Analyse der Hauptsätze der 2. frz. Suite von J.S. Bach


Seminararbeit, 1996

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Historische Entwicklung der Gattung Suite

II. Allgemeine Charakterisierung der Tanzsätze
a) die vier Haupttänze (Allemande, Courante, Sarabande, Gigue)
b) mögliche weitere Tänze

III. Entstehung und kurze Charakterisierung der Französischen Suiten von J. S. Bach

IV. Musikalische Analyse der vier Haupttänze der 2. Französischen Suite von J. S. Bach

I. Die historische Entwicklung der Gattung Suite

Der Begriff Suite ist im Laufe der Jahrhunderte immer wieder unterschiedlich gebraucht worden. Sehr allgemein versteht man darunter eine mehr oder weniger lose Folge von zueinander gehörenden Stücken mit melodischem oder harmonischem Bezug und gleicher Instrumentalbesetzung. Hier soll aber die enger gefaßte Bedeutung der Suite als eine sich im 17. Jahrhundert ausprägende Folge von aufeinander bezogenen Tanzsätzen in meist gleicher Tonart besprochen werden, bei der sowohl die Auswahl der Tänze als auch die Reihenfolge innerhalb der Abfolge bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterliegen.

Die Ursprünge dieser Tanzsätze liegen in der Volksmusik des frühen Mittelalters, die deutlich von der geistlichen und der weltlichen Kunstmusik der Zeit getrennt war. Auch bei Hofe wurde getanzt, und dafür mußten Tanzmusiker dort aushelfen, so daß die bürgerlichen Tanzstücke, beeinflußt von gegenwärtigen Moden, an den Höfen Einzug hielten. Dort erhoben höfische Musiker sie im Laufe der Zeit durch immer stärkere Stilisierung der Tanztypen von der reinen Gebrauchsmusik zur Kunstmusik.

Erste bis ins Mittelalter oder sogar noch weiter zurückreichende Vorläufer der Suite sind meist paarige Tanzgruppierungen, bestehend aus einem langsam geschrittenen Tanz und einem schnell gesprungenen Nachtanz1. Dabei entsteht der Nachtanz häufig aus einer Übertragung der Melodie des ersten Tanzes in einen ungeraden Takt. Dieses Prinzip der Umformung gleichen melodischen Materials in verschiedene Metren führt im !6. Jahrhundert zur Entwicklung einer Suitenform, in der in einer zyklischen Tanzfolge mehrere Tänze mit gleicher melodischer und harmonischer Substanz im Variationsprinzip aneinandergereiht sind. Diese Entwicklung wird durch die Funktion der Suite als Gebrauchsmusik bei Hofe begründet.

Beliebt waren am französischen Hof vor allem Tanzfolgen von vier Tänzen (sogenannte

,,Branles") mit relativ festgelegten Charakteristika, wobei am Anfang das Tempo langsam ist, dann aber immer mehr zunimmt. Der französische Schriftsteller Thoinot Arbeau sieht den Grund für diese feste Abfolge in seinem 1589 erschienenen Tanzlehrbuch ,,Orchésographie" darin, daß zu Beginn die gesamte Tanzgesellschaft am Tanz teilnehmen könne, während in den schwierigeren und schnelleren Tänzen nur die jungen Tänzer mithalten konnten2. Der Tanzgeschmack der Zeit war stark modebedingt, und so kamen zu den bisherigen weitere Tänze aus dem europäischen Raum hinzu, während andere dagegen wegfielen. Viele der hinzukommenden Tänze verloren bei der Anpassung an die Notwendigkeiten einer Tanzgesellschaft ihr eigentliches Tempo; z.B. mußte, um von der höfischen Gesellschaft überhaupt getanzt werden zu können, aus der ursprünglich sehr schnell gesprungenen

Sarabande ein eher langsamer, gravitätischer Tanz werden. Ursprünglich ein von der Kirche verbotenes erotisches Lied, ,,wurde sie in Frankreich durch Lully bereits in der Mitte des [17.] Jahrhunderts in einen lieblichen, getragenen Tanz umgewandelt. Von da an wurde sie in Frankreich immer gravitätischer und festlicher, und in dieser Art übernahmen sie auch die deutschen Komponisten."3

Wegen der großen Beliebtheit der Tänze bei Hofe und des immer stärker in Mode kommenden Ensembletanzes reichte der Fundus an Tänzen aus der Volksmusik nicht mehr aus, und auch die am Hofe angestellten Komponisten waren gezwungen, Tanzkompositionen zur Verfügung zu stellen. Sie griffen die europäischen Einflüsse auf und prägten sie dann in ihrem unverwechselbaren Typus aus. Vor allem französische Komponisten paßten diese internationalen Tänze der französischen Musik und den Erfordernissen des höfischen Tanzes an, entwickelten sie aber gleichzeitig von der reinen Gebrauchsmusik zur Kunstmusik weiter. Bedeutend hierbei sind vor allem Francois Couperin und Jean Philippe Rameau. Tänze, die unter Umständen mittlerweile schon nicht mehr in Mode waren, wurden von Komponisten weiterhin als kompositorisch interessant angesehen. So wurden zwar die ,,Allemanden schon im 17. Jahrhundert kaum mehr getanzt" gaben aber ,,der Phantasie des Komponisten besonders weiten Spielraum" und entwickelten sich bei zunehmender Verlangsamung ,,zu einem kunstvoll ausgearbeiteten feierlichen Stück"4. Begünstigend für diese Entwicklung zur Kunstmusik war auch, daß die Tänze zunehmend nicht nur für den wirklichen Tanzgebrauch während der Abendgesellschaften benötigt wurden, sonder auch bei sonstigen höfischen Feiern und zum Essen gespielt wurden. Somit waren nicht nur schlichte und für Tänzer klar durchschaubare Sätze notwendig. Immer stärker traten Verzierungen und kompliziertere Kompositionen hervor, deren Unterhaltungswert für die Zuhörerschaft größer sein mußte, die aber eben auch größere Kunstfertigkeit der Komponisten sowie der Instrumentalisten erforderten. Zu diesem Zweck verfaßten Komponisten Suitenkompositionen, die Sammlungen von Tänzen mit mehreren Versionen derselben Tanztypen sowohl mit ähnlichem melodischen Material als auch ganz frei gehalten enthielten. Eine solche Sammlung enthielt z.B. mehrere Allemanden, Couranten und weitere Tänze, aus denen die Instrumentalisten sich nach Belieben eigene Folgen zusammenstellen konnten. Das sollte sie auch in die Lage versetzen, bei Bedarf aus dem melodischen Material eigene Tänze improvisieren zu können.

