Das "posse ipsum" in Cusanus' "De apice theoriae". Der letzte Schritt des Könnens


Hausarbeit, 2020

12 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Neuentdeckung

3. Das Können-Selbst

4. Das posse ipsum geht dem Zweifel voraus

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Spätwerke Cusanus‘ sind geprägt von der Leitidee des Begriffs posse.1 Dieses posseDenken findet seinen krönenden Abschluss im letzten Werk des Kuesers, de apice theoriae. Das Können-Selbst (posse ipsum) steht explizit im Mittelpunkt der Unterredung. Ziel ist es, die höchste Stufe der Betrachtung2 zu erreichen.

Der Dialog ist zunächst eine Unterredung zwischen dem Kardinal und seinem Sekretär Peter Wilhelm von Erkelenz; in diesem Teil wird der Schritt dargestellt, der von der Washeit zum Können-Selbst führt. Im zweiten Teil der Schrift widmet sich der Kardinal monologisch der zusammenfassenden Darstellung des Können-Selbst. Zu Beginn berichtet der Kardinal seinem Sekretär von einer Neuerkenntnis. Auf der Suche nach der Washeit, die Grundbestand allen Seins ist, erkannte dieser, dass dieser Grundbestand sein können muss. Ohne das Können wäre das Sein-Können der Washeit nicht möglich. Cusanus wird diesem absoluten Können allen Könnens später das Können-Selbst (posse ipsum) nennen. Bei dem allem vorausgehenden und allem Seienden ermöglichende Können-Selbst handelt es sich um den Namen Gottes. In dieser Arbeit soll systematisch rekonstruiert werden, wie Cusanus - ausgehend von der Washeit - den letzten Schritt zur höchsten Stufe der Betrachtung vollzieht und somit den für ihn endgültigen Gottesnamen posse ipsum findet, worin das cusanische Denken seinen Höhepunkt und Abschluss findet.1 2 3 Im ersten Abschnitt wird die Argumentation zu Beginn des Dialogs rekonstruiert.

Im zweiten Abschnitt soll das Können-Selbst charakterisiert werden. Wenn im dritten und letzten Abschnitt noch einmal dargestellt werden soll, dass das Können-Selbst also zum einen als principium omnipotens und zum anderen als praesuppositio absoluta Ursprung und Voraussetzung ist, zeigt sich, dass das Können-Selbst unanzweifelbar ist, weshalb sich jener Einwand erledigt, der dem Können-Selbst seine Notwendigkeit abspricht, da es genügen würde, das Können als eine Art Modus zu betrachten: In bestimmen Szenarien wird bestimmtes gekonnt.

Dabei soll nicht im Detail thematisiert werden, wie das Können-Selbst, das von Cusanus als jenseits aller Erkenntnisfähigkeit postuliert wird, erkannt bzw. gesehen werden kann. Die wäre ein Thema, welches seiner eigenen Arbeit bedarf.

2. Neuentdeckung

Die Unterredung des Kardinals und Peter von Erkelenz beginnt damit, dass dieser den Kardinal, den er die letzten Tage »in so tiefer Betrachtung entrückt«4 sah, so, als hätte er »irgend etwas Großartiges entdeckt«5, fragt, was denn das Neue sei, welches er in dieser meditatio der letzten Tage fand. Die darauffolgende Aussage des Sekretärs, dass er glaubte, der Kardinal hätte bereits in seinen bisherigen Schriften das Ergebnis all seiner Betrachtungen abschließend dargestellt, ist nicht irrelevant. Cusanus hatte zuvor die Summe seiner bisherigen Betrachtungen in der Schrift De venatione sapientiae zusammengetragen;6 dass der Inhalt des Dialoges eine Neuentdeckung sein wird, soll offenbar hervorgehoben werden: »Das Ergebnis dieser neuen Erkenntnis gilt ihm als der Gipfelpunkt höchster Theorie, als die höchste Stufe der Betrachtung.«7

