Botho Strauss "Der Park" - Zusammenspiel gesellschaftlicher Alltagsrealitität und Mythologie


Hausarbeit, 2001

7 Seiten, Note: glatte zwei


Leseprobe


Analysieren sie aus einem Beispiel Ihrer Wahl das Zusammenspiel gesellschaftlicher Alltagsrealtität und Mythologie in den Dramen von Botho Strauß

Ich versuche, die Frage anhand des 1983 erschienenen Schauspiels „Der Park“ zu beantworten. Nach einem kurzen Überblick über Inhalt und Sprache des nur formal klassischen Fünfakters, möchte ich mich im zweiten Teil der Frage widmen, auf welche antike Mythen Strauß zurückgreift und zu welchem Zweck er sie einsetzt. Insbesondere möchte ich auf die Figur der Helen eingehen. Weiterhin interessiert mich, was für ein düsteres Bild Strauß von der gesellschaftlichen Alltagsrealtät in der Bundesrepublik entwirft und warum er versucht, Motive aus der Antike dagegenzustellen.

Inhalt:Titania und Oberon, zunächst göttergleiche Gestalten der Antike und Protagonisten in Shakespeares „Sommernachtstraum“ sind in einen Stadtpark herabgestiegen. Die Könige der Elfen vezaubern dort unter anderem Helen und Georg - sie, eine deutsch-amerikanische Artistin - er, linker Rechtsanwalt. Dazu gesellt sich ein Ehepaar, Wolf - examinierter Historiker und vergeßlicher Fahrschullehrer sowie Helma, die Hausfrau. Nicht nur das Quartett, sondern die ganze Menschheit ist durch „Bewußtsein und Geschäfte“ liebesunlustig geworden. Titania und Oberon möchten poetischen Zauber und erotische Lust mitbringen, doch sie treffen auf Menschen, die kein Organ mehr für die Glücksverheißungen von Magie, Traum und göttlicher Sinnlichkeit haben. „König Salomonis Lüsternheit erweckt man nicht in einem Fahrschullehrer“. Dazu gesellt sich Cyprian, ein homosexueller Künstler, der erkannt hat, das mit aphrodisierenden Amuletten eine Menge Geld zu machen ist. Unter Cyprians Händen wird Kunst nur noch zur Ware, zu einer bloßen Modeerscheinung. Oberon und Cyprian verzaubern die Menschen im Park. Wechselweise verlieben sich die Paare ineinander - es kommt zu schwer durchschaubaren Dreierpakten, Zerwürfnissen, gegenseitigen Vorwürfen und Eifersüchteleien. Die alltägliche Banalität verhindert Glück und Erfüllung. Doch das Quartett ahnt, daß irgendwo noch die Utopie einer besseren Welt besteht. „Bist du sicher, daß wir wach sind? Mir scheint, daß wir grad schlafen“ Doch selbst die Götter scheinen zu resignieren. Cyprian macht Titania zur Sklavin ihrer eigenen Exzesse und versucht ebenso wie sie, Norman, einen schwarzen Straßenkehrer zu verführen. In vermeintlicher Notwehr findet Cyp schließlich ein grausiges Ende. Und selbst Oberon ist nur noch einen recht durchschnittlicher „Mittenzwei“, der sich in das Heer der Arbeitslosen einreiht. Titania verwandelt sich in Pasiphäe, die Gattin des Minos und läßt sich in einer Kuhattrappe von einem Stier begatten. Heraus kommt ein Minotaurus, der bei Strauß impotente Sohn der Titania. Erstling und Jüngling - sowie eine Gruppe junger Leute aus der Stadt verdichten die neurotisch, verstörte Gesellschaft im Park. Als sterbendes Menschenpaar finden Titania und Mittenzwei noch einmal zueinander. Sprache: Der Park zeichnet sich neben einem Wechsel der Sprach, Stil- und Spielebenen auch durch kommentierende Vor- und Zwischenspiele aus. Hinzu kommt der Einsatz von Jargon, Stereotypen und Klischees. Direkte Zitate aus dem Sommernachtstraum montiert Strauß mit ironischen Sprachgebrauch sowie Aussagen, die sich sowohl auf den aktuellen Kontext, als auch auf das ganze Stück und die gesellschaftliche Wirklichkeit beziehen lassen. Fast nebenbei werden die Grenzen und Möglichkeiten zwischen Kunst und Theater aufgezeigt. Zusammenspiel von gesellschaftlicher Alltagsrealität und Mythos Konnte Shakespeare bei Erscheinen seines Sommernachtstraums (1595/96) davon ausgehen, daß die alten Mythen und Sagen noch in den Köpfen der Menschen vorhanden sind, so muß Strauß diesexplizit zum Thema machen, heißt es in der Textanalyse von „Der Park, die xxxxxx xxxxxx in dem Band xxxxxx xxxxxxx vorgelegt hat. Zwar bezieht sich Strauß eindeutig und mehrfach auf das Original Shakespeares, doch hinzu bringt er mythologische Versatzstücke, die eine Kenntnis der alten Legenden voraussetzen. Im Park ist es der trojanische Sagenkreis, der immer wieder in Form versprengter Versatzstücke zitiert wird. Die Frau, die von zwei Männern und dem Tod umworben wird, heißt bei Botho Strauß Helen. Die Figur hat ihren mythologischen Ursprung in der Gestalt der Helena. An dieser Stelle möchte ich kurz auf den antiken Mythos eingehen, der sich insbesondere um die Person Helena rankt. Sie galt als Tochter der Leda und des Zeus und wurde der Vielmännerei bezichtigt. Auch