Transzendentale Harmonie. Das Motiv der Androgynie in den Poetologien von Virginia Woolf und Hermann Hesse


Bachelorarbeit, 2015

41 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1 Poesie und Geschlecht
1.1 Zeitgeschlechtliche Einordnung
1.2 Die Frage nach einer geschlechtsspezifischen Ästhetik

2 Sehnsucht nach Vollkommenheit
2.1 Androgynie
2.1.1 in der Psychologie
2.1.2 als literarisches Motiv

3 Poetologie der Androgynie
3.1 Die Auflösung der Polarität bei Virginia Woolf
3.2 Die Tausend Seelen des Hermann Hesse und seiner Figuren
3.3 Zur Konstruktion einer androgynen Autor*innenschaft

Fazit

Literatur

„Alles, was ist, besitzt eine sinnlich-wahrnehmbare Weise des Seins. […] Gesetzt, die Begriffe Mann und Weib stehen für je spezifische Weisen des Seins, dann entsprechen ihnen auch je spezifische Weisen der Wahrnehmung von Sein. Andererseits gibt es Bereiche der Wahrnehmung und Äußerung von Wahrnehmung, wo jede Geschlechtsspezifizierung aufhört.“1

Einleitung

Weiblich, männlich, androgyn?

Die Überschneidung all der Gegensatzpaare, aus denen unser Innen wie unser Außen zu bestehen scheint, lässt sich kaum mit Worten eingrenzen. Eine Ausdrucksmöglichkeit für ein Menschsein, welches alle Stränge, Formen und Gegensatzpole umfasst, ist die der fiktiven Erzählung. Der Prozess des sie Verstehens zwischen Produzierenden und Rezipierenden bleibt zwar unsichtbar, das Wirken von Worten erhält aber beiderseitig individuelle Bedeutung. Die Wahrheit einer Geschichte lässt sich nicht immer an den in ihr enthaltenen Fakten messen. Literatur vermag es, Zusammenhänge ins Außen zu tragen, die sinnbildlich dargestellt, verständlicher sein können als eine wissenschaftliche Studie.

So kann eine Figurenkonstellation der Spiegel einer einzigen menschlichen Psyche sein. Und so kann auch der unerklärliche Wechsel des Geschlechts einer fiktiven Figur für die Dekonstruktion von gesellschaftlichen Rollenbildern stehen.

„Die beiden Pole des Lebens zueinander zu biegen, die Zweistimmigkeit der Lebensmelodie niederzuschreiben, wird mir nie gelingen.“,2 schreibt Hermann Hesse und gibt den Versuch doch nicht auf: „Dennoch werde ich dem dunklen Befehl in meinem Innern folgen und werde wieder und wieder den Versuch unternehmen müssen.“3

„Nur wenn die Fusion stattfindet, ist der Geist ganz fruchtbar gemacht und kann alle seine Fähigkeiten anwenden.“4, könnte Virginia Woolf ihn ergänzt und den Bogen dieses fiktiven Gesprächs auf das Thema der Geschlechter gelenkt haben: „Vielleicht kann ein Geist, der nur maskulin ist, ebensowenig schöpferisch sein, wie ein Geist, der rein weiblich ist […].“5

Das Motiv der Androgynie beschreibt solch eine Zusammenkunft der Pole weiblich und männlich, in einer körperlichen oder auch geistigen Instanz. Dies setzt auf den ersten Blick ihre Einteilung in entgegengesetzte Kategorien voraus. In vielen Expressionen des Begriffs Androgynie wird diese Dichotomie aber zu einer einzigen transzendenten Instanz zusammengefügt.6 Er bietet die Möglichkeit, das zu versinnbildlichen was vielleicht jeden Menschen einmal im Leben beschäftigen sollte: Warum bin ich wie ich bin? Bin ich wie ich bin oder darf ich es gar nicht sein, weil ich als Frau/Mann gelte?

Unumgänglich ist Androgynie als verstrickt mit der Geschlechterthematik zu betrachten. So kann der Blick auf die Dekonstruktion des Zweigeschlechtersystems der heutigen Genderstudies in dieser Arbeit nicht ausbleiben.