Auf die Frage des Sekretärs: »Was suchst du denn?«, antwortet der Kardinal: »Das sagst du richtig.« Eine Antwort, welche den Dialogpartner verwundert.8 Wird eine Frage gestellt, dann bezieht sich diese stets auf etwas, so will eine gestellte Was-Frage das bis dahin nicht gewusste Pronomen, für welches das Was steht, zur Antwort haben. Wird auf die Frage, was jemand suche, geantwortet, dass er die Kirche suche, so bezieht sich diese Frage auf die Kirche. Dabei steht das Was der Frage als Pronomen für die Kirche. In der Frage ist das Was zunächst noch eine Variable, die durch die Antwort aufgelöst werden soll. Den Bezug einer Frage erwähnt auch Senger: »Die Bezüglichkeit der Frage auf einen Frageinhalt, kognitiv als ein Nichtwissen bestimmbar, macht sie zur Frage. Ein Suchen oder ein Fragen ohne Richtung auf etwas Erfragtes ist deshalb keine Frage.«9 Was der Kardinal hier zu verdeutlichen versucht, ist eine Differenz zwischen dem Was, welches sich als Pronomen verwendet findet, und dem Was als Washeit. Der Kardinal erklärt seinem Sekretär nun:

Als du sagtest was suchst du, hattest du recht, weil ich was suche. Jeder der sucht, sucht was. Wenn er nämlich nicht irgend etwas oder ein Was suchte, suchte er gar nicht. Ich also suche was - wie alle, die sich um Wissen bemühen -, weil ich sehr gerne wissen möchte, was dieses Was oder was die Washeit ist, nach der so sehr gesucht wird.10

Es geht nun also nicht um ein Was, welches sich als Pronomen auf ein Objekt bezieht. »Die Wortbildung Washeit und quiditas zeigen schon an, daß es sich um ein - sagen wir vorerst nicht ganz zutreffend - abstraktes Was handelt.«11 Wenn wir nicht wissen, was wir suchen, wie können wir es dann finden? Wenn wir es wissen, dann müssen wir es nicht suchen. Eine Problematik, welche sich bereits in Platons Menon Dialog findet (Menon-Padaoxon). In dem Dialog Platons erhebt Menon den Einwand, wie man etwas suchen will, wenn man über das gesuchte überhaupt nichts weiß, denn man wüsste weder, wonach man eigentlich sucht, noch könnte man je wissen, wann man es gefunden hätte.12 Nun muss an dieser Stelle aber Folgendes angemerkt werden: Das Thema ist die Washeit, welche in jeder spezifischen Was-Frage auftaucht, wobei es sich jedoch nicht um die Bestimmung einer Meta-Frage in erkenntnistheoretischer oder logischer Absicht handelt. Die Frage bezieht sich hier auf ein ontologisches Interesse.13 Cusanus bestimmt die Washeit als jenseits aller Erkenntniskräfte vor jeder Verschiedenheit und Gegensätzlichkeit.14 Das zentrale Moment ist nun aber die Bestimmung der Washeit als unveränderlicher Grundbestand (hypostasis) aller Substanzen:

[...] habe ich nicht beachtet, daß die Washeit, die ihren Bestand in sich selbst hat, der unveränderliche Grundbestand aller Substanzen ist, daß sie deshalb weder vermehrt noch vervielfältigt werden kann und daß es deswegen für die anderen existierenden Dinge eine je eigene Washeit nicht geben kann, sondern für alle nur ein und denselben Grundbestand.15

