Konfliktmanagement

Eine retrospektive Fall-Analyse zur Darstellung der Konflikt-Diagnose als supervisorische Kunst


Studienarbeit, 2020

32 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

Abbildungsverzeichnis

Namensverzeichnis

1 Konflikte: ubiquitäre sozial Phänomene
1.1 Team-Konflikte und Supervision

2 Der Fall Team Logo
2.1 Das Hilfe-Gesuch von Frau ÖE

3 Konflikt-Diagnose
3.1 Kontextfaktoren: doppelter Zeitdruck und eine entschiedene Leitung
3.2 Konflikt-Phase nach Glasl
3.3 Organisationsanalyse systemisch
3.3.1 System als Gestalt

4 Lösung: Entwicklung einer systemischen Soll-Gestalt

Literaturliste

Anhang

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit zeigt anhand einer retrospektiven Fall-Analyse die Kunst der Konflikt-Diagnose im Kontext supervisorischen Handelns auf: Nach einer Team-Erweiterung gerät ein Team in unlösbare Konflikte und beauftragt einen Supervisor mit dem Ziel der Kommunikationsoptimierung, sodass letzthin alle Team-Mitglieder dem Team erhalten bleiben können.

Neben der Fall-Darstellung und dem Gewinn diagnostisch relevanten Materials wird aufgezeigt, dass eine Konflikt-Diagnose vor einem multi-theoretischen Hintergrund vorgenommen werden muss. Im konkreten Fall betrifft dies

- Kontextfaktoren, die den Prozess der supervisorischen Reflexion des Konfliktes qualitativ beeinflussen
- die zu identifizierende Konflikt-Phase, wie sie Friedrich Glasl in seinem Eskalationsmodell erarbeitet hat
- informelle Beziehungen in der Figuration sowie die strategischen Einzelpositionen, die die Konflikt-Gründe und -Gegenstände zum Vorschein bringen
- eine systemische Organisationsanalyse, die Aufschluss über dysfunktionale Kommunikationsstrukturen und Funktionsbeschreibungen gibt.

In einem abschließenden Kapitel wird durch die Analyse eine Vorstellung davon aufgebaut, wie sich das Konflikt-Management weiterführend gestaltet bzw. welche Soll-Gestalt als Zielgröße des Konfliktmanagements sich durch die Diagnose reflexiv erarbeiten lässt.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Organigramm Logo-Praxis und ihre Vernetzung

Abb. 2 Die Praxis als System vor der Team-Erweiterung

Tab. 3 Das System nach der Teamerweiterung (als Ist-Gestalt)

Tab. 4 Das anvisierte Soll-System bzw. die anvisierte Soll-Gestalt

Namensverzeichnis

ÖE Frau ÖE: Praxis- und Schulleiterin

BAT Frau BAT: Fachliche Leitung, Alteingesessene

PAW Frau PAW: Alteingesessene

Neualt Frau Neualt: Neu eingestellte Logopädin

Intensii Frau Intensii: Neu eingestellte Logopädin

1 Konflikte: ubiquitäre soziale Phänomene

Konflikte zwischen einzelnen, Gruppen, Kulturen und Nationen müssen seit Menschengedenken als „ ubiquitäre soziale Phänomene“ (vgl. Meyer 2011, S. 18) anerkannt werden, bei denen um Ziele, Zielverfolgungsstrategien, Interessen, Meinungen bzw. Identitäten oder letzthin um die Zuteilung von Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenz gestritten wird (ebd. S. 27 – 45). Sie gehören folglich zur menschlichen Grundkonstitution, ganz gleich aus welcher wissenschaftstheoretischen Perspektive sie beleuchtet werden, sei es also:

1. figurationssoziologisch (vgl. Elias in Neumann 2003, S9ff.)
2. aus einer Existenz-philosophischen, d.h. nihilistisch-phänomenologischen Perspektive (vgl. Nietzsche in Heidegger 1961, S.25ff.) heraus
3. vor dem Hintergrund intra- und inter-psychischer Dynamiken, die psycho-soziale Arrangements durch institutionelle Übertragungen (vgl. Mentzos 1984, Kap. 2.3 u. 13) und durch Familialisierung (vgl. Willi 1980, Kap. 5.2, 6.2 u. 7) herstellen
4. auf Grund von neuro-physiologischen bzw. evolutionspsychologischen Gegebenheiten (vgl. Detel 2018, S. 97ff.)
5. mit Bezug auf Politik-wissenschaftliche Erkenntnisse (vgl. Meyer 2011, S.29 – 34)
6. vor dem Hintergrund von Identität und Anerkennung (vgl. Honneth, 2010; Polarek 2007, S.49 – 60)
7. als Kommunikationsstörung von Funktionseinheiten innerhalb von Systemen, wie es Luhmann beschreibt (vgl. Gerth, 2020; Gröning 2011, S. 46 – 55).

