Zur Rhetorik der Kaiserchronik


Seminararbeit, 1999

13 Seiten, Note: 1-2


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
1.1 Allgemeine Einleitung
1.2 Gattungsmerkmale der Chronik

2. Problemdarstellung

3. Methodik und Instrumente der Analyse

4. Textanalyse
4.1 Aufbau des Kapitels
4.2 Instruktion
4.3 Aufbau von Geltungsanspr ü chen
4.4 Evaluation

5. Das Fazit

6. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

1.1 Allgemeine Einleitung

In der folgenden Arbeit soll die Frage beantwortet werden, worin die Rhetorik des JulianusKapitels aus der Kaiserchronik des Pfaffen Konrad besteht. Diese Chronik entstand zwischen 1147 und 1172 in Regensburg und war die erste Reimchronik in deutscher Sprache (Mittelhochdeutsch). Das in einen römischen, geschichtlich bis zum christlichen Imperator Konstantin reichenden Teil und in einen deutschen Abschnitt gegliederte Werk erzählt die historische Entwicklung des Römischen Reiches von Caesar bis zu dem Stauferkaiser Konrad III. Dem Herrscherideal des Chronisten entsprechend, werden die Kaiser in "gute" und "böse" unterschieden, so daß das Werk als Fürstenspiegel dienen konnte.1 Wie schon angedeutet, soll im speziellen das Julianus-Kapitel betrachtet werden.

Vorab möchte ich allerdings noch eine kurze Einführung in die Gattung "Chronik", um die Problematik der Fragestellung zu verdeutlichen. Die sich daraus ergebenden Probleme werden in Kapitel 2 kritisch betrachtet, bevor im darauffolgende 3. Kapitel die texttheoretischen Analysemethoden vorgestellt werden. In Kapitel 4 findet die eigentliche Textanalyse im Zusammenhang mit der inhaltlichen Aufarbeitung des betreffenden Kapitels statt. Hierbei soll auf die Ausgangsfrage der Arbeit im Besonderen geachtet werden, die danach im letzten Kapitel, mit Hilfe der Ergebnisse aus der Textanalyse, beantwortet wird.

1.2 Gattungsmerkmale einer Chronik

Eine der kürzesten aber treffendsten Definitionen für den Begriff "Chronik" ist wohl "Chronik, Darstellung geschichtlicher Ereignisse nach ihrer Zeitfolge. ".2 Zwei wichtige Hauptmerkmale sind also die Zeitachse und die Handlungen von Personen auf ihr. Wenn man nun die Frage beantworten müßte, was man von einem historiographischen Text erwarte, würde man aber nicht nur dies alleine als Merkmal anerkennen, denn dies bietet auch die Gattung "Roman". Was macht also die Gattung "Chronik" noch aus ? Die Darstellung geschichtlicher Ereignisse nach ihrer Zeitfolge, d. h. doch die dargestellten Handlungen sollten einer Chronologie folgen und die vergangene Wirklichkeit wiedergeben. Dieses Merkmal könnte man auch unter dem Begriff des Objektivitätspostulats fassen, wenn wir davon ausgehen, daß uns der Autor der Chronik Fakten präsentiert. Die genannten Merkmale könnte man als grobes Gattungsschema für Historiographien ansehen. Nachzuprüfen wäre nun, welche Probleme sich stellen, wenn das vorliegende, zu analysierende Kapitel diesem Schema nicht entsprechen würde.

2. Problemdarstellung

Der Autor einer Chronik hat die Aufgabe, aus einer ihm zugänglichen Menge von Fakten solche zu selektieren, die seinem kommunikativen Ziel dienen, und um diese herum einen Text zu bauen. Hierin liegt eines der Hauptprobleme historiographischer Texte, mit dem sich auch Chris Lorenz in seinem Buch "Kunstruktion der Vergangenheit" beschäftigt. Er stellt fest: "Die zweite Voraussetzung der Beschäftigung mit Geschichte, die vom Textualismus bestritten wird, besagt, daß historische Erz ä hlungen wirklichkeitsadäquat sind - und also in diesem Sinne wahr sein können - da sie Re konstruktionen und keine Konstruktionen sind. Und wirklichkeitsadäquat und wahr können sie nur sein, insofern sie über faktische Aussagen (die als wahr gelten, solange nicht ihr Gegenteil bewiesen ist) ad ä quat auf die Wirklichkeit verweisen."3

