Wie beeinflusst soziale Ungleichheit Konsum?


Akademische Arbeit, 2019

28 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhalt

1. Konsum und soziale Ungleichheit
1.1 Was ist „Soziale Ungleichheit“?
1.2 Entwicklung der Modelle von sozialer Ungleichheit

2. Konsum im Zeitalter des Hochkapitalismus
2.1 Die Diffusion der Konsumstile nach Werner Sombart
2.2 Paul Göhres Phänomenologie des Warenhauses
2.3 Georg Simmel und die Philosophie der Mode

3. Thorstein Veblens „Die Theorie der feinen Leute“
3.1 Demonstrativer Konsum und Müßiggang als Weg der Differenzierung
3.2 Kritiker Veblens

4. David Riesman: Das Standardpaket
4.1 Das Standardpaket homogenisiert die Lebensstile

5. Pierre Bourdieus „Die feinen Unterschiede“
5.1 Bourdieus Konzept des Habitus
5.2 Die Positionierung im sozialen Raum und dem Raum der Lebensstile
5.3 Unterschiedliche Geschmackstypen
5.4 Konsum und Klassenkampf
5.5 Bourdieus Arbeiten - das Erbe Veblens?
5.6 Kritiker Bourdieus

6. Heutige Situation und Perspektiven
6.1 In der „Erlebnisgesellschaft“ wird sozialer Aufstieg unwichtiger
6.2 Hartmut Lüdtke: Moderne Lebensstile rahmen Konsum
6.2.1 Was sind moderne Lebensstile?
6.2.2 Nutzen von modernem Konsum
6.2.3 Hartmut Lüdtke über den modernen demonstrativen Konsum
6.3 QVC: Keine klare Abkehr von Status-Orientierung im Konsum
6.4 Kai-Uwe Hellmann: Zwischen Konformismus und Individualität

7. Zusammenfassung und Fazit

8. Literaturverzeichnis:

1. Konsum und soziale Ungleichheit

In unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen wird heute die Erkenntnis vertreten, dass sich die Gesellschaft des 20. Jahrhunderts zu einer Konsumgesellschaft entwickelt hat. Konsum, also der Erwerb sowie die Verwendung und der Gebrauch von Gütern und Dienstleistungen, (vgl. König 2013, S. 13) besitzt eine weitreichende kulturelle, soziale und ökonomische Bedeutung (vgl. König 2013, S. 11). Die soziale Bedeutung, die Konsum haben kann, zeigt ein Artikel des Motley Fool. Hier wird beschrieben, dass viele Menschen den Besitz teurer Dinge mit Reichtum und einem hohen Status sowie Konsum allgemein mit Wohlstand in Verbindung bringen. Sich selbst und andere messen Menschen häufig daran, was beispielsweise am Körper getragen oder welches Auto gefahren wird (vgl. The Motly Fool, 2019, In: Focus Online). Dass man einem Menschen anhand seiner Besitztümer einen gewissen Status ablesen kann, erklärt Wiswede damit, dass Konsum in gesellschaftliche Rahmenbedingungen eingebettet ist, also spezifische Konsumstile „Ausdruck einer sozialen Prägeform“ sind. Eine der wichtigsten konsumsoziologischen Fragestellungen lautet daher aufzuzeigen, wie sozial-strukturelle Bedingungen und die daraus abgeleiteten Wertvorstellungen – kurz gesagt: die soziale Ungleichheit – Konsumverhalten beeinflussen (vgl. Wiswede 2000, S. 24,28). Schon im Hochkapitalismus wird einer Person über ihren Konsum eine spezifische Position in der gesellschaftlichen Hierarchie zugeordnet. Laut Werner Sombart ist das günstige Ersatz-Produkt der Butter, die Margarine, zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein für den ärmeren Teil der Bevölkerung typisches Konsumobjekt. Den Ruf einer „Butter für die Armen“ hat das Lebensmittel heute jedoch vollkommen verloren. Stattdessen gelten die gesättigten Fettsäuren in der Margarine als förderlich gegen einen zu hohen Cholesterin-Spiegel und auch der Verzicht auf tierische Produkte in der Produktion wird von Konsumenten geschätzt. Es zeigt sich, dass der Konsum der Margarine in ganz unterschiedlichen Gesellschaftsschichten zu finden ist, denn die Verbindung zwischen sozialer Position und dem Produkt ist angesichts vielfältiger Beweggründe für einen bestimmten Konsum verschwunden.