Außerdem gab es Sammlungen, in denen ein Komponist viele verschiedene Ausprägungen einer einzigen Tanzart versammelt hatte. Das diente im wesentlichen zwei Zwecken. Zum einen versuchte damit der Komponist, den charakteristischen Grundtypus eines Tanzes herauszuarbeiten und von der reinen Gebrauchsmusik zum Gegenstand künstlerischer Betrachtung umzuformen, zum anderen sollte dem ausführenden Instrumentalisten ein Mittel an die Hand gegeben werden, seine Kunstfertigkeit an immer mehr künstlerisch geprägten Tanzsätzen erhöhen zu können. Auch die Erbauung des Instrumentalisten stand dabei mit im Vordergrund.

Im Laufe des 17. Jahrhunderts entwickelte sich aus Zusammenführung verschiedener europäischer Tanzformen der Typus der heute bekanntesten Suite mit einer festgefügten Abfolge von vier Tänzen: Allemande (deutsch), Courante (französisch), Sarabande (spanisch) und Gigue (englisch). Auf die Merkmale dieser vier Tänze wird später genauer eingegangen werden.

Die künstlerischen Möglichkeiten schienen den Komponisten der Zeit sehr schnell ausgeschöpft, und so konnte die formale Beschränkung auf nur vier Tänze nicht lange beibehalten werden. Während sie den wesentlichen Kern der damaligen Suite bildeten, war es gängige Praxis, zwischen sie weitere Tänze, sogenannte Galanterien, einzufügen. Vor die Allemande kam häufig eine Ouvertüre (auch als Präludium bezeichnet), die als Vorspiel nicht den strengen formalen Anforderungen einer Allemande unterlag. Meist gewählter Platz für zwischengeschobene Tänze war zwischen Sarabande und Gigue. Hier wurden oft Doubles der Sarabande (Wiederholungen des Stückes mit kunstvoll ausgeführten Verzierungen), aber auch andere Tänze eingefügt. Meist waren dies Gavotte, Musette, Bourrée, Air und/oder Menuett, auf deren Charakteristika weiter unten eingegangen wird. Die Ansiedlung der Galanterien zwischen Sarabande und Gigue hatte den Grund, daß zum einen die abwechselnde Abfolge von schnellen und langsamen Tänzen und zum anderen der mitreißende Schluß durch die gesprungene Gigue erhalten blieb.

Die Suiten, von denen bisher die Rede war, waren zwar auch orchestrale oder kammermusikalische Kompositionen, häufig aber wurde von den Komponisten das Cembalo als ausführendes Instrument gewählt. Für Tanzgesellschaften und andere funktional ausgerichtete Musik wurde natürlich eine orchestrale Besetzung gewählt, für die von dieser Gebrauchsbestimmung enthobene Kunstmusik wurde meist das Cembalo bevorzugt. Den entscheidensten Beitrag, der die Suite zu einer höfischen orchestralen Großform weltlicher Musik machte, erhielt sie durch den französischen Hofkomponisten Ludwigs XIV., Jean-Baptiste Lully5. Lully formte das alte ,,Ballet de cour" zu einer besonderen Form der Oper um, bei der die Hauptrolle dem Ballett zukam. Seine Opern enthielten Tanzsätze, die sich allgemein großer Beliebtheit erfreuten und sehr bekannt waren. Zu Suiten zusammengefaßt, spielte man diese Tänze am Hofe Ludwigs XIV. und bei anderen Fürsten. Mit der Ouverture der Oper am Anfang wurde diese Suite Modell für die zeitgenössischen Komponisten. Lullys Ouverture war formal eine wiederholte langsame Allemande mit einem fugierten und solistisch besetzten Mittelteil vor der Wiederholung. Damit machte Lully sich frei von den formalen Beschränkungen einer Allemande, die dem Komponisten weniger Raum zur freien Erfindung ließ.

,,Durch diese geniale Idee wurde die `französische Ouverture', der kontrastreiche Einleitungssatz der Suite, für Jahrzehnte gültig geformt. Die nun fertig ausgebildete Suite war ein echtes Produkt französischen Geistes: von größtmöglicher Freiheit im Großen, knapp in der Aussage, und streng und klar in der Formung der Details. Die Freiheit der Gestaltung des Gesamtwerkes war schrankenlos wie bei keiner anderen musikalischen Form."6

II. Allgemeine Charakterisierung der Tanzsätze

a) die vier Haupttänze

- Allemande

Die Allemande ist ein geradtaktiger Tanz des 16. bis 18. Jh.. Sie hat ihren Ursprung in den bürgerlich deutschen Schreittänzen, die unter der Bezeichnung ,,Dantz" bzw. ,,Tantz" bekannt waren, und die mit einem gesprungenen ,,Nachtantz" eine Einheit bildeten. Erste Allemanden finden sich gegen 1550 in französischen und niederländischen Lautendrucken, etwa bei P. Phalèse, P. Attaingnant oder T. Susato. Um 1600 fand die Allemande als geschrittener Paartanz allgemein Aufnahme in die Gesellschaft. Ihre Musik war von mäßig schnellem Tempo und bestand aus zwei oder mehr verschieden langen Teilen, die wiederholt wurden. Wie bei den deutschen Schreittänzen folgte auf die Allemande meist ein schneller Springtanz, eine ,,Tripla", ,,Recoupe", ein ,,Saltarello" oder eine ,,Courante". Seit Anfang des 17. Jh. war die Allemande mit anderen Tänzen Teil der englischen und deutschen Klavier- und Ensemblemusik. Um die Mitte des 17. Jh. verlangsamte sich das Tempo der Allemande. Als Teil der Kunstmusik entfernte sie sich nun zunehmend von ihrem ursprünglichen Tanzliedcharakter.

In der Folgezeit entwickelten sich zwei unterschiedliche Arten von Allemanden: Die Allemande der französischen Klaviermusik ( z. B. bei Couperin, Rameau ) zeichnete sich durch langsamen 4/4-Takt, Auftaktigkeit und kunstvoll-polyphonen Satz aus, in der italienischen Kammersonate ( z. B. bei Corelli, Vivaldi ) herrschte dagegen ein mehr homophon-kantabler Satztyp vor.

Beide Satztypen finden sich in den Klaviersuiten Bachs und Händels. Etwa um 1750 verschwand die Allemande als Form der Kunstmusik.

- Courante

Die Courante ist als französischer Tanz seit der ersten Hälfte des 16. Jh. bekannt. Ursprünglich war sie ein schneller Tanz im 3/8- oder 6/8- Takt; ihre Tanzschritte wurden gesprungen und im Zickzack ausgeführt. Im 17. Jh. gehörte die Courante zum festen Bestand der Tänze am französischen Hof. Zu dieser Zeit verlangsamte sich zunehmend ihr Tempo, sie entwickelte sich nun zu einem gemessenen Schreittanz.

