Das Ermächtigungsgesetz und die Machtergreifung. Eine Frage der Legalität


Hausarbeit, 2020

19 Seiten


Leseprobe

Gliederung

A. Einleitung

B. Quellengattung

C. Gegenstand

D. Verfasser

E. Historischer Kontext
I. Reichstag
II. Hitler wird Reichskanzler
1. Zentrum
2. Kommunistische Partei

F. Juristischer Kontext
I. Herstellung der Beschlussfähigkeit
II. Herstellung der verfassungsändernden Mehrheit

G. Bewertung
I. Legalität des Ermächtigungsgesetzes
1. Materielle Rechtmäßigkeit
2. Formelle Rechtmäßigkeit
a) Änderung der Geschäftsordnung
b) Abstimmung im Reichstag
c) Behandlung im Reichsrat
d) Vorzeitiges Außerkrafttreten
II. Bedeutung der Legalität
III. Wirkungen des Ermächtigungsgesetzes

H. Fazit

Literaturverzeichnis

Quellen

Morsey, Rudolf: Das "Ermächtigungsgesetz" vom 24. März 1933, in: Koselleck/Vierhaus (Hrsg.) Historische Texte/Neuzeit, 1. Auflage, Göttingen, 1968. (zitiert als: Morsey, Ermächtigungsgesetz, 1968, S…)

ebd.: Das "Ermächtigungsgesetz" vom 24. März 1933, Quellen zur Geschichte und Interpretation des "Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich", 2. Auflage, 2010. (zitiert als: Bearbeiter, in: Morsey, Ermächtigungsgesetz, 2010, S…)

o.V.: Verhandlungen des Reichstages, VIII. Wahlperiode, Berlin, 1933, Band 457, Stenographische Berichte, Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Sach- und Sprechregister, 1934. (zitiert als: o.V., Verhandlungen des Reichstages, Stenographische Berichte, S…)

Literatur

Becker, Josef: Zenrum und Ermächtigungsgesetz 1933, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 9. Jahrgang, April, Heft 2/1961, S. 195 - 210. (zitiert als: Becker, in: VfZ, 2/1961, 195, S…)

Bickenbach, Christian: Vor 75 Jahren: Die Entmächtigung der Weimarer Reichsverfassung durch das Ermächtigungsgesetz, in JuS, Heft 3/2008, S. 199 - 203. (zitiert als: Bickenbach, in: JuS, 3/2008, 199, S…)

ebd.: Totenschein für die Weimarer Republik, Zum 80. Jahrestag des "Ermächtigungsgesetzes", in: Recht und Politik, Heft 2/2013, S. 107 - 109. (zitiert als: Bickenbach, in: Recht und Politik, 2/2013, 107, S…)

Bracher, Karl Dietrich: Stufen totalitärer Gleichschaltung: Die Befestigung der nationalsozialistischen Herrschaft 1933/34, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 4. Jahrgang, Januar, Heft 1/1956, S. 30 - 42. (zitiert als: Bracher, in: VfZ, 1/1956, 30, S…)

Bracher, Karl Dietrich/Sauer, Wolfgang/Schulz, Gerhard: Die nationalsozialistische Machtergreifung, Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34, Köln und Opladen, 1960. (zitiert als: Bracher/Sauer/Schulz, S…)

Conze, Werner. Hindenburg, Paul von, in: Neue Deutsche Biographie, Band 9, 1972, S. 178 - 182. https://www.deutsche-biographie.de/pnd118551264.html#ndbcontent (letzter Abruf: 14.10.2020.) (zitiert als: Conze, von Hindenburg, Paul, in: NDB)

Frehse, Michael: Ermächtigungsgesetzgebung im Deutschen Reich - 1914 - 1933, Pfaffenweiler, 1985. (zitiert als: Frehse, in: Ermächtigungsgesetzgebung im Deutschen Reich, S…)

Hess, Adalbert: Das Abstimmungsergebnis zum Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Band 16, März, Heft 1/1985, S. 5 - 6. (zitiert als: Hess, in: ZParl, 1/1985, 5, S…)

