Von der Nützlichkeit der Organlotterie


Ausarbeitung, 1999

8 Seiten, Note: 2+


Leseprobe


Inhaltsangabe

Einleitung

1.) Die Idee einer Organlotterie

2.) Mögliche Folgen

3.) Völlige Kontrolle

4.) Die Konsequenz

5.) Die Risikoverteilung

6.) Das Mißbrauchs Argument Schlußbemerkung

Einleitung

Ich versuche mich in der nachfolgenden Bearbeitung mit dem Gedanken der Organlotterie auseinanderzusetzen. Als Grundlage dient der Text von Peter Singer aus dem Jahre 1977, ,,Utility and the Survival Lottery". Er ist die Antwort von Singer auf das Thema der ,,Organlotterie", welches John Harris mit seinem Gedankenaufbau in dem Text ,,The Survival Lotterie" 1975 ins Leben gerufen hat.

Im ersten Abschnitt setze ich mich mit dem Text von Singer auseinander und versuche seine Sicht der Sachlage darzustellen, dann ziehe ich Parallelen, bzw. ich stelle Gegensätze heraus, zu dem Text von Harris.

Zum Schluß möchte ich noch auf einen dritten Text von Birnbacher eingehen, welcher ebenfalls das Thema einer ,,Organlotterie" von Harris überdenkt und seine eigenen Schlüsse daraus zieht. Sein Text zu dieser Thematik stammt aus dem Werk Birnbacher, 1995 ,,Tun und Unterlassen", Reclam.

1.) Die Idee einer Organlotterie

Es wird die Theorie einer Organlotterie behandelt, bei der aus einer Gruppe von Teilnehmern eine Person ausgelost wird, um getötet zu werden. Der Zweck dieser Tötung ist, die Organe des Auserwählten, mehreren anderen todkranken Personen zu verpflanzen, die ebenfalls an der Lotterie teilnehmen. Auf diese Weise können mehrere Menschenleben für das Opfer eines Einzelnen gerettet werden. Singer geht davon aus, mit einem Spender vier bis fünf andere sterbenskranke Menschen retten zu können. Wir haben es hier also mit einer ,,minimizing violation theory" zu tun. Dabei muß man allerdings von einem perfekten Stand der Transplantationstechnik ausgehen:

,,Since assuming the perfection of transplant technologie, the parts of `one donor` (if that is the right word) could save the lives of four to five others, the proposal appears to be a rational one." Singer(1977),Peter, Utility and the Survival Lottery, in:Philosophy 52, S.218

Nach den normalen moralischen Werten und aufgrund der Heiligkeit jeden menschlichen Lebens wirft diese Art des Ansatzes allerdings sehr große Kritik und Empörung auf. Es muß verwerflich sein, das Leben eines völlig gesunden Menschen gegen seine natürliche Lebenserwartung auf so gezielte Art und Weise zu beenden, bewußt eine Tötung in Kauf zu nehmen. Diese Argumente hebeln sich jedoch in dem

Moment von selbst aus, in dem wir von der Heiligkeit und dem unschätzbaren Wert eines jeden Menschenlebens ausgehen. Dann muß man nämlich zugestehen, daß eine Handlung, deren Ziel es ist, eine größere Anzahl von Leben zu retten, eigentlich für ethisch motivierten Menschen wünschenswert sein müßte. Es wird nicht nach moralischen Gesichtspunkten gefragt. ,,Gefragt ist lediglich nach den Gründen für die Teilnahme oder Nichtteilnahme unter dem Gesichtspunkt individueller prudentieller Rationalität." Birnbacher (1995), Dieter, Tun und Unterlassen, Stuttgart: Reclam, S. 214

Man kann nicht von ,,Unfairness" oder Willkür sprechen, da man ganz gezielt die Todesrate um den Faktor vier verringert. Man kann also davon ausgehen, daß es sich hier um einen utilitaristischen Lösungsansatz des Organmangels handelt. Das ist das Prinzip der größeren Zahl als Chancenmaximierung für den Utilitaristen. Es ist allerdings sehr fragwürdig, inwiefern sich dieser utilitaristische Vorteil auch als solcher behaupten kann, wie später noch im einzelnen erklärt wird.

