Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Wie weit dürfen Grundrechte eingeschränkt werden, um das Recht auf Leben zu sichern?
2 Recht auf Leben, Art. 2 II 1 GG
3 Verhältnis von Sicherheit und Freiheit
3.1 Verhältnis des Rechts auf Leben zu der Menschenwürde
3.2 Konfliktsituation Achtungs- und Schutzpflichten
3.3 Corona Beispiel
3.4 Zwischenfazit
4 Beispiel: Versammlungsfreiheit in der Corona-Krise
4.1 Schutzbereich und Eingriff
4.2 Rechtfertigung des Eingriffs
4.3 Zwischenergebnis
5 Beispiel: Allgemeine Handlungsfreiheit
5.1 Legitimes Ziel
5.2 Geeignetheit
5.3 Erforderlichkeit
5.4 Angemessenheit
5.5 Zwischenergebnis
6 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
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Die Sicherung des Rechts auf Leben durch Grundrechtseinschränkung
1 Wie weit dürfen Grundrechte eingeschränkt werden, um das Recht auf Leben zu sichern?
Die pandemische Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 sorgt weltweit für massive Einschränkungen. Um einen Einblick in das Ausmaß der Einschränkungen zu bieten, folgen einige Beispiele: Durch die Quarantänemaßnahmen wurde die in Art. 2 II 2 GG verankerte Bewegungsfreiheit und durch das verordnete Kontaktverbot die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 I GG) eingeschränkt.1 Auch der Besuch von Gottesdiensten wurde verboten und damit die Glaubensfreiheit aus Art. 4 I, II GG beeinträchtigt.2 Ebenso wurde in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) durch das Verbot von öffentlichen und nichtöffentlichen Veranstaltungen, Versammlungen, Zusammenkünften und Ansammlungen (unter Ausnahmen) eingegriffen.3 Auch das Reisen in andere Städte und sogar in andere Bundesländer war teilweise verboten, wodurch das Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 11 GG) eingeschränkt wurde.4 Dass Eigentümer nicht mehr in ihre Ferienwohnungen durften, stellt einen Eingriff in das Recht der Eigentumsgarantie aus Art. 14 I GG dar.5 Ebenso wurde die Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) beeinträchtigt als beispielsweise der Betrieb von Einzelhandel und Gastronomie verboten wurden.6 Amtsärzte dürfen nach § 15a III IfSG zur Untersuchung von möglicherweise Infizierten ohne Beschränkungen in deren Wohnung eintreten. Dadurch wurde die Unverletzlichkeit der Wohnung gem. Art. 13 I GG eingeschränkt. In Deutschland wurden auf der rechtlichen Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) nahezu alle Grundrechte eingeschränkt, um die Ausbreitung zu verhindern. Aufgrund dieser hohen Anzahl und der Intensität der Grundrechtseingriffe kam es dazu, dass etliche Bürger sich in ihren Rechten verletzt sahen und Rechtsschutz – wenn auch oft erfolglos – beantragten.7 Da das IfSG weder die Dauer noch die Intensität der Einschränkungen regelt, machte sich eine Unsicherheit in der Bevölkerung breit, durch die sich Verschwörungstheorien entwickelten und rasant verbreiteten, in denen das Virus als Vorwand zur dauerhaften Grundrechtseinschränkung dargestellt wurde.8
Im Kern dieser ganzen Geschehnisse scheint immer der Schutz des Lebens zu stehen bzw. gestanden zu haben. Damit einhergehend stellen sich die folgenden Fragen: Dürfen alle Grundrechte zur Sicherung des Rechts auf Leben ohne Grenzen eingeschränkt werden? Ist das Recht auf Leben ein Trumpf, der alles sticht und damit das höchste Gut der Verfassung? Wie lange dürfen diese Maßnahmen aufrechterhalten werden? Um diese zu beantworten, beginne ich mit einer kurzen Einführung in den Art. 2 II 1 GG und gehe dann auf das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit und das damit verbundene Verhältnis der Achtungs- und Schutzpflichten ein, wobei vor allem die Konfliktsituationen zwischen Menschenwürde und Leben näher untersucht werden. Zur Veranschaulichung erläutere ich dort ein Corona-Fallbeispiel. Daraufhin stelle ich die Bedeutung des Grundrechts auf Leben und die Vorgehensweise der Abwägung zu anderen Grundrechten anhand weiterer Fallbeispiele dar. Abschließend fasse ich die Möglichkeiten der Sicherung des Art. 2 II 1 GG durch die Einschränkung anderer Grundrechte zusammen und gebe einen kurzen Ausblick auf die möglichen Auswirkungen der Corona Maßnahmen auf unseren Rechtsstaat.