Als Utopie für ein vollständiges Menschsein taucht das Motiv Androgynie in der Literaturgeschichte vermehrt auf. Ziel dieser Arbeit ist, herauszufinden, ob und inwiefern es in den Poetologien der Autor*innen Virginia Woolf und Hermann Hesse vorkommt.

So unterschiedlich die ausgewählten Schreibenden und ihre Texte zunächst auch wirken, gemeinsam ist Virginia Woolfs berühmter Figur Orlando und Hermann Hesses zahlreicher Verkörperungen seiner selbst, doch das Streben nach Vollkommenheit, welches häufig in einem künstlerischen Ausdruck gipfelt. „Narziss und Goldmund“ aus dem Jahr 1930 von Hermann Hesse und Virgina Woolfs „Orlando. Eine Biografie“ von 1928 stehen nicht nur vor dem Hintergrund ihres gemeinsamen Zeitalters: Beide thematisieren den schöpferischen Prozess der Figuren in Abhängigkeit zu deren Individuationsprozessen.

Um die Konstruktion einer androgynen Autor*innenschaft, die ihren Spiegel in diesen fiktiven Figuren wiederfindet, zu untersuchen, werden Hesses und Woolfs schriftsteller*inische Selbstverständnisse nebeneinander und in den gemeinsamen zeitlichen Kontext gestellt. Besagte Konstruktion beinhaltet die Frage nach einer androgynen Ausdrucksweise. Diese fußt wiederum auf der Erkenntnis einer Ästhetik, die von den Geschlechtern abhängt.

„Aber wie würde sich das Geschlecht des Autors auf all das auswirken?“, fragt Virginia Woolf in „Ein Zimmer für sich allein“, welches als Grundlage für die Darstellung ihrer Poetologie dienen soll. Einige Positionen zu der Frage nach einer geschlechtsspezifischen Ästhetik werden herausgestellt. Davon, dass es möglich sein wird, konkrete Kriterien für eine androgyne Ästhetik festzulegen und anzuwenden, ist jedoch nicht auszugehen.

Die androzentristische Hierarchie der Literaturproduktion des frühen 20. Jahrhunderts wird, schon im Bezug auf Woolf, gestreift. Der Fokus liegt aber auf einer bewusst übergeschlechtlichen Poetologie. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit verschiedenen feministischen Literaturtheorien zur Ästhetik würde zu weit ab von der eigentlichen Fragestellung führen.

Hermann Hesse beschäftigt sich nicht ausdrücklich mit dem Geschlechterthema. In seinen Erzählungen tauchen Polaritäten und mehrpolare Persönlichkeitsstrukturen, entweder in einzelnen oder aufgeteilt auf mehrere Protagonist*innen auf. Das Motiv der Androgynie kann dabei symbolisch auf die Figurenkonstellationen übertragen werden. Zurecht werden Hesses Schriften häufig mit den Thesen seines Psychiaters Carl Gustav Jungs in Verbindung gebracht. Da diese Thesen Aspekte des Androgynie-Gedankens aus psychologischer Sicht beleuchten, wird ihnen ein eigenes Kapitel zu eigen.

Im Gegensatz zu Hesse legt Virginia Woolf mit „Ein Zimmer für sich allein“ von 1929 eine deutliche Poetologie der Androgynie vor. So wird die Beschäftigung mit diesem Thema bei den Autor*innen ungleich ausfallen und bei Hesse mehr noch anhand seiner Romanfiguren erfolgen, als es bei Woolf nötig ist.

Ausblickend wird die Frage anvisiert, ob durch die Ästhetik und Inhalte der Schriften der Autor*innen das Geschlechtersystem ihrer Zeit infrage gestellt werden und inwiefern ihre Annahmen heute noch als aktuell gelten könnten.

