Von der exogenen zur endogenen Wachstumstheorie


Seminararbeit, 2000

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Vorgeschichte von Solow: Keynes, Harrod und Domar

3. Die exogene Wachstumstheorie nach Robert Solow
3.1. Die Modellannahmen
3.2. Die Modellmechanik
3.3. Die Schlußfolgerungen und Lehren des Modells

4. Weiterentwicklungen und Kritik an der exogenen Wachstumstheorie
4.1. Die optimale Wachstumstheorie
4.2. Die empirische Relevanz der exogenen Wachstumstheorie

5. Der Weg zur endogenen Wachstumstheorie
5.1. Ansätze und Modellierungsstrategien der endogenen Wachstumstheorie
5.1.1. Die Mechanik eines unbegrenzten Wachstums
5.1.2. Technologische Innovationen und struktureller Wandel
5.2. Empirische Erfolge und vebleibende Puzzles: Ein zusammenfassender Überblick

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der vorliegende Beitrag zeichnet in groben Zügen die Entwicklung der Wachstumstheorie ab 1939 nach. Ausgehend von einer kurzen Würdigung der bedeutenden Arbeiten von Harrod (1939) und Domar (1946) wird schwerpunktmäßig die neoklassische, exogene Wachstumstheorie vorgestellt, die mit dem Namen Robert Solows in Verbindung gebracht werden kann. Solows Wachstumstheorie wird in einiger Tiefe vorgestellt und die wesentlichen Schlußfolgerungen und Voraussagen des Modells werden herausgearbeitet. Wie sich herausstellen wird, ist diese Theorie jedoch unzureichend als eine Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, etliche Voraussagen sind im Zusammenhang mit einem internationalen Vergleich von Einkommenslevels und Wachstumsraten empirisch nicht haltbar. Aus diesem Defizit heraus wird dann die Entwicklung der Nachfolgetheorien Solows erklärt, der sogenannten endogenen Wachstumstheorien. Jene werden allerdings nur in aller Kürze dargestellt. Es wird im Prinzip kein endogenes Wachstumsmodell vorgestellt, sondern es werden nur einige wesentliche Modellcharakteristika und typische Schlußfolgerungen aufgezeigt. Schließlich wird, ebenfalls nur sehr kurz, auch die endogene Wachstumstheorie einer Würdigung unterzogen und ein Fazit zum momentanen Stand der Forschung in der Wachstumstheorie gezogen.

2. Die Vorgeschichte von Solow: Keynes, Harrod und Domar

Als Grundstein der Makroökonomik kann dogmenhistorisch John Maynard Keynes` „General Theory of Employment, Interest and Money“ (1936) gesehen werden. Jene Theorie, wie auch die prominentesten Weiterentwicklungen und Interpretationen der direkten Folgezeit, wie etwa das berühmte IS-LM-Modell von John Hicks (1937) oder die neoklassische Synthese von Paul A. Samuelson, waren aber hauptsächlich mit der statischen Fragestellung der Bestimmung von Volkseinkommen und Beschäftigung in Bezug zum Vollbeschäftigungseinkommen an jedem gegebenen Zeitpunkt bei gegebenem Produktionspotential und gegebener Technik beschäftigt. Dynamische Fragestellungen wie der Kapazitätseffekt von Investitionen oder die physische Kapitalakkumulation über den Zeitverlauf und die damit verbundene Ausweitung des Produktionspotentials wurden explizit erst durch die Beiträge zur Wachstumstheorie von Harrod (1939) und Domar (1946) in die Wirtschaftstheorie eingeführt. Die heute vereint als Harrod-Domar-Theorie bekannte Analyse kann als eine Dynamisierung des keynesianischen Systems unter Berücksichtigung des Einkommens- und Kapazitätseffekts von Investitionen verstanden werden.

Auf die Mechanik des Harrod-Domar-Systems soll hier nicht im einzelnen eingegangen werden, jedoch sind hier einige Anmerkungen notwendig, um die von Robert Solow entwickelte neoklassische Wachstumstheorie verstehen zu können, die eine Reaktion auf einige der Annahmen von Harrod- Domar war. Domar ging in keynesianischer Tradition von einer konstanten marginalen Sparquote (s) aus, zusätzlich aber noch von einem fixen Kapitalkoeffizienten (k) in der gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion, was gleichbedeutend mit der Annahme einer konstanten Kapitalproduktivität ist.

Die Angebotsseite wurde also sehr einfach dadurch modelliert, daß per Voraussetzung angenommen wurde, daß sich der Output proportional zum Kapitalstock entwickelt. In jedem Fall sind fixe Verhältnisse der Einsatzfaktoren ein produktionstheoretischer Extremfall, bei dem von der Unmöglichkeit von Faktorsubstitutionen auch auf lange Sicht hin ausgegangen wird1. Die Investitionen schaffen neue Kapazitäten, die auch zur Produktion von mehr Gütern ausgenutzt werden. Damit aber keine Nachfragelücke entsteht, muß die erhöhte Produktion aus den erweiterten Kapazitäten auch nachgefragt werden. Das dafür notwendige Einkommen entsteht wiederum durch den Einkommenseffekt der Investitionen. Wenn aber nun s und k konstant sind, so muß die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in genau dem Umfang wachsen wie die Kapazitäten. Eine konstante Nachfrage würde nicht ausreichen, da eine Nachfragelücke entstünde. Da die Gleichgewichtsbedingung in jeder Periode immer die Gleichheit von Ersparnissen und Investitionen verlangt, müssen auch die Investitionen wachsen wie es die Kapazitäten tun. Diese gleichgewichtige Wachstumsrate ist genau bestimmt durch die Sparquote s und den Koeffizienten k: wy = s/k.

Neben Domars Resultaten wies Harrod (1939) noch auf eine weitere Problematik hin. Er formulierte eine auf der Akzeleratortheorie aufbauende Investitionsfunktion, in der eine erhöhte gesamtwirtschaftliche Nachfrage zusätzliche Investitionen induziert. Er fand heraus, daß die Produktionsleistung bei fixer Sparneigung s immer nur soviel anwachsen darf, daß die dadurch induzierte Mehrproduktion in der Folgeperiode auch nachgefragt wird. Jene Wachstumsrate ist vollständig durch den Akzeleratorkoeffizienten n determiniert. Da aber bereits die Wachstumsrate aus dem Harrod-Modell durch s und k gegeben war, müssen nun auch k und n in einer wohlbestimmten Beziehung zueinander stehen, um ein gleichgewichtiges Wachstum zu garantieren. Ist der gleichgewichtige Wachstumspfad aber einmal verlassen, so gibt es -wie Harrod ebenfalls zeigt- keinerlei Marktmechanismus der das Wirtschaftssystem wieder auf den Gleichgewichtspfad zurückbrächte. Daher stammt auch die Einsicht Harrods, daß der Wachstumsprozess ständig “auf Messers Schneide“ stünde. Auf der wirtschaftspolitischen Ebene plädierte Harrod daher für eine staatliche Planung, um die Wirtschaft auf dem Gleichgewichtspfad zu halten. Auf der wirtschaftstheoretischen Ebene war ein vollkommen spezifiziertes System ohne einen Freiheitsgrad entstanden. In den Augen Solows war das Harrod-Domar-System ü berspezifiziert.