2 Recht auf Leben, Art. 2 II 1 GG
Das Grundrecht auf Leben, welches in Art. 2 II 1 GG verankert ist, stellt die Basis aller anderen Grundrechte, die biologische Voraussetzung der menschlichen Existenz und damit einen Höchstwert unserer Verfassung dar.9 Es wird die Freiheit zu leben geschützt, nicht aber das Recht zu sterben.10 Art. 2 II 1 GG stellt daher ein positives Freiheitsrecht dar.11 Wie weit das Schutzgut Leben reicht, ist durch die schwierige Definition von Beginn und Ende des Lebens, zu bestimmen.12 Überwiegend wird der Beginn mit einer Zeit deutlich vor der Geburt, meist der Nidation, verbunden und das Ende mit dem Hirntod des Menschen.13 Das vermeintlich selbstverständliche Recht auf Leben wurde erst 1949 in die Verfassung aufgenommen.14 Hintergrund waren die in der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen, die den Wert des Menschenlebens in einer äußerst verachtenden Weise verkannten.15 Durch den Art. 2 II 1 GG sollte ein deutliches Zeichen gegen jene Anschauungen gesetzt werden.16 Dieses wurde durch das Verbot der Todesstrafe aus Art. 102 GG weiter verstärkt.17 Seither ist das Recht auf Leben Bestandteil aller mehrheitlich akzeptierten Entwürfe des Verhältnisses von Individualrechten zu staatlichen Befugnissen.18 Trotz allem ist es momentan so, dass im Bereich der präventiven Gefahrenabwehr der Staat in seltenen Ausnahmesituationen Menschenleben aktiv beenden kann.19
3 Verhältnis von Sicherheit und Freiheit
»Achtungs- und Schutzplichten sind zwei Seiten derselben Medaille, genau wie Sicherheit und Freiheit.«20
Mit einem Blick auf die Anzahl der eingeschränkten Grundrechte in der Corona-Krise scheint es klar: Die Sicherheit steht über der Freiheit; das Leben zu sichern, steht über der Wahrung der Freiheitsgrundrechte. Aber kann das stimmen? Um herauszufinden, wie das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit wirklich ist, muss die theoretische Frage des Verhältnisses von Achtungs- und Schutzpflichten geklärt werden.21
Der Staat hat grundsätzlich Achtungs- und Schutzpflichten gegenüber den Bürgern zu erfüllen.22 In Bezug auf den Art. 2 II 1 GG hat er sowohl das Leben des Einzelnen vor Eingriffen anderer zu beschützen als auch selbst ungerechtfertigte Eingriffe zu unterlassen.23 Die Achtungspflicht für das Leben ergibt sich aus Art. 1 III GG.24 Die Schutzpflicht lässt sich hingegen nicht so einfach aus dem Verfassungswortlaut ableiten.25 Überwiegend wird sich dafür auf die objektiv-rechtliche Grundrechtsdimension berufen und aus dieser eine weitere Dimension in Form der Schutzpflicht interpretiert.26 Obwohl diese beiden Pflichten im Kontrast zu einander stehen, können