Erzeugung von Spannung im Film

Am Beispiel der Eröffnungsszene in "Inglourious Basterds"


Hausarbeit, 2018

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Spannung im Film
2.1 Story- und discours-Ebene
2.2 Definitionen von Suspense, Surprise und Mystery nach Alfred Hitchcock

3. Das Fokalisierungskonzept

4. Analyse der Fokalisierungen in der Eröffnungsszene von Inglourious Basterds

5. Erzeugung von Spannung in Inglourious Basterds

6. Fazit

Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Inglourious Basterds ist die sechste Regiearbeit von Quentin Tarantino (My Best Friend’s Birthday ist unvollständig, Kill Bill: Vol. 1 und Kill Bill: Vol. 2 zählen als eine Regiearbeit). Der Film, welcher eine US-amerikanisch-deutsche Koproduktion ist, feierte am 20. Mai 2009 seine Premiere auf den Internationalen Filmfestspielen von Cannes, am 10. August 2009 kam er schließlich in die amerikanischen Kinos1.

Inglourious Basterds lässt sich in die Genres Drama und Kriegsfilm einordnen. In der ersten Szene baut sich aufgrund der Bedrohung von Hans Landa, einem Offizier der SS, welcher auf einer französischen Farm eine Inspektion vornimmt, um gesuchte Juden ausfindig zu machen, sehr schnell Spannung auf. Anhand dieser Szene soll untersucht werden, wie Spannung in diesem Film funktioniert, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen um Spannung zu erzeugen und welche Rolle dabei der Informationsgehalt des Publikums spielt.

2. Spannung im Film

2.1 Story- und discourse-Ebene

Spannung lässt sich im Film durch verschiedene Mittel erzeugen. Im Gegensatz zu anderen Medien, wie zum Beispiel dem Theater oder der Literatur, besitzt der Film eine andere Erzählsituation. Während im Theater eine „Erzählung im Rahmen einer szenischen Darstellung“2 und „bei narrativen Texten durch das geschriebene Wort“3 erfolgt, vermittelt der Film seine Narration über das bewegte Bild4. Der Filmwissenschaftler Adrian Weibel unterscheidet in Bezug auf Informationen, welche ein Film vermittelt, zwischen einem inhaltlichen und einem formalen Strukturelement. Das inhaltliche Element, also die story, vermittelt eine konkrete Information. Das formale Element, der discourse, bezeichnet dagegen die Art, wie diese Information vermittelt wird. Der Film besitzt somit die Möglichkeit, Informationen auf verschiedene Arten an das Publikum heranzutragen. Die dramatische Spannung kann dabei in die Unterkategorien Suspense, Surprise und Mystery unterteilt werden.

2.2 Definitionen von Suspense, Surprise und Mystery nach Alfred Hitchcock

Eine populäre Form des Spannungsaufbaus ist der unter anderem von Hitchcock geprägte Begriff Suspense, welcher eine besondere Konstruktion von Spannung im Film definiert. Übersetzt man den Begriff ins Deutsche, werden unter anderem „Spannung“ oder „Ungewissheit“ vorgeschlagen. Die beiden Wörter stehen häufig in Verbindung, da die Ungewissheit oft auch mit Spannung miteinander einhergeht. Wichtig dabei ist, dass zwischen der Spannung (im Sinne der Übersetzung von Suspense) und Hitchcocks Suspense-Begriff unterschieden wird. Mit Suspense ist in dieser Arbeit die von Hitchcock geprägte Konstruktion von Spannung die Rede und nicht von Spannung im Allgemeinen. Anhand eines Beispiels erläuterte Hitchcock, unter welchen Bedingungen Suspense entsteht kann. Außerdem ging er auf den Begriff Surprise ein, welcher eine Art Gegenpol zu Suspense darstellt:

„We are now having a very innocent little chat. Let's suppose that there is a bomb underneath this table between us. Nothing happens, and then all of a sudden, "Boom!"

There is an explosion. The public is surprised, but prior to this surprise, it has seen an absolutely ordinary scene, of no special consequence. Now, let us take a suspense situation. The bomb is underneath the table and the public knows it, probably because they have seen the anarchist place it there. The public is aware the bomb is going to explode at one o'clock and there is a clock in the decor. The public can see that it is a quarter to one. In these conditions, the same innocuous conversation becomes fascinating because the public is participating in the scene. The audience is longing to warn the characters on the screen: "You shouldn't be talking about such trivial matters. there is a bomb beneath you and it is about to explode!" In the first case we have given the public fifteen seconds of surprise at the moment of the explosion. In the second we have provided them with fifteen minutes of suspense.“5

Da das Publikum im Falle der ersten Situation die explodierende Bombe nicht antizipieren kann, wird er überrascht. Dies wäre unter der Kategorie Surprise einzuordnen. Wird dem Publikum jedoch die Bombe zu Beginn gezeigt, um die Gefahr in welcher sich die Figuren befinden darzustellen, entsteht Suspense. Das Publikum erfährt durch das Zeigen der Bombe eine wichtige Information, von welcher die Protagonisten nichts wissen. Der Filmwissenschaftler Hauke Lehmann begreift Spannung als ein auf die Narration bezogenes Phänomen, bei welchem „der Zuschauer gleichwohl seinen Anteil hat“6. Das Publikum entwickelt durch die ihm gegebenen Informationen Fragen, welche sich auf die Narration der folgenden Handlung beziehen7. Im Fall der Bombe wäre eine mögliche Frage, ob die Bombe explodieren wird oder ob die Figuren sich vorher noch retten können. Aufgrund dieser bewussten oder unbewussten Fragen und Vermutungen des Publikums, entsteht eine Ungewissheit über die kommenden Ereignisse im Film. Die Spanne der Zeit, in welcher das Publikum der Ungewissheit ausgesetzt ist, wird als Suspense bezeichnet. Diese bleibt solange erhalten, bis der Film die Situation auflöst. Um Suspense zu erzeugen, muss der Film also visuelle und/oder auditive Informationen an das Publikum vermitteln, welche allerdings den Figuren nicht gegeben sind. Mit dem Verhältnis von dem Informationsgehalt zwischen einem Erzähler und einer Figur im Film setzt sich auch das Fokalisierungskonzept von Markus Kuhn auseinander, worauf im nächsten Kapitel eingegangen wird.

Das Bomben-Bei spiel von Hitchcock könnte sich dem Mystery Genre einordnen lassen, wenn dem Publikum gar nicht erst die Situation der Bombe und der Explosion gezeigt wird. In dem der Film nachträglich davon erzählt, dass es eine Explosion gab und dabei Personen verletzt wurden, würde sich das Publikum „nach dem Grund für diese Explosionen, nach dem Tathergang, der Identität des Täters und nach der Rolle der beteiligten Personen“8 fragen.

3. Das Fokalisierungskonzept

Der französische Literaturwissenschaftler Gérard Genette prägte in seinen theoretischen Überlegungen zur Erzähltheorie den Begriff „Fokalisierung“ (franz. „focalisation“), welcher das Verhältnis des Informationsgehalts zwischen dem Erzähler und der Figur beschreibt. Im Deutschen lässt sich der Begriff auch unter „Perspektive“ einordnen9. Besonders wichtig bei Genettes Theorie ist die Unterscheidung zwischen den Kategorien „Wer sieht?“ und „Wer spricht?“10. Genette definierte drei Fälle der Fokalisierung, welche als Nullfokalisierung, interne Fokalisierung und externe Fokalisierung bezeichnet werden11.