Zuerst sollte man sich auf eine freiwillige Beteiligung bei der Lotterie einigen, um einen Großteil der Gegenargumente von vornherein auszuschließen. Das würde dann bedeuten, daß sowohl Risiko, als auch die Wohltat der Rettung durch eine Transplantation nur die Freiwilligen trifft. Das bedeutet wiederum, daß man nun keine individuellen Rechte mehr verletzt, da die Auserwählten ja von vornherein mit ihrem Risiko einverstanden waren. Hier können allerdings Zweifel aufkommen, inwiefern man jederzeit für irgendwann getroffene Entscheidungen in unserer Gesellschaft zur Rechenschaft gezogen werden kann. Diese sollen nun jedoch bei Seite gelassen werden, da es sich um eine konstruierte Situation handelt, in der man der Einfachheit halber komplexe ,,Umfeldkriterien" unbeachtet lassen muß, um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können.

Man hat also in einem solchen Fall für die Gemeinschaft wesentlich weniger Verluste zu beklagen. Wenn man die Ursache des Todeseintrittes der Äpuivalenzthese entsprechend (aktives Sterbenlassen der Kranken mit dem Töten eines Gesunden und somit aktivem Eingreifen) untereinander gleichsetzt, ist der Entwurf unter dem Strich dem ersten Anschein nach empfehlenswert.

Dann fangen die ernsten Probleme an, welche die Theorie von Harris nicht genügend bedacht hat.

2.) Die möglichen Folgen der Lotterie

Die Teilnehmer der Lotterie sind nun abgesichert. Wenn man ein krankes Organ hat, welches das eigene Leben terminiert, braucht man keine Angst mehr zu haben, vergeblich auf Hilfe zu warten. Es ist durch die Lotterie gesichert, daß ein gesunder Ersatz sofort zur Stelle ist. Außerdem sinkt mit der Anzahl der geschädigten Organe im eigenen Körper, das Risiko, daß man für als Spender ausgewählt wird, da dieser ja möglichst viele gesunde Organe haben muß, um den größten Nutzen abzuwerfen. Das bedeutet, daß sich das Leben eines Teilnehmers nicht mehr durch ungesunden Lebenswandel verkürzen kann, da es ihm jederzeit möglich ist, das zu Schaden gekommene Organ auszutauschen. Betrachtet man jedoch die individuelle Situation des Einzelnen, so verringert sich mit einer gesunden Lebensführung die Lebenserwartung, da man davon ausgehen muß, daß ein gesunder Körper eher für eine Tötung als Spender in Frage kommt. Nur dieser ermöglicht es, eine große Anzahl von Leben zu retten. Das kann so weit gehen, daß bestimmte erkrankte Personen von der Lotterie ausgeschlossen werden müßten, da sie als Spender nicht mehr in Frage kommen. Allerdings kann jemandem genauso wenig die Rettung durch ein Transplantat verweigert werden (wenn das gegen die vorherige Absprache ist), wie ein zum spenden Auserwählter in diesem Moment sein vorheriges Einverständnis revidieren kann.

Auch Harris ist sich in seinem Entwurf dieses Dilemmas bewußt. Es ist sehr schwierig zu entscheiden, ob der Einzelne für sein Leiden verantwortlich ist. Nur wer keine Schuld an seiner Situation trägt, darf von der Organlotterie profitieren. Eine Grenzziehung ist bei dieser Schuldfrage kaum möglich. Dies ist auch die Ansicht von Singer: ,,But is such exclusion at all feasible? When we consider this proposal in detail, it rapidly becomes clear that is not." Singer,P. Utility and the Survival Lottery S.218

Die Verurteilung eines Teilnehmers, ihn wegen ungesunden Lebenswandels auszuschließen, wird immer fragwürdiger, je mehr man ins Detail geht. Man müßte alle Aktivitäten eines Jeden zu jedem Zeitpunkt seines Lebens kennen, um auszuschließen, daß er sich irgendwann einmal durch Selbstverschulden die Ursache eines Organschadens zugezogen hat.