sich diesbezüglich problematische Situationen ergeben, wenn etwa der Staat in das Dilemma kommt zur Erfüllung der einen Pflicht die andere unerfüllt lassen zu müssen und umgekehrt. Also handelt es sich um Situationen wie in der Corona-Krise, in denen der Schutz des Lebens nur durch einzelne Grundrechtseinschränkungen gewährt werden kann, beziehungsweise diese Grundrechte nur geachtet werden können, wenn dafür der Lebensschutz vernachlässigt wird. Fraglich ist, ob in solchen Situationen beide Pflichten gleichwertig zu behandeln sind oder eine Priorität besteht.27 Sinn der Pflichten ist der optimale Grundrechtsschutz der Bürger. Würde eine der Pflichten vorrangig sein, wäre der Schutz bereits nicht mehr vollumfänglich. Wäre der Vorrang auf Seiten der Achtungspflicht, so könnte es dazu kommen, dass der Unbeschützte, der sich gezwungenermaßen selbst zum Schutze wehren muss, unzulässige, gegebenenfalls auch übermäßige Gewalt ausübt, was indes unverantwortlich wäre.28 Solche Szenarien zeigten sich in der Corona-Krise bereits durch rassistische Überfälle, bei denen Menschen mit asiatischen Wurzeln mit Desinfektionsmittel attackiert wurden.29 Daher wäre eine Gleichwertigkeit erforderlich. Hierfür spricht auch der Wortlaut des Art. 1 I 2 GG, in dem ausdrücklich sowohl von achten als auch von schützen gesprochen wird.30 Eine Differenzierung hinsichtlich der Intensität der Verfassungswidrigkeit kann kaum überzeugen, da diese Vorgehensweise nicht mit dem Prinzip unserer konstitutionellen Ordnung vereinbar ist.31 Zwar bezeichnet das Bundesverfassungsgericht zum Beispiel das Leben als einen Höchstwert, aber im Prüfungsumfang sieht es allein das (Nicht-)Vorliegen einer Grundrechtsverletzung als maßgeblich an. Es gibt keine Rangordnung der Grundrechte, schon gar nicht durch deren Reihenfolge im Gesetzestext.32 Dass der Staat bei der Ausübung der Schutzpflichten einen gewissen Spielraum hat, soll lediglich dazu dienen, eine Kollision der Pflichten zu verhindern und ist daher ebenfalls kein Indiz für ein Primat der Achtungspflicht.33 Generell gibt es etliche strukturelle Parallelen zwischen den beiden Pflichten, sei es der Punkt, dass der Staat sie erfüllen muss, dass sie auf die gleichen Schutzgüter Bezug nehmen oder dass beide Male ein begrenzter Spielraum besteht.34 Diese Parallelität spricht ein weiteres Mal für die Gleichwertigkeit.35 Mithin ist von einer Äquivalenz der Achtungs- und Schutzpflichten auszugehen. Wie sich das auf Ausnahmesituationen auswirkt und welche Parameter zur Auflösung verwendet werden können, soll im Folgenden anhand des Verhältnisses von Leben und Menschenwürde dargestellt werden.
