Kognitive Verhaltenstherapie und kognitive Umstrukturierung

Das Beispiel der Angststörung, insbesondere der sozialen Phobie


Hausarbeit, 2020

32 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Angststörungen
2.1 Grundkenntnisse über Angststörungen
2.2 Theoretische Hintergründe der Entstehung von Angststörungen

3 Praxis-Transfer
3.1 Fiktives Fallbeispiel einer Patientin mit sozialer Phobie
3.2 Anwendung der theoretischen Erklärungsansätze für das Fallbeispiel

4 Kognitive Umstrukturierung in der Verhaltenstherapie
4.1 Therapieeinstieg mittels ABC-Schema
4.2 Vorgehen der kognitiven Umstrukturierung

5 Diskussion

6 Fazit und Ausblick

Anhang

Literaturverzeichnis

Online-Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

AS Angststörung

GAS Generalisierte Angststörung

ICD International Classification of Mental and Behavioral Disorders

KVT Kognitive Verhaltenstherapie

SPK Sozialphobische Kognition

1 Einleitung

Mit 284 Millionen Betroffenen stehen Angsterkrankungen weltweit an der Spitze der psychischen Erkrankungen (OWID, 2019, Statista). Obwohl sie in unterschiedliche Kategorien differenziert werden, gibt es dennoch Merkmale, die für alle Angstpatienten gelten: Die erlebte Angst ist der Situation unangemessen. Zu den Folgen gehört, dass das Leben der Betroffenen durch die Ängste z. T. massiv eingeschränkt ist. Menschen mit einer objektiv grundlos übersteigerten Angst sind einem hohen Leidensdruck ausgesetzt. Nicht selten kommt es zu Problemen mit dem Arbeitgeber, aber auch die sozialen Kontakte zu Freunden und der Familie sind in Mitleidenschaft gezogen. Weil die Zahl der Menschen mit einer unangemessen großen Angst steigt, besitzt diese Thematik eine hohe gesellschaftliche Relevanz. Neben dem subjektiven Leid der Betroffenen, stellen Angststörungen auch für die Gesellschaft eine Belastung dar. Zum einen verursachen sie hohe Kosten für das Gesundheitssystem und zum anderen erhöhen sie die Gefahr weitere Krankheiten wie etwa kardiovaskuläre und andere psychische Erkrankungen zu entwickeln.

Die vorliegende Hausarbeit vermittelt als Einstieg in die Thematik vorerst grundlegendes Wissen über Angsterkrankungen. Anschließend wird mit theoretische Erklärungsmodelle gezeigt, wie Angststörungen entstehen können. Dabei stehen v. a. die Konditionierung und die kognitiven Theorien im Vordergrund. Um die Probleme eines Angstpatienten adäquat veranschaulichen zu können, erfolgt der PraxisTransfer der beschriebenen Theorien anhand eines selbst gestalteten fiktiven Fallbeispiels. Hieran knüpft der Lösungsvorschlag in Form der Kognitiven Verhaltenstherapie an. Weil insbesondere die kognitive Umstrukturierung als evidenzbasierte Methode der kognitiven Verhaltenstherapie gilt, wird sie detailliert und praxisbezogen erläutert. Schließlich folgt eine kritische Diskussion, die v. a. darauf eingeht, dass es trotz der häufigen Anwendung der kognitiven Verhaltenstherapie, insbesondere der kognitiven Umstrukturierung, durchaus Alternativen oder Ergänzungsoptionen gibt, die je nach Verfassung des Klienten und Patientenanamnese angezeigt sein können. Zuletzt wird in einem Fazit darauf eingegangen, welche Ziele die Arbeit verfolgt und erreicht hat.