verschiedene Entführungssagen wurden ihr zugeordnet. Hinzu kam der Mondkult und die damit verbundenen Fruchtbarkeitsriten. Die mythische Helena war schon in der Antike eine schillerne Gestalt. In Homers „Ilias“ existieren über Helena zwei Sagenkreise. Neben der Ehe mit Menelaos steht vor allen die Entführung durch Paris im Vordergrund. In der Ilias gilt die Entführung der schönen Helena als Raub. Sie habe nicht die freie Wahl gehabt, Paris, dem ausgesetzten Sohn des Priamos, nach Troja zu folgen. Helena, die Griechin galt im kleinasischen Troja als eine Fremde. Die Helen in Botho Strauß Park lebt als Deutsch-Amerikanerin in der Bundesrepublik der 80iger Jahre. Auch sie lebt zwischen zwei Welten - wenn sie erregt ist, fällt sie in ihre Muttersprache zurück. Egal wo sie steht, Helen ist ein Fremdkörper. Sie ist im organisierten Ehehandel tätig _ genau dieser Ehehandel ließ die antike, mythische Helena zum Spielball der Interessen - ja zum Auslöser einer ganzen Völkerschlacht werden. In der bundesrepublikanischen Gesellschaft werden bezahlte Scheinehen eingegangen, damit Ausländer Aufenthaltsrecht erhalten. Doch Helen ist nicht wie im antiken Vorbild Auslöserin einer Völkerschlacht, sondern wird „nur“ von Georg und Wolf umworben. Der große Konflikt wird von Strauß restlos banalisiert, ja privatisiert. Bei dem Stichwort Bindung fragt sie laut, ob die anderen vom Skifahren reden. Doch Helen drängt auf den „großen Stil“ im Streit mit den von ihr geliebten Männern. Die Männer sollten erst einmal wieder Kriege führen, damit sie wieder lernen, wie man Frauen liebt. Doch die heutigen Männer sind in den Augen Helens zu schlapp und verweichlicht, und zwar an Mark, Bein und Mannesknorpel. Lothar Pikulik nennt dies einen „atavistischen Maskulinismus“. Denn heutzutage „arrangiert man sich“, sagt die aufgebrachte Helen und bezeichnet im selben Atemtzug die 80iger Jahre des 20Jahrhunderts als „faule Friedenszeiten“. (Akt III, 11. Szene). Die Recken der Sage kämpften um die schöne Helena - doch der Kampf um Troja ist mit der Helen von heute - also in der heutigen Zeit der Kampf um althergebrachte menschliche Werte - nicht mehr denkbar. Indem Helen die Geschichte ihrer Beinahe-Namensvetterin benutzt, bewertet sie eine Lebensform, die sie selbst als defizitär empfindet. Die Liebe ist in den heutigen Zeiten zu einem austauschbaren Objekt geworden. Wenn Strauß die Paare mit mystischen Amuletten bezaubern läßt und daraufhin die Liebe untereinander ständig wechselt, wirft das doch die Frage auf, was die Liebe für Strauß heute überhaupt noch wert ist. Es ist Strauß altes Thema, das er schon in der Paare-Passanten Welt (1981) auf die Bühne bringt. Beziehungen beruhen auf fragwürdigen Vereinbarungen, emotionalen Halbheiten und vor allem Unverbindlichkeit. Die Liebe ist zur Funktion der Freundschaft herabgesunken. Fordert Helen den Kampf der Männer um die Frauen - er findet in unsere Alltagsrealität nicht mehr statt. Statt dessen wird beschwichtigt und der Trieb entschärft anstatt die existenzielle Entscheidung zu suchen. Bei Strauß stehen die Beziehungen der Paare untereinander für Untentschiedenheit, Halbheit und Unverbindlichkeit in der modernen Gesellschaft. Diese Aussagen müssen für Strauß wohl ganz besonders wichtig sein, denn in der Szene „Seinesgleichen“ wird das Thema noch einmal variiert. Titania versucht in einer Gruppe weißgekleideter Männer ihren Geliebten zu identifizieren. Mythologisch gesehen bedeut dies das umgekehrte Paris-Urteil. Der Sohn des Priamos mußte sich vor die Qual der Wahl gestellt nur für eine unter drei der schönsten Frauen entscheiden. Doch die Männer kämpfen selbst in Bundeswehruniformen ni mehr für den Aussicht gestellten Preis, die üppige Mondgöttin Titania, Zeichen der Fruchtbarkeit und der Magie. Die drei Männer unterscheiden sich nicht einmal mehr voneinander - sehen aus wie drei gut durchgeknetete Schneebälle - keiner von ihnen ist bereit, für die schöne Frau zu kämpfen. Titania ist aufgrund mangelnder Unterscheidungskriterien nicht in der Lage ein Urteil zu fällen, wer ihr Geliebter ist. Kurz, das Objekt der Liebe ist zu einer austauschbaren Ware in der heutigen gesellschaftlichen Alltagsrealität geworden. Was in der Mythologie ein unwideruflich feststehender Wert war, ist in der heutigen Gesellschaft nicht mehr zu erkennen. Sind mit Troja auch die Werte versunken, die zu seinem Untergang geführt haben? Doch sind die Frauen im Park dem Mythischen näher als die Männer. Sie haben sich von Bewußtsein und Geschäften weiter entfernt als die Männer, die eine Videofirma gründen um Geschäfte zu machen. Und doch sind auch die Frauen, insbesondere ist die Helen im Park, anfällig für den Mythos.