3. Die exogene Wachstumstheorie nach Robert Solow

3.1. Die Modellannahmen

Für Solow (1956) war die Annahme der fixen Kapitalproduktivität nicht hinzunehmen. Zum einen sah er sie als ein Instrument der kurzfristigen Analyse, in der er fixe Einsatzverhältnisse für realistisch hielt. In der langfristig ausgerichteten Wachstumstheorie jedoch sah Solow keine Begründung für die Annahme jenes fixen Kapitalkoeffizienten k, da für ihn Einsatzfaktoren in der langen Sicht variiert werden konnten. Zum anderen kritisierte er am Harrod-Domar-Modell, daß eben jene „unrealistische“ Annahme des fixen k zugleich eine kritische Annahme ist, in dem Sinne daß das Modell ohne sie nicht mehr zu den qualitativ selben Ergebnissen würde. Nimmt man die Spezifikation des fixen k aus dem Modell heraus, so entstehen diametral andere Schlußfolgerungen. Um dies zu verdeutlichen nahm Solow auf der produktionstheoretischen Seite die Existenz einer neoklassischen Produktionsfunktion an.

Eine neoklassische Produktionsfunktion mit den Einsatzfaktoren Arbeit und Kapital zeichnet sich vor allem durch drei wesentliche Eigenschaften aus. Erstens besteht eine vollkommene Substituierbarkeit zwischen den Faktoren ohne Anpassungskosten. Zweitens gilt das Gesetz der abnehmenden Grenzerträge. Drittens werden konstante Skalenerträge angenommen. Die dritte Eigenschaft ist der wesentliche Unterschied zu einer eher malthusianischen Wachstumstheorie, wo es aufgrund eines nicht reproduzierbaren Faktors Land zu sinkenden Skalenerträgen kommen kann.

Die Produktionsfunktion hatte also die Form [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten], wobei Y der Output, K der aggregierte Kapitalstock, L das gesamte Arbeitsvolumen und A die totale Faktorproduktivität ist. Es ist an dieser Stelle vorteilhaft, sich kurz die elementaren Bestandteile der Wachstumsbuchführung zu verdeutlichen. Wenn wir das Wachstum der totalen Faktorproduktivität darstellen als [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] At, dann bringt totales Differenzieren von (1) den folgenden Ausdruck hervor:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten2

Die rein buchführerische Wachstumsrate g kann geschrieben werden als [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]. Wenn man nun die Annahme vollkommener Konkurrenz auf den Faktormärkten trifft, so läßt sich[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]umschreiben in [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten3]. Das Wachstum der totalen Faktorproduktivität ist also hier ein Residual, es ist das Outputwachstum, das nicht durch ein Anwachsen der Produktionsfaktoren erklärt werden kann. Es ist der technische Fortschritt.

Es wird angenommen, daß das Arbeitsvolumen L mit einer konstanten Rate h anwächst. Jene Rate h kann natürlich gleich null sein. In der einfachsten Fassung der Solow-Theorie bleibt darüber hinaus die totale Faktorproduktivität A konstant, es gibt also keinen Fortschritt beim technischen Wissen oder bei den Fertigungsverfahren. Dieses einfache Modell, daß unter 3.2. noch näher vorgestellt ist, kann jedoch modifiziert werden.. Man kann auch einen exogenen technischen Fortschritt in das Modell einbauen. Die totale Faktorproduktivität A wächst dann annahmegemäß mit einer konstanten Rate [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten].

Dies wäre dann eine theoretische Aussage, daß die rein buchführerische Wachstumsrate g als konstant und gleich dem Parameter des technischen Fortschritts [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] gesetzt wird. Woher dieses Wachstum kommt oder was die Höhe des Parameters [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] bestimmt, kann aus dem Modell heraus nicht erklärt werden. Das Wachstum von A mit der Rate [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] ist exogen. Wichtig ist, daß dieser exogene technische Fortschritt in einer Technologie mit konstanten Skalenerträgen gleichsam als ein exogenes Wachstum der Arbeitsproduktivität angesehen werden kann, er erfüllt die Eigenschaft der sogenannten „ Harrod-NeutralitÄt “. Dies kann sowohl formal gezeigt werden, worauf hier verzichtet wird. Es macht aber auch intuitiv Sinn, da eine Erhöhung der Kapitalproduktivität für die Entwicklung einer Volkswirtschaft nicht förderlich sein kann.

Jene produktionstheoretischen Annahmen von Solow setzen sich deutlich von denen Harrods und Domars ab, da hier eine freie Substitutionalität der Einsatzfaktoren vorliegt, und der Kapitalkoeffizient k mitnichten konstant zu bleiben hat. Jedoch wichen Solows Annahmen ansonsten wenig von denen Harrod-Domars ab. Grundsätzlich mußte in einer geschlossenen Volkswirtschaft gelten, daß Konsum plus Ersparnisse gleich der Produktion sind: [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]. Die übliche Gleichgewichtsbedingung in solchen Modellen ist stets [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]. Durch die Investitionstätigkeit aber wird zusätzlich der Kapitalstock aufgebaut. Geht man von einer Abschreibungsrate [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] aus, so entwickelt sich der aggregierte Kapitalstock gemäß[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]. Hier nun kam die letzte Annahme Solows zum Sparverhalten der Haushalte zum Tragen. Genau wie Harrod-Domar unterstellte Solow eine konstante marginale Sparneigung s, so daß man (4) umschreiben konnte: [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]

3.2. Die Modellmechanik

Gehen wir zunächst von der einfachen Fassung des Solow-Modells aus, in der A konstant ist und damit gleich eins gesetzt werden kann, so läßt sich (5) wegen der Eigenschaft konstanter Skalenerträge bei der Produktionsfunktion in eine pro-Kopf-Version umschreiben: [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] . Hierbei bezeichnet k die Kapitalintensität, oder das Kapital-Arbeits-Verhältnis.[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] ist demnach das pro-Kopf-Einkommen. Gleichung (6) ist eine Differenzengleichung erster Ordnung, die den Kern der Solow-Theorie darstellt. Da keine funktionale Form für die Produktionsfunktion spezifiziert wurde, steht auch keine geschlossene analytische Lösung zur Verfügung. Unter der Voraussetzung einer „normalen“ neoklassischen Produktionsfunktion, wie etwa einer Cobb-Douglas-Funktion, lassen sich aber die Eigenschaften dieses eindimensionalen dynamischen Systems qualitativ zweifelsfrei bestimmen. Figur 1 stellt das Phasendiagramm dieser Differenzengleichung dar. [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]ist eine Funktion g von kt.