In den musikalischen Quellen erscheint die Courante zuerst in Lautentabulatoren des 16. Jh.. Neben den typischen Merkmalen Dreiertakt und Auftaktigkeit kristallierten sich nach 1650 zwei unterschiedliche Satztypen heraus: die französische Courante zeichnete sich durch langsames Tempo, Akzentverschiebungen, punktierten Rhythmus und kontrapunktische Setzweise aus, die italienische Courante dagegen durch eine lebhafte , gleichmäßig laufende Bewegung bei strenger, stimmiger Satzweise.

In den Französischen Suiten von Bach findet man vornehmlich den italienischen Typ der Courante. Nach Bach ist die Courante in der Musik nur noch ganz selten anzutreffen.

- Sarabande

Die Sarabande ist ein wahrscheinlich aus Spanien ( vielleicht aus Mexiko ) stammender Tanz im Dreiertakt. Im 16. und 17. Jh. war sie als ein lebhafter und vor allem erotischer Paartanz verbreitet. Dies ist wohl auch der Grund dafür, daß sie 1583 von der Inquisition bei Peitschenund Galeerenstrafen verboten wurde. Aufgrund ihrer Beliebtheit wurde sie aber dennoch 1618 am spanischen und 1625 am französischen Hof eingeführt.

In den musikalischen Quellen taucht die Sarabande erstmals zu Beginn des 17. Jh. auf ( etwa bei Montesardo oder Praetorius ). Bis 1650 herrschte ein schneller Typ der Sarabande ( zwei Teile mit zwei wiederholten Achttaktern ) vor, dann verlangsamte sich ihr Tempo. Zu dieser Zeit entwickelte sich auch der typische Sarabanden-Rhythmus mit charakteristischer Betonung der zweiten Zählzeit:

Besonders in der Instrumentalmusik wurde die Sarabande ein gravitätischer Tanz im 3/2- oder 3/4- Takt.

Nach Bach erscheint die Sarabande erst wieder bei einigen Komponisten des 19. bzw. 20. Jh.

(u.a. Satie, Debussy, Strawinsky).

- Gigue

Die Gigue ist ein seit dem Mittelalter in ganz England nachweisbarer lebhafter Tanz keltischen Ursprungs. Sie wurde einzeln oder gruppenweise in schnellen Schritten getanzt, ,,unter behendem Beineschlenkern, Hackenstampfen und Händeklatschen, bei ruhig gehaltenem Oberkörper"7. Die Gigue ist ursprünglich sowohl im Zweiertakt als auch im Dreiertakt überliefert, in der barocken Suite steht sie zumeist im 6/8- Takt, dadurch bleibt der doppeldeutige Charakter bestehen: im Kleinen ein Dreier-, im Großen ein gerader Takt. In der Instrumentalmusik bildete sich bis 1700 ein italienischer und ein französischer Typ der Gigue heraus: Der französische Typ ist durch mäßig schnelles Tempo, Fugatosatz und Umkehrung des Kopfthemas zu Beginn des 2. Teils gekennzeichnet. Der italienische Typ dagegen verläuft in sehr schnellem Tempo bei glatt sequenzierender Rhythmik und leicht imitatorischen Satzbild.

Auch die Gigue wurde zu Anfang des 20. Jh. von einigen Komponisten als Form wiederentdeckt (so bei Debussy, Reger, Schönberg, Strawinsky).

b) mögliche weitere Tänze

Die zwischen die vier Kerntänze eingeschobenen zusätzlichen Tänze, die Galanterien, gaben dem Komponisten Raum für freiere und reichere Erfindung und dem ausführenden Instrumentalisten die Gelegenheit, sein Können unter Beweis zu stellen. Hierzu dienten vor allem die Doubles sowohl der Haupttänze (dabei meist der Sarabande), als auch der hinzukommenden Tänze. Reiche Verzierungen waren dabei teils ausgeschrieben, teils vom Instrumentalisten improvisiert.

Die hinzukommenden weiteren Tänze sind, wie oben ausgeführt, vor allem Gavotte, Musette, Bourrée, Air und Menuett, aber auch andere Tänze waren möglich8.

Am Anfang der Suite steht häufig eine Ouverture (auch: Präludium). Diese ist in der formalen Anlage relativ frei und ermöglicht dem Komponisten den Spielraum zu freier Erfindung. Angeregt durch Lullys Oper und die aus ihren Ballettmusiken zusammengestellte Suite, wurde die französische Ouverture immer ausgeprägter und dominierte letztlich die gesamte Suitenkomposition. Auch in Johann Sebastian Bachs Orchestersuiten, die auch Ouverturen genannt werden, ist die vom französischen Vorbild angeregte Dominanz des Einleitungssatzes festzustellen, der sogar namensgebend für die gesamte Komposition ist.

Die Gavotte hielt ihren Einzug in höfische Kreise im 16. Jahrhundert, nachdem sie bis dahin ein französischer Bauerntanz gewesen war. Sie steht in den meisten Fällen im 2/2-Takt und beginnt mit einem aus zwei Vierteln bestehenden Auftakt. Dieser Auftakt bewirkt den nur gemäßigt munteren Charakter und die etwas beherrscht wirkende Freude, die die Gavotte ausstrahlt. Auch im Tempo ist sie eher gemessen bis heiter. Häufig dient die Gavotte als Basis für Rondeau-Formen.

Die Musette (französisch: Dudelsack) wird häufig eingeschoben vor einer nochmaligen

Wiederholung der vorherigen Gavotte. Sie steht meist im 4/4-Takt und ist gekennzeichnet durch eine kreiselnde Melodiekette von leichter Beschwingtheit über einem an einen Dudelsack erinnernden Baß.

Auch die Bourr é e fand als ursprünglich französischer Volkstanz im 16. Jahrhundert Einzug in die höfische Tanzmusik. Ihr Charakter ist deutlich schneller und freudiger als der der ihr sonst ähnlichen Gavotte. Wie diese steht auch sie im 2/2-Takt und beginnt mit einem Auftakt. Da dieser jedoch meist aus einer Viertel- oder zwei Achtelnoten besteht, wirkt er erheblich gesprungener und damit auch freudiger als der Auftakt der Gavotte.

Die Air bezeichnet meist einen langsamen Satz mit einer ausgeprägt liedhaften Oberstimme. Meist bewegt sich über einem schwebend wirkenden Baß eine sehr freie und spielerische Melodie. Entstanden ist die Bezeichnung aus der englischen und französischen Tradition des 16. Jahrhunderts, ernste Lieder mit homophoner Begleitung ,,Air" zu nennen. Bei Telemann und Bach steht Air dagegen häufig nur für ein Instrumentalsatz, im Sinne von ,,Satz".

Das Menuett ist die bekannteste und heute noch bedeutendste Tanzform. Ursprünglich war es ein lebhafter französischer Volkstanz. Nachdem es aber über Lullys Opern an den Hof Ludwigs XIV. gelangt war, wurde es zunehmend langsamer getanzt. Harnoncourt begründet dies mit einer Äußerung Saint Simons, daß der alternde König Ludwig XIV. anordnete, ,,daß die Menuette langsamer zu spielen seien, als es ihm zu anstrengend geworden war, schneller zu tanzen; dies wurde in ganz Frankreich nachgeahmt"9.