Die Washeit ist also, Cusanus folgend, der ontische Grund alles Seienden, hat in sich Bestand und ist somit unabhängig. Als Hypostasis oder Subsistenz ist die Washeit invariabel und alleinstehend, »als ein und derselbe Grundbestand identisch mit sich und identisch für alles.«16 Wenn etwas wirklich grundbeständig sein soll, muss dieser Grundbestand das oben genannte Kriterium, alleinstehend zu sein, erfüllen: »Es ist aber bereits gezeigt worden, daß es nur ein schlechthin Größtes geben kann. Darum ist die größte Wahrheit die, daß das Eine das Größte ist.«17 Es kann also nur einen einzigen Grundbestand geben, dadurch ist es Cusanus später möglich, alles auf diesen reduzieren zu können: »Es ist also offenkundig, daß jede Ungleichheit durch Wegnehmen zur Gleichheit rückgeführt wird.«18 Senger fasst Vorangegangenes folgendermaßen zusammen: »Denn aus der resolutio ergibt sich, daß letztlich die ontologische Washeitsbestimmung aller Dinge ein und dieselbe ist (eadem omnium hypostasis).«19

Darauf aufbauend folgt der endgültige Schritt, das posse ipsum zu bestimmen. Die Washeit muss, um etwas zu sein, und das ist - laut des Kardinals - zwingend, als seiend, genauer als sein-könnend (oder Können-Sein = posse esse), anerkannt werden. Wenn der Grundbestand nun sein kann, benötigt dies eine Voraussetzung, welche im Können gefunden wird: »Und da sie sein kann, kann sie schlechterdings nicht sein ohne das Können. Wie könnte sie denn ohne das Können?«20 Alles was ist, muss sein können. Ohne das Können kann nichts sein. Nun ist die Washeit grundlegend dafür, dass etwas ist; die Hypostase muss sein können und dies kann sie nur durch die Möglichkeit des Könnens, welches das grundlegendste aller Dinge ist: »Das Können, ohne das nichts überhaupt etwas sein kann, ist deshalb dasjenige, dem gegenüber nichts Grundlegenderes bestehen kann.«21 Das Können-Selbst (posse ipsum) ist die gesuchte Washeit, ohne die nichts sein kann, es geht dem Sein als Bedingung für dieses voraus.

In allem und jedem, was ist, lebt oder erkennt, in allem, was in irgendeiner Weise tätig ist, ist ein absoluter Grund vorauszusetzen. Dieser ist das Können-Selbst, der sich in dessen Manifestation offenbart.22

Von dem Können-Selbst lässt sich nicht weiter zurückgehen, der Regress endet hier. Dabei ist das posse ipsum nicht schlicht die letzte bzw. höchste Könnens-Stufe, sondern umfasst es alle finiten Weisen des Könnens, welche als Modi des absoluten KönnenSelbst auftreten.

3. Das Können-Selbst

Für diese Arbeit war es zentral, den letzten Schritt Cusanus‘ zum posse ipsum darzustellen. Die Suche nach der Washeit wurde durch die Sicht auf das unbegreifliche Können-Selbst beendet. Wie dies vollzogen worden ist, hat der vorherige Abschnitt rekonstruiert. Es wurde eingangs erwähnt, dass Cusanus‘ Spätwerk vom Begriff des Könnens geprägt ist, dieser aber erst im Dialog De apice theoriae mit dem Können-Selbst, als apriorischer Ermöglichungsgrund allen Seins, sein Ende findet. Das ist die große Neuerkenntnis des Kardinals. Worauf der Kueser ein weiteres Mal hindeutet, wenn er den Dialogpartner Peter von Erkelenz bemerken lässt:

[...] sehe ich recht wohl, daß man eben das Können als Washeit bezeichnen kann. Aber da du vieles bereits früher über das Können-ist gesagt und in einem Trialog dargelegt hast, bin ich neugierig zu hören, warum das nicht reicht.23 24

[...]


1 Zur Entwicklung des posse Begriffs bei Cusanus vgl. Alfons Brüntrup: Können und Sein (Der Zusammenhang der Spätschriften bei Nikolaus von Kues). München und Salzburg: Verlag Anton Pustet, 1973.