Unabhängig von der wissenschaftlichen Perspektive bleibt zu konstatieren, dass Konflikte in der zwischenmenschlichen Interaktion entstehen und potentiell in allen sozialen Netzen auftreten (können): auch in Institutionen und Organisationen, wo sie in der Regel semantisch als Team-Konflikt begriffen werden.

1.1 Team-Konflikte und Supervision

Team-Konflikte gehören mit zur grundlegenden Arbeit von Supervisorinnen: Als Fachleute für arbeitsbezogene Beratung werden sie u.a. beauftragt, Konflikte innerhalb von Organisationen derart zu bearbeiten, dass ein Team wieder rational dem Zweck der Institution dienen kann (vgl. Weber in Stengel & Bellin 2001, Kap. 2.5 u. 3; Weber in Blaich 1999; S. 12f.). Konflikte in Organisationen also wissenschaftstheoretisch durchdringen, kausal analysieren (d.h. diagnostizieren) und durch gezielte Interventionen auflösen und in eine zweckrationale Kooperation überführen zu können, gehört folglich zum grundlegenden supervisorischen Handwerkszeug bzw. zur supervisorischen Kunst wie es der Psychologe Gerhard Fatzer nennt (vgl. Fatzer in Fatzer (Hrsg.) 1993, S. 257 ff.). Und diese Kunst beginnt mit einer Diagnose –

Anhand einer Fall-Analyse soll die Kunst der Konflikt-Diagnose im Folgenden anhand eines real stattgefundenen Team-Konflikts vorgestellt werden. Hierbei zeigt sich, dass ein Konflikt multi-theoretische Aspekte aufweist, die ein – wie es hier genannt werden soll – Konflikt-Geflecht bilden. Dieses Geflecht wird wissenschaftstheoretisch entflechtet.

Der Ökonom, Organisationsberater und Konfliktforscher Glasl weist mit seiner Empfehlung für eine adäquate Konflikt-Diagnose ebenfalls auf verschiedene Aspekte hin (vgl. Gröning 2011, S. 70):

1. Die Konfliktgegenstände: Um welche Streitgegenstände und Konfliktpunkte geht es bei dem Konflikt?
2. Den Konfliktverlauf: Welche historische Entwicklung hat der Konflikt vollzogen?
3. Die Konfliktparteien: Welche Parteien (Einzelpersonen, Gruppen oder Organisationen) sind in den Konflikt involviert?
4. Die Positionen und Beziehungen der Konfliktparteien: Welche formellen Rollen bzw. systemischen Funktionen und welche informellen Beziehungen bestehen innerhalb der Konfliktparteien?
5. Die Grundeinstellung der Parteien zum Konflikt: Wird der Konflikt von den Parteien als lösbar klassifiziert bzw. ist die Lösung gewünscht?

Die folgende Fall-Analyse wird sich in seiner wissenschaftstheoretischen Analyse an Glasls Empfehlung anlehnen, ohne dieser jedoch systematisch folgen.

2 Der Fall Team Logo

Im folgenden Kapitel wird nun ein fünfköpfiges Team einer logopädischen Praxis vorgestellt, welches nach einer Teamerweiterung in einen teils kalten und teils heißen Konflikt (vgl. Meyer über Glasl 2011, S. 125; Kap. 3.2) geriet. Um bei der Lektüre des Falls Orientierung zu geben, sollen die darin beteiligten Teammitglieder in aufgelisteter Weise als Namensregister vorangestellt werden. Dies Mitglieder sind:

- Frau ÖE (Logopädin (Mitte 50), Schul- und Praxisleiterin)
- Frau BAT (Logopädin (28), „alteingesessene“ Angestellte und fachliche Leitung der Praxis seit 6 Jahren, tätig mit 30 Stunden, leidet unter einer chronischen Erkrankung)
- Frau PAW (Logopädin (26), „alteingesessene“ Angestellte seit 4 Jahren, tätig mit 38 Stunden, alleinerziehende Mutter)
- Frau Neualt (Logopädin (50), sehr engagierte neue Angestellte, seit fünf Monaten in der Probezeit, tätig 38 Stunden) sowie
- Frau Intensii (Logopädin (27), neue Angestellte, ebenfalls seit fünf Monaten in der Probezeit, kaum in der Praxis, sondern extern auf einer Intensivstation tätig).

Die Namen sind allesamt anonymisiert, sodass die Persönlichkeitsrechte der im Fall dargestellten Personen gewahrt bleiben.

2.1 Das Hilfegesuch von Frau ÖE

Der Supervisionsprozess wurde während des zweiten Semesters eines weiterbildenden Masterstudiengangs in Beratung und Supervision akquiriert. Die vorangegangene Akquise wurde systematisch bei Schulen für Logopädie betrieben: Angeboten wurde ausbildungsbegleitende Supervision für die Logopädie-Schüler. Die Schulleiterin Frau ÖE, die später den im Folgenden evaluierten Prozess in Auftrag gab, zeigte bei der ersten telefonischen Kontaktaufnahme ein fürsorgliches Interesse an der Ausbildungssupervision für ihre Schüler, gab jedoch an, dass sie hierfür vorerst schauen müsse, ob sie von der Bezirksleitung des bundesweit agierenden gemeinnützigen Vereins, die die Schule betrieb, Gelder zur Verfügung gestellt bekommt. Es wurde ein Telefontermin vier Wochen später vereinbart, bei dem sie dann mitteilen wollte, ob die Gelder von ihr akquiriert werden konnten.

Zwei Wochen vor dem vereinbarten Termin nahm Frau ÖE unvermittelt Kontakt auf und eröffnete, dass sie einen supervisorischen Auftrag zu vergeben habe: Der Schule angeschlossen sei eine Logopädische Praxis, in der es zu ernst zu nehmenden Team-Konflikten gekommen sei. Es bestehe für sie die Möglichkeit, den Vertrag einer der in den Konflikt einbezogenen Mitarbeiterinnen, die sich noch in der Probezeit befinde, nicht weiter zu verlängern und den Konflikt dadurch aufzulösen, doch vorerst wolle sie versuchen, über eine Supervision den Konflikt beizulegen.

Während eines folgenden Diagnose-Gesprächs eröffnete Frau ÖE, dass sie neben der Schulleitung auch noch die Praxisleitung der Praxis innehatte, die in einer Frühförderstelle mit integriertem Kindergarten untergebracht war. Die Einrichtung sei am Stadtrand inmitten von Wäldern und Feldern untergebracht. Der Verein unterhalte einen aufwendigen Fuhrpark, um die Kinder von ihrem zu Hause in die Einrichtung zu holen und wieder zurück zu bringen.

Zwischen Logopädie-Schule und Praxis gab es zwei Querverbindungen: Zum einen stützte die Praxis die Schule finanziell, d.h. sie glich gelegentlich rote Zahlen für die Schule aus. Zum anderen diente die Praxis auch den Schülern der Schule dazu, ihre nötigen Praxiserfahrungen zu machen. Die Praxis selbst hatte eine enge Kooperation mit der Frühförderstelle und dem Kindergarten und akquirierte dort viele Patienten. Sie war ansonsten noch vernetzt mit einer Intensivstation in einer Klinik und mit einem Autismus-Zentrum (s. Abb. 1).

Die letzten Jahre sei die Praxis mit zwei Logopädinnen, Frau BAT (die fachliche Leitung) und Frau PAW, besetzt gewesen. Diese hätten stabil die nötige Zahl an Patienten behandelt, nämlich jeweils 42 pro Woche, hätten darüber hinaus jedoch wenig Engagement für die Weiterentwicklung der Praxis gezeigt. Auch sei es vorgekommen, dass Frau ÖE unangekündigt in das Frühförderzentrum gekommen sei, und da hätten die beiden Logopädinnen miteinander „getöttert“, während ihre beiden Therapie-Kinder alleine miteinander gespielt hätten. Frau ÖE sagte, dass sie nichts dagegen habe, dass man auch mal „töttere“, doch an diesem Tag habe sie interveniert und den beiden Logopädinnen gesagt, dass sie ein Mindestmaß an therapeutischer Qualität wünsche.