3.1 Verhältnis des Rechts auf Leben zu der Menschenwürde
»Aber wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig. Grundrechte beschränken sich gegenseitig. Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen.«36
Ob sich diese von dem Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble getroffene Aussage bestätigen lässt, soll im Folgenden erörtert werden. Bei der Frage in welchem Verhältnis der Art. 2 II 1 GG zu den anderen Grundrechten steht, ist vor allem die Menschenwürde interessant und daher näher in Betracht zu ziehen. Diese ist nämlich nicht nur als einziges Grundrecht unantastbar, sondern auch als einziges von der sogenannten Ewigkeitsklausel in Art. 73 III GG umfasst und dadurch unabänderbar. Unter ihr wird ein Anspruch verstanden, der dem Menschen allein aufgrund seiner Existenz zukommt, losgelöst von seinen Fähigkeiten, Eigenschaften und seinem Zustand zukommt.37 Der Mensch darf nicht in unmenschlicher Weise behandelt werden und zu einem bloßen Objekt degradiert werden.38 Das Leben und die Menschenwürde sind im historischen Kontext fest miteinander verbunden.39 Sie setzen zusammen ein ausdrückliches Zeichen gegen eine das Leben missbrauchende und den Wert des Lebens untergrabende politische Herrschaft.40 Auch für unser menschliches Bestehen sind beide zusammen essenziell und, obwohl das Grundgesetz keine Rangordnung bestimmt, von übergeordneter Bedeutung.41 Schließlich ist das Leben die Basis aller Grundrechte und die Menschenwürde prägt ebenfalls als Basis unserer Rechtsordnung das Verhältnis der Bürger zueinander und zum Staat grundlegend.42 Diese grundlegende Wertentscheidung sollte jedoch nicht zum Anlass genommen werden, dem Recht auf Leben eine übergroße Rolle als dogmatische Wegweisung zuzugestehen, wenn es um die Lösung von Zweifelsfragen geht.43 Die Absolutheit der Menschenwürde ist ein praktisch unumstrittenes Grundprinzip unserer konstitutionellen Ordnung.44 Infolgedessen steht eine Abwägung dahin, die Menschenwürde setzt sich gegen alle Grundrechte, auch das Leben, durch.45 Das bedeutet, dass beispielsweise in Fällen von Kindesentführung, der Täter nicht gefoltert werden darf, um den Aufenthaltsort des Kindes herauszufinden, selbst wenn das Kind in Lebensgefahr schwebt. Dies würde gegen die Menschenwürde des Entführers verstoßen, das Leben müsste zurücktreten (vgl. Daschner-Prozess).46
3.2 Konfliktsituation Achtungs- und Schutzpflichten
Dies würde für das Verhältnis von Menschenwürde und Leben bedeuten, dass es einen eindeutigen Vorrang gibt und damit eine simple Auflösung der Ausnahmesituation, wenn es zu den staatlichen Pflichten kommt. Die Pflicht, die die Menschenwürde achtet oder schützt steht automatisch über der anderen Pflicht, das Leben zu achten oder zu schützen. Aber ist das mit dem Wissen, welche Bedeutung das Leben für den Menschen hat, in einer solchen Absolutheit vertretbar? Dies wird überwiegend bejaht mit dem Argument, dass die Menschenwürde den Höchstwert unserer Verfassung darstellt.47
Einer anderen Ansicht ist Kloepfer, der den Schutz des Lebens über den Schutz der Menschenwürde stellt.48 Er beruft sich dafür auf die Abhängigkeit der Menschenwürde vom Bestand des Lebens.49 Denn wie das Bundesverfassungsgericht bereits feststellte, ist das Leben das Fundament aller Grundrechte, also auch das der Menschenwürde.50 Als dieses übertrage es seine Einschränkungen auch auf die anderen Grundrechte.51 Zwar ist es aufgrund der hohen Bedeutung trotz des einfache Gesetzesvorbehalts ohnehin nur begrenzt beschränkbar, diese Möglichkeit soll aber dennoch analog angewendet werden, auch und vor allem auf die Menschenwürde.52 Demzufolge muss der Staat immer die Pflicht, die das Leben schützt, erfüllen, auch wenn dabei die Menschenwürde verletzt wird.
Eine andere Ansicht sieht das Leben und die Würde als äquivalent an, und zwar in die Richtung, dass beide absolut gelten.53 Argumentiert wird mit der Historie. So entstand nicht nur der besondere grundgesetzliche Schutz des Lebens, sondern auch derjenige für die Menschenwürde als Reaktion auf die grausamen Taten zu Zeiten des Nationalsozialismus.54 In dieser Hinsicht sind die beiden Rechtsgüter also unverrückbar miteinander verbunden.55 Auch das teleologische Verständnis des Art. 1 I GG zeige dies, es soll ein würdevolles Leben ermöglicht werden.56 Nach Vertretern dieser Ansicht liegt es daher nahe, dass das Leben keinen minderen Wert als die Würde haben kann.57 Abermals wird zudem damit argumentiert, dass das Leben die Voraussetzung für die Menschenwürde und somit deren Mindestbestandteil ist.58
[...]