Matthias, Erich/Morsey, Rudolf: Das Ende der Parteien 1933, Düsseldorf, 1960. (zitiert als: Bearbeiter, in: Das Ende der Parteien, S…)

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Reichsgesetzblatt online: http://alex.onb.ac.at/tab_dra.html (letzter Abruf: 20.10.2020)

Repgen, Konrad: Ein KPD-Verbot im Jahre 1933?, in: Historische Zeitschrift, Februar/1985, Band 240, Heft 1, S. 67 - 99. (zitiert als: Repgen, in: HZ, 1/1985, 67, S…)

Schneider, Hans: Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, Bericht über das Zustandekommen und die Anwendung des Gesetzes, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 1. Jahrgang, Juli, Heft 3/1953, S. 197 - 221. (zitiert als: Schneider, in: VfZ, 3/1953, 197, S…)

Schulz, Gerhard: Neue Deutsche Biographie, Band 5, 1961, S. 432 - 433. https://www.deutsche-biographie.de/pnd119055201.html#ndbcontent (letzter Abruf: 12.10.2020). (zitiert als: Schulz, Frick, Wilhelm, in: NDB)

Strenge, Irene: Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, in: Journal der Juristischen Zeitgeschichte, 7. Jahrgang, März, Heft 1/2013, S. 1 - 46. (zitiert als: Strenge, in: JoJZG, 1/2013, 1, S…)

ebd: Machtübernahme 1933 - Alles auf legalem Weg?, Berlin 2002, in: Zeitgeschichtliche Forschungen, Band 15. (zitiert als: Strenge, Machtübernahme 1933, S…)

Wadle, Elmar: Das Ermächtigungsgesetz, Eine Erinnerung, in: JuS, Heft 3/1983, S. 170 - 176. (zitiert als; Wadle, in JuS, 3/1983, 170, S…)

Winkler, Heinrich August: Die Ehre der deutschen Republik, Zum 80. Jahrestag der Rede von Otto Wels gegen das Ermächtigungsgesetz, in: Gesprächskreis Geschichte, Band 100, Bonn, 2013, S. 10 - 25. (zitiert als: Winkler, in: GG, 10, S…)

A. Einleitung

„Ich glaube […], dass das Recht allein leider noch nicht genügt, - man muss auch die Macht besitzen.“1 Dies sagte Hitler vor dem Reichstag in seiner Rede zum Ermächtigungsgesetz am 23.03.1933 und warf den Sozialdemokraten mangelnde Führung in den Jahren ihrer Regierungszeit vor. Hitler war noch nicht zwei Monate Reichskanzler und schon auf dem besten Wege, eine tiefgreifende Staats- und Verfassungsreform durchzusetzen. Nach der Reichstagsbrandverordnung, die zahlreiche Grundfreiheiten außer Kraft setzte, wollte sich die Regierung eine eigene Gesetzgebungskompetenz vom Parlament einräumen lassen. Dafür musste der Reichstag das sogenannte Ermächtigungsgesetz verabschieden. Der ehemalige Reichskanzler Brüning bezeichnete dies als „[…] das Ungeheuerlichste, was je von einem Parlament gefordert worden wäre“.2 Nach dem gescheiterten Putschversuch im November 1923 legte Hitler aber großen Wert darauf, die Macht auf „legalem“ Wege zu erlangen.3 Ob ihm das mithilfe des Ermächtigungsgesetzes gelang, soll nach Beleuchtung der historischen Situation erörtert werden.

B. Quellengattung

Bei der vorliegenden Quelle handelt es sich um einen Auszug des Reichsgesetzblattes Teil I aus dem Jahr 1933. Es ist das vom Reichstag am 23.03.1933 beschlossene Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich.4 Dieses Reichsgesetz wird auch als Ermächtigungsgesetz bezeichnet und knüpft damit begrifflich an das Gesetz vom 14.08.1914 und an die Notstandgesetzgebung der Weimarer Republik an.5 Das Ermächtigungsgesetz durchlief das förmliche Verfahren der Art. 68 ff der Weimarer Reichsverfassung (WRV). So wurde der Entwurf am 23.03.1933 im Reichstag und noch am selben Tag im Reichsrat behandelt.6