Auf die Frage, welche Funktion die fachliche Leitung innehabe, antwortete Frau ÖE, dass der Titel lediglich auf dem Papier existiere, weil man dies aus formal-juristischen Gründen für eine Praxis brauche.

Abbildung 1 Organigramm Logo-Praxis und ihre Vernetzung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anm.: Blau geränderte Formen ( ) gehören dem gemeinnützigen Verein an.

Vor etwa fünf Monaten habe Frau ÖE dann zwei weitere Logopädinnen eingestellt, da sie eine Intensivstation als neuen Patientenstamm akquirieren konnte, und die Frühförderstelle und der Kindergarten zusätzliche Patienten anbiete, die durch die beiden Alteingesessenen alleine nicht abgearbeitet werden konnten. Die beiden neuen seien Berufsanfängerinnen, die in ihrer Schule ausgebildet worden seien; Frau Neualt und Frau Intensii. Frau Intensii sei seither stets auf einer Intensivstation tätig und höchsten für drei Stunden pro Woche in den Praxisräumen. Frau Neualt sei etwa 50 Jahre alt, sehr engagiert, verfüge über ein kleines privates Vermögen und habe die Arbeit eigentlich nicht nötig. Sie habe keine Kinder, komme ursprünglich aus der Mediengestaltung, wünsche sich nun therapeutisch professionelles Wachstum und berufliche Selbstentfaltung. Sie sei innovativ, gestalte gerne, übernehme gerne Verantwortung, sei gut organisiert und möchte eine hohe therapeutische Qualität entwickeln und anbieten. In ihren Bestrebungen trete sie jedoch häufig bestimmend und kompromisslos auf. Gespräche hierüber seien mit ihr auch nicht möglich, da sie sich dann „sperrig“ gebe, sodass man nicht zu ihr durchdringe. Frau ÖE habe Frau Neualt auch damit beauftragt, einige Dinge im Zuge der Teamerweiterung zu ändern, da Frau Neualt so etwas auf Grund ihres Naturells auch gut könne. Genau wegen dieses gestalterischen und qualitätsbewussten Naturells habe Frau ÖE Frau Neualt auch eingestellt, obwohl die beiden Alteingesessenen, Frau BAT und Frau PAW, sich deutlich gegen Frau Neualt ausgesprochen hätten. Doch genau diese Qualität habe in der Praxis gefehlt, weshalb sie nicht auf den Wunsch der Alteingesessenen eingegangen sei.

Nun sei es zwischen dieser neuen Kollegin, die die Innovationen sehr forsch durchsetze und ansonsten sperrig bei Kritik sei und den beiden Alteingesessenen zu massiven Konflikten gekommen. Besonders Frau BAT mache Frau ÖE nun besonderen Druck und habe ihre Kündigung zumindest deutlich angesprochen, für den Fall, dass die Probezeit von Frau Neualt in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übergehen würde: Sinngemäß habe sie gesagt, man habe ihr ein Vorstellungsgespräch angeboten, das sie abgelehnt habe, aber sie wolle, dass Frau ÖE hiervon weiß.

Frau BAT arbeite nun am längsten in der Praxis, behandle zuverlässig die veranschlagte Zahl an Patienten, fehle jedoch regelmäßig wegen einer chronischen Erkrankung, die schubweise zum Vorschein komme. Nach kurzem Schweigen ergänzte Frau ÖE, dass Frau BAT im Grunde faul und viel krank sei. Frau ÖE blickte leicht verlegen auf, als sie angab, dass ihr Mann gesagt habe, dass es im Grunde doch das Beste für sie als Leitung sei, wenn diese Angestellte kündigen würde.