Figur 1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das System weist zwei sogenannte „steady states“ aus, einen trivialen bei k=0. Der andere (k*) jedoch ist ein global stabiler Fixpunkt. Jener läßt sich explizit bestimmen. k* ist gegeben durch:

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]. Eine jede Volkswirtschaft hat eine gegebene Sparquote s, eine Abschreibungsrate [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten], eine Bevölkerungszuwachsrate h, eine Produktionsfunktion f und eine von der Natur oder Geschichte gegebene Ausgangslage [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]. Egal wie groß oder klein jenes ko ist, daß System konvergiert in jedem Fall zu seinem steady-state Wert k*4. Die Wachstumsraten sind durch die Funktion [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]zweifelsfrei vorherbestimmt. Ist der Wert k* asymptotisch erreicht, so fällt die Wachstumsrate der pro-Kopf Variablen auf null zurück. Die aggregierten Variablen wachsen weiterhin mit der Rate h. Kleinere Werte von [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] implizieren höhere anfängliche Wachstumsraten wegen der Konkavität der Funktion[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten], bis schließlich später das Wachstum auch auf null zurückfällt.

Die steady-state Werte der pro-Kopf Produktion und des pro-Kopf Konsums sind ebenfalls genau determiniert:[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]. Eine höhere Ziel-KapitalintensitÄt k* impliziert also auch eine höhere pro-Kopf Produktion im langfristigen Gleichgewicht. Hinsichtlich der gegebenen Parameter lassen sich daher komparativ-statische Aussagen hinsichtlich der langfristigen absoluten Einkommensposition treffen. Eine höhere Sparquote etwa impliziert ein höheres langfristiges pro-Kopf Einkommen, eine insgesamt produktivere Technologie ebenso5. Ein höheres Bevölkerungswachstum h und eine höhere Abschreibungsrate [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] implizieren dagegen niedrigere langfristige Einkommenspositionen.

Wenn aber eine höhere Sparquote einen höheren Wert des steady-state Wertes k* impliziert, so ist die Wachstumsrate in jedem steady-state doch immer gleich null. Somit kann also eine Erhöhung der Sparquote, zum Beispiel durch eine staatliche Politik, zwar den Gleichgewichtswert von [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]zu einem höheren k2* verlagern und temporäre Wachstumseffekte in der Übergangsphase schaffen. Jedoch ist eine langfristige Erhöhung der Wachstumsrate durch eine Erhöhung der Sparquote bei Solow anders als bei Harrod-Domar nicht möglich.

Ein langfristig positives Wachstum im steady-state ist nur im modifizierten Solow-Modell möglich, in der ein exogener technischer Fortschritt existiert. Wenn der Parameter A, die totale Faktorproduktivität, mit einer konstanten Rate [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] anwächst, so ist das Wachstum von steady-state Kapitalintensität, pro-Kopf Produktion und pro-Kopf Konsum ebenfalls gleich [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]. Wir haben es in diesem Fall mit einem sogenannten „balanced growth path“ zu tun, der sich graphisch leider nicht sehr einfach darstellen läßt. Im Prinzip gilt Figur 1 weiterhin. Es sind in der Übergangsphase der Konvergenz von einem Ursprungszustand[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]hin zum Gleichgewichtswert k* weiterhin zusätzliches Wachstum durch Kapitalakkumulation zu erwarten. Ist aber das langfristige Gleichgewicht k* erst einmal erreicht, so wachsen k, y, i und c mit der Rate [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] statt mit der Rate 0. Dieser exogene technische Fortschritt, dessen Existenz wie gesagt unerklärt bleibt, vermag also ein langfristiges positives Wachstum zu erzeugen. Entscheidend ist aber die Gleichgewichtigkeit dieses Wachstums hinsichtlich aller pro-Kopf Variablen. Anders ausgedrückt: Da Pro-Kopf Einkommen, Pro-Kopf Konsum und Pro-Kopf Investitionen immer mit der gleichen Rate anwachsen, bleibt entlang dieses gleichgewichtigen Wachstumspfades auch die Kapitalintensität k konstant6.

In Abschnitt 3.3 sollen nun diese abstrakten und analytischen Resultate auf ihren Aussagewert für die Realität hin untersucht werden.

3.3. Die Schlußfolgerungen und Lehren des Modells

Man kann aus dem Solow-Modell zum einen Lehren für die Wachstumsmotoren innerhalb einer geschlossenen Volkswirtschaft an sich ziehen, insbesondere auch im Vergleic h zu den Kernaussagen des Harrod-Domar-Modells. Zum anderen ergeben sich aber auch Schlußfolgerungen für einen Wachstumsvergleich zwischen mehreren Volkswirtschaften.

Wachstumsmotoren in einer Volkswirtschaft

Das Solow-Modell beschreibt einen vollkommen stabilen Wachstumsprozess. Eine jede Volkswirtschaft hat einen klar definierten Zielwert k*, zu dem jene in jedem Fall hin konvergieren wird. Es existiert kein „Wachstum auf Messers Scheide“, von jeder Ausgangsposition aus und praktisch automatisch wird das dynamische Gleichgewicht erreicht. Die Ursache ist, daß in der Übergangsphase hin zum dynamischen Gleichgewicht hin der Kapitalkoeffizient k eben nicht konstant bleiben muß. Zwar wachsen Kapitalstock und Produktion im steady-state gleichgewichtig, was ein konstantes k impliziert, jedoch nicht vorher.