2 Senger übersetzt De apice theoriae mit »Die höchste Stufe der Betrachtung«. Dupré wählt stattdessen »Den Gipfel der Schau«. Da das Können-Selbst das cusanische posse-Denken abschließt und sich dieses Etappenweise in den Schriften Nikolaus entwickelte, wird hier die Übersetzung Sengers - die diese Stufenhaftigkeit besser darstellt - verwendet. Die Übersetzung sowie das Kommentar Sengers sind grundlegend für diese Arbeit.

3 Vgl. Alfons Brüntrup: Können und Sein (Der Zusammenhang der Spätschriften bei Nikolaus von Kues). München und Salzburg: Verlag Anton Pustet, 1973. Seite 103.

4 Cusanus: De apice theoriae, n.1, 5-6.

5 Ebd., n. 1, 9-10.

6 Vgl. Senger, Kommentar und Anmerkungen, 1986. Seite 63.

7 Ebd. Seite 63.

8 Vgl. Cusanus: De apice theoriae, n. 2, 13-18

9 Senger, Kommentar und Anmerkung. 1986, Seite 65.

10 Cusanus: De apice theoriae, n. 2, 19-26.

11 Senger, Kommentar und Anmerkung. 1986, Seite 76.

12 Vgl. Platon: Menon. 80e: »Ich verstehe, was du sagen willst, Menon! Siehst du, was für einen streitsüchtigen Satz du uns herbringst? Daß nämlich ein Mensch unmöglich suchen kann, weder was er weiß, noch was er nicht weiß. Nämlich weder was er weiß, kann er suchen, denn er weiß es j a, und es bedarf dafür keines Suchens weiter; noch was er nicht weiß, denn er weiß ja dann auch nicht, was er suchen soll.«

13 Vgl. Senger, Kommentar und Anmerkung. 1986, Seite 66f.

14 Vgl. Cusanus: De apice theoriae, n. 4, 1-14. Es sei hier nur erwähnt, dass diese Bestimmung nicht unproblematisch ist. Wenn etwas jenseits aller Erkenntniskraft vor jeder Verschiedenheit und Gegensätzlichkeit zu suchen ist, so ist es eigentlich nicht möglich sich auf das gesuchte zu beziehen oder gar - was Cusanus allerdings tut - Seinsaussagen über das gesuchte zu tätigen. Die später eintretende Konsequenz dessen, dass das Können-Selbst von Cusanus hypostasiert wird und es sich jenseits aller Erkenntniskraft findet, ist allerdings diese, so Senger, dass sich diese Hypostasierung der kantischen Kritik des dogmatischen Blendwerks (KrV A 384, 395f.) entzieht. (Vgl. Senger, Kommentar und Anmerkung. 1986, Seite 75)

15 Ebd., n. 4, 6-11.

16 Senger, Kommentar und Anmerkung. 1986, Seite 73.

17 Cusanus: De docta ignorantia (Dupré Übersetzung), n. 17.

18 Ebd. n., 19.

19 Senger, Kommentar und Anmerkung. 1986, Seite 73.

20 Cusanus: De apice theoriae, n. 4, 14-16.

21 Ebd., n. 4, 17-19.

22 Brüntrup: Können und Sein. 1973. Seite 104.

23 Ebd., n. 4, 28-32.

24 Vgl. Senger, Kommentar und Anmerkung. 1986. Seite 81.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Das "posse ipsum" in Cusanus' "De apice theoriae". Der letzte Schritt des Könnens
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (philosophische Fakultät)
Veranstaltung
Cusanus - Einführung
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
12
Katalognummer
V988313
ISBN (eBook)
9783346347350
ISBN (Buch)
9783346347367
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Cusanus, Philosophie, Theologie, Gottesbeweis, Neuzeit, Mittelalter
Arbeit zitieren
Janis Müller (Autor:in), 2020, Das "posse ipsum" in Cusanus' "De apice theoriae". Der letzte Schritt des Könnens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/988313

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Das "posse ipsum" in Cusanus' "De apice theoriae". Der letzte Schritt des Könnens



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden