentrale Rolle: Je h ö her das Bildungsniveau und je gesicherter die rechtliche Situation der Frauen, desto geringer ist die durchschnittliche Kindzahl pro Frau bzw. pro Familie
- weitere Faktoren wirken ein: Beteiligung der Frauen am Erwerbsleben + Verfügbarkeit und Anwendung empfängnisverhütender Mittel
- geringe Kinderzahl -> erlaubt Familien ihre Kinder eine längere Schulausbildung zu ermöglichen -> Heiratsalter erhöht sich -> Generationsabstand wird größer -> Rückgang der Geburtenziffer
- Industrieländer: gestiegene Lebensansprüche, Wunsch nach mehr Freizeit, Berufstätigkeit der Frau, Wohnungsprobleme, steigende Kosten für die Kinderversorgung -> Anzahl der Geburten pro Paar weiter rückläufig
- Entwicklungsländer: Veränderung des generativen Verhaltens (hier: verringertes natürlichen Bevölkerungswachstum) wird durch Verbesserung der hygienischen und medizinischen Versorgung gebremst -> weil sich dadurch die Kinder- und Jugendsterblichkeit verringert -> Lebenserwartung steigt
5c) Gegner und Befürworter der Bevölkerungspolitik
- Gegner
Fundamentalisten aus Religion und Ideologie
- machen Front gegen die notwendigen politischen Schritte
- Lehre: Einführung einer schönen gerechten Welt -> Bevölkerungsproblem löst sich von selbst
- Motive: ein Bewusstsein ausschaltendes Gottvertrauen, Traum von einer starken, weil bevölkerungsreichen Dritten Welt, die am Wohlstand der Industrieländer rüttelt
- auch renommierte Dritte-Welt-Experten mischen sich ein: unterstützen intellektuell die Kämpfer gegen die Bevölkerungspolitik
- Verneinen: Unterentwicklung sei durch das Bevölkerungswachstum entstanden
- Einfluss der religiös und ideologisch motivierten Totalverweigerer darf nicht unterschätzt werden
Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt (ASW)
- verteufeln bevölkerungspolitische Ansätze
- berufen sich auf einen Aufsatz der UN: Boden der Entwicklungsländer ohne China könnte 33 Mill. Menschen ernähren (Nachteil: jeder qm müsste bewirtschaftet und gedüngt werden, Großteil der Regenwälder müsste gerodet werden
Die Grünen
- sind bereit ihre Grundprinzipien (gewaltfrei, sozial, basisdemokratisch, ökologisch) über den Haufen zu werfen, nur um die Bevölkerungspolitik zu bekämpfen
- wollen, dass sich Eltern beim Kinderkriegen von ihren ureigensten Instinkten leiten lassen - dass dies langfristig den Weltfrieden gefährdet scheint sie nicht zu kümmern
- im Gegenteil: bedrohter Weltfrieden passt ins Bild -> Süden soll den Norden nach Kräften bedrohen
- bevölkerungspolitische Maßnahmen = verabscheuungswürdiges ,,Mittel als Aufstandsbekämpfung" in den Drittweltstaaten
BUKO
- Entwicklungsprojekte der Bevölkerungspolitik aus Angst vor möglicherweise wachsendem Unruhepotential
katholische Kirche
- moralische Abneigung gegen die Empfängnisverhütung (,,Empfängnisimperialismus", ,,chem. Neokolonialismus")
- Grund für den Druck auf Kontrazeption: Verteidigung des Besitzes der Industrieländer gegen die unerwünschte Schar der Erben aus der Dritten Welt - man fürchtet sie als Bedrohung des eigenen Besitzstandes
Kritiker allgemein
- haben richtig erkann: oft ist es die Armut, die Eltern veranlasst viel Kinder zu bekommen
- Argument: weniger Armut bremst das Bevölkerungswachstum
- Familienplanung, die den Wohlstand steigern will, ist in den Augen der Kritiker dennoch unzulässig
- Armut werde dabei für bevölkerungspolitische Zwecke ausgenutzt
- religiöse oder ersatzreligiöse Verlautbarungen der Familienplanung schießen am Kernproblem vorbei
- Arbeit zitieren
- Juliane Voigt (Autor:in), 2000, Bevölkerungsgeographie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97936