Es ist evident, daß bloße Kapitalakkumulation alleine als langfristiger Wachstumsmotor nicht taugt. Zwar ergibt sich ein positives Wachstum in der Übergangsperiode. Ist jedoch der steady-state einmal erreic ht, so fällt das Wachstum auf null zurück, wenn nicht jener exogene technische Fortschritt mit der Rate [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]existiert. Der Grund hierfür sind die sinkenden Grenzerträge des Kapitals. Bei einer konstanten Sparquote s nehmen die Investitionen (die per definitionem gleich den Ersparnissen sind) mit ansteigendem Wert für k unterproportional zu, da f(k) weniger stark wächst als k selber. Letztendlich versagt die Kapitalakkumulation als Wachstumsmotor völlig. Dies ist in der Harrod-Domar-Theorie anders: Wenn es Markt oder Staat schafften, die Wirtschaft auf dem Pfad der „knife-edge-stability“ zu halten, so wäre bei ständig anwachsender gesamtwirtschaftlicher Nachfrage ein langfristig positives Wachstum ohne technischen Fortschritt denkbar. Insofern ist es ein Verdienst der Solow-Theorie, auf die Bedeutung des technischen Fortschritts als langfristigen Wachstumsmotor so explizit hinzuweisen. Hierbei darf aber auch nicht übersehen werden, daß Solow etwaige Probleme des technischen Fortschritts (wie technologische Arbeitslosigkeit) ignoriert, indem er ein simples und immer korrekt funktionierendes Preissystem voraussetzt, das ständig für die Räumung aller Märkte sorgt.

Als eine Anwendung für die Wachstumspolitik konnte das Solow-Modell dafür herangezogen werden, um den technischen Fortschritt voran bringende Maßnahmen zu forcieren. Vor dem Hintergrund des Solow-Modells aber konnte eine Politik, die auf die Erhöhung der Sparquote abzielte, nicht als empfehlenswert gelten. Jene wäre nämlich lediglich ein sogenannter level-Effekt, der zwar den steady-state Wert k* erhöht hätte, jedoch in keinem Fall ein growth-effect, der für ein langfristiges positives Wachstum sorgen würde.

Wachstumsvergleich zwischen mehreren Volkswirtschaften

Eine noch weitgehendere Schlußfolgerung des Solow-Modells ergibt sich aber bei der Anwendung in einem Vergleich zwischen Ländern: die sogenannte Konvergenzhypothese. Alle Paramter in der fundamentalen Gleichung (6) sind relative Größen oder Raten: Sparquote, Relation zwischen Kapitalstock und Arbeitsvolumen usw. Keine dieser Größen bildet die absolute Einkommenshöhe einer Volkswirtschaft ab. Da jene Parameter aus (6) -zu denen nicht die ursprüngliche Kapitalintensität k0 gehört- ausreichen, um den stabilen Wachstumsprozeß hin zu dem Gleichgewichtspunkt (7) zu begründen, bedeutet das gleichzeitig: zwei Volkswirtschaften, die dieselben Parameter aufweisen, konvergieren zwangsläufig zu dem selben steady-state k*. Die Einkommen werden also in einem absoluten Sinne konvergieren, und zwar unabhängig von der Startposition k0. Der steady-state k* ist eindeutig bestimmt. Eine reiche Volkswirtschaft X mit einer hohen ursprünglichen Kapitalintensität k0 würde zwar schneller jenes dynamische Gleichgewicht erreichen als eine ärmere Volkswirtschaft Y mit einem nie drigeren[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten], jedoch würde irgendwann die ärmere Volkswirtschaft Y die reichere X in der absoluten Einkommenshöhe einholen. Auf diesem Prozeß hätte Y ständig höhere Wachstumsraten aufzuweisen als X. Die aus den sinkenden Grenzerträgen des Kapitals begründete Konkavität der Funktion[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] beschreibt einen Wachstumsprozeß, bei dem die Zuwachsraten permanent abflachen je näher eine Volkswirtschaft ihrem steady-state level kommt.

Die Solow-Theorie prognostiziert also nicht nur eine absolute Konvergenz der Einkommensniveaus für alle Volkswirtschaften mit den selben Parameterwerten[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] und der Produktionsfunktion f. Zusätzlich sagt die Theorie eine negative Korreliertheit von absoluter Einkommenshöhe und Wachstumsrate voraus. Die ökonomische Intuition ist einfach: In Volkswirtschaften mit niedrigem Kapitalstock ist der Realzins für Investitionen sehr hoch, da der Grenzertrag hoch ist. Mit zunehmendem Anwachsen des Kapitalstocks nimmt auch der Realzins und damit der Anreiz zum Investieren ab. Die Folge ist ein Abflachen des Wachstumsprozesses.

Permanente Unterschiede in den absoluten Einkommenshöhen der Volkswirtschaften X und Y (X kann etwa die USA und Y Äthiopien sein) können demzufolge auch nur aus zweierlei Gründen auftreten. Zum einen könnte in Y einfach Parameterwerte gelten, die laut Gleichung (7) ein wesentlich niedrigeres Gleichgewichtsniveau k* bedingen als für die Parameterwerte von X. Wachstums- und Wohlstandsunterschiede wären demzufolge ein Resultat unterschiedlicher marginaler Sparquoten, Bevölkerungszuwachsraten oder Abschreibungsraten, die steady-state-Werte auf sehr verschiedenen absoluten Einkommenspositionen bedingten.

Etwas Vorsicht ist geboten bei dem „Vergleich“ der Produktionsfunktionen f. Es mag zwar plausibel klingen, unterschiedliche Produktionsfunktionen als Ursache für Einkommens- und Wachstumsunterschiede verantwortlich machen zu wollen. Methodologisch gesehen ist dafür die Funktion f aber der „falsche Ort“, da jene Funktion im Prinzip das technische Potential der Welt als ganzes widerspiegelt7. Differenzen beim Gebrauch der Technik, oder Zugang einzelner Volkswirtschaften zu dieser Technik werden nicht mittels unterschiedlicher Produktionsfunktionen wiedergegeben, sondern anhand der totalen Faktorproduktivität A, ein Parameter, der im folgenden noch höchste Bedeutung erlangen wird.