C. Gegenstand

Gemäß Art. 70 WRV wird das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich verkündet (Z. 1). Es besteht aus lediglich fünf Artikeln. Die Präambel in den Zeilen 2 bis 4 weist darauf hin, dass der Reichsrat zugestimmt und der Reichstag das Gesetz beschlossen habe nachdem festgestellt wurde, dass die Erfordernisse verfassungsändernder Gesetzesänderungen erfüllt seien. Artikel 1 bestimmt, dass Reichsgesetze von der Reichsregierung beschlossen werden können. Die Reichsregierung wird also dazu ermächtigt, Gesetze im formellen Sinn zu erlassen.7 Damit führt Art.1 ein neben dem von der Verfassung vorgegebenen stehendes neues Gesetzgebungsverfahren ein (Z. 6 f.). Satz 2 erweitert diese Befugnis auf Gesetze nach Art. 85 Abs. 2 und 87 WRV. Hierbei handelt es sich um Gesetze zur Festlegung des Haushaltsplanes sowie zur Kreditbeschaffung (Z. 7 f.). Damit obliegt die Haushaltsautonomie nicht mehr dem Reichstag.8 Artikel 2 stellt klar, dass die neuen Regierungsgesetze gemäß Art. 1 von der Verfassung abweichen können. Lediglich die Einrichtung des Reichstages und des Reichsrates sowie die Rechte des Reichspräsidenten sollen unberührt bleiben (Z. 10 - 12). Letzteres bezieht sich insbesondere auf sein Amt als Oberbefehlshaber der Wehrmacht gemäß Art. 47 WRV, sein Notverordnungsrecht gemäß Art.48 Abs. 2 WRV sowie auf sein Recht, den Reichskanzler und die Reichsminister gemäß Art. 53 WRV zu ernennen und zu entlassen. In Artikel 3 werden die Verfahrensvorschriften der Verfassung für auf Regierungsgesetze unanwendbar erklärt und somit die Beteiligung des Reichstages und -rates sowie etwaige Volksentscheide ausgeschlossen (Z. 16 f.).9 Ausfertigung und Verkündung dieser Gesetze werden dem Reichskanzler übertragen (Z. 14 f.). Verträge mit fremden Staaten bedürfen gemäß Art. 4 nicht der Zustimmung der an der Gesetzgebung beteiligten Körperschaften (Z. 19 - 21). Damit wird von Art. 45 Abs. 3 WRV abgewichen, welcher die Zustimmung des Reichstag zwingend vorsieht. Artikel 5 bestimmt, dass das Gesetz am Tag seiner Verkündung in Kraft tritt (Z. 24). Es tritt gem. Art. 5 S. 2 am 1. April 1937, bzw. wenn die gegenwärtige Reichsregierung durch eine andere abgelöst wird, außer Kraft (Z. 24 - 26). Unter dem Datum (Z. 27) stehen die Namen des Reichspräsidenten, des Reichskanzlers sowie der drei Reichsminister des Inneren (Frick), des Auswärtigen (von Neurath) und der Finanzen (von Grosigk).

