Gottesferne in Widernatürlichkeit und Widermenschlickeit. Außer Gott sein als Zeichen der Gattungsverfehlung


Seminararbeit, 2000

17 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. VORWORT

2. TEILHABE DES MENSCHEN AN ENDLICHKEIT UND UNENDLICHKEIT

3. ARTEN DER RELIGIÖSEN DARSTELLUNG
3.1. „UNVERFÄLSCHTE“ RELIGION
3.2. RELIGION ALS THEOLOGIE

4. DER EINFLUß DER THEOLOGIE
4.1. ALLGEMEINE FOLGEN AUS DEM EINFLUß DER THEOLOGIE
4.1.1. Außernat ürlichkeit und Außermenschlichkeit werden zu Widernat ürlichkeit und Widermenschlichkeit
4.1.2. Gott wird zum Tyrannen
4.1.3. Gott als sinnliches unsinnliches Sein
4.2. BESONDERE FOLGEN AUS DEM EINFLUß DER THEOLOGIE
4.2.1. Folgen für die Moral
4.2.2. Folgen des Offenbarungsglaubens
4.2.3. Folgen der Wunder

5. DER GOTTESBEGRIFF UNTER DEM EINFLUß DER THEOLOGIE
5.1. DIE MENSCHENFEINDLICHKEIT GOTTES
5.2. UNMENSCHLICHKEIT ALS WESENTLICHES PRÄDIKAT GOTTES
5.3 DIE UNBEGREIFLICHKEIT GOTTES
5.4. DIE UNVEREINBARKEIT GOTTES MIT DEM MENSCHEN

6. ZUSAMMENFASSUNG - DAS WESEN DES GLAUBENS UND SEINE FOLGEN

7. ABSCHLIEßENDE GEGENÜBERSTELLUNG VON ANTHROPOLOGIE UND THEOLOGIE

1. Vorwort

Als Philosoph der Säkularisierung will Ludwig Feuerbach eine Entwicklung von Gott zum Menschen. Der Mensch und seine Gattung sollen den Platz einnehmen, der Gott vormals zukam. Mit seinem Werk „Das Wesen des Christentums“ möchte er beweisen, „daß das Geheimnis der Theologie die Anthropologie ist“1.Er stellt die These auf, daß Philosophie und Religion identisch sind, wenn man sie auf eine Anthropologie reduziert. Durch die Begründung einer Philosophie, die dem Menschen gerecht wird will er einen „notwendigen Wendepunkt der Geschichte“2 einläuten. Seine Anthropologie besagt, daß der Mensch sein eigenes Wesen, um es zu erkennen, auf ein anderes Wesen, seinen Gott, projiziert. Auf diese Weise erschafft er sich ein anthropomorphes Bild. Diesen Zustand nennt er „psychische Pathologie“3, die von der Philosophie mit Hilfe der Anthropologie behandelt werden muß.

Die vorliegende Seminararbeit soll zeigen, daß der Gottesbegriff der Theologie menschenfeindlich ist, und daß seine Gattungsverfehlung die Entfremdung des Menschen von Gott und seinem Mitmenschen zur Folge hat. Diese fatalen Folgen resultieren daraus, daß die christlichen Dogmen der Vernunft zuwiderlaufen. So wird die ursprüngliche „Harmonie zwischen dem christlichen oder religiösen Glauben und der christlichen oder religiösen Vernunft“4 zerstört.

Diese Seminararbeit soll ferner zeigen, daß mehr Wahrheit in der Anthropologie Feuerbachs zu finden ist, als in der Theologie. Sie befindet sich wieder im Einklang mit der Natur und ihren Gesetzen. Wenn sie auch sehr idealistisch ist, so entspricht ihr Menschenbild doch mehr dem menschlichen Wesen und stellt einen großen Schritt in Richtung der von der Aufklärung geforderten Mündigkeit des Menschen dar.

2. Teilhabe des Menschen an Endlichkeit und Unendlichkeit

Der Mensch, der als Individuum grundsätzlich endlich ist, kann über den Verstand der Gattung Anteil an der Unendlichkeit erlangen, obgleich ihm an der Unendlichkeit der Gattung auch seine eigene Endlichkeit bewußt wird, während er durch sein individuelles Gemüt Anteil an der Endlichkeit hat. Ziel der Gattung ist das Allgemeinwohl. Das Gemüt des einzelnen drückt den persönlichen Selbstbezug aus, weshalb Ziel des Gemüts der Selbstzweck ist.