In meiner Arbeit soll gezeigt werden, wie sich die Differenzen unterschiedlicher sozialer Gruppen im Konsum seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert verändern konnten. Ich beginne meine Argumentation mit dieser Epoche, da zu diesem Zeitpunkt mit Industrialisierung und Klassenbildung ein zentrales Merkmal von Konsumgesellschaften geschaffen wird: Die Grundbedürfnisse werden kommerzialisiert, die Mehrheit der Bevölkerung versorgt sich also über die Märkte, wodurch neuartige Formen des Konsums entstehen, die zur Gemeinsamkeit haben, dass über die Befriedigung des zum Leben notwendigen konsumiert wird (vgl. Jäkel 2004, S. 19, vgl. König 2013, S. 25). Um die Frage nach der sozial-strukturellen Gebundenheit von Konsum zu beantworten, möchte ich zunächst zeigen, was unter sozialer Ungleichheit verstanden werden kann und versuche die wichtigsten Modelle sozialer Ungleichheit darzustellen, die von den vorgestellten konsumsoziologischen Theoretikern genutzt werden. In Kapitel zwei möchte ich zeigen, wie stark der Konsum im hochkapitalistischen Zeitalter durch den Wunsch nach Prestige und Ansehen geprägt war. In Kapitel drei behandle ich die Theorien Veblens der erklärt, dass Individuen über „demonstrativen Konsum“ versuchen diesem Wunsch nachzukommen. Laut Veblen ist der Konsum der Gesellschaft zur Zeit der Jahrhundertwende geprägt durch das eine große Vorbild der Oberschicht. Seine Thesen dienen als Ausgangspunkt vieler Theoretiker, die zeigen, dass heute bestimmte Konsumstile nicht mehr ausschließlich von oben nach unten in der Gesellschaft diffundieren, da die Oberschicht ihre Monopol-Stellung als Vorbild für Konsum in vielerlei Hinsicht eingebüßt hat. In Kapitel vier zeige ich, dass im aufkommenden Massenkonsum der 1950-er-Jahre die Ansammlungen von Konsumgegenständen, in der gesamten Gesellschafts-Hierarchie ähnlicher werden und dem Modell des „Standardpakets“ entsprechen. Hieran knüpfe ich in Kapitel fünf eine Analyse der Arbeit Bourdieus, der dagegen davon ausgeht, dass ein bestimmter dem Individuum eigener Habitus, der sich aus dessen sozialen Position ergibt, das Konsumverhalten steuert. Außerdem herrscht laut Bourdieu im Frankreich der späten 1970-er-Jahre ein Kampf um Distinktion zwischen den Klassen, der sich unter anderem im Konsum ausdrückt und wohl seit Veblens Schaffenszeit nicht beigelegt werden konnte.1 Aktuelle konsumsoziologische Arbeiten stehen im Widerspruch zu Bourdieu, denn die Funktion des Konsums als Mittel zur Einordung von Individuen in eine spezifische hierarchische, soziale Ordnung – zum Beispiel über Prestige – hat stark an Bedeutung verloren. Distinktive Absichten im Konsum begründen sich seltener aus dem Wunsch hierarchisch über anderen zu stehen, sondern daraus das eigene Selbst darzustellen. Es wird gezeigt, dass die Status-Orientierung im Konsum weniger wichtig wird, da eine Vielzahl anderer Einflussfaktoren auf Konsumentscheidungen wirken und diese so zunehmend individualisiert erfolgen. Konsum wird entstrukturiert und pluralistische und multioptionale Konsumstile entstehen (vgl. Wiswede 2000, S. 28). Offen bleibt schließlich, ob eine Abkehr vom statusorientierten Konsumieren wirklich oder vielleicht doch nur scheinbar erfolgt, da nicht klar ist, ob der Konsum weniger statusorientiert ist oder sich bloß die Status-Symbole und die Art wie dieser Status präsentiert wird in unser von sozialen Netzwerken geprägten Zeit verändert haben.

