Sozialpolitik im Überblick. Ziele und Inhalte der Europäischen Sozialcharta von 1961


Referat / Aufsatz (Schule), 1999

13 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Sozialpolitik im Überblick

Niko Papadakos

Die Sozialcharta

Simon Püttmann

Quellenangabe

Anhang

Die Sozialcharta vom 18. Oktober 1961 (Auszug) Änderungen des Sozialrechts

Sozialpolitik im Überblick

Als erstes möchte ich zum umfassenden und schwierigen Thema „Sozialpolitik in der EU“ einige Begriffe für das bessere Verständnis erläutern.

Da wäre zunächst „Sozialpolitik“ an sich.

Sozialpolitik gilt als zusammenfassende Bezeichnung für sämtliche institutionalisierten Formen eines auf die soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit gerichteten politischen Handelns. Akteure der Sozialpolitik sind neben dem Staat auch Verbände, Gewerkschaften sowie zahlreiche kleinere private Institutionen der sozialen Selbsthilfe.

Gegenstand der staatlichen Sozialpolitik sind allgemein alle Bestimmungen und gesetzlichen Regelungen, die der gerechten Verteilung von Lebenschancen und -risiken gewidmet sind. Im Einzelnen gilt das Interesse der Sozialpolitik insbesondere den Institutionen der sozialen Sicherung, also etwa der Unfall-, Kranken-, Renten- und der Arbeitslosenversicherung sowie weiterhin all jenen Maßnahmen, die besondere individuelle Notlagen mildern sollen, wie etwa Mietbeihilfen und Sozialhilfe. Eine besondere Aufgabe der Sozialpolitik ist in diesem Zusammenhang die Unterstützung der beruflichen und sozialen Eingliederung Behinderter und anderer strukturell benachteiligter Bevölkerungsgruppen.

Zur Sozialpolitik zählen weiterhin die arbeitsrechtliche Gesetzgebung des Staates (Arbeitszeitbeschränkung, Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung bei Krankheit, Mindesturlaub etc.) sowie die im Rahmen der Tariffreiheit zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften in der Form von Tarifverträgen oder in Betriebsvereinbarungen zu treffenden Regelungen der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen.

Aber nach Friedrich - Willhelm - Dörge sind „Wirtschafts- und Sozialpolitik wechselseitig mit einander verknüpft“. Darauf komme ich jedoch später zu sprechen.

Dann reden viele Leute von der sogenannten „sozialen Sicherheit“, das heißt, dass der betreffende Staat ein „soziales Netz“, in der Europäischen Union (EU), früher europäische Gemeinschaft(EG), ausgeprägter als in anderen föderativen Staaten wie den USA, spannt. Dies bezeichnet ein Sicherungssystem, das vordergründig von Sozialversicherung und Sozialhilfe getragen wird, aber auch weitere staatliche und gesellschaftliche Leistungen und Institutionen. Die soziale Sicherheit wurde in den Artikeln 22 und 25 der Erklärung der Menschenrechte vom 12. Dezember 1948 als Forderung nach der zuvor bereits in der Atlantik - Charta (vgl. Anhang) festgehaltenen „Freiheit von Not“ aufgenommen.

