Hoffmann, E.T.A. - Ritter Gluck - Kunst und Künstlerexistenz


Facharbeit (Schule), 2000

40 Seiten


Leseprobe


Kunst und Künstlerexistenz in Hoffmanns ,,Ritter Gluck"

Facharbeit im Leistungsfach Deutsch über die Novelle ,,Ritter Gluck" von E.T.A. Hoffmann aus den ,,Fantasiestücken in Callot's Manier"

1 Einleitung

In der vorliegenden Facharbeit beschäftige ich mich mit der ErzählungRitter Gluckvon E.T.A. Hoffmann, die ich nach den Gesichtspunkten ,,Kunst und Künstlerexistenz", wie im Thema vorgegeben, untersuche. Dies beinhaltet mehrere Einzelaspekte:

Ein wichtiger Untersuchungsaspekt ist hier zunächst, ob der Schwerpunkt der Erzählung allein auf der Musik liegt, oder ob auch die beiden anderen großen Künste - Literatur und Malerei - zum Tragen kommen. Ferner interessiert die Art und Weise, in der die Kunst oder die Künste in der Erzählung auftreten und wie sie bewertet werden. Schließlich bedarf es noch einer Untersuchung hinsichtlich der Wirkung der Kunst oder der Künste auf ihre Zuschauer oder Zuhörer, auf ihre Kritiker und auf den Künstler selber.

Wie sich noch herausstellen wird, spielt die Eingliederung des Künstlers in die Gesellschaft eine große Rolle imRitter Gluck,ebenso wie sich interessante und auf alle Fälle untersuchenswerte Differenzen in der Kunstauffassung der verschiedenen vorgestellten Künstler ergeben. Darüber hinaus bietet das Umfeld des Künstlers, das durch den Ich- Erzähler der Erzählung repräsentiert wird, interessante Ansatzpunkte.

Vorab möchte ich Hoffmann kurz vorstellen, da eine Biographie den Rahmen der Arbeit sprengen würde und ich daher voraussetzen müßte, daß beim Leser eine gewisse Grundkenntnis über den Dichter vorhanden ist. Der Einfachheit halber gebe ich hier ein paar allgemeine Informationen.

Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann wird 1776 in Königsberg geboren. Er studiert zunächst Jura, entdeckt jedoch bald seine Berufung zum Künstler; er versucht sich nicht immer erfolgreich als Musiklehrer, Kapellmeister und Komponist, als Zeichner, Maler und Bildhauer, als Bühnenbildner, Kritiker und Schriftsteller. Hoffmann gilt als Begründer der romantischen Oper; der romantischen Literatur hat er Weltgeltung verschafft, denn sein Erzählstil wirkte stark ins Ausland, so z. B. auf die französischen Schriftsteller Balzac und Baudelaire, auf den Russen Gogol und sogar auf den amerikanischen Schriftsteller Edgar Allan Poe.1 Hoffmann verstirbt 1822, erst 46-jährig, durch rasch fortschreitende Lähmung stark beeinträchtigt, in Berlin.

Vorzustellen ist hier auch der Komponist Christoph Willibald Ritter von Gluck, der schon im Titel der Erzählung alsRitter Gluck- eine seinerzeit durchaus geläufige Abkürzung für den langen Namen - erwähnt wird und in der gesamten Erzählung eine große Rolle spielt.

Christoph Willibald Ritter von Gluck wird 1714 in Erasbach, einem Dorf in der Nähe von Nürnberg geboren. Trotz finanzieller Schwierigkeiten schafft er es, Musik zu studieren und wird zu einem großen Komponisten. Sein größter Verdienst ist eine grundlegende Reform der Oper. Angeregt durch das Buch ,,Briefe über den Tanz und das Ballett" von dem Ballettmeister Jean Georges Noverre stellt Gluck ein vollkommen neues Konzept vor, in dem er endlich die Teile der Oper zu einem großen Ganzen verbindet, wo vorher Arien und Ballette für sich stehen und glänzen wollten.2 Sein erstes Werk im Stil der sog. Reformoper ist ,,Orpheus und Eurydike" (1762). Die drei Opern, die in der Erzählung erwähnt werden - ,,Iphigenie in Aulis" (1774), ,,Armida" (1777) und ,,Iphigenie in Tauris" (1779) - gehören ebenfalls zu Glucks Reformopernwerk. Gluck stirbt 1787 in Wien.

2 Hoffmann, sein Leben und seine Werke

E.T.A. Hoffmann ist Zeit seines Lebens ein unruhiger Geist. In allen drei Künsten - Musik, Malerei und Literatur - gleichermaßen begabt kann er sich nicht recht für eine Sache entscheiden, sondern bleibt häufig unschlüssig. Dies schlägt sich einerseits in seinem Lebenswandel nieder, da er sein Geld sowohl an Gerichten verdient, als auch versucht, sich als Porträtmaler, Komponist, Bühnenbildner, Musikkritiker und schließlich auch als Schriftsteller durchzuschlagen. Andererseits läßt sich seine unruhige Natur schon daran festmachen, daß er es nie lange an einem Ort aushält und so im Laufe seines Lebens in Königsberg, Berlin, Posen, Plock, Warschau, Bamberg, Dresden und Leipzig wohnt.

Hoffmann beschäftigt sich schon früh sehr intensiv mit Malerei und Musik; Gluck und Beethoven sind Musiker, deren Künste er sehr bewundert und aus Verehrung für Mozart nimmt er später sogar den Vornamen Amadeus an. Ein viel beachtetes Gemälde Hoffmanns ist ein Jugendbildnis,Die Fantasie erscheint Hoffmann zum Troste. Es entsteht 1794, als Hoffmann erst achtzehn Jahre alt ist; es vereint schon viele Elemente seines späteren dichterischen Schaffens. So stellt er die Phantasie als übermächtige Göttin dar, vor der er sich, selbst auf dem Gemälde abgebildet, verneigt und die, von unzähligen kleinen und größeren Geistern umgeben, innerhalb einer märchenhaften Kulisse erscheint. Selbst Hoffmanns Ironie ist schon angedeutet in der Fratze, die die Armlehne seines Stuhls verziert.3 Dem Schriftstellertum wendet er sich verhältnismäßig spät zu. DerRitter Gluck, Hoffmanns erste veröffentlichte Erzählung, erscheint erst im März 1809, als Hoffmann die dreißig schon überschritten und nur noch dreizehn Jahre zu leben hat. Sein gesamtes literarisches Werk beschränkt sich also auf einen Zeitraum von nur gut zehn Jahren.

In seiner Jugendzeit verfaßt Hoffmann schon zwei Romane, diese sind jedoch, wenn überhaupt, nur bruchstückhaft überliefert und lassen auf eher triviale Literatur schließen.4 Vor demRitter Gluckwerden außerdem schon zwei musikalische Schriften Hoffmanns veröffentlicht, zum einen dasSchreiben eines Klostergeistlichen an seinen Freund in der HauptstadtimFreimüthigen(1803) und zum anderen Betrachtungen über das Melodram, die in einem Brief an Graf Soden enthalten sind und von der ,,Allgemeinen Deutschen Theaterzeitung" abgedruckt werden, was eigentlich nicht Hoffmanns Absicht entsprach, ihm so aber doch sehr recht ist.

Hoffmann ist ein Satiriker. So hat er in seinen Erzählungen immer wieder charakteristische Züge seiner Mitmenschen festgehalten. Beispiel hierfür ist ein ,,stilisiertes Porträt" des Organisten Podbielski inDie Fermate, der Hoffmann Musikunterricht erteilt.5 Auch seine Zeichnungen beinhalten häufig eine gewisse Bosheit. Beim Maskenball zum Karneval 1802 läßt Hoffmann Karikaturen die Runde machen, die ganz gezielt die Obersten der Posener Gesellschaft zum Motiv haben, so daß sich diese allesamt lächerlich gemacht fühlen. Dies hat zur Folge, daß Hoffmann nicht wie geplant in Posen befördert, sondern nach Plock, also in die Provinz versetzt wird. Selbst kurz vor seinem Tode behält sich Hoffmann noch satirische Ausfälle vor. In seinemMeister Floh(1821) karikiert er den Polizeidirektor von Kamptz, was ihn in arge Schwierigkeiten bringt.6 Den voraussichtlich schlimmen Ausgang des gegen ihn eingeleiteten Verfahrens erlebt er nicht mehr. Auch imRitter Gluckfindet sich, wie sich im Hauptteil dieser Arbeit noch herausstellen wird, Kritik, die hier auf die gegenwärtige Berliner Musikpraxis abzielt.

Hoffmann bedient sich in seiner Literatur häufig phantastischer Mittel. So gelten seine Werke schon zu seinen Lebzeiten als verzerrt, ironisch und auf alle Fälle als abweichend von der gängigen Norm.7 Es tauchen häufig Auswüchse des Dämonischen auf, die sich sogar bis zum Diabolischen steigern können.8

3 Hintergründe

3.1 Ritter Gluck

Wie eben erwähnt, stellt derRitter Gluckdie erste veröffentlichte Musikerzählung E.T.A. Hoffmanns dar. Hoffmann sendet sie am 12. Januar 1809 an Johann Friedrich Rochlitz, einen Redakteur bei der renommiertenAllgemeinen Musikalischen Zeitung(AMZ),der dafür sorgt, daß sie schließlich in der Ausgabe vom 15. Februar 1809 zunächst anonym erscheint. Die Erzählung ist ganz im Sinne der AMZ, die zur Zeit nicht selten Erzählungen abdruckt, die sich mit genialen Sonderlingen befassen und so in unterhaltsamem, erzählerischen Stil theoretische und moralische Themen aufbereiten und lesbarer machen. Hoffmann ist sich dessen wohl bewußt und kleidet seine Kritik an den zeitgenössischen Mozart- und Gluck- Aufführungen in Berlin also in eine durchaus populäre Form.

Als Vorbild für denRitter Gluckdient Hoffmann eine Erzählung von Rochlitz selber, ,,Der Besuch im Irrenhaus", die im Sommer 1804 in der AMZ veröffentlicht wurde. Die Hauptperson ist ein Geisteskranker, der im titelgebenden Irrenhaus überragend Klavier spielt und überdem noch eine ganz eigene, christlich angehauchte Musiktheorie entwickelt.9

Anregend für den Inhalt desRitter Gluckist Hoffmanns Berlinaufenthalt vom Sommer 1807 bis zum Sommer 1808; Hoffmann ist zu dieser Zeit erfolglos und bitterarm und erlebt besagte Mozart- und Gluck-Aufführungen. Besonders hervorzuheben sind dabei der ,,Don Giovanni" von Mozart (1807) und Glucks ,,Armida" (1808). Die Darbietung dieser an sich von ihm hochgeschätzten Werke mißfällt Hoffmann, was seiner Meinung nach am Berliner Kapellmeister Bernhard Anselm Weber liegt.

3.2 Fantasiestücke in Callots Manier

Hoffmann gliedert seinenRitter Gluckfünf Jahre nach der Erstveröffentlichung in einen Zyklus ein. Den Vertrag schließt er am 13. März 1813 mit seinem Verleger, dem Weinhändler Carl Friedrich Kunz ab, für den es als Verleger ebenso wie für Hoffmann als Autor das erste vollständige Buch ist. Der Vertrag beinhaltet die Aufnahme der bereits in der AMZ veröffentlichten Erzählungen sowie weiterer Arbeiten Hoffmanns in ein vierbändiges Werk, das nach Hoffmanns Wunsch den TitelFantasiestücke in Callots Maniertragen soll.10 Kunz beauftragt seinen Freund Jean Paul mit einer Vorrede, was allerdings nicht unbedingt in Hoffmanns Sinne ist, der in einem Brief an Kunz vom 20. Juli 1813 zu bedenken gibt, daß ihm ,,alle Vorreden [...] zuwider" sind, besonders aber ,,die Brandbriefe [berühmter Autoren], mit denen in der Hand die jungen Schriftsteller um Beifall betteln".11 Bei der Erstausgabe der Fantasiestückeerscheint kein Verfassername; auch die Veröffentlichungen in der AMZ waren anonym.

