Integrationsschwierigkeiten von Arbeitsmigranten in Deutschland. Herausforderungen türkischer Gastarbeiter bei ihrer sozialen und strukturellen Integration in Deutschland (1961-1995)


Bachelorarbeit, 2020

50 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Forschungsstand
1.2 Problemstellung
1.3 Wissenschaftliche Relevanz
1.4 Forschungsfrage
1.5 Aufbau der Arbeit

2 Migration und Integration
2.1 Migration
2.1.1 Arbeitsmigration
2.2 Integration
2.3 Assimilation

3 Historischer Hintergrund der Gastarbeiterphase
3.1 Ursachen der Auswanderung
3.2 Die Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer
3.2.1 Die Anwerbung türkischer Arbeitnehmer
3.3 Der Anwerbestopp

4 Theoretische Grundlagen
4.1 Kapitaltheorie nach Victor Nee & Jimy Sanders
4.1.1 Theoretischer Bezug und theoretische Erwartung
4.2 Assimilation und Integration nach Hartmut Esser
4.2.1 Theoretischer Bezug und theoretische Erwartungen
4.3 Neo-Assimilation nach Richard Alba & Victor Nee
4.3.1 Theoretischer Bezug und theoretische Erwartung

5 Studienüberblick
5.1 Studie über die soziale Lage der ausländischen Arbeitskräfte (1971/1972)
5.1.1 Interpretation und Theoriebezug
5.2 „Befragung deutscher und ausländischer Haushalte zur Ausländerintegration in Berlin“ (1979/1980)
5.2.1 Interpretation und Theoriebezug
5.3 Studie über die gesetzliche Regelung der Zuwanderung in der BRD (1965-1991)
5.3.1 Interpretation und Theoriebezug
5.4 „Berufliche und soziale Integration von Zuwanderern in Westdeutschland“ (1991-1995)
5.4.1 Interpretation und Theoriebezug

6 Fazit

7 Literatur- und Quellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Faktoren der sozialen und strukturellen Integration

Abbildung 2: Der Spracherwerb als wichtigste Vorbedingung und Schlüssel für die Integration

Abbildung 3: Herausforderungen der sozialen und strukturellen Integration der türkischen Gastarbeiter

1 Einleitung

1.1 Forschungsstand

„Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“, lautet das bekannte Zitat von Max Frisch, einem Schweizer Schriftsteller, welches die Grundlage dieser Arbeit bildet, nämlich die Integ­rationsschwierigkeiten der damaligen Gastarbeiter in Deutschland. Denn auch sie sind Men­schen, die nicht nur Arbeit leisteten, sondern auch Gefühle und Bedürfnisse hatten (Türk et al. 2006: 21).

In der öffentlichen Debatte herrschte eine paradoxe Situation, in der einerseits kritisiert wurde, die ausländischen Arbeitnehmer hätten sich nicht genug integriert, andererseits vertrat die Bun­desregierung lange Zeit die Ansicht, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei (McRae 1980: 27; Aumüller 2009: 195; Hans 2010: 14; Karakaya 2014: 13), sondern nur ein Aufent­haltsland auf Zeit (McRae 1980: 27; Sayler: 1987: 10); wie schon vom Begriff „Gast“-Arbeiter ableitbar ist. Der Begriff „Gastarbeiter“ wurde zudem im Nachhinein kritisiert und durch „Aus­ländischer Arbeitnehmer“ ersetzt. Dies wird folgendermaßen begründet: „Gast-Sein heißt zwar, Vorrechte des Geschütztseins zu genießen, es heißt aber auch, nicht verwurzelt zu sein, keine Heimatrechte zu genießen“ (Meistermann-Seeger 1972: 16). Zudem erweckte es den Anschein, als ob den „ausländischen Arbeitnehmern“ bewusstgemacht werden sollte, dass sie nicht ansäs­sig werden sollen (Türk et al. 2006: 21). Ohne dem Begriff „Gastarbeiter“ eine Bedeutung zu­zumessen, wird er dennoch in der Arbeit verwendet, um eine klare (zeitliche) Abgrenzung von anderen ausländischen Arbeitsmigranten zu schaffen. Aumüller (2009: 195) und Karakaya (2014: 13) betonen, dass, obwohl eine Eingliederung rhetorisch geleugnet wurde, diese faktisch zu Stande gekommen sei, wenn man lediglich den zunehmenden Migrantenanteil an der Ge­samtbevölkerung betrachte.