2 Angststörungen

2.1 Grundkenntnisse über Angststörungen

Angst zählt neben Freude, Trauer, Furcht, Wut, Überraschung und Ekel zu den primären Emotionen. Vermutlich hat sich das angeborene Reaktionsmuster im Lauf der Evolutionsgeschichte ausgebildet, weil es Kommunikation ermöglicht und hilft, das Überleben zu sichern (Bassler, 2005, S. 11). Folglich ist Angst etwas Natürliches, Nützliches und sogar Notwendiges, wenn sie angebracht und verhältnismäßig ist. Tritt sie jedoch ohne eine erkennbare Bedrohung in einer überhöhten und das Individuum beeinträchtigenden Weise auf, liegt eine behandlungsbedürftige Angststörung (AS) bzw. eine Angsterkrankung vor (Ströhle, Gensichen, Domschke, 2018, S. 611). Frauen sind zwei- bis dreimal häufiger betroffen als Männer. Nicht selten tritt die Erstmanifestation in der Kindheit, der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter auf. Bevor Angsterkrankungen diagnostiziert werden, müssen die Symptome mindestens sechs Monate anhalten, bei Panikstörungen mindestens einen Monat. Weiterhin gilt, dass die Symptome der Angststörung nicht von einem Medikament oder einer körperlichen Krankheit ausgelöst wurden (Kring, Johnson, Hautzinger, 2019, S. 213). Bedeutungsschwer ist, dass Angststörungen eine hohe Komorbidität mit depressiven Störungen und Substanzmissbrauch zeigen (v. a. Drogen und Alkohol) (Bassler, 2005, S. 3). Weiterhin ist die sogenannte parallele Komorbidität von Angsterkrankungen untereinander hoch. So wurde beobachtet, dass Kinder mit einer Trennungsangst ein mehr als dreifach erhöhtes Risiko aufweisen, später eine Panikstörung zu entwickeln (Ströhle et al., 2018, S. 612).

Die Angststörungen sind nach ICD-10 Teil der Kategorie „Neurotische, belastungsund somatoforme Störungen“ (F4). Sie werden in zwei Gruppen unterteilt: Unter den „phobischen Störungen“ (F40) sind solche Erkrankungen zusammengefasst, die sich auf bestimmte Objekte oder Situationen beziehen. Die Betroffenen empfinden bei der Konfrontation mit dem angstauslösenden Stimulus exzessive Angst (Caspar, Pjanic, Westermann, 2018, S. 65). Infolgedessen werden die angstverursachenden Objekte und Situationen vermieden. Dieses Vermeidungsverhalten führt jedoch auf Dauer zu einer Intensivierung der Angstausprägung bzw. einer negativen Verstärkung im Sinne der operanten Konditionierung (Margraf, Schneider, 2009, S. 704; Caspar et al., 2018, S. 76).

Die Angstsymptomatik der Gruppe der „anderen Angststörungen“ (F41) ist nicht auf bestimmte Umgebungssituationen begrenzt (Mombour, Schmidt, 2014, S. 196). Sie zeichnet sich im Fall der generalisierten Angststörung (GAS) durch eine frei flottierende Angst aus, also einem dauerhaften „sich Sorgen“. Die Anspannung und Befürchtungen beziehen sich auf alltägliche Ereignisse und Probleme (Ströhle et al., 2018, S. 613). Die Die Panikstörung (ebenfalls zu der Gruppe F41 gehörend) ist durch unerwartete und situationsunspezifische Angstattacken gekennzeichnet. Besonders großen Leidensdruck verursacht hier zudem die „Angst vor der Angst“, also die Angst von einer Panikattacke überfallen zu werden.

Allen Formen der genannten AS ist gemein, dass die Betroffenen von ihren Ängsten überwältigt werden und diese nicht kontrollieren können. Die Ängste verursachen physische Symptome wie Herzrasen, Schweißausbrüche, Übelkeit, Schwächegefühl, Schwindel, Atemnot, Hyperventilation und Missempfindungen. Zu den psychischen Symptomen gehören die Angst vor dem Kontrollverlust, ein Fremdheitsgefühl bis hin zu Todesangst (Ströhle et al., 2018, S. 613).

Die Betroffenen sind nicht fähig, die tatsächliche oder beobachtbare Gefahr verhältnismäßig einzuordnen (v. a. bei Phobien) bzw. ihr Verhalten angemessen zu steuern. Das Hauptziel von Angstpatienten ist folglich, die Kontrolle über ihre Angstempfindungen und Symptome zurückzuerlangen. Um hierfür geeignete Strategien zu entwickeln, ist es notwendig zu verstehen, wie übersteigerte Angstreaktionen entstehen. Denn so können Mechanismen aufgezeigt werden, in die Ände- rungs- und/oder Übungsprozesse eingreifen müssen, um die Entstehung und Aufrechterhaltung des „Teufelskreises der Angst“ zu durchbrechen.