Die vier Bände derFantasiestückeerscheinen 1814/15 und enthalten folgende Erzählungen:

Band I:Vorrede(von Jean Paul), Jaques Callot(Hoffmanns eigene Vorrede), Ritter Gluck, Kreisleriana 1-6undDon Juan

Band II:Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganzaund Der Magnetiseur

Band III:Der goldene Topf

Band IV:Die Abenteuer der Silvester-NachtundKreisleriana(darunter der erste Aufzug vonPrinzessin Blandina)

In einer zweiten Auflage, die 1819 ebenfalls bei Kunz erscheint, nimmt Hoffmann einige Änderungen vor. So streicht er diePrinzessin Blandinaund kürzere Passagen inBerganza,imMagnetiseurund in denAbenteuern der Silvester-Nacht.Außerdem verteilt er das Werk jetzt auf zwei Bände:

Band I:Vorrede, Jaques Callot, Ritter Gluck, Kreisleriana 1-6, Don Juanund Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza

Band II:Der Magnetiseur, Der goldene Topf, Die Abenteuer der Silvester- Nacht undKreisleriana

DieFantasiestückebeschränken sich nicht auf die literarische Kunst, sondern gehen auch auf die beiden anderen Künste ein. So befassen sich mehrere Erzählungen des Zyklus mit der Musik, wie z.B.Kreisleriana, Don Juanund natürlich derRitter Gluck.Hoffmanns Kunstverständnis und seine Bewunderung für Callots Zeichnungen schlagen sich in seiner eigenen Vorrede, demJaques Callotnieder, dem er eine gewisse ,,romantische Originalität" bescheinigt, ,,so daß das dem Fantastischen hingegebene Gemüt auf eine wunderbare Weise davon angesprochen wird."12 Schließlich nennt Hoffmann seinen ZyklusFantasiestücke in Callots Manier,so daß sich seine Verehrung für diesen Künstler sogar im Titel niederschlägt.

Auch die Verwendung des BegriffesFantasiestückebeinhaltet schon die Verbindung der drei Künste in Hoffmanns Werk. ,,Phantasie" ist ein in der Musik gebräuchlicher Begriff für eine Komposition, die weitgehend frei von Formvorschriften ist; ,,Stück" ist ein anderer Begriff für ,,Gemälde", wird also in der bildenden Kunst verwendet.13

4. Bezug zum Kursthema

4.1 Die Romantik als Stilepoche

,,Romantisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung [...] indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Sinn gebe, so romantisiere ich es."

Novalis14

,,Der Bildung Strahlen all in eins zu fassen, vom Kranken ganz zu scheiden das Gesunde, bestrebten wir uns treu in freiem Bunde."

Friedrich Schlegel15

,,Mir heißt ins Große und Ganze wirken: auf den Charakter der Menschheit wirken, und darauf wirkt jeder, sobald er auf sich und bloß auf sich wirkt. [...] Denn man sei nur groß und viel, so werden die Menschen es sehen und nutzen."

Wilhelm von Humboldt 16

Die drei vorangestellten Zitate sollen einen kleinen Einblick in die romantische Weltsicht gewähren. Es finden sich in ihnen die Hauptströmungen der Romantik wieder. Bei Novalis wird die Vorliebe der Romantik für das Unbekannte, für das Mystische angesprochen, ihre völlig neue Sicht auf eigentlich schon Bekanntes, das so eine neue Wirkung - die Wirkung des Unbekannten - bekommt. Schlegel spricht die Universalität der Romantik an, die sich nicht beschränkt, sondern auf alle Bereiche des Lebens ausgedehnt wird; die Romantik will Künste und Wissenschaft vereinen und so vollkommen erneuern. Humboldt schließlich nimmt in seinem Zitat schon Elemente aus Fichtes ,,Wissenschaftslehre" vorweg, in der das Subjekt über das Objekt gestellt wird. Der Mensch (Subjekt) ist der eigentliche Herr der Schöpfung (Objekt) und es ist seine Aufgabe, sich die Welt allein durch die Macht seines Willens zu unterwerfen. Dies meint aber nicht Unterwerfung, Unterdrückung im negativen Sinne, sondern vielmehr die Fürsorge und den Kampf für die Freiheit mit all den Fähigkeiten, die den Menschen zum Subjekt machen.17 So wirkt er nicht nur auf die Schöpfung, sondern auch auf den von Humboldt erwähnten ,,Charakter der Menschheit".

Die Epoche der Romantik beginnt im späten 18. Jahrhundert in Deutschland. Ihr Name leitet sich von dem altfranzösischen ,,romanz" ab, einer Versdichtung oder auch Prosaerzählung, die, anstatt wie üblich auf Latein, erstmals in der Volkssprache, der ,,lingua romana" verfaßt wurde und so einem breiteren Publikum zugänglich war. Die Romantik ist denn zunächst auch eine rein literarische Bewegung, die sich aber bis zum Beginn des zwanzigstens Jahrhunderts in alle Lebensbereiche ausdehnt; so werden nicht nur Musik und Malerei, die beiden anderen Künste, sondern auch Religion, Wissenschaft und Philosophie reformiert.

Hoffmann ist neben von Arnim, Brentano, Eichendorff, Kleist, Novalis, Tieck und neben den Brüdern Schlegel einer der Autoren der Romantik überhaupt. Die literarische Romantik ist um die Jahrhundertwende zum 19. Jahrhundert anzusiedeln, etwa von 1790 bis 1830. Sie stellt eine Gegenbewegung zur Epoche der Aufklärung dar, deren Ziel nach Kant ,,der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit" war.18 Im Gegensatz zur aufklärerischen Erhellung des Bewußtseins wendet sich die Romantik wieder dem Mystizismus und auch der Religion zu, wobei das Todes- und Nachterlebnis eine zentrale Rolle spielen. Hoffmann interessiert sich besonders für den tierischen Magnetismus, dem er in seiner ErzählungDer MagnetiseurAusdruck verliehen hat.

Die Romantik macht die Volksdichtung wieder salonfähig, das Märchen - ob als Kunst- oder Volksmärchen - wird zu einer überaus beliebten Gattung, die von Autoren wie Tieck, Novalis oder auch Hoffmann gepflegt wird. Auch Sage, Volkslied und Volksbuch erleben eine kleine Renaissance. Roman, Novelle und Lyrik sind oder bleiben ebenfalls populär, während Drama und Lustspiel in der Beliebtheit abfallen. Von großer Bedeutung sind hier allerdings die Shakespeare-Übersetzungen von Tieck und Schlegel.

Die romantische Ironie wird zum Kunstmittel, mit dem sich der Autor über die Dialektik zwischen Wirklichkeit, also die Grenzen der menschlichen Fähigkeiten, und dichterischem, in Bezug auf die Wirklichkeit vollkommen unzulänglichem Werk stellt. Diese Unzulänglichkeit kann den Dichter bedingt durch seine ironische Sicht nicht mehr schrecken.19 Wichtiges Symbol der Romantik ist der von Novalis in seinem Roman ,,Heinrich von Ofterdingen" eingeführte Begriff der ,,blauen Blume", die für die Sehnsucht nach dem Unendlichen steht.

Die musikalische Romantik setzt etwa um 1810 ein. Hauptvertreter sind Weber, Schubert, Chopin, Mendelssohn und Wagner. An Bedeutung gewinnt auch hier ganz stark das Volkslied, das Schubert in seinen Liederzyklen aufleben läßt; insgesamt wird die Musik programmatischer, erkennbar z.B. an Mendelssohns Kompositionen der ,,Lieder ohne Worte" und Chopins ,,Nokturnen" (Nachtstücken). Wichtigste Intention der romantischen Musik ist der Ausdruck von Gefühlen und Naturstimmungen, was kompliziertere Rhythmik, Spannungschromatik, erweiterte Tonalität und neue und ungewöhnliche Kombinationen in der Instrumentierung zur Folge hat. Der Künstler nimmt seine Kompositionstätigkeit sehr ernst, da die Musik nicht mehr der reinen Unterhaltung dient, sondern jetzt Ausdruck seiner persönlichsten Gefühle ist.

4.2 Hoffmanns Streben nach dem romantischen Musikideal

Hoffmanns Musik steht in der Tradition der klassischen Meister, was angesichts seines romantischen dichterischen Werks voll zwielichtiger Gestalten und phantastischer Vorgänge verwundern mag. Dies erklärt sich jedoch leicht dadurch, daß der Hauptteil seines musikalischen Schaffens in die Zeit zwischen ausgehender Klassik, deren Werke bereits vollendet sind, und beginnender Romantik fällt, die noch zu jung ist, um schon feste musikalische Vorstellungen geprägt zu haben.

Justus Mahr, auf dessen Aufsatz ,,Die Musik E.T.A. Hoffmanns im Spiegel seiner Novelle vomRitter Gluck"ich mich in diesem Kapitel beziehe, zeigt, daß Hoffmann jedoch auch in der Musik ein romantisches Ideal anstrebt. Mahr hält hier das Gleichnis von den Kolossen Grundton und Quint und der als Jüngling hinzutretenden Terz aus demRitter Gluckfür programmatisch.20 So repräsentiere die leere Quint die klassische Musik, wogegen sie zum Dreiklang vervollständigt als Symbol für das romantische Musikideal diene.21

Hoffmann hält Beethoven für einen großen Romantiker, denn dieser repräsentiert das von Hoffmann angestrebte Ideal. Für Hoffmanns Streben nach diesem romantischen Musikideal führt Mahr einige Beispiele an. So erscheine eines von Hoffmanns Duetten, das in einer seiner Erzählungen vom Kapellmeister Kreisler vorgetragen wird, im Spiegel der überschwenglichen Reaktionen durchaus romantisch, wenn dies musikalisch auch nicht bestätigt werden könne.22 Hoffmanns Klaviersonate in f-Moll ließe sich auf den ersten Blick sehr klassisch an; erst bei näherem Betrachten falle auf, daß sich im Aufbau des Stückes Parallelen zum Aufbau von Hoffmanns doch sehr romantischen Erzählungen ziehen lassen. So würden in beiden Fällen erst verschiedene, anscheinend zusammenhanglose Elemente vorgestellt, die gegen Ende jedoch in kunstvoller Weise verflochten würden.23

Weiterhin führt Mahr Hoffmanns 1916 entstandene OperUndinean, die an die Reformoper Glucks anknüpfe. DieUndineist ein Werk der Frühromantik und gilt als direkter Vorläufer des ,,Freischütz" von Weber. Die Arie ,,Kommt ein schlanker Bursch gegangen" aus dem ,,Freischütz" weist denn auch nicht unerhebliche Ähnlichkeiten mit der ArieEi, wer sich auf Wellenhügeln, die Weber in einer weitschweifigenUndine-Rezension besonders hervorhebt, auf, so Mahr. Hoffmann rezensiert seinerseits den ,,Freischütz", begeistert, daß Weber in einer Weiterbildung seiner Arie (Ei, wer sich auf Wellenhügeln) endlich das romantische Ideal gefunden hat, was ihm verwehrt blieb.24

4.3 Die Phantastik nach Jaquemin und Zgorzelski

Callois, den Jaquemin in seinem Aufsatz zitiert, bezeichnet die Phantastik als ,,einen Skandal, einen Riß, einen seltsamen, fast unerträglichen Einbruch in die reale Welt."25 Diese ,,reale Welt" meint unsere Welt der Gewohnheit, unsere vertraute Umgebung, die wir vorerst in der phantastischen Literatur wiedererkennen und für uns selbst bestätigen. Wenn dann in diese unsere normale Welt der ,,Skandal", der ,,Riß" einbricht, wirkt das unheimlich und uns jagen Schauer über den Rücken. Der Leser kann sich anfangs mit den Personen der Handlung identifizieren, und befindet sich gedanklich am Schauplatz des Geschehens. Wenn dann das Unerwartete geschieht, überrascht es ihn, da er es an diesem vertrauten Ort nicht erwartet hätte. Dieser Gegensatz zwischen realer Welt und dem einbrechenden Phantastischen charakterisiert bei Jaquemin die phantastische Erzählung.26 Im Märchen und auch in der Science Fiction fehlt dieser Gegensatz. Das Unbekannte wirkt hier nicht mehr erschreckend, da es sich unter seinesgleichen, in einer ganzen Welt des Unbekannten befindet.

Zgorzelski grenzt die Phantastik zunächst ebenfalls gegen die Realistik ab. Er hält dies jedoch nicht für allgemeingültig und gut, da die Einschätzung einer vertrauten und normalen Umgebung subjektiv ist.27 Erfahrungen, Erlebnisse und Erkenntnisse, die für den einen noch selbstverständlich seien, gingen für den anderen schon über den Erfahrungshorizont hinaus und wären damit in diesem Sinne auch phantastisch. Der Riß müsse also vielmehr in der fiktiven Ordnung auftreten und so die zu Beginn einer Erzählung aufgezeigten Logikgesetze sprengen.28 Dabei müsse die fiktive Ordnung keinesfalls der unseren entsprechen. Erkennbar wird der Riß dann nicht nur an den Reaktionen des Lesers, sondern auch und vor allem an denen des Erzählers und der handelnden Personen, die mit Angst, Scheu, Verwundern oder Entsetzen reagieren.29

Bei beiden Autoren finden sich, obgleich sie nicht in allen Punkten übereinstimmen, die Elemente eines unerwarteten Einbruchs in eine vertraute Umgebung und einer darauffolgenden Verwirrung bei allen beteiligten Personen. Diese Verwirrung, die bestürzte, teilweise sogar entsetzte Reaktion der handelnden Personen ist bei der Phantastik Voraussetzung. Dies hat sich in dem dieser Arbeit vorausgegangenen Unterricht herausgestellt.