Zur Verdeutlichung können wir einen geschichtlichen Text mit einem Haus vergleichen, die historischen Fakten, die realitätsgebunden sind, stellen die tragenden Wände unseres Hauses dar. Der Historiograph hat nun die Aufgabe das Haus zu kompletieren, indem er um die zugrundeliegenden Fakten die Geschichte rekonstruiert und somit einen intakten Text produziert, indem Akteure auf einer imaginären Zeitachse handeln.

Das Problem liegt also in der Vertextung historischer und somit vergangener Begebenheiten. Wir können uns heute eine rein subjektive, virtuelle Vorstellung davon machen wie sich eine bestimmte geschichtliche Begebenheit abgespielt haben könnte. Hierzu benötigen wir allerdings den Text und müssen das, was uns der Autor erzählt, als rekonstruierte Wirklichkeit ansehen. Das Stichwort heißt dann wohl "erz ä hlen", denn Geschichte, aber auch Geschichten werden immer erzählt. Was also impliziert der Begriff Erz ä hlung ( lat. narratio)? Nach Quintilian besteht die Erzählung (narratio) aus der parteilichen Schilderung des Sachverhaltes, sie ist zum Überzeugen >>nützliche Darstellung eines tatsächlichen oder scheinbar tatsächlichen Vorgangs<< . 4 Diese rein rhetorische Definition des Begriffes bringt uns zwangsläufig zu zwei wesentlichen Punkten. Erstens wäre an dieser Stelle festzuhalten, daß der Erzähler, also der Autor, eine Strategie verfolgt, wenn er eine, nach Quintilian, parteiliche Schilderung eines Sachverhaltes liefert. Immer dann wenn ein Autor eine Strategie verfolgt, handelt er rhetorisch und wird von uns immer dann Orator genannt.5 Der zweite Punkt, der einer etwas ausführlicheren Erläuterung bedarf ist das Problem der Faktizit ä t und Fiktionalit ä t, welches Erzählungen zwangsläufig anhaftet. Speziell bezogen auf Chroniken des Mittelalters heißt das, der Orator ist gattungsbedingt im Bereich der Faktizit ä t seines Textes zu einer Datentreue verpflichtet, wobei man ihm allerdings eine gewisse Kodierungsfreiheit zugesteht. D. h. er kann die er kann die Form seiner Darstellung der historischen Fakten frei wählen. Im Bereich der Fiktionalit ä t sind ihm hingegen keine Grenzen gesetzt, er besitzt sowohl Datenfreiheit als auch Kodierungsfreiheit bezüglich dieser Daten.6 Wie sollen wir damit umgehen, wenn wir davon ausgegangen sind, daß der Historiker die vergangene Wirklichkeit abbildet, im Grunde aber die Lücken zwischen den Fakten durch fiktionale Erzählungen auffüllt. In seinem Werk " Zeit und Erzählung" beschreibt Paul Ric_ur dieses Problem folgendermaßen: "Wir machen einen weiteren Schritt in Richtung auf den Punkt, wo Zeit der Fiktion und Zeit der Geschichte sich überkreuzen, indem wir uns fragen, was auf seiten der Fiktion als Gegenstück zu dem gelten könnte, was auf seiten der Geschichte als >>wirkliche<< Vergangenheit auftritt. Das Problem wäre nicht bloß unlösbar, sondern ließe sich sinnvoll gar nicht stellen, wenn man es weiterhin im traditionellen Vokabular der Referenz formulieren würde. Denn absolut gesprochen kann nur vom Historiker gesagt werden, er beziehe sich (se r é f é rer) auf etwas >>Wirkliches<<, derart daß das, wovon er spricht, von den Zeugen der Vergangenheit hat beobachtet werden können. Verglichen damit sind die Personen des Romanschriftstellers ganz einfach >>unwirklich<<; >>unwirklich<< ist auch die Erfahrung, die die Fiktion beschreibt. Zwischen der >>Wirklichkeit der Vergangenheit<< und der >>Unwirklichkeit der Fiktion<< herrscht völlige Dissymmetrie."7