Doch allzu einfach kann man es sich mit Strauß nicht machen. Zu behaupten, er beziehe sich auf alte Mythen und führe daran exemplarisch Werteverlust, Sinnkrise und Beziehungsslosigkeit der modernen Gesellschaft vor, würde seiner Absicht nicht gerecht. Strauß scheint zwar von denn alten Mythen fasziniert, gleichzeitig werden sie aber im Park zerstört, indem sie in voller Konsequenz beim Wort genommen werden. Ein Beispiel dafür ist Titania, die sich nach der Begattung durch den Stier schämt. Auch der Schluß des Schauspiels macht deutlich, daß auch die durch die Mythen animierten Figuren letztendlich Scheitern. Die Sinnlichkeit hat Helen dem Tod vermacht, der scharze Mann der einmal auf dem Trapez durch das Zirkuszelt schaukelt. Am Schluß steht ein Unfall, der Liebeszauber durch die Amulette Cyprians ausgelöst, endet in einem Verkehrsunfall. Heraus kommen Leute, die sich nicht erinnern können, Gegenwartshörige, Gegenwartsnarren. Der Sohn der Titania, einst ein mächtiger Minotaurus, ist nur Muttersöhnchen der sich nicht einmal mehr an die gealterten Frauen Helen und Helma heranwagt. Strauß Verhältnis zu Mythologie muß zumindest im Park dialektisch gesehen werden. Einerseits setzt er die mythische Bilderwelt als Maßstab der Bewertung der heutigen Gesellschaft, der Alltagsrealität ein, andereseits ist im letzendlichen Scheitern der Figuren auch zu erkennen, daß der Mythos nicht unbedingt ein Mittel zur Lebensbewältigung ist. Selbst Titania und Oberon haben am Ende des Stückes jeden Zauber verloren. Indem Strauß versucht, alte Mythen zu aktualisieren, fragt Strauß ja auch nach den Mythen unserer Zeit. Und genau unsere Zeit, die sich von Kirche und Religion weit entfernt hat, ist für Alltagsmythen (magische Amulette) besonders anfällig. Man denke nur an die Esoterik sowie die vor allem in den Medien propagierte Mysterie-Welle mit „unglaublichen Geschichten“. In der Welt des 20.Jahrhunderts ist der Glaube an die alten Mythen, so wie sie die alten Griechen an den Tag legten, zu einem Glauben an Wohlstand durch Technik, Medien und Medizin, BMW- Sucht und Karriere Durst verkommen. Im Park berührt sich die mythische Bildwelt der Griechen mit dem banalen Ordungsmuster der modernen Alltagswelt. Helen macht eine Rückbildung durch. Sie fällt, indem sie offensichtlich als Niggerhasserin agiert und in der oben beschriebenen Szenen ein antiquiertes Männerbild einfordert zurück ins archaische, barbarische. Das Experiment von Oberon und Titania, die Menschen zu vernünftiger Sinnlichkeit zu erziehen führt gar zum Aufbrechen der unterdrückten Triebnatur der Jetztmenschen. Strauß versucht an Helen auch darzustellen, wie anfällig der Mensch für den Mythos sein kann. Zwar ist ihr Mann, der linksintellektuelle Anwalt Georg strikt gegen ihre rassistischen Ansichten, doch wenn er ganz tief in sich hineinhört, nimmt er derartige Gedankengänge im Stillen auch bei sich wahr. Strauß kritisiert die moderne Vorurteilssosigkeit der Intellektuellen, der vermeintlich aufgeklärten Bildungsbürger und denunziert sie als bloße, plumpe Rollenspieler. Helens Rassismus, Georgs Demokratismus, Wolfs Vaterlandsliebe und Helmas Pseudotoleranz sind Weltanschauungen die in der gesellschaftlichen Alltagsrealität des Parks mit einem Absolutheitsanspruch auftreten. Das ist die stilisierte Alltagsebene der Strauß den Mythos entgegensetzt. Doch selbst der Mythos wird von Strauß variert sowie ganz im Sinne der Antike weiterentwickelt. Die alten Sagen wurden auch früher schon immer wieder verfremdet und mit neuen Motiven versehen.

