Sie saßen und tranken am Teetisch
Das Gedicht "Sie saßen und tranken am Teetisch" von Heinrich Heine handelt von einer feinen Teegesellschaft, die sich über ihre unterschiedlichen Ansichten der Liebe austauscht. Dem Gedicht liegen Aspekte der Gesellschaftskritik sowie auch Elemente der Liebeslyrik zugrunde. Als erste Deutungshypothese könnte man das Gedicht unter dem Aspekt des mangelnden Verständnisses von Liebe der hier sprechenden Personen begutachten. Sie sprechen sehr viel von Liebe, allerdings scheint es so, als ob alle nicht wirklich wissen, was sich hinter dem Begriff "Liebe" verbirgt.
Das Gedicht besteht aus fünf Strophen mit jeweils vier Zeilen, denen als Betonungsschema ein dreihebiger Jambus zugrunde liegt. Die einzelnen Verse werden mit einem unreinen Kreuzreim dem Schema abab folgend aneinandergefügt, so dass die Worte des Autors einen Anklang von Ironie erhalten. Ein Beispiel für einen reinen Reim sind die Endungen der Zeilen 1 und 3 "Teetisch" und "ästhetisch"; die Zeilen 2 und 4 enden mit einem unreinen Reim ("viel" und "Gefühl").
Das ganze Gedicht läßt sich in drei Sinnabschnitte einteilen. Die erste Strophe umfasst den ersten Teil, in dem die Ausgangssituation beschrieben wird und ein gesellschaftlicher Rahmen aufgezeigt wird. Man könnte hier auch von einer Einleitung sprechen. Der zweite Abschnitt setzt sich aus der zweiten, dritten und vierten Strophe zusammen und gibt die verschiedenen Ansichten der Liebe der Teegesellschaft wieder. Die fünfte und letzte Strophe des Gedichtes umspannt den letzten Sinnabschnitt, in dem sich zum einen die Perspektive des Erzählers und lyrischen Ichs ändert sowie das "Schätzchen" des lyrischen Ichs direkt angesprochen wird, von seiner Vorstellung von Liebe zu erzählen.
Das Gedicht ist sprachlich sehr differenziert gestaltet, da sich viele stilistische Merkmale finden lassen. Hierbei handelt es sich um diverse Alliterationen, Deminutiva, Enjambements und Kontraste. Als Alliteration lassen sich die Anfänge der Zeilen 5 bis 7 ausmachen, zumal jede dieser drei Zeilen mit einem bestimmten Artikel beginnt ("die", "der", "die"). Abgesehen davon beginnt jedes dieser Worte mit einem "d". Die Wendung "seufzet sie" gehört ebenfalls zu der Gruppe der Alliterationen. Diese stilistischen Merkmale zeigen auf, dass dem Gedicht ein relativ einfacher Satzbau unterstellt ist. Weiterhin stechen Deminutiva wie "Plätzchen", "Liebchen" und "Schätzchen" (Z. 17-19) hervor, die vor allem auf die Haltung des lyrischen Ich im Bezug auf die Liebe aufmerksam machen sollen. Hier wird deutlich, dass er die Liebe seiner Partnerin wahrscheinlich für sehr naiv hält, da er mit den Deminutiva und Beschönigungen, ihre Ansichten ein wenig ins Lächerliche zieht. Desweiteren werden als rhetorische Figuren die Kontraste gebraucht, so wie in den Zeilen 3 und 4, wo "die Herren" und "die Damen" als Gegensatzpaar gegenübergestellt werden. Ebenso fallen Enjambements, sogenannte Zeilensprünge, ins Auge. Die Phrase "Und präsentieret gütig - die Tasse dem Herren Baron" gehört dazu.