D. Verfasser

Als Verfasser des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich ist das Präsidialkabinett Hitler zu nennen. Dazu gehörten die Nationalsozialisten Frick, Goebbels und Göring.10 Staatssekretär Meißner schlug am 30.01.1933 vor, ein Gesetz im Reichstag einzubringen, welches die Regierung ermächtige, Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vorzunehmen.11 Die Aufgabe, einen entsprechenden Gesetzesentwurf auszuarbeiten, fiel dem Reichsinnenministerium unter Wilhelm Frick zu.12 Der studierte Jurist und ehemalige Reichstagsabgeordnete ist maßgeblicher Urheber des Ermächtigungsgesetzes. Ihm ging es von Anfang an darum, ein neues Gesetzgebungsverfahren am Parlament vorbei einzuführen.13 Den Begriff Ermächtigungsgesetz vermied er teilweise ganz oder benutzte ihn, um gegenüber der Öffentlichkeit und dem Kabinett zu verschleiern, welch weitreichende und zweckungebundene Befugnisse er der Exekutive verschaffen wollte.14 Reichsminister Johannes Popitz ging davon aus, das Ermächtigungsgesetz würde lediglich zum Erlass von Regierungsverordnungen dienen.15 Frick schlug in der Ministerbesprechung vom 15.03.1933 vor, das Ermächtigungsgesetz so weit zu fassen, dass von der Verfassung abgewichen werden könne. Im Übrigen solle es auf vier Jahre begrenzt bzw. vom Bestand der aktuellen Reichsregierung abhängig gemacht werden.16 Staatssekretär Meißner schloss eine Mitwirkung des Reichspräsidenten an den aufgrund des Ermächtigungsgesetz erlassenen Gesetzen weitgehend aus.17 Die Forderungen des Zentrums, die dessen Vorsitzender unter Kaas gegenüber Hitler erhob, wurden zwar mündlich zugesichert und von Hitler in seiner Regierungserklärung am 23.03. teilweise erwähnt, fanden aber keinen Eingang in das Ermächtigungsgesetz.18. Die Vermutung, dass der bekannte Staatsrechtslehrer Carl Schmitt an den Formulierungen des Ermächtigungsgesetzes mitgearbeitet hat, konnte nicht bewiesen werden.19

E. Historischer Kontext

Der Erlass des Ermächtigungsgesetzes fällt in eine Zeit, die von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen geprägt war. Die gerade seit einem Jahrzehnt bestehende Weimarer Republik litt schwer an den Folgen der Wirtschaftskrise, die am 25.10.1929 durch massive Kursverluste an der Börse in New York ausgelöst wurde.20 Dies führte zu einem rasanten Anstieg der Arbeitslosigkeit und daraus folgend zur Verstärkung bereits vorhandener Ressentiments gegenüber der Weimarer Republik und dem Parlamentarismus in der Bevölkerung.21 Nachdem die letzte Mehrheitsregierung unter Hermann Müller am 27.03.1930 abgetreten und durch das Kabinett Brüning abgelöst worden war, gab es im Reichstag keine regierungsfähigen Mehrheiten mehr.22 Stattdessen waren die nachfolgenden Regierungen als sogenannte Präsidialkabinette vom Vertrauen des Reichspräsidenten abhängig, der einerseits den Reichskanzler ernannte und andererseits die Aufgabe übernahm, im Wege der Notverordnungen gemäß Art. 48 II WRV die erforderlichen Regelungen zu erlassen.23 In den Jahren 1931 und 1932 wurden bereits mehr Notverordnungen als Reichsgesetze erlassen.24 Dies führte zu einer Verlagerung der Macht von der Legislative hin zur Exekutive.25 Ausschlaggebend waren hierfür eine geringe bis fehlende Kompromissbereitschaft der Reichstagsabgeordneten sowie das Erstarken extremer politischer Kräfte. Sowohl Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) als auch Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) wollten die Republik abschaffen.26

I. Reichstag

Bei den Reichstagswahlen vom 14.09.1930 war die NSDAP nach den Sozialdemokraten (SPD) die zweitstärkste Kraft geworden.27 Das bürgerliche Minderheitskabinett unter Brüning wurde am 30.05.1932 durch den Reichspräsidenten abgesetzt. Er ernannte den rechten Zentrumspolitiker von Papen zum neuen Reichskanzler.28 Bei den Neuwahlen am 31.07.1932 erzielte die NSDAP 37,4 % und wurde zur stärksten Partei.29 Stimmen verloren die Nationalsozialisten bei den Wahlen vom 06.11.1932. Zwischen Dezember und Januar hatte der ehemalige Reichswehrminister Kurt von Schleicher das Kanzleramt inne.30 Hitler entschied sich dann für Neuwahlen am 05.03.1933. Diese sollten die letzten sein und eine Rückkehr zum parlamentarischen System ausgeschlossen werden.31 Hier erlangte die Regierung Hitler eine Mehrheit im Parlament in Höhe von 52,6 % der Sitze. So gingen 340 der 647 Reichstagsmandate an die Politiker der NSDAP und der DNVP.32 Mit der Entscheidung gegen eine Vertagung des Reichstages und für dessen Auflösung war auch die Entscheidung für ein Ermächtigungsgesetz gefallen, was Frick sofort nach seiner Vereidigung als Reichsinnenminister ankündigte.33