Das Menuett steht in anmutig-leichtem bis zu schwerfälligem ¾-Takt und ist oft gekennzeichnet durch eine gleichmäßige Achtel-Bewegung über einem in Vierteln schreitenden Baß.

Als einziger Suitensatz hat das Menuett Einzug gefunden in die sinfonische Musik bis ins 19. Jahrhundert und diente Generationen von Komponisten als Übungs- und Lernstück.

III. Entstehung und kurze Charakterisierung der französischen Suiten ( BWV 812-817 )

Von 1717 bis 1723 war Bach Hofkapellmeister in Köthen. In dieser Zeit schrieb er sehr viel Instrumentalmusik für das fürstliche Collegium musicum. Daneben komponierte er aber auch Klavierwerke für den häuslichen Familienkreis oder zu Unterrichtszwecken. In diesem Zusammenhang entstanden auch zwischen 1720 und 1723 die sog. Französischen und Englischen Suiten. Die Bezeichnung ,,Französische" Suiten ist jedoch erst später entstanden und stammt nicht von Bach persönlich. Er selbst nannte seine Kompositionen lediglich ,,Suites pour le clavecin".

Die Sammlung der Französischen Suiten umfaßt insgesamt 6 Suiten, von denen die ersten 5 sich bereits, wenn auch jeweils nicht ganz vollständig, im Klavierbüchlein für Bachs zweite Frau ,,Anna Magdalena" aus dem Jahre 1722 finden. Die 6. Suite entstand dagegen vermutlich erst später (wahrscheinlich in den ersten Leipziger Jahren10 ). Erst nachträglich stellte Bach diese 6 Suiten zu einem Zyklus zusammen.

Bei allen Suiten verzichtete er, ganz im Gegensatz zu den Englischen Suiten, auf ein

Präludium. Diese Tatsache widerspricht dem Zusatz ,,Französisch", denn Präludien hatten bei den französischen Komponisten dieser Zeit ihren festen Platz11.

Neben den vier ,,Haupttänzen" Allemande, Courante, Sarabande und Gigue weisen die Suiten unterschiedlich viele zusätzliche Tänze auf: die ersten drei Suiten 2 , die vierte und fünfte 3 und die sechste 4. Die sechste enthält dabei mit ihren insgesamt 8 Tanzsätzen die höchste Anzahl an Sätzen, die Bach in seinen Klaviersuiten je verwendet hat. Woher nun der Zusatz ,,Französische" Suiten stammt, ist nicht genau bekannt. Der Musikforscher Nikolaus Forkel schreibt dazu in seinem 1802 erschienenen Buch ,,Ueber J. S. Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke"12:

,,Man nennt sie gewöhnlich Französischen Suiten, weil sie im Französischen Geschmack geschrieben sind. Seinem Zweck nach ist hier der Componist weniger gelehrt als in seinen anderen Suiten, und hat sich meist einer lieblichen, mehr hervorstechenden Melodie bedient". Tatsächlich liegt das Hauptgewicht in den Französischen Suiten nicht so sehr auf der Kontrapunktik, sondern mehr auf einer melodiösen Führung der Oberstimme. Im Vergleich zu den Englischen Suiten sind die Französischen kürzer und leichter zu spielen. In Bachs Unterrichtsprogramm für seine Schüler kamen die Französischen daher nach den

Inventionen und Sinfonien und vor den Englischen Suiten und dem Wohltemperierten

Klavier.

IV. Musikalische Analyse der vier Haupttänze der 2. Französischen Suite von J. S. Bach

a) Allemande

Die Allemande steht in c-Moll. Sie gliedert sich in zwei zu wiederholende Teile von 8 bzw. 10 Takten. Dieses Ungleichgewicht läßt vermuten, daß das Stück am Ende eine Steigerung erfährt. Im Verlauf der Analyse wird sich dies bestätigen.

Der erste Teil endet erwartungsgemäß auf einem Halbschluß, der zweite Teil moduliert wieder zur Tonika. Neben der Zweiteiligkeit lassen sich noch andere typische Merkmale einer Allemande ausmachen: der gerade 4/4-Takt und der Auftakt (ein Sechzehntel).

Der ganze Satz ist nahezu durchgängig dreistimmig komponiert. Lediglich an einigen Stellen tritt eine vierte Stimme hinzu, die jedoch nur die Harmonien stützt und keine Eigenständigkeit besitzt (beispielsweise im ersten Takt: die Tenorstimme fügt mit ihren ersten drei Tönen lediglich die Terz zum Grundton hinzu).

Die Oberstimme ist klar dominierend und wird sehr melodiös geführt. Die Altstimme, die ebenfalls mit der rechten Hand gespielt wird, ist mit der Oberstimme verschränkt: ihre Töne werden immer rhythmisch versetzt zur Oberstimme angeschlagen. Beide Stimmen fallen sich so ins Wort, daß der zeitliche Abstand zweier Noten, abgesehen von den Schlußtönen, nie länger als eine Sechzehntel ist. Dadurch wird das ganze Stück von konstanten rhythmischen Impulsen durchzogen, die eine scheinbar endlos fließende Bewegung erzeugen. Die Allemande wirkt so kompositorisch sehr geschlossen und erzielt ästhetisch einen einheitlichen Grundaffekt. Hier zeigt sich ein typisches Merkmal Bach'scher Kompositionstechnik13. Der zeitlich nach Bach in der Musik einsetzende ,,galante Kompositionsstil" legte dagegen mehr Gewicht auf ,,Überraschung und Mannigfaltigkeit"14.

Obwohl sich dieses rhythmische Ostinato erst durch die Synthese beider Oberstimmen ergibt, verlieren diese dadurch nicht ihre Eigenständigkeit.

Beispielhaft sei dies am ersten Takt erläutert: Auf der zweiten Zählzeit bewegen sich beide Stimmen in Achtelnoten. Die Töne folgen aber, getreu dem oben erläuterten Prinzip der konstanten Impulse, im Zeitmaß von Sechzehnteln aufeinander. Durch das Ineinanderhalten der Töne nimmt der Hörer jedoch nicht bloß eine Kette von vier Sechzehntelnoten wahr, sondern kann zwei getrennte Stimmen hören.

Während die beiden Oberstimme also quasi das motorisch-melodiöse Geflecht bilden, bewegt sich die Unterstimme relativ unabhängig von ihnen. Sie bildet das harmonische Fundament des Stückes. Das bedeutet, daß sie auf den schweren Taktzeiten meistens den Grundton der jeweiligen Harmonie aufweist. Ihre Bewegung ist von gleichmäßig schreitenden Achteln geprägt. Lediglich am Ende des Stückes tauchen ein paar Sechzehntel bzw. Zweiunddreißigstel auf ( Takt 15, 16, 17 und 18 ).