2.2 Theoretische Hintergründe der Entstehung von Angststörungen

Die Entstehung von AS ist nicht nur mit einem Ätiologiekonzept zu erklären. In der Praxis stellen Therapeuten regelmäßig fest, dass der Grund für eine psychische Erkrankung nicht mit einem Paradigma erklärbar ist. Vielmehr handelt es sich um ein Zusammenspiel zwischen der Anfälligkeit eines Individuums (Diathese) und belastenden Ereignissen (Stress), die den Betroffenen widerfahren. Das Diathese-Stress- Modell erlaubt es Therapeuten, sich zugunsten des besseren Verständnisses ihrer Patienten verschiedener Theorien zu bedienen (Hautzinger, Thies, 2009, S. 12). So sind auch im folgenden Abschnitt unterschiedliche Erklärungsansätze dargestellt, wie Angststörungen entstehen können.

Die Zwei-Faktoren-Theorie von Mowrer aus dem Jahr 1947 (Kring et al., 2019, S. 222) postuliert, dass die Angst in zwei Schritten konditioniert wird. Dabei wird zwischen der klassischen Konditionierung in einem ersten Schritt und der operanten Konditionierung in einem zweiten Schritt unterschieden.

Die klassische Konditionierung ist eine Form des Lernens, bei der ein Organismus Reize miteinander assoziiert. Ein neutraler Reiz wird an einen zuvor unkonditionierten Reiz (US) gekoppelt (Myers, 2008, S. 343). Als Resultat dieses Lernprozesses fungiert der vormals neutrale Reiz nun als konditionierter Reiz (CS) und kann als alleiniges Signal die konditionierte Reaktion auslösen.

Raynor und Watson (1920 zit. nach Kring et al., 2019, S. 227) zeigten die klassische Konditionierung eindrucksvoll und ethisch höchst problematisch anhand des Kleinkindes Albert. Zunächst wurde dem Jungen eine Ratte gezeigt, vor der er keine Angst hatte. In der Folge wurde die Präsenz der Ratte mit einem lauten Geräusch kombiniert, das ihn ängstigte. Nach einigen Wiederholungen reichte bereits der Anblick der Ratte aus und Albert begann zu weinen. Der ängstigende Lärm war nicht mehr nötig, um Albert zum Weinen zu bringen.

Die operante Konditionierung, der zweite Schritt von Mowrers Zwei-FaktorenTheorie, beschreibt, dass die Betroffenen die erlernte bzw. konditionierte Angst reduzieren, in dem sie den angstauslösenden Stimulus (bspw. Ratte) meiden. Weil jedoch das Vermeidungsverhalten die erlernte Angst nicht verändert, sondern intensiviert, handelt es sich dabei um eine „negative Verstärkung“ der Angst (Kring et al., 2019, S. 222).

Die Weiterentwicklungen von Mowrers Theorie sind für das Verständnis um die Entstehung von AS nicht minder bedeutsam. So stellte Rachmann (1977, zit. nach Kring et al., 2019, S. 222) fest, dass nicht nur durch ein persönliches Erleben die Angst erlernt wird. Bereits das Beobachten kann ausreichen, um einen zuvor neutralen Reiz mit einem aversiven Reiz zu konditionieren. Dieser Vorgang wird als Modelllernen bezeichnet. Bspw. kann die Beobachtung, wie ein Hund eine Person beißt, dazu führen, dass der Beobachter Angst vor Hunden bekommt, obwohl er selbst nicht gebissen wurde.

Auch eine verbale Instruktion, bspw. durch Eltern, ihr Kind vor gefährlichen Hunden zu warnen, können eine Konditionierung des Hundes mit Angst bewirken.

In Anbetracht der Zwei-Faktoren-Theorie von Mowrer ist davon auszugehen, dass grundsätzlich nahezu alle Stimuli mit Angst konditioniert werden können. Dennoch gibt es Objekte, Tiere (bspw. Spinnen, Schlangen) oder Situationen (Dunkelheit, Alleinsein, Verletzungen), die Menschen häufiger Angst machen als etwa eine Blume oder eine Steckdose. Auf den amerikanischen Psychologen Seligman (1971 zit. nach Caspar et al., 2018, S. 76) geht die Theorie zurück, dass der Mensch im Laufe der Evolution gelernt hat, sehr schnell auf Reize zu reagieren, die potentiell eine Gefahr darstellen könnten. Dieses Phänomen wird physiologische Lernbereitschaft oder „preparedness“ genannt (Kring et al., 2019, S. 228). Unterstützt wird diese Annahme von einer Untersuchung Dawsons et al. (1986 zit. nach Kring et al., 2019, S. 228): Menschen können auf zahlreiche Reize angstkonditioniert werden. Allerdings verschwinden bei einer anhaltenden Exposition die meisten Ängste. Eine Ausnahme stellen Ängste vor natürlich gefährlichen Reizen dar, sie bleiben trotz anhaltender Exposition tendenziell bestehen.