Jeder der einer, nach unserem heutigen medizinischen Wissensstand gesundheitsschädlichen Beschäftigung nachgeht, wie z.B. Rauchen, Alkoholkunsum, Kaffee trinken, sogar nur gespritzte Lebensmittel konsumiert oder Mangelernährung, erhöht das Risiko von Organschädigungen. Er müßte somit von der Lotterie ausgeschlossen werden. Nun gibt es Mediziner, die sagen, daß der Konsum von Fleisch das Risiko von Darmkrebs erhöht, andere behaupten das Gegenteil. So gibt es viele verschiedene Meinungen in der Medizin. Die Entscheidung fällt schwer, nach welchen Kriterien die Auswahl stattfinden soll ?!

Man kann den Gedanken auf den gesamten Lebenswandel ausweiten. Sämtliche

Betätigungen vom Autofahren, der Berufswahl und sport-Aktivitäten müssen beachtet werden. Der Eine fährt nur Bus, der Andere Auto, der Eine arbeitet auf einer Ölplattform, der Andere im klimatisierten Büro, der Eine spielt Tischtennis und der Andere springt mit dem Fallschirm aus Flugzeugen.

3.) Völlige Kontrolle aller Lebensbereiche

Um die Chancen eines jeden Teilnehmers gleichzusetzen mit den anderen, bräuchte man : die totale Überwachung, daß ein jeder, in jeder Lebenssituation das Gleiche tut. Abgesehen davon, daß eine solche Durchführung rein technisch gar nicht möglich währe, würde sie die persönliche Individualität und Freiheit völlig zerstören. Eine Intimsphäre gäbe es dann nicht mehr, alles würde kontrolliert und vorgeschrieben. Das hat einen ganz einfachen Grund: Früher war jeder für sein eigenes Wohlbefinden verantwortlich, nun trägt er mit jeder aktiven und passiven Handlung seines Körpers die Verpflichtung für alle anderen Teilnehmer der Organlotterie, da man die eigenen Organe als Gegenleistung für die eigene Sicherheit eingebracht hat.

4.) Die Konsequenz

Die Folge ist, daß der eigene intime Aktionskreis, innerhalb dessen man mit einer Handlung nur sich selbst schaden konnte, nun nicht mehr existent ist; er hat sich aufgelöst. Es gibt jetzt nur noch den Aktionskreis sämtlicher Teilnehmer der Lotterie:

Vorherige Aktionskreise : eigener Aktionskreis

A

Person

A

Außerhalb vom eigenen Aktionskreis

Aktionskreis nach Beitritt :

Aktionskreis der Organlotterie

A A

Person A

Person A

Ehemaliger eigener Aktionskreis

Das bedeutet, was auch immer man macht, es hat Auswirkungen für jeden anderen Teilnehmer der Organlotterie! Um also Fehltritte oder Benachteiligungen anderer zu vermeiden, ist eine totale Überwachung des ,,Individuums" notwendig geworden. Aus all diesen Punkten ergibt sich die Schlußfolgerung, daß die ,,Survival Lottery" nicht auf utilitaristischer Basis gerechtfertigt werden kann. Denn die Individualität, auf der die gesamte menschliche Kultur aufgebaut ist, ja durch die erst die Evolution möglich war, ist nicht mehr gegeben, bzw. muß mit einem Überwachungsapparat gigantischen Ausmaßes unterdrückt werden.

Also kann man die Idee der Organlotterie ohne allzu große Opfer nicht verwirklichen. Aber das ist auch nicht das Anliegen dieses Konzeptes. Es geht vielmehr um das Aufzeigen der Irreleitung unserer moralischen Ansichten über das Töten und das Sterbenlassen.

,,(...), since his prime concern seems to be to show that there is something

defectivein ourmoral views about killing and letting die; and with this, as I have already said, I agree." Singer,P. Utility and the Survival Lottery S.221

5.) Risikoverteilung

Ein weiterer Grund ist die Aufteilung des Risikos auf mehrere Personen. Sobald sich zwei oder mehrere Personen das Risiko teilen, verkleinert sich der Anreiz des Einzelnen, den Verlust eines Organs zu vermeiden. Das läuft darauf hinaus, daß man am Ende einen größeren Schaden hat, als ohne Lotterie.