Die beiden Oberstimmen bewegen sich zumeist wellenförmig diatonisch auf und ab. Sie beinhalten keine charakteristischen musikalischen Motive, vielmehr steht die gleichmäßig fließende Bewegung der Oberstimmen im Vordergrund.

Die höchsten Töne, die dabei erreicht werden, liegen im Tonraum as''- b''- c'''. Das c `'' kommt ein einziges Mal vor, aber nicht an exponierter Stelle ( etwa betonte Zählzeit ). Da die Spitzentöne meistens in die Bewegungslinien der Oberstimme eingebunden sind, markieren sie keine auffallenden Höhepunkte im Stücke. Vielmehr tragen die relativ gleichbleibenden Tonhöhen ebenfalls zur Geschlossenheit bzw. Einheitlichkeit des Stückes bei.

Die wellenförmigen Bewegungen in den Oberstimmen werden von Bach mit einem charakteristischen rhythmischen Motiv kombiniert, das gleich zu Beginn in der Oberstimme auftritt: Markant wird es vor allem durch seinen Sechzehntelauftakt und die Zweiunddreißigstel, die auf die betonte Eins folgen. An dem Motiv zeigt sich noch der ursprüngliche Tanzcharakter der Allemande: mit seinem Auftakt betont es die Eins, auf der es kurz verweilt, um dann wieder Anlauf zur nächsten schweren Taktzeit zu nehmen.

Im Laufe des Satzes wird das Motiv von Bach variiert: statt zwei Zweiunddreißigstel folgen nun beispielsweise vier Zweiunddreißigstel aufeinander (beispielsweise im zweiten Takt auf Zählzeit 3), oder die Zweiunddreißigstel setzen schon auf der Eins ein (beispielsweise in Takt 14).

Die Zweiunddreißigstel schaffen Abwechslung zu den starren Sechzehntel-Impulsen und sind daher im ganzen Satz auffällige Momente. Zunächst treten sie nur in der Sopranstimme auf, am Ende des ersten Teils dann erstmalig in der Altstimme und vier Takte vor Schluß sogar in der Baßstimme. Diese Entwicklung zeigt die Verdichtung des Satzes zum Ende hin.

Die Binnenstruktur des Satzes lebt sehr stark von Sequenzen. Diese Sequenzen überlappen sich oft mit den melodischen Strukturen des Satzes: Die erste Sequenz beginnt beispielsweise im zweiten Takt auf Zählzeit Drei. Geht man von melodischen Gesichtspunkten aus, würde man aber erst vor der vierten Zählzeit einen Einschnitt setzen. An dieser Stelle erreicht die Oberstimme mit einem Abwärtslauf den Grundton c. Durch diese Verschränkung von Melodik und Form erreicht Bach wiederum eine sehr hohe Geschlossenheit des Satzes. Der Hörer nimmt so kaum Einschnitte wahr, sondern eine stets vorwärts fließende Einheit.

Das harmonische Geschehen in der Allemande weist nichts Außergewöhnliches auf: Der erste Teil moduliert über die Tonikaparallele Es-Dur (Takt 6) zur Dominante G-Dur, der zweite Teil geht dann über die Subdominante f-Moll (Takt 13) wieder zurück zur Tonika c-Moll. Die Harmonik setzt so keine hervorstechenden Akzente und bricht die Einheitlichkeit des Satzes nicht auf.

Wie bereits oben erwähnt, erfährt die Allemande im zweiten Teil eine gewisse Steigerung.

Dies geschieht, indem Bach die bislang dominierende Einheitlichkeit immer mehr aufweicht: Die Notenwerte werden insgesamt kürzer: immer mehr Zweiunddreißigstel treten auf und brechen die Vorherrschaft der Sechzehntelimpulse.

Die Altstimme emanzipiert sich zur Oberstimme. Den 12. Takt beispielsweise bestreitet sie fast ganz allein. Und auch die Unterstimme gewinnt an Auffälligkeit: gegen Ende bewegt sie sich, statt wie bisher in Achteln, auch öfter in Sechzehnteln. Und in Takt 15 hat sie sogar selbst das charakteristische rhythmische Motiv mit den Zweiunddreißigsteln. Zudem werden die sequenzierten Abschnitte tendenziell kürzer und überlagern sich teilweise sogar. Ich erläutere dies an Takt 15: Die erste Hälfte des Taktes ist eine Sequenz der zweiten Takthälfte von Takt 14. Der zweite Teil dieser Sequenz wird quasi abgespalten und auf der dritten Zählzeit noch einmal sequenziert. So verkürzen sich die sequenzierten Abschnitte von zwei Vierteln zu einem. Gleichzeitig setzt auf der dritten Zählzeit das rhythmische Motiv in der Unterstimme ein und wird auf Zählzeit Vier noch einmal sequenziert. Beide Sequenzen überlappen sich also auf der Drei.

Obwohl die Allemande also insgesamt durch sehr große Geschlossenheit und Einheitlichkeit gekennzeichnet ist, erfährt sie am Ende doch eine Steigerung, indem das musikalische Geschehen durch eine Beschleunigung der rhythmischen Impulse, die Emanzipation der Unterstimmen und schneller aufeinander folgende Formteile dichter wird.

b) Courante

Die Courante steht ebenfalls in c-Moll. Auch sie gliedert sich in zwei zu wiederholende Teile, von denen der erste auf einem Halbschluß und der zweite auf einem Ganzschluß endet. Typisch für eine Courante sind der Dreiertakt (3/4) und der Auftakt (3 Achtel). Der ganze Satz ist fast durchgängig zweistimmig komponiert. Lediglich in den Schlußtakten und den Takten 29 - 36 wurden von Bach einige zusätzliche Töne hinzugefügt, deren Funktion sich jedoch nur auf die Festigung der Harmonien beschränkt.

Die Oberstimme zeichnet sich durch nahezu durchlaufende Achtel aus. Mit dieser gleichmäßig laufenden Bewegung entspricht die Courante dem italienischen Kompositionstypus (vgl. Kap. 2). Die Oberstimme wird meist diatonisch oder in Dreiklangsbrechungen geführt.

Entscheidend geprägt wird der ganze Satz durch den gleich zu Beginn auftretenden Auftakt. Diese 3 Achtel beeinflussen das Phrasengefühl des Hörers: Durch die Adaption dieses Anfangsmodells hört man Einschnitte vor allem nach den ersten drei Achteln im Takt, um die nächsten drei wieder als Anlauf zum nächsten Takt zu verstehen. Der Dreiertakt zerfällt dadurch häufig in zwei Teile und verliert so ein wenig von der Eindeutigkeit seines Metrums. Durch diese ,,Verwässerung" des Metrums wird die Komposition insgesamt dichter und flüssiger.