1 Poesie und Geschlecht

„Aber freudianisch argumentiert müßte man sagen, daß ich mich, indem ich schreibe, faktisch zum Mann gemacht habe – vielleicht kommt daraus meine Desorientierung, weil ich eigentlich ein Mann bin, aber nicht weiß, was ein Mann ist, und daher nicht weiß, was ich bin.“7

Verschriftlichung bedient sich unausweichlich sprachlichen Kategorien. Für die Geschlechter-frage sind es dieser viele. Je nach Perspektive, Überzeugung und zeitlichem Kontext variieren die Einteilung und einen Schritt davor, die Notwendigkeit einer solchen, im Bezug auf das Geschlecht. Eine Definition der Begriffe rund um es herum könnte also verschiedenste Ausprägungen beinhalten. So seien hier nur einige Termini, die für die weiteren Ausführungen grundlegend sind, beschrieben. Auch das Bild auf die Geschlechter zu Zeiten der zu behandelnden Autor*innen soll dargestellt sein, um sich anschließend der Abhängigkeit einer Ästhetik des Textes von Geschlechtsidentitäten nähern zu können.

1.1 Zeitgeschlechtliche Einordnung

Männlich und weiblich sind nach wie vor als Kategorien unseres gesellschaftlichen Wertesystems präsent. Zunächst durch die Frauenrechtsbewegungen, anschließend durch die Frauen-, Geschlechter- und queere Forschung wurde und wird das Zweigeschlechtersystem und seine gesellschaftlichen Auswirkungen in Frage gestellt. Seine Kategorien werden heute je nach Herangehensweise aufgelöst oder erweitert.

Die Geschlechterforschung unterscheidet das anatomische Geschlecht sex vom sozial und kulturell konstruierten Geschlechtsverhalten gender. Dieses ergibt sich aus der Reproduktion vorgegebener Rollenbilder. So wird davon ausgegangen, dass sex nicht mit gender übereinstimmen, beziehungsweise davon abhängig sein muss.8

Diese Differenzierungen wurden um die Diskussion über die Konstruktion von sex anhand anatomischer Merkmale erweitert. Nach Judith Butler beispielsweise sei das biologische Geschlecht ebenfalls ein Auswuchs heteronormativer Reproduktion.9

In der Wissenschaft sowie in bestimmten gesellschaftlichen Kreisen oder auch durch den Einfluss der Transgender-Theorie findet eine Erweiterung der Begriffe und Kategorien für die Geschlechter statt, sodass sich eine geschlechtliche Vielfalt, die weit über die Zuschreibungen männlich und weiblich hinausgeht, abzeichnet.10 Es ist eine Vielfalt, die sowohl in der einzelnen Person, als auch im Hinblick auf die insgesamt verschieden ausgeprägten Geschlechter anzuwenden ist.11

Laut den sexualwissenschaftshistorischen Studien Thomas Laqueurs löste das Modell der zwei Geschlechter erst im 18. Jahrhundert ein one-sex-modell ab, welches die Geschlechtsmerkmale anhand ihrer jeweiligen Ausprägung hierarchisch einteilte. Dabei stellte der Penis den Maßstab für Perfektion dar.12 Das folgende two-sex-modell grenzte das weibliche und das männliche Geschlecht voneinander ab und sprach ihnen außerdem spezifische Eigenschaften anhand ihres sex‘ zu, was die Hierarchie der Geschlechter nicht verabschiedete.13

Die erste Welle der Frauenrechtsbewegung, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts aufkam, forderte dann die politische und gesellschaftliche Mitbestimmung der Frau. Die Forderungen bewegten sich zumeist innerhalb des Zweigeschlechtersystems: Sie beinhalteten die Anerkennung der Differenz der Geschlechter bei gleicher Behandlung.14

Beharrlich misogyne Stimmen, wie die Otto Weiningers, der in seinem Kultbuch „Geschlecht und Charakter“ die Seelenlosigkeit der Frau betonte,15 und emanzipatorische Bewegungen prallten um die Jahrhundertwende aufeinander.16 Die Erfassung des männlichen und weiblichen Typus wurde ebenso aufgeworfen wie die Gleichheit aller Menschen im Sinne der Aufklärung.17

