Dea Syria - Atagartis
1. Einführung
Die geographische Lage Syriens prägte in tiefgehender Weise auch die Geschichte des Landes. Wandernde Volksstämme berührten häufig das Land und Handelsrouten sind schon seit neolithischer Zeit greifbar, zumal Syrien auch im Einflußbereich dreier Hochkulturen lag, nämlich Mesopotamien, Anatolien und Ägypten, und als Vermittler zwischen diesen diente. Die relativ uneinheitliche Landesstruktur teilte Syrien in kleine, voneinander relativ isolierte Gebiete, so daß sich eigentlich keine als genuin syrisch zu bezeichnende Kultur herausbilden konnte, deren Voraussetzung die Ausbildung von politischen Einheiten größeren Ausmaßes wäre.
Ab dem achten Jh. v. Chr. lassen sich dann die Aramäer, ein halbnomadischer Stamm, im syrischen Raum nieder und beeinflußten das Gebiet nachhaltig. Ihrer Tradition entstammen Atagartis und Hadad, die recht schnell zu den Hauptgottheiten Syriens werden sollten.
2. Ursprung der Dea Syria - Atagartis
Wie schon ihr Name suggeriert, wird uns die Göttin durch die Überlieferung stark romanisiert dargestellt. Von wenigen archäologischen Funden muß daher auf ihren Ursprung geschlossen werden, welcher prinzipiell in der Vorstellung einer Großen Göttin gesehen werden muß, die als Mutter des Lebens und als Symbol der Fruchtbarkeit fungiert. Diese Vorstellung läßt sich beispielsweise durch die mesopotamische I_tar oder die phrygische Kybele im gesamten Vorderen Orient festmachen.
Ihre Urform wurde wegen ihrer Macht über das Leben und die Natur, die als Schöpferkraft der Natur personifiziert wurde, verehrt.
Die Göttin, die uns im Kult ihres Hauptheiligtums in Hierapolis begegnet, war jahrhundertelangen synkretistischen Prozessen unterworfen und stellt in der Beschreibung Lukians die Endstufe dieser Entwicklungen dar.
In der Forschung wird davon ausgegangen, daß sich ihr Name aus zwei Teilen zusammensetzt, nämlich aus ' Atar und 'Ata(h). Der erste Teil soll hier eine aramäisierte Form von 'Ashtar(t) anzeigen, was auf I_tar und Astarte verweisen könnte (Astarte als eine semitische Göttin, die schon lange von den Aramäern verehrt wurde). Trotz bestimmten Ansätzen den zweiten Teil des Namens (etwa 'Ata) zu entschlüs- seln, bleibt dieser rätselhaft. Die Aramäer haben diese Teile zu einem Namen verschmelzt, als sie bei ihrem Seßhaftwerden in Syrien Wesensmerkmale ihrer Göttin 'Ata(h) in ' Atar erkannt haben, was impliziert, daß die Urform der Göttin auch schon vor dem Aufgreifen ihrer Erscheinung durch die Aramäer in Syrien existiert haben muß. Leider wird in der Forschung auf diesen Punkt nicht eingegangen.
Man fügt diesen zwei Teilen noch A_erah hinzu, eine Göttin, die wie Atagartis enge Beziehungen zum Meer und zum Fische hat. Derketo, wie Atagartis ebenfalls in der antiken Mythographie genannt wird, findet seine Wurzel im semitischen darkatu, was so viel wie Herrin oder Königin bedeutet.
Aus recht spärlichen Münzfunden läßt schließen, daß die Göttin auch Ateh genannt wurde.
Die Prägungen weisen einheitlich die Kurzform des Namens auf, welche sich entweder als 'th oder 'tr / _tr identifizieren läßt, wobei diese als ,,Göttin Ateh" gelesen werden muß.