Ermächtigungsgesetze wurden im beginnenden Ersten Weltkrieg und der jungen Weimarer Republik zwar als diktatorisch empfunden, aber auch als guter Weg, in schwierigen Situationen ohne parlamentarische Zeitverluste zu handeln.34

II. Hitler wird Reichskanzler

Paul von Hindenburg wurde 1925 zum Nachfolger Friedrich Eberts in das Amt des Reichspräsidenten gewählt.35 Obwohl er eine Regierung ohne Beteiligung der Sozialdemokraten anstrebte, unterstützten sie ihn bei seiner Wiederwahl 1932, um Hitler als Reichspräsidenten zu verhindern.36 Von Hindenburg wurde daher im Amt bestätigt.37 Er wollte sich zwar seit der Kanzlerschaft Brünings seiner Aufgabe als Notverordnungsgeber entledigen,38 die gesamte Regierungsgewalt aber weder den Nationalsozialisten übertragen noch Hitler das Notverordnungsrecht zur Verfügung stellen.39 Von Papen und Meißner überzeugte ihn dann aber im Januar 1933 zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler.40 Dieser hatte bereits im November des Vorjahres ein Ermächtigungsgesetz und brachte es sogleich nach seiner Ernennung auf die Tagesordnung.41 Der Gesetzentwurf von Innenminister Frick wurde am 23.03.1933 als verkappte Regierungsvorlage durch die Fraktionen der NSDAP und der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) im Reichstag eingebracht. Mit dieser Vorgehensweise wurde das Erfordernis einer Zustimmung des Reichsrat gemäß Art. 69 WRV und der damit einhergehende Zeitverlust umgangen.42

1. Zentrum

Die Zentrumspartei verfolgte unter Prälat Kaas in den frühen 30er Jahren eine Politik der „nationalen Konzentration“, welche durch den Versuch zur politischen Integration der Rechten und zur Einordnung des Katholizismus in das deutsche Nationalbewusstsein geprägt war.43 Man ging nicht davon aus, dass die Nationalsozialisten innerhalb der Regierung an Macht gewinnen würden. Man glaubte auch nicht, dass Hitler schon bald Neuwahlen anberaumen würde.44

Das Zentrum erhielt, wie auch die anderen Oppositionsfraktionen, den Entwurf des Ermächtigungsgesetzes erst am 20.03.45 Einige Mitglieder sollen den Entwurf erst am 23.03. zu Gesicht bekommen haben.46 Für parteiinterne und parteiübergreifende Beratungen war kaum mehr Zeit. Als sich der Vorstand des Zentrums mit Hitler traf, machte er die Zustimmung seiner Partei von bestimmten Zusagen abhängig.47 Der Reichspräsident sollte sein Ausfertigungs- und damit Vetorecht behalten, einzelne Gegenstände sollten vom Ermächtigungsgesetz ausgenommen und der Begriff „jetzige Regierung“ auf das Gesamtkabinett, nicht auf Hitler, eingegrenzt werden.48 Außerdem sollte ein Gremium eingerichtet werden, das die Arbeit der Regierung mit dem Ermächtigungsgesetz beobachten sollte.49 Von Letzterem versprach sich das Zentrum einen bleibenden Einfluss.50 Weiter forderte man die Rücknahme der Reichstagsbrandverordnung51, zumindest aber der Einschränkungen der staatsbürgerlichen Freiheiten.52 Hitler und Frick täuschten die Fraktion darüber, dass sie schriftliche Zusagen erhalten würden.53 Im Ergebnis waren es die mündlichen Zusicherungen, verbunden mit der Überzeugung, dass eine Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes die kommende Entwicklung ebenso wenig würde aufhalten können, die das Zentrum zur Zustimmung bewog.54 In verzweifelter Besinnung auf ihre Werte entschieden sich die Abgeordneten für eine einheitliche Stimmabgabe, um so eine Entpersönlichung bei der Annahme des Ermächtigungsgesetzes zu erreichen.55