Sigmund Freud proklamierte in seiner Sexualtheorie die Abhängigkeit des Verhaltens eines Menschen von dessen geschlechtlicher Anatomie.18 C.G. Jung dagegen ging von unausgelebten Merkmalen des Pendant zum eigenen Geschlecht in jedem Menschen aus.19 Selbst Weininger vermutet weiblich und männlich konnotierte Eigenschaften in jedem Menschen, wobei aber männlich auf seiner androzentristischen Skala alles Gute und weiblich alles Schlechte umfasst.20

Trotz Errungenschaften der Frauenrechtler*innen, wie das Frauenwahlrecht in Deutschland 1918 und zehn Jahre später auch vollständig in England, traf die gesellschaftliche und politische Gleichheit der Frau weiterhin auf antifeministische Gegenwehr.21

Die Jahre des schriftsteller*inischen Schaffens von Virginia Woolf und Hermann Hesse waren also nicht nur politisch und kulturell geprägt von Gegensätzen, wie Fortschritt und konservative Werte. Auch in Bezug auf das Geschlechterthema ging es turbulent zu.

Virginia Woolf selbst nennt „Kein Zeitalter […] je so einschneidend geschlechtsbewusst […] wie das unsere […] .“22 und begründet dies mit dem Kampf der Frauenrechtsbewegung, der bei den Männern wiederum ein starkes Bedürfnis nach Selbstbestätigung geweckt hätte.23

Von Woolf wird zu ihrer Zeit immer wieder die gesellschaftliche Abhängigkeit der Frau vom Mann betont, auch wenn sie dabei die fortschreitenden Wandel in Richtung Gleichstellung der Geschlechter ständig im Blick hat.24 Über ihren persönlichen Eindruck dieser Zeit schreibt sie, das Schlimmste sei die Verbitterung gewesen, die mit der Unfreiheit, nicht das zu tun was sie wollte, einherging.25

Im ästhetischen Diskurs dieser Zeit spiegelt sich die Vielfältigkeit des Bildes auf Geschlecht und Geschlechtlichkeit wieder. Jahrhunderte alte Vorstellungen und Mythen sowie neue Erkenntnisse der Wissenschaft finden Bedeutung. „In der Literatur wird das Spannungsverhältnis [der Zeit] zwischen Mythos und Moderne in einer spezifischen ,Ästhetik der Ambivalenz‘ deutlich.“26, beschreibt Magdalena Gebala, um zu verdeutlichen, dass Hermann Hesses Weiblichkeitsvorstellungen traditionell sowie modern geprägt sind.27 Auch konstatiert sie, wie, neben den soziokulturellen Veränderungen dieser Vorstellungen in den 1920er und -30er Jahren, die Frau gesamtgesellschaftlich zu einer neuen mythischen Identifikationsfigur wurde. Es sei ein Weiblichkeits- und Mutterschaftsmythos als sozialpsychologischer Gegenentwurf zu den im Krieg gescheiterten Vätern entstanden.28 Als eine Grundlage für die neuen Weiblichkeitsmythen führt Gebala Das Mutterrecht des Anthropologen Johann Jakob Bachofens auf, welches die Mutter als Ursprung der Weltgeschichte betrachtet, sodass das Matriarchat dem Patriarchat vorausgegangen sei. Nach erstmaliger Ablehnung sei Bachofens umstrittenes Werk von sozialistischen, faschistischen sowie feministischen Strömungen seit 1900 wiederentdeckt worden.29

1.2 Die Frage nach einer geschlechtsspezifischen Ästhetik

Weibliches und männliches Schreiben ist schwerlich getrennt von den gesellschaftlichen Umständen unter denen es stattfindet und infolgedessen ebenfalls von den vorherrschenden Rollenbildern für die Geschlechter zu betrachten. Eine aus diesem Schreiben resultierende Poetologie und auch Ästhetik hängt ferner vom jeweiligen Subjekt-, Wirklichkeits- und Körperbegriff ab. Die Relation von Körper und Sprache wird dafür auf die Struktur poetischer Texte bezogen. Mit Ästhetik eines Textes ist hier dessen sprachliche und strukturelle Form, wie auch seine inhaltliche Ausrichtung, abhängig vom schreibenden Subjekt, gemeint.