Unter die soziale Sicherheit fällt wie gesagt die Sozialhilfe. Sie ist Teil der öffentlichen Sozialleistungen und des sozialen Netzes. Sie soll Menschen helfen, die in Not geraten sind und die nicht oder nicht ganz in der Lage sind, aus eigenen Kräften ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Auf Sozialhilfe besteht z.B. in der Bundesrepublik ein Rechtsanspruch, soweit es das Sozialgesetzbuch (SGB) bestimmt (neueste Änderungen im SGB siehe Anhang). Die Leistungen richten sich in der Regel nach dem besonderen Bedarf und den persönlichen Verhältnissen des Hilfeempfängers, sie können jedoch in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich aufgeteilt sein. Die Kosten der Sozialhilfe tragen vor allem die Länder und Kommunen, aus deren Steueraufkommen sie finanziert wird. Neben der Zielsetzung, dem Bedürftigen ein menschenwürdiges Leben in der Gemeinschaft zu sichern, will die Sozialhilfe den in Not geratenen Menschen zur Selbsthilfe ermutigen. Man unterscheidet zwischen Hilfen zum Lebensunterhalt und zwischen Hilfen in besonderen Notlagen. Während letztere z. B. Ausbildungs- und Krankenhilfe oder die Eingliederungshilfe für Behinderte umfasst (siehe oben), dienen die Leistungen der ersten Variante beispielsweise dem Erwerb von Ernährung, Strom und Heizung und der Beschaffung von Kleidung und Hausrat. Sozialhilfe zum Lebensunterhalt kann als laufende oder einmalige Leistung erfolgen und richtet sich nach den Regelsätzen, welche die zuständige Landesbehörde erlässt. Der Regelsatz für den Haushaltsvorstand betrug beispielweise Anfang 1997 im rechnerischen Durchschnitt in den westlichen Bundesländern 530 DM und für den Ehepartner 80 Prozent davon. Die Regelsätze für Kinder betragen je nach Alter zwischen 50 und 90 Prozent des Regelsatzes, der für den Haushaltsvorstand gilt.

Anspruch auf Sozialhilfe hat jede bedürftige Person, die in der Bundesrepublik lebt, aber auch Deutsche im Ausland können Sozialhilfe bekommen. Die Zahl der Personen, die in der Bundesrepublik ständig auf Sozialhilfe angewiesen sind, ist in den letzten Jahren stark gestiegen.

Ein Beispiel:

Die Ausgaben für die Sozialhilfe betrugen nach den im März 1997 veröffentlichten neuesten Angaben des Statistischen Bundesamtes 1995 in Deutschland rund 52 Milliarden DM (1993: 48,9 Milliarden DM). Am Jahresende 1995 erhielten 2,52 Millionen Menschen laufende Hilfe zum Lebensunterhalt (9,3 Prozent mehr als im Vorjahr). Von den Sozialhilfeausgaben entfielen 1995 18,8 Milliarden DM (+ 10,6 Prozent gegenüber 1994) auf die Finanzierung der Hilfe zum Lebensunterhalt und 33,3 Milliarden DM (+ 1,7 Prozent gegenüber 1994) auf Maßnahmen der Hilfe in besonderen Lebenslagen.

Sozialhilfeempfänger im früheren Bundesgebiet benötigten 45,1 Milliarden DM, Sozialhilfeempfänger in den neuen Ländern und Berlin-Ost sieben Milliarden DM. Damit sind die Sozialhilfeausgaben im Osten stärker gegenüber dem Vorjahr gestiegen (+ 7,6 Prozent) als im Westen der Bundesrepublik (+ 4,3 Prozent).

Aber auch in wirtschaftlich schwächeren Ländern wie Griechenland gibt es ein ähnliches Netz der Fürsorge wie Sozialhilfe und Mindestlöhne et cetera. Denn in der EU ist eines der Hauptziele als „supranationale Organisation“ eine Angleichung der Völker Europas in wirtschaftlichen und eben sozialen Fragen zu schaffen nach den festgelegten Normen, die von der europäischen Kommission erlassen wurden und werden.

Diese gelten aber nicht verbindlich, sollten aber eingehalten werden, um dem Ziel der EU ein Stück näher zu rücken. Diese „Mindestempfehlungen“ dürfen aber natürlich von den einzelnen EU Staaten nach belieben überschritten werdendes gibt aber auch rechtlich verankerte Mindeststandards, die in Artikel 118a des EG - Gründungsvertrags von 1957. Um neben der „wirtschaftlichen Integration“ auch die Soziale voranschreiten zu lassen, hat man beispielsweise eine „Maßnahme zur Verbesserung der Arbeits - und Lebensbedingungen“ der Arbeitnehmer sowie gleiche Löhne für Männer und Frauen (Art. 119 EGV) gefordert und leider nur grob festgelegt, so dass es noch einige Zeit später Schlupflöcher für Arbeitgeber gab der Frau für die gleiche Arbeit weniger zu zahlen.