1.2 Problemstellung

Die Problematik dabei ist also, dass die ausländischen Arbeitnehmer ursprünglich nicht auf Dauer angeworben und beschäftigt werden sollten und daher eine Integration der Arbeitsmig­ranten seitens der Regierung vernachlässigt wurde (Türk et al. 2006: 19, 21).

Die fehlende Integrationspolitik hatte somit negative Konsequenzen zur Folge, die sich auch unmittelbar auf die zweite Generation auswirkten (Hans 2010: 14). Aber auch die Arbeitsmig­ranten selbst hatten anfangs nur die Absicht, genug Geld zu verdienen und anschließend in die Heimat zurückzukehren, wodurch sie vielleicht auch kaum Integrationsbereitschaft zeigten. Es wird deutlich, dass nicht nur kollektive Interessen von Bedeutung sind, sondern auch individu­elle. Mit der Zeit entwickelte sich die Situation anders als geplant, sodass sich viele dieser Ar­beitsmigranten letztendlich in Deutschland niederließen und sowohl in der Freizeit als auch im Berufsleben benachteiligt waren, auch wenn dies „nicht gewollt, nicht geplant und nicht Ziel einer Handlung war“ (Di Croce 2006: 10). Die Notwendigkeit einer Integrationspolitik zeigte sich im Zuge des Anwerbestopps 1973, der einen Nachzug der Familienangehörigen der Gast­arbeiter zur Folge hatte (Aumüller 2009: 192). Denn spätestens dann war eine Integration allein in den Arbeitsmarkt nicht mehr ausreichend (ebd.).

1.3 Wissenschaftliche Relevanz

Die Relevanz des Themas lässt sich wie folgt erklären: Zwar liegt die Phase der Gastarbeiter­Anwerbung bereits 65 Jahre zurück, dennoch sind diese ein wichtiger Bestandteil der Gesell­schaft, weil sie Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg mitaufgebaut haben, viele von ihnen inzwischen zu Bürgern geworden sind und vor allem, weil sie immer noch ihre zweite, dritte und sogar vierte Generation prägen, die vollständig in Deutschland aufgewachsen sind und auch hier leben (Diehl 2005: 13). Daher scheint es notwendig zu sein, um die Integration ihrer Fol­gegenerationen besser verstehen zu können, die Integrationsprobleme der Gastarbeiter näher zu betrachten. Außerdem ist es zwingend notwendig, die Integration von allen beteiligten Seiten zu analysieren, um den Ursprung und die Entwicklung der Integrationsproblematik zu erfassen.