Viele Überlegungen über geschlechtsspezifisches Schreiben stammen aus weiblicher Perspektive. Warum, wird durch die folgenden Ausführungen deutlich.

Virginia Woolf selbst beschäftige sich mit der Ästhetik von weiblichen Texten. Elementar hierfür ist ihr Vortrag und Essay „Ein Zimmer für sich allein“. Dort ist beschrieben, wie durch Lebensumstände der Frauen ihrer Zeit, Einschränkungen bezüglich der Bildungsteilhabe und Literaturproduktion entstehen.30 Sie führt auf, wie das weibliche Schreiben schon von vorn herein hinter einem anderen Hintergrund steht, als das der männlichen Autoren: Automatisch kommen differente Themengebiete auf. Ohne ein eigenes Zimmer und ohne die Möglichkeit der Horizonterweiterung ist Frauen in der Zeit des frühen zwanzigsten Jahrhunderts der schöpferische Prozess unter erschwerten Bedingungen möglich. Auch würde Literatur von Frauen erst ab dem 19. Jahrhundert verbreiteter, sodass sie eine viel kürzere Geschichte und damit Entwicklungsmöglichkeit als die der Männer aufwiese.31

Im Gegensatz zum Beispiel zu Simone de Beauvoir, die sich einige Jahre nach Woolf mit der Literaturproduktion von Frauen beschäftigte und die es für notwendig erachtet das weibliche Schreiben so weit zu befreien, dass es dem männlichen gleicht – denn die männlich gelebte Subjektivität sieht sie durch den Abzug des Einflusses von Körper und einhergehender gesellschaftlicher Beschränkung, als geschlechtsneutral und ideal an – beschäftigt sich Woolf auch mit der Art des weiblichen Ausdrucksvermögens an sich.32 Inwiefern auch sie allerdings den geschlechtsneutralen Ausdruck fokussiert, wird in den folgenden Kapiteln ausführlicher erläutert.

Der Ansatz, geschlechtsspezifische Schönheitslehren zu bestimmen, bleibt zu diesem Zeitpunkt der Literaturgeschichte schon dahinter zurück, dass sich die des einen Geschlechts gar nicht erst in der Form ausprägen konnten wie die des anderen. Anstatt das eine damit zu viktimisieren, soll lediglich die beschränkte Erkenntnismöglichkeit der danach Suchenden verdeutlicht werden.

Eine weibliche Ästhetik wäre hinter beschränkenden Diskriminierungsmechanismen schwer zu erkennen, heißt es ebenfalls im Bereich der feministischen Literaturwissenschaft der 70er Jahre.33 Karin Richter Schröder beschreibt, wie die Anerkennung durch den männlichen Teil der Gesellschaft sowie der Aufbau eines weiblichen Selbstbewusstseins, mangels historischer Aufeinanderaufbaumöglichkeiten eine Rolle für Inhalt sowie Sprache von weiblichen Texten spielen muss.34 Auch die Untersuchung der Sprache ist mit jener der patriarchalischen Bedingungen unter denen sie entstand, verflochten.35 „Die neue Rede ver-rückt mit der Sprache des Patriarchats zugleich auch dessen Wahrnehmungsstrukturen.“36 Die schreibende Frau kann, ohne einen Schwerpunkt aus diesem Vorfrauschen der sprachlichen Gegebenheiten in ihrer Arbeit zu machen, nicht Dame über einen Ausdruck werden, der keine sexistischen und diskriminierenden Aspekte enthält.

