Rhetorik und Affektenlehre bei Johann Mattheson


Hausarbeit (Hauptseminar), 2000

32 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Biografischer Abriss

3. Der Aspekt der Rhetorik: die Klangrede
3.1. Die Redegattungen und Stile
3.2. Die Produktionsstadien
3.2.1. Inventio
3.2.2. Dispositio
3.2.3. Elaboratio, Decoratio und Executio

4. Der Aspekt der Affekte
4.1. Begriff und Wirkungsweise der Affekte
4.2. Die Affektwirkungen in der Musik
4.2.1. Die Affektwirkung der Intervalle
4.2.2. Die Affektwirkung der Rhythmen
4.2.3. Die Affektwirkung der Tanztypen
4.2.4. Die Affektwirkung der Harmonie
4.2.5. Die Affektwirkung der Tonarten

5. Zusammenfassende Würdigung

Anhang

Literaturangaben

1. Einleitung

"Ein Redner und ein Musikus haben sowohl in Ansehung der Ausarbeitung der vorzutragenden Sachen, als des Vortrages selbst, einerley Absicht zum Grunde, nämlich: sich der Herzen zu bemeistern, die Leidenschaften zu erregen oder zu stillen, und die Zuhörer bald in diesen, bald in jenen Affect zu versetzen." (J. J. Quantz1 )

Kraftvolle und spannungsgeladene Bewegtheit war das Hauptkennzeichen des neuen Kunststils, der sich um das Jahr 1600 in Europa zu etablieren begann. Statt der ausgeglichenen Ebenmäßigkeit und erhaben-ruhenden Formvollendung, die die Kunst der vorangegangenen Epoche der Renaissance kennzeichnet, brachen sich nun zunehmend geschwungene Formen von kraftvoller Dramatik Bahn, die sich durch außerordentlich reiche Schmuckentfaltung auszeichnen. Die üppigen Frauengestalten eines Peter Paul Rubens verdrängten nun die schlanken Jünglingsstatuen, eine neue Sinnlichkeit triumphierte über die erhabene Kühle der alten Zeit. Von diesem Stilwandel war natürlich auch die Musik dieser Zeit, welche wir seit den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts "Barock" zu nennen gewöhnt sind, betroffen: der eher schmale, feine Klang der Gamben wurde verdrängt von dem kraftvolleren, expressiveren der Violinenfamilie, die ja auch in ihrer äußeren Gestaltung ein typisches Produkt der neuen Zeit darstellen. Die starke subjektive Ausdruckskraft der monodisch geführten Gesangsstimme in der Florentiner Oper2 löste den kunstvoll verflochtenen vielstimmigen Chorsatz der Renaissancemeister3 ab; das Vortragsideal wurde nunmehr das "cantare con affetto"4, und Monteverdi, der erste Genius der neuen Zeit, schuf sich dazu noch einen besonders erregten Stil, den "stile concitato"5, um noch stärkere Gemütsbewegungen ausdrücken zu können.

Treibende Kraft dieser Umwälzungen war - neben dem Willen zur Wiedererweckung antiker Dramenaufführungen im Umkreis der Florentiner Camerata - ein grundlegender Wandel in der Funktionsbestimmung von Musik: der Darstellung und Erregung menschlicher Gefühle und Leidenschaften durch die Musik wurde nun die wesentliche, ja zentrale Bedeutung beigemessen. Zwar war diese Forderung nicht neu - ging es doch auch in der affektorientierten Mehrstimmigkeit6 der Spätrenaissance um gefühlsbetonte Wortausdeutung - , erst durch Beschränkung auf die einzelne Stimme aber konnte der Darstellung leidenschaftlicher Gemütsbewegungen derart wirkungsmächtig werden. Bezeichnend dabei ist, dass bereits am Geburtsort des neuen Stils, der Florentiner Camerata, der Affektausdruck von Musik unmittelbar an den Wortausdruck gebunden war. Die "Aufführungspraxis" der antiken Dramen, die man dort wiederentdecken wollte, stellte das

Wort, stellte den Text des Dramas in den Mittelpunkt. Demnach hatte die Musik die Aufgabe, die Rhetorik des Vortrages durch eine sparsame instrumentale Begleitung zu unterstützen.

Und die Rhetorik suchte ihre Wirkung ja seit altes her in der Überredung der Zuhörer mittels Gefühl und Verstand: durch Belehrung und Aufstachelung der Leidenschaften7. Somit erwächst die nun so eindringlich erhobene Forderung nach Affektdarstellung in ihrem Kern aus der Funktion der Rhetorik selbst: die Musik übernimmt die Aufgabe, an das Gefühl, an die Leidenschaften zu appellieren, während der Wortsinn den Verstand der Zuhörer anspricht. Die Sprache selbst - wie es Nikolaus Harnoncourt8 treffend formuliert - wurde in der ihr innewohnenden Dramatik nun zur Grundlage von Musik, ja, man möchte gar hinzufügen: zum Inhalt von Musik überhaupt.

Doch die Verbindung von Affekt und Rhetorik, die für die Musik der Barockzeit so kennzeichnend wurde, beschränkte sich nicht nur auf die vokalen Gattungen. Vielmehr wurde das Vorbild des redenden, des rednerischen (Gesangs-)Vortrags nun auch auf die Instrumentalmusik übertragen, der man die Kraft zusprach, Affekte auch ohne die Mithilfe von Worten erregen zu können, wie es Neidhardt 1706 beschreibt: "Der Music Endzweck ist, alle Affecten, durch die blossen Tone und deren rhythmum, trotz dem besten Redner, rege zu machen."9. Johann Mattheson, dessen musikästhetische Ansichten im Rahmen dieser Arbeit eingehender untersucht werden sollen, beruft sich in seinem Buch "Der vollkommene Capellmeister" ausdrücklich auf diese Position, wenn er ausführt: "Allein, man muß doch hierbey wissen, daß auch ohne Worte, in der blossen Instrumental-Music allemahl und bey einer jeden Melodie, die Absicht auf eine Vorstellung der regierenden Gemüths-Neigung gerichtet seyn müsse, so daß die Instrumente, mittels des Klanges, gleichsam einen redenden und verständlichen Vortrag machen."10. Am klarsten spricht vielleicht Johann Joachim Quantz die tiefwurzelnde Verbindung von Rhetorik und Affektdarstellung in der ausgehenden Barockzeit aus, wenn er im vorangestellten Zitat von "einerley Absicht" des Musikers und des Redners spricht, die darin bestehe, "sich der Herzen zu bemeistern, die Leidenschaften zu erregen oder zu stillen".

Der Musiker und Musikschriftsteller Johann Mattheson nimmt in der Musikästhetik des 18. Jahrhunderts eine herausragende Stellung ein. Nicht nur, dass er in Hamburg, der einzigen deutschen Stadt mit einem zumindest zeitweise in hoher Blüte stehenden bürgerlichen Opernunternehmen, mit so bedeutenden Musikern wie Reinhard Keiser11, Georg Philipp Telemann12 und Georg Friedrich Händel13 verkehrte; allein die Reichhaltigkeit und Diskursivität seines musikschriftstellerischen Werkes und dessen weitreichende Akzeptanz in der Musikwelt machen ihn zum wichtigsten deutschsprachigen Theoretiker des beginnenden 18. Jahrhunderts. Dabei enthält vor allem sein Hauptwerk, "Der vollkommene Capellmeister" von 1739, eine schier unerschöpfliche Fülle von Aussagen zu fast allen Aspekten der Musiktheorie und -praxis, des Musikschaffens und der musikalischen Ästhetik. Matthesons Hang zu Systematisierung und enzyklopädischer Darstellung machen seine Schriften, allen voran der "Vollkommene Capellmeister", nicht nur zu herausragenden musikgeschichtlichen und musikästhetischen Quellen - besonders im Hinblick auf die "historische" Aufführungspraxis -, sondern auch zu selbst heute noch mit Gewinn zu lesenden Werken. Aufgrund der Vielfältigkeit des musikschriftstellerischen Werks Matthesons erscheint es notwendig, die Erörterung desselben im Rahmen dieser Arbeit einzugrenzen. Daher sollen im folgenden nach einer kurzen biographischen Notiz ausschließlich die Aspekte der Rhetorik und der Affektenlehre untersucht werden, die, wie eingangs beleuchtet, im musikästhetischen Denken des Barock eine zentrale Rolle spielen. Die Melodienlehre, der Mattheson in seinem Werk eine herausragende Stellung einräumt, soll dabei allerdings nicht unerwähnt bleiben, da die Melodie seiner Meinung nach der wichtigste Träger des Affektausdruckes ist.

2. Biographischer Abriss

Diese jungen Musiker hatten öftern Streit um den Vorrang auf den Klavierinstrumenten; und in ihren verschiedenen Versuchen hatte Händel beständig den Vorzug auf der Orgel, ob ihn gleich Mattheson zuweilen auf dem Flügel gleichkam. (Ch. Burney)14

Johann Mattheson wurde am 28. September 1681 in Hamburg geboren, wo er bereits ab seinem sechsten Lebensjahr Klavier- und Kompositionsunterricht genoss. Bis 1793 besuchte er das Hamburger Johanneum; daneben erweiterte er seine Allgemeinbildung noch durch Privatunterricht in den Fächern Englisch, Französisch und Italienisch sowie Tanzen und Reiten. Eine Universität hat er nie besucht.

Bereits als Neunjähriger trat Mattheson als Sopranist in öffentlichen Konzerten auf, in denen er gleichzeitig auch den Generalbass spielte. Im selben Jahr noch kam er auch an die Hamburger Oper, die er selbst als seine "musikalische Universität"15 bezeichnete. Mattheson wirkte dort nicht nur als Sänger, der seit 1697 hauptsächlich die Hauptrollen ausführte, sondern auch als Korrepetitor und ab 1699 auch als Komponist und Dirigent. 1703 lernte er dort den damals 18-jährigen Händel kennen, dem er bei der Komposition seiner ersten Oper "Almira" beratend zur Seite stand.

Der allmähliche Niedergang der Hamburger Opernbühne scheint der Grund dafür gewesen zu sein, dass auch Mattheson im selben Jahr, in dem Händel seine Italienreise antrat, die Oper verließ: er nahm 1706 die Berufung zum Sekretär des englischen Gesandten in Hamburg an. Mehrmals waren ihm bis dahin bereits hervorragende Organistenstellen - wie z.B. die Nachfolge Buxtehudes an der Lübecker Marienkirche16 - angeboten worden, die er jedoch für unter seiner Würde17 ablehnte.