Die Frage, die sich mir dabei, bezogen auf die zu analysierende Chronik stellt, ist, erkannten die Rezipienten um das Jahr 1150, als sie die Kaiserchronik lasen bzw. hörten, überhaupt diese fiktionalen Teile als konstruierte Geschichten oder nahmen sie diese als Realität war ? Für die rhetorische Analyse ist diese Frage ziemlich belanglos, auch die zuvor angesprochenen Probleme wären für die Frage nach der Rhetorik des Chronikkapitels völlig ohne Bedeutung, wenn diese nicht eine bestimmte Auswirkung auf die Strategie des Orators hätten. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen werde ich in Kapitel 4, mit der im folgenden Teil erläuterten Methodik, das Julianus-Kapitel analysieren, um zu sehen, welche Auswirkungen die genannten Abweichungen vom Gattungsschema auf die Strategie des Orators haben.

3. Methodik und Instrumente der Analyse

Um der, dem Text zugrundeliegenden, Strategie des Orators näher zu kommen, ist es sinnvoll den Text in die sogenannten drei rhetorischen Grundgesten 8 einzuteilen. Man unterscheidet hierbei die rhetorischen Gesten der Instruktion (in diesem Fall wird nur die Handlungsinstruktion analysiert, nicht die Sachinstruktion), den Aufbau von Geltungsansprüchen und die Evaluation. Die Suche nach diesen drei Grundgesten und deren Verarbeitung im Text bedeutet die Suche nach der Strategie des Orators. Wenn man also nach einer Handlungsinstruktion sucht, dann heißt das, man sucht nach im Text versteckten Anleitungen oder Aufforderungen zum Handeln. Das Gelesene bzw. Gehörte soll implizieren, daß man handeln soll oder daß man so und nicht anders handeln soll.

Wenn ein Text Geltungsansprüche aufbaut soll dies in den meisten Fällen zur Rechtfertigung von bestimmten Sachverhalten dienen.

Unter Evaluation versteht man die Moralfindung, d. h. Sachverhalte oder Handlungen sollen bewertet werden. Der Rezipient 9 soll etwas gut oder schlecht finden und wird in seinem moralischen Urteilen vom Orator geleitet.

Um diese Gesten präzise im Text zu lokalisieren benötigen wir eine Einteilung des Gesamttextes in verschiedene Ebenen. Hierzu dient uns die Einteilung nach Gérard Genette in die Ebene der histoire (story oder plot), die Ebene des discours narratif (Texturebene oder Textualität) und die Ebene der narration (Kommunikation, d. h. der produzierende narrative Akt).10 Für die Analysemethodik ist hierbei relevant, daß die drei oben genannten Gesten auf jeder der drei narratologischen Ebenen 11 auftauchen können. Da wir es bei einer Chronik mit einer narrativen, also erzählenden Textsorte zu tun haben und diese bestimmten Strukturgesetzen folgt, ist es sinnvoll die sprachlichen Organisationsformen der "Genettechen - Ebenen" zu betrachten. In seinem Werk "Textwissenschaft" hat sich Tenn A. van Dijk mit diesen Strukturgesetzen beschäftigt. Er unterscheidet narrative, descriptive und argumentative Superstrukturen.12 Die narrative Grundtendenz eines Textes besteht für ihn in einer Erzählung bei der Handlungen auf der Zeitachse passieren. Descriptive Teile hingegen sind rein beschreibend, hier ist kein zeitlicher Ablauf vorhanden. Gekennzeichnet ist diese Superstruktur durch die Häufigkeit von Adjektiven und das Fehlen von Verben. Die dritte Superstruktur, die van Dijk beschreibt, ist die argumentative, die sowohl sehr eindeutig auf der Textebene erfolgen kann, manchmal aber auch auf den Ebenen der histoire und der narration erfolgen kann, wo die Argumentation oft nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Mit Hilfe dieser theoretischen Grundlagen soll im folgenden Teil der Arbeit das Julianus- Kapitel erstens auf die Frage untersucht werden, wie der Kaiser dargestellt werden soll und zweitens wie der Orator dies macht. Anders ausgedrückt soll uns die erste Frage eine Antwort über die Botschaft des Pfaffen Konrad geben, während dessen die zweite Frage auf seine Strategie bezogen ist. Das Fazit, welches wir aus der Kombination der Ergebnisse dieser beiden Fragestellungen, nach der Textanalyse ziehen können, wird uns dann eine Antwort auf die eigentliche übergeordnete Frage liefern.