Daraus folgt, daß Gott als Gott, also als Wesen der Gattung, objektives Wesen der Vernunft ist, und daß Gott als Mensch, also als Gegenstand der Religion, objektives Wesen des Gemüts, des Herzens, ist. Feuerbach schreibt dazu „Gott ist wesentlich nur ein Gegenstand der Religion, nicht der Philosophie“5.

Das Gemüt wiederum ist ebenfalls unendlich, obwohl dies ursprünglich dem Verstand vorbehalten ist, da Gottes Wesen nichts anderes ausdrückt, als das Wesen des Menschen, Gott ein Wesen der Vernunft ist und demzufolge Gottes Gemüt als Gemüt eines Vernunftswesens unendlich ist. Da Gottes Gemüt zugleich das Gemüt des Menschen ist, ist auch dieses unendlich.

Objekt des Gemüts, also auch Gegenstand der Religion, ist die Gattung. Dies ist darin begründet, daß der Mensch sich nichts vorstellen kann, was außerhalb seiner Gattung liegt. Das Gemüt des Menschen stammt demzufolge aus der Gattung und ist aufgrund der Unendlichkeit der Gattung ebenfalls ein unendliches. Diese Ansicht Feuerbachs läßt sich am folgenden Auszug aus seinem Werk verdeutlichen.

„Jede Beschränkung der Vernunft oder überhaupt des Wesens des Menschen beruht auf einer Täuschung, einem Irrtum. Wohl kann und soll selbst das menschliche Individuum - hierin besteht kein Unterschied zu dem tierischen - sich als beschränkt fühlen und erkennen; aber es kann sich seiner Schranken, seiner Endlichkeit nur bewußt werden, weil ihm die Vollkommenheit, die Unendlichkeit der Gattung Gegenstand ist, sei es nun als Gegenstand des Gefühls, oder des Gewissens, oder des denkenden Bewußtseins.“6

3. Arten der religiösen Darstellung

Die Eigentümlichkeit des Gemüts erschließt sich aus dem "wie" der religiösen Darstellung. Also ist Gegenstand der Religion nicht das Absolute, sondern die Darstellung des Glaubens an das Absolute, denn „wenn ich also einen Gott glaube, so habe ich einen Gott, d.h.: der Glaube an Gott ist der Gott des Menschen. Wenn Gott das und so ist, was ich und wie ich glaube, was ist das Wesen Gottes anders als das Wesen des Glaubens“.7 Hier gibt es zwei Möglichkeiten der Darstellung.

3.1. „ Unverfälschte “ Religion

Die Religion ist noch nicht zur Theologie geworden. Die Gattung kommt nach dem Individuum. Gott ist die Selbstanschauung des Menschen, seines Gemüts. Obwohl das Herz durch den ihm eigenen Idealismus im Widerspruch zur Natur steht und die Gattung außerhalb der Natur nicht denkbar ist, ist dies kein Widerspruch zu Gattungsvorstellungen, da dieser Widerspruch für Feuerbach nur ein scheinbarer ist. Da der Gott der Gattung als ein Abbild des Menschen nur eine Projektion ist, ist er somit auch nur ein illusorisches Wesen. Seine Eigenschaften können somit nur in scheinbarem Widerspruch zur Natur stehen, weil er nicht wirklich existent ist.

Die Religion stellt die Beziehung eines Subjekts zum Objekt dar, wobei der Mensch gleichzeitig Subjekt und Objekt ist. Die Beziehung auf den Gegenstand ist somit zugleich die Beziehung auf den Menschen. „Die Religion ist das Verhalten des Menschen zu seinem eigenen Wesen“8 In der Philosophie ist der Bezug auf den Menschen lediglich ein Bezug auf das Objekt. In der Religion ist der Mensch zugleich Subjekt und Objekt, weil diese die Betrachtung des Menschen von Gott ist, welcher lediglich ein Abbild des Menschen ist, während der Mensch in der Philosophie nur Objekt ist.

Hier ist die Religion noch nicht zur Theologie geworden, sondern beruht auf der Selbstanschauung des Menschen. Die Theologie ist die Selbstanschauung, oder auch die Reflexion der Religion.