In die Zeit als Diplomat fallen auch seine ersten Arbeiten als Musikschriftsteller. 1713 publiziert er "Das Neu-Eröffnete Orchestre", dem eine Fülle weiterer Drucke folgen, mit denen er lebhafte, teilweise scharf geführte Fachdebatten - teilweise auch unter dem Pseudonym Aristoxenos junior - provozierte. Im Jahre 1718 wurde seine wohl meistbeachtete Komposition, das Passionsoratorium "Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus" im Hamburger Dom aufgeführt, die ein so großes Echo fand, dass die Aufführung ein Jahr später wiederholt wurde. Im selben Jahr wurde ihm auch das Amt des Kirchenmusikdirektors am Hamburger Dom St. Michaelis zugesprochen, das er zehn Jahre später wegen seiner zunehmenden Ertaubung niederlegte. Den Höhepunkt seiner musikalischen Karriere bildete zweifellos die Berufung zum Kapellmeister des Herzogs von Holstein im Jahre 1719; die diplomatische Karriere krönte sich mit der Ernennung zum Legationssekretär und später zum Legationsrat des holsteinischen Herzogs in den Jahren 1741 und 1744. Trotz dieser Ehren behielt er jedoch die Stellung als Gesandtschaftssekretär auch weiterhin bei.

Mattheson starb, hochgeehrt, am 17. April 1764 im Alter von 82 Jahren in Hamburg. Als letzte eigene Komposition verfertigte er ein "Epizedium", welches Telemann dann während der Trauerfeierlichkeiten in der langjährigen Wirkungsstätte Matthesons, der Hamburger St. Michaeliskirche, aufführte.

3. Der Aspekt der Rhetorik: Die "Klang-Rede"

"Weil nun die Instrumental-Music nichtes anderes ist, als eine Ton-Sprache oder Klang-Rede, so muß sie ihre eigentliche Absicht allemahl auf eine gewisse Gemüths-Bewegung richten " (J. Mattheson)18

Wie in der Einleitung bereits gezeigt wurde, fasste das Barockzeitalter die Musik als KlangRede auf. Ein derartiger Leitsatz fordert nicht nur von den Sängern und Instrumentalisten einen sprechenden, "gleichsam einen redenden und verständlichen Vortrag"19, sondern stellt auch den gesamten musikalischen Schaffensprozess in eine Analogie zur Rhetorik, ihren Beschreibungsmöglichkeiten und den darin geltenden Regeln, was sich in Matthesons "rhetorisch-musikalischer Schaffenstheorie" äußert20.

Dabei muss in Rechnung gestellt werden, dass im humanistisch orientierten Schulsystem die Grundlagen der Rhetorik neben der Grammatik und Dialektik (Philosophie) zu den wichtigsten Bildungsgütern21 gehörten, die in den Schulen noch vor der Mathematik rangierten und damit strukturell tief im Denken des Barock und der Aufklärung verankert waren. Gattungen einer Rede, deren Stile, Produktionsstadien, Aufbau u.a.m. waren den gebildeten Schichten demnach aufs Beste vertraut. Der Vergleich der Musik mit einem rednerischen Vortrag rief also für die Zeitgenossen weitläufige Assoziationsketten hervor und brachte gleichzeitig die noch recht unfertige Musikanschauung mit einem vollständigen und akribisch beschriebenen Theoriegebäude in Verbindung.

3.1. Die Redegattungen und Stile

Die erste wichtige Analogie zwischen dem Verfertigen einer Rede und dem einer Komposition ist die Unterteilung in die Redegattungen. Nach dem Vorbild der antiken Rhetorik, die die Arten der Rede nach ihren Zwecken unterschied und nach dem Ort der Verwendung bezeichnete, wurde auch in der Musik verfahren. Wie die klassische Rhetorik die Gerichtsrede, die politische Rede und die Fest- bzw. Prunkrede unterschied, welche später noch um die geistliche Rede (Predigt) erweitert wurden, unterteilt Mattheson die "musicalischen Schreib-Arten" in den Kirchen-, den Theater- und den Kammerstil. So wie sich beispielsweise die Gerichtsrede und die Predigt vor allem dadurch unterscheiden, dass sie auf jeweils verschiedene Reaktionen beim Zuhörer ausgehen, so sind auch z. B. für den "Kirchen-Styl" nicht Ort und Zeit der Aufführung das Entscheidende, sondern dessen Zweck: die Ausrichtung auf den "Gottes-Dienst selbst, auf die geistlichen Verrichtungen und auf die eigentliche Andacht oder Erbauungs-Sachen"22.

Bei der Einteilung in Kirchen-, Theater- und Kammerstil beruft sich Mattheson ausdrücklich auf Marco Scacchi23, der diese Einteilung bereits vor 1650 vorgenommen hatte. Wie dieser unterteilt auch Mattheson die drei genannten "Schreib-Arten" noch weiter, ohne jedoch dessen wie er schreibt "schlechtunterschiedene" Differenzierung zu übernehmen. Seine eigene Unterteilung ist jedoch in sich auch nicht konsistent. So ordnet er beispielsweise unter den "Theatralischen Styl" in fragwürdiger Systematik den "Madrigal-Styl", den "Dramatischen Styl", den "Instrument-Styl", den "hyporchematischen Styl" (für Tanzstücke), den "fantastischen Styl" als auch den "melismatischen Styl"24. Zur Problematisierung dieser Unterteilung soll hier nur die Frage in den Raum gestellt werden, ob denn nicht der "Instrument-Styl" sowohl fantastisch als auch dramatisch sein könne? Neben der Einteilung der Reden in die genannten Gattungen kennt die klassische Rhetorik noch die Unterteilung in drei Stile, die nach Cicero als hoher, mittlerer und niedriger Stil bezeichnet werden. Unter dem Eindruck dieser Lehre stellt Mattheson fest, dass sowohl das Hohe bzw. Pathetische als auch das Niedrige prinzipiell in allen drei vorgenannten "SchreibArten" zu finden ist. Da sie demnach für sich allein genommen in der Musik noch keinen Stil ausmachen könnten, müssten sie sich, wie "Diener nach ihren Herren"25, den Schreibarten - sprich den verschiedenen Zwecken der Musik - unterordnen.

3.2. Die Produktionsstadien

Wenn sich der Komponierende über den Zweck und Stil des zu verfertigenden Werkes klar geworden ist, bestehen die nächsten Schritte nun in der Planung und Ausführung desselben. Auch dafür gibt es in der Rednerkunst genaue Ausführungsvorschriften, die Mattheson denn auch für den musikalischen Schaffensprozess fruchtbar macht. In enger Anlehnung an die in der klassischen Rhetorik geltenden fünf Produktionsstadien einer Rede26 gliedert er den Entstehungsprozess eines Musikwerkes folgendermaßen:

1. inventio, d.i. die Erfindung27,
2. dispositio, d.i. "die geschickte Einrichtung"28,
3. elaboratio, d.i. "die fleißige Ausarbeitung",
4. decoratio, d.i. "die gescheute Schmückung des melodischen Werks",
5. execution, d.i. "von der wircklichen Aus- und Aufführung".

Bei der näheren Besprechung der rhetorischen Aspekte in den Schriften Matthesons sollen nun die relevanten Gesichtspunkte diesen Produktionsstadien zugeordnet und erläutert werden.

3.2.1. Inventio

Dem Aspekt der Erfindung sowohl von Themen als auch von Melodien legt Mattheson in seiner Schrift "Der vollkommene Capellmeister" ein besonderes Augenmerk bei. Dabei beschäftigen ihn vor allem die Erfindung von Themen mit Hilfe der - auf Johann David Heinichen zurückgehenden - 15 "loci topici" oder Erfindungshilfen, darüber hinaus die Regeln, nach denen eine gute Melodie gearbeitet sein müsse und natürlich die notwendig dazu Pate stehenden Affekte und Leidenschaften.

Das Kapitel "Von der melodischen Erfindung" eröffnet Mattheson mit den folgenden Worten: "Das ist ein herrlicher Titel, wird mancher dencken: da muß es lauter schöne Einfälle regnen!

Aber ich fürchte, wer keine natürlichen Eigenschafften mit sich bringet, dürffte wenig Trost aus diesem Unterrichte schöpffen"29. Klar offenbart sich hier, dass die "wirckende Geschicklichkeit in Erfindung und Verfertigung solcher singbaren Sätze"30 nicht wirklich zu lehren ist: sie beruht auf einer Fähigkeit, die sich aus natürlicher Anlage und Wissen durch Ausbildung wie Erfahrung gleichermaßen zusammensetzt, also nur ausgebildet werden kann, wenn der Grundstock dafür bereits vorhanden ist. Auch mit dieser Position bezieht er sich klar auf die klassische Rhetorik, was der ausdrückliche Bezug auf Quintilian noch unterstreicht. An anderer Stelle wird er in dieser Beziehung noch deutlicher, wenn er schreibt: "Daß sich aber kein Maitre findet / einem die Invention beizubringen / solches kommet daher / weil sie ... keine zu erlangende / sondern eine angebohrne gute Eigenschafft erfordert"31.

Wenn er sich im Anschluss daran doch mit den bereits erwähnten "loci topici" beschäftigt, die eine Um-Interpretation der Auffindungs-"Orte" für die Argumente einer Rede darstellen, so geschieht das ausdrücklich nur für den "Nothfall", dass manchem damit "unter die Arme gegriffen" werden könne, "daß er seinen beiwohnenden Gaben die hülffliche Hand biete, und mit denselben auf die rechten Sprünge komme"32. Keine Rede kann also bei Mattheson davon sein, dass es ihm darum gegangen sein könne, Kleinmeistern (über die er sich im übrigen oft genug abfällig äußert) durch einen Griff "ins Schubfach dieser ´Kenntnisse und Erfahrungen´"33 das Komponieren beizubringen, wie sich die Mattheson-Rezeption vor allem der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts - und oft noch bis in unsere Tage hinein - vernehmen ließ. Es ist an der Zeit, mit diesem über Jahrzehnte weitergeschleppten Vorurteil aufzuräumen: die Quellen selbst sprechen dagegen.