Über die Kommunikation gab Frau ÖE an, dass sie bisher die Logopädinnen sich selbst überlassen habe: Wie gesagt, haben die ökonomisch notwendigen Therapiemengen in der Regel abgerechnet werden können. So etwas wie eine Teamsitzung habe nun, seitdem es zu den Konflikten gekommen sei, etwa zwei Mal stattgefunden. Vorher sei so etwas nicht nötig gewesen. Von dem Konflikt wisse sie vor allem dadurch, dass die beiden alteingesessenen Therapeutinnen sie immer wieder auf dem Handy anrufen, um Verfehlungen von Frau Neualt zu melden. Mit Frau Neualt habe deshalb auch einmalig ein Mitarbeiterinnen-Kritik-Gespräch stattgefunden, in dem sie mit den gemeldeten Tatsachen konfrontiert worden sei. Doch Frau Neualt habe sich hierbei wie immer „sperrig“ gezeigt. Ansonsten übernehme sie jede Zusatzaufgabe, habe bspw. Diensthandys und einen weiteren Therapieraum in der Frühförderstelle akquiriert, habe einen Flyer erstellt und eine Liste für notweniges Inventar und Therapiematerial samt Preisliste erarbeitet. Diese Aufträge seien meist dem Team vorgetragen worden, doch einzig Frau Neualt habe diese Dinge übernommen.

Auf die Frage, wer die beiden wichtigsten Konfliktparteien seien, gab Frau ÖE an, dass dies wohl Frau BAT und Frau Neualt seien. Frau PAW sei zwar mit Frau BAT im Bunde, doch eigentlich seien diese beiden sich auch nicht sonderlich grün – zu Beginn ihrer Zusammenarbeit habe es zwischen den beiden auch Schwierigkeiten gegeben. Aktuell stehen sie jedoch zusammen gegen Frau Neualt, die im Grunde gar nicht weiß, mit welcher Intensität Druck auf sie bzw. auf die Überführung ihres Dienstverhältnisses in ein unbefristetes ausgeübt wird.

Die Not, die Frau ÖE nun habe, sei, dass die Probezeit Frau Neualts in einem Monat auslaufe und sie bis dahin Gewissheit habe müssen, was sie tun soll. Der Verein habe das Geld für die Supervision nur ungern zur Verfügung gestellt, weshalb die Supervision so kurz wie möglich zu laufen habe. Ihr schwebten in Summe etwa zehn bis fünfzehn Stunden vor.

Nach ihrer Person befragt, gab Frau ÖE, die sich von dem Schul- und Praxis-Team bei ihrem Spitznamen nennen ließ (Susi), an, dass sie Mitte fünfzig war. Sie hatte sich nach ihrer Ausbildung zur Logopädin (als allein-erziehende Mutter) in die Position der Schulleitung gearbeitet. Gefragt, welchen Auftrag sie an die Supervision stelle, gab sie nach einigem Nachdenken an, dass alle Teammitglieder in der Praxis bleiben und jeder sich dort wohl fühlen soll (s. Anhang II).

Als Frau ÖE nach der Auftragsklärung in der Praxis anrief und sich mit ihrem Spitznamen meldete, gab sie an, dass sie nun den Supervisor „für euch“ habe und hierfür der kommende Mittwochvormittag von Terminen frei gemacht werden soll.

Nachdem sie aufgelegt hatte, fragte der Supervisor nach, ob das gesamte Team zum Termin anwesend sein würde. Frau ÖE antwortete, dass „die Mädels“ da sein würden. Auf die Frage, ob es nicht noch andere Team-Mitglieder gebe, fragte sie nach längerem Schweigen: Ich selbst?