5. Kunst und Künstlerexistenz in Hoffmanns Ritter Gluck

5.1 Der strukturelle Aufbau des Ritter Gluck

In der ErzählungRitter Gluck - Eine Erinnerung aus dem Jahre 1809kommt der Ich-Erzähler zufällig mit einem Unbekannten ins Gespräch. Sie sprechen über Musik im allgemeinen, über das Komponieren und über die Berliner Aufführungspraxis berühmter Werke Mozarts und Glucks. Der Fremde fällt auf durch etwas altmodische Kleidung und durch seine sehr strenge Kritik an den Berliner Künstlern, aber auch durch seine ganz eigene Auffassung und Interpretation Gluck'scher Werke, die durchaus in dessen Sinne zu sein scheinen, wie der Ich- Erzähler anmerkt. Dieser ist schwer beeindruckt von der Kunst des Unbekannten, der sich schließlich als der Ritter Gluck zu erkennen gibt.

HoffmannsRitter Gluckist grob in zwei Teile zu gliedern, wobei der erste Teil (S. 14 - S. 21) etwas länger ist als der zweite (S. 21 - S. 24) und zwischen beiden Teilen eine Zeitspanne von einigen Monaten liegt, in denen sich die beiden Handlungsträger nicht begegnen.30 Die beiden Teile lassen sich darüber hinaus in verschiedene Gesprächs- und Handlungselemente zerlegen:

(1) S. 14 - 15 Berlin - Beschreibung des zeitgenössischen Berlins, [EB; FR]
Zusammentreffen der Hauptpersonen
(2) S. 16 Iphigenia in Aulis - Fremder dirigiert das Kaffeehaus- [EB] orchester
(3) S. 17 Berliner - Erstes Anklingen der Abneigung des Fremden [FR]
(4) S. 17 Iphigenia in Tauris - Fremder singt und modifiziert [EB] einen Chor der Oper Glucks
(5) S. 18 - 19 Komposition - Fremder berichtet vom ,,Reich der Träume" [FR]
(6) S. 20 - 21 Kritik - Fremder klagt über Berliner Künstler und ihre [FR] Aufführungspraxis
(7) S. 21 - 22 Erneutes Treffen - Fremder und Ich-Erzähler gehen in die [EB; FR] Wohnung des Fremden
(8) S. 23 - 24 Armida - Fremder bietet Eigeninterpretation der [EB;(FR)]

Gluck'schen Oper und lüftet anschließend seine Identität Innerhalb der Erzählung lassen sich Beziehungen zwischen den einzelnen Teilen feststellen. So findet sich in Teil (8) ein kurzer Rückbezug auf Teil (5);31 Teil (6) erklärt des Fremden seltsame Abneigung gegen die Berliner, die in Teil (3) nur dahingestellt wird. Darüber hinaus ist Teil (8) eindeutig eine Weiterführung von Teil (4); beide Teile stehen in enger Beziehung zu Teil (2).32

5.2 Vorbereitende Bemerkungen für das Verständnis des Ritter Gluck

DerRitter Gluckist in der Ich-Perspektive geschrieben. Das fiktive Ich ist zunächst einmal der ,,reisende Enthusiast", wie der Untertitel derFantasiestücke in Callots Manier - Blätter aus dem Tagebuche eines reisenden Enthusiasten -besagt. Doch im Laufe der Handlung finden sich auffallende Parallelen zu Hoffmann selber. So ist Hoffmanns Bewunderung für die Meisterschaft Glucks ähnlich groß wie die des Ich-Erzählers, bei dem sich diese im Laufe der Handlung fast ins Unermeßliche steigert.33 Die auffallendste Parallele ist, daß der Ich- Erzähler in der Friedrichstraße wohnt, ebenso wie Hoffmann in seiner Berliner Zeit von 1807 bis 1808, die Zeit, in der derRitter Gluckvermutlich entstanden ist.34

Die Erzählung selber erweckt den Anspruch von etwas wirklich Geschehenem, von einer wahren Begebenheit, denn sie wird im Untertitel desRitter GluckalsErinnerung aus dem Jahre 1809ausgegeben. Die sehr ausführliche Beschreibung des zeitgenössischen Berlins, die die Erzählung einleitet, verstärkt diesen Eindruck. Doch hier findet sich eine bemerkenswerte und viel diskutierte erste Ungenauigkeit, ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt: Das Geschehen findet laut Einleitung im Spätherbst statt, in Hinblick auf den Untertitel handelt es sich also um den Spätherbst 1809. Die Erzählung wird jedoch schon im März 1809 veröffentlicht, so daß der Anspruch einer wirklichen Erinnerung nicht mehr gelten kann. Eine zweite Ungenauigkeit findet sich im Erscheinen desRitter Gluck, denn im Jahre 1809 ist Christoph Willibald Ritter von Gluck, allgemein kurz als Ritter Gluck bezeichnet, bereits seit gut zwanzig Jahren tot - er starb am 15. November 1787.

Auffallend ist darüber hinaus noch der Tempuswechsel zu Anfang der Erzählung. Die Einleitung steht im Präsens, sobald jedoch der Fremde, der, wie sich später herausstellt, der Ritter Gluck ist, in die Erzählung eintritt, wechselt die Zeit ins epische Präteritum.35 Das epische Präteritum wird dann die ganze Erzählung hindurch beibehalten.

Die Erzählung setzt sich aus den beiden Elementen Dialog und Erzählerbericht zusammen, wobei der Schwerpunkt der Dialoge auf die Kritik am Berliner Künstlerleben gelegt ist und der Erzählerbericht meistens von den Gluck-Interpretationen des Fremden handelt. Eine Sonderrolle nimmt hier der Bericht vom ,,Reich der Träume" ein, der im folgenden Kapitel analysiert wird. In den Teilen des Erzählerberichts wird deutlich, daß nicht nur der Fremde, sondern auch das fiktive Ich über eine weitreichende Kenntnis Gluck'scher Werke verfügen, denn der Ich-Erzähler bemerkt jede Abweichung vom Original, die der Fremde vornimmt. In den Gesprächen über die Berliner Künstlerszene nimmt er weitgehend eine gegensätzliche Position zu der des Fremden ein. Er wirft ihm vor, sein in der Tat vernichtendes Urteil über die Künstler sei ,,viel zu hart".36

Innerhalb der Erzählung läßt sich eine stetige Spannungssteigerung ausmachen, die in der finalen Musikdarbietung des Fremden eine rasante Zuspitzung erfährt. So wird die Frage nach der Identität des Fremden, während er dem fiktiven Ich die Ouvertüre derArmidain seinem Sinne zu Gehör bringt, fast unerträglich.37 Vorbereitet wird dies durch die beiden anderen Musikpassagen (Teil (2) und (4)), aber auch durch des Fremden seltsame Einstellung zu den Berlinern, sein häufiges Verschwinden und nicht zuletzt durch seinen ausführlichen Bericht über das Reich der Träume, auf den noch einmal kurz Bezug genommen wird.38

5.3 ,,Als ich im Reich der Träume war..."

- Interpretation des Ich-Berichts des Unbekannten

In dem hier analysierten Abschnitt spricht der Fremde über sein Erleben des ,,Reich der Träume". Der erste Teil des Berichts (Z. 1 - 7) handelt davon, daß das Ich am Anfang seines Aufenthaltes von Ungeheuern und Schmerzen geplagt wird, bis es durch Lichtstrahlen, die ihm als Töne erscheinen, erwacht. Im zweiten Teil (Z. 7 - 14), am Tag, erblickt es ein Auge, das Töne aus einer Orgel hervorgehen läßt, in denen es sich verlieren möchte. In der folgenden Nacht (Teil 3; Z.14 - 20) treten ihm Grundton und Quint bedrohlich entgegen, das Ich wird aber vom Auge beruhigt, indem dieses ihm verspricht, daß die Terz sich hinzugesellen wird. Der vierte Teil (Z. 23 - 33) des Traumes ist durch eine Zwischenfrage des Unbekannten deutlich abgehoben; hier erblickt das Ich das Auge im Kelch einer Sonnenblume wieder und nimmt schließlich dessen Platz ein.

Hoffmann bedient sich bei der Beschreibung des Traumreiches durchaus traditioneller Motive. So findet sich in den ersten drei Teilen der Gegensatz von Tag und Nacht, wobei die Nacht hier Heimat des ,,Ungeheuers" mit der ,,grinsenden Larve" und der ,,Schmerzen und Ängste" ist, während der Tag Erwachen ,,von Schmerzen" bedeutet und seine Lichtstrahlen von ,,lieblicher Klarheit" sind.39

Ein weiteres traditionelles Motiv ist das Auge, das in der ganzen Passage eine wichtige Rolle spielt.40 Das Auge tritt hier in dreifacher Form als Retter und Tröster auf. Zum einen läßt es Töne entstehen, die das Ich in seiner Nacht ,,mit lieblicher Klarheit umfangen" und es so von den vorher erlittenen Qualen erlösen und aufwachen lassen.41 Dann rettet das Auge das Ich vor dem Untergang im Strom der Töne. Bemerkenswert ist hier, daß das Ich untergehen möchte; über die dem eigentlich entgegenstehende Rettung wird kein positives oder negatives Urteil abgegeben.42 Darüber hinaus tröstet das Auge das Ich, als es von den ,,Kolossen"

Grundton und Quint empor gerissen wird mit dem Versprechen vom besänftigenden Jüngling.43 Im vierten Teil des Traumes findet das Ich das Auge bezeichnenderweise in einer Sonnenblume wieder.44 Die Sonnenblume als solche ist hier nicht ausschließlich im botanischen Sinne zu sehen, sondern auch wörtlich als ,,Sonnen-Blume" als Licht- und Lebensspender. Dieser Schluß liegt nahe, da das Auge schon im ersten Teil als eine Art allmächtiges Wesen auftritt und sich deshalb die jeweiligen Eigenschaften durchaus als übertragbar erweisen. Was hier jedoch störend wirkt, ist die Tatsache, daß das Auge im vierten Teil auf das Ich zu warten scheint, wodurch es wieder in die Ebene des Menschlichen zurückgeworfen wird. Dies soll hier allerdings vernachlässigt werden. Die Sonnenblume blüht erst auf, als das Ich ihm gegenübertritt und umfängt es schließlich, bis es dann den Platz des Auges einnimmt. Es sieht hier so aus, als ob die Zeit des Auges abgelaufen ist und als ob das Ich jetzt die Funktion des Auges übernimmt. Nun ist es an der Reihe des Ichs, Töne zu verströmen, wie dem vierten Teil zu entnehmen ist.45 Am Ende des Berichts vom Reich der Träume wird das Ich also zum allmächtigen Wesen, es hat das Reich der Träume für sich erobert, ist Herr dessen.

Die Musik ist das, was in Verbindung mit der Existenz des Auges Hauptbestandteil des Traumreiches ist. Ihr Dasein wird meist positiv bewertet; sie wird als herrlich, schimmernd und süß beschrieben.46 Die Rettung des Ichs durch das Auge geschieht in Teil 1 allein durch die als Lichtstrahlen auftretenden Töne. In Teil 2 verliert sich das Ich in den ,,Akkorden" und ,,Melodien", möchte sich dem ganz hingeben, doch dies wird ihm verwehrt.47 Versteht man das Untergehen ,,in diesem Strom" wörtlich, so bedeutet dies den Tod, vor dem das Auge das Ich bewahrt.48 Dieser Tod in der Musik bedeutet das endgültige Sich-Verlieren in der Fülle der Töne, also den Verlust der Objektivität, der eigenen Meinung und Schaffenskraft, da das Ich in einem ganzen Strom voller Musik nicht mehr auswählen kann.

In Teil 3 treten dem Ich Grundton und Quint in Personifikation entgegen. Sie treten hier als ,,Kolosse" auf, während der vom Auge versprochene ,,Jüngling, Terz", als ,,sanft" und ,,weich" beschrieben wird.49 Dies ist musikalisch leicht zu entschlüsseln, da die Quinte als Intervall geschlechtslos und dadurch immer von hartem, aufdringlichem Klang ist. Erst wenn sie durch die Terz zu einem Dreiklang vervollständigt wird, entsteht ein reiner Dur- oder Moll-Akkord, der angenehm und schön klingt. Die Musik erscheint in diesem Abschnitt in drei Formen. Sie wird sichtbar in den ,,Lichtstrahlen" und dem ,,Strom", wird personifiziert in den ,,zwei Kolossen" ,,Grundton und Quinte" und in dem ,,Jüngling, Terz", und schließlich wieder hörbar im Gesang der Blumen.50 Die drei Formen treten nicht nur klar getrennt auf, sondern wie im vierten Abschnitt auch nebeneinander.