Unter den "loci topici", die er als "artige Hilffs-Mittel" beschreibt, gesteht Mattheson ("ob ich gleich selbst, meines Orts, keinen grossen Staat darauf mache"34 ) dem "locus notationis"35 die größte Kraft zu; die Veränderung der Gestalt und Länge der Notenwerte sowie ihre Verkehrung, Verwechslung, Wiederholung usw. geben seiner Meinung nach Anlass zu "schier unzehligen Veränderungen" bereits vorhandener Melodiegänge. Zum "locus descriptionis36 ", dem zweiten der loci topici, gehört nach Mattheson das "unergründlich genannte Meer von den menschlichen Gemüths-Neigungen ... wenn diese in Worten beschrieben oder abgemahlet werden sollen"37. Somit umfasst diese Erfindungshilfe die Gesamtheit aller menschlichen Affekte, die durch Musik ausgedrückt werden können: hierher gehört demnach die gesamte Affektenlehre, der Mattheson einen Großteil seiner heutigen Bekanntheit verdankt. Sich darüber letzte Klarheit zu verschaffen, welchen Affekt das Musikstück wirklich ausdrücken soll, ist dabei seine wichtigste Empfehlung an den ratsuchenden Komponisten. Aufgrund des Umfanges und der Bedeutung der Affektenlehre soll die Betrachtung dieses Aspektes aber in das nächste Kapitel ausgelagert werden. Die nächstfolgenden "loci"38 erreichen laut Mattheson selbst zusammengenommen bei weitem nicht die Bedeutung der beiden erstgenannten. Aus diesem Grunde fallen die Anmerkungen dazu dann auch äußerst sparsam aus. Deutlich wird auch darin wieder seine unübersehbare Distanzierung gegenüber der Lehre von den loci topici überhaupt. In der 26 Jahre zuvor erschienenen Schrift "Das Neu-Eröffneten Orchestre" äußert er sich sogar noch ausgesprochen höhnisch darüber: "Was die bekannten loci topici, ... dazu helfen / und vor Wunder-Wercke bey der Invention verrichten / solches mag einer wissen / der seine armselige Zuflucht zu dem barmherzigen Vers nehmen muß: ´Quis, Quid, ubi, quibus auxiliis, cur, quomodo, quando.´39 "

Am Ende dieses Kapitels allerdings verweist Mattheson noch auf eine "besondere Erfindungs- Art", die er die "unvermuthete, unerwartete und gleichsam ausserordentlich-eingegebene nennet"40. Dazu rät er zum Beispiel, Werke eines vortrefflichen Komponisten zu studieren sowie möglicherweise auch überraschende, unerwartete Änderungen innerhalb einer Melodie anzubringen - wie sie uns beispielsweise in den Werken Carl Philipp Emanuel Bachs entgegentreten. Am fruchtbringendsten sei es allerdings, wenn man sich "eine Leidenschaft fest eindrückt, und sich gleichsam darin vertieft, als wäre man in der That andächtig, verliebt, zornig, hönisch, betrübt, erfreuet, u.s.w. dieses ist gewiß der sicherste Weg zu gantz unvermutheten Erfindungen."41. Mittels Studium der Besten zur kreativen Erfindung durch eigene Affektiertheit: das ist der Königsweg des Hamburger Gelehrten, das ist das Credo Matthesons.

Allerdings sollten seiner Meinung nach bei der Verfertigung einer Melodie gewisse Regeln eingehalten werden, die er in der Folge selbst aufstellt. Dabei begreift er in der Nachfolge Rameaus42 die Melodie als das Grundlegende und Wesentliche der Musik; erst die Melodie dürfe seiner Meinung nach die Harmonie hervorbringen. Eine einzige Stimme vermag seiner eigenen Erfahrung nach oft mehr zu rühren als "alle harmonischen Künste", und wenn die Melodie nicht zu rühren vermag, wird es auch die beste harmonische Ausarbeitung derselben

nicht vermögen. Aus dieser Sonderstellung der Melodie, die bereits auf die Emanzipation der Melodie im Zeitalter der Klassik vorausdeutet, ergibt sich auch die besondere Sorgfalt, die er bei der Ausarbeitung einer Melodie angewendet wissen will.

Symptomatisch für seinen systematisierenden Geist, stellt Mattheson der Abhandlung über die Melodie eine Definition derselben voraus: sie sei "Ein feiner Gesang, worin nur einzelne Klänge so richtig und erwünscht auf einander folgen, daß empfindliche Sinnen dadurch gerühret werden." Systematisch entwickelt Mattheson daraus dann die Anforderungen, die an eine gute Melodie zu stellen seien: dass sie "vor allen Dingen leicht, deutlich, fliessend, und lieblich sein muß"43. Für jede dieser Eigenschaften gibt er daraufhin eine Reihe von Regeln, die der Komponierende bei der Erfindung zu beachten habe. Sie sollen im Folgenden kurz angerissen werden.

Zur Verwirklichung der Leichtigkeit fordert Mattheson, dass in allen Melodien etwas allgemein Bekanntes sein soll, dass Gezwungenes und allzu "grosse" Kunst zu vermeiden - worin die Franzosen mehr als die Italiener nachgeahmt werden sollten -, dass dem Natürlichen eher als dem Allgemein-Üblichen zu folgen sei und der Umfang der Melodie wie auch die Länge derselben beschränkt sein sollten.

Die Deutlichkeit einer Melodie erfordert nach Mattheson mehr Gesetze, wozu er die genaue Einteilung der Einschnitte - in der Instrumentalmusik genauso wie bei Vokalwerken - nennt, das Verwirklichen der entsprechenden Leidenschaft sowie der Schreibart, die Beibehaltung der Taktart, wenn ein Wechsel derselben keine zwingenden Gründe habe, das Setzen von Schlüssen nur auf der "ordentlichen Theilung" des Taktes, weiterhin die Beachtung des Wortakzents, wobei das Schwergewicht nicht auf den Wörtern, sondern auf deren Sinn und Verstand gerichtet sein müsse, und die behutsame Vermeidung von Verzierungen ("Verbrämung"). Erreicht werden solle letztendlich eine "edle Einfalt im Ausdrucke"44. Zur Erlangung des fließenden Wesens sei es wesentlich, dass die Melodie in ihrem Lauf nicht zu häufig in ihrem natürlichen Fortgang aufgehalten werde, sie also möglichst wenige förmliche Schlüsse enthalte, welche dann notwendigerweise eine gewisse Verbindung mit dem Darauffolgenden haben müssen. Des Weiteren rät er zu einer gewissen Gleichförmigkeit der Rhythmen, zur Vermeidung harter, chromatischer Gänge und allzu sehr punktierten Rhythmen, was vor allem für den Gesang gilt.

Für die Leichtigkeit empfiehlt er, kleine Intervalle den größeren vorzuziehen, eine interessante Abwechslung in den Intervallstufen, Zurückhaltung bei Läufen, die Beachtung der Proportionen und gut dosierte Wiederholungen sowie den Beginn eines Stückes in eng verwandten Tonarten zu halten. Originell ist sein Vorschlag, "Allerhand unsingbare Sätze zusammen (zu) tragen, um sich vor dergleichen zu hüten", und andererseits "Wohlklingende zu Mustern aus(zu)ersehen und (zu) sammeln"45.

Deutlich spürt man gerade in diesen Betrachtungen über die Melodie Matthesons

Grundeinstellung, dass das Vorbild jeglicher Musik der Gesang sei. Dies spricht er auch explizit aus, wenn er dem gesamten Werk das Motto voranstellt: "Alles muß gehörig singen."46

3.2.2. Dispositio

Mit einer glücklichen Erfindung ist indes das Werk noch nicht fertig. Wie Quintilian, der erste öffentlich besoldete Rhetorik-Professor des Abendlandes, in seinem berühmten Werk "Die Ausbildung des Redners" das Verfassen einer Rede mit dem Errichten eines menschlichen Standbildes vergleicht, welches nur gelingt, wenn die richtig gegossenen Körperteile auch sachgerecht zusammengefügt werden47, weist auch Mattheson auf die entscheidende Bedeutung der Anordnung und Ausarbeitung der Melodien hin: "Wir haben nicht wenig Exempel von Ton-Künstlern, die ziemlich reich an Erfindungen sind; denen aber das Feuer bald ausgehet, und die, wegen versäumter guten Einrichtung, daran sie schier niemahls gedencken, keine Sache recht ausarbeiten, noch bis ans Ende verharren." und weiter: "Es ist etwas seltenes diese Verknüpffung anzutreffen: so wie Schönheit und Tugend in einer eintzigen Person."48

Unter der Disposition versteht Mattheson dabei "eine nette Anordnung aller Theile und Umstände in der Melodie, oder in einem gantzen melodischen Wercke"49, und weil die Einrichtung eines Musikwerks von der einer Rede nur im Gegenstand unterschieden sei, wendet er auch dafür ein Gliederungsmodell aus der Rhetorik an. Demnach solle ein Musikstück in Eingang, Bericht, Antrag, Bekräftigung, Widerlegung und Schluss gegliedert sein50. Auch diesbezüglich warnt er vor pedantischer Befolgung einer Schulmeinung, zeigt das Vorhandensein dieser Elemente aber anschließend zur Veranschaulichung in einer Arie von Marcello auf.

Der Eingang eines Musikwerkes könne dabei laut Mattheson in einem Vorspiel des Generalbasses bestehen, der auf den Bericht, z.B. den Einsatz der Gesangsstimme hinführt und mit diesem in einem geschickten Zusammenhang stehen soll. Den Antrag, der der eigentliche Vortrag sei, findet er beispielsweise in einer nun folgenden Abwandlung der Melodie, die Widerlegung in der Auflösung der Einwürfe - wie etwa Dissonanzen -, und die Bekräftigung in einer wohlersonnenen Wiederholung. Der Beschluss einer Klangrede besteht gewöhnlich in der Wiederholung des Eingangsabschnitts - hier ein Da capo -, welchem damit zwei Funktionen zukommen.

Wenn auch die Analyse der Marcelloarie in dieser Beziehung nicht restlos überzeugen kann - zu vage erscheint die Zuordnung der einzelnen Teile -, so bietet er mit der Dispositionsinterpretation doch ein nicht uninteressantes Analyseinstrument an. Wie die drei- bzw. fünfaktige Dramendisposition beispielsweise nachweislich auf die klassische Rhetorik zurückführbar ist, erscheint es durchaus sinnvoll, eine ähnliche Gliederung nicht nur im

Aufbau einer Oper, sondern auch in anderen Musikwerken zu suchen. Dass dabei die Ausrichtung auf eine genau sechsteilige Untergliederung der Praxis nicht wirklich gerecht werden kann, versteht sich fast von selbst - schließlich haben sich nicht nur in der Rednerkunst eine ganze Reihe verschiedenster Dispositionsmöglichkeiten entwickelt, die nicht auf einen einfachen Nenner zu bringen sind und von einer einfachen Zweiteilung bis hin zu außerordentlich komplexen Gliederungen reichen51.

Auch die Ausführungen Matthesons über die Ab- und Einschnitte in der Klangrede gehören in den Bereich der Dispositio, wenn sie auch Elemente der Melodiebildung in engeren Sinne mit umfassen. Auch hiermit knüpft er an die Redekunst an, sieht er doch eine Melodie wie auch ein ganzes Musikstück ebenso aus musikalischen Worten, Sinnabschnitten bzw. Perioden, Nebensätzen und Sätzen aufgebaut wie die einzelnen Abschnitte bzw. Paragraphen einer Rede. Eine Arie entspräche demnach einem Paragraphen, der sich aus mindestens zwei verschiedenen Abschnitten (Sätzen) mit mehreren einzelnen Melodiebögen (Perioden) zusammensetzt, die wiederum aus mehreren Motiven (in etwa den Wörtern entsprechend) aufgebaut sind. Mehrere verschiedene Arien, Rezitative oder Chöre (Paragraphen) fügen sich dann also zu Kantaten (sprich Kapiteln), und mehrere derselben wiederum zu einem Oratorium (Buch).