An dieser stelle eignet sich ein Rückblick, um die vollen Außmasse zu erfassen:

Um den Zusammenhalt zwischen den EU - Mitgliedsstaaten zu kräftigen und zu einem hohen „Beschäftigungsniveau“ sowie einem hohen Maß an sozialen Schutz zu gelangen hat die EG 1957 den Grundstein zu „der sozialen Dimension der Gemeinschaft“ geschaffen. Dies trug zur Modernisierung des Sozialschutzes und dem Ausbau auch verbindlicher sozialer Mindeststandards und die „Vorschläge der Kommission“ zur Bekämpfung der Diskriminierung.

Soziale Fragen spielten in der EU zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Dies lag wohl auch daran, dass die Sozialpolitik zu den Politikbereichen zählt, die stärker als andere von nationalen Traditionen und geschichtlicher Entwicklung der einzelnen Staaten geprägt sind, deswegen wird es meiner Meinung nach auch nie eine komplette gemeinschaftliche Integration der EU geben. Der Vertrag von 1957 enthielt nur wenige Handlungsermächtigungen der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Sozialpolitik. Nur zur Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und zur Regelung ihrer sozialen Sicherheit (Art. 48, 49 und 51 EGV) und zum Europäischen Sozialfonds (Art. 123 EGV) erhielt die Gemeinschaft eine „Kompetenz zum Erlass von Rechtsakten“. Dabei verblieb die Zuständigkeit grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten, die Gemeinschaft hatte lediglich den Auftrag, die enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern.

Später erfolgte eine Ausweitung der sozialpolitischen

Einflussmöglichkeiten der Gemeinschaft vor allem durch die Einheitliche Europäische Akte (EEA) von 1986: Mit Einführung von Artikel 118a (s.o.) in den EG-Vertrag erhielt die Gemeinschaft eine ausdrückliche Kompetenz zum „Erlass von Mindeststandards im Bereich des Arbeitsschutzes“ (mit qualifizierter Mehrheit). Wichtiger war noch die im Rahmen der EEA im Zusammenhang mit dem Binnenmarktprojekt angestoßene Diskussion um die „soziale Dimension" (s.o.)der sich durch Vollendung des Binnenmarktes beschleunigenden europäischen Integration. Die Verwirklichung des Binnenmarktes mit dem Wegfall zahlreicher Hindernisse auf den Märkten weckte - vor allen bei den Gewerkschaften - Befürchtungen vor einer Schwächung des sozialen Schutzes.

Die soziale Dimension des Binnenmarktes wurde daher 1988 auf dem Europäischen Rat in Hannover zum zentralen Thema der Staats- und Regierungschefs gemacht. Als wichtigste Aussage hielt der Gipfel fest, dass eine gemeinschaftliche Sozialpolitik nicht zu einem Sozialabbau in der Gemeinschaft führen darf. Damit wurden auch die Grundlagen für weitere Entscheidungen des Europäischen Rates gelegt, in der Gemeinschaft den sozialen Aspekten den gleichen Stellenwert zuzumessen wie den Wirtschaftlichen.

Einen weiteren Fortschritt in der Sozialpolitik zur „Sozialcharta“(s. Simon) brachte der Europäische Rat in Maastricht Ende 1991, auf dem elf Mitgliedstaaten (ohne Großbritannien) ein rechtlich verbindliches Abkommen über die Sozialpolitik das sogenannte „Sozialabkommen" verabschiedeten, das neue Rechtsgrundlagen für sozialpolitische Maßnahmen schuf, insbesondere aber auch die Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen des Rates im sozialpolitischen Bereich ausdehnte auf Maßnahmen im Bereich der Arbeitsbedingungen, der Verbesserung der Arbeitsumwelt zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer, der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer sowie der beruflichen Eingliederung aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzter Personen. In finanzwirksamen und besonders sensiblen Bereichen blieb es beim Erfordernis der Einstimmigkeit.

Dies sind:
- soziale Sicherheit und sozialer Schutz der Arbeitnehmer
- Kündigungsschutz
- Vertretung und kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen einschließlich Mitbestimmung
- Beschäftigungsbedingungen der Staatsangehörigen dritter Länder sowie finanzielle Beiträge zur Förderung der Beschäftigung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen.