Was ist nun eigentlich das Reich der Träume? Berichtet der Fremde wirklich von einem Traum als solchem oder doch eher von einem Traum im Sinne einer Wunschvorstellung? Stellt der Inhalt eine zweite Wirklichkeit dar oder ist es bloß eine Vision? Im Abschnitt vor der hier analysierten Passage gibt der Unbekannte selbst eine Art Definition. Demnach ist das Reich der Träume von tollen Gestalten bevölkert, die aber ,,Charakter" besitzen und zu den wenigen gehören, die auf dem Weg zum Komponieren das ,,elfenbeinerne Tor" durchschreiten durften.51 Textimmanent gedeutet scheint das Reich der Träume also tatsächlich eine Art Nebenwelt darzustellen, die jeder erfolgreiche Komponist einmal durchschritten haben muß und in dem er seine Inspiration erfährt. Dieses Motiv einer Nebenwelt ist bei Hoffmann durchaus üblich.52

Die analysierte Passage steht gemeinsam mit der vorangestellten unter dem Oberbegriff Komponieren.53 Wendet man dies nun auf den hier analysierten Teil an, so wird klar, daß das Auge eine Art Ideal verkörpert; während das Ich im Umgang mit der Musik noch eher unbeholfen agiert. Es weiß nicht so recht, wie es den Kolossen Quint und Grundton entgegentreten soll und möchte sich einfach vom Strom der Musik mitreißen lassen.54 Das Auge dagegen ist fähig, allein durch seinen Blick schimmernde und sich umschlingende Musik aus einer Orgel hervorgehen zu lassen.55 Dies ist das, was der Komponist für sich anstrebt, nämlich, mit Leichtigkeit und Freude Musik entstehen zu lassen. Diese Musik soll von ,,Schmerzen und Ängsten" erlösen, wie es die als Lichtstrahlen erscheinenden Töne im ersten Teil zu tun vermögen, und schließlich bis zur völligen Hingabe mitreißend sein, der ,,Strom" der ,,Melodien" und Akkorde ist dies im wahrsten Sinne des Wortes.56 Hoffmann stellt hier das romantische Musikideal dar (vergl. Kap. 4.1/4.2). Im zweiten Teil des Traumes hat das Ich inzwischen eine gewisse Reife erlangt, so daß es an die Stelle des Auges treten und jetzt seinerseits das Ideal verkörpern kann.57 Die Musik wird im Bericht vom Reich der Träume fast nur bildlich erwähnt (s.o.), sie erscheint also in einem Medium, das ihr eigentlich fremd ist. Durch die so überaus anschauliche Sprache wird allerdings sehr viel deutlicher, was für einen Stellenwert die Musik im Reich der Träume einnimmt. Hoffmann läßt sich hier auf Wortspielereien und Doppeldeutigkeiten ein, was das Beispiel der auf- und abströmenden Melodien, die zu einem Strom mit brausenden Wellen werden, klar zeigt.58 Im Hinblick auf die Bildlichkeit der Musikdarstellung im Reich der Träume erscheint auch die Verkörperung des Ideals durch ein Auge logisch. Es ist eine Fortführung der Verlagerung der Musik in den Bereich des Bildlichen. Die Reduzierung auf ein Sinnesorgan bedeutet die Reduzierung auf einen Sinn, hier das Sehen. Dies setzt vollkommene Konzentration auf die durch das Sehen vermittelten Eindrücke voraus; Ablenkung ist nicht möglich und das Ideal ist wirklich ideal.

5.4 Der Ich-Bericht in der Analyse von Spiegelberg

Beim Lesen der Analyse von Spiegelberg stellte sich heraus, daß sich unser Verständnis des Ich-Berichts des Unbekannten in mehreren Aspekten sehr von einander unterscheidet; an anderen Stellen gab es aber auch manchmal überraschende Übereinstimmungen. In diesem Kapitel greife ich lediglich vier mir aufgefallene Aspekte heraus, die ich kommentiere und die meine Analyse ergänzen sollen. Eine weitgreifendere Besprechung der Analyse Spiegelbergs würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.

Spiegelberg stellt eine Kohärenz zwischen den zentralen Begriffen ,,Auge", ,,Sonne" und

,,Dreiklang" fest; er geht hier sogar soweit, die Begriffe gleichzusetzen. Er begründet seine These damit, daß zum einen das Auge im Abschnitt vom Reich der Träume Lichtbringer ist und so als Sonne zu verstehen ist. Zum anderen verspräche es dem Ich, daß der ,,Jüngling Terz" wiederkäme, und das Auge für das Ich damit wieder sichtbar würde.59 Spiegelberg setzt hier voraus, daß das Auge nicht mit dem Jüngling, sondern als Verkörperung des durch den Jüngling Terz vervollständigten Dreiklangs zurückkäme.60

Daß Spiegelberg das Auge mit der Sonne gleichsetzt, leuchtet ein. Seine Begründung, daß das Auge die Funktion der Sonne als Lichtspender annimmt und, wie an anderer Stelle beschrieben, ähnlich wie normalerweise die Sonne am Himmel zu stehen scheint, erscheint plausibel.61 Daß Spiegelberg die Sonnenblume des vierten Teils nicht als Äquivalent der Sonne auf Erden deutet, tut dem keinen Abbruch.62 Etwas gewagter erscheint da der Vergleich des Auges mit dem Dreiklang. Es heißt zwar: ,,du wirst seine [des Jünglings] süße Stimme hören, mich wieder sehen und meine Melodien werden dein sein", doch bedeutet dies nicht zwingend ein Einssein von Dreiklang und Auge, welches vorher nur als Initiator der als Lichtstrahlen auftretenden Töne erscheint, nicht als ihre Personifikation. 63

Weiterhin stellt Spiegelberg die These auf, daß die Terz, die sich laut Verheißung des Auges zu den Kolossen Grundton und Quint gesellen wird, als Moll-Terz zu deuten sei, da ein Moll- Dreiklang sehr viel ,,sanfter" und ,,weicher" sei als der klare Dur-Dreiklang.64 Diese These, von Spiegelberg nur recht kurz angerissen, ist durchaus beachtenswert. Sie erscheint mir allerdings nicht ganz sicher, da ein Dur-Dreiklang - abhängig vom musikalischen Zusammenhang - auch durchaus ,,sanft" und ,,weich" klingen kann und die Terz, egal, ob groß oder klein, als Gegensatz zu der leeren Quinte auf alle Fälle ,,sanft" und ,,weich" ist.

Spiegelberg scheint dieses Problem ebenfalls erkannt zu haben, formuliert deshalb seine These vorsichtig und greift sie auch nur mit nachgestelltem Fragezeichen wieder auf.

Das Eintauchenwollen in den Strom der Töne bezeichnet bei Spiegelberg die Abkehr vom Auge; daß das Auge das Ich daraufhin emporhält, bezeichne die Furcht des Auges davor, daß das Ich ihm untreu werde.65 Diese These ist so nicht haltbar. Indem Spiegelberg dem Auge Furcht vor Untreue unterstellt, vermenschlicht er es, was im Text sonst an keiner Stelle zu finden oder zu belegen ist. Darüber hinaus bedeutet der Untergang in den ,,brausenden Wellen" für das Ich den Tod und somit keine Alternative zu den Tönen des Ichs. Und letztlich ist der Strom, in dem das Ich versinken möchte, ein Produkt des Auges, Versinken darin kann also nicht Untreue sein.

Im Bericht vom Reich der Träume erkennt Spiegelberg eine stetige Steigerung von Licht. Die zweite Nachtphase (Teil 3) erklärt er in diesem Zusammenhang damit, daß die Dunkelheit der angeblichen Nacht daher rührt, daß Ich und Auge kurz zuvor (Teil 2) zum ersten Mal direkten Blickkontakt haben. Das Ich werde durch die überwältigende Helligkeit des Auges so geblendet, daß alles rundherum dunkel - wie Nacht - erscheine.66 Spiegelberg stellt hier eine beachtenswerte These auf, die durchaus einleuchten kann. Der Prozeß einer Steigerung findet sich schon in den nach und nach immer intensiveren Begegnungen mit dem Auge, das das Ich erst mit Tönen umfängt und dann vor dem Untergehen bewahrt, es vor den Kolossen tröstet und schließlich durch ,,unsichtbare Bande" zu sich zieht.67 Im Hinblick dessen erscheint auch eine Steigerung von Licht logisch und dem Zusammenhang angepaßt, da das Licht in dem Bericht vom Reich der Träume generell eine wichtige Rolle spielt; schon die ersten Töne, die das Ich im Reich der Träume hört und positiv wahrnimmt, treten als ,,Lichtstrahlen" auf.68 Diese These Spiegelbergs ist gut am Text zu belegen und im Zusammenhang logisch nachvollziehbar.

5.5 Die Identität des Ritter Gluck und die phantastischen Elemente der Erzählung

Die Frage, die die Fachliteratur beimRitter Gluckam meisten beschäftigt, ist die, die der Ich- Erzähler dem geheimnisvollen Fremden am Ende der Erzählung stellt: ,,Was ist das? Wer sind Sie?".69 Die darauf folgende Antwort ,,Ich bin der Ritter Gluck!" ist vielfältig auslegbar, der historische Gluck ist zu der Zeit, in der die Erzählung spielt, schließlich seit gut zwanzig Jahren tot.

Dem Leser gegenüber wird der Unbekannte vom Erzähler wiederholt als ,,Sonderling" bezeichnet;70 über sein Alter wird sich der Leser im Laufe der Lektüre immer unsicherer.71

Eine ausführliche äußere Beschreibung gibt der Erzähler zu Anfang; hier stellt sich der Unbekannte als älterer Mann mit etwas wildem Aussehen, das ihn schon auf den ersten Blick irgendwie gegensätzlich wirken läßt, dar.72 Ausgehend von diesen Beschreibungen des Unbekannten werde ich im folgenden verschiedene Positionen zur Identität des Ritter Gluck darstellen.

Die einfachste und unkomplizierteste Deutung des Titelhelden ist gewiß die, die ihn für einen Wahnsinnigen ausgibt, der sich für denRitter Gluckhält.73 Diese Deutung wird textlich nur schwach durch die wiederholte Bezeichnung des Unbekannten als ,,Sonderling" (s.o.) gestützt. In weiteren Deutungen wird der Gluck der Erzählung als Objekt der Einbildung des fiktiven Ichs gesehen, das sich zu Beginn der Dichtung ,,dem leichten Spiel meiner Fantasie [...]" überläßt, ,,die mir befreundete Gestalten zuführt [...]". Gluck wäre dann Teil der phantastischen Gesellschaft.74 Eine mir vorliegende Deutung kommt, darauf aufbauend, zu dem Schluß, daß die Erzählung vomRitter Gluckim weitesten Sinne an das Jugendbildnis Hoffmanns von derErscheinung der Fantasie anschließt.75

Manche Deutungen sehen Gluck als Teil der bei Hoffmann häufiger zu findenden Doppelexistenzen, die also ihr Leben im fiktiven Jetzt haben und darüber hinaus noch Teil einer anderen, einer Märchenwelt sind.76 Dies würde den Bericht vom Reich der Träume erklären, das so, wie es beschrieben wird, nicht zu unserer Welt gehören kann.

Eine vieldiskutierte Theorie ist die des zurückgekehrten Gluck, der als Revenant wieder unter den Lebenden wandelt. Sie wird damit begründet, daß nur Gluck selber fähig wäre, ,,die Glucksche Szene gleichsam in höherer Potenz" darzubieten.77 Eine andere Textstelle wird ebenfalls gern zur Untermauerung dieser Theorie herangezogen, als der Fremde nämlich behauptet, er wäre ,,verdammt, zu wandeln unter den Unheiligen"(s.o.). Er müßte also von seiner Verbannung erlöst werden, um dahin zurückkehren zu dürfen, wo er hergekommen ist. Dies geschieht im Text möglicherweise durch die finale, fast ekstatische Darbietung der Armida.78 Ein stärkerer Beleg für diese Deutung wäre der Tempuswechsel zu Beginn der Erzählung (vgl. Kap. 5.3), der auf eine grundlegende Änderung der Verhältnisse schließen läßt. In den mir vorliegenden Deutungen wird dieser Aspekt allerdings leider nicht erwähnt.