Die Unterstimme sorgt zunächst hauptsächlich für das harmonische Fundament, d. h. sie bewegt sich meist in harmonieeigenen Viertelnoten. Auch in ihr treten häufig 3 Achtel als Auftakt auf (etwa Takt 4, 6, etc.). Dies geschieht vor allem dann, wenn in der Oberstimme Viertelnoten oder Viertelpausen auftreten. Beide Stimmen ergänzen sich dadurch so, daß der ganze Satz kontinuierlich von Achtelnoten durchzogen wird.

Ebenso wie die Allemande weist also auch die Courante gewisse Merkmale auf, die sehr stark zur kompositorischen Geschlossenheit, bzw. zu einem einheitlichen Grundaffekt beitragen: eine Verwässerung des Metrums, ein gleichmäßiges Geflecht rhythmischer Impulse, relativ gleichbleibende Stimmführungen, sehr einheitliche Tonhöhen und eine stark von Sequenzen geprägte Binnenstruktur.

Dennoch erfährt das musikalische Geschehen auch in der Courante Steigerungen, indem die Gleichförmigkeit durch Verdichtungen der Form und durch eine Emanzipation der Unterstimme aufgebrochen wird. Dies werde ich im folgenden erläutern.

Der erste Teil der Courante umfaßt insgesamt 24 Takte, die wiederum in zweimal acht und zweimal vier zerfallen.

Insgesamt weist er eine deutliche Tendenz zur Konzentration und Steigerung auf: Die ersten acht Takte setzen sich aus zweitaktigen melodischen Phrasen (bzw. Sequenzen) zusammen, in den nächsten acht Takten folgen dann jedoch eintaktige Phrasen (bzw. Sequenzen) aufeinander. Die Binnenstruktur verdichtet sich also. Genau die gleiche Entwicklung (erst zweitaktige, dann eintaktige Phrasen) vollzieht sich danach noch einmal, nun aber über einen nur noch halb so langen Zeitraum (statt zweimal acht jetzt zweimal vier). Das musikalische Geschehen konzentriert sich also zunächst durch eine Halbierung der Phrasenlänge und dann durch eine Halbierung des Zeitraums, in dem diese Entwicklung stattfindet.

Obwohl sich der erste Teil in einzelne Taktgruppen unterteilen läßt, entstehen zwischen diesen Gruppen keine Einschnitte. Denn dadurch, daß die eintaktigen Sequenzen lediglich eine Abspaltung des vorangehenden zweitaktigen Ursprungsmodells darstellen, gehen die Teile quasi ineinander über: Während sich Takt 9 beispielsweise noch völlig erwartungsgemäß als Sequenz von Takt 7 gestaltet, sequenziert Takt 10 schon seinerseits Takt 9. Takt 9 kann somit doppeldeutig als Beginn bzw. Schlußpunkt einer Phrase gesehen werden. Ganz ähnlich ist die Entwicklung in Takt 21.

Und in Takt 16 erreicht Bach zwar harmonisch mit der Tonikaparallele Es-Dur einen gewissen Ruhepunkt, die letzten 3 Achtel im Takt streben jedoch als Auftakt, analog zum Anfangsmodell, schon wieder weiter.

Im zweiten Teil lassen sich ähnliche Entwicklungen wie im ersten Teil erkennen, er läßt sich jedoch nicht in so regelmäßige Proportionen unterteilen.

Die ersten acht Takte setzen sich vor allem aus zweitaktigen Phrasen zusammen. Auffällig ist hier, daß die zweite Stimme deutlich an melodischem Gewicht gewinnt. In den Takten 29 und

31 beispielsweise hat sie eine Kette von Achtelnoten, während in der Oberstimme Liegetöne vorkommen. Die Oberstimme löst in dem jeweils folgenden Takt die Baßstimme wieder ab, so daß beide Stimmen quasi in einen Dialog treten. Ab Takt 33 werden erstmals Achtelfiguren in der Baßstimme sequenziert. Die Sequenzen vollziehen sich hier wieder taktweise, so daß genauso wie im ersten Teil auf zweitaktige Phrasen eintaktige folgen. Der Abschnitt endet mit einer Kadenz auf der Subdominante f-Moll (Takt 37/38), wird jedoch von der Oberstimme mit Achtelbewegungen sofort weitergeführt. In den nächsten 8 Takten folgt wieder die schon bekannte Verschränkung von zwei- und eintaktigen Sequenzen.

In Takt 46 setzt Bach ein neues Mittel zur Verdichtung des musikalischen Geschehens ein: Erstmals werden die beiden Stimmen praktisch gegeneinander in unterschiedlich langen Einheiten sequenziert. Während der Hörer in der Oberstimme taktweise Sequenzen hört (beginnend mit der zweiten Achtel in Takt 46), bestehen die sequenzierten Abschnitte in der Unterstimme aus insgesamt 4 Achteln. Zudem streben beide Stimmen in unterschiedliche Richtungen. Hier findet also zum Ende des Satzes noch einmal eine erneute Steigerung statt. Nach einer Überleitung von zwei Takten (50 und 51) wiederholt Bach noch einmal die Schlußtakte des ersten Teils (19 bis 24), nun aber um eine Quarte nach oben sequenziert, so daß der Satz auf einem Ganzschluß endet.

c) Sarabande

Die Sarabande steht in c-Moll und wird durch Wiederholungszeichen gegliedert in zwei ungleich lange Teile. Der erste Teil umfaßt acht Takte, der zweite 16. Diese grobe Zweiteilung wird jedoch dadurch aufgehoben, daß die letzten acht Takte des zweiten Teil das Material des ersten Teils in der gleichen Tonart wieder aufnehmen. Somit entspricht die Sarabande der typischen Dreiteilung in drei Abschnitte mit je acht Takten, wobei der zweite Abschnitt in der Paralleltonart Es-Dur beginnt und am Schluß in die Tonika zurückführt. Dieser Satz zeigt noch weitere Merkmale einer typischen Sarabande: Er steht im ¾-Takt, beginnt ohne Auftakt und weist ein getragen-langsames Tempo auf. Zu untersuchen ist, ob auch der sarabandentypische Rhythmus mit der Betonung der zweiten Taktzählzeit vorhanden ist.

Der Satz ist bis auf eine Ausnahme dreistimmig komponiert (in Takt 17 fehlt die Mittelstimme). Dabei steht eindeutig die Oberstimme mit einer cantilenen Melodie mit meist Sechzehntel-Bewegung im Vordergrund und wird von den beiden anderen Stimmen begleitet, die vorwiegend in Achtel-Bewegung voranschreiten oder längere Noten aushalten. Beide Unterstimmen sind für die linke Hand gesetzt.