3.2. Religion als Theologie

Die zweite Möglichkeit der Darstellung betrifft die Religion, die zur Theologie geworden ist, was mit einer Degenerierung gleichgesetzt wird. Durch den Einfluß der Theologie wurde Gott außer den Menschen gesetzt. Die Theologie leugnet dadurch wissenschaftlich und vorsätzlich die Identität von Mensch und Gott. Denn „wenn die Religion Theologie wird, so wird die unwillkürliche und harmlose Scheidung Gottes vom Menschen zu einer absichtlichen, ausstudierten Unterscheidung, welche keinen anderen Zweck hat, als diese bereits in das Bewußtsein eingetretene Einheit wieder aus dem Bewußtsein wegzuräumen.“9

Das Bewußtsein hat Gott schon vorher unwillkürlich von Gott unterschieden, so wie der Einzelmensch sich von seinem alter ego, dem „Du“, zu unterscheiden weiß. „So war Jehova imalten Judentum nur ein der Existenz nach vom menschlichen Individuum unterschiednes Wesen; aber qualitativ, seinem innern Wesen nach war er völlig gleich dem Menschen“10 Der Unterschied zur Theologie besteht darin, daß diese Gott bewußt außer den Menschen setzt, was weiter geht als eine bloße Unterscheidung. Feuerbach spricht vom „Zweck der Beweise vom Dasein Gottes“ der darin liegt, „das Innere zu veräußern, vom Menschen auszuscheiden“11 Diese Darstellung eines Gottes außerhalb des Menschen, und somit außerhalb der Gattung, steht im Widerspruch zu Gattungsvorstellungen.

4. Der Einfluß der Theologie

Im folgenden wird der Einfluß der Theologie dargestellt, wobei unterschieden wird zwischen allgemeinen und besonderen Folgen. Erstere beziehen sich hauptsächlich auf die Veränderung des Gottesbegriffs durch den Einfluß der Theologie, während letztere konkrete Folgen darstellen, die beispielsweise für die Moral oder aus dem Offenbarungsglauben entstehen.

4.1. Allgemeine Folgen aus dem Einflußder Theologie

Die hier dargestellte Veränderung des Wesen Gottes durch den Eingriff der Theologie resultiert in erster Linie daraus, daß Gott von der Glaubenslehre ein vom Menschen unabhängiges und selbständiges Wesen zugeschrieben wird.

4.1.1. Außernatürlichkeit und Außermenschlichkeit werden zu Widernatürlichkeit und Widermenschlichkeit

Der Mensch wird durch die Theologie von Gott und der Religion entfremdet. Gott wird außer den Menschen und somit auch außer die Natur gesetzt, was sich in Außermenschlichkeit und Außernatürlichkeit zeigt und zugleich Widermenschlichkeit und Widernatürlichkeit bedeutet. Dies ist laut Feuerbach erstens unwahr und zweitens böse. So spricht er auch vom „bösen Wesen der Religion“12. Im Gegensatz zur sophistischen Theologie nimmt er das Wort, beziehungsweise die Vorsilbe, „außer“ wörtlich und versteht darunter eine Bezeichnung, die eine Sache gegen eine andere abgrenzt und in keinem Verhältnis mehr zu ihr steht. Somit stehen Übermenschlichkeit und Übernatürlichkeit im Gegensatz zu Außermenschlichkeit und Außernatürlichkeit. Übernatürliche Werke sind beispielsweise solche, die in der Natur so nicht vorkommen, jedoch aus der Natur stammen und aus den Mitteln, die die Natur gegeben hat. entwickelt wurden. Als klassisches Beispiel dafür gelten Brot und Wein. Als außernatürlich ist die „unsinnliche sinnliche“13 Existenz Gottes zu bezeichnen, die allen Regeln der Natur widerspricht und in ihr nicht zu finden ist. Auf diese wird im Abschnitt 4.1.3. genauer eingegangen werden.

4.1.2. Gott wird zum Tyrannen

Da die Theologie auf einem vom Menschen unterschiedenen Wesen Gottes besteht, werden, um diese künstliche Unterscheidung herbeizuführen, die schlechten Wesenszüge des Menschen auf Gott übertragen. „Ein Gott, der nicht für sich existiert, außer dem Menschen, über dem Menschen, als ein andres Wesen ist ein Phantom, es wird also die Un- und Außermenschlichkeit zum wesentlichen Prädikat der Gottheit gemacht.“14 Gott entartet durch den Einfluß der Theologie zum Tyrannen.