Klar wird bei der Vielfalt von belegbaren Deutungen, daß Hoffmann seine Erzählung bestimmt nicht ohne Absicht so vielschichtig angelegt hat. Ich bevorzuge hier allerdings ganz stark die Revenants-Theorie, da sie am differenziertesten begründet werden kann und mir darüber hinaus persönlich einfach am besten gefällt. In meinem ersten Leseeindruck ging ich, ohne darüber nachzudenken ebenfalls davon aus, daß wir in der Erzählung dem echten, zurückgekehrten Gluck begegnen, möglicherweise war ich hier allerdings dadurch beeinflußt, daß mir die Erzählung unter dem Kursthema ,,Phantastik" begegnete.

Phantastische Elemente lassen sich in der Erzählung vomRitter Glucknur abhängig von der Deutung der Titelfigur identifizieren.79 Bis der Leser zum letzten Satz vordringt, erscheint ihm die Titelgestalt zwar etwas wunderlich, er erkennt jedoch keinen Bruch in der fiktiven Ordnung, nichts, was ihn verwirren oder gar erschrecken würde. Der Bericht vom Reich der Träume kann zunächst für eine ausführliche Metapher für die Schwierigkeiten auf dem Weg zum Komponistendasein gehalten werden. Die Dichtung erscheint also in sich logisch.

Auch der Ich-Erzähler sieht in dem Erscheinen des Unbekannten zunächst eine mehr oder weniger zufällige Begegnung; Verwunderung macht sich bei ihm erst später bemerkbar, als er nämlich die altmodische Wohnung des Unbekannten betritt und erkennt, daß die Seiten von dessen Opernpartituren leer sind. Er nimmt auch dies noch recht gleichgültig hin und blättert dem Fremden bei dessen finaler Armidadarbietung trotzdem die Seiten um, indem er eben ,,seine Blicke verfolgte".80 Erst diese Darbietung der Armida läßt ihn dann doch außer sich geraten und ,,mit gepreßter Stimme" ausrufen: ,,Was ist das? wer sind Sie?".81 Hier ist er also wirklich verwundert, verwirrt, ja sogar entsetzt, allerdings im positiven Sinne. Nach Zgorzelski kann man die Erzählung vomRitter Gluckalso durchaus phantastisch nennen; die Anwendung von Jaquemins Phantastikdefinition ist da problematischer. Es findet sich kein plötzlich auftretender Riß in der empirischen Welt, außerdem jagt uns die Erzählung vomRitter Gluckkeineswegs Schauer über den Rücken. Von einer durch eine neue Unordnung zur Ordnung berichtigte Unordnung kann erst recht keine Rede sein. 82

5.6 Bezug zum Thema und Intention der Erzählung

Die gesamte ErzählungRitter Gluckbasiert auf dem einen Hauptthema, der Musik. Es wird über ihre Entstehung, das Komponieren gesprochen, sie wird dargeboten und schließlich wird ihre Ausübung durch Dritte besprochen und kritisiert. Somit werden alle drei Formen, in denen man ihr begegnen kann, vorgestellt. Konkret sind dann die drei Hauptelemente der bereits analysierte Ich-Bericht des Unbekannten, seine Darbietungen von Werken Glucks und seine recht massive Kritik am Berliner Musikleben.

Der Begriff vom Künstler findet sich in der Erzählung vomRitter Gluckin zwei Funktionen. Zum einen sind es die Berliner Künstler, gegen die die Titelfigur eine gewaltige Abneigung verspürt. Der Unbekannte bezeichnet ihre Arbeit als ,,lappländisch", er kritisiert sehr scharf die Aufführungen von Mozarts ,,Don Juan" und von Glucks Iphigenienopern und schließlich wird der Leser Zeuge seines vernichtenden Selbstgespräches, in dem er die Armida- Aufführung kommentiert, die er sich gerade ansieht.83 Der Ich-Erzähler versucht die Kritik zwar zu mildern, erreicht dies aber in keiner Weise. Die Berliner Musikszene wird in Hoffmanns Erzählung also absolut negativ beurteilt, ja sogar verurteilt.

Zum anderen begegnen wir in der Dichtung dem Künstler Gluck - wir nehmen einmal an, es handelt sich bei dem Unbekannten wirklich um den zurückgekehrten Gluck -, der im Berlin der Erzählung recht isoliert dasteht. Er selber behauptet, es wäre ,,öde [...] um mich her" und bezeichnet sich als Verdammten, der ,,Unheiligen das Heilige" verraten hätte.84 Bemerkenswert ist hier, daß der zurückgekehrte Gluck in Berlin als Unbekannter, als Fremder und Namenloser dasteht. Der Künstler Gluck wird also verkannt, nicht nur als Mensch sondern auch als Komponist, denn schon zwanzig Jahre nach seinem Tode werden seine Werke nur noch so stümperhaft dargeboten, daß er keinen Gefallen mehr daran findet.

Diese zwei Arten von Künstlerexistenz imRitter Gluckdifferieren sehr stark, denn zum einen verurteilt Gluck vehement die Kunstauffassung der Berliner Künstler und zum anderen akzeptieren diese den zurückgekehrten Gluck nicht als Künstler. Der Leser ergreift hier auf alle Fälle Partei für den Künstler Gluck und nicht für die nur allgemein angesprochenen Berliner Künstler, da die Erzählung aus der Sichtweise eines Bewunderers von Gluck geschrieben ist. Der Ich-Erzähler steht zwar der Berliner Musikszene nicht ganz so ablehnend gegenüber und gibt dies durch zweifelnde Einwürfe zu verstehen (vgl. Kap. 5.2), diese verblassen allerdings angesichts der Argumente Glucks.85 Durch seine überaus beeindruckende Armidadarbietung gegen Ende der Erzählung überzeugt Gluck den Leser und sein Gegenüber, den Ich-Erzähler, endgültig von seiner Kunst, die um so vieles besser ist als die der Berliner.

Was für einen hohen Stellenwert die Kunst in der Erzählung einnimmt, offenbart sich am deutlichsten im bereits analysierten Ich-Bericht des Unbekannten. Hier wird der Vorgang des Komponierens so hoch geschätzt, daß die Musik sich nicht mehr durch eine bloße Beschreibung ausdrücken läßt, sondern der Gebrauch einer Bildsprache notwendig wird. Des Fremden musikalische Darbietungen, die alle auf den Werken Glucks basieren, versetzen den Ich-Erzähler als Gegenüber zuerst in bewunderndes Erstaunen und lassen ihn schließlich sogar außer sich geraten.86 Auch hier zeigt sich also die Schwerpunktsetzung auf die überwältigende Wirkung wirklich ,,kunstvoll" dargebotener Musik.

Die bei Hoffmann häufiger zu findende Verbindung der drei großen Künste - Musik, bildende Kunst und Literatur - zeigt sich in der vorliegenden Erzählung nur in Ansätzen.87 Die bildende Kunst kommt einzig im Ich-Bericht des Unbekannten durch die bildliche Sprache zum Tragen. Hier kann man also von der Gesamtheit der drei Künste - Musik als Thema, Bildnerisches als Darstellungshilfe und Literatur als Darstellungsform - sprechen, es ist aber im Hinblick auf die gesamte Erzählung die einzige Textstelle, an der diese Verbindung zu erkennen ist. Der Schwerpunkt der dargestellten Kunst liegt also auf der Musik.

Die Erzählung zeigt, daß Hoffmann ein großer Bewunderer von Glucks Kunst ist; daß er mit der gegenwärtigen Berliner Musikpraxis bezüglich Gluck und Mozart absolut nicht einverstanden ist, zeigt sie ebenso deutlich. Was Hoffmann mit der Erzählung intendiert, ist zum einen die Darlegung seiner Position zu den Reformopern Glucks, die durchaus nicht unbestritten waren, und zum anderen eine Art Abrechnung mit der Berliner Kunstszene, die er hier so verbohrt darstellt, daß sie noch nicht einmal einen großen zurückgekehrten Meister erkennt. Hoffmann stellt darüber hinaus mit seiner Erzählung die These auf, daß Gluck mit den gegenwärtigen Aufführungen seiner Opern in keinster Weise einverstanden gewesen wäre und schließlich läßt sich die massive Musikkritik der Erzählung auch auf Hoffmanns eigene Berliner Zeit zurückführen, in der er bitterarm ist, da sich kaum einer für seine Zeichnungen und für seine Musik interessiert, in der er sich aber nichts desto trotz für seine Berufung als Künstler entscheidet und eine weitere juristische Laufbahn aufgibt. In dieser Zeit fühlt sich Hoffmann einfach verkannt, ebenso wie der Gluck der Erzählung im fiktiven Berlin verkannt wird.88

5.7 Der Ritter Gluck - eine Novelle?

Laut Definition ist die Novelle eine ,,kürzere Prosa-, aber auch Verserzählung, die ein ungewöhnliches, aber mögliches Ereignis in kunstvollem Aufbau und prägnanter, objektiver Darstellung wiedergibt."89 In der wörtlichen Übersetzung bedeutet Novelle einfach ,,das Neue".

Den Ursprung für die Gattungsart Novelle bildet Bocchacchios Novellenzyklus ,,Decamerone" (entstanden zwischen 1349 und 1353), der u.a. die berühmte ,,Falkennovelle" enthält. Herausragend in der Entwicklung der Novelle sind auch Cervantes' 1613 veröffentlichte ,,Novelas ejemplares" (beispielhafte Novellen). Auch Goethe gilt als Vorbild der Novellendichtung; er definiert die Novelle als ,,eine sich ereignete unerhörte Begebenheit."90

Auch wenn die typische Novelle als solche nicht existiert, lassen sich im Vergleich verschiedener Novellen gewisse Typologien finden, die zwar nicht verbindlich sind, aber doch einen groben Überblick zulassen. So findet man in vielen Novellen einen drastischen Wendepunkt, der oft sogar als pointiert bezeichnet werden kann, außerdem wird in der Novelle häufig ein Symbol, das im Laufe der Handlung immer wieder zu finden ist, benutzt. Darüber hinaus legt die Novelle den Schwerpunkt auf eine Begebenheit, nicht auf eine Person und thematisch läßt sich in mehreren Novellen ein Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft ausmachen. Im folgenden werde ich auf diese Typologien kurz eingehen und denRitter Gluckdahingehend prüfen.

Anhand von Glucks Abgeschiedenheit vom Berliner Musikleben und seiner Verdammung erschließt sich dem Leser der Konflikt zwischen dem Individuum Gluck und der Gesellschaft, den Berliner Künstlern. Durch diesen Konflikt wird direkte Gesellschaftskritik ausgeübt.91

Auch Goethes Definition von der Novelle als ,,eine sich ereignete unerhörte Begebenheit" (s.o.) läßt sich deutlich imRitter Gluckwiederfinden. Eine Begebenheit ist immer etwas unpersonales, ein Ereignis, etwas einmaliges. Die Novelle beschäftigt sich also nicht mit einem Menschen und seinen Problemen, sondern hier liegt die Sache, die Begebenheit im Vordergrund. Diese Begebenheit ist imRitter Gluckdie Musik, um die sich die Erzählung dreht. Hauptmotiv sind nicht die beiden handelnden Personen, sondern die Musik, ihre Ausführung und ihre Wirkung.

Unter Symbol wird hier ,,ein Requisit oder bestimmtes Motiv" verstanden, ,,das an Gelenkstellen der Handlung immer wieder aufgenommen wird und in dem sich der zentrale Konflikt spiegelt".92 Das Symbol dient dazu, auf Schwerpunkte der Handlung hinzuweisen und Bezüge herzustellen. Dieses Symbol wird imRitter Gluckdurch die fehlende Musikalität im Umfeld der beiden handelnden Personen verkörpert. Die Musik bietet Gesprächsanstoß und schließlich ist sie es auch, die die beiden näher verbindet, indem nämlich Gluck der schlechten Berliner Musikpraxis jeweils seine eigene gegenüberstellt.93

Tieck verlangt für die Novelle einen ,,sonderbaren, auffallenden Wendepunkt", ,,von welchem aus sie sich unerwartet völlig umkehrt".94 Dieser Wendepunkt bezeichnet also die zentrale Textstelle, die sich auf die nachfolgende Handlung so deutlich auswirkt, daß diese auf das - von Goethe formulierte - unerhörte Ereignis zusteuern kann. ImRitter Gluckläßt sich so ein Wendepunkt nicht klar ausmachen. Am ,,sonderbarsten" und ,,auffallendsten" ist hier wahrscheinlich der in Kap. 5.3 interpretierte Bericht vom Reich der Träume; da diesem aber keine vollkommene Umkehrung der Handlung folgt, ist er kein Wendepunkt in Tiecks Sinne. Der Spannungsbogen der Erzählung steigt von Anfang bis Ende an (vgl. Kap. 5.2), wobei sich der Schlußsatz ,,Ich bin der Ritter Gluck" als eine Art Pointe erweist.