1.1 Was ist „Soziale Ungleichheit“?

Es wird deutlich werden, dass die Theoretiker, die ich in dieser Arbeit vorstelle, ganz unterschiedliche Modelle sozialer Ungleichheit für ihre Analysen über Konsum benutzen. Während Theoretiker wie Sombart, die zu Zeiten des Hochkapitalismus und beginnenden Spätkapitalismus lebten, die sozialen Gruppen über die „Stände“ unterscheiden, verwenden spätere Wissenschaftler Ungleichheitsmodelle wie das der „Klassen“ oder heute das der „Lebensstile“. Im Folgenden soll gezeigt werden, was soziale Ungleichheit bedeutet und welche unterschiedlichen Modelle für ihre Beschreibung sich über die Zeit entwickelten.

Soziale Ungleichheit wird durch den deutschen Soziologen Stefan Hradil definiert. Werden Menschen in einer Gesellschaft miteinander verglichen, lassen sich diese nicht nur als bloß verschiedenartig erkennen, sondern auch nach Attributen wie „besser- oder schlechter-, höher- oder tiefergestellt“ (Hradil 2005, S. 27) unterscheiden. Damit in einer Gesellschaft soziale Ungleichheit herrscht, müssen in ihr Güter existieren, die diese Gesellschaft als wertvoll deklariert. Wenn nicht jedes Mitglied dieser Gesellschaft von diesen wertvollen Gütern gleich viel besitzt, kann von Ungleichheit gesprochen werden, da diese Güter als Indiz für günstige Lebensbedingungen gelten. Genauer zeigt sich soziale Ungleichheit in Dimensionen wie Materieller Wohlstand, Macht und Prestige, deren Ausmaße für den Einzelnen Konsequenzen für das private und öffentliche Leben haben (vgl. Hradil 2005, S. 27-32). Andere sozial relevante Merkmale für die Einordung der Mitglieder einer ungleichen Gesellschaft in hierarchische Gruppen sind laut Christian Kleinschmidt zum Beispiel „Besitz und Einkommen, Ausbildung, Beruf, Geschlecht und Alter sowie kulturelle Normen (..) und Werthaltungen“ (Kleinschmidt 2008, S. 17) Ihm nach werden Gesellschaften über die Jahrhunderte immer komplexer, sodass Konsummuster und konsumtive Verhaltensweisen sich an diese Entwicklung anpassen. Kleinschmidt bestätigt, dass zwischen einer Veränderung der Sozialstruktur sowie der in ihr ausgedrückten sozialen Ungleichheit und dem Konsum in einer Gesellschaft eine Verbindung besteht (vgl. Kleinschmidt 2008, S. 17f.)

1.2 Entwicklung der Modelle von sozialer Ungleichheit

Dass sich Gesellschaften und die hierarchischen Ordnungen ihrer Mitglieder verändern und zunehmend komplexer werden, lässt sich auch an den im historischen Verlauf wechselnden Modellen über soziale Ungleichheit erkennen. So werden frühneuzeitliche Gesellschaften bis ins späte 18. und frühe 19. Jahrhundert als Ständegesellschaften bezeichnet, die sich durch scharf getrennte und per Geburt festgelegte Personen-, Berufs- und Rechtsbeziehungen auszeichnen, in der die gesellschaftliche Stellung in hohem Maße von der eigenen familiären Herkunft abhängt (vgl. Kleinschmidt 2008, S. 17; vgl. Hradil 2005, S. 37). Mit der einsetzenden Industrialisierung und der Durchsetzung der Marktwirtschaft verwandelt sich die Ständegesellschaft im 19. Jahrhundert in eine sich durch marktbedingte Klassen auszeichnende Klassengesellschaft (vgl. Kleinschmidt 2008, S. 17-21). Menschen unterschiedlicher Klassen sind einander aufgrund ihrer Stellung im Wirtschaftsprozess und ihres Besitzes oder Nichtbesitzes an Produktionsmitteln entweder überlegen oder unterlegen (vgl. Hradil 2005, S. 38). Im 20. Jahrhundert wird schließlich von einer Schichtengesellschaft gesprochen, in der der Beruf als wichtigste Statusdeterminante gilt (vgl. Kleinschmidt 2008, S. 17; vgl. Hradil 2005, S. 40). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird zunehmend das Modell sozialer Lagen angewendet, in dem weiterhin Merkmale wie Berufsstatus, Alter, Geschlecht aber auch materielle und immaterielle Aspekte der Lebenszufriedenheit und subjektive Einstellungen berücksichtigt werden. Das Konzept der sozialen Milieus, konzentriert sich vor allem auf individuelle Verhaltensweisen und Mentalitäten. In der heutigen Gesellschaft hat schließlich eine Pluralisierung unterschiedlicher Lebensstile stattgefunden (vgl. Kleinschmidt 2008, S. 17, S. 29). Die Beeinflussung von Konsum durch den jeweiligen Lebensstil – also der regelmäßig wiederkehrende Gesamtzusammenhang der Verhaltensweisen, Interaktionen, Meinungen, Wissensbestände und bewertenden Einstellungen eines Menschen – (vgl. Hradil 2005, S. 46) wird in Kapitel 6.2. dieser Arbeit näher erläutert.