Allerdings wurde auch ein Europa der zwei Geschwindigkeiten im Sozialbereich geschaffen, da die aufgrund des Sozialabkommens verabschiedeten Richtlinien nicht automatisch für Großbritannien galten. Die europäische Sozialpolitik erhielt damit entscheidende Kompetenzen, die durch den Ausbau eines Grundsteines verbindlicher, einklagbarer Mindeststandards für Arbeitnehmer ausgefüllt werden. Mindestnormen sind keine Minimalnormen; sie stellen die schrittweise wirtschaftliche und soziale Übereinstimmung in der Gemeinschaft sicher. Der Maastrichter Vertrag hat auch das Subsidiaritätsprinzip (Sub-si·di·um das; -s,-di·en (veraltet) 1 nur Mz. Hilfszahlungen e-s Staates an e-n anderen; 2 Unterstützung, Rückhalt) erstmals ausdrücklich verankert. Nur das, was von den Mitgliedstaaten nicht genügend und von der Union besser geregelt werden könnte, soll auf europäischer Ebene geregelt werden. Den endgültigen Durchbruch für die Sozialpolitik brachte der im Juni abgeschlossene Vertrag von Amsterdam mit dem Beitritt Großbritanniens zum Sozialabkommen von Maastricht.

Auf dem Europäischen Rat in Amsterdam wurde darüber hinaus ein neuer Titel zur Beschäftigung in den EG-Vertrag aufgenommen, der eine geregelte Beschäftigungsstrategie durch die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft vorsieht. Mit dem Abschluss eines Europäischen Beschäftigungspaktes auf dem Europäischen Rat im Juni 1999 in Köln ist es der deutschen EU-Präsidentschaft gelungen, die Beschäftigungspolitik auf der europäischen Ebene um wesentliche Elemente zu ergänzen, ihre Wirksamkeit zu erhöhen und dem nach Einführung des EURO gestiegenen Erfordernis der „makroökonomischen“ (Mak·ro·öko·no·mie, die; -, kMz. (ökon.)

Untersuchung der Gesamtheit der volkswirtschaftlichen Größen u. Prozesse) Abstimmung anzupassen.

In Zukunft geht es zunehmend darum, die Arbeitskräfte in der EU auf die zusammenwachsenden europäischen Arbeitsmärkte vorzubereiten und dies kann nur gelinge, wenn die nötigen Bedingungen, sprich eine vereinheitlichte Sozial- und Arbeitsgesetzgebung vorhanden sind. Das „Sozialpolitische Aktionsprogramm“ der Kommission 1998-2000 gibt die Richtung vor, innerhalb derer der Prozess der sozialpolitischen Erneuerung künftig vonstatten geht und bietet einen umfassenden Überblick über die von der Kommission dazu zu ergreifenden Maßnahmen.

Mit dem Aktionsprogramm sollen die Erfolge der letzten Jahre in der europäischen Sozialpolitik weiterverfolgt und gefestigt werden.

Doch es besteht fortwährend die Einstellung, dass „die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nicht beeinträchtigt werden darf“ durch sozialpolitische Belange.

Nach Friederich - Wilhelm - Dörge sollen die „verwickelten Zusammenhänge“ in den verknüpften sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen folgendermaßen „entwirrt“ werden, um Fehleinschätzungen zu vermeiden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Mit dieser einfachen, aber effektiven Logik kann man jedes Problem im schwierig zu analysierenden sozialpolitischen Bereich genau betrachten, um zu einer, für das allgemeine Interesse, akzeptabler Lösung zu gelangen. Denn Sozialpolitik vertritt ja nun mal das Interesse aller, damit die „Gemeinschaft und die Zukunft gesichert“ werden kann.

Die Sozialcharta

Viele Bürger, besonders der reicheren EG-Länder wie Deutschland, Frankreich, Dänemark und Großbritannien, befürchteten, dass man sich in einem vereinigten Europa an den sozialen Standards der ärmeren Länder und nicht an denen der reicheren Länder orientieren würde.