3. Wesensmerkmale der Dea Syria
Um die Wesensmerkmale der Göttin zu beschreiben, sind wir aufgrund des Fehlens anderer Quellen hauptsächlich auf die Schrift De Dea Syria des Lukian von Samosata angewiesen, die dieser im zweiten Jh. n. Chr. geschrieben hat. Da er seine Beschreibung offensichtlich für eine griechische oder griechisch gebildete Leserschaft aufgezeichnet hat, vergleicht er die Wesensmerkmale der Atagartis mit Zügen von Göttinnen des griechischen Pantheons. Lukian vergleicht im Kapitel 32 Atagartis zunächst mit Hera, der Gattin des Zeus, aber er schränkt diese Äußerung direkt wieder ein, da Hera nicht alle Wesensmerkmale der syrischen Göttin in sich zu vereinigen mag.
Rhea weißt in Korrespondenz zu den Tieren, die sich im temenos der Atagartis befinden, Ähnlichkeiten auf. Sie wird als Potnia Theron angesehen, doch noch besser läßt sich diese Charakterisierung in Artemis finden, die als Göttin der Jagd und somit auch als Herrin der Tiere aufzufassen ist.
Auf Darstellungen aus dem syrischen Raum kann man häufig sehen, daß Atagartis mit einem Ledergürtel oder einer Kette bekleidet ist, die sich über dem Oberkörper kreuzt. Dies weißt auf den kriegerisch-erotischen Aspekt der Göttin hin, ein Wesensmerkmal, das sie mit Aphrodite vergleichbar macht. Dieser Vergleich ergänzt die vorherige Gleichstellung mit Hera und Rhea, da sich der erotische Aspekt nicht mit dem der Mütterlichkeit und Fruchtbarkeit widerspricht.
Auch der Vergleich mit anderen Phänomenen der griechischen Mythologie deutet darauf hin, daß die Erscheinung der Atagartis zu vielschichtig ist, als daß Lukian nur eine griechische Göttin zum Vergleich heran ziehen kann.
Er zeichnet somit ein Bild einer Göttin, die vom Synkretismus geprägt verschiedene Gottheiten des Vorderen Orients in sich vereinigt; Gottheiten, die alle einen Fruchtbarkeits- und Allmachtsanspruch in sich verkörpern, ohne aber die Mutterschaft an sich zu betonen. Dieses Faktum muß als Wurzel der Atagartis sowie anderer Göttinnen der Vorderen Orients gesehen werden.
4. Das Hauptheiligtum in Hierapolis
In der Antike stellte die Stadt Hierapolis, die sich ca. 20 km. westlich des Euphrat befand, das Hauptheiligtum im Kult der Atagartis in Syrien dar. Leider kann uns die heutige Siedlung, die sich Mabbug, Membig oder Membidji nennt, so gut wie keinerlei Anhaltspunkte zum Heiligtum geben, da kaum noch Gebäude existiert oder nur noch in Trümmern zu finden ist. Auch hier muß Lukian für Klarheit sorgen, wenn man seiner Beschreibung Gauben schenken darf, die er in der Blütezeit des Kultes geschrieben hat.
Zur Entstehung (Kap. 12 ff.) nennt er verschiedene Mythen, von denen aber am glaubhaftesten der erscheint, in welchem die eine Prinzessin aus dem Geschlecht der Seleukiden nach einer unglücklichen Romanze (Legende von Kombados) diesen Tempel gegründet haben soll.
Sein Standort befand sich mitten in der Stadt, von zwei Mauern umgeben, auf einem Hügel (Kap. 28). Er soll im ionischen Stil gebaut, nach Osten ausgerichtet und reichlich mit Gold verziert gewesen sein (Kap 30). Zu dem Tempelbezirk soll auch ein Teich oder See gehört haben, in welchem Fische lebten, die der Atagartis heilig waren. Mitten in diesem See, der wohl 200 Klafter tief gewesen sein soll, stand ein Altar, zu welchem täglich Gläubige schwammen und ihn mit Kränzen schmückten (Kap. 45/ 46).