DerRitter Gluckwird in vielen Texten, die sich mit der Erzählung befassen, leichtfertig als Novelle bezeichnet. Es stellt sich jedoch heraus, daß dieses nicht ganz unproblematisch ist, denn der Wendepunkt, der hier nicht gegeben ist, wird doch in allen vorliegenden Texten als grundlegendes Merkmal erwähnt. Geht man aber davon aus, daß die Novelle nicht dringend einer festgelegten Form entsprechen muß, so ist es wohl gerechtfertigt, wenn man denRitter Gluckals Novelle bezeichnet. In meiner Arbeit bevorzuge ich trotzdem den neutralen Begriff der ,,Erzählung".

6 Schlußwort

HoffmannsRitter Gluckist eine von den Erzählungen, die ihren wahren Inhalt erst preisgeben, wenn man sich intensiv mit ihnen beschäftigt. Mich hat beim Arbeiten mit demRitter Gluckerstaunt, wieviel Inhalt in diesen zwanzig Seiten steckt, die mich beim ersten Lesen nicht unbedingt begeistert haben. Es hat letztendlich Spaß gemacht, die Erzählung zu erforschen, zu analysieren und ihrem eigentlichen Inhalt näher zu kommen. Ich hoffe, daß sich das in meiner Arbeit niedergeschlagen hat.

Nach den sechs Wochen intensiver Arbeit mit einer Erzählung, die mir mit jedem neuen Aspekt gleich drei weitere neue Aspekte eröffnet hat, muß ich feststellen, daß sie in einer Facharbeit von gut zwanzig Seiten nicht umfassend behandelt werden kann. Das gestellte Thema - Kunst und Künstlerexistenz - berührt die gesamte Erzählung und schränkt die Analyse keineswegs ein, was für den vorgegebenen Seitenumfang und auch für die mit sechs Wochen nicht allzulange Arbeitsphase vielleicht sinnvoll gewesen wäre. So bleibt diese Arbeit denn auch mehr eine Sammlung und Erläuterung von hauptsächlich textimmanenten Einzelaspekten, die zwar die gesamte Erzählung vomRitter Gluckbetreffen, sie aber nicht erschöpfend deuten können.

Interessant wäre es, die oft dahingestellte These, derRitter Gluckbeinhalte bereits fast alle Aspekte von Hoffmanns gesamtem literarischen Werk, zu prüfen oder der Frage nachzugehen, was Hoffmann mit seiner Erzählung wirklich intendiert. Die Intention habe ich in Kapitel 5.6 schon angedeutet, gerade hier bedürfte es allerdings einer sehr viel genaueren Untersuchung. Die Musik Glucks und ihre Verwendung und Interpretation durch die Titelfigur stellt einen weiteren interessanten Untersuchungsaspekt dar.

Die Analyse des Ich-Berichts vom Reich der Träume (Kap. 5.3) beschränkt sich in dieser Arbeit ganz auf die Passage selber. Fortführend käme hier eine Untersuchung des Rückbezugs auf diese Passage am Ende der Erzählung in Frage, denn interessanterweise wird hier das Auge überhaupt nicht mehr erwähnt, sondern einzig die Sonnenblume, die ich in meiner Analyse als Äquivalent der Sonne auf Erden gedeutet habe.95 Auch die Anwendung des Berichts auf die Musikpassagen ergäbe gewiß Ansatzpunkte, die die Deutung der Erzählung vorantreiben könnten.

Im zweiten Kapitel habe ich festgestellt, daß Hoffmann ein großer Satiriker ist. Dies hat sich durch denRitter Glucknicht unbedingt bestätigt. Hoffmanns Ausfälle gegen die Berliner Musiker, die er den Unbekannten äußern läßt, sind zwar sehr kritisch, aber kaum satirisch.

Das Selbstgespräch des Unbekannten zur Armidaaufführung ist die einzige Textstelle mit satirischem Anklang; hier wird direkter Spott auf das Berliner Musikleben ausgeübt. Der Fremde beschreibt recht ironisch das Geschehen auf der Bühne, was seiner Verzweiflung über die unverbesserlichen Berliner Ausdruck verleiht.

Die Erzählung vomRitter Gluckist nicht typisch romantisch (vgl. Kap. 4). Es wird zwar zumindest in den Musikpassagen viel Wert auf den Ausdruck von Gefühlen gelegt, aber die Erzählung ist weder mystisch, noch spielt die Natur eine Rolle, auch eine Aufnahme von Volksgut in die Literatur findet nicht statt. Phantastik im eigentlichen Sinne, durchaus gepflegtes Genre in der Romantik, findet sich, wie schon erwähnt (Kap. 5.5), ebenfalls nicht. Fasst man den Begriff der Phantastik wie Zgorzelski weiter, beinhaltet derRitter Gluckzwar auch phantastische Elemente, diese sind aber weder ,,Riß" noch ,,Skandal", sie entsetzen nicht und sind in keinster Weise angst- oder schreckenerregend, wie es bei phantastischer Literatur, auch bei Hoffmann, oft der Fall ist.96

Im Hinblick darauf ist Hoffmanns Erzählung vomRitter Gluckfür das Kursthema ,,Phantastik" vielleicht nicht unbedingt exemplarisch, es hat sich jedoch herausgestellt, daß gerade das Ansatz zur Diskussion gab (Kap. 5.5). Darüber hinaus sagt mir persönlich die Erzählung unabhängig vom Kursthema durch ihre Schwerpunktlegung auf die Musik besonders zu, da ich mich selber sehr für Musik interessiere.

Anmerkungen

[...]


1) vgl. Zmegaç, a.a.O., S. 169

2) vgl. Lloyd., a.a.O., S. 203 f DerRitter Gluckund seine Bedeutung für Hoffmanns Gesamtwerk Kap. 2

3) vgl. Miller (1978), a.a.O., S. 32 f

4) ebd., S. 38

5) Wittkop-Menardau, a.a.O., S. 15

6) Angesichts der deutschen Auswirkungen der französischen Revolution - revolutionäre Aktionen auf der einen, Pressezensur und übertrieben starkes, oft willkürliches Vorgehen dagegen auf der anderen Seite - gerät Hoffmann in Konflikt mit dem Polizeidirektor von Kamptz, da er sich weigert, die häufig unbegründeten Razzien und Verhaftungen der ,,Immediat-Commission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen", in die er berufen wurde, zu unterstützen. Er reicht daraufhin seine Demission als Mitglied der Untersuchungskommission ein. In seinem nächsten Erzählung, demMeister Floh, karikiert er von Kamptz in der Figur des Knarrpanti. Gegen Hoffmann wird eine Disziplinaruntersuchung eingeleitet, deren Ausgang er jedoch nicht mehr erlebt, da er vorher verstirbt. (vgl. Wittkop- Menardau, a.a.O., S. 153 f)

7) vgl. Miller (1978), a.a.O., S. 40

8) vgl. Salzer/Tunk, a.a.O., S. 346 Paradebeispiel ist dafür derSandmannaus der gleichnamigen Erzählung. Dieser zeigt sich dem dem Studenten Nathanael als zerstörerischer Alptraum, so daß dieser sich aus Angst vor dem ,,die Augen herausreißenden Sandmann" in den Tod stürzt. (vgl. Miller (1978), a.a.O., S. 49) Hintergründe Kap. 3.1

9) vgl. Safranski, a.a.O., S. 199

10) Folgende Werke der späterenFantasiestückewaren bereits vorher veröffentlicht worden:
- Ritter Gluckam 15. Februar 1809 (unterzeichnet: ----nn) in der AMZ
- Johannes Kreislers, des Kapellmeister musikalische Leidenam 26. September 1810 (anonym) in der AMZ
- Gedanken über den hohen Wert der Musikam 29. Juli 1812 (anonym) in der AMZ
- Beethovens Instrumentalmusikam 4. und 11. Juli 1810 bzw. am 3. März 1813 (anonym) in der AMZ
- Don Juanam 31. März 1813 (anonym) in der AMZ
- Höchst zerstreute Gedankenam 6.,7. und 8. Januar 1814 (unterzeichnet: vom Kapell- meister J. Kreisler) in der ,,Zeitung für die elegante Welt"
- Brief des Barons Wallborn an den Kapellmeister KreislerundBrief des Kapellmei- sters Kreisler an den Baron Wallborn1814 in ,,Die Musen" (keine Angabe zur Unter- zeichnung)
- Nachricht von einem gebildeten jungen Mannam 16. März 1814 (unterzeichnet: aus den Papieren des Kapellmeisters, Johannes Kreisler) in der AMZ
- Der Musikfeindam 1. Juni 1814 (anonym) in der AMZ
- Über einen Ausspruch Sacchinis und über den sogenannten Effekt in der Musikam 20. Juli 1814 (anonym) in der AMZ
- Johannes Kreislers Lehrbriefam 21. und 22. Februar 1816 (unterzeichnet: Hff.) in der AMZ Bis auf denRitter Gluckund denDon Juanwurden alle hier aufgeführten Schriften Hoffmanns später derKreislerianaeingegliedert. (vgl. Neumann/Mazza, a.a.O., S. 778)

11) ebd., S. 780 f

12) Hoffmann (1996), a.a.O., S. 12

13) vgl. Neumann/Mazza, a.a.O., S. 780 Bezug zum Kursthema

14) Frenzel, a.a.O., S. 296

15) Biese, a.a.O., S. 318 16) ebd., S. 319

17) vgl. zu Fichtes subjektivem Idealismus Biese, a.a.O., S. 321 f; Frenzel, a.a.O., S. 298

18) Biermann/Schurf, a.a.O., S. 174

19) vgl. Frenzel, a.a.O., S. 300 f

20) vgl. RG. a.a.O., S. 19; vgl. Kap. 5.3 dieser Arbeit

21) vgl. Mahr, a.a.O., S.342

22) ebd., S. 342 f

23) ebd., S. 345

24) ebd., S. 345 f

25) vgl. Jaquemin, a.a.O., S. 35

26) ebd., S. 49

27) vgl. hierzu und zum folgenden Satz Zgorzelski, a.a.O., S. 56

28) ebd., S. 58 ff

29) ebd. Kunst und Künstlerexistenz in HoffmannsRitter Gluck

30) vgl. RG, a.a.O., S. 21

31) vgl. ebd., S. 23: ,,Alles dieses, mein Herr, habe ich geschrieben, als ich aus dem Reich der Träume kam. Aber ich verriet Unheiligen das Heilige, und eine eiskalte Hand faßte in dies glühende Herz. Es brach nicht; da wurde ich verdammt, zu wandeln unter den Unheiligen, wie ein abgeschiedener Geist - gestaltlos, damit mich niemand kenne, bis mich die Sonnenblume wieder emporhebt zu dem Ewigen." Dieser Abschnitt bezieht sich auf den in Kap. 5.3 analysierten Ich-Bericht des Ritter Gluck (S. 19). Das wird durch die Erwähnung der Schlüsselbegriffe ,,Reich der Träume" und ,,Sonnen- blume" deutlich.

32) Des Fremden pianistische Darbietung der Armida in Teil (8) zeigt deutliche Modifizierungen des Originals (,,Auch hier wich er merklich von dem eigentlichen Originale ab: aber seine veränderte Musik war die Glucksche Szene gleichsam in höherer Potenz.", RG, a.a.O., S. 23). In Teil (4) klingt dies in dem gesungenen Priesterchor aus der ,,Iphigenia in Tauris" auch schon an, es bleibt jedoch bei diesem leichten Anklang (,,Mit Verwundern bemerkte ich, daß er gewisse andere Wendungen der Melodie nahm, die durch Kraft und Neuheit frappierten.", ebd., S. 17). In Teil (2) musiziert der Fremde nicht selber, läßt aber durch sein eingehendes Dirigat mehr ahnen als die vom Kaffehausorchester gegebenen Umrisse der Ouvertüre (,,So belebte er das Skelett, welches jene paar Violinen von der Ouvertüre gaben, mit Fleisch und Farben.", ebd., S. 16).

33) vgl. RG, a.a.O., S. 23 f: er ,,sang [...] mit einem Ausdruck, der mein Innerstes durchdrang" (S. 23); ,,Alle meine Fibern zitterten - ich war außer mir" (S. 24); ,,[...] ich [warf] mich ihm in die Arme und rief mit gepresster Stimme" (S. 24)

34) Hoffmann wohnt 1807 bis 1808 in der Berliner Friedrichstraße Nr. 179 in einer Zwei- Zimmer-Wohnung im zweiten Stock. Als der Ich-Erzähler dem sonderbaren Selbstgespräch des Unbekannten, der der Opernaufführung derArmidalauscht, bemerkt, ist er gerade auf dem Weg nach Hause, er eilt ,,nach meiner Wohnung in der Friedrichstraße". (RG, a.a.O., S. 21) Diese Parallelen zwischen Hoffmann selber und dem Ich-Erzähler fallen zwar ins Auge, sind auch wahrscheinlich nicht unbeabsichtigt, aber ob sie wirklich bedeuten, daß Hoffmann sich in dem Erzähler selbst abgebildet hat, sei dahingestellt. Um die These zu überprüfen, bedürfte es einer sehr viel genaueren Untersuchung, die hier jedoch zu weit ginge.