Wie in der rednerischen Sprache nun die einzelnen Wörter, Sinnabschnitte, Nebensätze und Sätze durch wahrnehmbare Einschnitte getrennt sind, fordert er dies analog auch für die Klangrede. In der Vokalmusik werden die entsprechenden Einschnitte ja bereits durch Wort und Sinn des Textes sowie die Notwendigkeit des Atemholens bestimmt, die dann auch für die Vertonung bindend sind. Da ein Musikstück aber - wie oben ausgeführt - aus mehreren Teilen bestehen soll, muss auch der Textvorlage diese Gliederung bereits innewohnen. Dadurch ergibt sich der Umstand, dass sich nicht jedes gute Gedicht auch zur Vertonung eignet.

Dasselbe gilt laut Mattheson aber nicht nur für die textbasierte Vokalmusik, sondern auch für reine Instrumentalstücke, deren Melodieverlauf wie der von Gesangsstücken in kleinere und größere Sinneinheiten gegliedert sein und mit den entsprechenden Einschnitten versehen sein muss. Wenn auch alles Gespielte "blosse Nachahmung des Singens"52 sei, ist es doch seiner Meinung nach noch weit schwieriger, für Instrumente eine Melodie zu setzen, die "die Gemüther der Zuhörer zu dieser oder jener Leidenschaft bewege: weil dabey keine Worte, sondern nur eine blosse Tonsprache vorhanden."53 Um aber auch in Instrumentalsätzen jenen redenden Klang zu erreichen, solle man sich zunächst in der Verfertigung von Gesangsstücken üben, bevor man sich der Komposition von Instrumentalwerken zuwendet.

3.2.3. Elaboratio, Decoratio und Executio

"Die Erfindung will Feuer und Geist haben; die Einrichtung Ordnung und Maasse; die Ausarbeitung kalt Blut und Bedachtsamkeit."54 So ausführlich sich Mattheson zu den ersten beiden Produktionsstadion einer Komposition äußert, so deutlich hält er sich bei der Beschreibung der letzten drei zurück. Über die Ausarbeitung der Komposition ist bei ihm nur zu erfahren, dass sie Geduld, Zeit und Fleiß erfordere, jedoch um vieles leichter von der Hand ginge, wenn die Disposition sorgfältig geplant worden sei: "Kurtz! Wer wohl disponiert, hat halb elaboriert"55.

Das Anbringen von Verzierungen liegt - der Praxis der Zeit folgend - in noch viel stärkerem Maße in der Hand des ausübenden Musikers als in der des Komponisten, und so beschränkt sich Mattheson in seinen Ausführungen darüber auch auf zweieinhalb Seiten. Wie zu erwarten, sieht er die hilfreichsten Anregungen wiederum in der klassischen Rhetorik, und zwar diesmal in den "12 Wörter-Figuren, samt den 17 Spruch-Figuren"56. Dabei empfiehlt er vornehmlich die Wiederholungsfiguren, wie Anapher, Epanalepsis, Anadiplosis u.ä., die allerdings keine Auszierungen im eigentlichen Sinne darstellen, sondern im Gegenteil fest in die Melodie integriert und in ihr verankert sind. Daher wenden sich die Hinweise zur Ausschmückung mittels rhetorischer Figuren auch noch an den Komponisten. Vehement allerdings stellt sich Mattheson gegen einen übermäßigen Gebrauch von Verbrämungen: "Wir tadeln aber den Misbrauch aufs höheste, und sowol die Frechheit der Singenden und Spielenden, welche sich solcher ausschweiffenden Schmückungen, aus Mangel eines guten Geschmacks, ja einer guten Vernunfft, zur Unzeit und ohne Bescheidenheit anmaassen, als auch die ärgerlichen Schwärmereien einiger gar zu fantastischen Componisten mit ihren tollen Einfällen"57. In der sehr zurückhaltenden Ausschmückung, die er propagiert, hält er sich eher an die ´besten´ Italiener, wie z.B. Bononcini; sie "lieben ein ungeschmincktes, reines und einfaches Wesen weit mehr, als alles flinckernde Puppenwerk"58.

In seinem Kapitel "Vom zierlichen Singen und Spielen" beschäftigen ihn die Verzierungen nochmals, hier allerdings auf die praktische Ausführung von Musik bezogen und deshalb an den Spieler gewendet. Als wichtigste nennt er dabei den Vorschlag (auch ´Accent´ genannt), der sanft den darüber- bzw. darunter liegenden Ton berührt, aber auch von anderen Intervallen aus angebracht werden kann. Des weiteren nennt er analog dazu einen "Überschlag", der auf den nächst darüber liegenden Ton ausweicht, bevor die Melodie um eine Quint oder Quart abfällt. Auch das Beben des Klanges beim Vibrato, bei Mattheson ´Tremolo´ genannt, rechnet er unter die Verzierungen. Dieses sei die "allergelindeste Schwebung auf einem eintzigen festgesetzten Ton, was bewusst und nur an bestimmten Stellen anzuwenden sei. Vom ´Trillo´ und dessen etwas kürzerem Gegenstück, dem ´Trilletto´, sagt er, dass die Franzosen ihn etwas langsam anschlagen, die Italiener dagegen sehr schnell, stark und kurz trillieren. Ein über längere Strecken andauernder Triller, die ´Tenuta´, sei allerdings notwendig langsam anzufangen, um, zunächst aus langsamem punktierten Anschlagen des oberen Tones (´Ribattuta´) bestehend, sich erst allmählich zum wirklichen Triller zu steigern. Als ´Tirata´ beschreibt Mattheson eine Ausschmückung, die aus einer auf- oder abwärts geführten Tonleiter im Quint- oder Oktavrahmen besteht, die Kleinform derselben sei als ´Schleuffer´ im Terzumfang alltäglich im Gebrauch. Seltener sei dagegen der ´Groppo´, in welchem die lineare Leiter ein- oder mehrere Male unterbrochen würde, um z.B. einen Ton tiefer erneut anzusetzen. Als ´Mordent´ letztlich stellt Mattheson eine Verzierung vor, die quasi in einem einzigen nach unten geführten schnellen Praller besteht und sowohl einzeln als auch in Verbindung mit einem Vorschlag Anwendung findet.

Über die klangliche Realisierung musikalischer Kunstwerke hält sich der Hamburger Theoretiker im Übrigen sehr bedeckt; außer dem bereits erwähnten Grundsatze, "daß alles gebührlich klinge und singe"59 erfährt man hier nur noch etwas über das Amt des Dirigenten oder "Regierers". Dieser sollte sich, so Mattheson, mit einem kleinen Wink der Hände, Augen und Gebähren begnügen, statt mit Stöcken oder Füßen den Takt zu schlagen. Des weiteren hält er es für angeraten, dass der Dirigent auf dem "Clavier"60 die Ausführenden begleite und sogar mitsinge, wodurch der Chor sehr ermuntert würde. Abschließend gibt er so dann noch einen Rat, der dem heutigen Leser sonderbar vorkommen muss: der Dirigent sollte nicht nur immer in seine eigenen Erfindungen verliebt sein, sondern zur Abwechslung zuweilen auch Kompositionen Anderer aufführen. Dass eine derartige Bemerkung notwendig war, deckt gleichermaßen Arroganz wie eigene Innovationsfreude auf, zeigt sowohl den Anspruch an Tageskompositionen als auch eine hohe Kunstfertigkeit eines jeden mehr oder minder "vollkommenen Capellmeisters".

4. Der Aspekt der Affekte

"Weil inzwischen das rechte Ziel aller Melodie nichts anders seyn kan, als eine solche Vergnügung des Gehörs, dadurch die Leidenschaften der Seele rege werden: so wird mir ja niemand dieses Ziel treffen, der keine Absicht darauf hat, selber keine Bewegung spüret, ja kaum irgend an eine Leidenschafft gedenckt, wenn es nicht etwa eine solche ist, die sich wieder (sic!) seinen Willen im Beutel hervortut.61 " (J. Mattheson)

Wie im Eingangskapitel bereits dargelegt, hat die Musik in der Barockzeit die vornehmliche Aufgabe, an die Empfindungen und Leidenschaften der Menschen zu appellieren, die Zuhörer zu bewegen und zu ergreifen. Die beabsichtigten Affekte, die im Hörer ausgelöst werden sollen, können aber nur dann wirken, wenn die Musik selbst bereits affekthaltig ist. Das erlegt nun der Musik die Forderung auf, die verschiedensten menschlichen Leidenschaften darzustellen, sie nachzuahmen, ja sogar "abzumahlen"62. Damit steht die musikalische Affektenlehre ganz klar auf dem Boden der Nachahmungsästhetik (Mimesis), die seit Platon und Aristoteles der Kunst die Aufgabe zuerkennt, die durch den Menschen erfahrene (natürliche oder psychologische ) Wirklichkeit abzubilden und nachzuahmen.

Wenn der Komponist nun affektgeladene Musik komponieren will, sieht er sich zunächst vor die Aufgabe gestellt, die beabsichtigten menschlichen Erregungszustände in Töne und Tonverbindungen zu transformieren, die beim Zuhörer annähernd dieselben Affekte auszulösen in der Lage sind. Das wiederum setzt voraus, dass zuvor bestimmte musikalische Strukturen als spezifisch affektausdrückend interpretiert werden müssen. Zu dieser Bestimmung nun bedienen sich die Theoretiker der Affektenlehre eines induktiven Verfahrens, bei dem zunächst die Wirkung bestimmter musikalischer Strukturen - wie z.B. Intervalle, Harmonien, Tonarten, Rhythmen, Tempi usw. - empirisch auf ihre Affektwirkung hin untersucht und so klassifiziert werden. Daraufhin werden die Ergebnisse dann verallgemeinernd dahingehend interpretiert, indem Aussagen getroffen werden, dass beispielsweise ein bestimmtes Intervall generell einen bestimmten Affekt hervorrufe. Wie Werckmeister, Kirnberger, Heinichen und viele andere Theoretiker beschreitet auch Mattheson diesen Weg. Methodisch kann er sich dabei auf die in der Antike entwickelte Ethoslehre stützen, die auf dieselbe Art bereits einzelnen Elementen der Musik - wie Tonart und Rhythmus - sittliche Wirkungen zuschrieb. So machte sich die antike Ethik beispielsweise Gedanken über die ethische Wirkung der Modi - mit dem Ziel der seelischen Gesundheit. Platon, der mit besonders strengen ethischen Kriterien operiert, erkennt ausschließlich das Dorische und Phrygische an, verwirft dagegen ausdrücklich das Mixolydische wegen seiner Wehleidigkeit, das Ionische und Lydische aber, weil sie der Schlaffheit und Trunkenheit Vorschub leisteten.