So spielt der Aspekt der weiblichen radikalen Subjektivität im Kontrast zum männlichen objektivierenden Denken in die Diskussion über einen spezifischen Schönheitssinn der Geschlechter mit hinein.37

Helene Cixous beschreibt, wie solch eine weibliche Subjektivität darin gipfeln kann, sich nicht der männlichen und vorgegebenen Art anzupassen. Vielmehr ginge es darum, die durch den Anpassungswunsch verdrängte Weiblichkeit wiederzufinden.38 Sie bezieht sich auf scheinbar im weiblichen Menschen natürlich angelegte Eigenschaften:

Es gibt Gefühlim weiblichen Text, ein Berühren, und dieses Berühren geht durchs Ohr. Weiblich schreiben heißt, das hervortreten zu lassen, was vom Symbolischen abgetrennt wurde, nämlich die Stimme der Mutter, heißt Archaischeres hervortreten zu lassen.“39

Cixous spielt damit auf die Kategorie emotional für das Weibliche und rational für das Männliche an. Dieser gynozentrisch konstruierten Version, einer vom weiblichen Körper abhängigen Vision der Welt, sind die Aussagen Simone de Beauvoir entgegenzuhalten. Sie spricht sich in einem Interview mit Alice Schwarzer dagegen aus, die weibliche Sicht der Welt zu einem Gegenpol der männlichen Realität zu machen. Sprich, keinesfalls einen Gegen-Penis zu erschaffen.40

Nicole Masanek kritisiert ebenfalls die Verhaftung im zweigeschlechtlichen Denken in einigen Arbeiten aus dem humanistisch orientierten Feminismus, welche das Spezifische der weiblichen Kreativität als subversives/anti-phallozentrisches Schreiben kennzeichneten.41 Sie stellt diesem eine dekonstruktiv feministische Untersuchungsgrundlage entgegen, „[...] wobei das Attribut ,weiblich‘ […] keinesfalls im Hinblick auf eine biologisch bestimmte ,Weiblichkeit‘ […] bestimmt werden darf.“42 Sattdessen plädiert sie dafür „ […] die Positionen von Mann und Frau […] nicht mehr als substanzielle sondern alleine als sprachlich verfasste […] “43 zu begreifen.

Ohne weitere feministische Strömungen miteinbeziehen zu müssen, bleibt festzuhalten, dass die Emanzipation einem neutral zu betrachtenden weiblichen Ausdruck entgegen steht. Dieser kann nicht als Opposition zum männlichen angesehen werden. Paradox in diesem Diskurs bleibt, inwiefern sich, die Anklage an ein phallozentrisches Weltbild inbegriffen, entweder ein Gegenpol zum männlichen Schreiben oder auch die Anpassung des weiblichen Schreibens an das männliche entwickeln kann, wenn das schreibende Subjekt nicht näher definiert, sondern, ausgehend von der Trennung von sex und gender, als heterogen begriffen wird.

Deutlich wird: Die Frage nach einer geschlechtsspezifischen Ästhetik bringt die grundsätzliche nach Unterschieden die im sex begründet liegen, mit sich. Sofern davon ausgegangen wird, dass es entweder keine befriedigende oder eine Antwort darauf gibt, die Menschen abzüglich ihrer Sozialisation jedwedem Geschlechts als gleich ansieht, kann eine Ästhetik lediglich im Angesicht eines gender-Konstruktes und eines dualistischen Weltbild untersucht werden.

Für meine Untersuchung bedeutet dies, die sprachlichen Kategorien männlich und weiblich weiterführend im Sinne Masaneks als Positionen innerhalb des Symbolischen zu verwenden.44 Dabei behalten sie zwar indirekt ihren reproduzierenden Charakter, werden aber auch in eine Relationalität gesetzt, welche die Undurchdringlichkeit des Rätsels der Geschlechter-Pole unterstreicht. „So daß Männlichkeit und Weiblichkeit also Konzepte sind, die nicht ,natürlich‘ an ihren Trägern, an Mann und Frau, kleben.“45

[...]


1 Dorpat, Draginja: Wir Weiber. Kunst – Politik – Emotio – Logik und Weltende. Eine Philippika. In: Die Frauen mit Flügeln, die Männer mit Blei? Notizen zu weiblicher Ästhetik, Alltag und männlichem Befinden. Hrsg. von Friederike Hassauer und Peter Roos. Siegen: Affholderbach und Strohmann 1986. S.21.