Worin besteht die Rhetorik des Julianus Kapitels ?

4. Textanalyse

4.1 Aufbau des Kapitels:

Das zu analysierende Kapitel kann in fünf Sinnabschnitte aufgeteilt werden. In jedem der ersten vier Abschnitte wird jeweils eine Geschichte erzählt, die in ihrer Abfolge innerhalb des Kapitels einer Chronologie folgen. Der Schluß-abschnitt dient als Resumé des gesamten Kapitels. Zunächst möchte ich den Text in Bezug auf seine rhetorische Grundgeste der Handlungsinstruktion untersuchen.

4.2 Instruktion:

Vorab sollte erwähnt werden, daß sich das Julianus-Kapitel in den Gesamtcharakter der Chronik, die auch als F ü rstenspiegel bezeichnet wird, einfügt. Das Kapitel stellt also eine Handlungsinstruktion für Kaiser dar und in diesem speziellen Fall wird Julianus, um dies vorwegzunehmen, als schlecht handelnder Kaiser im Sinne des Christentums dargestellt. Der Orator stellt dies schon im zweiten Satz des Kapitels auf der Ebene der Textualität fest. Er schreibt: "Wir wollen der Wahrheit nach erzählen, wie dieser Gottesfeind das Reich gewann."13 Dieser einleitende Satz beinhaltet bereits in dem Wort Gottesfeind eine negative Wertung des Julianus. Die Handlungsinstruktion richtet sich also auf die Erziehung und den Regierungsstil der mittelalterlichen Fürsten und läßt sich entweder aus Handlungen und deren Folgen aus der histoire ableiten oder direkt von der Texturebene durch eingearbeitete Befehlsformen. In unserem Kapitel sind solche Befehlsformen allerdings nur auf der Ebene der narration, also der wörtlichen Rede zu finden. So z. B. am Ende der ersten Geschichte des Kapitels, in der es um eine Frau geht, die den Julian aufzieht und diesem, nach dem Tod ihres Mannes, das Vermögen anvertraut. Julian verweigert ihr später allerdings die Rückgabe des Geldes und leugnet vor dem Papst jemals etwas von der Frau erhalten zu haben. Aus Verzweiflung schließt die Frau einen Pakt mit dem Teufel, der sich als Gott Merkurius14 ausgibt und auf den der Julian abermals schwört. Um diesen Schwur zu bestärken legt er die Hand in den Mund der Merkurstatue, die ihn nicht wieder frei gibt. Auf diese Weise erhält die Witwe ihr Vermögen zurück und der Teufel schlägt dem Julian folgenden Handel vor, den der Autor geschickt mit einer wörtlichen Rede in die histoire einfließen läßt. "Nun höre mich, Julian! Ich habe dir heute großes Herzeleid gethan, und von der Schande dieses Tages magst du dich nimmermehr erholen, außer du nimmst meinen Rath an und thust, was ich dich lehre. Schwöre zu mir, und ich mache dich zum Herrn des ganzen römischen Reiches!"15 Die Imperative "höre" und "schwöre" deuten auf eine direkte Handlungsinstruktion hin, die allerdings hier als eine rein negative aufgefaßt werden muß. Die Instruktion heißt hier also:"Du sollst so nicht handeln!" Genauer gesagt sollte sich der Mensch nicht von Gott abwenden und im Glauben schwach werden. Die Wirkung dieser negative