4.1. Begriff und Wirkungsweise der Affekte

Ganz allgemein kann der Begriff Affekt, der auf das lateinische Wort afficere (dt.: antun) zurückgeht, als eine mehr oder weniger heftige Gemütsbewegung definiert werden, die meist mit physiologischen Reaktionen wie z. B. Veränderungen der Herz- bzw. Atmungstätigkeit einhergehen. Dabei verweist die Etymologie klar auf eine außerhalb des Individuums liegende Ursache, die den Affekt in der klassischen Antike als eine unselbständige Folgeerscheinung äußerer Einflüsse erscheinen lässt.

Bereits Aristoteles beschrieb als Ursache dieser leidenschaftlichen Gemütsbewegungen eine mechanische Seelenbewegung im Individuum, die als Reaktion auf eine von außen einwirkende Kraft zu verstehen sei. Die einzelnen Affekte selbst erklärt er dabei als eine Mischung aus Lust und Unlust, die in differierenden Anteilen in allen anderen Affekten wie Liebe und Mut, Furcht wie auch Neid vertreten seien. Indem er auch den Aspekt des sinnlich Schönen anerkennt, erweitert Aristoteles die enge Theorie des Platon, der nur die sittlich- guten Affekte als erzieherisch vertretbar gelten lassen wollte. Das Endziel ist dabei allerdings auch bei Aristoteles ethisch motiviert: durch die Erregung starker, dabei aber auch durchaus unreiner Affekte soll letztlich eine sittliche Läuterung erreicht werden - die sogenannte Katharsis - die eine Reinigung des Rezipienten von allen Affekten zum Ziel hat. Die Philosophen der Stoa radikalisieren diesen Standpunkt noch, wenn sie als Lebensideal die völlige Befreiung von jeglichen Affekten, die Apathie, zum Ideal eines glücklichen Lebens erklären. Affekte, als Übersteigerung der Triebe angesehen, stören nach stoischer Auffassung die Seelenruhe, die das Ziel des Menschen, mit der Natur in Übereinstimmung zu leben, gefährdet. Die Entstehung der Affekte sieht diese philosophische Richtung in einer triebbedingten Vorstellung, der ein falscher Wert beigelegt wird, und sie wirken, indem sie zur Leidenschaft, dem "pathos" werden. Die Stoa unterscheidet allerdings in Erweiterung der aristotelischen Lehre bereits vier Gattungen von Affekten: die Antinomie Lust vs. Unlust sowie zusätzlich das Gegensatzpaar Begierde vs. Furcht63.

Die aristotelische Affektentheorie wirkt im Abendland auch in der Musikästhetik weit über das Mittelalter hinaus als bestimmende Lehre weiter. Erst im Zeitalter der Aufklärung erfuhr sie wieder eine entscheidende Erweiterung durch das Schrifttum des französischen Philosophen René Descartes, der als Begründer des Rationalismus Bekanntheit erlangte. Er glaubte, die physiologische Ursache der Affektwirkung ausfindig gemacht zu haben, die er den sogenannten "Lebensgeistern" zuschrieb. Diese gewährleisten den Übergang körperlicher Reize in geistige - hier seelische - sowie umgekehrt und sollen ihren Sitz in der Zirbeldrüse im Gehirn haben. Wie nahe diese Spekulation der Realität kommt, zeigt die moderne biophysiologische Forschung über gewisse Botenstoffe im Gehirn, sogenannte Neurotransmitter, die eine sehr verwandte Aufgabe zu erfüllen haben.

Descartes erweitert die von der Stoa her bekannte Einteilung nochmals, indem er noch weitere Affekte mit einbezieht. So unterscheidet er die sechs Grundaffekte64 Verwunderung, Liebe, Hass, Sehnsucht, Freude und Trauer, wobei Freude und Trauer in etwa mit dem stoischen

Begriffspaar Lust und Unlust gleichgesetzt werden können. Demnach setzt er der Sehnsucht (= Begierde) kein direktes Gegenstück gegenüber, erweitert die Aufzählung aber durch die Affekte Liebe und Hass und fügt - in der Tat verwunderlich - den Affekt der Verwunderung ein.

Der Philosoph Baruch Spinoza, der Descartes philosophische Richtung weiterführte, stellt in seiner Ethik die Affekte ebenfalls als eine "Mechanik der Leidenschaften"65 dar, die durch geometrische Gesetzmäßigkeiten zusammenhängen sollen. Er nimmt dagegen nur 3 Hauptaffekte an, die Begierde, die Freude und die Traurigkeit, aus denen er alle anderen ableitet.

Johann Mattheson bezieht sich in seiner Affektentheorie ausdrücklich auf Descartes, den er auch zum grundlegenden Studium empfiehlt. In dem Kapitel "von der Natur-Lehre des Klanges" legt er dann seine mechanistische Anschauung von der Wirkungsweise der von ihm für wesentlich erachteten fünf Hauptaffekte Freude, Traurigkeit, Liebe, Hoffnung und Verzweiflung dar. Die Freude, so schreibt er, werde durch die "Ausbreitung unsrer Lebens- Geister empfunden", die Traurigkeit sei eine "Zusammenziehung solcher subtilen Theile unsers Leibes". Die Liebe hat laut Mattheson "eine Zerstreuung der Geister zum Grunde", die "Hoffnung ist eine Erhebung des Gemüths oder der Geister; die Verzweiflung aber ein gäntzlicher Niedersturz derselben"66.

Erklärend fügt er hinzu, dass die Darstellung der Liebe in der Musik notwendig vom Komponierenden selbst gefühlt werden müsse, was ohne eigene Erfahrung auf diesem Gebiet nicht zu verwirklichen sei. Das gilt ähnlich auch für die Traurigkeit. Die Hoffnung bestehe "aus einem freudigen Verlangen, welches mit einer gewissen Hertzhaftigkeit das Gemüth einnimmt"67. Die Verzweiflung sieht er als den äußersten Grad einer grausamen Furcht an. Daneben erwähnt er eine Reihe weiterer Affekte, wie die Begierde, die seines Erachtens nur dadurch von der Liebe zu trennen sei, dass sie sich auf das Gegenwärtige, die Liebe sich dagegen auf das Zukünftige richte. Stolz, Hochmut und Hoffart äußerten sich meist in einem aufgeblasenen Wesen, ihr Gegenstück seien Regungen wie Demut und Geduld. Zorn, Eifer, Rache, Wut und Grimm seien gewaltige Bewegungen des Gemüts. Das Mitleid beschreibt er als aus Liebe und Traurigkeit zusammengesetzt. Einen besonderen Status hat hier die Eifersucht, die aus sieben anderen Leidenschaften zusammengesetzt sei. Die Gelassenheit stellt nach Mattheson das Befreitsein von allen außerordentlichen Gemütsregungen dar und verkörpert dadurch gewissermaßen den Zustand der stoischen Apathie, weshalb er im engeren Sinne auch kein Affekt sei.

4.2. Die Affektwirkungen in der Musik

Aus der obigen Beschreibung der einzelnen Affekte zieht Mattheson direkte Schlüsse auf die Umsetzung derselben in der Musik. So sei die Verzweiflung , die ja der extreme Grad der Furcht sei, auch durch das Extreme, das Äußerste in den musikalischen Mitteln zu verwirklichen, was daher zu ungewöhnlichen und "seltsam ungereimte, tolle Ton- Fügungen"68 führen könne. Da die Hoffnung eine freudige Erhebung des Gemüts sei, so erfordere sie auch die lieblichste Führung der Stimme und süßeste Klangmischung. Die Liebe, die er als Zerstreuung der Lebensgeister charakterisiert hat, müsse demnach auch durch gleichförmige Verhältnisse der Klänge ausgedrückt werden. Da es aber unendlich viele Facetten dieser (wie auch aller anderen Leidenschaften) gebe, die unmöglich alle aufgezählt werden können, müsse sich der Komponierende in jedem Falle Klarheit verschaffen, welchen Affekt er in welcher Ausprägung wirklich darstellen wolle. Das allerdings scheint selbst auf dem Höhepunkt der affektentheoretischen Musikanschauung eher die Ausnahme gewesen zu sein: "Allein es fehlet hieran so viel, daß die Leute ihren eignen Willen nicht kennen, ihr Vorhaben niemahls untersuchen" schreibt er, und konstatiert: "Denn, es würden manchem Setzer und Klang-Richter seine Sachen ohne Zweifel besser gerathen, wenn er nur bisweilen selbst wüßte, was er eigentlich haben wollte"69. Das aber will er mit seiner Schrift hauptsächlich: die zukünftigen Komponisten für die vielfältigen Möglichkeiten des Affektausdruckes zu sensibilisieren und ihnen die Mittel dafür an die Hand zu geben.

4.2.1. Die Affektwirkung der Intervalle

"Da z. E. die Freude durch Ausbreitung unsrer Lebens-Geister empfunden wird, so folget vernünfftiger und natürlicher Weise, daß ich diesen Affect am besten durch weite und erweiterte Intervalle ausdrücken könne"70, folgert Mattheson. Für den entgegengesetzten Affekt der Traurigkeit gilt demnach auch das genaue Gegenteil: "Weiß man hergegen, daß die Traurigkeit eine Zusammenziehung solcher subtilen Teile unseres Leibes ist, so steht leicht zu ermessen, daß sich zu dieser Leidenschafft die engen und engesten Klang-Stuffen am füglichsten schicken"71.

Der Ausdruck von Schmerz und Qual, die eine extreme Steigerung der Traurigkeit darstellen, sollten demnach auch durch eine Aneinanderreihung engster Intervalle dargestellt werden, also in chromatischen Gängen, wie sie auch aus der musikalisch-rhetorischen Figur des

Passus duriusculus bekannt sind. Diese Figur ist im Übrigen ein hervorragendes Beispiel für das Zusammenfallen von Affektausdruck und Zeichencharakter, was auch zu schablonen- und formelhafter Verwendung des Passus duriusculus für den Affekt der Qualen geführt hat.