4.1.3. Gott als sinnliches unsinnliches Sein

Gott soll ein eigenes Selbst haben, das außerhalb des Menschen ist, ein eigenständiges Sein. Da nach Aussage der Theologie dieses ebenfalls ein reales Sein ist, muß es auch ein sinnliches Sein sein, da nur durch Sinnlichkeit Selbständigkeit möglich ist. Gott muß sehen und hören können, da er laut Aussage der Theologie alles sieht und hört. Er muß eingreifen können, da er auf Gebete hin Gnade walten lassen kann. Vor allem muß er der Offenbarung zufolge auch in der Lage sein können, sich mitzuteilen, da er sich seinem Volk offenbart. In Widerspruch dazu steht, daß er für den Menschen selbst nicht wahrnehmbar ist. Er ist also ein sinnliches und zugleich unsinnliches Sein. Feuerbach nennt es auch „ein Mittelding zwischen sinnlichem Sein und Gedachtsein, ein Mittelding voll Widerspruch.“15 Ein solches kann nicht real sein, da es unnatürlich und unmenschlich ist. Es entspricht weder der Gattung noch der Natur aus der die Gattung stammt. Eine solche Existenz ist in der Natur nicht anzutreffen. Somit erhält Gott durch die Religion eine Stellung entgegen den Menschen, die ihn als widermenschlich und widernatürlich zeigt.

Gott als Mensch kann kein Ding an sich sein, da seine Existenz an die des Menschen gekoppelt ist. „Er ist für mich gar nicht, wenn ich nicht für ihn bin; wenn ich keinen Gott glaube und denke, so ist kein Gott für mich. Er ist also nur, indem er gedacht wird - der Zusatz: für mich ist unnötig.“16 Ist Gott kein Mensch, so entzieht er sich den Sinnen, was bedeutet, daß er widermenschlich und widernatürlich und daher Feind des Menschen ist. Die letzte Steigerung der Theologie ist somit die zur Naturfeindlichkeit und Menschenfeindlichkeit hin.

4.2. Besondere Folgen aus dem Einflußder Theologie

An dieser Stelle soll gezeigt werden, welchen schädlichen Einfluß die Theologie auf Wertvorstellungen, wie die Moral, hat und welche Folgen speziell daraus entstehen, daß sowohl die Wunder als auch die Offenbarung als historische Tatsachen dargestellt werden.

4.2.1. Folgen für die Moral

Durch den Einfluß der Theologie verliert die Moral ihren „Selbstheitscharakter“17. Sie gründet ihr Sein nunmehr allein auf das Gottes. Gott sagt dem Menschen was Moral ist. Die Moral erklärt sich nicht mehr aus sich selbst heraus. Sie wurde quasi von der Offenbarung gezeugt, jedoch „erzeugt die Offenbarung moralische Handlungen, aber ohne, daß sie aus Moralität hervorgehen“.18 Sie ist nicht mehr eine Notwendigkeit für sich, sondern aufgrund der Gebote, die Gott den Menschen gegeben hat. Dies hat sie sozusagen „dem Herzen entfremdet“.19 Sie hat ihren Wert verloren.

4.2.2. Folgen des Offenbarungsglaubens

Die Offenbarung ist eine wichtige Unterstützung für die selbständige Existenz Gottes, die durch die Theologie gefordert wird. Durch sie wird seine Existenz zu einer historischen Tatsache. Gott teilt sich aus eigenem Antrieb seinem Volk mit. Dies geschieht zu einem bestimmten Zeitpunkt und gegenüber einer bestimmten Person. Im Buch Exodus richtet er immer wieder sein Wort an Mose. Ein Beispiel dafür ist die folgende Bibelstelle:

„Als der Herr sah, daß Mose näherkam, rief Gott ihm aus dem Dornbusch zu: Mose, Mose Dann fuhr er fort: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs“20

Er nimmt den Dialog auf. Er existiert. Aus Sicht der Anthropologie offenbart der Mensch sich selbst. Das Gemüt „erschafft" sich diese Offenbarung. Sie ist somit ein Zeichen der Selbstbestimmung des Menschen im Gegensatz zur aufoktroyierten Offenbarung der Theologie durch Gott. Für Feuerbach ist die Offenbarung ein Selbstgespräch des Menschen. Gott, der eine Projektion des Menschen ist, verkündet dem Mensch etwas über sich. In Wirklichkeit spricht der Mensch also zu sich selbst. Er ist mündig geworden. „Die Offenbarung ist nur die Selbstbestimmung des Menschen, nur daß er zwischen sich den Bestimmten und sich dem Bestimmenden ein Objekt...einschiebt.“21