2. Konsum im Zeitalter des Hochkapitalismus

2.1 Die Diffusion der Konsumstile nach Werner Sombart

Sombart beschreibt das Wirtschaftsleben im Hochkapitalismus. In diesem kann von einer wechselseitigen Beeinflussung der Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung ausgegangen werden (vgl. Schrage 2009, S. 145). Diese lässt sich dadurch erklären, dass eine Rationalisierung und Technisierung von Produktions- und Transportwesen stattfinden, welche die Produktionszyklen verkürzt. In der Folge wechseln Konsumenten häufiger ihre Bedarfsgegenstände. Mit dem Mechanismus der Mode erklärt er, dass sich wirtschaftliche Zyklen auch deswegen verkürzen, da Konsumenten in neuen Besitztümern eine Möglichkeit sehen ihr Lebensgefühl zu steigern und deswegen immer neue Dinge kaufen (vgl. Schrage 2009, S. 141f.).

In der Gesellschaft des beginnenden 20. Jahrhundert postuliert sich laut Sombart eine hierarchische Ordnung über das Prestige, das wiederum aus verfügbaren Einkommen und Besitz abgeleitet ist. Hradil definiert Prestige als „symbolische Dimension sozialer Ungleichheit“. Dabei zeigt sich die Ungleichheitsverteilung von Prestige unter anderem im jeweiligen Geltungsnutzen der konsumierten Güter. (Hradil 2005, S. 275; vgl. Hradil 2005, S. 274). Das Ausmaß an Prestige kann für den Beobachter einer Person Kennzeichen seines Berufs, seiner Herkunft oder typischer Verhaltensweisen sein und so auf dessen soziale Position in einem gesellschaftlichen Beziehungsgefüge verweisen (vgl. Hradil 2005. S. 275). In diesem Beziehungsgefüge entwickelt sich laut Sombart zu Zeiten des Hochkapitalismus eine erhöhte soziale Mobilität, die das Wechselspiel zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und dem beschleunigten Wechsel der Konsumobjekte verstärkt. Durch die nun industrielle Produktionsweise beteiligen sich auch tiefer gelegene Schichten an dem häufigen Wechsel der Konsumgüter, sodass eine klare Trennung zwischen den Ständen im Konsum schwächer wird. Innerhalb sozialer Gruppen entsteht so der Druck das eigene Prestige verteidigen zu müssen und die Anpassung an den Modewechsel erfolgt immer schneller. Da eine „soziale Neuschichtung zu den alltäglichen Vorkommnissen gehört“ (Sombart 1927, zit. n. Schrage 2009, S. 143) sind Menschen dazu gezwungen „die Güterwelt in der sie leben, häufig in ihrer gesamten Zusammensetzung zu verändern“, um den Normen einer standesgemäßen Lebensführung gerecht zu werden (Sombart 1927, zit. n. Schrage 2009, S. 143). Dass sich der häufige Wechsel der Konsumobjekte auf andere Schichten ausbreitet, kann als Indiz dafür gesehen werden, dass die Stellung in der gesellschaftlichen Prestigeordnung durch eine erhöhte soziale Mobilität unsicherer wird (vgl. Schrage 2009, S. 143f.).