3 Konflikt-Diagnose

Im Folgenden Kapitel soll der von Frau ÖE beschriebene Konflikt nun – wie in Kapitel 1.1 beschrieben – vor verschiedenen wissenschaftstheoretischen und methodischen Hintergründen analysiert werden. Hierbei werden zur Unterstützung der jeweils aufgestellten Behauptungen Informationen zugefügt, die erst im Verlauf der Gruppen- und Einzel-Supervisionssitzungen nach dem ersten Diagnose-Gespräch erhoben werden konnten. Der Fall als Prozess-Narrativ wird hierdurch fragmentarisch und nicht linear weiterentwickelt. Dies bürgt der Perzeption besondere gestaltschließende Zusatzleistungen auf, die sich bei einem linearen Narrativ nicht ergeben bzw. die sich perzeptionsfreundlicher d.h. komfortabler darin anbieten. Doch wird der Text mit der begründeten Hoffnung dergestalt aufgebaut, dass in der Perzeption des Textes/des Falls für den Leser zuletzt dennoch ein gestalthaftes Erschließen möglich sein wird. Eine derartige Textgestaltung erscheint vorerst willkürlich und ohne methodischen Hintergrund. Doch kann durch den fragmentarischen Stil auf etwas hingewiesen werden, dass beratungswissenschaftliche Relevanz aufweist: Ein weiterführend fragmentarisch aufgebauter Text korreliert mit dem supervisorischen Diagnoseprozess, der zwar in einem linearen Zeitgeschehen stattfindet, dennoch: Die Supervisorin muss im Verlauf hermeneutisch einzelne, potentiell Konflikt-relevante Fragmente identifizieren und wissenschaftstheoretisch einordnen, während sie nichtlinear darum bemüht ist, eine Gestalt hieraus zu erschließen. Im Sinne John Dewes (vgl. Gröning 2012, S. 12) wurde die Ist-Gestalt des vorgestellten Teams durch eben diesen Prozess entwickelt. Ihn nun – zumindest in ähnlicher Weise – fragmentarisch anzubieten, bedeutet bei der Perzeption eine ähnliche Leistung vollbringen zu müssen. Folgend werden also nun die Elemente aufgeführt, die in einem hermeneutischen Sinne nachträglich (vgl. Kettner über Freud, 1999) als Konflikt-relevant diagnostiziert wurden.

3.1 Kontextfaktoren: Zeitdruck und eine entschiedene Leitung

Exkurs: Im klinischen Bereich nennt man den Prozess, der eine Krankheit als solche definiert und der unter Berücksichtigung des individuellen Falls und der individuellen Umstände einen Behandlungsplan samt Ergebniseinschätzung vornimmt, Clinical Reasoning (vgl. Beushausen 2009, Kap. 1 – 4). Dieser Reasoning -Prozess verläuft stets multi-dimensional und berücksichtigt im diagnostischen Teil-Prozess des Pragmatischen Reasonings stets Kontextfaktoren: wie Ressourcen, Settings und Organisationsstrukturen (ebd. S. 18ff.), die für einen Fall relevant sind. Denn erst hierdurch lässt sich ein Behandlungsplan sinnvoll, d.h. realistisch erstellten. An dieser Stelle wird behauptet und aufgezeigt, warum das Pragmatische Reasoning auf die Supervision bzw. Beratungswissenschaft ohne pragmatische Einbußen übertragen werden kann.

Die Kontextfaktoren also, die einen Einfluss auf die hier vorgestellte Supervison bzw. auf das Konfliktmanagement hatten, waren zum einen der Kostendruck: Der gemeinnützige Verein hatte nur ungern die Gelder zur Verfügung gestellt. Frau ÖE stand diesbezüglich unter hohem Rechtfertigungsdruck, und die Supervision sollte so schnell wie möglich Ergebnisse vorweisen, d.h. konkret die kontraktierten Ziele erreichen. Für eine Nachbearbeitung, wie es von Fachleuten der Mediation idealtypisch als qualitätssichernde Maßnahme empfohlen wird (vgl. Tröndle 2017, S. 12), würde es sicherlich nicht kommen (können). Im Sinne John Dewes (vgl. Gröning 2012, S. 12) würde die zu errichtende Soll-Gestalt des Teams, um es bildlich auszudrücken, folglich zum Teil auf wackeligen Steinen gegründet werden müssen. Und es blieb einzig die Hoffnung, dass sich diese Steine dann von selbst setzten.

[...]

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Konfliktmanagement
Untertitel
Eine retrospektive Fall-Analyse zur Darstellung der Konflikt-Diagnose als supervisorische Kunst
Hochschule
Universität Bielefeld
Note
1,7
Autor
Jahr
2020
Seiten
32
Katalognummer
V979361
ISBN (eBook)
9783346330079
ISBN (Buch)
9783346330086
Sprache
Deutsch
Schlagworte
konfliktmanagement, eine, fall-analyse, darstellung, konflikt-diagnose, kunst
Arbeit zitieren
Sascha Kaletka (Autor:in), 2020, Konfliktmanagement, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/979361

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