1 https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/artikel.928509.php, Verordnung vom 21. April 2020, §§ 1, 6, 14, 17, 23.
2 https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/fahrplan-corona-pandemie-1744202
3 https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/artikel.928509.php, Verordnung vom 21. April 2020, §§ 1, 23.
4 https://www.regierung-mv.de/static/Regierungsportal/Portalredaktion/Inhalte/Corona/Corona-Verordnung.pdf, § 5.
5 https://www.regierung-mv.de/static/Regierungsportal/Portalredaktion/Inhalte/Corona/Corona-Verordnung.pdf, § 5.
6 https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/artikel.928509.php, Verordnung vom 2. April 2020, §§ 3, 3a.
7 BeckRS 2020, 8498; BeckRS 2020, 5449; BeckRS 2020, 5627; BeckRS 2020, 6395; BeckRS 2020, 5766.
8 https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-kenfm-jebsen-faktencheck-100.html.
9 Udo Di Fabio (2020), in: Roman Herzog, Matthias Herdegen, Rupert Scholz, Hans Klein (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 2 II Nr. 1, Rn. 9; BVerfG 39, 1 (36 f.).
10 Volker Epping (2019), Grundrecht, Rn. 105a.
11 Ebd.
12 Udo Di Fabio (2020), in: Roman Herzog, Matthias Herdegen, Rupert Scholz, Hans Klein (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art.2 II Nr. 1, Rn. 17; Dietrich Murswiek/Stephan Rixen (2018), in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 2, Rn. 145a.
13 Udo Di Fabio (2020), in: Roman Herzog, Matthias Herdegen, Rupert Scholz, Hans Klein (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 2 II Nr. 1, Rn. 21, 24; Dietrich Murswiek/Stephan Rixen (2018), in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 2, 142 f.
14 Volker Epping (2019), Grundrechte, Rn. 104.
15 BVerfG 18, 112 (117).
16 BVerfG 39, 1 (36 f.).
17 BVerfG 39, 1 (36 f.).
18 Klaus Stern, Michael Sachs, Johannes Dietlein (2006), in: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, Die einzelnen Grundrechte, S. 121 ff.
19 Manuel Ladiges, Erlaubte Tötungen, JuS 2011, 879-884, 880; 883.
20 Christoph Clausen (2018), Das Verhältnis von Achtungs- und Schutzpflichten in Ausnahmesituationen, S. 138.
21 Christoph Clausen (2018), Das Verhältnis von Achtungs- und Schutzpflichten in Ausnahmesituationen, S. 238.
22 Christoph Clausen (2018), Das Verhältnis von Achtungs- und Schutzpflichten in Ausnahmesituationen, S. 17.
23 Dietrich Murswiek/Stephan Rixen (2018), in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 2, Rn. 18, 24, 188.
24 Christoph Clausen (2018), Das Verhältnis von Achtungs- und Schutzpflichten in Ausnahmesituationen, S. 44.
25 Christoph Clausen (2018), Das Verhältnis von Achtungs- und Schutzpflichten in Ausnahmesituationen, S. 47
26 Christoph Clausen (2018), Das Verhältnis von Achtungs- und Schutzpflichten in Ausnahmesituationen, S. 47, 61.
27 Christoph Clausen (2018), Das Verhältnis von Achtungs- und Schutzpflichten in Ausnahmesituationen, S. 80.
28 Christoph Clausen (2018), Das Verhältnis von Achtungs- und Schutzpflichten in Ausnahmesituationen, S. 139.
29 https://www.tagesschau.de/inland/rassismus-uebergriffe-deutschland-101.html.
30 https://www.tagesschau.de/inland/rassismus-uebergriffe-deutschland-101.html.