35) RG, a.a.O., S. 15 Der Tempuswechsel erfolgt an folgender Textstelle: ,,Ich sehe auf und werde nun erst gewahr, daß, von mir unbemerkt, an demselben Tische ein Mann Platz genommen hat, der seinen Blick starr auf mich richtet, und von dem mein Auge nicht wieder loskommen kann. Nie sah ich einen Kopf, nie eine Gestalt, die so schnell einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht hätten. Eine sanft gebogene Nase schloß sich an eine breite offene Stirn, [...]." Erst mit dem letzten der zitierten Sätze setzt der Tempuswechsel ein. Der vorangehende Satz steht zwar auch schon im Imperfekt (,,sah"), ist jedoch ein Rückblick, also vorzeitig. Die Vorzeitigkeit bezieht sich hier noch auf das vorangegangene Präsens (bezöge sie sich schon auf den nachfolgenden Imperfekt, müßte es ,,hatte gesehen" heißen). Daß Hoffmann den Übergang zwischen den Zeiten hier über eine weitere Zeitebene, die Vorzeitigkeit, geschehen läßt, ist ein Kunstgriff, der dem Tempuswechsel seine Offensichtlichkeit nimmt. vgl. Kap. 5.5 dieser Arbeit

36) RG, a.a.O., S. 20 Der Ich-Erzähler hält das zu Anfang musizierende Kaffeehausorchester für unerträglich; (,,kakophonisches Getöse", RG, a.a.O., S. 14, ,,Welch rasende Musik!", ebd., S. 15), während der Unbekannte sich dazu zunächst nicht äußern möchte (,,Ich bin gar keiner Meinung", ebd.) und später, nachdem das Orchester Glucks ,,Iphigenia in Aulis" auf seinen Wunsch musiziert hat, erklärt, er wäre ,,mit der Aufführung zufrieden" (ebd., S. 17). Die Beurteilung der professionellen Berliner Musik fällt genau im umgekehrten Sinne aus: Jetzt kritisiert der Unbekannte (,, Aber nicht die Ouvertüre, welche, prestissimo, ohne Sinn und Verstand abgesprudelt wurde, konnte ich überstehen", ebd., S. 20), während der Ich-Erzähler beschwichtigt (,,[...][Glucks Werke] erfreuen sich doch [...] gewiß einer würdigen Darstellung", ebd; ,,Ich gestehe den Mißgriff ein, indessen, man tut doch alles, um Glucks Werke zu heben.", ebd., S. 21).

37) Unerträglich wird die Frage nach der Identität des Fremden für das fiktive Ich, wie schon in Kap. 5.2 zitiert. (vgl. Anm. 33)

38) vgl. Anm. 31 Alle Anmerkungen dieses Kapitels beziehen sich, wenn nicht anders angegeben auf:Rg, a.a.o., S. 19.Die Zeilenangaben sind dem auf S. 33 dieser Arbeit abgedruckten Auszug desRitter Gluckentnommen.

39) ,,die grinsenden Larven der Ungeheuer", Z. 3; ,,Schmerzen und Ängste", Z. 2; ,,Ich erwachte von meinen Schmerzen" Z. 7; ,,umfingen mich mit lieblicher Klarheit" Z. 6 f Damit, daß Hoffmann die Nacht im ersten Teil des Traumes negativ besetzt, reiht er sich in die Tradition der ,,gothic novel" ein, einem Erzählstil, der in erster Linie Furcht erzeugen will. Dies geschieht in der ,,gothic novel" meist in der Nacht und mithilfe von Motiven wie Schatten, Geister, Tote, Untote (oft ohne Augen), Ungeheuer und Masken an Schauplätzen wie Friedhöfen, Klöstern, Gruften etc. Häufig findet sich auch das Motiv der Zeitlosigkeit als Symbol für die fehlende Ordnung.

40) Es ist eigentlich das Motiv des fehlenden Auges, das traditionell bedingt ist. Eine Figur ohne Augen ist immer eine Figur ohne Leben; für sich stehend könnte das Auge also das Leben verkörpern. Wie sich im Verlauf der Interpretation noch herausstellen wird, kommt das Auge hier jedoch zu einer ganz eigenen Funktion.

41) ,,mit lieblicher Klarheit" vgl. Z. 7 Daß das Ich durch das Licht aufgeweckt wird, wird nicht eindeutig gesagt. Es heißt allerdings: ,,die Lichtstrahlen waren Töne, welche mich umfingen mit lieblicher Klarheit." (Z. 6 f); das Ich spricht hier nicht mehr von den vorher erwähnten Schmerzen, sondern berichtet stattdessen von einem Erwachen von Schmerzen (,,ich erwachte von meinen Schmerzen", Z. 7 f), kurz nachdem das Licht erschienen ist, das das Ende der Nacht anzeigt. Daß die Lichtstrahlen des ersten Teils vom Auge geschickt werden, steht ebenfalls nicht genau im Text; die einzige, aber durchaus logische Verbindung ist, daß die Lichtstrahlen Töne sind, und das Auge wiederum Töne entstehen läßt. Die Aussage sei hier einmal dahingestellt.

42) vgl. Z. 10 - 14

43) vgl. Z. 15 - 20

44) vgl. Z. 28 f

45) vgl. Z. 29 f: ,,Nun zogen die Töne wie Lichtstrahlen aus meinem Haupte zu den Blumen, die begierig sie einsogen".

46) ,,in herrlichen Akkorden", Z. 10; ,,[...] gingen Töne hervor und schimmerten [...]", Z. 9 f; ,,seine süße Stimme", Z. 18

47) ,,Akkorden", Z. 10; ,,Melodien", Z. 11

48) ,,Melodien strömten auf und nieder, und ich schwamm in diesem Strom und wollte untergehen.", Z. 11 f

49) ,, zwei Kolosse", Z. 14 ,,[...]; der sanfte Jüngling, Terz, wird unter die Kolosse treten; [...]", Z. 17 f

50) ,,Lichtstrahlen", Z. 29; ,,Strom", Z. 12; ,,zwei Kolosse", Z. 14; ,,Grundton und Quinte", Z.15 vgl. zum Gesang der Blumen Z. 24 f: ,,Ich saß in einem herrlichen Tal und hörte zu, wie die Blumen miteinander sangen." ,,Jüngling, Terz", Z. 17 f In Teil eins findet sich die Musik nur in Form von sichtbaren Lichtstrahlen, in Teil vier dagegen singen zum einen die Blumen und zum anderen ziehen ,,die Töne wie Lichtstrahlen aus meinem Haupte zu den Blumen" (Z. 29 f)

51) ,,tolle Gestalten", S. 18, Z. 21; ,,Charakter", S.18, Z. 22; Komponieren", S.18, Z. 16; ,,elfenbeinernen Tor", S. 18, Z. 24

52) vgl. z.B.Der goldene Topf

53) Sowohl die hier analysierte Passage, die die persönlichen Erlebnisse des Fremden im Reich der Träume schildert, als auch die vorweggestellte Passage, die allgemein über das Reich der Träume berichtet, stehen unter dem Oberbegriff ,,komponieren"; der Fremde stellt selber vorweg, daß es ,,tausenderlei Arten [gibt], wie man zum Komponieren kommt", und berichtet dann von der ,,breiten Heerstraße", die diese Vielfalt von Wegen zum Komponieren symbolisiert und schließlich ins Reich der Träume führt.

54) Es wird nicht deutlich gesagt, daß das Ich Angst vor den Kolossen hat, die einzige negative Formulierung hier: ,,sie rissen mich empor" (Z. 16), was allerdings nicht gerade sanft klingt. Schließen läßt sich ein Unwohlsein des Ichs gegenüber den Kolossen sonst noch aus dem ,,aber" (Z. 16) und den wohl notwendigerweise beruhigenden Worten des Auges (Z. 16 ff). Das Ich ,,wollte [im Strom] untergehen" (Z. 12), das Auge muß es retten, indem es das Ich emporhält (,,[...] da blickte das Auge mich an und hielt mich empor über den brausenden Wellen.", Z. 13).

55) ein ,,[...] Auge, das blickte in eine Orgel, und wie es blickte, gingen Töne hervor und schimmerten und umschlangen sich in herrlichen Akkorden, wie ich sie nie gedacht hatte." (Z.11 f)

56) ,,Schmerzen und Ängste", Z. 2; ,,Strom", Z. 12; ,,Melodien", Z. 11; ,,in herrlichen Akkorden", Z. 10

57) Dieser Wechsel des Ich in die Rolle des Auges (,, [...] das Auge war verschwunden und ich im Kelche", Z. 32 f) wird vom Auge bereits im dritten Teil des Berichts angekündigt. So soll das Ich das Auge ,,wieder sehen" und dann die Melodien des Auges besitzen (,,meine Melodien werden dein sein", Z. 19 f), wenn ,,der sanfte, weiche Jüngling, Terz, [...] unter die Kolosse [...] [tritt]" (Z. 17 f). (vgl. hierzu Z. 16 - 20)

58) vgl. Z. 12 f: ,,Melodien strömten auf und nieder, und ich schwamm in diesem Strom und wollte untergehen: da blickte das Auge mich an und hielt mich empor über den brausenden Wellen."

59) vgl. RG, a.a.O., S. 19, Z. 18 ff: ,, ,[...]; du wirst seine [des Jünglings] süße Stimme hören, mich wieder sehen, und meine Melodien werden dein sein.'"

60) vgl. Spiegelberg, a.a.O., S.193 - 195

61) vgl. ebd., S. 190

62) vgl. Kap. 5.3 dieser Arbeit

63) ,,du wirst seine [des Jünglings] süße Stimme hören, mich wieder sehen und meine Melodien werden dein sein", RG, a.a.O., S. 19, Z. 18 ff

64) vgl. Spiegelberg, a.a.O., S. 195;

Der ,,Jüngling Terz" (RG, a.a.O., S. 19, Z. 17) wird im Text als ,,sanft" und ,,weich" (ebd.) beschrieben.

65) vgl. ebd., S. 201

66) vgl. ebd., S. 205 ff. Spiegelberg belegt seine These außerdem mit der Steigerung der Begriffe, mit denen die Tätigkeit des Auges beschrieben wird. So ,,blickt" (RG, S. 19, Z. 12) das Auge anfangs das Ich an, das dieses Blicken nach der Gewöhnung an die überwältigende Helligkeit als Lächeln (vgl. RG, S. 19, Z. 16) registriert; im vierten Teil schließlich ,,strahlt" (RG, S. 19, Z. 28) das Auge und es verströmt ,,Gluten" (RG, S. 19, Z. 31).

67) ,,unsichtbare Bande", RG, S.19, Z. 27 vgl. zum Steigerungsaspekt Kap. 5.3, S. 19 und 20 dieser Arbeit (das Auge als Retter)

68) ,,Lichtstrahlen", ebd., Z. 6 Kap. 5.5

69) RG, a.a.O., S. 24

70) ebd., S. 19, 21 Der Erzähler benutzt über das Substantiv ,,Sonderling" hinaus noch mehrere Male das Attribut ,,sonderbar" im Zusammenhang mit dem Fremden. So belegt er damit des Fremden neuartige Wendungen des Priesterchores aus der Iphigenie in Tauris (S. 19), sein kritisches Selbstgespräch zur Armida-Darbietung (S. 21), die Einrichtung seines Zimmers (S. 22) und schließlich sein Lächeln, als er sich als der Ritter Gluck zu erkennen gibt (S. 24). Auffallend ist dabei, daß sowohl eine seiner Interpretationen zu Glucks Werken, wie auch seine Kritik am Berliner Musikleben, wie auch sein persönliches Umfeld (kann in Zusammenhang mit seinem Aussehen gesehen werden) und schließlich auch die Pointe ,,sonderbar" sind, dieses Wort also bei jedem der jeweiligen Handlungsschwerpunkte auszumachen ist.

71) Zu Beginn der Erzählung schätzt das Ich den Unbekannten auf über fünfzig (vgl. RG, a.a.O., S. 15) und bezeichnet ihn im folgenden als ,,der Alte" (ebd.). Im Verlaufe der Handlung verwundert dann, daß dieser aufspringen und ,,mit raschen, jugendlichen Schritten zum Zimmer hinaus" (ebd., S. 19) eilen kann, so schnell läuft, daß der Ich-Erzähler Probleme hat, hinterherzukommen (vgl. ebd., S. 22) und daß seine Stimme ,,die eines Jünglings" zu sein scheint, ein Eindruck, den der Erzähler hier sogar begründet: ,,denn von tiefer Dumpfheit schwoll sie [die Stimme] empor zur durchdringenden Stärke" (ebd., S. 24).