1.4 Forschungsfrage

Da die Anwerbeabkommen mit unterschiedlichen Ländern unterzeichnet wurden, deren Bürger auch aufgrund diverser Kulturen verschieden sozialisiert sind, zeigten diese auch Unterschiede in ihrer Integrationsart (Sayler 1987: 4). Um die Forschungsarbeit somit thematisch näher ein­grenzen zu können, wird sich nur auf eine Migrantengruppe beschränkt. Folgende Forschungs­frage soll damit wissenschaftlich beantwortet werden: „ Welche Herausforderungen hatten tür­kische Gastarbeiter bei ihrer sozialen und strukturellen Integration in Deutschland (1961­1995) ?“. Die soziale Integration umfasst dabei allgemein die Beziehungen und Interaktionen zwischen den ausländischen Arbeitnehmern und den Einheimischen, wie Freundschaften, aber auch familiäre Bindungen der Gastarbeiter. Die strukturelle Integration bezieht sich auf die Arbeits-, Bildungs- und Wohnsituation der Arbeitsmigranten in der Aufnahmegesellschaft und die deutsche Sprache. Der zeitliche Rahmen setzt sich demnach bereits wie folgt zusammen: Da das deutsch-türkische Anwerbeabkommen im Jahr 1961 unterzeichnet wurde, behandelt die Arbeit auch hauptsächlich den Zeitraum ab 1961. Um dies weiter zu spezifizieren, sollen die Integration und Gesellschaft bis zum Jahr 1991 betrachtet werden. Da die Gastarbeiter zum größten Teil männliche Arbeitnehmer waren, werden auch nur diese in der Arbeit analysiert. Unter dem Aspekt der Integrationsproblematik sollen die verschiedenen Hürden und Barrieren für Gastarbeiter näher dargestellt werden. Im Fokus dieser Schwierigkeiten stehen dabei einer­seits Merkmale der Migranten, darunter der sozioökonomische Status und ihre Deutschsprach­kenntnisse, andererseits Faktoren im Aufnahmeland, darunter institutionelle Rahmenbedingun­gen sowie Diskriminierungen und Benachteiligungen. Anhand dieser Faktoren soll somit un­tersucht werden, inwieweit diese Hindernisse für die Integration der Gastarbeiter darstellten. Somit ist das Ziel der Arbeit, die Herausforderungen der sozialen und strukturellen Integration der türkischen Gastarbeiter anhand von vier unterschiedlichen Aspekten (siehe Abbildung 1) zu analysieren.

Abbildung 1: Faktoren der sozialen und strukturellen Integration

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung

Für das weitere Verständnis der Arbeit ist es wichtig, diese Faktoren kurz zu erläutern:

Der sozioökonomische Status und die erforderlichen Sprachkenntnisse bilden die Merkmale der Migranten. Dabei handelt es sich um individuelle Faktoren, die einen Einfluss auf die In­tegration haben könnten. Unter dem sozioökonomischen Status versteht man soziale Lebens­umstände, wie bspw. die Bildung, die finanzielle Situation oder auch einfach die Herkunft einer Person. Dieser Status bildet sich durch die Verfügung über bestimmte Ressourcen bzw. Kapi­talien. Dabei dienen diese für unterschiedliche Zwecke, welche später im theoretischen Teil näher dargestellt werden. Das Fehlen dieser Ressourcen könnte eventuell eine Herausforderung für die Integration der Gastarbeiter darstellen, was aus diesem Grund untersucht werden soll. Erforderliche Sprachkenntnisse dienen zur Kommunikation mit anderen Menschen. In diesem Fall geht es um das Erlernen der deutschen Sprache, weil es die Sprache des Aufnahmelandes ist. Mithilfe der Kommunikation können Menschen einfacher und auch häufiger miteinander agieren. Ohne eine gemeinsame Sprache könnten Barrieren hierfür entstehen.

Diskriminierungen und Benachteiligungen, wie institutionelle Rahmenbedingungen, werden als Faktoren im Aufnahmeland zusammengefasst. Im ersten Fall sollen keine diskriminierenden Handlungen, wie Gewalttaten untersucht werden, sondern diskriminierende Einstellungen der Einheimischen gegenüber den Gastarbeitern oder Benachteiligungen dieser im öffentlichen Le­ben und im Arbeitsmarkt. Auch dieser Faktor bildet eine wichtige Basis für die Entwicklung der Integration, der näher untersucht werden soll, genau wie institutionelle Rahmenbedingun­gen. Hierunter soll die Rolle der Regierung näher betrachtet werden. Welche Unterstützung boten sie den Gastarbeitern an? Wie bereiteten sie sich auf die Integration vor, welche Maß­nahmen wurden ergriffen?