Direkt vor dem Tempel konnte man einen weiteren Altar, sowie zahlreiche Statuen verschiedener Könige, Priester (Kap. 39), aber auch Darstellungen der griechischen Mythenwelt und der sagenhaften Gründer des Tempels finden. Außerdem gehörte noch ein Freigehege für Tiere, Rinder, Pferde, Adler, Bären und Löwen, die allesamt zahm und heilig waren, zum Tempelbezirk (Kap. 41).
Im Tempel selbst sollen sich Statuen der Atagartis und ihres parhedos Hadad befunden haben, die beide aus Gold waren (Kap. 31). Da Hadad, ein semitischer Blitz- und Wettergott, hierarchisch klar unter Atagartis positioniert war und im Kult schnell an Bedeutung verlor, beschreibt Lukian ihn nur als von Stieren als seinen Attributen gesäumt. Für die Beschreibung der Statue der Atagartis verwendet er wesentlich mehr Zeit. Diese war sitzend und von Löwen begleitet dargestellt und jeder, der sie betrachtete, hatte den Endruck, daß sie ihn ansah. Wenn man dann seinen Standort im Tempel veränderte, folgte der Blick der Göttin dem Gläubigen. Die Attribute der Atagartis waren eine Spindel (daher auch Lukians Anspielung auf die Moiren) und ein Szepter, an anderer Stelle erwähnt er auch, daß sie ein tympanon trage. Sie sei, wie schon erwähnt, aus Gold gefertigt und über und über mit Edelsteinen verschiedenster Herkunft verziert. Auf ihrem Haupt trägt sie eine Mauerkrone, welche sie eindeutig als Stadttyche von Hierapolis auftreten läßt. Auf der Krone soll sich auch ein Edelstein befunden haben, der bei Dunkelheit den ganzen Tempel erleuchtet, aber auch am Tage noch sichtbar geschimmert haben soll. Ob dies wörtlich zu verstehen ist oder ob es sich bei dem leuchtenden Edelstein nur um einen geschickten Trick handelt, wird nicht näher beschrieben (Kap. 32).
Münzfunde aus dem Raum Hierapolis, bei denen es sich um eine Prägung eines Priestergeschlechts des vierten Jh. v. Chr. handelt, stützen die Beschreibungen des Lukian, was die Attribute der Atagartis angeht. Allerdings treten die Löwen erst in späterer Zeit deutlicher in den Vordergrund. Eine Bronzeprägung aus der Zeit des Severus Alexander zeigt Atagartis und Hadad, jeweils von ihren Begleitern (Löwen oder Stieren) gesäumt und zwischen beiden das semeion, auf welches später noch eingegangen werden soll. Die Statue der Atagartis stand in einem abgetrenten Raum, dem adyton, welches keine Türen hatte, so daß Atagartis für jeden sichtbar war. Den Tempel selbst durften aber nur höhere Priester betreten, die der Göttin näher als andere standen.
5. Priesterschaft und heilige Menschen
Im Kapitel 42 weißt Lukian auf die Priesterschaft im Kult der Atagartis hin, welche sich aus zwei verschieden Rängen zusammensetzte. Die niedere Priesterschaft ist völlig in weiß gekleidet und trägt einen Filzhut auf dem Kopf. Zu ihren Aufgaben gehörte nicht nur die Durchführung der täglichen Dienste für die Göttin, sondern auch das Schlachten von Opfertieren, das Darbringen von Trankopfern und die Organisation der verschiedenen Riten und Feste, auf die noch eingegangen wird.
Einer dieser zu Lukians Zeit ca. 300 Priester war Oberpriester und nur er durfte ein purpurnes Gewand und eine goldene Tiara auf dem Kopf tragen. Die Position des Oberpriesters wurde jährlich neu besetzt.
Zum Leben im Tempelbezirk gehörten aber auch andere heilige Menschen, die als Flötenbläser, Pfeifer, Gallen (Kap. 51) und rasende wahnsinnige Weiber charakterisiert werden. Auf die Entstehung von Gallen, die sich durch Flöten und Trommeln in Raserei versetzten ließen und sich dann in religiösem Wahn selbst entmannten, könnte die schon erwähnte Legende von Kombados verweisen, in welcher sich der Protagonist in eine Seleukiden-Prinzessin verliebte, sich aber aus Furcht und Respekt vor der Familie der Prinzessin selbst entmannt hatte. Die Entmannung kann allerdings auch als Übergabe der eigenen Fruchtbarkeit an die Göttin gesehen werden.