Die zweite Erklärungsmöglichkeit internationaler Einkommensdifferenzen liegt bei eben jenem Parameter der totalen Faktorproduktivität. Wenn das Land X einen technischen Fortschritt vorweisen kann, das Land Y jedoch nicht, so wird der Aufholprozeß des Landes Y schwieriger oder gar unmöglich. Insofern könnte man in diesem Fall von konditionaler Konvergenz sprechen: Gegeben daß die Länder X und Y ständig denselben Parameter A besitzen, findet jene durch die Kapitalakkumulation bedingte Konvergenz statt. Anders gesagt: wenn man in einer Regressionsanalyse das Wachstum des technischen Fortschritts berücksichtigt, so müßte sich die negative Korreliertheit von Einkomenshöhe und Wachstumsrate nachweisen lassen. Da die Solow-Theorie jedoch den Parameter A als exogen annimmt, und auch nichts über die Faktoren aussagt, die A lÄnderspezifisch beeinflussen könnten, kann die Solow-Theorie dann aber nicht als eine Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung verstanden werden, sondern als eine Offenlegung der Wachstumsmechanik. Im folgenden soll nun unter Abschnitt 4.2. die empirische Relevanz der Solow-Theorie geprüft werden. Zuvor aber werde ich kurz auf die weitere Entwicklung der exogenen Wachstumstheorie nach Solow eingehen, namentlich auf den Zweig der optimalen Wachstumstheorie.

4. Weiterentwicklungen und Kritik an der exogenen Wachstumstheorie

4.1. Die optimale Wachstumstheorie

Im Zuge der allgemeinen wirtschaftstheoretischen Umwälzungen der 60er und 70er Jahre unterzog sich auch die Wachstumstheorie einer vor allem methodologischen Erneuerung. Maßgeblich beeinflußt von der sogenannten „Lucas-Kritik“8 kamen die keynesianischen „ad hoc“-Modelle zusehends aus der Mode. Zur großen Problematik der Makroökonomik wurde eine adäquate Mikrofundierung und eine Einbettung in die walrasische allgemeine Gleichgewichtstheorie mit rational optimierenden ökonomischen Subjekten. Auf dem Gebiet der Wachstumstheorie entstand die optimale Wachstumstheorie, die nicht wie die Solow-Theorie mehr eine mechanische Beschreibung des Wachstumsprozesses aus neoklassischer Sicht sein sollte, sondern den Wachstumsprozeß in den Kontext eines intertemporal optimierenden Haushaltes stellte, der seine Konsum-Spar-Entscheidungen nicht einfach anhand einer konstanten Sparquote erledigte, sondern aufgrund einer dynamischen Maximierung einen optimalen Konsumplan entwickelt hatte. Diese methodologisch neue Schule, die technisch sehr anspruchsvoll ist und sicher nicht zur Anschaulichkeit wirtschaftlicher Überlegungen beim Laienpublikum beigetragen hat, stützte sich vor allem auf die sehr alte Pionierarbeit von Ramsey (1928), auf Cass (1965) und Diamond (1965).

Die Modelle der neuen Schule waren wesentlich flexibler als die alte Solow-Theorie. Die Technik des allgemeinen Gleichgewichtsmodells erlaubte es, die unterschiedlichen Sektoren einer Volkswirtschaft, also die privaten Haushalte, die Unternehmen, den Staat, als autonome Akteure eines ökonomischen Systems zu modellieren, die koordiniert über ein Preissystem ihre wirtschaftlichen Interaktionen austragen. Dabei konnten dann verschiedene Annahmen, zum Beispiel die Form der privaten Nutzenfunktion oder der gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion, zur Hilfe genommen werden, um verschiedene wirtschaftstheoretische Hypothesen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Modellreaktionen zu testen. Im einfachsten Fall etwa herrscht vollkommene Konkurrenz, eine Cobb- Douglas-Technologie und eine logarithmische Nutzenfunktion. Im Kern jedoch vermochte diese Schule noch nicht, sich über die wesentlichen Aussagen des Solow-Modells hinwegzusetzen. Immer nämlich fiel das Wachstum des pro-Kopf Einkommens bedingt durch die sinkenden Grenzerträge des Kapitals früher oder später auf null zurück. Zwar konnte wiederum eine exogen wachsende totale Faktorproduktivität A angenommen werden, die ein gleichgewichtiges steady-state Wachstum mit der Rate [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] begründete. Jedoch war dieses exogene Wachstum wiederum aus dem Modell heraus unerklärlich. Es ergaben sich also im Prinzip die selben Schlußfolgerungen wie aus dem Solow-Modell: technischer Fortschritt als Wachstumsmotor und eine verfeinerte Konvergenzhypothese. Für eine absolute Konvergenz zweier Volkswirtschaften mußten jetzt zwar noch viel mehr Parameter übereinstimmen, je nach Kompliziertheit des Modells, wie zum Beispiel die intertemporale Substitutionselastizität der angenommenen Nutzenfunktion. Im Prinzip aber galt zumindest die konditionale Konvergenzhypothese weiterhin: dauerhafte Einkommensunterschiede zwischen Ländern der Erde konnten nur durch verschiedene relative Parameterwerte begründet werden, oder durch das unterschiedliche Wachstum der exogenen totalen Faktorproduktivität. Letztlich mußte das Wachstum wegen der sprichwörtlichen „Tragik der sinkenden Grenzerträge“ in der Abwesenheit technischen Fortschritts auf null zurückfallen, und damit mußte folglich eine zumindest gewisse Konvergenz der internationalen Einkommensniveaus beobachtbar sein.

4.2. Die empirische Relevanz der exogenen Wachstumstheorie

Es bedarf nur eines sehr oberflächlichen Blicks auf die Welt um die Nichtigkeit der simplen Konvergenzhypothese festzustellen. Die Wohlstandsunterschiede etwa zwischen den reichen Industrienationen Nordamerikas und Europas und den Entwicklungsländern Afrikas ist heute unvorstellbar groß. Der Summers & Heston - Datensatzes von 1991, in dem Kaufkraftparitäten benutzt werden, weist aus, daß die wohlhabendsten Länder der Erde etwa 30-40 mal so reich sind wie die ärmsten9. Mehr noch, es hat über einen sehr langen Zeitraum hinweg auch keine Tendenz eines Aufholens dieser Entwicklungsländer stattgefunden. Diese Fakten decken sich nicht mit den Voraussagen der Solow-Theorie. Nun können ja die verschiedenen Parameter der angenommenen Modellelemente sich von Land zu Land unterscheiden. Am ersichtlichsten ist dies bei den Sparquoten. Eine Volkswirtschaft mit hohen Sparquoten hat auch einen höhere steady-state Wert des Kapital- Arbeits-Verhältnisses k, und somit ein höheres Gleichgewichtseinkommen. Doch jede empirische Analyse widerlegt eindeutig, daß die internationalen Einkommensunterschiede durch Unterschiede in Sparquoten, oder sämtlichen anderen Parametern der Gleichung (7) erklärt werden können. Diese Scheitern vor der Empirie ist auch den Modellen der optimalen Wachstumstheorie zueigen, die wie gesagt noch weitere relevante Parameter eingeführt hat. Auch die Voraussage der negativen Korreliertheit von absoluter Einkommenshöhe und Wachstumsrate ist in ihrer einfachen Form empirisch nicht haltbar. Dies ist bei Barro (1997) sehr ausführlich dokumentiert.