Um noch einmal auf den Punkt der Integration zurückzukommen, sei erwähnt: sowohl die so­ziale als auch die strukturelle Dimension beziehen sich dabei auf alle genannten Faktoren (siehe Abbildung 1). Als Beispiel: die Bedeutung der Sprachkenntnisse sowohl im sozialen Umfeld (soziale Integration), als auch im Berufsleben (strukturelle Integration).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass folgende Frage im Mittelpunkt steht: Unter welchen Bedingungen haben die Gastarbeiter bessere Möglichkeiten bzw. welche Bedingungen stellen Hindernisse für ihre soziale und strukturelle Integration dar?

1.5 Aufbau der Arbeit

Nach der Vorstellung des Forschungsthemas und der Forschungsfrage in der Einleitung, wer­den in Kapitel 2 zunächst die unterschiedlichen Begriffe der Migration und Integration näher definiert, um den weiteren Verlauf der Arbeit verständlicher zu gestalten und weil diese auch Bestandteile sowohl des Forschungsthemas als auch der Forschungsfrage sind. Daraufhin folgt ein Abschnitt über den historischen Hintergrund der Gastarbeitergeschichte, sowohl aus der Sicht des Aufnahmelandes als auch aus der Sicht der Arbeitnehmer (Kapitel 3). Anschließend folgen in Kapitel 4 theoretische Grundlagen, die für die Forschungsfrage relevant erscheinen, gefolgt von theoretischen Erwartungen in Form von Hypothesen, um später die Forschungs­frage beantworten zu können. Das Kapitel 5 stellt die Methode der Arbeit dar. Sie umfasst einen Überblick der bisherigen empirischen Studien, über bereits erforschte Daten, die die For­schungsfrage aufgreifen. Im Fazit (Kapitel 6) wird alles im Hinblick auf die Forschungsfrage kurz zusammengefasst, um letztendlich diese final beantworten zu können.

2 Migration und Integration

2.1 Migration

Ursprünglich stammt der Begriff „Migration“ vom Lateinischen (migrare) und bedeutet über­setzt „wandern“, was die geschichtliche Entwicklung der Menschheit beschreibt (Aigner 2017: 3). Ein Individuum oder eine Gruppe einer Gesellschaft wandert bzw. migriert somit in eine andere. Bedeutend dabei sei, dass sich dadurch auch die Gesellschaftsstruktur sowohl der Auf­nahmegesellschaft als auch der Herkunftsgesellschaft präge und mitgestalte (Aigner 20017: 3, 83). Gründe für die Migration sind vielfältig und spiegeln sich in freiwilliger und unfreiwilliger Form wider. Während Bürgerkriege, Flucht und Vertreibung, Naturkatastrophen oder z. B. po­litische Verfolgung eine unfreiwillige Migration verursachen, gelten Anlässe wie bessere Ar- beits- oder Bildungschancen, Heirat, o.Ä. als freiwillige Migration (Aigner 2017: 81; Hoesch 2018: 29). Allerdings ist McRae (1980: 20) der Ansicht, dass Arbeitsmigration kaum als frei­willig bezeichnet werden könne, da betroffene Personen aus Armut und Hoffnungslosigkeit gezwungenermaßen auswandern würden.

Von der Migration betroffene Personen bezeichnet man dabei als Migranten bzw. Migrantin­nen. Jedoch würden unter diesen Begriff auch Personen mit Migrationshintergrund fallen, also solche, die nur teilweise aus einem anderen Land kommen. Dazu zählen bspw. Individuen, die selbst zwar nicht im Ausland geboren sind, aber deren Eltern oder Elternteile (Sauer/Brinkmann 2016: 8). Diejenigen, die vollständig aus dem Ausland kommen, gelten daher auch als Migran­ten der ersten Generation oder Zuwanderer, wie bspw. die Gastarbeiter (ebd.). Laut dem Statis­tischen Bundesamt leben zurzeit ca. 20,8 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, der Anteil der ausländischen Bevölkerung beläuft sich momentan auf 11,2 Milli­onen (Statistisches Bundesamt 2020).