Obwohl die Galloi den Tempel selbst nicht betreten durften, hatten sie doch eine besondere Stellung anderen Gläubigen gegenüber. Dies wird im Umgang mit einem toten Gallen deutlich. Die Gallen, die den Toten bestattet hatten, mußten sich sieben Tage vom Tempelbezirk fernhalten, während sich andere Gläubige erst nach 30 Tagen und nach der Rasur der Haare und der Augenbrauen dem Tempel nähern durften (Kap 52 f.). Zur Priesterschaft gehörten aber nicht nur die im Heiligtum tätigen, sondern auch umherziehende Bettelpriester, die sehr anschaulich von Apuleius beschrieben werden. In seinen Metamorphosen (8, 27-29) beschreibt der Isis-Myste die Priester der syrischen Göttin als in verschandelten bunten Kleidern und auffällig geschminkt umherziehende Bande von Dieben und Betrügern, die durch ihre Aufführung von religiöser Raserei die ländliche Bevölkerung beeindrucken und sie zu allerlei Abgaben und Spenden animieren. Das Bild ihrer Göttin wird auf einem Esel transportiert, der aber zugleich auch als Lasttier für die Güter dient, welche die Priester den der Bevölkerung abnehmen. Die Sichtweise des Apuleius beinhaltet mit Sicherheit viel Wahres über das Bild, welches diese Bettelpriester abgegeben haben müssen, allerdings darf man nicht vergessen, daß sich der Autor vor allem über andere Kulte lustig machen möchte, da er nur den Isis-Kult als echte Form einer Gottesverehrung anerkennt.
6. Kultpraxis und Feste
Zum Dienst im Heiligtum gehörte ein tägliches Opfer für Atagartis und Hadad. Der Göttin wurde mit Flöten- und Trommelmusik geopfert, während das Opfer für den Begleiter in aller Stille vollzogen wurde (Lukian, Kap. 44). Deutlicheres wird nicht genannt. Wichtiger erscheinen da jedoch die großen Feste, im im Jahreskreislauf stattfinden. Lukian beschreibt ein ,,Meerwasserfest", zu welchem die gesamte Priesterschaft mit vielen Gläubigen aufbricht. Der Zeitpunkt dieser Reise oder Prozession wird von einer Statue des Apollon bestimmt, welche im Heiligtum zu Hierapolis als Orakel dient. Der Gott wird vollständig bekleidet und bärtig dargestellt und bekundet seinen Willen, indem er durch Priester getragen wird. Stimmt der Gott einer Entscheidung zu, bewegt er die Priester vorwärts, lehnt er ab, wählt er die Gegenrichtung. Im Kapitel 36 beschreibt Lukian ferner, daß, wenn der Gott in Gestalt der Statue etwas weissagen möchte, er zu schwitzen und sich zu bewegen beginnt. So erwähnt er in diesem Zusammenhang auch das semeion, ein Bild das sich zwischen den Statuen der Atagartis und des Hadad befand.