Handlungsinstruktion wird allerdings erst durch die Weiterführung des Textes auf der histoire erreicht. Denn Julian wird zwar Kaiser, aber er schafft im zweiten Teil des Kapitels, nach seiner Krönung, das Christentum wieder ab und verbreitet Angst und Schrecken unter den römischen Bürgern. Hier unterbricht der Chronist seinen Erzählstrang. Direkt nachdem die Römer Julian zu ihrem "Richter und Kaiser" erkoren haben, schiebt der Orator den folgenden Satz im Sinne einer Prolepse 16 ein: "Das reute sie später aber sehr."17 Diese Vorausdeutung bezieht sich auf die Folgen, die sich aus der Krönung Julianus für die christlichen Römer im Folgenden ergeben. Sie sollen den heidnischen Gott Merkurius anbeten und sich von Gott abwenden. Im weiteren Verlauf dieses zweiten Teils des Kapitels gibt der Chronist nun eine Handlungs-instruktion, durch die Geschichte der beiden F ü rsten Paulus und Johannes, wie man sich als wahrer Christ zu verhalten hat. Dies erreicht er durch einen langen narrativen Akt (Antwort der Fürsten auf den Befehl Julians den Merkur anzubeten in direkter Rede). "Es nimmt uns groß Wunder, daß du dem ehernen Abgotte huldigen magst, den Menschenhand zerbrechen und verbrennen kann, und der sich solches gefallen muß lassen. Wirft man deinen Gott in den Mißt, so kann ihm seine Klugheit nicht daraus helfen, wenn ihm Menschenhand nicht hilft. Einen solchen hast du dir zum Herrn erwählt. Was soll aber aus dir einst werden, wenn deine Seele in dem wallenden Feuer der Hölle brennt? Dort gibt dir der Satanas genug seiner Schätze, nachdem du ihm hienieden wohl gedienet hast; du aber bist leider ewiglich todt. Wir glauben an den Vater, und den Sohn und an den heiligen Geist, und daß diese allein ein wahrer Gott sind. Dein Dräuen bekümmert uns nicht im Mindesten."18 Aufgrund dieser Antwort werden die beiden Fürsten umgebracht, aber der Chronist beendet diesen Teil mit dem proleptischen Einschub; "Aber der Herr rächte seine lieben Knechte."19 um vorwegzunehmen, daß Julianus der gerechten Strafe nicht entgehen wird.