Sogar erhebliche Modifikationen der exogenen Wachstumsmodelle vermögen nicht, die erheblichen Wohlstandsunterschiede zu erklären. Prescott (1997) testet etwa die Frage, ob Humankapital als Erklärungsansatz für die ungleichen Einkommensniveaus dienen kann. Hierzu wird eine Allokationsentscheidung über eine gegebene Zeitperiode dem Entscheidungsraum des privaten Haushalts hinzugefügt. Ein Haushalt kann entweder arbeiten oder in sein Humankapital investieren, daß sich gemäß einer Produktionsfunktion für Humankapitalbildung erhöht. In einer anderen Variante kann die Humankapitalbildung auch als eine Art „learning-by-doing“ während des Arbeitsprozesses stattfinden. Jedoch vermag keine Variation des exogenen Wachstumsmodells eine entscheidene empirische Klärung zu bringen. Wie Prescott es anhand eines Beispiels formuliert, bleibt es weiterhin zu klären, warum (wie in einer Studie von Clark (1987) über die Textilindustrie in den USA und Indien festgestellt wurde) „workers in New England and Canada were seven times as productive as workers in India, even though the machines and the skills of the workers were the same“. Die exogene Wachstumstheorie jedenfalls konnte und kann Fragen wie diese nicht klären. Auch die Einführung von Humankapital, oder auch anderer Modifikationen, bringt zwar eine Verbesserung der empirischen Ergebnisse, jedoch auf einem weiterhin unbefriedigenden Niveau.

5. Der Weg zur endogenen Wachstumstheorie

5.1. Ansätze und Modellierungsstrategien der endogenen Wachstumstheorie

Ein Modell, das der Realität eher auf die Spur kommen sollte als die exogene Wachstumstheorie mit ihrer Konvergenzhypothese, müßte imstande sein zu erklären, wie Staaten ein dauerhaft positives Wachstum haben können, das nicht bedingt durch die sinkenden Grenzerträge des Kapitals irgendwann auf null zurückfällt. Wie kann bei manchen unbegrenztes Wachstum geben, sogenannten „unbounded growth“, wohingegen andere überhaupt kein Wachstum erfahren? Die endogene Wachstumstheorie, die diese Frage beantworten wollte, hatte dabei zweierlei Probleme. Zum einen war da ein „mechanisches“ Problem, zum anderen war da das Problem der Einbettung etwaiger Modellmechaniken in eine schlüssige „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“. Die Entwicklung der endogenen Wachstumstheorie als solcher soll hier in diesem Beitrag nicht sehr ausführlich nachgezeichnet werden. Es sollen aber die groben Entwicklungslinien zumindest aufgezeigt werden.

5.1.1. Die Mechanik eines unbegrenzten Wachstums

Um ein unbegrenztes Wachstum (unbounded growth) durch das Modell selber reproduzieren zu können, mußte auf irgendeine Weise mit der bereits beschriebenen „Tragik der sinkenden Grenzerträge“ umgegangen werden. Die einfachste Variante, und quasi das erste endogene Wachstumsmodell war das sogenannte Ak -Model10 l, in dem in die beschriebene Modellklasse der optimalen Wachtumstheorie eine Produktionsfunktion eingeführt wurde, die nicht die Eigenschaft sinkender Grenzerträge auswies. Die Produktionsfunktion in der Pro-Kopf-Variante lautete in diesem Fall [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]. Offensichtlich existieren hier keine sinkenden Grenzerträge, somit kann (gegeben daß A>0) das Wachstum des pro-Kopf-Einkommens yt unbegrenzt weiter verlaufen. Die ökonomische Logik hinter Gleichung (8) besteht darin, daß hier eine extrem produktive Technologie eingeführt wurde, in welcher der Faktor Arbeit als begrenzender Faktor keine Rolle mehr spielt. Gleichung (8) kann als ein Sonderfall einer normalen Cobb-Douglas-Funktion verstanden werden, bei dem die Elastizität des Faktors Arbeit gleich null ist, die des Faktors Kapital dagegen eins. Das Arbeitsvolumen ist also für den Produktionsprozeß nicht mehr entscheidend. Dies ermöglicht nun das unbegrenzte Wachstum, da der Kapitalstock -anders als die Population- theoretisch unbegrenzt anwachsen kann11.

Die Bedeutung der Gleichung (8) war aber, daß die Existenz sinkender Grenzerträge quasi vollkommen geleugnet wurde. Dies gilt als unrealistisch und roh, auch wenn der Kapitalbegriff im AK- Modell auch ein breiterer sein kann und etwa Humankapital mit einschließen könnte. Da eine globale Abwesenheit sinkender Grenzerträge auch in diesem Fall nicht so einleuchtend war, wurde im späteren Verlauf der endogenen Wachstumstheorie das mechanische Problem des unbounded growth anders angegangen: Durch eine Dualität von sinkenden Grenz- und steigenden Skalenerträgen. Die wohl populärste Strategie hierfür ist die Einbeziehung externer Effekte in die Produktionsfunktion. Die Logik ist die folgende: die Arbeitsproduktivität bei jedem gegebenen Kapital-Arbeitsverhältnis [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten 12]ist umso höher, je größer der aggregierte Kapitalstock [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] ist. In einer reichen Volkswirtschaft mit hohem

Kapitalstock [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] können Arbeiter produktiver eingesetzt werden, was Netzwerkeffekte, Humankapital,

Infrastrukturvorteile und ähnliches symbolisieren könnte. Wächst nun die Kapitalintensität [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]durch den Wachstumsprozeß an, was ganz normal zu sinkenden Grenzerträgen führt, so wächst aber gleichsam der aggregierte Kapitalstock [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]. Ist die Wirkung des externen Effektes nur stark genug, so kann die Tendenz der sinkenden Grenzerträge gebrochen werden. Ein Beispiel für eine solche Produktionsfunktion ist etwa Gleichung [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]. In dieser Funktion strebt der Grenzertrag, die erste Ableitung nach [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten], nicht gegen null.

Methodologisch gesprochen hatte die grundsätzliche neoklassische Produktionsfuktion Form (1) [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] weiterhin Gültigkeit, jedoch war At jetzt eben eine Funktion von [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]. Durch Techniken wie diese war es möglich geworden, einen unbegrenzten Wachstumsprozess modellhaft erfassen zu können. Auch wurde eine gewisse ökonomische Logik mitgeliefert: Humankapital, Infrastruktur usw. als externe Effekte, die einen sehr produktiven Produktionsprozess ermöglichten.

Jedoch hatte diese erste Welle der endogenen Wachstumstheorie noch einige Schwachstellen. Der Stand des technischen Fortschritts blieb etwa immer auf ein und demselben Niveau. Die unterschiedlichen Mechanismen und externen Effekte, die durch Humankapitalbildung, learning-by- doing oder Netzwerkeffekte hervorgerufen wurden, reproduzierten lediglich die Überwindung der sinkenden Grenzerträge des Kapitals durch steigende Skaleneffekte. Die produzierten Güter jedoch blieben immer dieselben. Dies ist mit der tatsächlich beobachtbaren wirtschaftlichen Entwicklungsgeschichte Europas und Amerikas nicht vereinbar. Überhaupt blieb die erste Welle der endogenen Wachstumstheorie zu sehr damit beschäftigt, mechanische Voraussetzungen für ein unbegrenztes Wachstum zu liefern. Die entscheidende Frage aber blieb zumeist weiterhin offen: Warum hatten einige Staaten der Welt scheinbar „unbounded growth“, andere dagegen das genaue Gegenteil: no growth. Oder speziell auf diesen Zweig der endogenen Wachstumstheorie gemünzt: Warum hatten offensichtlich einige Staaten der Erde diese Mechanismen der externen Effekte, die ein langfristig positives Wachstum begründen konnten, aber andere nicht. Eine neue Welle der endogenen Wachstumstheorie wurde dann durch die Arbeiten von Paul Romer (1990) eingeleutet, der sich ebenfalls weniger mit dem eben genannten Problem befaßte, aber dafür das Wesen und die Herkunft des technischen Fortschritts schließlich genauer unter die Lupe nahm.

5.1.2. Technologische Innovationen und struktureller Wandel

Romers wesentliches Thema ist die wirtschaftliche Entwicklung einer Volkswirtschaft (nach Schumpeter begrifflich abzugrenzen von wirtschaftlichem Wachstum) durch Innovation und Produktvielfalt. Gemäß Schumpeter ist mit Wachstum die langsame und stetige Akkumulation zusätzlicher Einheiten zur bereits existierenden Menge des Kapitals gemeint, mit wirtschaftlicher Entwicklung jedoch ein Prozeß des strukturellen Wechsels und der technologischen Innovation13.

Romer versuchte nun, den Wachstumsprozeß mehr als einen Prozeß des strukturellen Wandels zu modellieren, in dem der Stand des technischen Wissens zu jedem Zeitpunkt identifiziert werden kann mit der Differenziertheit des Kapitalstocks oder der Anzahl der zur Verfügung stehenden Zwischenprodukte. Eine Ausweitung der Produktion ist nach Romer dadurch gekennzeichnet, daß neue Kapitalgüter geschaffen werden müssen, die qualitativ neue Eigenschaften besitzen und den gesamten Kapitalstock feiner differenzieren. Die Entwicklung dieser neuen Zwischenprodukte obliegt nun einem Forschungssektor, der durch Einsatz von Humankapital Innovationen hervorbringt, die durch Patente geschützt den Erfinder zum Monopolisten seiner Idee machen. Entscheidend in Romers Modell ist, daß jene Innovationen, oder besser die Differenziertheit des Kapitalstocks, keine sinkenden Grenzerträge aufweist, wie es der bloße Arbeitseinsatz oder die Kapitalakkumulation auf einem alten technischen Niveau tun. Insofern ist Innovation und technische Weiterentwicklung der Schlüssel zum unbounded growth, da hierin die Ursache für die Überwindung der „Tragik der sinkenden Grenzerträge“ gesehen wurde. Als Schlußfolgerung gerade auch für den internationalen Vergleich läge dann Humankapital als entscheidender Wachstumsfaktor nahe, da hierdurch besonders schnell Innovationen und Ausweitung der Zwischenprodukte erreicht werden kann.

5.2. Empirische Erfolge und vebleibende Puzzles: ein zusammenfassender Überblick

Hatte die endogene Wachstumstheorie auch schon wesentlich mehr Erfolg in der empirischen Erklärung der Wachstumsdifferenzen weltweit als die alte exogene Wachstumstheorie, so blieb auch die neue Wachstumstheorie eine eindeutige Antwort auf die entscheidene Frage der Wachstumstheorie schuldig: „Warum sind einige Staaten reich geworden, andere dagegen nicht?“ Zwar spielen Faktoren wie Humankapitalbildung, learning-by-doing und dergleichen sicherlich eine entscheidene Rolle bei der Beantwortung dieser Fragen, jedoch reichen jene -wie Prescott (1997) nachweist- nicht aus, um die Wohlstandsunterschiede wirklich erklären zu können. Auch das alles in allem schlüssige Modell von Romer kann nicht beantworten, warum der Prozeß der wirtschaftlichen Entwicklung durch Differenzierung des Kapitalstocks nicht zumindest auf niedrigem Niveau in der Dritten Welt einsetzt. Trotz der Einbeziehung von sehr weiten Kapitalbegriffen können die Unterschiede bei der Kapitalintensität [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] , wie sie in der realen Welt zwischen reichen und armen Ländern klaffen, nicht sinnvoll durch ein Modell mit irgendwie gearteter neoklassischer Produktionsfunktion beschrieben werden kann, auch wenn die se durch das sehr breite Kapitalkonzept infolge steigender Skaleneffekte zu langfristig positivem Wachstum führt. Prescotts Quintessenz ist es, daß die Wohlstandsunterschiede in der Welt nur dadurch erklärt werden können, daß verschiedene Staaten das vorhandene Wissen in sehr unterschiedlicher Weise und Intensität anwenden und ausnutzen. Die USA wäre demnach zwar auch deswegen reicher als Indien weil im Laufe der Jahre mehr physisches und vor allem Humankapital angesammelt wurde. Aber ein entscheidener Faktor ist ebenso, daß die USA das weltweit vorhandene technische Wissen konsequenter ausbeutet bei der Produktion eigener Waren und Dienstleistungen. Eine gute Wachstumstheorie müßte genau dafür Gründe finden und sich nicht auf die unterschiedlichen Spar- und Investitionsquoten in physisches- und Humankapital beschränken.