Dieses wurde auf die Reise zum Meer mitgenommen. Lukian (Kap. 48) behauptet, daß er nichts genaues über diese Reise sagen kann, da er sie nicht mitgemacht hätte. Wahrscheinlich werden am Meer Gefäße mit Wasser gefüllt und versiegelt. Bei der Rückkehr werden diese Gefäße auf alle Fälle von einem an dem schon erwähnten See im Heiligtum lebenden Hahn gegen eine gewisse Gebühr geöffnet, um das Wasser schließlich in einen Erdspalt zu gießen, in welchen sich einer Legende nach das Wasser nach der Sintflut zurückgezogen haben soll. An dem See selbst fanden aber auch Festveranstaltungen statt. Es muß sich dabei um eine rituelle Waschung gehandelt haben, bei welcher zunächst die Statue der Atagartis den See erreichen mußte, da sonst alle Fische des Sees sterben mußten Kap. 47). Schließlich beschreibt Lukian noch ein Frühlingsfest, auch Pyre oder Lampas genannt. Bei diesem Fest werden zunächst große Bäume gefällt, diese dann im Hof des Heiligtums aufgestellt und dort mit Opertieren behängt. Nachdem die Götterbilder des Hadad und der Atagartis einmal um die Opferstätte getragen wurden, wird alles angezündet (Kap. 49). Vor dem Tempel befanden sich zwei große Säulen, die Phalloi darstellen sollten. Lukian berichtet von einer Legende, nach welcher diese Phalloi von Dionysos der Hera (Atagartis) gespendet worden seien. Zweimal im Jahr steigt ein Mann auf einen dieser beiden Phallen und bleibt eine Woche auf ihm sitzen. Da angenommen wird, daß er den Göttern hier näher sei, betet er für die Gläubigen, die ihm eine Spende bringen. Ein Mann am Boden meldet die Namen der Spender.
7. Die Anhänger des Kultes
Gegen Ende seines Berichts beschreibt Lukian die Anhänger des Kultes, die keine Priesterämter innehaben. Eine streng geregelte Abfolge von Vorschriften soll den Gläubigen auf dem Weg reinigen, da er weder äußerlich noch innerlich verschmutzt sein darf, bevor er das Heiligtum betritt (Kap. 55). Er muß sich vor dem ersten Betreten die Haare und auch die Augenbrauen scheren. Dann opfert er ein Schaf, zerlegt und verzehrt alles bis auf das Fell, welches er auf den Boden legt, Kopf und Füße des Schafes auf seinen eigenen Kopf. Hierauf bittet er die Göttin, das Opfer anzunehmen und verspricht ihr beim nächsten Mal ein größeres Opfer. Auf seinem Weg zum Heiligtum darf der Gläubige nichts außer kaltem Wasser zum Trinken und zum Bade benutzen. Es ist ihm ebenso verboten, in einem Bett zu schlafen, da durch den ständigen Kontakt mit der Erde auch eine stete Verbindung zur Göttin gewährleistet werden sollte.
Im Kapitel 57-58 erwähnt Lukian noch zwei Opferriten von Wallfahrern. Jeder spendet der Göttin ein Opfertier, welches er neben einen Altar stellt, um es der Göttin zu präsentieren. Danach führt er es lebendig nach Hause und opfert das Tier zu seiner großen Freude sich selbst. Viele bekränzen ihre Opfertiere aber auch, um sie dann von den Vorhallen des Tempels zu werfen. Einige würden auch ihre Kinder in Säcke stecken und auch sie opfern, weil sie keine Kinder, sondern Rinder wären. Ob dem so war oder ob Lukian hier eine Diffamierung des Kultes vornimmt, ist schwer zu sagen, da er sich im Kapitel 60 selbst als einen Gläubigen des Kultes ausgibt. Auch er habe seine Haare dem Hyppolytos geopfert, wie es üblich war bei Jungfrauen und Jünglingen, bevor sie heiraten wollten.
8. Verbreitung des Kultes in der hellenistisch-römischen Welt
Seine Verbreitung fand der Kult nicht nur durch die schon erwähnten Bettelpriester, sondern vor allem durch syrische Händler, die um das gesamte Mittelmeer in fast jeder Hafenstadt anzutreffen waren. Des weiteren trug auch der Handel mit syrischen Sklaven, der im zweiten Jh. v. Chr. aufblühte, dazu bei, daß der Kult vor allem bei niederen Gesellschaftsschichten Ruhm erlangte. Im Jahre 134 v. Chr.
berief sich ein Sklave, der auf Sizilien einen Aufstand plante, auf die syrische Göttin. Sie werde ihm und seinen Mithelfern zur Seite stehen.
Doch auch syrische Legionäre, die bis an die entlegensten Orte des römischen Reiches gelangten (die Dea Syria läßt sich beispielsweise in England festmachen), stellten einen wichtigen Faktor in der Verbreitung des Kultes dar.