2.1.1 Arbeitsmigration

Hoesch definiert die Arbeitsmigration als eine „grenzüberschreitende Mobilität, die zum Zweck der Erwerbstätigkeit in einem anderen nationalen Arbeitsmarkt als dem heimischen unternom­men wird“ (Hoesch 2018: 29). Dabei gelte eine Arbeitsmigration aus rechtlicher Sicht dann, wenn auch eine Aufenthaltserlaubnis bestehe und diese an die Beschäftigung gebunden sei (ebd.). Die Gastarbeiter-Anwerbung gelte außerdem als die stärkste Arbeitsmigration in den europäischen Staaten (ebd.).

2.2 Integration

Integration im Kontext der Migration bedeutet zunächst die Eingliederung in die neue Gesell­schaft (Hoesch 2018: 80). Sie wird als ein langfristiger Prozess betrachtet, der die gleichbe­rechtigte Teilhabe jedes Individuums an der Gesellschaft als Ziel verfolgt. An dieser Stelle ist hinzuzufügen, dass die Integration auch ein zweiseitiger Prozess ist, für den nicht allein die Aufnahmegesellschaft verantwortlich ist, sondern auch eine gewisse Bereitschaft der Migran­ten als notwendig erscheint (Gestring 2014: 87; Karakaya 2014: 49; Sauer/Brinkmann 2016: 4). Karakaya (2014: 50) argumentiert weiterhin, dass, je vielfältiger die Gesellschaft ist, desto langfristiger sei auch der Prozess der Integration, der außerdem auch generationenübergreifend wäre.

Wie in der Einleitung bereits erwähnt, gibt es verschiedene Dimensionen der Integration, die sich alle auf unterschiedliche Felder beziehen, sei es bspw. die Integration in den Arbeitsmarkt (strukturelle Integration) oder in die Gesellschaft (soziale Integration). Hierauf wird später im theoretischen Rahmen erneut eingegangen.

Schon jahrzehntelang wird dabei diskutiert, welche Art und Weise der Integration von Migran­ten die „Richtige“ sei. Daher besitzt der Begriff auch diverse Typen (Aigner 2017: 84). Einige davon sind eher positiv orientiert und beziehen sich auf ein friedliches Zusammenleben, andere jedoch deuten auf Ungleichheiten und werden negativ bewertet (Hans 2016: 24). Im Verlauf der Arbeit werden einige solcher Begriffe mit ihren Definitionen erscheinen. Im Folgenden soll jedoch der Begriff „Assimilation“ kurz erläutert werden, da dieser sehr oft gemeinsam mit dem Begriff der Integration vorzufinden ist.

2.3 Assimilation

„Assimilation“ stammt ursprünglich aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „ähnlich machen“ oder „nachahmen“ (Aumüller 2009: 27). Im Zusammenhang der Migration kann dies also als eine Art der Angleichung an die Aufnahmegesellschaft betrachtet werden (ebd.). Die Begriffe „Integration“ und „Assimilation“ werden am häufigsten zusammen diskutiert, da es auch hier immer wieder Uneinigkeiten und verschiedene Interpretationen gegeben hat. Einer­seits wird argumentiert, dass in der öffentlichen Debatte Integration häufig positiv und Assimi­lation eher negativ verwendet werde (Aumüller 2009: 11; Mammey 2005: 23), andererseits behaupten andere Autoren, dass Assimilation neben der Eingliederung und Integration positiv zu bewerten sei (Hans 2016: 24).