Ähnlich wie in den Werken von Veblen und Bourdieu, die in Kapitel 3 und 5 behandelt werden, erkennt Sombart, dass tiefer gestellte soziale Gruppen nicht nur mehr konsumieren, sondern auch versuchen in ihrem Konsum den Lebensstil der Oberschicht nachzuahmen. Dazu kauft die ärmere Bevölkerung qualitativ schlechtere, maschinell erstellte und daher günstigere Ersatzprodukte für die teuren Luxuswaren (vgl. Schrage 2009, S. 144). Der Begriff „Surrogierung“, also der Prozess dieses Ersetzens, führt zu einer wertenden Unterscheidung zwischen den Luxusgütern der reichen Bevölkerung und des »Scheinluxus« der ärmeren Bevölkerung (vgl. Schrage 2009, S. 144f.). Durch den »Scheinluxus« kann zwar ein gewisser sozialer Aufstieg erreicht werden, da man sich im Grunde mehr Konsum leisten kann als zuvor, doch der Aufstieg bleibt immer defizitär, da echte Luxusgüter als solche erkannt und weiterhin mit der reichen Bevölkerung assoziiert werden (vgl. Schrage 2009, S. 145). Die symbolische Ordnung der Konsumgüter – in der von einem minderwertigem Ersatzprodukt auf das hochwertige Original-Produkt verwiesen werden kann – und die Prestigeordnung der Gesellschaftsmitglieder stehen in einem unmittelbaren Repräsentationsverhältnis zueinander (vgl. Schrage 2009, S. 145).

2.2 Paul Göhres Phänomenologie des Warenhauses

In seinen Schriften über den aufkommenden Massenkonsum des beginnenden 20. Jahrhundert zeigt Göhre wie in Warenhäusern Prestigeungleichheiten einzelner Konsumgüter sichtbar werden und wie diese ihren Beitrag zur Verbreitung des Konsumstils der Oberschicht leisten. Warenhäuser versprechen zwar soziale Exklusivität für höhere Schichten durch das Angebot hochwertiger und ausländischer Ware sowie einer luxuriösen Ausstattung, sind jedoch gleichzeitig darauf ausgelegt für den nötigen Profit ein besonders breites Käufer- und Besucherpublikum zu erreichen, weswegen das enthaltene Sortiment auch Waren der unteren Preisklassen enthält und so eine Kundschaft aus allen sozialen Gruppen widerspiegelt (vgl. Schrage 2009, S. 148ff.). Unterlegene Schichten sollen durch den Prunk für die materielle Welt der Oberschicht fasziniert werden, den Wunsch entwickeln den Konsumstil oberer Schichten nachzuahmen und möglichst viele Ersatzprodukte für den erwünschten Luxus einkaufen. Wie zuvor beschrieben, erfolgt für diese dadurch ein scheinbarer sozialer Aufstieg. Die Scheinbarkeit wird deutlich, da in Warenhäusern sozial exklusive Luxusgüter und sogenannte »Surrogate« in einer semiotischen und räumlichen Korrespondenz zu einander stehen. Solche Übertragungen von Konsummustern auf andere Schichten beschreibt Göhre als Massenkonsum des Hochkapitalismus (vgl. Schrage 2009, S. 150ff.). Schrage zitiert Pierre Bourdieu, der erkennt, dass obere Schichten deswegen zusehends bemüht sind, immer neue Objekte zu finden deren Konsum sie monopolisieren können, um sich von der Masse abzuheben. Solche Bemühungen werden jedoch erst notwendig, da in »sozialen Feldern« wie dem Warenhaus erstmals Konsumenten unterschiedlicher sozialer Schichten und deren unterschiedliche zur Distinktion genutzte Bedeutungsträger aufeinandertreffen. Diese Bedeutungsträger können anhand einer hierarchischen, nach Preis und Qualität ausgerichteten, räumlichen Anordnung im Warenhaus, unterschieden werden und so auf eine bestimmte Position in der Prestige-Ordnung verweisen (vgl. Schrage 2009, S. 152f.).