Die ersten Zeugnisse der Dea Syria lassen sich in der ersten Hälfte des 3. Jh. v. Chr. in Griechenland finden. Im aitolischen Phiston wurde die Göttin als syrische Aphrodite tituliert. Auch an anderen Stellen gefundene Inschriften deuten darauf hin, daß die Dea Syria wie auch in Hierapolis als Stadttyche verehrt wurde. Pausanias berichtet, daß die syrische Göttin in Thuria in Messene einen Tempel besaß (IV, 31, 2). Zwei Inschriften bezeugen diese Angabe; eine gibt dabei Auskünfte über die Art der Verehrung der Dea Syria, wobei deutlich wird, daß Hadad schon weit hinter die Göttin zurück gefallen war.
Eines der griechischen Zentren im Kult der Dea Syria war aber eindeutig die Insel Delos, welche wegen ihrer Lage als Hauptumschlagspunkt nicht nur für Waren, sondern auch für Sklaven aus dem Orient war. Hier wurde im Jahr 128/127 v. Chr. ein eigenes Heiligtum gegründet, welches im Aufbau dem in Hierapolis recht ähnlich war. Zehn Jahre nach der Gründung übernahm schließlich Athen die Leitung des Kultes, stellte also auch den Oberpriester, der somit nicht zwingend aus Syrien stammen mußte. Nachdem die Stadt im Jahre 88 v. Chr. zerstört worden war, ist auch das Heiligtum verfallen. In Rom läßt sich der Kult inschriftlich erst ab dem 1. Jh. n. Chr. festmachen. Er konnte nie so recht Fuß fassen, obwohl zeitweise sogar Nero zu den Verehrern der Dea Syria oder Iasura, wie die Kurzform in Rom lautete, gehörte (Sueton, Nero 56). Die Annahme, daß es sich bei löwenköpfigen Wasserspeiern um eine Verbindung zu den Attributtieren der Dea Syria handelt, ist doch eher als zweifelhaft anzusehen.
Die Gläubigen des Imperium Romanum setzten sich zum Großteil aus Sklaven und syrischen Soldaten zusammen, die die sich bietende Infrastruktur zur Ausbreitung des Kultes zu nutzen wußten
9. Schluß
Von synkretistischen Prozessen geprägt, stellt sich die Dea Syria - Atagartis als eine Göttin dar, die verschiedenste Merkmale einer Muttergöttin, bzw. Fruchtbarkeitsgöttin, enthält. Diese Vorstellung von einer Großen Göttin, die in sich die Merkmale von Allmacht, Fruchtbarkeit und Herrin der Natur und der Tiere in sich vereinigt, läßt sich in der Götterwelt des Vorderen Orients fast überall erkennen. Allein die Ähnlichkeit des Hieros Logos (Kombadoslegende, die Existenz eines parhedos sowie ferner von Gallen) zum Kult der Kybele und des Attis läßt dies deutlich werden. Warum der Kult der Dea Syria - Atagartis allerdings als Mysterienkult klassifiziert wird, ist nicht zu erkennen. In der Beschreibung des Lukian lassen sich allerhöchstens im Kapitel 60 Ähnlichkeiten zu einem Initiationsritus finden, der einem Mysterienkult zu eigen wäre. Undeutlich bleibt auch, ob es verschiedene Stufen der Einweihung gegeben hat und wenn, welche speziellen Qualifikationen der Initiand aufweisen mußte, um diesen Weihegrad zu erreichen. Es ist auch nichts darüber bekannt, daß der Kult in Syrien in aller Heimlichkeit oder Nachts stattgefunden hat. Nur die zwei Weiheinschriften, die in Thuria gefunden wurden, enthalten Hinweise auf eine einem Mysterienkult ähnliche Verehrung der Dea Syria, welche als die einzigen Mysterien im gesamten Kult angesehen werden.
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- Stefan Knode (Autor:in), 2000, Dea Syria - Atagartis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98308