Gott versetzt sich in den Menschen. Er denkt, was der Mensch von ihm denken würde und denkt sich so, wie der Mensch ihn denken würde. Es handelt sich hier somit um „eine von der menschlichen Natur bestimmten Offenbarung“22. Er bedient sich der Mittel, die dem Menschen zur Verfügung stehen, da er sich ihm nur mitteilen kann, wenn ihn der Mensch als Rezipient versteht. Er muß sich dem Menschen anpassen und „offenbart, was er offenbaren muß, wenn seine Offenbarung...für den Menschen, nicht für irgendein anderes Wesen sein soll.“23 Auf diese Weise teilt er ihm mit, welche Gebote er zu befolgen hat. Diese Gebote beinhalten sogar die banalsten Dinge, die für das Zusammenleben in einer menschlichen Gemeinschaft grundsätzlich und unerläßlich sind. Auf diese Weise entmündigt der Gott der Theologie den Menschen, weshalb auch von einer „Erziehung des Menschengeschlechts“24 gesprochen werden kann. Er läßt ihm keine eigene Entscheidung, wie er das Zusammenleben mit seinen Mitmenschen gestalten möchte. Er entwürdigt ihn, da er ihm auf diese Weise abspricht, selbst solche Erkenntnisse zu erlangen und aufgrund seines eigenen Verstandes Verhaltensregeln aufzustellen. Der Glaube spricht dem Menschen seine eigene Urteilskraft ab. Die Anthropologie Feuerbachs hingegen enthält in ihrem Selbstgesprächscharakter keine solche Entwürdigung oder Entmündigung. Ihre selbstgeschaffene Offenbarung ist ein Zeichen der Mündigkeit des Menschen, der sein Schicksal selbst in die Hand nimmt.

4.2.3. Folgen der Wunder

Mit Hilfe der Wunder stellt die Theologie Gott nicht nur über, sondern auch außer die Natur. In ihnen werden die Naturgesetze aufgehoben und zur Nichtigkeit. Dies ist ein Zeichen von Außergesetzlichkeit, Ungesetzlichkeit und Widergesetzlichkeit. Ihr Ursprung liegt in übernatürlichen Werken der Phantasie, die sich darauf zurückführen lassen, daß der Mensch nach dem Spektakulären greift, was durchaus der Gattung entspricht. Die Gattungsfunktion des Wollens beinhaltet auch, daß der Mensch das anstrebt, was nicht in seiner Macht liegt. Nur durch sie ist das Streben nach Verbesserung und Fortschritt möglich. Ebenso liegen Anfang und Ende des Wunders im Rahmen des Normalen. Sie sind der Normalzustand der mit den Naturgesetzen korrespondiert. Die Widernatürlichkeit der Wunder liegt in der Art und Weise, in der die Theologie die Naturgesetze suspendiert. Sie schafft geschichtliche Tatsachen, die nicht sein können und setzt sich somit über die Natur hinweg. Hier zeigt sich ebenfalls ein sehr interessanter Aspekt des Glaubens, beziehungsweise des Widerspruchs zwischen Verstand und Glaube, den man einen verdrängten Atheismus nennen könnte. Da der Gläubige die Existenz der Wunder nicht mit seinem Verstand in Einklang bringen kann, versetzt er sie in die Vergangenheit. Somit ist er lediglich gezwungen, zu glauben, daß es Wunder gegeben hat, nicht aber, daß es sie immer noch gibt. In der Gegenwart gehorcht die Natur weiterhin ihren Gesetzen, was es ihm erleichtert solche Gesetzlosigkeiten als geschehen hinzunehmen.

Der göttliche Wille, der mit „göttlicher Willkür“25 gleichgesetzt wird, handelt der Vernunft des Menschen und der Natur zuwider. Er wird zur Aufhebung der Natur, was sich in der Entartung seines vormals menschlichen Wesens zur Unnatur zeigt .