Um 1900 wächst mit Durchsetzung einer kapitalistischen Wirtschaft also der Druck auf die oberen Schichten sich in ihrem Prestige zu beweisen, da die ehemals streng getrennten Welten einzelner Stände aufgelöst werden, Mitglieder unterschiedlicher sozialer Schichten in Warenhäusern nebeneinander konsumieren und von der Oberklasse errichtete Prestigenormen ihren Einfluss bis in die untersten Gesellschaftsschichten ausweiten. Warenhäuser strukturieren den Blick verschiedener Bevölkerungsschichten auf die Gesellschaft nach der Logik des Prestiges, da dort der Konsum in unterschiedlichen Preisklassen für alle sichtbar wird (vgl. Schrage 2009, S. 153). Trotz der räumlichen Nähe beim Konsum entsteht laut Simmel in den Warenhäusern „eine »soziale[] Distanz«“ „(..) welche die unteren Schichten aus der Perspektive der oberen »nur als einheitliche Masse erscheinen« lässt und »beide in keiner andern prinzipiellen Hinsicht verbunden sein läßt, als daß sie zusammen ›eine Gesellschaft‹ bilden«“ (Simmel 1908, zit. n. Schrage 2009, S. 153).

2.3 Georg Simmel und die Philosophie der Mode

Auch Simmel erkennt Anfang des 20. Jahrhunderts einen Zusammenhang zwischen der Struktur spezifischer gesellschaftlicher Gruppen und deren Konsummustern. Er beschreibt, dass sich diese durch einen für sie spezifischen Konsum unterscheiden. Über Konsum versuchen Individuen Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu erreichen, beziehungsweise diese aufrecht zu halten. Außerdem wird zwischen den Gruppen ein Konflikt ausgetragen, bei dem die Mode als Codesystem zum sozialen Prestigevergleich dient (vgl. Schrage 2009, S. 146). Für Simmel spiegelt sich in der Mode der erhoffte soziale Aufstieg unterer Schichten wider, der aber eine „äußerliche Nachahmung (…)“ des Lebens der oberen Schichten bleibt (Simmel 1905, zit. n. Schrage 2009, S. 146).

In seinen Arbeiten hebt er auch einen neuen Aspekt der Mode hervorgehoben, nämlich den der Individualität. Hartmut Lüdtke behandelt Arbeiten Simmels, die zeigen, dass Menschen in der Moderne danach streben durch „(…) kollektiv bedeutsame stilisierungsfähige Symbole“ Individualität auszudrücken (Lüdtke 2000, S. 107). Schrage wiederum erkennt, dass Simmel noch eine weitere Möglichkeit sieht, wie Menschen die Mode für die Distanzierung von einer Einheit nutzen. So vertritt er den Gedanken, dass die Mode die Möglichkeit bietet „sozialen Gehorsam (…)“ zu zeigen „(…) der zugleich individuelle Differenzierung ist“ (Simmel 1905, zit. n. Schrage 2009, S. 147). Die Mode fungiert hier als Maske, welche dem Individuum Freiheiten außerhalb des Sozialen eröffnet, da die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe über die Kleidung definiert wird. Unter dem Deckmantel des so ausgedrückten sozialen Gehorsams kann dann Individualität abseits dieser äußerlichen Zugehörigkeit gelebt werden. Beispielsweise in idealen Anschauungen und Werten (vgl. Schrage 2009, S. 146f.). In Kapitel 6.4. werde ich auf den Aspekt der Individualisierung im Konsum, dem heute eine weitaus größere Bedeutung zukommt, noch einmal näher eingehen.

3. Thorstein Veblens „Die Theorie der feinen Leute“

3.1 Demonstrativer Konsum und Müßiggang als Weg der Differenzierung

In seiner Arbeit „Theorie der feinen Leute“ behandelt Thorstein Veblen die prestigeerzeugende Funktion des Konsums und die Diffusion des Konsumstils von den oberen zu den unteren Gesellschafts-Schichten im ausgehenden 19. Jahrhundert. Ziel seiner Arbeit war es den Wert der müßigen Klasse – die ehrbare Tätigkeiten wie „Regieren, Kämpfen, Jagen (..)“ ausführt (Veblen 1899, S. 88) und sich so von unteren Klassen abgrenzt, die gemeine und ehrlose, produktive Arbeiten erledigen (vgl. Veblen 1899, S. 88) – als ökonomischen Faktor in modernen Gesellschaften zu beschreiben (vgl. Veblen 1899, S. 19).