4.2.2. Die Affektwirkung der Rhythmen

Dass der Rhythmus eine wichtige Rolle spielt, wenn es darum geht, Affekte auszudrücken, ist unbestreitbar. Wie sehr er dies aber aus eigener Kraft vermag, zeigen einleuchtend die Beispiele, die Johann Mattheson seinem Kapitel "von den Klang-Füssen" voranstellt. Durch bloße Veränderung des Rhythmus gelingt es ihm, aus einem Choral einen Tanz zu machen - so wird unter seiner Feder aus der Melodie zu "Wenn wir in höchsten Nöten sind" unter seiner Feder ein Menuett und aus "Wie schön leuchtet uns der Morgenstern" eine Gavotte. Als den eigentlichen Träger der rhythmischen Kraft sieht Mattheson die "Klang-Füsse" - in Analogie zu den Versfüßen der Dichtkunst - an, sprich das spezifische Verhältnis zwischen der Anzahl, Länge und Betonung der einzelnen Töne eines Taktes. Dabei bedient er sich auch der Begriffe aus der antiken Dichtkunst, die er größtenteils direkt übernimmt. Die von Mattheson vertretene Analogie der rhythmischen Kraft in Musik und Dichtkunst soll hier an einem Beispiel illustriert werden. Wenn beispielsweise in einem gesprochenen lateinischen Vers jeweils die erste von zwei Silben lang und die zweite Silbe kurz gesprochen wird, so bezeichnet man dies als Jambus72. Unter dem Jambus nun versteht Mattheson in der Musik einen Rhythmus aus zwei Noten, von denen die erste doppelt so lang wie die zweite ist und die zusammen einen Dreier-Takt oder zumindest eine solche Takteinheit bilden (siehe Anhang). In der folgenden Systematisierung soll der Jambus der Einfachheit halber als "Zweier: lang-kurz" bezeichnet werden.

Zu den Eigenschaften dieses Klang-Fusses heißt es bei Mattheson, er sei "mäßig lustig, nicht flüssig oder rennend"73. Häufigste Verwendung findet er beim Menuett wie auch in vielen anderen Tänzen im Dreiertakt, vor allem in den sogenannten "Aufsprüngen", da beim Jambus die sonst unbetonte Zählzeit Zwei betont wird. Vor allem die sizilianische und neapolitanische "Sing- und Spielart" verlange den Jambus "unaussetzlich74 "

Da es die Fülle der von Mattheson angeführten Klang-Füsse nicht gestattet, sie erschöpfend darzustellen, können im Folgenden nur die prägnantesten derselben dargestellt werden. Auch der Trochäus findet sich oft in Menuetten, wo er sich mit dem Jambus häufig abwechselt. Er ist ein Zweier mit der Notenfolge lang-kurz und drückt "nicht viel spritziges und sprödes aus", "hat dabey zwar was satyrisch, doch ziemlich unschuldiges an sich; nichts ernsthafftes noch beissendes"75. Er eigne sich - in Verbindung mit punktierten Rhythmen - gut zu einer Gigue, in reiner Form allerdings für Wiegen- und Schlaflieder.

Zu den dreisilbigen Klangfüßen zählt der Daktylus, der die Klangfolge lang-kurz-kurz aufweist. Er ist laut Mattheson ein sehr gemeiner Rhythmus; der sich sowohl zu ernsthaften wie auch scherzhaften Melodien eignet. Als Daktylus sieht er dabei allerdings auch einen punktierten Dreierrhythmus an, der z.B. aus einer punktierten Viertel mit folgender Achtel und einer Viertelnote besteht.

Der Anapäst, ein Dreier mit der Silbenverteilung kurz-kurz-lang, wird als lustig geschildert, er sei gut geeignet zur Darstellung des Fremden; in Vermischung nit anderen Füßen aber auch ernst.

Als letztes Exempel sei hier der Molossus angeführt - ein Dreier in der Folge lang-lang- lang. Er wirkt ernsthaft, betrübt und auch schwerfällig, sei aber sehr gut majestätische Märsche und Aufzüge geeignet.

Grundsätzlich äußert sich Mattheson noch über punktierte Rhythmen; sie wirken frisch, lebhaft und drücken muntere, auch heftige Gemütsbewegungen aus. Sie eignen sich besonders für die Verwendung auf Instrumenten, da sie aber nicht fließend wirken, solle man sie - den Regeln über die Verfertigung guter Melodien gemäß - für Gesangsstimmen jedoch meiden. Allgemein bemerkt er noch, dass sich der eigentümliche Charakter eines Klang-Fusses in reiner Form nur am Beginn einer Melodie - sprich im Motivkopf - zeigt. In Verbindung mit anderen Rhythmen vermischen sie ihre Wirkungen bisweilen so stark, dass sich die eben dargestellten Eigenschaften teilweise gänzlich verlieren.

4.2.3. Die Affektwirkung der Tanztypen

Als besonders interessant darf Matthesons Lehre über die Affektwirkungen der einzelnen Typen von Tanzsätzen gelten. Die Wirkung der eigentümlichen Rhythmen bestimmter Tänze schreibt er dabei vorrangig der spezifischen Affektwirkung der an ihnen beteiligten KlangFüsse zu. Dabei geht es ihm allerdings nicht nur um die reine Ausführung derselben zum Tanz, sondern ebenso um ihre Verwendung in instrumentalen Spielmelodien als auch in Arien und Chören, wo sie ihre besonderen Abzeichen mit einbringen. Daraus ergibt sich ein nicht zu hoch zu veranschlagender Nutzen für die Rekonstruktion der Tempi in der Musik des Barock und damit für die historische Aufführungspraxis.

Als erstes behandelt Mattheson das Menuett, dem er eine "mäßige Lustigkeit"76 bescheinigt. In ihr werden - wie bereits geschildert - Jambus und Trochäus oft miteinander vermischt. Die Gavotte verkörpere dagegen den Affekt einer "recht jauchzenden Freude" und habe ein hüpfendes, keinesfalls aber laufendes Wesen. Die Ursache dafür bildet der lustige Affekt des obig behandelten Anapäst. Die Bourrée habe einen mehr gefälligen, fließenden und gleitenden Charakter. Sie drücke Zufriedenheit aus und habe dabei "gleichsam etwas unbekümmertes oder gelassenes, ein wenig nachläßiges". Dem Rigaudon nun bescheinigt er, ein "echter Zwitter" aus Gavotte und Bourrée zu sein, die tändelnden Scherz zur Eigenschaft hat. Der Marsch nun hat etwas "heldenmüthiges und ungescheutes", er dürfe keinesfalls traurig, kläglich oder gar jämmerlich und auch nicht springend sein. Dabei könne er durchaus auch in ungeraden Taktarten gesetzt sein, was die Ernsthaftigkeit derselben nicht beeinträchtige, wie Lully in sehr vielen Märschen bewiesen habe. Für die Entrée fördert er ein erhabenes und majestätisches Wesen, das nicht gar so hochtrabend einhergehen dürfe. "Hergegen hat die Entrée mehr scharffes, punctiertes und reissendes an sich", ihre herrschende Eigenschaft sei die Strenge. Die Gigue ist nach Mattheson frisch und hurtig und wird geprägt von einem hitzigen und flüchtigen Eifer, von einem bald vergehenden Zorn. Eine langsame und punktierte Gigue sei die Loure, die ein stolzes, aufgeblasenes Wesen zeigt. Die bei den Italienern bekannte Gige sei nicht zum Tanzen, sondern zum Geigen und zwingen sich "zur äussersten Schnelligkeit oder Flüchtigkeit, doch mehrenteils auf eine fliessende und eine ungestüme Art".

Neben einigen anderen erwähnt Mattheson auch noch die Sarabanda, die die Leidenschaft der Ehrsucht, die Courante, die eine süße Hoffnung, und die Allemanda, die das "Bild eines zufriedenen oder vergnügten Gemüths" ausdrücke.

4.2.4. Die Affektwirkung der Harmonie

"Die Melodie ist der Leib, der Tact oder die Bewegung ist die Seele, und die Harmonie dienet an statt der Kleidung" betont Johann Mattheson am Beginn des Kapitels über die Harmonie nochmals. Dass auch ihr Bedeutung zukommt, wenn es um den Affektausdruck der Musik geht, versteht sich fast von selbst.

So unterscheidet er in der Harmonie grundsätzlich in "Consonantzien" und "Dissonantzien". Erstere sind die, "die von selbsten wol lauten; Dissonantzien aber, die es ohne Beihilfe der ersten nicht thun"77. Die Konsonanzen geben mithin den Wohllaut: sie sind angenehm und erfreulich. Ein nur in Konsonanzen gesetztes Stück mag sich also zu angenehmen und gelassenen Affekten gut eignen, wird allerdings für bewegtere Leidenschaften merklich blass und langweilig klingen. Deshalb kommt den Dissonanzen eine besondere Bedeutung zu: "Die Dissonantzien sind gleichsam das Salz, Gewürz oder Condimentum der Harmonie, so wie die Consonantzien als Fleisch und Fisch angesehen werden können"78. So vergleicht er ein gutes

Musikstück mit einer gut gewürzten Speise: "Ein jeder weiß, was von versaltzenen Gerichten zu halten sey, sowol, als was ein ungesaltzenes für Beifall verdient"79, und stellt fest: "Die Dissonantzien allein geben keinen Geschmack; sie reitzen ihn nur"80. Dissonante Klänge dienen vornehmlich der Betonung wichtiger Worte oder dem Nachdruck einzelner Töne in der Melodie. Besonders starke Dissonanzen sind dagegen geeignet, Affekte des Schmerzes, der Trauer und der Qual auszudrücken.

Eine außerordentliche Wirkung tut auch der "unharmonische Queerstand", den Mattheson als "Satz, der wieder (sic! M.C.) die Natur derjenigen Gemüths-Bewegung läufft, welche ausgedruckt werden soll, und dem Gehör Verdruß erweckt"81 definiert. Auch dies Verquerlaufen ist natürlich ein Affekt, der - gezielt eingesetzt - vornehmlich auf die Verstörung der Zuhörer hinausläuft.

4.2.5. Die Affektwirkung der Tonarten

Neben den teilweise beachtlichen Untersuchungen über die affektive Wirkung musikalischer Elemente stehen allerdings auch Äußerungen, die einem kritischen Hinterfragen nicht standhalten können. Zu diesen gehören auch seine Bemerkungen über die Affekte der einzelnen Tonarten.

So vertritt Mattheson die Meinung, dass die Theoretiker des Mittelalters, die die antiken Modi nach der Stellung der Halbtöne innerhalb der Leiter beschrieben haben, einem Irrtum erlegen seien: in den Schriften der Klassischen Antike sei über verschiedene Halbtonstellungen nichts gesagt worden,. Nach seiner Meinung seinen also die antiken Modi nur über die absolute Tonhöhe ihres Anfangstones verschieden und die heute so benannten Kirchentonarten eine reine Erfindung des Mittelalters.