5. Der Gottesbegriff unter dem Einfluß der Theologie

Der folgende Abschnitt zeigt, daß sich das Wesen Gottes durch den Einfluß der Theologie grundlegend gewandelt hat. Diese Wandlung ist ein Resultat der bereits beschriebenen Entwicklungen, wie der Aufhebung der Naturgesetze durch die göttliche Willkür und der außermenschlichen Existenz Gottes.

5.1. Die Menschenfeindlichkeit Gottes

Die Aufhebung der Natur resultiert in Unnatur, Unvernunft und Unmenschlichkeit. Die Übermenschlichkeit, Übervernünftigkeit und Übernatürlichkeit der Wunder sind ein Vorwand der Unmenschlickeit, Unvernünftigkeit und Unnatürlichkeit. Darin besteht insgesamt eine „Gesetzesfeindlichkeit“26. Durch diese Gesetzesfeindlichkeit und Unnatürlichkeit der durch die Theologie pervertierten Gottesexistenz wird der Mensch der Natur und somit seiner Gattung, die aus der Natur stammt und sein alter ego repräsentiert, entfremdet. Mensch und Natur werden entstellt und entmündigt durch den menschenfeindlichen Gottesbegriff, dessen Naturund Menschenfeindlichkeit sich durch seine Willkür ausdrückt.

5.2. Unmenschlichkeit als wesentliches Prädikat Gottes

Gott, der sich ursprünglich durch menschliche Prädikate auszeichnete, hat nun, durch die von der Theologie geforderte selbständige Existenz neben dem Menschen, Außermenschlichkeit als essentielles Wesensmerkmal. In ihrer Steigerung wird Außermenschlichkeit zu Unmenschlichkeit und zu Menschenfeindlichkeit. In dieser Außergattungsgemäßheit, die sich zu Gattungsungemäßheit entwickelt, kommt die Gattungsverfehlung des theologischen Gottesbegriffes zum Ausdruck.

Die Theologie macht somit aus einem menschengleichen Gott ein persönliches selbständiges Wesen, das dem Menschen unerklärlich und unerforschlich ist, da es sich der Sinneswahrnehmung des Menschen entzieht, obwohl es selbst zur Wahrnehmung befähigt ist. Dies widerspricht nicht nur dem anthropologischen Gattungsbegriff, sondern auch den eigenen Lehren, da der Schöpfungsbericht besagt, daß Gott, den Menschen nach seinem Abbild schuf, was nicht nur bedeutet, daß der Mensch Gott gleicht, sondern zwangsläufig auch daß Gott dem Menschen gleich ist.

5.3. Die Unbegreiflichkeit Gottes

Die Unbegreiflichkeit Gottes liegt darin, daß Gott im Sinne der Gattung handelt, sich aber über die Art hinwegsetzt. So soll Gott beispielsweise alles erschaffen haben. Daß er etwas erschafft, entspricht grundsätzlich der Gattung. Alles erschaffen zu haben, ist jedoch unmöglich und unnatürlich, da unerklärbar. Die Tatsache, daß er alles hervorgebracht hat, erklärt nicht die Art und Weise wie er es getan hat. „Das heißt: der Gattungsbegriff ist klar, gewiß, aber der Artbegriff ist unklar, ungewiß.“27 Gott und Mensch sind gleich, aber trotzdem hat das, was beiden gemein ist bei Gott eine andere Bedeutung als beim Menschen. So ist Gott „Liebe, aber nicht menschliche Liebe, Verstand, aber nicht menschlicher.“28 Diese Ungleichheit kann der Mensch sich nicht vorstellen, nicht begreifen. Somit führt sie zur Entfremdung des Menschen von Gott und somit auch von seinem Inneren.

5.4. Die Unvereinbarkeit Gottes

Daß die Existenz Gottes und die des Menschen unvereinbar sind, liegt darin begründet, daß Gott als eigenständige Person angesehen wird, welche vom Menschen verschieden ist. Zwar gesteht ihnen die Religion eine Verwandschaft zu, da Gott der Vater und der Mensch sein Kind ist, aber auf dieser Verwandschaft gründet die Theologie ihre Unterscheidung. Dieses Verhältnis zeigt „zugleich die Selbständigkeit Gottes und die Abhängigkeit des Menschen“29. Diese Unterscheidung stellt sich jedoch als ein Schein dar, denn „der Vater ist nicht Vater ohne Kind; beide bilden ein gemeinschaftliches Wesen.“30 Somit verdoppelt sich das Wesen der Vernunft. Sie haben beide die gleiche Vernunft, die sich durch die geforderte Selbständigkeit Gottes außerhalb des Menschen verdoppelt.