Markus Kuhn geht in seinem Werk Filmnarratologie auf Genettes Ansatz der Fokalisierung ein und wendet die Theorie auf das Medium Film an. Kuhn bezieht sich für sein filmisches Fokalisierungskonzept auf „die Relation des Wissens zwischen Erzählinstanz und Figur“12. Um die Wahrnehmung beim Publikum genauer zu definieren, trennt Kuhn seinen Fokalisierungsansatz in einen visuellen und einen auditiven Aspekt, um so das „Sehen“ vom „Hören“ zu trennen. Außerdem differenziert Kuhn in Hinblick auf die Wissens- und Informationsrelation zwischen visueller und sprachlicher Erzählinstanz13.

Bezogen auf die Fokalisierungsfälle von Genette klassifiziert Kuhn für die visuelle Erzählinstanz (kurz VEI) die folgenden Fokalisierungen: Bei der Nullfokalisierung zeigt die VEI mehr als die Figur weiß; bei der internen Fokalisierung zeigt die VEI ungefähr so viel wie die Figur weiß; bei der externen Fokalisierung zeigt die VEI weniger als die Figur weiß14. Bei der sprachlichen Erzählinstanz (kurz SEI) verhält es sich ebenso, mit dem Unterschied, dass die Erzählinstanz mehr (bzw. gleich viel oder weniger) als die Figur sagt15. Die Trennung von der visuellen und sprachlichen Erzählinstanz ermöglicht es, dass unterschiedliche Varianten einer Fokalisierung im gleichen Filmabschnitt entstehen können.

4. Analyse der Fokalisierungen in der ersten Szene von Inglourious Basterds

Die erste Szene in Inglourious Basterds ist mit 17 Drehbuchseiten eine der längsten Szenen im ganzen Film16. Sie beginnt mit der Ankunft des „Colonel of the SS“ namens Hans Landa auf dem Hof des französischen Milchbauern Perrier LaPadite. Landa möchte das Haus von LaPadite genauer inspizieren um sicher zu gehen, dass sich auf dem Hof keine versteckten Juden befinden. Landa versucht durch gezielte Fragen und Worte zu ermitteln, ob LaPadite lügt und falls ja, wo er die Juden versteckt hält. Inmitten des Verhörs schwenkt die Kamera langsam von den Figuren weg und geht durch den Boden hindurch in den Keller des Hauses. Unter den Bodendielen erkennt man, wie sich die gesuchte Familie versteckt und versucht, keine Geräusche von sich zu geben, in dem sie sich die Hände vor den Mund halten. Ab diesem Moment besteht für das Publikum die Gewissheit, dass LaPadite eine jüdische Familie bei sich versteckt hält. Im folgenden Teil wird die Eröffnungsszene analysiert, um die Veränderungen der Fokalisierungen anhand von Kuhn zu ermitteln.

Nachdem zuerst eine Totale des Hofs gezeigt wird, auf welchem man LaPadite beim Holz hacken sieht, wird in der dritten Einstellung die Tochter beim Wäsche aufhängen gezeigt. Das Bild ist zum größten Teil mit dem weißen Laken, welches gerade auf die Wäscheleine gehangen wurde, gefüllt. Man hört ein leichtes Surren, woraufhin die Tochter das Laken etwas zur Seite nimmt. In der Ferne erkennt man Motorräder, auf welchen sich schwarzgekleidete Personen befinden. LaPadite beendet das Holz hacken, nachdem ihm seine Tochter auf die Personen aufmerksam macht und bittet sie, Wasser für sein verschwitztes Gesicht zu bringen. Den anderen beiden Töchtern befiehlt er ins Haus zu gehen und die Tür zu verschließen. Aufgrund der dramatischen musikalischen Untermalung und der Reaktion von LaPadite auf die sich nähernden Personen wird deutlich, dass die Situation angespannt ist. Anhand des KapitelSchriftzugs „Once upon a time...in Nazi-occupied France“17 zu Beginn des Films, kann das Publikum darauf schließen, dass es sich bei den ankommenden Personen in den schwarzen Uniformen um Nazis handeln könnte. Dies bestätigt sich, nachdem sich der Unbekannte bei LaPadite als „Colonel Hans Landa of the SS“18 vorstellt.