Arbeitnehmerorganisationen befürchteten außerdem, erhebliche Standortvorteile der ärmeren Länder im Süden und dadurch einen Abbau von Sozialleistungen und Arbeitsplätzen in den nördlichen Ländern. Würden sich die Tarifpartner auf einheitliche Löhne europaweit einigen, wäre das Problem der Standortvorteile zwar gelöst, aber niemand würde mehr in Länder wie z.B. Irland oder Portugal investieren. Somit hätten die ärmeren Länder keine Chance mit den reichen Ländern gleichzuziehen.

In einem Aktionsprogramm der EG-Kommission wurden die beschränkten Möglichkeiten und Kompetenzen der EG-Organe im sozialen Bereich deutlich. Unter der Überschrift „ Sozialer Schutz “ steht dort: „ Die zwölf Mitgliedsländer der Gemeinschaft verfügenüber unterschiedliche Systeme der sozialen Sicherheit. Sie sind Ausdruck von Entwicklungen, Traditionen sowie sozialen und kulturellen Errungenschaften eines jeden Staates, die nicht in Frage gestellt werden können. In diesen Bereichen ist somit an eine Harmonisierung der bestehenden Systeme nicht zu denken.

Eine Vereinheitlichung sozialer Rechte und Leistungen für Arbeitnehmer wird es im Binnenmarkt also nicht geben, insbesondere nicht bei den Sozialversicherungen (Renten-, Kranken-, Unfall-, Arbeitslosen-, Pflegeversicherung). Diese fehlende Möglichkeit der Harmonisierung der Sozialleistungen, führte zu neuen Befürchtungen und zur Angst vor dem Sozialtourismus. Es könnte also zu Wanderungen in die Länder mit den höheren sozialen Standards kommen. Z. B. könnte ein portugiesischer Bauarbeiter mit einem Nettoeinkommen von 4000 DM im Jahr nach Deutschland kommen, denn unter der Voraussetzung, dass er in Portugal drei Kinder hat, würde er in Deutschland alleine schon über 4000 DM an Kindergeld bekommen. In der EG gilt nämlich das „Beschäftigungsland-Prinzip“, d.h. ein ausländischer Arbeitnehmer erhält Kindergeld nach den Regeln des Beschäftigungslandes, auch wenn seine Kinder im Ausland leben.

Wegen diesen Befürchtungen, die unter dem Begriff „ social dumping “ in den Achtziger Jahren ein großes Thema in der EG waren, schien es am vernünftigsten zu sein, in ganz Europa eine Art sozialen Mindeststandard einzuführen der an die niedrigen Standards in den ärmeren Ländern angepasst ist, und den jedes Land einhalten muss. Es steht den anderen Mitgliedsstaaten frei diesen Standard in ihrem Land gegebenenfalls zu erhöhen um ihn an die eigenen Standards anzupassen.

Die Europäische Sozialcharta wurde am 18. Oktober 1961 von der Mehrheit der Mitgliedsstaaten des Europarates unterzeichnet. Sie formuliert die sozialen Grundrechte der EG-Bürger:

- Jedermann muss die Möglichkeit haben, seinen Lebensunterhalt durch eine frei übernommene Tätigkeit zu verdienen.
- Alle Arbeitnehmer haben das Recht auf gerechte Arbeitsbedingungen
- Alle Arbeitnehmer haben das Recht auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen
- Alle Arbeitnehmer haben das Recht auf ein gerechtes Arbeitsentgelt, das ihnen und ihren Familien einen angemessenen Lebensstandard sichert.
- Alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben das Recht auf Freiheit zur Vereinigung in nationalen oder internationalen Organisationen zum Schutz ihrer wirtschaftlichen und sozialen Interessen.
- Alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben das Recht auf Kollektivverhandlungen.
- Kinder und Jugendliche haben das Recht auf besonderen Schutz gegen körperliche und sittliche Gefahren, denen sie ausgesetzt sind.
- Arbeitnehmerinnen haben im Falle der Mutterschaft und in anderen geeigneten Fällen das Recht auf besonderen Schutz bei der Arbeit.
- Jedermann hat das Recht auf geeignete Möglichkeiten der Berufsberatung, die ihm helfen soll, einen beruf zu wählen, der seiner persönlichen Eignung und seinen Interessen entspricht.
- Jedermann hat das Recht auf geeignete Berufsausbildung.
- Jedermann hat das Recht, alle Maßnahmen in Anspruch zu nehmen, die es ihm ermöglichen, sich des besten Gesundheitszustandes zu erfreuen, den er erreichen kann.
- Alle Arbeitnehmer und ihre Angehörigen haben das Recht auf soziale Sicherheit.
- Jedermann hat das Recht auf Fürsorge, wenn er keine ausreichenden Mittel hat.
- Jedermann hat das Recht, soziale Dienste in Anspruch zu nehmen.
- Jeder Behinderte hat das Recht auf berufliche Ausbildung sowie berufliche und soziale Eingliederung und Wiedereingliederung ohne Rücksicht auf Ursprung und Art seiner Behinderung.
- Die Familie als Grundeinheit der Gesellschaft hat das Recht auf angemessenen sozialen, gesetzlichen und wirtschaftlichen Schutz, der ihre volle Entfaltung zu sichern vermag.
- Mütter und Kinder haben, unabhängig vom Bestehen einer Ehe und von familienrechtlichen Beziehungen, das Recht auf angemessenen sozialen und wirtschaftlichen Schutz.
- Die Staatsangehörigen einer Vertragspartei haben das Recht, im Hoheitsgebiet jeder anderen Vertragspartei gleichberechtigt mit deren Staatsangehörigen jede Erwerbstätigkeit aufzunehmen, vorbehaltlich von Einschränkungen, die auf triftigen wirtschaftlichen oder sozialen Gründen beruhen.
- Wanderarbeiter, die Staatsangehörige einer Vertragspartei sind, und ihre Familien haben Recht auf Schutz und Beistand im Hoheitsgebiet jeder anderen Vertragspartei.

Die Vertragsparteien der Sozialcharta haben sich verpflichtet, Teil 1 der Charta als eine Erklärung der Ziele anzusehen, die sie mit allen Mitteln verfolgen werden. Mindestens fünf der folgenden sieben Artikel sind als verbindend anzusehen: Artikel 1,5,6,12,13,16 und 19. Zusätzlich müssen mindestens 10 Artikel oder 45 nummerierte Absätze aus Teil 2 der Charta als bindend angesehen werden. Es steht allen Ländern frei weitere Artikel als bindend anzusehen (siehe Anhang: „Sozialcharta“).

1989 wurde in Straßburg die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer vom Europäischen Rat (ohne Großbritannien) verabschiedet. Sie basiert auf der Sozialcharta von 1961 und legt als grundlegende Arbeitnehmerrechte fest:

- Recht auf Freizügigkeit, freie Berufsausübung und gleiche Behandlung im ganzen Binnenmarkt;
- Anspruch auf gerechte Entlohnung, auf bezahlten Jahresurlaub und wöchentliche Ruhezeit, auf einen Arbeitsvertrag;
- Gleichberechtigung von Männern und Frauen
- Recht auf sozialen Mindestschutz insbesondere auf ein Mindesteinkommen bei Arbeitslosigkeit und im Rentenalter;
- Recht, einer Gewerkschaft anzugehören;
- Recht auf Information und Mitsprache im Betrieb.

Ende 1991 haben dann in Maastricht elf Mitgliedstaaten (zunächst ohne Großbritannien) ein rechtlich verbindliches Abkommen über die Sozialpolitik verabschiedet. Es sollte ermöglichen, die Ziele der Gemeinschaftscharta von 1989 zu verwirklichen.

Auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes und der Arbeitssicherheit wurde bereits einiges geleistet. Z. B. entstand im Rahmen des EG- Binnenmarktes ein spezielles Programm für Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz. In diesem Programm wurden die EG- Standards für Bildschirmplätze, sanitäre Anlagen, Beleuchtung, Belüftung am Arbeitsplatz und Notausgänge festgelegt. Dennoch erscheinen die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern noch gewaltig. In fast allen Ländern gibt es heute Mindestlöhne für Arbeiter. Großbritannien ist eines der wenigen Länder, die sich einem Mindestlohn widersetzt haben, da es diejenigen verletze, die es schützen soll, indem es die Zahl der Arbeitsplätze für ungelernte Mitarbeiter reduziert.