In die gleiche Richtung stoßen die breit angelegten empirischen Untersuchungen zur Wachstums- und Wohlstandsentwicklung der Welt von Robert J. Barro14. In jenen zeigt er zwar, daß eine naive Konvergenzhypothese zwar empirisch unhaltbar ist, jedoch wenn in einer weitreichenden Regressionsanalyse auch weitere Faktoren berücksichtigt werden, welche die TFP eines Staates beeinflussen können, daß dann eine negative Korelliertheit von Wohlstandslevel und Wachstumsrate durchaus nachgewiesen werden kann, also daß eine erweiterte Konvergenzhypothese gehalten werden kann. Die TFP beeinflussende Faktoren sind eben solche, die auch die vollständige Ausnutzung des weltweit vorhandenen technischen Wissens verhindern. Von Barro ausdrücklich genannte Faktoren sind etwa die Verläßlichkeit der Eigentums- und Rechtsordnung oder ein Demokratiesierungsindex. Aus diesen empirischen Beobachtungen lassen sich allerdings noch keine stichhaltigen theoretischen Erkenntnisse gewinnen. Die große Herausforderung der modernen Wachstumstheorie ist es, die Erkenntnisse der alten exogenen Wachstumstheorie und der zwei unterschiedlichen Strömungen der endogenen Wachstumstheorie (externe Effekte und technologische Innovationen) zu verbinden, und außerdem weitere Mechanismen und Faktoren theoretisch zu unterfüttern, welche sonst noch die TFP eines Landes beeinflussen könnten. Dabei sollte dem Prescott´schen Argument der ungleichen Nutzbarmachung des vorhandenen technischen Wissens besondere Beachtung schenken. Es sollte untersucht werden, ob es Zugangsbeschränkungen zu technischem Wissen gibt und welcher Art diese sind. Im Großen und Ganzen ist aber der Titel von Prescotts Artikel durchaus Programm: „Needed - A Theory of Total Factor Productivity“.

Literaturverzeichnis

Azariadis, Costas, (1995): Intertemporal Macroeconomics, McGraw-Hill, Boston

Barro, Robert J., (1997): Determinants of Economic Growth; MIT Press; Cambridge, MA

Barro, Robert J.; Sala -i-Martin, Xavier, (1995): Economic Growth; MIT Press; Cambridge, MA Boldrin, Michele, (1998): Notes on General Equilibrium and Growth; UCLA

Cass, David (1965): Optimum Growth in an Aggregative Model of Capital Accumulation, in: Review of Economic Studies, 32, pp. 232-240

Diamond, Peter (1965): National Debt in a Neoclassical Growth Model, in: American Economic Review, 55, pp. 1126-1150

Domar, Evsey, (1946): Capital Expansion, Rate of Growth, and Employment, in: Econometrica, 14, pp.137-147

Harrod, Roy, (1939): An Essay in Dynamic Theory, in: Economic Journal, 49, pp. 14-33

Helpman, Elhanan, (1993): Endogenous Macroeconomic Growth; NBER Working Paper Nr. 3869 Kromphard, Jürgen, (1972): Konjunktur und Wachstum; Berlin

Lucas, Robert E., (1972): Econometric Policy Evaluation: A Critique , in: Lucas, Robert, Studies in Business Cycle Theory, MIT Press, pp. 104 ff.

Lucas, Robert E., (1988): On the Mechanics of Economic Development, in: Journal of Monetary Economics, 22, pp. 3-42

Phelbs, Edmund, (19xx): The Golden Rule of Accumulation - A Fable for Growthmen, in: American Economic Review, xx, pp. 638-642

Prescott, Edward C., (1997): Needed: A Theory of Total Factor Productivity, in: Federal Reserve Bank of Minneapolis, Staff Report 242

Ramsey, Frank, (1928): A Mathematical Theory of Saving, in: Economic Journal, 38, pp. 543-559

Rebelo, Sergio, (1991): Long-Run Policy Analysis and Long-Run Growth, in: JPE, 99, pp. 500-521 Romer, Paul, (1990): Endogenous Technological Change, JPE, 98, pp. 71-102 Solow, Robert, (1956): A Contribution to the Theory of Economic Growth, in: QJE, 70, pp. 65-94

Summers, Robert; Heston, Alan, (1991): The Penn World Table: An Expanded Set of International Comparisons, 1950-1988, in: QJE, 106, pp. 327-368

[...]


1 Domar (1946) bezeichnet dies als eine „kühne Annahme“, also nicht als eine produktionstheoretische Tatsache. Insofern legt Domar auch keine Leontief-Produktionsfunktion zugrunde

2 wX bezeichnet die Wachstumsrate der Variable X, FX bezeichnet die erste Ableitung der Produktionsfunktion nach der Variable X.

3 sX bezeichnet den „share“ der Variable X, z.B. ist sA = (lA) / Y, wobei l der Gleichgewichtslohnsatz ist.. Damit sich die shares von Kapital und Arbeit immer zu eins addieren, dafür sorgt die Annahme konstanter Skalenerträge.

4 außer in dem trivialen Fall daß k0 = 0.

5 Eine Produktionsfunktion f, die für jeden Wert eine höhere Produktion hervorbringt als eine andere Funktion h.

6 Dies ist eine auch empirisch interessante Hypothese, da sie deutlich die Unterschiede zwischen der neoklassischen Wachstumstheorie und eher marxistisch ausgerichteten Theorien deutlich macht, bei denen langfristig k ansteigt .

7 siehe hierzu Lucas (1988), S.15

8 siehe Lucas (1972)

9 siehe zum Beispiel Prescott (1997), S.1-3; Summers, Heston (1991)

10 siehe Rebelo (1991)

11 Kapital kann hier auch in einem weiteren Sinne unter Einbeziehung von Humankapital verstanden werden, was einen Produktionsprozeß ohne Bedeutung von Arbeit zumindest etwas realistischer erscheinen läßt.

12 jene Produktivität ist natürlich gleich der ersten Ableitung der Pro-Kopf-Produktionsfunktion

13 zitiert nach Boldrin (1998)

14 siehe Barro (1997)

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Von der exogenen zur endogenen Wachstumstheorie
Note
1,3
Autor
Jahr
2000
Seiten
18
Katalognummer
V97985
ISBN (eBook)
9783638964364
Dateigröße
388 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wachstumstheorie
Arbeit zitieren
Jens Südekum (Autor:in), 2000, Von der exogenen zur endogenen Wachstumstheorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97985

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