4.3 Aufbau von Geltungsansprüchen:

Nun soll die Frage sein, wie der Chronist im Julianus-Kapitel Geltungsansprüche aufbaut. Darunter versteht man, noch einmal zur Erinnerung, die Rechtfertigung und Belegung von dargestellten Sachverhalten. Wenn wir uns die o. g. Textstelle des Paulus und Johannes noch einmal in Erinnerung rufen, stellen wir fest, daß sie mit einer Art Gebetsformel endet (" ... Wir aber glauben an den Vater, und an den Sohn und an den heiligen Geist, und daß diese allein ein wahrer Gott sind "). Diese vom Orator bewußt eingebundene Passage aus dem christlichen Glaubensbekenntnis kann als der Aufbau eines Geltungsanspruchs empfunden werden. Es zeigt, daß Johannes und Paulus selbst im Angesicht des sicheren Todes an ihrem Glauben festhalten und lieber als Märtyrer sterben, als einem heidnischen Abgott zu huldigen. In der Chronologie des Kapitels folgt nun, nach der Hinrichtung der beiden Fürsten, Julian`s Heerfahrt nach Griechenland, wo der Wendepunkt dieses Kapitels anzusiedeln ist. Hier treibt es der Kaiser auf die Spitze und verhält sich, nachdem er auf seine Anfrage in einem Kloster nicht die gewünschte Lebensmittelversorgung erhält, gottesähnlich indem er die Äcker des Klosters verwüstet. Der eingeschobene Kommentar; "So that er als wahrer Wüthrich der Christenheit."20 kann in diesem klar durch eine narrative Superstruktur gekennzeichneten Textteil als argumentative Verbindung gesehen werden und macht den schlechten Herrscherstil des Kaisers deutlich. Im weiteren Verlauf verwendet der Chronist absichtlich auf der Kommunikations Ebene die Form des Gebetes, um die Autorität des christlichen Glaubens zu untermauern. Im Text geschieht dies durch den Abt des geschädigten Klosters, St. Basilius, der zur Jungfrau Maria betet: "O wohl, duhimmliche Königin! Du bist die beste Fürsprecherin bei Gott! Nun friste auch uns Sündern das Leben vor diesem Widersacher Gottes; dieser muthet uns allzu hartes zu. Du hast den der Welt zu Troste getragen, der unsere Zuversicht und unser Glaube ist. Nun erlöse uns von dem grimmigen Manne, auf daß er uns nicht vernichte, und deinen Dienst hier zerstöre. Um das bitten wir dich, heilige Jungfrau! nun erlöse uns! "21 Wie schon angesprochen wendet sich nun die Geschichte gegen Julianus, nachdem er zu guter Letzt noch einen Fürsten des Landes, der ebenfalls nicht zum heidnischen Glauben konvertieren möchte, enthauptet. Die Gebete der Christen werden erhört und der Fürst ersteht aus seinem Grab und tötet Julianus mit einer Lanze. Über den Verbleib des Kaiserleichnams berichtet uns der Schlußabschnitt des Kapitels. " ... Der wallet zu Konstantinopel - wie uns die Chronik meldet - in dem Peche und Schwefel der Hölle bis an den jüngsten Tag "22 Der argumentative Einschub in die Texturebene ( ... wie uns die Chronik meldet ...) dient hier dem Orator zur Untermauerung seiner Geschichte. Abschließend möchte ich noch hinzufügen, daß der Chronist, der bereits zu Beginn des Kapitels diesem einen Wahrheitsanspruch indoktrinierte ("Wir wollen der Wahrheit nach erzählen, wie dieser Gottesfeind das Reich gewann."), durch die bewußte Selektion der Personen, die in den Geschichten handeln, und deren Autoritäten einen Geltungsanspruch speziell für seinen Text erzeugt.

4.4 Evaluation:

Wir wollen nun im Folgenden sehen auf welchen Ebenen und mit welchen Methoden der Chronist rationale Werturteile und Affekte 23 erzeugt. Schon allein die Tatsache, daß Julianus auf der histoire-Ebene, also im plot des ganzen Kapitels, nur moralisch verwerfliche Handlungen begeht und im Gegensatz dazu fast alle anderen Protagonisten moralisch, im Sinne des christlichen Glaubens handeln, kann als Grundlage einer Wertbildung herangezogen werden. Auf der einen Seite steht also Julianus, der aufgrund seiner schlechten Tat gegenüber der Witwe und dem daraus folgenden Pakt mit dem Teufel sogar zum Kaiser ernannt wird. Demgegenüber stehen die Fürsten Paulus und Johannes, der heilige St. Basilius und der Fürst Merkurius, die zum größten Teil wegen ihres festen Glaubens an Gott den Märtyrertod sterben müssen. Auf der Ebene der Textualität besetzt der Chronist den Julian häufig mit dem negativen Attribut "der böse Julian". Auf der anderen Seite unterstreicht er immer wieder die moralisch guten Personen mit typisch christlichen Attributen wie: eine ehrsame, fromme Frau, ein tugendsames Weib. Er geht sogar noch weiter und spricht, die in der Realität ohnehin schon Heiligen Männer, Paulus und Johannes, auch in seinem plot heilig: "Dann theilten diese heiligen Männer all` ihr Gut unter den Armen."24 Hier stellt der Orator eine Brücke her zwischen der histoire- und der Texturebene, weil er sich plötzlich einschaltet und die beiden Fürsten aufgrund ihrer Taten heilig spricht. Damit unterstreicht er, daß auch er dieses Verhalten als moralisch anerkennt und den Julian als schlechten Kaiser verurteilt. Ein weiteres Indiz dafür ist die immer wieder wechselnde Bezeichnung der Person des Julianus auf der Texturebene. Im ersten Teil, bis zu seiner Kaiserkrönung erzählt der Chronist nur von Julian oder Julianus. Im ganzen Kapitel wird er nur einmal, direkt nach seiner Krönung, als Kaiser Julian tituliert. Danach erfährt der Kaiser auf allen drei Ebenen durch den Chronisten eine Abwertung. Am deutlichsten durch die Titel die er erhält. Er wird nun sehr häufig als König Julian oder nur noch als Julian bezeichnet. Diese Abwertung der Person führt ebenfalls zur Erzeugung eines schlechten Werturteils gegenüber des Julianus bei.