Bis dahin handelt es sich bei der visuellen Erzählinstanz (VEI) um eine interne Fokalisierung, da die VEI ungefähr gleich viel zeigt, wie die Figur weiß. LaPadite weiß aufgrund der Uniform, dass es sich bei den sich nähernden Personen um Nazis handelt. Er ist sich der Gefahr, in der er, seine Töchter und die jüdische Familie sich befinden, bewusst. Dies äußert sich unter anderem darin, dass er seine Töchter ins Haus schickt. Die sprachliche Erzählinstanz (SEI) fundiert die Angespanntheit von LaPadite zudem durch Ennio Morricones dramatisches Musikstück „The Verdict (La Condanna)“19. Nachdem LaPadite den Krug mit Wasser von seiner Tochter gereicht bekommt, schickt er sie zu den anderen beiden Töchtern ins Haus und ergänzt mit den Worten „ne cours pas“20, dass sie nicht rennen soll. Landa bittet LaPadite, das Gespräch im Haus weiterzuführen.

[...]


1 IMDB: Inglourious Basterds. Online: https://www.imdb.com/title/tt0361748/releaseinfo?ref_=tt_ov_inf (Letzter Zugriff: 31.10.2018)

2 Weibel, Adrian: Spannung bei Hitchcock. Zur Funktionsweise des auktorialen Suspense. Königshausen & Neumann, Würzburg 2008. Seite 17.

3 Ebd.

4 Vgl. Ebd.

5 Truffaut, Frangois: Hitchcock. Simon & Schuster, New York 1984. Seite 73.

6 Vgl. Lehmann, Hauke; Affektpoetiken des New Hollywood. Suspense, Paranoia und Melancholie. de Gruyter, Berlin / Boston 2017. Seite 57.

7 Vgl. Ebd.

8 Weibel, Adrian: Spannung bei Hitchcock. Zur Funktionsweise des auktorialen Suspense. Königshausen & Neumann, Würzburg 2008. Seite 17.

9 Vgl. Stanzel, Franz Karl: Theorie des Erzählens. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1991. Seite 153.

10 Vgl. Genette, Gérard: Die Erzählung. Fink, Paderborn 2010. Seite 119.

11 Vgl. Ebd. Seite 121.

12 Kuhn, Markus: Filmnarratologie. Ein erzähltheoretisches Analysemodell. de Gruyter, Berlin/New York 2011. Seite 122.

13 Vgl. Ebd. Seite 122 f.

14 Vgl. Ebd. Seite 123.

15 Vgl. Ebd. Seite 124.

16 Scribd: Inglourious Basterds - Original Screenplay. Online: https://de.scribd.com/doc/25017184/Inglourious-Basterds-Original-Screenplay (Letzter Zugriff: 31.10.2018)

17 Inglourious Basterds. Quentin Tarantino. US 2009. TC: 00:01:56-00:02:04.

18 Inglourious Basterds. Quentin Tarantino. US 2009. TC: 00:04:12-00:04:14.

19 IMDB: Inglourious Basterds. Soundtracks. Online: https://www.imdb.com/title/tt0361748/soundtrack?ref_=tt_trv_snd (Letzter Zugriff: 31.10.2018)

20 Inglourious Basterds. Quentin Tarantino. US 2009. TC: 00:03:39-00:03:41.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Erzeugung von Spannung im Film
Untertitel
Am Beispiel der Eröffnungsszene in "Inglourious Basterds"
Hochschule
Universität Bayreuth
Veranstaltung
Medientheorie
Note
2,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
14
Katalognummer
V986291
ISBN (eBook)
9783346344748
ISBN (Buch)
9783346344755
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Medientheorie, Spannung, Suspense, Inglourious Basterds, Tarantino, Medienwissenschaft, Medien, Film
Arbeit zitieren
Christof Schnauß (Autor:in), 2018, Erzeugung von Spannung im Film, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/986291

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