Grundsätzlich werden folgende Interpretationen der Assimilation unterschieden:

1) Das klassische Konzept geht davon aus, dass Eingewanderte sich unumgänglich an die Aufnahmegesellschaft anpassen. Dieser Vorgang ist im amerikanischen Raum auch als „melting pot“ bekannt (Aumüller 2009: 36), sodass ethnische Merkmale keine Rolle mehr spielen und sich auflösen (Aumüller 2009: 54). Dieses Konzept wird häufig in Stufenmo­delle unterteilt. Ein bekanntes Stufenmodell ist das „race relations cycle“ (1950) von Ro­bert E. Park, einem Soziologen aus der Chicagoer Schule (Gestring 2014: 80).
2) Weiterhin erläutert Aumüller (2009: 31 f.) den Begriff Assimilation aus einer deutsch­sprachigen Enzyklopädie, der erstmals 1953 definiert sei: Der Prozess der Assimilation erfordere vor allem einen „psychischen Aufwand“ (ebd.), weil hierdurch die eigene Kultur mitsamt der Muttersprache und der ethnischen Zugehörigkeit, komplett aufgegeben wer­den solle (ebd.). Dies wäre die einzige und „beste“ Lösung, um sich in die neue Gesell­schaft zu integrieren. Hier ist also die Rede von einer „Entfremdung des Individuums von seiner Herkunftskultur“ (Aumüller 2009: 36).
3) Neuere Debatten bestreiten ältere Interpretationen vollständig oder teilweise und defi­nieren sie neu ((Neo-)Assimilation). Seit den 90er-Jahren meint der Begriff Assimilation demnach nur eine „sozialstrukturelle Angleichung“ (Aumüller 2009: 36) von Einwande­rern, um eine Chancengleichheit aller Individuen zu erreichen. Dieses Konzept wird später im theoretischen Teil aufgegriffen und dort näher definiert.

Dennoch wird aufgrund der eher negativen Vergangenheit des Assimilationsbegriffes, im öf­fentlichen Diskurs oftmals auf den Begriff verzichtet und stattdessen der neutralere Begriff der Integration verwendet (Aumüller 2009: 44). In vorliegender Arbeit werden die Begriffe ohne jegliche eigenen Interpretationen verwendet und nur aus der Sicht der jeweiligen Autoren dar­gestellt.

3 Historischer Hintergrund der Gastarbeiterphase

Im Folgenden sollen die Ursachen und die Entwicklung der Anwerbung aus der Sicht der Bun­desrepublik dargestellt werden. Ebenso sollen die Ursachen der Auswanderung türkischer Gast­arbeiter aus ihrem Herkunftsland näher erläutert werden, um später die Herausforderungen der Integration besser nachvollziehen zu können.

3.1 Ursachen der Auswanderung

Das Interesse an einer Arbeitsbeschäftigung bestand nicht nur seitens der Bundesrepublik, auch die Migranten waren daran interessiert, wenn man vor allem ihre finanzielle Situation und die sozioökonomische Lage der Herkunftsländer betrachtet. Diese Länder waren nämlich geprägt von hoher Arbeitslosigkeit und Armut (McRae 1980: 19). Demnach erfolgten Auswanderungen mit der Intention, eine Arbeit zu finden bzw. höheres Einkommen zu erzielen, um auch die eigene Familie finanziell unterstützen zu können. Genau deshalb hatten viele von ihnen die Absicht, unter anderem auch Geld zu sparen und mit einem höheren Status zurückzukehren (ebd.). Im Vergleich zu Deutschland lässt sich sagen, dass in den betroffenen Ländern somit eine Nachfrage nach Arbeit herrschte, aber kein Angebot zur Verfügung stand.

3.2 Die Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Deutschland ein unerwartetes Wirtschaftswachstum („Deutsches Wirtschaftswunder“), welches ein großes Angebot an Arbeitsplätzen schaffte, je­doch durch den verlorenen hohen Männeranteil aufgrund des Krieges, die Nachfrage nicht ge­deckt werden konnte (Karakaya 2014: 16). Daher entwickelte die Bundesrepublik ein Pro­gramm zur Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland (Türk et al. 2006: 19). Dieses Abkommen trat das erste Mal 1955 mit Italien in Kraft. Darauf folgten im Jahr 1960 Spanien und Griechenland, 1961 die Türkei, Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und 1968 Jugoslawien (Karakaya 2014: 19; Türk et al. 2006: 20).