Demzufolge beschäftigt er sich auch nicht mit der Affektwirkung der Kirchentonarten, sondern leitet aus der Charakterisierung, die die griechischen Philosophen über die affektive und ethische Wirkung der Modi getroffen haben, die Rechtfertigung ab, die Tonarten unseres heutigen Dur-Moll-Systems auf ihren Affektgehalt hin zu untersuchen. Im Folgenden sei die Affekt-Charakterisierung einiger Tonarten, wie Mattheson sie in der 26 Jahre früher erschienenen Schrift "Das Neu-Eröffnete Orchestre" beschreibt, kurz zitiert:

"g-moll: "ist fast der allerschöneste Thon, weil er nicht nur ... ziemliche Ernsthafftigkeit mit einer munteren Lieblichkeit vermischet, sondern eine ungemeine Anmuth und Gefälligkeit mit sich führet ..." C-Dur: "hat eine ziemliche rude und freche Eigenschafft, wird aber zu Rejouissancen, und wo man sonst der Freude freien Lauff läst, nicht ungeschickt sein ..."

F-Dur: "ist capable die schönsten Sentiments von der Welt zu exprimieren, sey es nun Großmuth, Standhafftigkeit, Liebe, oder was sonst in dem TugendRegister oben an stehet ..."

e-moll: "sehr pensif, tieffdenkend, betrübt und traurig zu machen, doch so, daß man sich noch dabey zu trösten hoffet ..."

E-Dur: "drücket eine verzweiflungsvolle oder ganz tödliche Traurigkeit unvergleichlich wohl aus"82.

Dass es eine derartige Beschreibung nicht im Entferntesten in Anspruch nehmen kann, ernsthaft diskutiert zu werden, steht außer Frage. Eine derartige Theorie kann bereits durch die Vorstellung ad absurdum geführt werden, ein "rudes und freches" Stück in C-Dur würde, nach E-Dur transponiert, plötzlich eine "ganz tödliche Traurigkeit" ausdrücken. Ein derartiger Affektwandel könnte auch nicht einmal annäherungsweise mit der in der ausgehenden Barockzeit üblichen ungleichschwebenden Temperatur in Verbindung gebracht werden und gehört schlichtweg in das Reich der Fabel und damit zu den Kuriositäten, die die Lehre von den Affekten hervorgebracht hat.

5. Zusammenfassende Würdigung

"... so muß er wahrhafftig alle Neigungen des Hertzens, durch blosse ausgesuchte Klänge und deren geschickte Zusammenfügung, ohne Worte dergestalt auszudrucken wissen, daß der Zuhörer daraus, als ob es eine wirckliche Rede wäre, den Trieb, den Sinn, die Meinung und den Nachdruck, mit allen dazu gehörigen Ein- und Abschnitten, völlig begreifen und deutlich verstehen möge." (J. Mattheson83 )

Die Fülle der Aussagen, die Johann Mattheson in seinem "Vollkommenen Kapellmeister" darlegt, konnten in der vorliegenden Arbeit nur angerissen werden. Zu vielen weiteren Aspekten, wie z.B. der Nachahmung, der Lehre von der Manifestation von Zahlenverhältnissen in der Musik oder zum Kontrapunkt ließen sich noch interessante Ausführungen machen. In allem aber, was er behandelt, reflektiert Mattheson in hoher Sachkundigkeit nahezu die Gesamtheit der musikästhetischen Auffassungen seiner Epoche. Seine Schrift vermittelt somit einen repräsentativen Einblick in die Diskussion der Zeit, wobei der Autor in allen Stücken eine eigene klare Meinung bezieht. Sein Werk offenbart sich so als typisches Produkt der Übergangszeit vom Barock zur Empfindsamkeit.

Zu den Aspekten der Rhetorik und der Affekte, die in der vorliegenden Arbeit abgehandelt worden sind, vertritt Mattheson vornehmlich eine für die Barockzeit typische und weitgehend akzeptierte Haltung. Auch dem Nachahmungsgedanken, der erst in der Empfindsamkeit84 langsam an Einfluss verliert, fühlt er sich noch stark verbunden. In den von ihm vertretenen theoretischen Darlegungen verkörpert sich aber auch bereits ein allmählicher Übergang von den typischen musikästhetischen Positionen des Barock hin zu den neuen Gewichtungen des Zeitalters der Empfindsamkeit. Dies zeigt sich ebenso in der Absage an die - aus dem Mittelalter in die Generalbasszeit hinüberwirkende - Theorie, das Wesen der Musik sei in dem Wirken von Zahlenverhältnissen und -proportionen zu sehen, wie auch in den hier vertretenen Anschauungen zur Gleichwertigkeit der Instrumentalmusik, die bereits auf eine Emanzipation derselben hinzuzielen scheinen. Hiermit stand Mattheson - Carl Dahlhaus nennt ihn "apologetisch"85 - noch ziemlich allein auf weiter Flur.

Besonders in seiner Melodienlehre markiert Johann Mattheson die Ablösung vom Barockzeitalter und das Heraufkommen einer neuen Ästhetik der Empfindsamkeit. Denn neben der allmählichen Wandlung der mehr objektiv-abbildenwollenden Nachahmungsästhetik zur eher subjektiv-eruptiven Ausdrucksästhetik kommt der Emanzipation der Melodie in der Frühklassik eine bedeutende Rolle zu. Dass Mattheson aber auch bereits Elemente dieser neuen subjektiven Ausdrucksästhetik in seinem Werk erkennen lässt, zeigt sich nicht zuletzt in der Aufforderung an den Komponisten, sich selbst in die entsprechenden Affekte zu versetzen. In dieser Hinsicht steht er Carl Philipp Emanuel Bach, einem der Hauptvertreter der deutschen Empfindsamkeit, sehr nahe, der postulierte, dass der Musiker nicht anders rühren könne, er sei denn selbst gerührt86. Analog dazu geht auch Matthesons wichtigster Rat dahin, dass sich der Komponist in den Affekt hineinversetzen solle, den er darstellen will.

So ist "Der vollkommene Capellmeister" nicht zuletzt von unschätzbarem Wert für alle Musiker, die sich der sogenannten "historischen Aufführungspraxis" barocker Musik verschrieben haben. Neben der für die Musikwissenschaft so wichtigen Funktion als authentische Quelle vermittelt uns dieses epochale Werk auch eine große Hilfe für das emotionale Verständnis einer Musik, die bereits mehr als 250 Jahre zurückliegt.

Literaturverzeichnis

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Johann Mattheson: Kern melodischer Wissenschaft. Hamburg 1737. Nachdruck: Hildesheim (Olms) 1990

Johann Mattheson: Das Neu-Eröffnete Orchestre. Hamburg 1713. Nachdruck: Hildesheim (Olms) 1993

Beinroth, Fritz: Musikästhetik von der Sphärenharmonie bis zur musikalischen Hermeneutik. Ausgewählte tradierte Musikauffassungen. Aachen (Shaker) 1996

Bimberg, Siegfried et al. (Hrsg.): Handbuch der Musikästhetik. Leipzig (DVfM) 1986

Blume, Friedrich (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik. München/Kassel (dtv/Bärenreiter) 1989 (zit. als MGG)

Burney, Charles: Tagebuch einer musikalischen Reise durch Frankreich und Italien, durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, durch Böhmen, Sachsen, Brandenburg, Hamburg und Holland 1770 - 1772. Hamburg 1772. Nachdruck: Wilhelmshaven (Heinrichshofen) 1985

Dahlhaus, Carl / Zimmermann, Michael (Hrsg.): Musik zur Sprache gebracht.

Musikästhetische Texte aus drei Jahrhunderten. München/Kassel (dtv/Bärenreiter) 1984 Dahlhaus, Carl: Musikästhetik. Köln (Hans Gerig) 1967

Feil, Arnold: Metzler-Musik-Chronik vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart. Stuttgart (Metzler) 1993

Harnoncourt, Nikolaus: Musik als Klangrede. Wege zu einem neuen Musikverständnis. Kassel (Bärenreiter) 1982

Kunzmann, Peter et al.: dtv-Atlas Philosophie. München (dtv) 1991

Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung, die Flöte traversière zu spielen. Berlin 1752, Nachdruck: München/Kassel (dtv/Bärenreiter) 1992

Schäfke, Rudolf: Geschichte der Musikästhetik in Umrissen. Berlin 1934. Nachdruck: Tutzing (Schneider) 1964

Ueding, Gert: Klassische Rhetorik. München (Beck) 1996

Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart (Kröner) 1989 Winckelmanns Werke in einem Band. Berlin (Aufbau) 1982

[...]


1 J. J. Quantz: Versuch einer Anweisung, die Flöte traversiere zu spielen. Berlin 1752. Zit. nach Feil 1993, S. 169.

2 Der sogenannte "stile rappresentativo" (darstellender oder rezitierender Stil), den Giulio Caccini, Sänger an der Florentiner Camerata, in seiner Oper "Euridice" aus dem Jahre 1600 zuerst verwendete.

3 Die gebräuchliche Unterscheidung in "stile antico" (Renaissance-Mehrstimmigkeit) und "stile moderno" (barocker) geht auf Giovanni Battista Doni (in "Compendio", 1635) zurück.

4 Ital.: "affektierter Gesang" (M.C.). Der Terminus geht auf einen der Hauptvertreter der Florentiner Camerata, Giulio Caccini, zurück, den dieser 1602 in der Vorrede zu den "Nuove musiche", einer Art Kampfschrift für den monodischen Sprechgesang, äußerte. Vgl. MGG Bd. 1, S. 115.

5 Ital.: "aufgeregter Stil", i. e. S. auch "zorniger Stil" (M.C.).

6 Über diesen vielstimmig-kunstvollen Gesang sagt Mattheson (1739) 1995, S. 78: "Aber Kunst ist nicht Natur. Wenn dieser Styl dahingehend gedeihen könnte, daß er die Leidenschafften und den wahren Sinn der Worte ausdrückte, so wäre seines gleichen nicht".

7 Das rhetorische Wirkungsschema besteht in dem Dreischritt von Belehrung (docere, probare), Erregung von Wohlwollen (delectare, conciliare) und Bewegung bzw. Aufstachelung der Leidenschaften (movere, concitare). Vgl. Ueding 1996, S. 74 ff.

8 Harnoncourt 1982, S. 171.

9 Johann Georg Neidhardt, Vorrede zu "Beste und Leichteste Temperatur des Monochordi", Jena 1706, zit. nach Mattheson (1739) 1995, S. 127.

10 Mattheson (1739) 1995, S. 127.

11 Keiser leitete die Hamburger Oper am Gänsemarkt mit Unterbrechungen von 1695 bis zu seinem Tode 1739. Er war wesentlich an der Entwicklung der musikästhetischen Positionen Matthesons beteiligt; für das 1913 gedruckte Werk "Das Neu-Eröffnete Orchestre" lieferte er "kurtze Anmerckungen".

12 Telemann wirkte seit 1721 als Musikdirektor der 5 Hauptkirchen und engagierte sich stark für die Oper.

13 Händel brachte auf der Hamburger Bühne seine beiden Erstlingsopern "Almira" und "Nero" (1705) heraus, in denen Mattheson jeweils die Hauptpartien sang. Für "Almira" machte Mattheson Änderungsvorschläge, die Händel weitgehend einarbeitete.