5. Das Fazit:

Im Fazit soll die Frage beantwortet werden, welche Botschaft der Chronist durch die Konstruktion seines Textes vermitteln will. Hierbei wird sich auch die Frage nach der Rhetorik des Julianus-Kapitels beantworten. Besonders wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang auch die Frage nach der Wirkung dieser Botschaft auf den jeweiligen Rezipienten. Was kann der Zuhörer bzw. Leser aus diesem Text lernen ?

Eine zentrale Botschaft ist auf jeden Fall die religiöse Legitimation des christlichen Glaubens. Das Julianus-Kapitel soll eindeutig zeigen, daß Staatsgewalt (Kaisertum) und Kirche eng miteinander verbunden sind und spätestens nach Julianus Regierungszeit bis ins Mittelalter hinein fest miteinander verbunden waren. Dies bekräftigt der Chronist noch mit seinen beiden letzten Sätzen des Kapitels: "Julianus hatte zwei Jahre und fünf Monate das Reich beherrscht. Die Teufel empfingen seine Seele."25 Mit diesem konkreten Hinweis auf die Regierungsdauer des Kaisers zeigt der Chronist, daß die Ausbreitung des Christentums unumgänglich war und auch nur für kurze Zeit durch Julianus behindert wurde.

Eine weitere Botschaft kann in der Instruktion zum tugendhaften Handeln gesehen werden. Der Mensch soll sich in seinem Leben an den christlichen Tugenden orientieren um die Gewißheit des ewigen Lebens im Himmelreich zu erlangen. Diese transzendente Denkweise war im Mittelalter weit verbreitet und wurde von vielen Menschen sehr ernst genommen, da die religiöse Dimension einen großen Einfluß auf das alltäglich Leben hatte.

Abschließend kann man nun festhalten, daß die Rhetorik des Kapitels in der geschickten Konstruktion von Erzählungen, allerdings im Sinne von einer Erschaffung literarischer Realitätsnachbildungen besteht, wenn der Chronist rhetorisch handelt. Dies wurde schon zu Beginn dieser Arbeit festgestellt und muß hier nochmals vertieft werden. Da wir nun festgestellt haben, daß der Chronist Botschaften vermittelt, die wir in der Textanalyse belegen können, steht ohne Zweifel fest, daß der Orator rhetorische handelt. Er verfolgt also eine Strategie mit seinem Werk !

Wir können sogar vermuten, daß er mit seinen Botschaften bestimmte Handlungen bei den Rezipienten ausgelöst hat, was wir aber leider nicht belegen können, da wir nicht in die Vergangenheit des 12. Jahrhunderts zurückkehren können.

6. Quellenverzeichnis

Das Große Duden-Schüler-Lexikon, 3. Auflage, Meyers Lexikonverlag Mannheim 1979

Dijk, Tenn A. van: Textwissenschaft. Eine interdisziplinäre Einführung. Deutscher Taschenbuch Verlag. München 1980

Genette, Gérard: Die Erzählung, hg. von Jürgen Vogt, Wilheilm Fink Verlag. München 1994

Lorenz, Chris: Konstruktion der Vergangenheit. Eine Einführung in die Geschichtstheorie. Hg. von Jörn Rüsen. Böhlen Verlag. Köln 1997

Mayer, Joseph Maria: Der Kaiser und der Könige Buch oder die sogenannte Kaiserchronik. Gedicht des 12. Jahrhunderts. München 1878

Microsoft Encarta 98 Enzyklopädie

Ric_ur, Paul: Zeit und Erzählung. Band III Die erzählte Zeit. Wilhelm Fink Verlag. München 1991

Ueding, Gert und Steinbrink, Bernd: Grundriss der Rhetorik. Geschichte, Technik, Methode. 3. Auflage. Verlag J.B. Metzler Stuttgart; Weimar 1994

[...]