Insgesamt gesehen bleibt jedoch klar, daß Strauß weder Gegenwart noch Antike zu einem hohen Ideal erhebt. Er behauptet nicht, wie schön und volle hoher Ideale doch die alten Mythen gewesen seien und setzt dem die Gegenwart gegenüber. Ebenso ist es umgekehrt: die moderne Welt hat auch nichts dazugelernt. Im Gegenteil: Dadurch das er sowohl Mythos als auch gesellschaftliche Alltagsrealität gegeneinander ausspielt, und am Ende beide Ebenen negativ konontiert sind, macht er den Weg frei für eine Frage nach einer möglichen dritten Ebene. Im Park prallen die Mythen aufeinander und führen sich gegenseitig ad absurdum. Insofern spielen gesellschaftliche Alltagsrealitiät und der Mythos nicht gegeneinander, sondern sind Sinnbild für Lebensformen, die so keinen Bestand haben können.

Ende der Leseprobe aus 7 Seiten

Details

Titel
Botho Strauss "Der Park" - Zusammenspiel gesellschaftlicher Alltagsrealitität und Mythologie
Note
glatte zwei
Autor
Jahr
2001
Seiten
7
Katalognummer
V98744
ISBN (eBook)
9783638971959
Dateigröße
377 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Botho, Strauss, Park, Zusammenspiel, Alltagsrealitität, Mythologie
Arbeit zitieren
Andrew Strong (Autor:in), 2001, Botho Strauss "Der Park" - Zusammenspiel gesellschaftlicher Alltagsrealitität und Mythologie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98744

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