2. Kommunistische Partei

Entgegen der Auffassung einiger Historiker56 gab es weder im Vorfeld der Reichstagswahlen vom März 1933 noch vor dem 23.03.1933 ein formelles KPD-Verbot.57 Deren Mandate wurden nicht für ungültig erklärt.58 Sie wurden weiterhin im alphabetischen Verzeichnis der Mitglieder des Reichstages geführt.59 Schon in der ersten Ministerbesprechung unter Hitler wurde ein Parteiverbot für unzweckmäßig gehalten und von Frick am 15.03. genauso abgelehnt.60 Dies hätte womöglich viele KP-Wähler in die Arme der SPD getrieben.61. Annulliert wurden die Mandate der KP-Abgeordneten dann formal am 31.03.1933 mit Erlass des Gleichschaltungsgesetzes.62 Gemäß dessen § 10 S. 2 wurden diese Sitze auch nicht neu besetzt. Der Reichstag schrumpfte dadurch von 647 auf 566 Sitze.63

[...]


1 o.V., Verhandlungen des Reichstages, Stenographische Berichte, 36 (C).

2 vgl. Wadle, in JuS, 3/1983, 170, 170.

3 vgl. Wadle, in JuS, 3/1983, 170, 173.

4 Ermächtigungsgesetz, Z. 1.

5 vgl. Bickenbach, in: Recht und Politik, 107, 107; vgl. Frehse, Ermächtigungsgesetzgebung im Deutschen Reich, 150.

6 vgl. o.V., Verhandlungen des Reichstages, Stenographische Berichte, 25 (C) ff.; vgl. Frehse, Ermächtigungsgesetzgebung im Deutschen Reich, 160.

7 Morsey , Ermächtigungsgesetz, 1968, 60.

8 vgl. Schneider, in: VfZ, 3/1953, 197, 200.

9 vgl. Bickenbach, in: Recht und Politik, 107, 108; vgl. Winkler, in: GG, 10, 22.

10 vgl. Morsey, Ermächtigungsgesetz, 1968, 14.

11 vgl. Morsey, Ermächtigungsgesetz, 1968, 10.

12 vgl. Schneider, in: VfZ, 3/1953, 197, 200.

13 vgl. Strenge, Machtübernahme 1933, 172.

14 vgl. Strenge, Machtübernahme 1933, 172.

15 vgl. Schneider, in: VfZ, 3/1953, 197, 200; vgl. Strenge, Machtübernahme 1933, 174.

16 vgl. Morsey, Ermächtigungsgesetz, 1968, 15.

17 vgl. Morsey, Ermächtigungsgesetz, 1968, 15.

18 vgl. Morsey, Ermächtigungsgesetz, 1968, 24 ff, 27 f.

19 vgl. Strenge, Machtübernahme 1933, 181.

20 vgl. Bickenbach, in: JuS, 3/2008, 199, 200.

21 vgl. Winkler, in: GG, 10, 16; vgl. Bickenbach, in: JuS, 3/2008, 199, 200.

22 vgl. Bracher, in: VfZ, 1/1956, 51; vgl. Bickenbach, in: JuS, 3/2008, 199, 201.

23 vgl. Bickenbach, in: JuS, 3/2008, 199, 201.

24 vgl. Schneider, VfZ, 3/1953, 197, 198 f.

25 vgl. Frehse, Ermächtigungsgesetzgebung im Deutschen Reich, 146.

26 vgl. Bickenbach, in: Recht und Politik, 2/2013, 107, 107.

27 vgl. Winkler, in: GG, 10, 13.

28 vgl. Winkler, in: GG, 10, 16.

29 vgl. Winkler, in: GG, 10, 16 ff.

30 vgl. Winkler, in: GG, 10, 20.

31 vgl. Morsey, Ermächtigungsgesetz, 1968, 10.

32 vgl. Hess, in: ZParl, 1/1985, 5, 5; vgl. Morsey, Ermächtigungsgesetz, 1968, 13.