Im Mittelpunkt der kognitiven Erklärungsmodelle stehen die Beurteilung und Interpretation von Situationen. Aus kognitionspsychologischer Sicht beeinflussen die Erfahrungswerte aus der Vergangenheit die Wahrnehmung und den Umgang mit aktuellen Situationen. Sogenannte Schemata oder kognitive Sets (Kring et al., 2019, S. 69) helfen dabei, neue Informationen einzuordnen.

Generell umfasst die Kognition Prozesse der Wahrnehmung, des Erinnerns und des Vorstellens, somit geistige Prozesse wie Denken, Urteilen, Begreifen und Planen (Kring et al., 2019, S. 588). Diese Prozesse können gestört sein, sodass daraus eine dysfunktionale Kognition resultiert. Margraf und Schneider (2009, S. 694) beschreiben die dysfunktionale Kognition als „eine die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden beeinträchtigende Kognition“. Sie ist im Kontext mit mehreren psychischen Störungen zu beobachten, v. a. bei Depression, Angststörungen, Schizophrenie und psychischen Störungen im Zusammenhang mit Hirnerkrankungen.

Bedeutsam für die Ätiologie von AS sind v. a. drei kognitive Aspekte: Angstpatienten zeigen eine Tendenz dazu, mit dem Schlimmsten zu rechnen, d. h., sie weisen eine anhaltende negative Zukunftserwartung auf (Kring et al., 2019, S. 225). Beispielhaft für die Panikstörung ist, dass viele der Betroffenen bei Herzklopfen Angst bekommen, an einem Herzinfarkt zu sterben. Für die Behandlung der Patienten ist dabei weniger wichtig, wie diese Gedanken ursprünglich entstanden sind, sondern wie der Mechanismus der Aufrechterhaltung durchbrochen werden kann. Die Tatsache, dass nach 50 Panikanfällen mit Herzklopfen noch kein Infarkt zum Tod geführt hat, stellt für die Betroffenen keine effektive Lernmethode dar. Vielmehr erklären sie sich ihr Überleben anhand ihres Sicherheits- bzw. ihres Vermeidungsverhaltens (bspw. keine körperliche Belastung und folglich weniger starkes Herzklopfen).

Einen weiteren kognitiven Faktor stellt die geringe Kontrollüberzeugung dar. Zahlreiche Angstpatienten haben das Gefühl, ihre Umgebung nur unzureichend beeinflussen zu können. Genährt wird das an eine Ohnmacht und Hilflosigkeit erinnernde Gefühl von Traumatisierungen in der Kindheit, strafenden und restriktiven Erziehungsmethoden sowie Missbrauch. Sowohl im Tierversuch (v. a. Affenbabys) als auch experimentelle Untersuchungen mit Menschen zeigten, dass eine gering ausgeprägte Kontrollüberzeugung ein bedeutsamer Vulnerabilitätsfaktor für die Entstehung von AS darstellt (Kring et al., 2009, S. 225).

Die Aufmerksamkeit von Menschen, die an einer AS leiden, konzentriert sich sehr schnell und automatisch auf für sie angsteinflößende Stimuli. Das Bedrohungsgefühl ist wesentlich raumgreifender als bei gesunden Menschen. Betroffenen fällt es schwerer als Gesunden, ihre Aufmerksamkeit von einem solchen Reiz wieder abzulenken. Diese Beobachtung wurde mit Dot-Probe-Aufgaben experimentell untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass z. B. Patienten mit einer spezifischen Phobie vor Schlangen selektiv auf Schlangenbilder achten (McNally et al. 1990 zit. nach Kring et al., 2019, S. 226). Öhman und Soares (1994 zit. nach Kring et al., 2019, S. 226) belegten zudem, dass die Beachtung des angstauslösenden Stimulus erfolgt, noch bevor der Reiz bewusst wahrgenommen wird. Weitere Forschungsarbeiten fanden heraus, dass diese Form der Aufmerksamkeitsverzerrung erlernbar ist und als Methode dafür eingesetzt werden kann, das Angstniveau zu senken. Hierfür trainieren die Patienten mittels Dot-Probe-Aufgaben, ihre Aufmerksamkeit auf positive Stimuli zu fokussieren (Amir et al., 2009 zit. nach Kring et al., 2019, S. 226). Einen herausragenden Stellenwert nimmt die kognitive Theorie von Beck, Emery und Greenberg (1985, zit. nach Stangier, Clark, Ginzburg, Ehlers, 2016, S. 14) ein.