14 Burney (1772) 1980, S. 440

15 In der "Grundlage einer Ehren-Pforte", Mattheson 1740, zit. nach: MGG 8, S. 1796.

16 Mattheson reiste 1703 zusammen mit Händel nach Lübeck; beide lehnten aber die Stelle, mit der die Heirat von Buxtehudes Tochter verbunden war, ab.

17 Vgl. MGG 8, S. 1799.

18 Mattheson (1739) 1995, S. 82.

19 Mattheson (1739) 1995, S. 127.

20 Schäfke (1934) 1964, S. XVI bzw. 300ff.

21 Die drei sprachlichen Fächer Grammatik, Dialektik und Rhetorik bildeten im System der sieben freien Künsten (Septem Artes Liberales) das sogenannte "Trivium", dem das "Quadrivium" nachgeordnet war, welches die Fächer Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie umfasste.

22 Mattheson (1739) 1995, S. 69.

23 Scacchi, gestorben zw. 1681 und 1687, war bis 1649 Kapellmeister der polnischen Könige in Warschau.

24 Mattheson (1739) 1995, S. 83 ff.

25 Mattheson (1739) 1995, S. 69.

26 Die Produktionsstadien der klassischen Rhetorik sind: 1.: inventio (Sammlung passender Gedanken, der sogenannten "topoi", zum Thema und Finden der Beweisgründe), 2.: dispositio (Anordnung und Gliederung des gesammelten Materials), 3.: elocutio ( sprachliche Formulierung und stilistische Ausgestaltung), 4.: memoria (Einprägen durch Auswendiglernen), 5.: pronuntiatio (Kunst der gestenreichen Deklamation beim Vortrag). Vgl. Wilpert 1989, S. 773 bzw. Ueding 1996, S. 55 ff.

27 Nach Mattheson (1713) 1993, S. 104. In dieser frühen Schrift spricht Mattheson übrigens noch von nur drei Stadien, der inventio, elaboratio und executio.

28 Mattheson (1739) 1995, S. 122. In diesem Artikel geht es um die Erfindung von Melodien, die wiederum "drey unzertrennliche Gefährten haben müsse", nämlich "Dispositio, Elaboratio & Decoratio"; die "Execution" stehe in einem anderen Kapitel. Das legt nahe, daß Mattheson den Dreischritt, den er 1713 im "Neu-Eröffneten Orchestre" beschreibt, beibehalten möchte, indem er das 2. Stadium, die elaboratio, wiederum in einen neuen Dreischritt, "Dispositio, Elaboratio & Decoratio", auffächert.

29 Mattheson (1739) 1995, S. 121.

30 Mattheson (1739) 1995, S. 133.

31 Mattheson (1713) 1993, S. 104.

32 Mattheson (1739) 1995, S. 121.

33 Schäfke (1934) 1964, S. 315.

34 Mattheson (1739) 1995, S. 123.

35 "Ort der Bezeichnung" (M.C.).

36 "Ort der Beschreibung" (M.C.).

37 Mattheson (1739) 1995, S. 127.

38 Locus generis & speciei; totius & partium, causae efficientis, materialis, formalis, finalis, effectorum; adjunctorum; circumstantiarum, comparatorum,; oppositorum; exemplorum; testimoniorum.

39 "Wer, was, wo, mit welchen Mitteln, warum, auf welche Art und Weise, wann." Mattheson (1713) 1993, S. 105. In der klassischen Rhetorik die Suchkategorien für die Beweisgründe der Rede. Die daraus folgenden loci geben die Bezeichnungen für die "loci topici" ab.

40 "Inventio ex abrupto, inopinato, quasi ex enthusiasmo musico" Mattheson (1739) 1995, S. 132.

41 Mattheson (1739) 1995, S. 132.

42 Jean-Philippe Rameau: Traité de l´harmonie. Reduite á ses Principes naturels. Paris 1722 vgl. Dahlhaus /Zimmermann 1984, S. 106-110.

43 Mattheson (1739) 1995, S. 138. Nahezu wörtlich auch in Mattheson (1737) 1990, S. 29 ff.

44 Hiermit nimmt er interessanterweise eine Formulierung Johann Joachim Winckelmanns (1717 - 1768) vorweg, der in seinem 1755 erschienenen Werk "Gedanken über die Nachahmung der griechischen Wercke in der Malerey und Bildhauer-Kunst" das ästhetische Credo der deutschen Klassik äußerte: "Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt und eine stille Größe, sowohl in der Stellung als auch im Ausdruck." Winckelmann 1982, S. 17.

45 Mattheson (1739) 1995, S. 141.

46 Mattheson (1739) 1995, S. 2.

47 Vgl. Ueding 1996, S. 65.

48 Mattheson (1739) 1995, S. 235.

49 Mattheson (1739) 1995, S. 235.

50 Exordium, Narratio, Propositio, Confirmatio, Confutatio und Peroratio. Widerlegung (Confutatio) meint dabei das Entkräften gegnerischer Argumente. Vgl. Mattheson (1739) 1995, S. 235.

51 Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Michael Zimmermann in Dahlhaus /Zimmermann 1984, S. 128f, der eine achtteilige Gliederung "mühelos" in einem Sonatenhauptsatz wiederfindet.

52 Mattheson (1739) 1995, S. 204.

53 Mattheson (1739) 1995, S. 204.

54 Mattheson (1739) 1995, S. 241.

55 Mattheson (1739) 1995, S. 242.

56 Mattheson (1739) 1995, S. 243.

57 Mattheson (1739) 1995, S. 242.

58 Mattheson (1739) 1995, S. 243.

59 Mattheson(1739) 1995, S. 470.

60 Unter dem Begriff Clavier verstand man zu dieser Zeit noch alle mittels einer Klaviatur zu spielenden Instrumente, also sowohl das Cembalo wie auch Clavichord und Orgel.

61 Mattheson (1739) 1995, S. 209.

62 Mattheson (1739) 1995, S. 18.

63 Vgl. Kunzmann et al. 1991, S. 57.

64 In seiner Schrift "Les passions de l´âme", 1649. Vgl. Feil 1993, S. 169.

65 zit nach Kunzmann et al. 1991, S. 111.

66 Mattheson (1739) 1995, S. 16.

67 Mattheson (1739) 1995, S. 18.

68 Mattheson (1739) 1995, S. 19.

69 Mattheson (1739) 1995, S. 19f.

70 Mattheson (1739) 1995, S. 16.

71 Mattheson (1739) 1995, S. 16.

72 Da im Sprachgebrauch des Deutschen nicht nach Längen und Kürzen unterschieden wird, werden die langen Silben des lateinischen Versfußes hier betont wiedergegeben, die kurzen dagegen unbetont; wodurch der deutsche Jambus betont-unbetont gesprochen wird.

73 Mattheson (1739) 1995, S. 165.

74 Mattheson (1739) 1995, S. 165.

75 Mattheson (1739) 1995, S. 166.

76 Mattheson (1739) 1995, S. 224ff.

77 Mattheson (1739) 1995, S. 253.

78 Mattheson (1739) 1995, S. 296.

79 Mattheson (1739) 1995, S. 296.

80 Mattheson (1739) 1995, S. 296.

81 Mattheson (1739) 1995, S. 294.

82 Mattheson (1713) 1993, S. 237ff. Die Tatsache, dass Mattheson diese These im "Vollkommenen Capellmeister" nicht mehr abdruckt, könnte die Vermutung aufkommen lassen, er hätte sich inzwischen von seiner "Jugendsünde" distanziert. Tatsächlich aber verweist er in seinem Spätwerk ausdrücklich auf die hier wiedergegebene Theorie.

83 Mattheson (1739) 1995, S. 209f.

84 Der erste, der das Prinzip der Nachahmung grundsätzlich in Frage stellte, war 1753 der englische Musiker Charles Avison.

85 Dahlhaus 1967, S. 39.

86 Vgl. dazu Dahlmann 1967, S 36. aber verweist er in seinem Spätwerk ausdrücklich auf die hier wiedergegebene Theorie.

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Rhetorik und Affektenlehre bei Johann Mattheson
Hochschule
Universität Potsdam
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
1,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
32
Katalognummer
V98387
ISBN (eBook)
9783638968386
Dateigröße
499 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Johann Mattheson, der wichtigste Musiktheoretiker des ausgehenden Barock, wird immer noch ausserordentlich widersprüchlich rezipiert: der historischen Aufführungspraxis gilt er als Säulenheiliger, den Lehrwerken alter Schule als einer, der Minderbemittelte zu Komponisten machen wollte. Neuere Arbeiten anf diesem Gebiet sind aber rar: In dieser Arbeit wird sein Hauptwerk unter die Lupe genommen und ausführlich dargelegt. Leider ohne Anhang.
Schlagworte
Rhetorik, Affektenlehre, Johann, Mattheson, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Markus Catenhusen (Autor:in), 2000, Rhetorik und Affektenlehre bei Johann Mattheson, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98387

Kommentare

  • Gast am 24.6.2005

    kleine Korrektur zu Catenhusen: "..Mattheson".

    Kap. 4.2.2. Die Affektwirkung der Rhythmen
    ... "Wenn beispielsweise in einem gesprochenen lateinischen Vers jeweils die erste von zwei Silben lang und die zweite Silbe kurz gesprochen wird, so bezeichnet man dies als Jambus. ..."
    Die beschriebene Betonung/Dehnung bezeichnet man als Trochäus (Faller) (wie z. B. Leben, Rose, Liebe). Ein Jambus (Steiger) wäre z. B. Verbot, Betrug, gelehrt, ...
    Quelle: Braak, Ivo: Poetik in Stichworten, Verlag Ferdinand Hirth, Kiel, 6. Auflage 1980

  • Gast am 29.12.2000

    Rhetorik und Affektenlehre bei J. Mattheson.

    Zu die Affekte der Tonarten:ich glaube
    schon, dass eine derartige Charakterisierung der Tonarten durchaus angebracht ist. Dabei ist die damalige
    Stimmung zu berücksichtigen.Im Gegensatz zur temperierten Stimmung ist in der reinen Stimmung nicht jede große Terz gleich groß,weshalb z.Bsp. C,-und E-Dur natürlich einen ganz anderen Charakter haben.Ferner lassen sich auf den Barockinstrumenten(unabhängig von deren Tonumfang) nur bestimmte Tonarten spielen,so ist es in den vielen Fällen unmöglich Stücke in andere Tonarten zu transponieren. Darraus ergibt sich für den Barockmenschen, dass ein Stück, das in der einen Tonart ganz lieblich klingt,in der anderen nicht anzuhören ist.
    Ich fand dies die einzig wirklich interessante und musikalisch ambitionierte Hausarbeit die hier zu lesen ist( im Bereich Musikwissenschaft)

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Titel: Rhetorik und Affektenlehre bei Johann Mattheson



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