Die erste Strophe, die wie bereits erwähnt, als eine Art Einleitung gesehen werden kann, beschreibt zunächst einmal die Ausgangssituation, in der sich die anwesenden Herrschaften befinden. Durch die Wörter "Teetisch", "Herren" und "Damen" wird verdeutlicht, dass es sich bei dieser Runde um eine feine Teegesellschaft der Oberschicht handelt. Die anwesenden Herren werden als "ästhetisch" (Z. 3) beschrieben, was soviel wie künstlich und gekünstelt heißen mag, und die Damen der Runde werden als Damen "vom zarten Gefühl" beschrieben. Dies zeugt von der konsequenten Erfüllung eines gewissen Rollenklischees, bei dem die Herren einem relativ oberflächlichen Schema zu folgen haben, so dass ihre Rolle als das starke und allwissende Geschlecht verdeutlicht wird. Demzufolge sollen die Damen ein sehr gefühlsbetontes Bild hergeben, bei dem es primär darum geht, als kleine Frau hinter dem starken Mann zu stehen. Dieses läßt auch Rückschlüsse auf die damalige Situation der Frau zu, in der die Frauen kaum etwas zu sagen hatten und viel mehr die treusorgende Ehefrau darstellten. Hier wird also eine Scheinwelt aufgebaut, zumal ja jede der anwesenden Herrschaften versucht, mit ihrer persönlichen Auffassung über die Liebe die anderen zu überzeugen und somit indirekt vom eigenen Liebesleben zu berichten. Denn man muss berücksichtigen, dass zu dieser Zeit, in der das Gedicht geschrieben worden ist, Liebe - besonders die körperliche - als Tabuthema galt und man demnach eher selten darüber sprach, vor allem nicht in solchen feinen Teegesellschaften.
Desweiteren wird in dieser ersten Strophe durch die Alliteration "sie saßen" eine gewisse Distanz vom Erzähler zum aktuellen Geschehen aufgebaut und die Kameraperspektive als Erzählerperspektive gewählt. So fungiert der Sprecher als auktorialer Erzähler, der allwissend über die anderen Personen herrscht.
Im zweiten Teil des Gedichtes, welcher die zweite bis vierte Strophe umfasst, herrscht vor allem eine gewisse Parallelität zwischen den Dialogen und der Personenkonstellation vor.
Hier wird es nämlich deutlich, dass auf jede Aktion oder auf jedes Statement des einen Geschlechts, das andere Geschlecht eine Reaktion zeigt, sei es in Worten oder Taten. Hierbei spielt es keine Rolle, welches Geschlecht die aktiviere ist, denn beide Möglichkeiten werden hier aufgezeigt. Diese Dialoge begrenzen sich immer auf ein Paar, das in jeweils einer Strophe zusammen agiert. Dies sind der Hofrat und die Hofrätin, der Domherr und das Fräulein und die Gräfin und der Baron. Desweiteren liegt hier auch eine Harmonie des Personals vor, zumal alle auftretenden Figuren aus der Oberschicht stammen und demnach von Grund auf die gleichen Prinzipien haben und ähnlich Konventionen vertreten. Allerdings liegt bei dieser ganzen Teegesellschaft eine Art von Kommunikationsstörung vor, zumal alle Anwesenden aneinander vorbei reden und nicht auf die Anregungen der anderen eingehen. So zeigt sich ein weiteres Klischee und zwar dass die Oberschicht doch sehr Ich-orientiert zu sein scheint und kaum andere Personen in ihrem Umfeld wahrnimmt.
Die zweite Strophe zeigt das Liebespaar Hofrat und Hofrätin auf, das sich mit seiner Ansicht über die Liebe gar nicht einig ist. Der Hofrat meint: ,,Die Liebe muss sein platonisch." und so passt sein Kommentar vollkommen in das zuvor auferlegte Rollenklischee, da er mit seiner Ansicht eine relativ gefühllose Liebe fordert. Die Hofrätin entgegnet dem zunächst mit einem ironischen Lächeln, was sie aber kurz darauf mit ihrem Seufzer widerlegt. Dies zeigt, dass auch die Frau Hofrätin damit einwandfrei ihre Rolle ausfüllt, in dem sie die Frau hinter dem Hofrat spielt, aber insgeheim gar nicht zufrieden mit ihrem (Liebes-) Leben ist. So macht sie also gute Miene zum bösen Spiel, wie man so schön sagt.