33 vgl. FZ Nr. 84/85 vom 01.02.1933, zitiert bei: Karlsruher NS-Blatt „Der Führer“ vom 01.02.1933, zitiert bei: Becker, in: VfZ, 2/1961, 195, 198.

34 vgl. Strenge, Machtübernahme 1933, 183.

35 vgl. Conze, von Hindenburg, Paul, in: NDB, 9/1972.

36 vgl. Winkler, in: GG, 10, 13.

37 vgl. Winkler, in: GG, 10, 16.

38 vgl. Becker, in: VfZ, 2/1961, 195, 198; vgl. Bracher/Sauer/Schulz, 154; vgl. Strenge, Machtübernahme 1933, 185.

39 vgl. Winkler, in: GG, 10, 19 f.

40 vgl. Bracher/Sauer/Schulz, 154; vgl. Winkler, in: GG, 10, 19 ff.

41 vgl. Strenge, : in JoJZG, 1/2013, 1, 1; vgl. Bickenbach, in: Recht und Politik, 2/2013, 107, 107; vgl. Bickenbach,in: Recht und Politik, 2/2013, 107, 107; vgl. Frehse, Ermächtigungsgesetzgebung im Deutschen Reich, 147.

42 vgl. Strenge, in: JoJZG, 1/2013, 1, 2; vgl. o.V., Ermächtigungsgesetze und die SPD, 12.

43 vgl. Becker, in: VfZ, 2/1961, 195, 196.

44 vgl. Becker, in: VfZ, 2/1961, 195, 198.

45 vgl. Stenge, Machtübernahme 1933, 175.

46 vgl. Becker, in: VfZ, 4/1961, 195, 209.

47 vgl. Morsey, Ermächtigungsgesetz, 1968, 24 ff.

48 Morsey, in: Der Weg in den Nationalsozialismus, 128, 13.

49 vgl. Morsey, Ermächtigungsgesetz, 1968, 24 ff.; vgl. Strenge, in: JoJZG, 1/2013, 1, 3.

50 vgl. Becker, in: VfZ, 2/1961, 195, 203 f.

51 vgl. RGBl. 1933, 83.

52 vgl. Schneider, in VfZ, 3/1953, 197, 203.

53 vgl. Schneider, in: VfZ, 3/1953, 197, 203.

54 vgl. Becker, in: VfZ, 2/1961, 195, 202.

55 vgl. Becker, in: VfZ, 2/1961, 195, 210.

56 vgl. Winkler, in: GG, 10, 21; vgl. Wadle, in JuS, 3/1983, 170, 175.

57 vgl. Repgen, in: HZ, 1/1985, 67, 72.

58 vgl. Repgen, in: HZ, 1/1985, 67, 72.

59 vgl. Repgen, in: HZ, 2/1985, 67, 74; vgl. o.V., Verhandlungen des Reichstages, Stenographische Berichte, Anlage Nr. 1, 1 ff.

60 vgl. Morsey, Ermächtigungsgesetz, 1968, 9, 14.

61 vgl. Bracher/Sauer/Schulz, 152 f.

62 vgl. Repgen, in: HZ, 1/1985, 67, 75; vgl. RGBl. 1933, 153 ff; vgl. Hess, in: ZParl, 1/1985, 5, 5.

63 vgl. Repgen, in: HZ, 1/1985, 67, 76.

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Details

Titel
Das Ermächtigungsgesetz und die Machtergreifung. Eine Frage der Legalität
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Autor
Jahr
2020
Seiten
19
Katalognummer
V981421
ISBN (eBook)
9783346333605
ISBN (Buch)
9783346333612
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Machtübernahme, Machtergreifung, Ermächtigungsgesetz, 24.03.1933, Nationalsozialismus, Frick, Rechtmäßigkeit, Geschäftsordnung, Legalität, Illegalität, Reichstag, Reichsrat
Arbeit zitieren
Wilfried Fuß (Autor:in), 2020, Das Ermächtigungsgesetz und die Machtergreifung. Eine Frage der Legalität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/981421

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