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, war diese Anwerbung nicht auf Dauer gedacht, wodurch die Beschäftigung mit befristeten Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen einherging (Türk et al. 2006: 19). Das Ziel war dabei, so viel Arbeitskraft wie möglich bis zum Jahr 1973 anzuwer­ben (ebd.). Während der Anteil der Gastarbeiter im Jahr 1955 bei 80.000 lag, stieg er in nur 5 Jahren auf 200.000 Arbeitskräfte (Karakaya 2014: 19). Die Anwerbung erfolgte über die Bun­desanstalt für Arbeit durch Kommissionen und Verbindungsstellen, sodass ausländische Ar­beitskräfte direkt an deutsche Firmen vermittelt wurden (McRae 1980: 11, 13). Dabei konnten die Gastarbeiter zwischen mehreren Arbeitsplätzen auswählen. Vorher mussten sie jedoch ärzt­lich untersucht werden, um sicherstellen zu können, dass sie einerseits für körperliche Arbeit gesundheitlich geeignet sind und andererseits keine Krankheiten ins Aufnahmeland mitschlep­pen (McRae 1980: 13; Karakaya 2014: 26). Zudem sollte hiermit versichert werden, dass deut­sche Krankenkassen finanziell gering belastet werden (Karakaya 2014: 26). Nach einem posi­tiven Ergebnis wurde vom Arbeitgeber ein Vertrag unterzeichnet - i. d. R. befristet für ein Jahr -, der auch den Mindestlohn und einen Schlafplatz garantierte (McRae 1980: 13 f.).

3.2.1 Die Anwerbung türkischer Arbeitnehmer

Das Anwerbeabkommen mit der Türkei wurde am 30. Oktober 1961 unterzeichnet. Die türki­schen Gastarbeiter waren im Durchschnitt zwischen 20 und 40 Jahren alt und kamen haupt­sächlich „aus armen bildungsschwachen ländlichen Gebieten Anatoliens“ (Karakaya 2014: 26). Zudem waren sie sowohl schulisch als auch beruflich gering qualifiziert und fast nur ungelernte oder angelernte Arbeiter (ebd.). Somit ist feststellbar, dass auch diese Gruppe der ausländischen Arbeitnehmer hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland auswanderte. Al­lerdings wollten sie nur genug Geld verdienen und anschließend wieder zurückkehren, „um sich in der Türkei eine eigene Existenz aufbauen zu können“ (Karakaya 2014: 27). Insgesamt bewarben sich bis zum Anwerbestopp 2.659.512 Türken um einen Arbeitsplatz in Deutschland; ca. ein Viertel (648.029) von ihnen wurde angenommen (ebd.).

Die Regierung befristete den Aufenthalt auf zwei Jahre, sodass sie nach Ende des Vertrages wieder in die Heimat zurückkehren sollten, was auch dem Interesse der Gastarbeiter entsprach (Karakaya 2014: 24). Die Arbeitgeber jedoch forderten die Auflösung dieses Rotationsprinzips, weil die Kosten für die Einarbeitung der türkischen Arbeitnehmer höher waren als der Nutzen, den sie erbringen sollten (Karakaya 2014: 25). Stattdessen wollten sie, falls das auch dem Inte­resse der Arbeiter entsprach, die Dauer verlängern, denn ihre Einarbeitung erforderte eine län­gere Zeit, nicht zuletzt wegen mangelnden Sprachkenntnissen (ebd.). Dieser Wunsch wurde auch umgesetzt, sodass im Jahr 1964 die Zwei-Jahres-Frist wegfiel. Dies führte wiederum zum dauerhaften Verbleib der meisten türkischen Arbeitnehmer (Karakaya 2014: 26).