1 Microsoft Encarta 98 Enzyklopädie

2 Das Große Schüler-Duden-Lexikon

3 Lorenz, Chris: Konstruktion der Vergangenheit. Seite 181

4 Ueding und Steinbrink: Grundriss der Rhetorik. Seite 261 ( II. Die Erzählung)

5 Knape, Joachim: Proseminar "Rhetorik und Historiographien im Mittelalter" SS´99

6 Knape, Joachim: Proseminar "Rhetorik und Historiographien im Mittelalter" SS`99

7 Ric_ur, Paul: Zeit der Erzählung, Band III, Die erzählte Zeit. Seite 253

8 Knape, Joachim: Proseminar "Rhetorik und Historiographien im Mittelalter" SS`99

9 Knape, Joachim: Vorlesung " Theorie der rhetorischen Literaturinterpretation" SS`99

10 Genette, Gérard: Die Erzählung

11 Knape, Joachim: Proseminar " Rhetorik und Historiographien im Mittelalter" SS`99

12 van Dijk, Tenn A.: Textwissenschaft. Eine interdisziplinäre Einführung. 4.2 Die rhetorischen Strukturen des Textes

13 Mayer, Joseph Maria: Der Kaiser und der Könige Buch oder die sogenannte Kaiserchronik. Gedicht des 12. Jahrhunderts

14 Merkurius, in der römischen Mythologie Gott des Handels und Gewerbes. Später wurde er dem griechischen Gott Hermes gleichgesetzt, dessen Attribute er übernahm. Encarta 98 Enzyklopädie

15 Mayer, Joseph Maria: Der Kaiser und der Könige Buch oder die sogenannte Kaiserchronik. Gedicht des 12. Jahrhunderts

16 Prolepse = Vorschau, Genette, Gérard: Die Erzählung. Seite 45-54

17 Mayer, Joseph Maria: Der Kaiser und der Könige Buch oder die sogenannte Kaiserchronik. Gedicht des 12. Jahrhunderts

18 Mayer, Joseph Maria: Der Kaiser und der Könige Buch oder die sogenannte Kaiserchronik. Gedicht des 12. Jahrhunderts

19 Mayer, Joseph Maria: Der Kaiser und der Könige Buch oder die sogenannte Kaiserchronik. Gedicht des 12. Jahrhunderts

20 Mayer, Joseph Maria: Der Kaiser und der Könige Buch oder die sogenannte Kaiserchronik. Gedicht des 12. Jahrhunderts

21 Mayer, Joseph Maria: Der Kaiser und der Könige Buch oder die sogenannte Kaiserchronik. Gedicht des 12. Jahrhunderts

22 Mayer, Joseph Maria: Der Kaiser und der Könige Buch oder die sogenannte Kaiserchronik. Gedicht des 12. Jahrhunderts

23 Knape, Joachim: Proseminar "Rhetorik und Historiographien im Mittelalter" SS`99

24 Mayer, Joseph Maria: Der Kaiser und der Könige Buch oder die sogenannte Kaiserchronik. Gedicht des 12. Jahrhunderts

25 Mayer, Joseph Maria: Der Kaiser und der Könige Buch oder die sogenannte Kaiserchronik. Gedicht des 12. Jahrhunderts

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Zur Rhetorik der Kaiserchronik
Veranstaltung
Seminar Rhetorik und Historiographien im Mittelalter
Note
1-2
Autor
Jahr
1999
Seiten
13
Katalognummer
V98358
ISBN (eBook)
9783638968096
Dateigröße
417 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Worin besteht die Rhetorik des Julianus-Kapitels?
Schlagworte
Rhetorik, Kaiserchronik, Seminar, Rhetorik, Historiographien, Mittelalter
Arbeit zitieren
Oliver Bettrich (Autor:in), 1999, Zur Rhetorik der Kaiserchronik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98358

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