6. Zusammenfassung - Das Wesen des Glaubens und seine Folgen

Der Glaube trennt Mensch und Gott, wodurch Gott seine einigende Funktion verliert. Die in der Bibel manifestierte göttliche Existenz steht im Widerspruch zur Vernunft, was bereits am Beispiel der Wunder dargelegt wurde. Eine weitere Folge des Glaubens ist, daß er den Menschen im Innern entzweit. Gott, der dem Menschen vertraut ist, die Prädikate der Gattung trägt, wird durch die christlichen Dogmen als ein fremdes Wesen dargestellt. Der Glaube bevormundet den Menschen, indem er ihm Gebote gibt und ihm vorschreibt, was er unter Moral zu verstehen hat. Feuerbach sagt dazu: „der Offenbarungsglaube verdirbt aber nicht nur den moralischen Sinn und Geschmack, die Ästhetik der Tugend; er vergiftet...den göttlichsten Sinn im Menschen - den Wahrheitssinn“.31 Die schlimmste Folge des Glaubens ist jedoch, daß er den Menschen mit dem Mitmenschen entzweit, da er für sich beansprucht der einzig wahre Glaube und der Weg zum Heil zu sein. Diese Exklusivität des Glaubens schließt Andersdenkende aus der Gemeinschaft der Gläubigen aus und endet in Haß und Verfolgung, wie es die Kreuzzüge des Mittelalters und auch heutige Glaubenskriege zeigen. Auf diese Weise bringt der Glaube die Bosheit in die Welt. Ihm kommt gleichermaßen eine „Auflösungskraft“32 zu.

Durch den Einfluß der christlichen Dogmen bekommt der Glaube eine wesensverneinende Eigenschaft. Er ist das Gegenteil von Vernunft, da er ihr zuwiderläuft. Er ist keine Liebe, da er Haß zeugt und er läßt keinen Raum für den Willen, da er den Menschen durch seine Gebote entmündigt. Durch diese Verneinung der Wesensvollkommenheiten ist er gegen die Gattung und kann als Gattungs- und Gesellschaftsfeindlich bezeichnet werden. Der Glaube beinhaltet ein böses Prinzip, da die Hauptsache hier nicht die Prädikate sind, sondern das Subjekt. Gott ist aus sich heraus das höchste Wesen und gründet auf seine bloße Existenz seinen Absolutheitsanspruch. „Gott ist das Objekt, zu dem sich der religiöse Mensch objektiv verhält; in Gott ist ihm der Gegenstand um sein selbst willen Gegenstand.“33 Er ist nicht gut aufgrund bestimmter positiver Wesensmerkmale, die ihm eigen sind, sondern allein aus der Tatsache heraus, daß er Gott ist. Die Auserwähltheit des Gläubigen führt zu einer Selbstübersteigerung. Ein Christ fühlt sich einem Moslem überlegen, allein weil er ein Christ ist, weil er dem einzig wahren Glauben angehört.

7. Abschließende Gegenüberstellung von Anthropologie und Theologie

Das Heil der Gattung wird durch Natürlichkeit, Liebe und Weltoffenheit erreicht und relativiert die Bedeutung des Einzelnen vor der Gesellschaft. Er ist nur ein Teil des Ganzen. Das Heil des Glaubens ist hingegen nur durch den Glauben erreichbar. „Die Religion knüpft an ihre Lehren Fluch und Segen, Verdammung und Seligkeit. Selig ist, wer glaubt, unselig, verloren, verdammt, wer nicht glaubt.“34 Nur der Rechtgläubige kann das Heil erlangen, und nur dann kann er es erlangen, wenn er nach den Verhaltensregeln lebt, die die Theologie ihm vorschreibt. Sein Handeln ist gottgefällig, da nur solches Handeln den Dogmen der Kirche zufolge mit dem Heil belohnt wird. Der Christ tut das Gute nicht des Guten willen, sondern aus Pflichtbewußtsein und Angst vor Strafe. Ebenso glaubt er nicht aus reiner Überzeugung, sondern weil der Glaube es fordert. Die Theologie läßt keinen Raum für Zweifel oder Ungläubigkeit. „Denn wenn es heißt: ich bin verdammt, wenn ich nicht glaube, dann ist das ein feiner Gewissenszwang zum Glauben; die Furcht vor der Hölle zwingt mich zu glauben.“35