Ebenso wurde im Mutterschutz und im Schutz von Minderjährigen einiges unternommen: Jugendliche unter 15 Jahren dürfen keine berufliche Tätigkeit ausüben, außer im Betrieb der Familie oder bei künstlerischen Arbeiten. Die Arbeitszeit für Jugendliche unter 18 Jahren ist begrenzt, Nachtarbeit mit wenigen Ausnahmen verboten. Trotzdem gibt es noch immer viele Jugendliche die in Europa illegal arbeiten. Nach Angaben des Europarates vom Juni 1996 gehen in Großbritannien 50% aller 13- bis 15-jährigen Jugendlichen zeitweise einer meist illegalen Arbeit im Dienstleistungsgewerbe nach. In Italien wird die Zahl der arbeitenden Jugendlichen auf 1,5 Mio. geschätzt. Vor allem im Süden Italiens, wo die Schulpflicht nur schwer zu kontrollieren ist, sind die meisten Jugendlichen beschäftigt. Alleine in Neapel sollen 100 000 Kinder täglich mehr als sechs Stunden für ein Drittel des Gehalts eines Erwachsenen arbeiten. In Spanien und Portugal wird die Anzahl illegal beschäftigter Jugendlicher ebenfalls auf 1,5 Mio. geschätzt.

Die EG hat ebenso festgelegt, dass Leistungen der Sozialversicherungen, also auch Rentenversicherungen, nicht vom Wohnort des Versicherten abhängig gemacht werden können. Wenn ein deutscher EG-Bürger z. B. fünfzehn Jahre lang in Frankreich gelebt hat und dort seine Beiträge für die dortige Rentenversicherung gezahlt hat, dann müssen ihm seine erworbenen Leistungen auch wieder ausgezahlt werden, wenn er später wieder nach Deutschland zurückkehrt. In der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer ist festgelegt: „ Entsprechend den jeweiligen Gegebenheiten der einzelnen Länder muss jeder Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft, wenn er in den Ruhestand geht,über Mittel verfügen können, die einen angemessenen Lebensstandard sichern; jeder, der das Rentenalter erreicht hat, aber keinen Rentenanspruch besitzt oderüber keine sonstigen ausreichenden Unterhaltsmittel verfügt, muss ausreichende Zuwendungen, Sozialhilfeleistungen und Sachleistungen bei Krankheit erhalten können, die seinen spezifischen Bedürfnissen angemessen sind.

Abgesehen von kurzfristigen Hilfen, wie Lebensmittellieferungen, will die EG die Ursachen der Armut bekämpfen. Denn „ In der EG wird als arm bezeichnet, wer nicht in der Lage ist, mit seinem Einkommen oder sonstigen finanziellen Zuwendungen „ seine Grundbedürfnisse zu decken “ “(aus Europa-Ploetz), und das sind momentan ca. 50 Mio.

Menschen, während es 1975 „nur“ 38 Mio. waren. 1989 wurde das „Mittelfristige Aktionsprogramm zur wirtschaftlichen und sozialen Eingliederung der am stärksten benachteiligten Gruppen“ ins Leben gerufen. Es dauerte bis 1994 und hatte ein Budget von 110 Mio. DM. Es wurde Maßnahmen gefördert, die bedürftigen Menschen ermöglichten Arbeit und Ausbildung zu finden.

Quellenangaben

Der Europa-Ploetz

Friedrich Dörge, Wirtschaft und Sozialpolitik http://www.uni-koeln.de/wiso-fak/ http://www.sozialpolitik-lehrbuch.de/ http://www.Sozialpolitik.de/

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Sozialpolitik im Überblick. Ziele und Inhalte der Europäischen Sozialcharta von 1961
Note
2
Autor
Jahr
1999
Seiten
13
Katalognummer
V98587
ISBN (eBook)
9783638970389
Dateigröße
413 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sozialcharta
Arbeit zitieren
Niko Papadakos (Autor:in), 1999, Sozialpolitik im Überblick. Ziele und Inhalte der Europäischen Sozialcharta von 1961, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98587

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