Nach Veblen erfolgt über Konsum eine Differenzierung verschiedener sozialer Gruppen voneinander. In seinen Arbeiten zeigt er, welche Rolle das von ihm beschriebene Prinzip des demonstrativen Konsums bei dieser Differenzierung spielt. Bestimmte, als hochwertig angesehene, Güter werden mit Reichtum assoziiert. Andererseits bedeutet es ehrlos zu sein und an Prestige zu verlieren, wenn solche Güter nicht oder nicht ausreichend konsumiert werden (vgl. Veblen 1899, S. 84). Aus dem Prestige, welches ein Mensch über diesen spezifischen Konsum erhält, ergibt sich seine hierarchische beziehungsweise klassenspezifische Position. Ein bestimmter „spezialisierter Güterkonsum (..)“ gilt „als Zeugnis finanzieller Macht“ (Veblen 1899, S. 79).

Veblen beschreibt, dass die demonstrative Muße – also die gezielte Ablehnung körperlicher Arbeit – als Mittel zur Gewinnung von Prestige lange Zeit Vorrang gegenüber dem demonstrativen Konsum hat. Es sich leisten zu können nicht zu arbeiten, gilt als etwas ehrvolles, weil gleichzeitig produktive Arbeit als ehrlos und nicht erstrebenswert angesehen wird (vgl. Veblen 1899, S. 99f.). Um Prestige zu erlangen und ihren Status in der hierarchischen Ordnung der Gesellschaft zu behaupten, entwickeln Mitglieder der müßigen Klasse Kompetenzen der richtigen Auswahl von und des richtigen Umgangs mit Luxusgütern, kommen gesellschaftlichen Pflichten nach oder beteiligen sich an sozialen Organisationen (vgl. Veblen 1899, S. 90f.). Im demonstrativen Konsum wiederum zeigt die müßige Klasse ihren Besitz beispielsweise bei Festen, zu welchen sie potenzielle Konkurrenten um das Prestige einladen, damit diese Zeuge ihres Reichtums werden (vgl. Veblen 1899, S. 84f.). Eine weitere Möglichkeit demonstrativ zu konsumieren, besteht in der Übertragung des Konsums auf Familienmitglieder oder in früheren Epochen auch auf die Dienerschaft, die zu diesem Zweck im Haus der Herren wohnt und von diesem mit Kleidung ausgestattet und ernährt wird (vgl. Veblen 1899, S. 87f.).

Im industriellen Zeitalter hat das männliche Familien-Oberhaupt aufgrund der veränderten wirtschaftlichen Umstände die demonstrative Muße weitestgehend abgelegt, um den Unterhalt der Familie zu gewährleisten. Die demonstrative Muße wird im Sinne einer Aufrechterhaltung des familiären Prestiges deswegen fortwährend von Frau und Kindern betrieben (vgl. Veblen 1899, S. 90f.). In den mittleren und unteren Gesellschaftsschichten ist die demonstrative Muße der Frau oft aus finanziellen Gründen nicht realisierbar, doch den demonstrativen Konsum bestimmter Güter bewahrt man sich zur Wahrung der Familien-Ehre selbst in den untersten Klassen. Die Tatsache, dass manche Menschen lieber hungern als ihren Schmuck zu verkaufen, begründet Veblen mit der in der gesamten Gesellschaft angesehenen Norm nach der Lebensweise der müßigen Oberklasse zu streben (vgl. Veblen 1899, S. 91ff.).

[...]


1 Seine Untersuchungen beziehen sich zwar zu einem großen Teil auf Beobachtungen über die Gesellschaft Frankreichs der 1960-er-Jahre, waren jedoch wichtige Impulsgeber für internationale, sozialwissenschaftliche als auch konsumsoziologische Forschung (vgl. Fuchs-Heinritz/König 2014, S. 39).

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Wie beeinflusst soziale Ungleichheit Konsum?
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Hauptseminar Soziologie des Konsums und der Konsumkritik
Note
1,3
Autor
Jahr
2019
Seiten
28
Katalognummer
V986272
ISBN (eBook)
9783346344212
ISBN (Buch)
9783346344229
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziale Ungleichheit, Klassen, Bourdieu, Konsum, Bourgeoisie, Veblen, Kaufhaus, Demonstrativer Konsum, Muße, Demonstrative Muße, Schicht, Soziale Lage, Kapital, Habitus, Kleidung, Interessen, Geschmack
Arbeit zitieren
Johanna Ernst (Autor:in), 2019, Wie beeinflusst soziale Ungleichheit Konsum?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/986272

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