Tatsächlich ist der Mensch mündig und zur Selbstlösung fähig. Er bedarf der Erlösung durch Gott nicht. Gott ist nicht unbekannt und kein Fremder außerhalb der Person, der nur den Gläubigen anspricht. Er spricht den selbstverantwortlichen Gattungsvertreter an, einen Menschen, der selbstlos sein kann und nicht sein Tun auf eine außer ihm stehende für ihn unbekannte Macht ausrichtet. Seine Werke sind nicht gottgefällig, gekünstelt und aufoktroyiert, wie die des Gläubigen. Er ist wirklich moralisch aus der Menschlichkeit der Gattung heraus. Der Gattungsvertreter kennt keinen Zwang zur Liebe. Seine Liebe ist eine natürliche und uneigennützige. Da sie nicht aus dem Wunsch nach Erlösung und Gottesgnade entsteht, ist sie aufrichtig und edel.

Gott lähmt die besten Kräfte des Menschen durch Unmündigkeit, Selbstentfremdung, Unselbständigkeit und Naturverachtung. Den Lohn des Gläubigen für diese Selbstaufgabe, nämlich Erbarmen, Gnade und Vergebung kennt die Gattung nicht. Sie sind Zeichen der Abhängigkeit und werden vom selbstverantworlichen Gattungsvertreter nicht benötigt. Als autonomer Mensch ist er sein eigener Gott.

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums, Stuttgart: Reclam Verlag, 1994

Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung, Freiburg: Herder Verlag, 1980

Sekundärliteratur

Zecher, Reinhard: Wahrer Mensch und heile Welt. Untersuchungen zur Bestimmung des Menschen und zum Heilsbegriff bei Ludwig Feuerbach, Stuttgart: M&P Verlag für Wissenschaft und Forschung, 1993

Stegmaier, Werner/Frank, Hartwig: Hauptwerke der Philosophie. Von Kant bis Nietzsche, Stuttgart: Reclam Verlag, 1997

Löwith, Karl: Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts, Hamburg, 1981

[...]


1 Ludwig Feuerbach: Das Wesen des Christentums, Stuttgart: Reclam, 1994, S.10

2 Feuerbach, S. 400

3 Feuerbach, S. 8

4 Feuerbach, S. 5

5 Feuerbach, S. 285

6 Feuerbach, S. 45

7 Feuerbach, S. 206

8 Feuerbach, S. 301

9 Feuerbach, S. 301

10 Feuerbach, S. 302

11 Feuerbach, S. 304

12 Feuerbach, S. 287

13 Feuerbach, S. 305

14 Feuerbach, S. 322

15 Feuerbach, S. 305

16 ebenda

17 Reinhard Zecher: Wahrer Mensch und heile Welt. Untersuchungen zur Bestimmung des Menschen und zum Heilsbegriff bei Ludwig Feuerbach, Stuttgart: M&P Verlag für Wissenschaft und Forschung, 1993, S. 146

18 Feuerbach, S. 317

19 ebenda

20 Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung, Freiburg: Herder Verlag, 1980, S. 56

21 Feuerbach, S. 313

22 Feuerbach, S. 314

23 Feuerbach, S. 314

24 Feuerbach, S. 316

25 Feuerbach, S. 288

26 Zecher, S. 147

27 Feuerbach, S. 327

28 Feuerbach, S. 333

29 Feuerbach, S. 336

30 ebenda

31 Feuerbach, S. 317

32 Zecher, S. 149

33 Feuerbach, S. 300

34 Feuerbach, S. 285

35 ebenda

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Gottesferne in Widernatürlichkeit und Widermenschlickeit. Außer Gott sein als Zeichen der Gattungsverfehlung
Autor
Jahr
2000
Seiten
17
Katalognummer
V98705
ISBN (eBook)
9783638971560
Dateigröße
364 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
zu Ludwig Feuerbachs Fundamentalanthropologie / Das Wesen des Christentums
Schlagworte
Gottesferne, Widernatürlichkeit, Widermenschlickeit, Außer, Gott, Zeichen, Gattungsverfehlung
Arbeit zitieren
Nicole Hoppe (Autor:in), 2000, Gottesferne in Widernatürlichkeit und Widermenschlickeit. Außer Gott sein als Zeichen der Gattungsverfehlung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98705

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