2 Lüthi, Hans Jürg: Hermann Hesse. Natur und Geist. Stuttgart: Kohlhammer 1970. S.10.

3 Ebenda.

4 Woolf, Virginia: Ein Zimmer für sich allein. Aus dem Englischen übersetzt von Renate Gerhardt. Frankfurt am Main: Fischer taschenbuch Verlag 1981 – 1983. S.113.

5 Ebenda.

6 Transzendentale Harmonie bezieht sich in dieser Arbeit auf einen metaphysischen, erstrebenswerten Zustand. Nach einer Erkenntnis aller vorhandenen Teile in uns sowie dem Erkennen der Erkenntnis selbst, zeichnet ihn ein vollkommenes Menschsein, die Entfaltung von allem, was in uns vorhanden ist, aus. Dabei wird das Verhältnis der Pole weiblich und männlich zu einem schöpferischen Ausdruck in den Blick genommen. Dieser Ausdruck kann nur außerhalb der subjektiven Erfahrung des Männlichen und des Weiblichen in der Welt gefunden werden. Nämlich wenn das Verhältnis der Pole zu einer Vereinigung wird oder die Notwendigkeit der Wahrnehmung dieser angeblichen Gegensätze zerfällt.

7 Jelinek, Elfriede: Dieses vampirische Zwischenleben. Interview mit Dieter Bandhauer. In: Die Tageszeitung 09.Mai 1990. S.16.

8 Vgl. Schößler, Franziska: Einführung in die Gender Studies. Studienbuch Literaturwissenschaft. Hrsg. von Iwan Michelangelo D`Aprile. Berlin: W.Fink 2008. S.10,11.

9 Vgl. Hartmann, Jutta, Klesse, Christian: Heteronormativität. Empirische Studien zu Geschlecht, Sexualität und Macht – eine Einführung. In: Heteronormativität. Empirische Studien zu Geschlecht, Sexualität und Macht. Studien interdisziplinärer Geschlechterforschung. Hrsg. von Jutta Hartmann, Christian Klesse, Peter Wagenknecht, Bettina Fritzsche, Kristina Hackmann. Wiesbaden 2007. S.11.

10 Vgl. Hartmann, J./Klesse, C.: Heteronormativität. S.11.

11 Vgl. Schweizer, Katinka: Grundlagen der psychosexuellen Entwicklung und „ihrer Störungen“. In: Sexuelle Identität und gesellschaftliche Norm. Göttinger Schriften zum Medizinrecht Band 10. Hrsg. von Gunnar Duttge, Wolfgang Engel, Barbara Zoll. Göttingen: Universitätsverlag Göttingen 2010. S.12.

12 Für seine als Theorien erntete Laqueur vermehrt Kritik. Es ist davon auszugehen, dass von der klassischen Antike bis zum 18. Jahrhundert mehr als das von ihm beschriebene Modell der Geschlechter vorherrschte. Vgl.: Voß, Heinz-Jürgen: Wie für Dich gemacht: Die gesellschaftliche Herstellung biologischen Geschlechts. In: Queer leben – queer labeln? (Wissenschafts-)kritische Kopfmassagen. Hrsg. von J. Coffey, K. Köppert, L. ManN*, u.v.a.. Freiburg: fwpf Verlag 2008. S. 153-167.

13 Vgl. Kilian, Evelina: Geschlechtsverkehrt. Theoretische und literarische Perspektiven des gender-bending. Königstein/Taunus: Ulrike Helmer 2004. S.24 – 31.

14 Vgl. Gerhard, Ute: Die „langen Wellen“ der Frauenbewegung – Traditionslinien und unerledigte Anliegen. In: Das Geschlechterverhältnis als Gegenstand der Sozialwissenschaften. Hrsg. von Regina Becker-Schmidt, Gudrun-Axeli Knapp. Frankfurt am Main: Campus Verlag 1995. S.248 – 250.