Ihnen zufolge stellen kognitive Schemata die zentrale Ursache für die Entwicklung psychischer Störungen, v. a. der sozialen Phobie und der Depression dar. Die Aktivierung der kognitiven Schemata erfolgt durch Stressoren in Form besonderer Lebensereignisse oder Anforderungen. Typische Schemata sind etwa: „Ich bin ein Außenseiter.“, „Ich schaffe das sowieso nicht.“, „Ich bin nicht liebenswert.“, „Die anderen sehen mir an, dass ich kein Talent habe.“ oder „Wenn ich rot werde, lachen mich die anderen aus.“. Die Beispiele zeigen, dass Betroffene ihr Selbst als inkompetent bezeichnen und der Bewertung durch andere eine große Bedeutung zumessen. Werden diese Schemata durch Stressoren aktiviert, sind negative Emotionen und problematische Verhaltensweisen (bspw. Rückzug) die Folge.

Die Entstehung der negativen Schemata verorten Beck et al. (1985 zit. nach Stan- gier et al., 2016, S. 15) tendenziell in frühen Lebensphasen. Sie können durch Modelllernen von den Eltern übernommen oder durch den elterlichen Erziehungsstil begünstigt werden. So können bspw. eine überkritische oder überbehütete Haltung der Eltern die Entwicklung eines positiven Selbstbildes und Selbstvertrauen behindern. Außerdem spielen Erlebnisse in sozialen Situationen wie in der Schule (auslachen, hänseln) oder im Sportverein eine wichtige Rolle. Ebenso können Traumata, wie durch sexuellen Missbrauch, zur Entwicklung negativer Schemata führen, die das Selbst herabsetzen und die Meinung anderer überhöht.

Ein besonders sensibler Zeitraum für die Entstehung negativer Schemata sind Übergänge zwischen Entwicklungsphasen, wie z. B. die Adoleszenz. Stressoren können in solchen Phasen etwa erhöhte Ansprüche der Umwelt an eine Person darstellen oder eine zu hohe Anforderung an das soziale Verhaltensrepertoire eines jungen Menschen (Stangier et al., 2016, S. 15).

Einen ähnlichen Ansatz verfolgte auch Albert Ellis (Radkovsky/Berking, 2012, S. 35) in den 1950er Jahren. Aus den Erkenntnissen des amerikanischen Psychologen ging die heutige „Rational-emotive Verhaltenstherapie“ hervor. Ihr liegt zugrunde, dass eine psychische Störung ihren Ursprung in einer „verzerrten Wahrnehmung, unlogischen Annahmen oder falschen Interpretationen“ haben (Reinecker, 2012, S. 234). Beispielhafte Gedanken sind: „Ich muss perfekt sein“ oder „Ich bin ein Versager“. Hinter solchen Aussagen stehen relativ extreme Denkmuster, wie fehlerfrei sein zu müssen, undifferenzierte Verallgemeinerungen (bspw. „Ich habe immer schlechte Noten“), Katstrophengedanken (bspw.: „Wenn ich in dieser Prüfung keine gute Note schreibe, wird mein ganzer Studienschnitt schlecht“) und eine niedrige Frustrationstoleranz. Ziel der „Rational-emotive(n)-Verhaltenstherapie“ ist es, mittels einer sog. A-B-C-Analyse1 die „dysfunktionalen Überzeugungen“ der Patienten zu ändern. Statt der Übertreibungen und Generalisierungen sollen Rationalität und eine realistische Einschätzung die Patienten befähigen, konstruktiver mit Herausforderungen umzugehen. In der Gegenwart gilt die „Rational-emotive Verhaltenstherapie“ als wirksames Therapieverfahren (Radkovsky/Berking, 2012, S. 37).

Die bisher genannten ätiologischen Komponenten sind, wie im späteren Verlauf der Arbeit noch zu sehen sein wird, durch geeignete Therapieverfahren beeinflussbar. Anders verhält es sich mit genetischen Faktoren. Zwillingsstudien haben gezeigt, dass die Erblichkeit der spezifischen Phobien, der sozialen AS und der GAS 2040% betragen. Die Erblichkeit der Panikstörung liegt sogar bei etwa 50% (Hettema et al., 2001, zit. nach. Kring et al., 2019, S. 223).