In der dritten Strophe werden der Domherr und ein Fräulein zu den aktiv handelnden Personen. Beide machen Aussagen über die Liebe, obwohl sie eigentlich nichts von Liebe - zumindest von der körperlichen - wissen dürften. Denn ein Domherr, also ein Geistlicher, soll bekanntlich zölibatäres Leben führen und ein Fräulein kann noch nichts über Liebe wissen, da sie ja noch Jungfrau ist und mit keinem Mann Kontakt hatte. Bei der Darstellung dieser beiden Charaktere werden wiederholt die spezifischen Rollenklischees erfüllt, und somit werden alle Figuren dieses Gedichtes zu einer Karikatur. Dies zeigt sich besonders beim Domherrn, der mit weit geöffnetem Mund über die Liebe berichtet, als ob er predigend auf der Kanzel stünde. Die ebenso stereotypische Verhaltensweise des Fräuleins wird vor allem durch ihre Frage ,,Wieso?" unterstützt, da dies von einer gewissen Naivität und Unwissenheit bezüglich der Liebe zeugt.
Die vierte Strophe schildert die mehr oder weniger zweideutige Haltung der Gräfin hinsichtlich der Liebe. Zum einen kann ihr Statement ,,Die Liebe ist eine Passion" bedeuten, dass die Liebe, also wahrscheinlich ihre Beziehung zu ihrem Gatten, ein Leiden ist und dass sie somit sehr unzufrieden mit diesem Teil ihres Liebesleben ist. Andererseits kann ,,Passion" auch als ,,Leidenschaft" gedeutet werden, was bedeutete, dass sie über eine mögliche Affäre mit dem Baron, dem sie anmutig eine Teetasse reicht, nachdenkt. Dadurch wird bewiesen, dass auch schon zu dieser Zeit bestimmte Konventionen nach außen hin aufrecht erhalten wurden, doch es innerlich in den Menschen meistens ganz anders aussah. Da wahrscheinlich ein Verhältnis zwischen der Gräfin und dem Baron vorliegt, kann dies als Doppelmoral bezeichnet werden.
In der fünften und letzten Strophe fällt vor allem die wechselnde Erzählperspektive auf, zumal der Erzähler, nunmehr das lyrische Ich genannt, jetzt zum Teil der Handlung wird. Das nun mit am Teetisch sitzende lyrische Ich redet hier sein ,,Schätzchen" an, um auch von ihm zu erfahren, was es von der Liebe hält. Denn es hätte ganz gut in diese Runde gepasst, da des ,,Liebchens" Ansichten über die Liebe ebenso oberflächlich wie die der anderen scheinen. Dies wird primär durch die vorkommenden Deminutiva unterstrichen. Demnach entsteht der Eindruck, dass nur das lyrische Ich die einzig wahre Definition von Liebe kennt, zumal es alle anderen Einstellungen zur Liebe kritisiert und ein bißchen auch verurteilt. Allerdings treten keine eindeutigen Hinweise für seinen eigenen Standpunkt zur Liebe auf.
Um das Gedicht in eine bestimmte Sparte von Lyrik einzuordnen, sollte man auch den Titel "Sie saßen und tranken am Teetisch" betrachten. Dieser enthält kein einziges Wort, das mit Liebe und Gefühlen in Verbindung gebracht werden kann, so dass man das Gedicht von Heinrich Heine eigentlich nicht zu den typischen Liebesgedichten zählen kann. Allerdings kann man es durch die wahrscheinliche Intension des Autors und die aufkommende Ironie zu einem Gedicht der Gesellschaftskritik zählen, da vor allem die Oberflächlichkeit der anwesenden Damen und Herren in bezug auf die Liebe kritisiert wird. Denn es entsteht der Anschein, als ob dieses sehr tiefgründige Thema Liebe meistens mit allgemeinen Floskeln tituliert wird. So wird hier das Gesprächsthema Liebe zu einer allgemeinen und relativ unwichtigen Konversation über das zumeist schlechte Wetter.
Zusammenfassend kann man nun sagen, dass dieses Gedicht eindeutig von der Gesellschaftskritik lebt, da jede einzelne Haltung in bezug auf die Liebe abgewertet und kritisiert wird. Dies geschieht primär durch die im Gedicht aufkommende Ironie.
Daraus kann man folgern, dass der Autor wahrscheinlich der Ansicht ist, dass Liebe keinesfalls definiert und klassifiziert werden kann, aber dennoch jede Ansicht mit Vorsicht zu genießen ist, da dies immer sehr objektiv ausfallen kann.
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