Singer zieht Parallelen zu anderen Systemen, die mit dem selben Phänomen zu kämpfen haben. Bei Versicherungen und bei sozialen Hilfssytemen ist dies der Fall.

Das Risiko wird auf mehrere verteilt und es muß ein Anreiz geschaffen werden, um die Vermeidungsbereitschaft zu erhöhen. Dies geschieht bei Versicherungen durch verschlechterte Konditionen im Schadensfall, das heißt, es werden bei einer häufigen, leichtsinnigen (bzw. selbstverschuldeten) Inanspruchnahme der Versicherung die Beiträge erhöht. Bei sozialen Systemen wird das Problem dadurch gelindert, daß man die Lebenshilfe auf eine Überlebenshilfe reduziert, so daß jeder, der ein bißchen ,,komfortabler" leben möchte, Bemühungen in Kauf nehmen muß, um seine Lebenssituation zu verbessern.

6.) Das Mißbrauchs Argument

Birnbacher erwähnt noch eine weitere Möglichkeit, weshalb ein solches System selbst von absolut rationalen Egoisten nicht als lohnend betrachtet wird. Der menschliche Faktor in der Opferentscheidung birgt ein großes Maß an möglichem Mißbrauch durch Dritte.

Das Ergebnis ist nun manipulierbar geworden, im Gegensatz zu der natürlichen Determination des Lebens. Auch spricht Birnbacher die Gewalt an, die bei der Lotterie notwendig wird, um die Vollstreckung des Urteils zu gewährleisten. Denn kaum jemand läßt sich gerne freiwillig ,,schlachten", ungeachtet vorheriger Absprachen. Ein Scharfrichter, der die auserwählten Personen exekutieren muß, hat durch die aktive Tötung des Opfers in unserem Verständnis eine schwerwiegendere Aufgabe, als der Arzt der ein natürliches Organversagen zuläßt.

Schlußbemerkung:

Die Überlebenslotterie überschreitet bei weitem jegliche Grenze der erträglichen Risikoverteilung. Hier hält man nicht nur wörtlich für Andere seinen Kopf hin, indem man höhere Beiträge bezahlt, wie bei einer Autoversicherung, sondern es kann einen wirklich den Kopf und den Rest des Körpers kosten, wenn sich jemand anderes auf seiner Absicherung ,,ausruht" (ungesunder Lebenswandel), somit als Spender wegfällt und sich die Chancen für einen selbst erhöhen, als Spender ausgewählt zu werden! Handeln bedarf verschiedenen Reglements (z.B. ,,Du sollst nicht töten - Du sollst nicht Sterbenlassen"/Das sind Nichtschädigungspflichten). Das bedeutet, es entsteht ein Koordinierungsbedürfniss bei der positiven Handlung. Hier könnte man die Äquivalenz These ins Wanken bringen, welche besagt, daß positives Handeln und Unterlassen gleichwertig sind. Denn für Unterlassen im positiven Sinne benötigen wir keine Reglements.

Die Differenzierung zwischen einer Basishandlung (der ersten aktiven Bewegung des Körpers zu einer Handlungskette, z.B. Finger drückt Knopf) und dem Unterlassen ist moralisch relevant.

Literaturliste:

Ich beziehe mich in meiner Arbeit hauptsächlich auf :

Singer (1975), Peter, Utility and the survival lottery, in : Philosophie 52, S. 218-222

Als weiteres Textmaterial stand mir zu Verfügung:

Harris (1975), John, The survival lottery, in : Steinbock/Nocross (1994), S. 257-265

Birnbacher (1995), Dieter, Tun und Unterlassen, Stuttgart: Reclam

Ende der Leseprobe aus 8 Seiten

Details

Titel
Von der Nützlichkeit der Organlotterie
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Veranstaltung
Handeln und Unterlassen
Note
2+
Autor
Jahr
1999
Seiten
8
Katalognummer
V98096
ISBN (eBook)
9783638965477
Dateigröße
440 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nützlichkeit, Organlotterie, Handeln, Unterlassen
Arbeit zitieren
Ivo Häusle (Autor:in), 1999, Von der Nützlichkeit der Organlotterie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98096

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