Obwohl die oben beschriebene Konditionierung einen Umweltfaktor darstellt, unterliegt sie dennoch auch einem genetischen Einfluss. Zwillingsstudien zeigten, dass das Ergebnis einer Konditionierungserfahrung je nach genetischer Disposition das Ausmaß der Aneignung oder der Löschung eines konditionierten Reizes unterschiedlich ausfallen kann (Hettema et al., 2003, zit. nach Michael, Ehlers, 2009, S. 106). Auf molekularer Ebene sind hierfür das serotonerge System (Aneignung) und das dopaminerge System (Löschung) maßgeblich verantwortlich. Weitere Studien zeigten, dass insbesondere Menschen mit einer AS stärker konditionierbar sind als gesunde Kontrollprobanden (Blechert et al., 2007, Hermann et al., 2002 zit. nach Michael, Ehlers, 2009, S. 106). Vor allen Dingen die Löschung von erlernten Angstreaktionen ist für die Betroffenen schwieriger, woraus eine angeborene Neigung einer erhöhten Konditionierbarkeit geschlussfolgert wird.

Bei der Empfindung von Furcht und Angst sind v. a. drei Gehirnstrukturen beteiligt. Die Amygdala, der Hippocampus und der präfrontale Kortex bilden den sogenannten Angstkreis (Kring et al., 2019, S. 223). Untersuchungen konnten nachweisen, dass die Amygdala von Angstpatienten auf den Anblick eines ärgerlichen Gesichts stärker reagiert als die Amygdala eines gesunden Probanden (Blair et al., 2008; Monk et al., 2006, zit. nach. Kring et al., 2019, S. 224).

Der mediale präfrontale Kortex ist insbesondere an der Löschung von Angst und der Steigerung der Amygdala-Aktivität beteiligt. Patienten mit einer AS zeigten eine reduzierte Aktivität des medialen präfrontalen Kortex beim Anblick von bedrohlichen Reizen. Das bedeutet, eine Erregung des Angstkreises ist begünstigt und eine Drosselung der Angstempfindung ist erschwert. Auch die Regulation ihrer emotionalen Reaktion auf einen bedrohlichen Reiz fällt solchen Personen schwerer (Goldin et al., 2009 zit. nach Kring et al., 2019, S. 224).

In Anlehnung an die Psychoanalyse gehen psychodynamischen Konzepte davon aus, dass AS innere Konflikte abwehren. Psychoanalytiker nehmen an, dass die Ursachen für die Angst in einer verschütteten Vergangenheit liegen (Kring et al., 2019, S. 235). Sigmund Freud differenziert zwischen der Realangst und der neurotischen Angst. Die Realangst stellt eine Reaktion auf objektive Gefahren der Außenwelt dar (Hautzinger, Thies, 2009, S. 5). Die neurotische Angst ist nicht die Folge einer realen Bedrohung, sondern entsteht aus einer Verdrängung von Triebbedürfnissen. Der Kern der Angst ist dabei unbewusst. Die Betroffenen ängstigen sich vor den Konsequenzen einer aufbrechenden verdeckten Triebregung.

Freud beschreibt unterschiedliche Weisen, wie der Angst begegnet werden kann. Der Realangst begegnet das Individuum bewusst, in dem sie eine Gefahr beseitigt, umgeht, kämpft oder flieht. Die neurotische Angst umgeht das Ich mittels unbewusster Abwehrmechanismen (z. B. Verdrängung, Projektion, Verschiebung, Regression). Weil diese Abwehrmechanismen häufig negative Folgen für das Alltagsleben oder die soziale Einbettung einer Person haben, sind sie oftmals der Grund, weshalb ein Therapeut konsultiert wird.

[...]


1 A = Activating event, d. h. äußere Ereignis; B = belief system, d. h. rationale bzw. irrationale Meinungen zu A; C = consequences, d. h. Reaktion auf A, bspw. Trauer od. Wut (Reinecker, 2012, S. 234).

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Kognitive Verhaltenstherapie und kognitive Umstrukturierung
Untertitel
Das Beispiel der Angststörung, insbesondere der sozialen Phobie
Hochschule
SRH Hochschule Riedlingen  (Psychologie)
Veranstaltung
Theorie-Praxis-Transfer
Note
1,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
32
Katalognummer
V983894
ISBN (eBook)
9783346342782
ISBN (Buch)
9783346342799
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kognitive Verhaltenstherapie, Kognitive Umstrukturierung, Angststörung, Soziale Angststörung, Theorie-Praxis-Transfer
Arbeit zitieren
Katharina Gross (Autor:in), 2020, Kognitive Verhaltenstherapie und kognitive Umstrukturierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/983894

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