Die Oberstimme ist überwiegend durch die Wiederholung gleichen rhythmisch-melodischen Materials gekennzeichnet. Dabei ist besonders auffällig das Motiv des ersten Taktes, das jeden Viertaktabschnitt einleitet. Einer Abwärtsbewegung der ersten zwei Zählzeiten in Sechzehnteln folgt eine bis auf eine Ausnahme (Takt 13) eingesprungene Viertelnote, die durch Überbindung um eine Sechzehntelnote bis in den nächsten Takt verlängert ist. Dadurch, daß zum einen auf der dritten Zählzeit dieser betonter Sprung steht und zum anderen die Überbindung die Betonung der Eins im neuen Takt abschwächt, tendiert der jeweils zweite Takt in der Oberstimme zu einer sarabandentypischen Betonung der Zwei. Das wird häufig noch dadurch unterstützt, daß im jeweils zweiten Takt des Motivs sich an diese Überbindung eine Kette von drei abwärts laufenden Sechzehnteln anschließt, die dann von einem Sprung (Takt 6) oder zumindest Schritt (Takt 2) aufwärts zu einem länger gehaltenen Ton beendet wird.

In der Mittelstimme wird diese Abschwächung der Betonung der Eins auch durch Überbindungen deutlich. Wenn sich an diese Überbindung nicht nur eine Achtellinie (Takt 6) sondern nach einer abspringenden Achtel eine wiederum übergebundene Halbe Note (Takt 9/10) anschließt, wird dieser Effekt noch verstärkt. Auch der Baß weist mehrere Stellen auf, an denen nach einem Taktbeginn mit zwei Achtelnoten erst auf der zweiten Zählzeit eine länger gehaltene Note erreicht wird (Takt 6; Takt 7; Takt 12).

Neben dem rhythmisch-melodischen Motiv des ersten Takts wird die Oberstimme auch im weiteren Verlauf von gleichbleibenden Motiven geprägt, die jeweils auch rhythmisch und melodisch beibehalten werden. Sehr auffällig sind neben der oben erwähnten abfallenden Sechzehntelkette mit anschließendem Aufwärtssprung von Takt 2 die Motive von Takt 3 und Takt 4. Takt 3 ist bestimmt von einer Gruppe von vier Sechzehnteln, bei denen zwischen erster und zweiter Note ein Terzsprung aufwärts auftritt, an den sich die nächste Note eine Sekunde tiefer anschließt, gefolgt von einem Quartsprung abwärts. Diese Sechzehntelgruppe ähnelt dabei sehr der aus Takt 2. Wenn auch alle Intervallverbindungen größer sind, so ist doch die Richtung des Verlaufs dieselbe. Bis in den Takt 4 hinein wird diese Sechzehntelgruppe dreimal je eine Sekunde abwärts sequenziert. Dieses Motiv inklusive der Sequenz wird sowohl rhythmisch als auch melodisch wiederholt, wobei es an anderer Stelle bei Vergrößerung des Quartsprunges zu einem Sextsprung (Takt 11) in seine Umkehrung umgewandelt wird.

An dieses rhythmisch-melodische Motiv des dritten Taktes schließt sich das des vierten Taktes an, und auch dieses wird an der entsprechenden Stelle am Ende des zweiten Viertaktabschnitts wiederholt. Es besteht aus einem Mordent mit zwei angeschlossenen Zweiunddreißigstelnoten in Sekunden aufwärts und einer anschließenden Sechzehntelgruppe von vier Noten, in Sekundschritten abwärts geführt. Auch dieses Motiv taucht im Verlauf des Stückes wieder auf, dann allerdings eine Quinte höher (Takt 12 in D-Dur). Wenn in den letzten Takten der Anfang des Stückes wieder aufgegriffen wird, verwendet Bach diese rhythmisch-melodischen Motive wieder. Daß dabei der Aspekt des Rhythmus' der wesentlichere ist, wird dadurch deutlich, daß mehrfach Sechzehntelgruppen auftauchen, die nur noch entfernt an das melodische Material des Takt 3 erinnern. In Takt 18 klingt dies noch durch die aufwärts angesprungenen Töne an, insbesondere durch die Sexte am Ende des

Taktes, die an die Sexten in Takt 11 erinnert. In Takt 19 bis 22 schafft Bach dann eine Verbindung aus dem rhythmischen Motiv von Takt 3, das in ganz anderem melodischen Verlauf zweimal sequenziert wird, ergänzt von dem großen Aufwärtssprung jeweils am Ende, der auch durch die Überbindung in den nächsten Takt hinein sehr den Übergang von Takt 1 zu Takt 2 anklingen läßt.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Bach den gravitätischen Charakter der Sarabande trifft, dabei das musikalische Material vor allem auf rhythmische Kernmotive beschränkt, ohne daß dabei der Eindruck der Starrheit entsteht. Die Oberstimme scheint sehr frei über den Unterstimmen zu schweben, obwohl auch sie an diese Kernmotive gebunden bleibt.

d) Gigue

Die Gigue bildet den Schluß der Suite und stellt dabei deren lebhaftesten Satz dar. Dieser Charakter wird erzeugt durch die gesprungenen Punktierungen, die das gesamte Stück durchziehen und es somit zu einer Gigue französischen Typs machen. Die Gigue steht in einem 3/8-Takt, doch lassen sich durch die Schnelligkeit leicht zwei Dreiergruppen zusammenfassen, wodurch trotz des 3/8-Takts ein gerader 6/8-Takt im Siciliano-Rhythmus empfunden wird. Die Gigue steht wie die gesamte Suite in c-Moll, besteht aus zwei wiederholten Teilen, wobei der erste auf einem Halbschluß endet. Der zweite Teil ist mit 54 Takten um 20 Takte länger als der erste, was vor allem daher rührt, daß ab Takt 69 der punktierte Rhythmus überwiegend verlassen wird zu Gunsten von Sechzehntelläufen, die einen virtuosen Schlußcharakter erzeugen. Somit könnte man die Gigue auch als eigentlich in zwei nahezu gleich große Teile und einen angehängten Schluß bezeichnen. Die Aufteilung in zwei gleich lange Teile würde dem Idealtypus einer Gigue entsprechen. Typisch für die Gigue sind der Auftakt am Anfang eines jeden Teils und der imitatorische Einsatz der Stimmen, wobei der zweite Teil nahezu in einer Umkehrung des Anfangs des ersten Teils beginnt. Der gesamte Satz ist zweistimmig geführt.

Genau wie die Sarabande ist auch die Gigue hauptsächlich durch rhythmische Elemente geprägt, was natürlich wesentlicher Kern einer im punktierten Achtelrhythmus springenden Stimmführung ist. Dieses unaufhörliche Dahinspringen wird abwechselnd von beiden Stimmen immer wieder durch punktierte Viertelnoten mit übergebundenen punktierten Achtelnoten unterbrochen ( Takt 8, Takt 17). Außerdem tritt vor allem in der linken Hand häufiger das Motiv einer Viertel- plus nachfolgender Achtelnote auf.