72) vgl. RG, a.a.O., S. 15: ,,[...] die Augen [blitzten] mit beinahe wildem, jugendlichem Feuer (der Mann mochte über funfzig sein) hervor [...]."; ,,Das weich geformte Kinn stand in seltsamem Kontrast mit dem geschlossenen Munde [...]"

73) Diese Deutung fußt in der Umgebung, in der die Erzählung erschienen ist. So behandelt die Dichtung ,,Der Besuch im Irrenhaus" von Rochlitz, die ja Anregung für Hoffmanns Erzählung gewesen sein soll, einen musikalisch äußerst begabten Wahnsinnigen (vgl. Kap 3.1 dieser Arbeit). Diese Erzählung erscheint wie andere Dichtungen, die sich mit dieser Thematik befassen - ,,erzählerisch aufgearbeitete Porträts pittoresker und komischer Sonderlinge" (Safranski, a.a.O., S. 198) - in der AMZ, die auch erstes Publikationsorgan für den Ritter Gluck ist. Deterding erachtet diese Deutung als zu einfach. Sie sei im Hinblick auf sein nachfolgendes dichterisches Werk nicht in Hoffmanns Sinne (vgl. Deterding, a.a.O., S. 146).

74) Die vollständige Textstelle lautet: ,, [...], da setze ich mich hin, dem leichten Spiel meiner Fantasie mich überlassend, die mir befreundete Gestalten zuführt, mit denen ich über Wissenschaft, Kunst [also auch Musik], über alles, was dem Menschen am teuersten sein soll, spreche. Immer bunter und bunter wogt die Masse der Spaziergänger bei mir vorüber, aber nichts stört mich, nichts kann meine fantastische Gesellschaft verscheuchen." (RG, a.a.O., S. 14) Der in Kap 5.2 dieser Arbeit angesprochene Tempuswechsel könnte als Beleg für diese Deutung angesehen werden. Deterding erwähnt die Möglichkeit, daß die Begegnung zwischen dem Erzähler-Ich und Gluck selbst in der Textebene bloß fiktiv ist, hält ihre Klärung jedoch für irrelevant (vgl. Deterding, a.a.O., S. 137).

75) Deterding kommt hier zu dem Ergebnis, daß die Erzählung Ritter Gluck ,,eine grandiose Erscheinung der Phantasie [ist], worin der veritable Ritter Gluck figuriert und sich selbst, seine Werke und die Werk-Werdung schöpferischer Einfälle demonstriert; und über ihn demonstrieren der Erzähler und der Autor die Werkwerdung einer Dichtung." (Deterding, a.a.O., S. 146 f)

76) Beispiele für Doppelexistenzen wären der Archivarius Lindhorst aus Hoffmanns ErzählungDer goldene Topfoder Leuwenhoek aus seinemMeister Floh. (vgl. Dobat, a.a.O., S. 120)

77) ,,[...] aber seine veränderte Musik war die Glucksche Szene gleichsam in höherer Potenz", RG, a.a.O., S. 23 vgl. zu dieser Theorie z.B. Dobat, a.a.O., S. 120

78) In der Fachliteratur wird die Deutung von Gluck als Revenant gerne durch ein Zitat Hoffmanns belegt: ,,Es müßte spaßhaft seyn Anekdoten zu erfinden und ihnen den Anstrich höchster Authentizität durch Citaten u.s.w. zu geben, die durch Zusammenstellung von Personen die Jahrhunderte aus einander lebten oder ganz heterogener Vorfälle gleich sich als gelogen auswiesen. - Denn mehrere würden übertölpelt werden und wenigstens einige Augenblicke an die Wahrheit glauben.-" (vgl. Dobat, a.a.O., S. 121) Sowohl Dobat als auch Safranski geben kurz die Revenants-Theorie wieder. Dobat stützt sich bei seiner Aussage auf das o.g. Zitat; er hält diese jedoch nicht für allgemeingültig und richtig, da sie durch den Text nicht ausreichend belegt wird (ebd.). Safranski hingegen unterstützt die Revenants-Theorie. Er hält Gluck hier für einen ,,Emissär", den zurückgekehrten Musiker, der sich bloß wahren Musikkennern zeigt, so erklärt sich auch die vorangehende Frage, ob der Erzähler Berliner sei (vgl. RG, a.a.O., S. 17; vgl. Safranski, a.a.O., S. 203 ff) Die Theorie, daß Gluck beim Erzähler Erlösung von seiner Verdammung sucht, findet sich bei Deterding und Dobat. Dobat stellt hierzu - wieder zweifelnd - die durchaus berechtigte Frage, wovon Gluck denn erlöst werden müsse (vgl. Dobat, a.a.O., S.133 f). Deterding sieht in der Darbietung der Armida eine Erlösung unabhängig von Glucks Verdammnis, die allein durch die intensive Musikdarbietung Ausdruck findet und belegt wird (vgl. Deterding, a.a.O., S. 145 f). Die Ekstase, in der sich Gluck befindet, drückt sich zum einen durch sein versunkenes Musizieren und sein damit verbundenes Mienenspiel aus (,,Sein Gesicht glühte; bald zogen sich die Augenbraunen zusammen und ein lang verhaltener Zorn wollte gewaltsam losbrechen, bald schwamm das Auge in Tränen tiefer Wehmut." RG, a.a.O., S. 23) und zum anderen durch die Reaktionen seines Gegenübers, des Ich-Erzählers (,,Als er geendet hatte, warf ich mich ihm in die Arme und rief mit gepreßter Stimme: ,,Was ist das? wer sind Sie?", ebd., S 24)

79) Deutet man den vorgeblichen Ritter Gluck als Wahnsinnigen oder als bloße Einbildung, ist die Erzählung in keinem Sinne phantastisch. Im folgenden beziehe ich mich auf die Deutungen des Unbekannten als Doppelexistenz oder als Revenant.

80) ,,Ich wandte die Blätter fleißig um, indem ich seine Blicke verfolgte", RG, a.a.O., S. 23

81) ,,Als er geendet hatte, warf ich mich ihm in die Arme und rief mit gepreßter Stimme: ,,Was ist das? wer sind Sie?", ebd., S. 24

82) vgl. hierzu Kap. 4.2 dieser Arbeit

83) Vgl. RG, a.a.O., S. 20: ,,Sie [die Künstler und Komponisten] kritteln und kritteln - verfeinern alles bis zur feinsten Meßlichkeit; sie wühlen alles durch, um nur einen armseligen Gedanken zu finden; über dem Schwatzen von Kunst, von Kunstsinn, und was weiß ich - können sie nicht zum Schaffen kommen, und wird ihnen einmal so zu Mute, als wenn sie ein paar Gedanken ans Tageslicht befördern müßten: so zeigt die furchtbare Kälte ihre weite Entfernung von der Sonne - es ist lappländische Arbeit." ,,Lappländisch" - aus dem weit im Norden liegenden Lappland kommend - bezeichnet hier, für wie fern von der wirklichen Musik die Arbeit der Berliner Künstler vom Fremden gehalten wird. Damit, daß er ihre Musik für kalt und sonnenfern hält (vgl. ebd.), erklärt er den Ausdruck der ,,lappländischen Arbeit" selber. vgl. zur Kritik der Opern ebd., S. 20 f; vgl zum Selbstgespräch ebd., S. 21

84) vgl. ebd., S. 20: ,,Zu meiner Qual bin ich verdammt, hier, wie ein abgeschiedener Geist, im öden Raume umherzuirren." und S. 23: ,,Aber ich verriet Unheiligen das Heilige, und eine eiskalte Hand faßte in dies glühende Herz! Es brach nicht; da wurde ich verdammt, zu wandeln unter Unheiligen, wie ein abgeschiedener Geist - [...].".

85) Den weitgreifenden Anschuldigungen des Unbekannten setzt der Ich-Erzähler ein ,,Aber" (RG, a.a.O., S. 20), ein ,,indessen" (ebd., S. 21) oder ein ,,wenigstens" (ebd., S. 20) entgegen, allerdings ist er angesichts der Sachlage auch gezwungen, Zugeständnisse zu machen (,,Wenn ich auch eingestehen muß [...]", ebd., S. 20; ,,Ich gestehe den Mißgriff ein.", ebd., S. 21).

86) vgl. ebd., S. 24 : ,,Alle meine Fibern zitterten - ich war außer mir."

87) vgl. zur Verbindung der drei Künste Kap. 3.1 und 3.2 dieser Arbeit

88) vgl. Safranski S. 204 f

89) rororo Lexikon, a.a.O., S. 1533

90) v. Wiese, a.a.O., S. 15 Goethe äußerte dies in einem Gespräch mit Johann Peter Eckermann, einem guten Bekannten, am 29. Januar 1827

91) Den genannten Aspekt des Gesellschaftskonflikts äußert Benno v. Wiese in seinem Aufsatz. (vgl. v. Wiese, a.a.O., S. 20 f)

92) vgl. Freund (1998), a.a.O., S. 34

93) Dies geschieht bei dem ersten Treffen der beiden Hauptpersonen durch die mißlungene Musik des Kaffeehausorchesters (,,Die kreischende Oberstimme der Violine und Flöte, und des Fagotts schnarrenden Grundbaß allein höre ich; sie gehen auf und ab, fest aneinanderhaltend in Oktaven, die das Ohr zerschneiden, und unwillkürlich, wie jemand, den ein brennender Schmerz ergreift, ruf ich aus: ,Welch rasende Musik! die abscheulichen Oktaven!'"), bei dem der Unbekannte zwar noch keine Kritik wagt, aber dennoch - bemerkenswerterweise mit dem vorher so schlechten Kaffeehausorchester - dem seine eigene Musik gegenüberstellt. (vgl. RG, a.a.O., S. 14 ff) Auch, als sich der Fremde und der Ich-Erzähler nach drei Monaten wiedersehen, geschieht dies mithilfe von Musik. Der Fremde sitzt in der Aufführung der Gluck'schen ,,Armida", die er in seinem Selbstgespräch sehr negativ beurteilt, als der Ich-Erzähler vorüberkommt, der sich kurz zuvor entschieden hat, sich die Oper anzuhören. Stattdessen spricht er aber den Unbekannten an, der ihn daraufhin zu sich nach Hause einlädt, wo er ihm seine Interpretation der Armida vorstellt. (ebd., S. 21 ff)

94) Tieck, a.a.O., S. 109 Schlußwort

95) vgl. RG, a,a.O., S. 23: ,,Alles dieses, mein Herr, habe ich geschrieben, als ich aus dem Reich der Träume kam. Aber ich verriet Unheiligen das Heilige, und eine eiskalte Hand faßte in dies glühende Herz1 Es brach nicht; da wurde ich verdammt, zu wandeln unter Unheiligen, wie ein abgeschiedener Geist - gestaltlos, damit mich niemand kenne, bis mich die Sonnenblume wieder emporhebt zu dem Ewigen. [...]"

96) vgl. Kap. 4.3

Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Hoffmann, E.T.A. - Ritter Gluck - Kunst und Künstlerexistenz
Veranstaltung
LK Deutsch - Phantastische Literatur der Romantik
Autor
Jahr
2000
Seiten
40
Katalognummer
V98652
ISBN (eBook)
9783638971034
Dateigröße
550 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hoffmann, Ritter, Gluck, Kunst, Künstlerexistenz, Deutsch, Phantastische, Literatur, Romantik
Arbeit zitieren
Maike Schipper (Autor:in), 2000, Hoffmann, E.T.A. - Ritter Gluck - Kunst und Künstlerexistenz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98652

Kommentare

  • Gast am 7.2.2001

    historisch leider oft schief.

    Viel Mühe, viel Leistung! Bravo!
    Doch aufgepaßt - musikgeschichtlich finden sich leider einige Unkorrektheiten, die man zumindest in einer Uni-Hausarbeit nicht haben sollte:

    - Schubert hat in seinen Liederzyklen keinesfalls das "Volkslied" wieder aufleben lassen - im Gegenteil, er schuf eine völlig neue hochartifizielle Ausdrucksform. Gelegentliche "volksliedhafte" Einfachheit erscheint eher als Zitat

    - Wagner, Mendelssohn und Chopin in einen Topf zu werfen ist ziemlich problematisch.

    - Phantastiktheoretiker wie Todorov, Solms... ... würden Deiner These, der Ritter Gluck sein nicht "richtig phantastisch" lautstark widersprechen.

    dennoch - Hut ab.

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Titel: Hoffmann, E.T.A. - Ritter Gluck - Kunst und Künstlerexistenz



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