3.3 Der Anwerbestopp

Infolge der Ölkrise (1973) setzte eine Rezession ein, sodass die Bundesregierung im selben Jahr einen Anwerbestopp für weitere ausländische Arbeitnehmer einleitete (Karakaya 2014: 21). Die Ziele dieses Anwerbestopps waren einerseits die Sicherung von vorhandenen Arbeitsplät­zen, um eine Arbeitslosigkeit vorzubeugen, andererseits den Ausländeranteil zu reduzieren (Karakaya 2014: 22). Stattdessen sank aber der Anteil der ausländischen Erwerbstätigen und der reine Ausländeranteil stieg im Gegensatz dazu an. Hierfür gab es zwei Gründe:

1. Der Anwerbestopp führte zu einem verstärkten Nachzug von Familienangehörigen der Gastarbeiter.
2. Die ausländische Bevölkerung wies im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung eine höhere Geburtenrate auf (Karakaya 2014: 22).

Auch türkische Gastarbeiter holten somit ihre Ehefrauen und Kinder nach (Karakaya 2014: 26). 1973 betrug der Anteil der ausländischen Arbeitnehmer in Deutschland 2,6 Millionen, abgese­hen von Familienangehörigen (Karakaya 2014: 20), sodass die Gesamtzahl der Ausländer fast 4 Millionen betrug (Karakaya 2014: 27). Der Anteil der Türken bildete außerdem von 1961 bis 1973 die größte ausländische Gruppe (ebd.). Der Familiennachzug führte schließlich zu einer langfristigen bzw. dauerhaften Aufenthaltsdauer der meisten ausländischen Arbeitnehmer, so­dass eine fehlende Integrationspolitik nicht mehr zu dulden war. Durch den Wandel der Gesell­schaft nahmen die gesellschaftlichen Probleme zu und beeinflussten sogar die zweite Genera­tion, die Kinder der Betroffenen (McRae 1980: 9).

Der Anteil der Personen mit türkischem Migrationshintergrund betrug 2015 ca. 2,9 Millionen (Schührer 2018: 5). Laut dem Statistischen Bundesamt (2019) stellen die türkischen Staatsbürger, mit 1.472.390 Personen - darunter 759.640 Männer - , gegenwärtig den größten Anteil an der ausländischen Bevölkerung in Deutschland.

Die Darstellung des historischen Hintergrundes der Gastarbeiterphase diente einerseits als In­formationsweitergabe, andererseits zur Hinführung für ein besseres Verständnis der Entwick­lung der Integration im späteren Verlauf. Denn der Abschnitt stellte sowohl die Interessen und Intentionen des Aufnahmelandes dar, als auch die Herkunftsmerkmale und Ausbreitung der ausgewählten Migrantengruppe.

[...]

Ende der Leseprobe aus 50 Seiten

Details

Titel
Integrationsschwierigkeiten von Arbeitsmigranten in Deutschland. Herausforderungen türkischer Gastarbeiter bei ihrer sozialen und strukturellen Integration in Deutschland (1961-1995)
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
2,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
50
Katalognummer
V985314
ISBN (eBook)
9783346342744
ISBN (Buch)
9783346342751
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Migration, Gastarbeiter, Herausforderungen, Türkisch, Arbeitsmigranten, Integration, Assimilation, Integrationsschwierigkeiten, Strukturell, sozial, Ausländer, Deutschland, Türken, Kultur, Subjekt, Probleme, integrieren
Arbeit zitieren
Burcu Ünver (Autor:in), 2020, Integrationsschwierigkeiten von Arbeitsmigranten in Deutschland. Herausforderungen türkischer Gastarbeiter bei ihrer sozialen und strukturellen Integration in Deutschland (1961-1995), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/985314

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