Rhythmische und melodische Sequenzen überlagern einander sowohl zwischen den Stimmen als auch innerhalb einer Stimme. Dies sei beispielhaft ausgeführt an den Takten 7 bis 23. Die melodische Linie der Oberstimme von Takt 7 bis 10 wird anschließend um eine Sekunde abwärts sequenziert (Takt 11 bis 14), und obwohl der folgende Verlauf auch ähnlich wirkt, etwa durch die gehaltene Note in Takt 16 und den Abwärtssprung in Takt 17, gefolgt von den ähnlich verlaufenden Linien in Takt 18 und19, so ist dies doch keine melodische Sequenz mehr, da sowohl in Takt 15 als auch in Takt 19 die Linien in falscher Richtung verlaufen. Aus rhythmischer Sicht verbirgt sich hinter dieser Stelle aber eine weit längere Sequenz. Beginnend in Takt 4 mit der gesprungenen Sechzehntelnote verläuft eine rhythmische Linie bis zu der durch Überbindung verlängerten Viertelnote in Takt 8. Dieses rhythmische Motiv beginnt dann in Takt 9 erneut (bis Takt 12/13), folgt dann aber noch ausgehend von den Takten 13,17 und 21, wobei im letzteren Falle die Sequenz nicht bis zum Ende durchgeführt ist, da sie in Takt 23 durch die Viertelnote abgebrochen wird. Parallel dazu wird in der Unterstimme die melodische Linie von Takt 8 bis 11 einmal um eine Sekunde abwärts sequenziert. Bach gelingt durch diesen sehr komplexen Aufbau eine Vielschichtigkeit mit nur zwei Stimmen, die dem Hörer entgeht. Immer klingen melodische Sequenzen an, werden aber sofort wieder unterbrochen, wodurch dem Hörer das relativ starre rhythmische Grundmuster mit seinen häufigen rhythmischen Sequenzen entgeht, er im Gegenteil das Gefühl hat, ständig Neues zu hören.

Der imitatorische Beginn des zweiten Teils entspricht nicht ganz einer Umkehrung des Anfangs im ersten Teil, da die Oberstimme in einem Quintsprung aufgeführt ist, nachdem sie zu Beginn der Gigue einen Quartsprung hatte. Somit haben hier beide Stimmen das gleiche Intervall zu überspringen, was am Anfang nicht so gewesen war. Dies ist bedingt durch das Starten des zweiten Teils in der Dur-Dominante G-Dur und das Bestreben, innerhalb dieser Tonart zu bleiben.

Auch im zweiten Teil finden sich ähnliche rhythmische Sequenzierungen wie im ersten, und auch hier sind diese nur bedingt auf das melodische Material bezogen. Beispielsweise wird in der Oberstimme die melodische Linie von Takt 57 bis 60 einen Sekundschritt tiefer wiederholt, aber während in Takt 61 bis 64 der Rhythmus der gleiche bleibt, ist die Melodieführung in Takt 64 bereits anders als in Takt 60. Dafür beginnt mit der gesprungenen Sechzehntelnote von Takt 64 gleichzeitig eine neue, wirklich melodische Sequenz, reichend bis hin zu Takt 69 auf Eins und bestehend aus eben dieser gesprungenen Sechzehntelnote bis zur durch Überbindung angehängten punktierten Achtelnote in Takt 66. Dieses Motiv wird insgesamt zweimal unverändert wiederholt, jedes Mal um eine Sekunde höher. Zum Ende des zweiten Teils verläßt die Gigue das relativ starre rhythmische Schema der punktierten Achtelnoten zu Gunsten virtuos klingender Sechzehntelläufen. Zwar gibt es in der

Unterstimme noch sehr viele Punktierungen, aber die Oberstimme ist einzig dem Zweck verpflichtet, einen effektvollen sich steigernden Schluß einzuleiten. Dabei klingt motivisch durch die zwischen Sechzehntelläufe eingeschobenen Viertelnoten mit Überbindungen (Takt 75 und 77) noch einmal das Material aus der bisherigen Gigue an.

In ihrer Bewegtheit und mit ihrem virtuosen Ende bildet die Gigue einen adäquaten Abschluß für die gesamte Suite, und selbst in der einfach scheinenden Zweistimmigkeit gelingt Bach eine komplexe Vielschichtigkeit, die seine kompositorische Kunstfertigkeit brilliant unterstreicht.

Literaturverzeichnis

- Boyd, Malcolm: Johann Sebastian Bach, Stuttgart, 1984
- Danckwardt, Marianne: Instrumentale und vokale Kompositionsweisen bei Johann Sebastian Bach, Tutzing, 1985
- Geiringer, Karl: Johann Sebastian Bach, München, 1971
- Harnoncourt, Nikolaus: Musik als Klangrede, Salzburg/Wien, 1982
- Honegger, M. und Massenkeil, G. (Hg.): Das große Lexikon der Musik in acht Bänden, Freiburg i, Br., 1979
- Kolneder, Walter: Lübbes Bach-Lexikon, Bergisch Gladbach, 1982
- Kühn, Clemens: Formenlehre der Musik, Kassel, 1987
- Otterbach, Friedemann: Johann Sebastian Bach - Leben und Werk, Stuttgart 1982
- Ratz, Erwin: Einführung in die musikalische Formenlehre, 3. erw. und neugestaltete Auflage, Wien, 1973
- Werner-Jensen, Arnold: Reclams Musikführer - Johann Sebastian Bach, Bd. 1: Instrumentalmusik, Stuttgart, 1993

[...]


1 Vgl. MGG, S. 1705

2 vgl. MGG, S. 1707

3 Harnoncourt, S. 250

4 Harnoncourt, S. 246-247

5 vgl. Harnoncourt, S. 244

6 Harnoncourt, S. 244-245

7 Honegger, S. 295 f

8 Angaben zu den einzelnen Tänzen: vgl. a) Stöhr, S. 117-120 ; b) Harnoncourt, S. 248-252

9 Harnoncourt, S. 249

10 Boyd, S. 133

11 Boyd, S. 134

12 zit. nach Kolneder, S. 123

13 vgl. Otterbach, S. 113

14 Otterbach, S. 114

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Analyse der Hauptsätze der 2. frz. Suite von J.S. Bach
Hochschule
University of Sheffield
Veranstaltung
Seminar
Note
1,3
Autor
Jahr
1996
Seiten
21
Katalognummer
V98388
ISBN (eBook)
9783638968393
Dateigröße
467 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Analyse, Hauptsätze, Suite, Bach, Seminar
Arbeit zitieren
Peter Supthut (Autor:in), 1996, Analyse der Hauptsätze der 2. frz. Suite von J.S. Bach, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98388

Kommentare

  • Gast am 29.1.2004

    danke, du hast mich und mein
    referat gerettet ;-)

Blick ins Buch
Titel: Analyse der Hauptsätze der 2. frz. Suite von J.S. Bach



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