15 Vgl. Weininger, Otto: Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung. München: Matthes & Seitz Verlag 1980. S.240.

16 Vgl. Gerhard, Ute: Frauenbewegung und Feminismus. Eine Geschichte seit 1789. München: Beck 2009. S. 6.

17 Vgl. Schößler, F.: Einführung in die Gender Studies. S.30.

18 Vgl. Bock, Ulla: Androgynie und Feminismus. Frauenbewegung zwischen Institution und Utopie. Ergebnisse der Frauenforschung. Band 16. Hrsg. an der Freien Universität Berlin. Weinheim, Basel: Beltz 1988. S.153 ff.

19 Vgl. Jung, Carl Gustav: Welt der Psyche. Geist und Psyche. 4.Auflage. München: Kindler 1973. S.80.

20 Vgl. Weininger, O.: Geschlecht und Charakter. S.352.

21 Vgl. Verordnung über die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung: Reichswahlgesetz vom 30.11.191. In: documentArchiv.de http://www.documentArchiv.de/wr/1918/reichswahlgesetz.html (15.08.2015).

22 Woolf, V.: Ein Zimmer für sich allein. S.114.

23 Vgl. Ebenda. S.114.

24 Vgl. Ebenda. S.26.

25 Vgl. Ebenda. S.45.

26 Gebala, Magdalena: MutterMale. Zur Imagination des Mütterlichen in Hermann Hesses Prosawerk zwischen 1900 und 1930. Würzburger Wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft. Band 754. Würzburg: Königshausen und Neumann 2012. S.9.

27 Vgl. Ebenda.

28 Vgl. Ebenda. S.114.

29 Vgl. Ebenda. S.92 – 97.

30 Vgl. Ebenda. S.26 ff.

31 Vgl. Woolf, V. : Ein Zimmer für sich allein. S.75.

32 Vgl. Ebenda. S.53 – 55.

33 Vgl. Rinnert, A.: Körper, Weiblichkeit, Autorschaft. S.52.

34 Vgl. Richter-Schröder, K.: Frauenliteratur und weibliche Identität. S.20 – 36.

35 Vgl. Ebenda. S.36 – 39.

36 Hassauer, Friederike: Ist die Frau ein Mensch? 10 Thesen zur Geschichte der Frauenfrage. In: Die Frauen mit Flügeln, die Männer mit Blei? Notizen zu weiblicher Ästhetik, Alltag und männlichem Befinden. Hrsg. von Friederike Hassauer u. Peter Roos. Siegen: Affholderbach und Strohmann 1986. S.142.

37 Vgl. Ebenda. S.59, 60.

38 Vgl. Cixous, Helene: Die Weiblichkeit in der Schrift. Berlin: Merve 1980. S.85, 86.

39 Ebenda.

40 Vgl. Beauvoir, Simone de: Interview mit Alice Schwarzer. In: Der Spiegel. 30.Jg. April 1976.

41 Vgl. Masanek, Nicole: Männliches und weibliches Schreiben? Zur Konstruktion und Subversion in der Literatur. EPISTEMATA Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft. Band 521. Würzburg: Königshausen & Neumann 2005. S.18, 19.

42 Ebenda. S.57.

43 Ebenda. S.59.

44 Vgl. Ebenda. S.59.

45 Hassauer, F.: Ist die Frau ein Mensch?. S.143.

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Transzendentale Harmonie. Das Motiv der Androgynie in den Poetologien von Virginia Woolf und Hermann Hesse
Hochschule
Universität Hildesheim (Stiftung)  (Institut für deutsche Sprache und Literatur)
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
41
Katalognummer
V983799
ISBN (eBook)
9783346339584
ISBN (Buch)
9783346339591
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Virginia Woolf, Hermann Hesse, Poesie und Geschlecht, Androgynie, androgyne Autor*innenschaft
Arbeit zitieren
MA Meike Exner (Autor:in), 2015, Transzendentale Harmonie. Das Motiv der Androgynie in den Poetologien von Virginia Woolf und Hermann Hesse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/983799

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