31 Christoph Clausen (2018), Das Verhältnis von Achtungs- und Schutzpflichten in Ausnahmesituationen, S. 140.
32 Christoph Clausen (2018), Das Verhältnis von Achtungs- und Schutzpflichten in Ausnahmesituationen, S. 20.
33 Christoph Clausen (2018), Das Verhältnis von Achtungs- und Schutzpflichten in Ausnahmesituationen, S. 140.
34 Christoph Clausen (2018), Das Verhältnis von Achtungs- und Schutzpflichten in Ausnahmesituationen, S. 141.
35 Ebd.
36 https://www.tagesspiegel.de/politik/bundestagspraesident-zur-corona-krise-schaeuble-will-dem-schutz-des-lebens-nicht-alles-unterordnen/25770466.html.
37 Gerrit Manssen (2020), Staatsrecht II, Grundrechte, Rn. 230.
38 Matthias Herdegen (2020), in: Roman Herzog, Matthias Herdegen, Rupert Scholz, Hans Klein (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 1 I, Rn. 37; 98.
39 Udo Di Fabio (2020), in: Roman Herzog, Matthias Herdegen, Rupert Scholz, Hans Klein (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 2 II Nr. 1, Rn. 11.
40 Ebd .
41 Christoph Clausen (2018), Das Verhältnis von Achtungs- und Schutzpflichten in Ausnahmesituationen, S. 20.
42 Christoph Clausen (2018), Das Verhältnis von Achtungs- und Schutzpflichten in Ausnahmesituationen, S. 20.
43 Udo Di Fabio (2020), in: Roman Herzog, Matthias Herdegen, Rupert Scholz, Hans Klein (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 2 II Nr. 1, Rn. 11.
44 Christoph Clausen (2018), Das Verhältnis von Achtungs- und Schutzpflichten in Ausnahmesituationen, S. 174.
45 Udo Di Fabio (2020), in: Roman Herzog, Matthias Herdegen, Rupert Scholz, Hans Klein (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 2 II Nr. 1, Rn. 11; Christoph Clausen (2018), Das Verhältnis von Achtungs- und Schutzpflichten in Ausnahmesituationen, S. 171.
46 BeckRS 2005, 01796.
47 Christoph Clausen (2018), Das Verhältnis von Achtungs- und Schutzpflichten in Ausnahmesituationen, S. 175.
48 Ebd.
49 Michael Kloepfer (1976), Grundrechtstatbestand und Grundrechtsschranken in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – dargestellt am Beispiel der Menschenwürde, in: Christian Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 2, S. 412 f.
50 BVerfG 39, 1 (42).
51 BVerfG 39,1 (41).
52 Michael Kloepfer (1976), Grundrechtstatbestand und Grundrechtsschranken in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – dargestellt am Beispiel der Menschenwürde, in: Christian Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 2, S. 413.
53 Horst Schlehofer (1999), Die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes – absolute oder relative Begrenzung staatlicher Strafgewalt?, GA 1999, 357-364, 357.
54 Udo Di Fabio (2020), in: Roman Herzog, Matthias Herdegen, Rupert Scholz, Hans Klein (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 2 II Nr. 1, Rn. 11.
55 Udo Di Fabio (2020), in: Roman Herzog, Matthias Herdegen, Rupert Scholz, Hans Klein (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 2 II Nr. 1, Rn. 11.
56 Horst Schlehofer (1999), Die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes – absolute oder relative Begrenzung staatlicher Strafgewalt?, GA 1999, 357-364, 362.
57 Matthias Herdegen (1988), Objektives Recht und subjektive Rechte, Bemerkungen zu verfassungsrechtlichen Wechselbeziehungen, in: Dirk Heckmann, Klaus Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, Bundesstaatliche Ordnung und europäische Integration, Objektives Recht und subjektive Rechte, Information als Staatsfunktion, S. 161 ff.
58 Horst Schlehofer (1999), Die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes – absolute oder relative Begrenzung staatlicher Strafgewalt?, GA 1999, 357-364, 362.